Nota Lepidopterologica
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
©Societas Europaea Lepidopterologica; download unter http://www.biodiversitylibrary.org/ und www.zobodat.at Nota lepid. 11 (4) : 256-264 ; 31.1.1989 ISSN 0342-7536 Das brachyptere Weibchen von Caryocolum laceratella (Zeller, 1868) (Lepidoptera, Gelechiidae) (*) P. Huemer und IC Sattler P. Huemer, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Museumstr. 15, A-6020 Innsbruck, Österreich. K Sattler, British Museum (Natural History), Cromwell Road, London SW7 5BD, England. Zusammenfassung Die Entdeckung des bisher unbekannten Weibchens von Caryocolum laceratella (Zeller) wird gemeldet. C laceratella ist die erste bekannte Caryocolum-Pili mit flugunfâhigem, leicht brachypterem Weibchen. Falter und Genitalien werden be- schrieben und abgebildet und mit den nächstverwandten Arten verglichen. Die Biologie und die bisher unbekannte Raupe werden ebenfalls beschrieben. Summary The discovery of the previously unknown female of Caryocolum laceratella (Zeller) is recorded. C laceratella is the first Caryocolum species known to have a flightless, slightly brachypterous female. The moth and its genitalia are described and illus- trated and comparisons are made with the most closely related species. The biology and previously unknown larva are also described. Flugunfähigkeit verbunden mit einer obligatorischen Reduktion der Flügel ist eine bei Schmetterlingen verhältnismäßig seltene Erscheinung. Sie tritt bei weniger als einem Prozent der gegenwärtig bekannten 150 000-200 000 Lepidopterenarten auf und ist fast ausnahmslos auf das weibliche Geschlecht beschränkt. Bei den Psychidae ist die Flügelreduktion der Weibchen zu einer erfolgreichen Familienstrategie geworden, die fast alle der etwa 2000 Arten erfasst. Sonst findet sich Stummelflügeligkeit (Brachypterie) vorwiegend bei einzelnen Vertretern umfangreicher Gattungen normal geflügelter Arten oder aber als Gruppenmerkmal kleinerer Gattungen, deren nächste Verwandte wiederum nur voll geflügelte Arten enthalten. Es ist auffällig, daß die Zahl der flügelreduzierten Arten vor allem unter bestimmten ökologischen (*) In dankbarer Anerkennung vieler Jahre der Freundschaft und kollegialer Unterstützung widmen wir diese Arbeit dem hervorragenden Kenner alpiner Lepidopteren, Herrn Dr. h.c. Karl Burmann, Innsbruck, zu seinem 80. Geburtstag (31.12.1988). 256 ©Societas Europaea Lepidopterologica; download unter http://www.biodiversitylibrary.org/ und www.zobodat.at Grenzbedingungen groß ist (Hackman, 1966 ; Dierl & Reichholf, 1977). Bekannt sind besonders die der Antarktis vorgelagerten Inselgruppen mit ihrem kalten, von ständigen Stürmen beherrschten Klima, in deren stark verarmter Fauna die flugunfâhigen Insektenarten überwiegen. Die wenigen dort heimischen Lepidopterenarten sind in der Regel in beiden Geschlech- tern brachypter, so z.B. die berühmten, zu den Tineidae bzw. Yponomeuti- dae gehörenden Kerguelenmotten. Unter den Lepidopteren der nördlichen Halbkugel findet sich Brachypterie, und zwar nur im weiblichen Geschlecht, besonders häufig bei solchen Arten, die als Imagines in der kalten Jahreszeit aktiv sind. In diese Gruppe gehören die zahlreichen Frostspanner (Geometridae) sowie manche Eriocottidae {Deuterotinea Rebel, 1901), Tineidae (Pararhodobates