Zur Geschichte des Museums für Vor- und Frühgeschichte

Festvortrag des Direktors des Museums für Vor- und Frühge­ schichte, Wilfried Menghin

Ich freue mich sehr, dass Sie der Einladung zum Fest­ akt anlässlich des 175-jährigen Bestehens des Muse­ ums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz so zahlreich gefolgt sind. Meinen Vorrednern danke ich ganz herzlich für die würdigenden Worte, die sie zu diesem Anlass für unser Museum und seine Akteure gefunden haben. Zu vielen Aspekten der Museumsgeschichte ist schon Wesentliches gesagt worden und man könnte versucht sein, sich wieder einmal auf Karl Valentin und seinen Spruch „Eigentlich ist schon alles gesagt, aber noch nicht von allen!“ zu berufen, um dann mit einem Rundum-Dank sein Redekonzept einzupa ­ cken und das Rednerpult zu verlassen. Aber heute geht das nicht: Erstens ist dies ein Festakt, zweitens können die Gäste den Reden im Sitzen fol­ gen, drittens ist die Museumsgeschichte so facetten­ reich, dass man stundenlang aus ihr erzählen könnte und vor allem viertens muss ich, nach der vom Generaldirektor angedeuteten Skepsis, schlüssig er­ Deutschland Geschichts- und Altertumsvereine ge­ klären, weshalb wir 2004 und nicht 2005, wie die gründet wurden, die sich mit den Relikten der „teut- Staatlichen Museen im Allgemeinen, das 175-jährige schen Vorzeit“ befassten. Jubiläum oder auch nicht 2006 das 75-jährige Jubi­ In Berlin wurde 1830 die Königliche Kunstkammer läum des Museums für- Vor- und Frühgeschichte in Schinkels Altem Museum im Lustgarten der allge­ feiern! meinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Aller ­ dings unter Ausschluss der „germanisch-slawischen Die Vorgeschichte Altertümer “, weil sie dem von Wilhelm von Hum­ Die Geschichte der Sammlungen des heutigen Muse­ boldt vertretenen Primat der „Hohen Kunst“ nicht ums für Vor- und Frühgeschichte reicht in ihren entsprachen. Anfängen bis in das frühe 18. Jahrhundert zurück. Ein Jahr zuvor aber schon, im Januar 1829, wurde der Damals gelangten bronzezeitliche Urnen und eine wegen Sehschwäche außer Dienst gestellte Artille ­ Reihe anderer einheimischer Altertümer in die Kö­ rieoffizier Freiherr Leopold von Ledebur als Drei ­ nigliche Kunstkammer, die aus Sammlungen erwor­ ßigjähriger per königlichem Erlass zum Vorsteher ben oder von „patriotisch und wissenschaftlich ge­ der „Unter Abtheilung für vaterländische Alterthü- sinnten Privat-Personen “ geschenkt wurden. mer“ mit einem Jahresgehalt von 1000 Talern er­ Die Wertschätzung dieser Objekte war bis in die Zeit nannt: Dies halten wir, verehrter Herr Generaldirek ­ nach den Befreiungskriegen gering. Das änderte sich tor, für den Gründungsakt des heutigen Museums für aber, als im Zuge nationaler Besinnung und Identi ­ Vor- und Frühgeschichte, weil wir von diesem Zeit­ tätssuche des aufstrebenden Bürgertums mit wohl­ punkt an eine ungebrochene Traditionslinie nachwei­ wollender Billigung der Obrigkeit überall in sen können.

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Die Ära von Ledebur der Arzt und Ethnologe Adolf Bastian, im Amt nach­ Zuerst noch im Stadtschloss beheimatet, fand die va­ folgte. terländische Abteilung ab 1835 ein Domizil im Mon­ bijou-Schlösschen, wo von Ledebur, inzwischen Virchow, Voß und Bastian auch Direktor der Königlichen Kunstkammer, die Adolf Bastian - als Schiffsarzt in jungen Jahren weit Sammlung 1838 geschlossen zur Aufstellung brachte gereist - vertrat exemplarisch die von den Naturwis­ und einen Katalog „Das Königliche Museum vater­ senschaften und der Evolutionstheorie geprägten ländischer Alterthümer im Schloss Monbijou zu Ber­ Anthropologen und Ethnographen, die im letzten lin“ drucken ließ. In diesem für seine Zeit fortschritt­ Viertel des 19. Jahrhunderts die Forschung dominier­ lichen Werk sind, nach den preußischen Provinzen ten, Zusammen mit Rudolf Virchow und anderen geordnet, alle Objekte der Sammlung beschrieben gründete er bereits 1869 die „Berliner Gesellschaft und zum Teil auch abgebildet. für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte“, Leopold von Ledebur hatte sich schon vor seiner An­ der 1870 die Gründung der gleichnamigen „Deut­ stellung wissenschaftlich qualifiziert und war später schen“ Gesellschaft folgte. in den heftigen Gelehrtenstreit um die Richtigkeit Die herausragende Persönlichkeit im Kreis der des Dreiperiodensystems, das heißt die Einteilung ethnologisch-anthropologisch-prähistorischen For­ der Vorgeschichte in eine Stein-, Bronze- und Eisen­ schung in Berlin war zweifellos Rudolf Virchow, zeit, involviert. In den Diskussionen um die Chrono­ dessen Bedeutung