Die „Kieler Schule" - Ur- Und Frühgeschichtliche Forschung Zwischen 1927 Und 1945
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Das Altertum, 2010, Band 55, Seiten 105-126 Die „Kieler Schule" - ur- und frühgeschichtliche Forschung zwischen 1927 und 1945 Ulrich Müller Die ur- und frühgeschichtliche Archäologie Die schleswig-holsteinische Archäologie hat stellt im Vergleich zu anderen Wissenschaf- sich in besonderem Maße unter dem Natio- ten eine Junge", am Ende des 19. und zu Be- nalsozialismus entwickelt und prägte diesen ginn des 20. Jahrhunderts entstandene Diszi- durch ihre (prä-)historischen Deutungsmu- plin dar. Ihre Akteure waren zunächst ster mit. So mag man in Anlehnung an die sogenannte Laien vor allem in Geschichts- Kieler Rechtswissenschaften und ihren pro- und Altertumsvereinen. Vor dem Hinter- minenten Vertreter Paul Ritterbusch durch- grund des aufblühenden Nationalismus ist es aus von einer „Kieler Schule" sprechen. Bis nicht verwunderlich, dass die Erträge ur- und in die 1990er Jahre hinein wurde dies aller- frühgeschichtlicher Archäologie für die Bil- dings kaum thematisiert.3 Auch wenn ein- dung einer lokalen und regionalen, aber auch zelne Prähistoriker der „Kieler Schule" in zunehmend nationalen Identität herangezo- verschiedenen Beiträgen vorgestellt und ihre gen wurden. Neben der Gründung von regio- Rolle im Nationalsozialismus mehr oder min- nalen Altertumsverbänden und Instituten, der detailliert diskutiert wurde, fehlt bislang wie der Römisch-Germanischen Kommis- eine vergleichende Einordnung.4 sion, wurden seit der Jahrhundertwende, Die Anfänge der ur- und frühgeschicht- verstärkt aber in den 1920er und 1930er Jah- lichen Forschung sind sowohl mit dem Na- ren Universitätsinstitute gegründet, Museen men von Johanna Mestorf (1828-1909) zu ausgebaut und die archäologische Boden- verbinden, als auch vor dem Hintergrund der denkmalpflege professionalisiert. deutsch-dänischen Auseinandersetzungen zu Diese Entwicklung vollzog sich auch in sehen." Insgesamt ist die Archäologie in Schleswig-Holstein.1 Das Ordinariat für Ur- Schleswig-Holstein durch eine spannende und Frühgeschichte an der Christian-Al - Gemengelage geprägt, denn der schleswig- brechts-Universität zu Kiel wurde 1937 ein- holsteinisch/dänische Konflikt führte seit gerichtet und bildete zusammen mit dem dem 19. Jahrhundert dazu, die archäologi- „Museum vaterländischer Alterthümer" (ab schen Zeugnisse als Teil eines nationalen, 1936 „Museum vorgeschichtlicher Altertü- deutsch-dänischen Gegensatzes wahrzuneh- mer") und der seit 1937 eingerichteten „Pro- men. Dies gilt zum einen für die Zeit nach vinzialstelle für vor- und frühgeschichtliche dem Deutsch-Dänischen Krieg (1864), zum Landesaufnahme und Bodendenkmalpflege" anderen wurden mit der Abstimmung von eine der zentralen ur- und frühgeschicht- 1920 und dem Verschieben der dänischen lichen Institutionen in Schleswig-Holstein.2 Grenze nach Süden die archäologischen 106 ULRICH MÜLLER Denkmäler mit Vorstellungen von „Heimat" gestellt.8 Der gebürtige Niedersachse war be- und besonders „Ethnos" aufgeladen/1 Diese reits als Kind von der Prähistorie fasziniert neuen Deutungsmuster fügten sich durchaus und stand als Jugendlicher in einem engen in die veränderte methodologische Ausrich- Briefkontakt zu Johanna Mestorf.9 Zunächst tung der Ur- und Frühgeschichte dieser war Schwantes als Lehrer tätig, nach seiner Jahre ein, in denen seit den 1910er Jahren Promotion und Habilitation arbeitete er als das kulturhistorisch-nationale Paradigma die Kustos am Hamburger Museum für Völker- positivistisch-naturwissenschaftlichen Vor- kunde und wurde im Jahre 1929 mit der stellungen abgelöst hatte. Leitung des Museums in Kiel betraut. Schwantes steht für jene Generation, deren Gustav Schwantes und die Erfahrungswelt durch die Kaiserzeit und den Ersten Weltkrieg geprägt war und in deren Etablierung der Ur- und Forschen und Lehren sich eine germanophil- Frühgeschichte in Kiel nationale Interpretation der archäologischen Funde und Befunde mit exakten typologi- Die Institutionalisierung der Prähistorie schen und naturwissenschaftlichen Metho- über das Museum hinaus ist mit dem Namen den die Hand reichen. An seiner Person zeigt von Gustav Schwantes (1881-1960) verbun- sich auch, dass der vielfach beschworene den (Abb. 1).' Der Weg Schwantes zur Archäo- Gegensatz von Gustaf Kossinna und Rudolf logie ist fast typisch für „Karrieren" im Kai- Virchow bzw. Carl Schuchhardt und damit serreich und wurde von ihm autobiografisch die Trennung zwischen einer ethnisch inter- bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs dar- pretierenden Prähistorie einerseits und einer eher wertfreien befundorientierten Archäo- logie andererseits zu hinterfragen sein wird. Wenn er in den Dokumenten des Sicherheits- dienstes (SD) des Dritten Reiches als „völlig unpolitischer Mensch, der einen starken