für die Entwicklung der Prähisto­ logie und ethnische Zuweisung der Sachaltertümer rischen Wissenschaft und der institutionellen Struk­ agierte er zeitlebens zurückhaltend und beschränkte turen inBerlin hier nicht weiter ausgeführt zu wer­ seinen wissenschaftlich-didaktischen Ansatz darauf, den braucht. Zum 100 Todestag war ihm 2002 im „das Ähnliche und Verwandte in Form und Stoff, ohne Medizinhistorischen Museum der Charite die Aus­ Rücksicht auf die Lokalität der Findung nebenei­ stellung ,Virchows Zellen“ und eine Vortragsreihe nander zu betrachten und entsprechende Schlüsse zu gewidmet, die sein außergewöhnliches Schaffen als ziehen. Arzt, Anthropologe, Ethnologe, Prähistoriker und Von Ledebur gehörte zu den Gründungsmitgliedern Politiker eindrucksvoll würdigten. des ,Vereins für die Geschichte der Mark Branden­ Der Fürsprache Rudolf Virchows zu verdanken war burg“. Dieser verschickte im Jahr 1840 Fragebögen beispielsweise, dass der Preußische König und Deut­ an die Pfarrer im Lande, in denen diese über die sche Kaiser 1873 den Neubau eines Museums für „jedes Ortes vorhandenen geschichtlichen und Völkerkunde genehmigt hat, das allerdings erst 1886 alterthümlichen Merkwürdigkeiten“ berichten soll­ an der heutigen Stresemannstraße neben dem Mar- ten. Ergebnis der Aktion war die Publikation von tin-Gropius-Bau, dem ehemaligen Kunstgewerbe­ 1852: „Die heidnischen Alterthümer des Bezirks museum, eingeweiht wurde. Potsdam“. Weniger gut aber stand es um sein Verhältnis zu Wil­ Neben diesen frühen denkmalpflegerischen Aktio­ helm Bode, dem herausragenden Exponenten der nen führte von Ledebur auch Ausgrabungen durch. Königlichen Museen, der im Gegensatz zu Virchow Seine Erwerbungen stammten nicht nur aus den mit seinem bürgerlich-kulturhistorischen Impetus preußischen Ländern, sondern bald auch aus Süd­ den Anspruch der Hohen Kunst vertrat. In den immer deutschland und dem Ostseeraum. Dabei ging sein wieder aufkommenden kultur- und museumspoliti­ Anspruch so weit, dass alles, was auf fiskalischem schen Querelen zwischen den beiden Kontrahenten Boden in Preußen, das damals von der Maas bis an behielt meist Virchow die Oberhand, weil er als Ab­ die Memel reichte, gefunden wurde, dem Museum in geordneter in wichtigen kulturpolitischen Gremien Berlin zustehen sollte. sowohl des Preußischen Landtages als auch des Das seit seiner Gründung im Bestand überproportio­ Reichstages vertretenen war: „Denn dort gab es für nal angewachsene „Museum vaterländischer Al­ uns niemanden, der Kunstinteresse besaß. Mommsen terthümer“ zog 1849in das Neue Museum auf der und Virchow waren ihren Kollegen im Abgeordneten­ Museumsinsel um, wo die Funde unter der neuen Be­ haus auch in der Kunst maßgebend, und diese be­ zeichnung „Sammlung nordischer Altertümer“ ab trachteten sie rein wissenschaftlich“ ist in Wilhelm 1855 im eigens für diesen Zweck ausgemalten „Vater­ von Bodes Autobiographie „Mein Leben“ vermerkt. ländischen Saal“ ausgestellt waren. Virchow, der an seinem Lebensende über 1.000 Arti­ Von Ledebur hatte 44 Jahre als Direktor erfolgreich kel allein zu prähistorischen Themen aufzuweisen für das Museum gewirkt, bis ihm 1873 sein Assistent, hatte, vermittelte 1881 die „Schliemannsche Samm­

14 Festakt 175 Jahre: Festvortrag Menghin lung trojanischer Altertümer“ an die königlichen Bayern 1902 wegen verschiedener Erwerbungen der Museen und vermachte seine eigene Sammlung tes­ Berliner beinahe zu einem Museumskrieg gekom­ tamentarisch der von ihm außerordentlich geförder­ men und zur selben Zeit brachte das zentralistische ten Vorgeschichtlichen Abteilung des Völkerkunde­ Streben nach einem „Nationalmuseum“ in Berlin die museums. Mit Geldern aus der „Virchow Stiftung“, west- und süddeutschen Geschichts- und Altertums­ wurden bis nach dem 1. Weltkrieg Unternehmungen vereine sowie das Kaiserliche Archäologische Insti­ der Berliner Anthropologengesellschaft und der Vor­ tut gegen ,Virchow und die Seinen“ auf, die als geschichtlichen Abteilung, der auch die von Virchow Antwort auf die überzogenen Ansprüche Virchows ins Leben gerufene Volkskunde angehörte, finan­ die Römisch-Germanische Kommission in ziert. am Main gründeten. Andererseits aber brachte Albert Schon 1874 war auf Betreiben Rudolf Virchows dem Voß schon 1888 die zuständigen preußischen Minis­ Ethnologen Bastian Albert Voß, von Haus aus eben­ terien (Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten falls Arzt, zur Seite gestellt worden. Als Direktori­ bzw. Inneres) dazu, eine Verordnung, betreffend „die alassistent verantwortlich für die „Sammlung nordi­ unbefugten Ausgrabungen vorgeschichtlicher Alter- scher Altertümer“ nahm er, nach dem Einzug ins thümer und die Verschleppung der Funde“, zu erlas­ neue Völkerkundemuseum, ab 1886 die Geschäfte sen und ein „Merkbuch, Alterthümer aufzugra­ der nunmehr „Vorgeschichtlichen Abteilung des Kö­ ben ...“ zu verbreiten. Und schließlich geht auch das niglichen Museums für Völkerkunde“ bis 1906 als preußische Ausgrabungsgesetz von 1914 auf Carl weitgehend selbständiger Direktor wahr. Schuchhardt zurück, der ansonsten beim Erwerb von Getragen von der nationalen Hochstimmung nach Altertümern aus ganz Europa keineswegs zimperlich der Gründung des Zweiten Kaiserreiches sowie der verfuhr. Konzentration des kulturellen Lebens in der Reichs­ Die Epoche zwischen der Reichsgründung und dem hauptstadt, konnte Voß die prähistorische Sammlung 1. Weltkrieg war die glanzvollste Zeit prähistorischer mit Hilfe der Berliner Anthropologengesellschaft zu Forschung in Berlin, an der die seit 1886 im Neubau einer der größten in Europa ausbauen, so dass die für des Völkerkundemuseums untergebrachte, mit dem sie im neuen Völkerkundemuseum vorgesehenen „Haupt-Katalog“ von 1886vorbildlich organisierte Räumlichkeiten schon beim Einzug 1888 nicht mehr „Sammlung vor- und frühgeschichtlicher Alterthü­ ausreichend waren. mer“ wesentlichen Anteil hatte. Wie schon zu von Ledeburs Zeiten beanspruchte die Dass die Berliner „Wissenschafts-Szene“ dieser Zeit Leitung des Völkerkundemuseums als staatliche Ein­ den Gang der Forschung in Deutschland und Europa richtung alle Funde von fiskalischem Grund, was beeinflusst hat, bedarf an dieser Stelle keiner kriti­ verständlicherweise die Beliebtheit der quasi Staats­ schen Erläuterungen. Allein der Verweis auf die Ak­ sammlung bei den zunehmend erstarkenden Provin­ tivitäten der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, zialmuseen in Preußen nicht gerade mehrte.Ethnologie und Urgeschichte oder auf einzelne Per­ Die modifizierte Sammlungskonzeption und der sönlichkeiten wie Rudolf Virchow, Adolf Bastian, Fortschritt der Forschung gegenüber den Ausführun­ Albert Voß und, seit den 90er Jahren des 19. Jahrhun­ gen von Ledeburs von 1838 zeigte sich in der Be­ derts, auf die zweite Generationmit Alfred Götze, gründung der Museumspolitik, die zum Ziel hatte, Hubert Schmidt sowie, im universitären Bereich, auf „die Kulturentwicklung und die Völkerbeziehungen , muss als Zitat ausreichen. Hervor­ im vorgeschichtlichen Europa an Hand der mensch­ ragende Publikationen wie „Die Bronzeschwerter lichen Hinterlassenschaften deutlich zu machen“, des königlichen Museums zu Berlin“ von 1878 oder was nach heutiger Auffassung nichts anderes als die „Ausstellung prähistorischer und anthropologi­ „Vergleichende Archäologie“ bedeutet.scher Funde Deutschlands“, die 1880 im preußischen Erstaunliche Diskrepanzen sind im Verhalten der Ab­ Landtag, dem heutigen Berliner Abgeordnetenhaus, teilungsleitung hinsichtlich des Erwerbs „preußi­ stattfand, wo erstmals Funde aus dem ganzen Deut­ scher“ bzw. „ausländischer“ Funde festzustellen. Ei­ schenReich vergleichend betrachtet werden konn­ nerseits erwarb das Völkerkundemuseum aus nahezu ten, tun ihr übriges, um die zentrale Rolle Berlins im allen deutschen Staaten und dem europäischen Aus­ Kräftespiel der deutschen und europäischen Zentren land über Antiquare, Sammler und Raubgräber ohne prähistorischer Forschung entsprechend zu würdi­ allzu große Skrupel Ausstellungsobjekte, was ver­ gen. Dabei resultierte die Außenwirkung Berlins aus schiedentlich zu ernsthaften kulturpolitischen Ver­ dem Mit- und Gegeneinander verschiedener Perso­ werfungen führte: So wäre es mit dem Königreich nen, Vereinen und Museen sowie, und vor allem, aus

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der wohlwollenden Unterstützung durch die Obrig­ 1. April 1908 unterstanden ihm zwei Direktorialassis- keit. ten, ein wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, der Leiter Diese „Außenwirkung“ wurde aber nicht überall po­ der Restaurierungswerkstatt und die „Sammlung für sitiv beurteilt. Vor allem nicht in Berlin, im Kreis der deutsche Volkskunde“, deren Spiritus Rektor in den Klassischen Archäologen um Alexander Conze und 80er Jahren Rudolf Virchow gewesen war. schon gar nicht von Wilhelm Bode, als Nachfolger Noch im ersten Jahr gelang es ihm, die in fünf Sälen des Archäologen Richard Schöne seit 1906 omnipo­ im Erdgeschoss des Völkerkundemuseums in drang­ tenter Generaldirektor der Königlichen Museen zu voller Enge untergebrachte Sammlung nach moder­ Berlin. Nach dem Tode seines Widersachers Rudolf nen Gesichtspunkten neu aufzustellen