per- sönlichen Ehrgeiz und starkes Machtstreben hat",10 charakterisiert wird, so sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass er jenen zugeordnet werden kann, die zum Ausbau der Germanenideologie bereits im Kaiser- reich grundlegende Bausteine geliefert ha- ben.11 Allerdings fielen die von Schwantes vorgebrachten Argumente durchaus wider- sprüchlich aus und bedienten nicht zwangs- läufig gängige rassistische Schemata. Schwantes Werke wie „Deutschlands Urge- schichte" wurden bis in die 1950er Jahre wie- der aufgelegt. So verwundert es auch nicht, wenn er zu seiner Zeit als hervorragender Wissenschaftler galt und in der „Denkschrift Vorgeschichte" aus dem Jahre 1939 neben Gustaf Kossinna, Carl Schuchhardt und Hans Seger als „Schöpfer der modernen Vor- geschichte" bezeichnet wurde.12 An diesen Abb. 1 Gustav Schwantes (1881-1960). und weiteren Schriften zeigt sich auch, dass DIE „KIELER SCHULE" 107 Schwantes als Pädagoge um die Bedeutung sachlichen Ausstattung des Museums. Er außerwissenschaftlichen Engagements ge- drang darauf, dass wissenschaftliche Ergeb- nau wusste. Seine Arbeiten und Ansichten nisse zeitnah der Fachwelt und der interes- wirkten nicht nur in Fachkreisen, sondern sie sierten Öffentlichkeit vorgestellt werden. erfuhren darüber hinaus eine beträchtliche Schließlich forderte er indirekt die Einrich- populäre Rezeption.13 Hierbei verwendete er tung eines eigenen Seminars bzw. Institutes. durchaus eingängige und plakative Formeln, Neben der Sorge um die eigene Karriere kann um seine Idee des germanischen Ursprungs man davon ausgehen, dass Schwantes mit der sowie der Überlegenheit der Germanen dar- Weitsicht agierte, dass erst eine universitäre zustellen und zu betonen, dass es sich „nicht Verankerung dem Fach professionelle Nach- um den Einfall eines wunschbestimmten Na- wuchskräfte bescheren würde. tionalisten handelt."14 Die Einrichtung einer Professur für Ur- In jedem Fall war Schwantes ein sehr guter und Frühgeschichte an der Universität Kiel Forscher und Kenner der nordeuropäischen zog sich indes hin. Zwar lehrte Gustav Vorgeschichte, der die Zusammenarbeit mit Schwantes bereits seit Ende der 1920er den Naturwissenschaften ebenso förderte, Jahre, nachdem zuvor ur- und frühgeschicht- wie er um die Potentiale populärarchäologi- liche Inhalte besonders durch den Landeshi- scher Vermittlung und kulturpolitischen Ar- storiker Otto Scheel vermittelt worden wa- beitens wusste. Für ihn, den ehemaligen Leh- ren. Eine politisch günstige Situation scheint rer und Heimatkundler, stellte die Vor- und sich erst Anfang der 1930er Jahre ergeben zu Frühgeschichte keine Wissenschaft im Elfen- haben, als die nationalsozialistische Macht- beinturm dar, sondern praktische Wissen- übernahme den Ausbau der Christian-Al- schaft. Vor diesem Hintergrund erscheint brechts-Universität zu einer „Grenzlanduni- seine Ernennung zum Direktor des „Mu- versität" begünstigte. So heißt es denn auch seums vaterländischer Alterthümer" in 1933 in einem Schreiben des Rektors an das Kiel durchaus nachvollziehbar. Der Aufstieg Ministerium in Berlin, „daß Kiel als Grenz- Schwantes zum Direktor des Museums war landuniversität unter allen Umständen eine indes mit einigen Schwierigkeiten verbun- prähistorische Professur benötige."1' den. So wurde er seitens der Universität im Ein weiteres Anliegen von Schwantes war Jahre 1929 nach den Archäologen Nils Äberg die Bündelung der archäologischen Bestände aus Schweden und Alfred Tode auf den wenig in einem Museum. Dies wurde seitens aussichtsreichen dritten Platz gesetzt.10 Be- der Provinzialverwaltung nicht unmittelbar gründet wurde dies nicht nur mit seinem unterstützt, doch Schwantes wurde in den fol- Alter, sondern letztlich auch mit fehlender genden Jahren nicht müde, regional wie über- wissenschaftlicher Qualifikation. Über die regional dafür zu werben. Bereits in einem Hintergründe dieser Entscheidung kann mo- Schreiben vom 3. August 1931 hatte er die mentan nur spekuliert werden. Sie dürfte we- Umbenennung des Museums „Vaterländi- niger auf fachlichen, denn universitäts- und scher Alterthümer" in „Schleswig-Holsteini- landespolitischen Gründen beruht haben. sches Museum vorgeschichtlicher Alterthü- Unabhängig davon positionierte Schwantes mer an der Universität Kiel" mit dem Hinweis sich in den umfangreichen Korrespondenzen beantragt, dass es außer in Schleswig-Hol- mit der Universität und dem Preußischen Mi- stein „Funde [...] der alten Germanen in kei- nisterium als engagierter Wissenschaftler ner Sammlung der Welt wieder gibt."18 und Fachpolitiker.1'1 Er stellte in geradezu Mit den Anfang der 1970er Jahre erschie- moderner Weise die Bedeutung ehrenamt- nenen Arbeiten von Michael H. Kater und licher Bodendenkmalpflege heraus und for- Reinhard Bollmus setzten sich zwei Histori- derte eine Aufstockung der personellen wie ker umfassend mit dem Amt Rosenberg