zu lassen und Virchow 1902 sowie dem Ableben von Bastian 1905 sich mit der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, und von Voß im Frühsommer 1906, war für ihn der Ethnologie und Urgeschichte sowie den Historischen Weg frei für eine adäquate Neubesetzung der Stellen Vereinen und den Provinzialmuseen zu arrangieren im ungeliebten Völkerkundemuseum. Den Kronprin­ beziehungsweise das Ansinnen des Kaisers abzu­ zen der Virchow-Fraktion für die Nachfolge von Voß, wehren, alle vorgeschichtlichen Waffen in das Zeug­ den promovierten Prähistoriker Alfred Götze, ließ er haus verbringen zu lassen. zwei Jahre als amtierenden Direktor schmoren, bevor Eine nachhaltige Feindschaft entwickelte sich mit er es zu einer ihm genehmen Entscheidung kommen Gustaf Kossinna, die ihm aber nicht weiter schadete, ließ. weil er zum einflussreichen Kreis der Klassischen Archäologen in Berlin gehörte, in Bode einen er­ Bode, Schuchhardt und der Kaiser staunlich starken Rückhalt hatte und zudem vom ar­ Die Wahl fiel auf den Klassischen Archäologen Carl chäologiebegeisterten Kaiser Wilhelm II. als ein be­ Schuchhardt. den Direktor des Kestner Museums in deutender Wissenschaftler wahrgenommen wurde. Hannover. Schuchhardt war bei seiner Berufung Im Gegenteil, die brüske Ablehnung bis hin zu Hass­ 1908 49 Jahre alt und ein arrivierter Museumsmann, tiraden, die er seitens Kossinnas, der zweifellos der weitgereister Archäologe und innovativer Ausgräber. bessere Wissenschaftler war, aber bei den etablierten Er war Mitglied der Zentraldirektion des Deutschen Klassischen Archäologen und der Anthropologenge­ Archäologischen Instituts, Gründungsmitglied der sellschaft eine schlechte Reputation hatte, erfuhr, ha­ Römisch-Germanischen Kommission sowie Grün­ ben sicher mit dazu beigetragen, dass Schuchhardt der und Vorsitzender des Nordwestdeutschen Ver­ nie ins völkisch geprägte Lager der Prähistoriker ab­ bandes für Altertumskunde in Hannover. Kurzum, geglitten ist. der Mann für den Paradigmenwechsel in der Vorge­ Schuchhardt und seine Mitarbeiter reisten viel, ver­ schichtlichen Abteilung. anstalteten Grabungen in Südrussland und Rumänien Bode lockte ihn mit dem Versprechen, ein neues Mu­ und tätigten nebenbei bedeutende, manchmal auch seum zu bauen und der Aufgabe, die Spannungen gewagte Erwerbungen. Die Mittel dazu wurden von zwischen den Historischen Vereinen und den preußi­ Mäzenen, der Berliner Anthropologen Gesellschaft, schen Provinzialmuseen auf der einen und der Vor­ der Virchow Stiftung und zum geringeren Teil von geschichtlichen Abteilung der Königlichen Museen den Königlichen Museen bereitgestellt. auf der anderen Seite abzubauen. Daneben sollte er Die Begeisterung für die Belange der Vorgeschichte eine rege Ausgrabungstätigkeit entfalten, was umso war so groß, dass beispielsweise für den Ankauf ei­ leichter war, als Schuchhardt auch zum „Generalin- nes Neandertalerskelettes aus Le Moustier und den specteur für das Ausgrabungswesen in Preußen“ er­ Grabfund eines altsteinzeitlichen Homo sapiens von nannt wurde. Pikant war das Ansinnen Bodes, die Combe Capelle in der Dordogne in einer von Bode Sammlungen durchkämmen zu lassen, die „unter (sic!) initierten Spendenaktion 160.000 Mark zusam­ dem alten Arzt Voß seit Jahren vielfach unwissen­ menkamen, wozu der Kaiser aus seiner Privatscha­ schaftlich vermehrt und auf gestellt waren“. tulle 30.000 Mark beisteuerte. 1910 entsprach der Schuchhardt wurde in die Stelle von Adolf Bastian, „ungeheuerliche“ Ankaufspreis immerhin 18 Jahres­ also in die des Direktors des Königlichen Völkerkun­ gehältern des Direktors - und im Vergleich zu Heute demuseums eingewiesen und war mit einem Jahres­ etwa 1,5 Millionen €. Es war somit die teuerste Er­ gehalt von 9000 Mark plus Zulagen einer der am werbung, die das Museum für Vor- und Frühge­ besten bestallten Direktoren der Königlichen Mu­ schichte bis auf unsere Tage getätigt hat. seen zu Berlin (sein Endgehalt in Hannover hatte Was den geplanten Neubau des Museums in Dahlem 7500 Mark betragen). Bei seinem Dienstantritt am betrifft,so kam der Erste Weltkrieg dazwischen und

16 Festakt 175 Jahre: Festvortrag Menghin deshalb verblieb die Vorgeschichtliche Abteilung ren Magazinen seit Jahren liegen“, mit Genehmi­ weiterhin in drangvoller Enge im Völkerkundemu­ gung des Ministeriums und der Sachverständigen­ seum, das von kritischen Zeitgenossen manchmal kommission in die Scheideanstalt. mit einem überdimensionalen Trödelladen vergli­ Mit der Neuaufstellung der Sammlung, die inhaltlich chen worden ist. Im Weltkrieg nahm das Museum mit Lebensbildern, Karten und Modellen erläutert kaum Schaden. Schuchhardt und seine Mitarbeiter wurde, war der inzwischen 63jährige Direktor, seit waren zwar für den Fronteinsatz, aber nicht für die 1913 Geheimer Rat, überaus glücklich. Und die Vos- archäologische Feldforschung zu alt. Schuchhardt sische Zeitung vom 4. September 1922 schrieb unter inspizierte 1915 und 1916 Ausgrabungen in Polen. dem Titel „Die Kunst der Vorzeit“: 1917 und 1918 hielt er sich zu Ausgrabungen in Ru­ „Wenn man von prähistorischen Abteilungen spricht, mänien auf, was zugleich die Möglichkeit bot, dort so pflegt nicht gerade jedes kunstfreundliche Herz begehrte Lebensmittel einzukaufen und seine Fami­ höher zu schlagen. Hier regiert oft ansehnliche Lan­ lie im Hungerwinter 1917 zu ernähren. Ähnlich taten geweile, und die Kunstdenkmäler sind eher beige­ es seine Mitarbeiter und zudem hatten alle noch ge­ setzt als ausgestellt. Was aber jetzt Geheimrat Carl nug Zeit, sich um ihre Publikationsvorhaben zu küm­ Schuchhardt im ersten Stockwerk des freigeworde- mern. So brachte beispielsweise Schuchardt wäh­ nen Kunstgewerbemuseums hergerichtet hat, ist ei­ rend bzw. kurz nach dem Krieg sein Werk „Alteu­ nes der anregendsten Museumsreviere geworden, die ropa“ und die Vorgeschichte Deutschlands“ heraus, wir in Berlin besitzen. Die frische lebensvolle Art des die bis in die 40er Jahre mehrmals aufgelegt wurden.Direktors strömte in die Neugestaltung seines Rei­ ches, das nun endlich aus dem Gewirr des Völker­ Das Staatliche Museum für Vor- und Frühge­ kunde-Museums, wo die vorgeschichtliche Kunst im schichte Grunde niemalsetwas zu suchen hatte, befreit ist. Mit Ausrufung der Weimarer Republik wurden die [...] Auch der Ungelehrte wird nun mit Gewinn und Königlichen zu Staatlichen Museen. Was der Kaiser Genuß diese Räume mit ihrem kostbaren Inhalt noch an vorgeschichtlichen Zimelien im Stadt­ durchwandern“. schloss verwahrte hatte, wurde der „vor- und frühge­ Am Ende seiner Dienstzeit hatte Schuchhardt unter schichtlichen Sammlung“ übereignet, die, nach dem schwierigen Umständen das erreicht, was vor dem Auszug des Kunstgewerbemuseums in das Stadt­ Krieg hätte viel einfacher bewerkstelligt werden schloss, 1922 ihr Domizil im Martin-Gropius Bau können. Die Brüningschen Notstandgesetze der frü­ nahm. hen 20er Jahre reduzierten zwar die Wissenschaftler­ Dort stellte die Schausammlung in stellen, aber die Schausammlung und der hochran­ 19 Sälen im 1. Obergeschoss nach seinem zeitlich und gige Fundbestand gewährten bis zum Ausbruch des regional gegliederten Konzept auf, das seinen Inten­ 2. Weltkrieges die Weltbedeutung des Berliner Vor­ tionen vergleichender Archäologie und dem Primat geschichtsmuseums. archäologisch-historischer Zusammenhänge ent­ sprach. Zwei große Säle, die Nummern 20 und 21, 1926 folgte Wilhelm Unverzagt, ebenfalls Klassi­ dienten als Studiensammlung, im Keller und im scher Archäologe, zum Unbehagen vieler Prähistori­ 3. Geschoss befanden sich die Magazine. Im Haupt­ ker Schuchhardt im Amt des Direktors. Er erreichte geschoss war die Ostasiatische Sammlung ausge­ nicht nur, dass die Abteilung - längst überfällig - stellt. 1931 autonomes Staatliches Museum für Vor- und Die ganze Aktion fand unter schwierigen Umständen Frühgeschichte wurde, sondern dass diese fachstra­ statt. Dies einmal, weil sich Schuchhardt mit aller tegisch wichtige Institution auch vorder „Gleich ­ Macht gegen die - nachträglichen - Begehrlichkei­ schaltung“ bewahrt wurde, in dem er sich nicht dem ten anderer Abteilungen des Völkerkundemuseums „Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte“, sondern erwehren und zum anderen, weil der Umzug aus dem dem „“ der SS anschloss, was ihn nach Verkauf von so genannten Dubletten finanziert wer­ dem Krieg allerdings trotzdem den Posten als Direk­ den musste. Das wäre nicht so tragisch gewesen, tor seines Museums kostete. wenn diese Aktion nicht gerade zur Zeit der galop­ Wissenschaftlich war Unverzagt der Feldforschung pierenden Inflation hätte geschehen müssen. So wan­ zugetan. Als „Staatlicher Vertrauensmann für die kul­ derten bis 1923 in mehreren Chargen über drei Kilo­ turgeschichtlichen Bodendenkmäler in der Provinz gramm „Bruchgold“, beispielsweise „eine Anzahl Brandenburg“, eine Funktion, die von 1922 bis 1931 Bruchstücke von goldenen Armbändern, die in unse­ der langjährige Kustos der Vorgeschichtlichen Abtei­

17 Acta Praehistorica et Archaeologica 38, 2006 lung, Dr. Alfred Götze, inne gehabt hatte, konnte er 1945 ausgebombten Martin-Gropius-Baues wieder durch seine Ausgrabungen im Rahmen der Burgwall­ ausgegraben werden konnte. forschungen den Fundbestand nochmals wesentlich vermehren und in an der Oder eine große For­ Der Neuanfang in West-Berlin schungsstelle als Museumsdependance einrichten.In der zerstörten, aber noch ungeteilten Stadt er­ Von Auslandsaktivitäten zeitbedingt weitgehend wachte die Vor- und Frühgeschichte schon wieder ausgeschlossen und durch das von Schuchhardt 1914 1947 zum Leben. Unter Beteiligung von Wilhelm entworfene Preußische Denkmalschutzgesetz opera­ Unverzagt, seit 1945 wegen seiner Zugehörigkeit zur tiv eingeengt, ließ Unverzagt von der übergreifenden NSDAP nicht mehr Direktor des Museums, wurde Sammelkonzeption seiner Vorgänger ab und sicherte bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu sich sozusagen ein kleines aber eigenes Territorium. Berlin eine Kommission für Vor- und Frühgeschichte Nur vor diesem Hintergrund wird auch begreifbar, eingerichtet. Der Magistrat betraute 1947 die in Kiel warum er nicht hartnäckiger um den Verbleib der seit promovierte Prähistorikerin und Lehrerin Gertrud 1906 im Museum aufgebauten Sammlung Diergardt Dorka mit dem Referat für Bodendenkmalpflege in mit ihren herausragenden völkerwanderungszeitli­ Groß-Berlin und der kommissarischen Leitung des, chen Schätzen aus Südrussland und der Krim ge­ mit der Auflösung des Staates Preußen, nun „ehe­ kämpft hatte. Heute ist diese Nachlässigkeit aller­ mals Staatlichen“ Museums für Vor- und Frühge­ dings als Glücksfall zu werten, denn sonst befänden schichte. sich diese archäologischen Schätze derzeit nicht im Dorka, sozusagen die Trümmerfrau der Vorge­ Römisch-Germanischen Museum in Köln, sondern schichte, sorgte für die Bergung der im Schutt des in einem Geheimdepot in Russland. Martin-Gropius-Baues liegenden Objekte, die Rück­ Aber auch ohne das eingeschmolzene „Bruchgold“ führung ausgelagerter Bestände, soweit diese nicht und die Sammlung Diergardt war das Museum zu von den Siegermächten abtransportiert worden wa­ dieser Zeit mit über 180.000 (inventarisierten!) Fun­ ren, und für die Betreuung der vorgeschichtlichen den und Fundkomplexen aus Spanien, Frankreich, Funde, die das Märkische Museum bald nach Kriegs­ Italien, aus den Balkanländern, dem Deutschen Reich ende mit Beschluss des Magistrats zu treuen Händen in den Grenzen von 1914 und den russischen Provin­ an das Völkerkundemuseum in Dahlem abgegeben zen sowie dem Nahen Osten wohl eine der größten hatte. internationalen Sammlungen zur Archäologie Alteu­ Der Amtssitz Gertrud Dorkas befand sich im Keller ropas, die den Vergleich mit entsprechenden Museen des ausgebombten Völkerkundemuseums, gleich ne­ und Museumsabteilungen in London, Paris, Wien, ben dem Martin-Gropius-Bau, wo sie unter einer Budapest und Leningrad nicht zu scheuen brauchte. zeittypischen Adresse zu erreichen war: Noch vor Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde mit der „Museum für Vor- und Frühgeschichte Sicherung der wertvollsten Funde begonnen. Mehr­ Berlin SVF11, Stresemannstraße 110/111. mals umgepackt wurde die Fundkategorie 1 an ver­ Am vierten Kellerfenster vom Rundbau der schiedenen Stellen in Berlin und auf dem flachen Ecke klopfen. Land eingelagert. Bei Kriegsende befanden sich die Zugang in der Prinz-Albrechtstraße (Tor)“. 1538 „unersetzlichen“ Funde, so das Schliemann- Trotz aller Widrigkeiten konnte sie in der, dann schon Gold, der Goldschatz von Eberswalde, kurzum alles geteilten Stadt, 1955 in mehreren Räumen im Souter­ Gold und Geschmeide sowie herausragende Bronzen rain des Völkerkundemuseums - hauptsächlich mit in drei Kisten verpackt im Flakturm Zoo, wo sie Wil­ Funden des Märkischen Museums - eine durchaus helm Unverzagt zusammen mit weiteren wertvolls­ ansprechende Ausstellung zur Vor- und Frühge­ ten Beständen im Mai 1945 einer Trophäenkommis­ schichte einrichten. sion der Roten Armee übergeben musste.1958 übernahm Otto-Friedrich Gandert die Leitung Was nach Mitteldeutschland ausgelagert war, wurde des Museums für Vor- und Frühgeschichte, das mit weitgehend von den West-Alliierten in verschiede­ Gründung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus nen „Collecting Points“ zusammengeführt. Das in der Zuständigkeit des Landes Berlin entlassen Berlin verbliebene Museumsgut wurde bis Anfang wurde. In seine Amtszeit als Kustos fiel 1956 die 1946 per Bahn oder mit dem Flugzeug in die Sowjet­ Rückkehr der in Westdeutschland aufbewahrten Mu­ union abtransportiert. Dem Staatlichen Museum für seumsbestände und 1960 der Umzug in den Lang- Vor- und Frühgeschichte blieb nur das, was nach hansbau des Schlosses , wo sich das Kriegsende aus dem Brandschutt des am 3. Februar Museum noch heute befindet.

18 Festakt 175 Jahre: Festvortrag Menghin

Gandert, der bis Kriegsende als Nachfolger von Al­ 1989 noch eine räumliche Erweiterung am Span­ bert Kiekebusch Abteilungsdirektor am Märkischen dauer Damm 19 gefunden hatte, übergeben. Die Zu­ Museum war, verstand sich primär als Bodendenk­ kunftsperspektive war damals die Zitadelle in Span­ malpfleger und Siedlungsarchäologe, eine Berufung, dau, die ab 1996 als Sitz des Museums für Vor- und der er als Staatlicher Vertrauensmann für die kultur­ Frühgeschichte der Staatlichen Museen Preußischer geschichtlichen Bodenaltertümer noch fünf Jahre Kulturbesitz und des Archäologischen Landesamts nach seiner Pensionierung 1963 frönte. Berlin vorgesehen war. Aber es kam ganz anders!

Die Ära Adriaan von Müller Das Museum für Ur- und Frühgeschichte auf der Adrian von Müller war von 1953 an mit dem ehemals Museumsinsel staatlichen Museum für Vor- und Frühgeschichte Im selben Jahr 1963, als O. F. Gandert als zweiter verbunden. Zuerst Stipendiat der DFG und dann As­ Nachkriegsdirektor des Museums für Vor- und Früh­ sistent von Gertrud Dorka, wurde er 1958 zum Kus­ geschichte in Pension ging, wurde auf der Museums­ tos ernannt, bis er 1966 die Leitung des Museums insel in Ostberlin das Museum für Ur- und Frühge­ und 1968 auch die Funktion des Staatlichen Vertrau­ schichte ins Leben gerufen. Den Grundstock bildeten ensmannes übernahm, ein Amt, das 1977 mit der Be­ die 1958 aus der Sowjetunion zurückgekehrten Be­ zeichnung Landesarchäologe in das Berliner Denk­ stände des ehemaligen Staatsmuseums. malschutzgesetz einfloss. ImGegensatz zum Traditionsträger in Westberlin In seiner langen Amtszeit als Direktor auf den Leis­ konnte sich dieses Museum nur zögerlich entwickeln, tungen von G. Dorka und O. F. Gandert in der unmit­ da es weder im Kreis der Staatlichen Museen zu Ber­ telbaren Nachkriegszeit aufbauend, trug von Müller lin, noch bei der Akademie der Wissenschaften der durch zahlreiche Ausgrabungen, Ausstellungen, Vor­ DDR eine entsprechende Reputation besaß. Es be­ träge und Publikationen gleichermaßen zum Fort­ standen keine Möglichkeiten zur Fundvermehrung schritt der Forschung als auch zur Popularisierung durch Erwerbungen aus dem Kunsthandel oder durch der heimischen Vor- und Frühgeschichte bei. die Einbindung in die Bodendenkmalpflege, weil am Mit den von Adriaan von Müller betriebenen For­ Märkischen Museum 1965 die „Arbeitsstelle für Bo­ schungen war Berlin, trotz seiner Insellage und der dendenkmalpflege“ eingerichtet worden war und im Beschränkungen in Folge des Viermächte-Status, zu Museum für deutsche Geschichte mit höchster politi­ einem Brennpunkt der Mittelalterarchäologie ge­ scher Förderung eine marxistisch-leninistisch ausge­ worden, der ohne intensive Kontakte ins westliche richtete Urgeschichtsabteilung bestand. Zu allem Un­ Bundesgebiet, nach Polen und in die Tschechoslowa­ glück war auch noch der erste fachlich ausgewiesene kei, aber auch über Stacheldraht und Mauer hinweg Direktor nur sieben Tage nach Amtsantritt im Mu­ mit Wissenschaftlern in der DDR, nicht möglich ge­ seum für Ur- und Frühgeschichte der Staatlichen Mu­ wesen wäre. seen zu Berlin wegen „staatsfeindlicher Umtriebe“ Nationale und internationale Kontakte des Museums verhaftet und nach Bautzen verbracht worden. ergaben sich auch in besonderem Maße aus den Ak­ Erst in den 80er Jahren trat das Museum mit Ausstel­ tivitäten - seien es Ausgrabungen, Ausstellungen und lungen über Troja ins internationale Licht, wobei die Publikationen - der Vorderasiatischen Abteilung, die große Schau im Alten Museum „Troja, Mykene, seit den 60er Jahren mit Wolfram Nagel und später Tiryns“ im Schliemannjahr 1990 den krönenden Ab­ Eva Strommenger-Nagel einen rasanten Auf­ schluss der 37-jährigen Geschichte des Museums für schwung nahm. Daneben waren verschiedene von Ur- und Frühgeschichte bildete. Klaus Goldmann. Gustav Mahr und anderen betrie­ bene Forschungsprojekte am Museum für Vor- und Das Museum für Vor- und Frühgeschichte nach Frühgeschichte angesiedelt, deren Ergebnisse in die der Wiedervereinigung museumseigene Zeitschrift Acta Praehistorica et Ar- Mit der Wiedervereinigung wuchsen auch die ge­ chaeologica, in die Reihe Berliner Beiträge zur Vor- trennt im West- und Ostteil der Stadt bestehenden und Frühgeschichte sowie in zahlreiche Monogra­ Sammlungsteile wieder zusammen. Seit 1991 wurden phien und Ausstellungskataloge einflossen.die Sammlungen, Kataloge und Karteien aus dem Die Infrastruktur des Museums wurde ausgebaut und Alten Museum und dem Depot unter dem Dach des beim Eintritt in den Ruhestand 1990 konnte Adriaan Pergamonmuseums sukzessive unter großem Ar­ von Müller seinem Nachfolger ein wohlgeordnetes, beitsaufwand nach Charlottenburg ins Museum für personell und strukturell gut ausgestattetes Haus, das Vor- und Frühgeschichte verbracht. Hinzu kamen die

19 Acta Praehistorica et Archaeologica 38, 2006 von dem Zentralinstitut für Alte Geschichte und Ar­ Meine sehr verehrten Damen und Herren! chäologie 1990 an das Museum für Ur- und Frühge­ Sie werden bemerkt haben, dass ich mich im letzten schichte übergebenen Altbestände aus den Vor­ Teil meines Vortrages zur Geschichte des Museums kriegsgrabungen von Unverzagt und vor allem die in relativ kurz gefasst habe. Aber die Zeitzeugen und äußerst schlechtem Zustand befindliche so genannte Aktiven, welche die Geschichte dieses Museums in Prussia-Sammlung. Vom Deutschen Historischen West und Ost in den letzten 40 Jahren geprägt haben, Museum wurde die Vorgeschichtliche Abteilung des sind unter uns: Professor Adriaan von Müller, Dr. ehemaligen Museums für deutsche Geschichte über­ Mahr, Professor Nagel, Frau Dr. Strommenger-Na- nommen, so dass sich allein hieraus ein Zuwachs von gel, Dr. Goldmann, Frau Zengel und Frau Griesa und ca. 50.000 Katalogpositionen und ca. 20.000 Archiv­ viele andere, die mit dem einen oder anderen Mu­ einheiten ergab. seum auf die eine oder andere Art verbunden waren Die seither im Museum für Vor- und Frühgeschichte und, wie man sieht, immer noch sind. Es wäre ver­ durchgeführten Revisionen haben erbracht, dass vom messen, über sie und ihre Zeit hier kritisch berichten Altbestand des Staatsmuseums etwa 40 % als verlo­ oder gar werten zu wollen. ren gelten muss, wobei aber die 1.538 wertvollsten Noch mehr gilt das für die Geschichte des vereinten Funde, die in den drei Goldkisten 1945 von der Roten Museums in den letzten 15 Jahren, an der ich selbst Armee in die Sowjetunion abtransportiert wurden, mitgewirkt habe. Glücklicherweise sind darauf erhalten sind und sich derzeitig im Besitz des Mos­ schon meine Vorredner mit freundlichsten Worten kauer Puschkin Museums befinden. Weitere 5.000 eingegangen. Allerdings - und dieses „allerdings“ ist bis 6.000 Objekte konnten auch in der Sankt Peters­ am heutigen Abend ungewollt zu meinem persönli­ burger Eremitage lokalisiert werden. Ob und wann chen Modewort geworden - allerdings brauchen Sie überhaupt diese Hauptwerke dervor- und frühge­ keinen Informationsverlust zu befürchten. Denn al­ schichtlichen Sammlung wieder an ihre Eigentümer les, was hier und heute zur Geschichte des Museums zurückgegeben werden, bleibt bis auf Weiteres leider nicht gesagt wurde, finden Sie in unserer Festschrift! offen. Trotzdem aber hat die Wiedervereinigung zur Allerdings nicht gleich jetzt, sondern erst im Jahr Folge, dass das Museum für Vor- und Frühgeschichte 2005. Wir haben es leider nicht geschafft, rechtzeitig mit seinen inzwischen mehr als 180.000 Inventar­ fertig zu werden. Aber dem Generaldirektor wird es nummern und einer großen Anzahl von Exponaten Recht sein, denn so kommt eben unsere Festschrift hoher Qualität heute wieder einen Spitzenplatz in der zumindest rechtzeitig zur 175-Jahrfeier derStaatli ­ einschlägigen Museumslandschaft einnimmt und chen Museen heraus. darüber hinaus eine der wenigen Institutionen ist, in Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit! denen die Archäologie Alteuropas mit authentischen Funden exemplarisch demonstriert werden kann. Die Kernaufgaben des Museums liegen unter den seit 1990 gegebenen Vorzeichen wieder in der wis­ senschaftlichen Erschließung der Sammlungen und deren Darstellung im europäischen Zusammenhang sowie in der Bereitstellung seines Fundus für die Forschung im Allgemeinen. Denn dem ursprünglich überregionalen und europa­ weiten Sammlungsauftrag stehen längst nationale und internationale Denkmalschutzgesetze und Ver­ ordnungen entgegen. Ankäufe aus dem Kunsthandel oder von Privat, wie sie noch bis vor wenigen Jahren vertretbar waren, sind heute kaum noch zu realisie­ ren. „Ein Museum ohne Fundzuwachs ist tot“ lautet eine alte Museumsweisheit. Dem wirken aber die zentrale Erfassung, Magazinierung und Veröffentli­ chung der Berliner Bodenfunde entgegen, wofür, wie seit Unverzagts und Dorkas Zeiten, das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin seine Kapazitäten zur Verfügung stellt.

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