syriaca (Lederer, 1857)), Oecophoridae (Diurnea Haworth, 1811 ; Cheimophila Hübner, 1825) und Tortricidae (Exapate Hübner, 1825). Auch unter den auf die alpine Stufe hoher Gebirge spezialisierten Schmetterlingen ist verminderte Flugtüchtigkeit der Weibchen, oft mit Brachypterie gekoppelt, weit verbreitet. Die Verteilung der betroffenen Arten auf die unterschiedlichsten Lepidopte- renfamilien beweist, daß es sich dabei um ein allgemeines, nicht an be- stimmte systematische Gruppen gebundenes Phänomen handelt. Aus der alpinen Stufe der Alpen sind mindestens 19 im weiblichen Geschlecht mehr oder weniger brachyptere Arten aus sieben verschiedenen Familien bekannt. Hepialidae Pharmacis anselminae (Teobaldelli, 1977) Pharmacis bertrandi (Le Cerf, 1936) Yponomeutidae Kessleria spp. Symmocidae Symmoca signella (Hübner, 1796) Gelechiidae Eulamprotes libertinella (Zeller, 1868) Caryocolum lacerateIIa (Zeller, 1868) Sattleria spp. Tortricidae Sphaleroptera alpicolana (Frölich, 1830) Geometridae Pygmaena fusca (Thunberg, 1792) Lycia alpina ( Sulzer, 1776) Elophos zelleraria (Freyer, [1836]) Elophos unicoloraria (Staudinger, 1871) Elophos andereggaria (De la Harpe, 1853) Elophos caelibaria (Herrich- Schaffer, 1848) Elophos zirbitzensis (Piszczek, 1902) Sciadia tenebraria (Esper, 1794) Noctuidae Agrotis fatidica (Hübner, 1824) Innerhalb der alpinen Gelechiidae ist der Trend zur Rugunfähigkeit und einer Reduktion der Flügel mehrfach zu beobachten. So sind z.B. die voll geflügelten Weibchen von Teleiopsis albifemorella (Hofmann, 1867) wenig fluglustig und halten sich vorwiegend im Geröll auf, während die Männchen 257 ©Societas Europaea Lepidopterologica; download unter http://www.biodiversitylibrary.org/ und www.zobodat.at gern ans Licht fliegen (Burmann, 1977 ; eigene Beobachtungen). Bei der ebenfalls hochalpinen Chionodes pergrandella (Rebel, 1917) (= decolorella auct.) läßt sich ein leichter Geschlechtsdimorphismus in der Flügelform feststellen, der als erster Schritt auf dem Wege zur Brachypterie des Weibchens zu deuten ist (Sattler, 1986 : 258). Ähnlicher Geschlechtsdi- morphismus ist in der Gattung Acompsia Hübner, 1825, bekannt, z.B. bei A. cinerella (Clerck, 1759) und A. tripunctella (Denis & ScfflFFERMüLLER, 1775), und das Weibchen der in den Pyrenäen endemischen A. dimorpha Petry, 1 904, ist bereits eindeutig brachypter. Stummelflügeligkeit im weibli- chen Geschlecht findet sich ferner in allen Taxa der Gattung Sattleria Povolny, 1965, und bei Eulamprotes libertineIIa (Zeller, 1868), während die Weibchen der mit libertinella nahe verwandten E. wilkella (Linnaeus, 1758) und E. superbella (Zeller, 1839) weniger flügelreduziert sind. Da die europäischen Alpen zweifellos der am besten lepidopterologisch durchforschte Hochgebirgsraum der Erde sind, war die Entdeckung einer bisher unbekannten brachypteren Form, des Weibchens der Gelechiide Ca- ryocolum laceratella (Zeller) (Abb. 1, 2, 4), eine besondere Überraschung, und dies umso mehr, als es sich zugleich um den ersten Fall von Brachypterie in der mit 63 Arten recht umfangreichen Gattung Caryocolum Gregor & Povolny, 1954, handelt (Huemer, 1988). Caryocolum laceratella wurde von Zeller (1868 : 143) nach 3 SS beschrie- ben, die er am 23. bzw. 25. Juli 1867 im Bachbett unterhalb des Ortes Raibl (heute Cave del Predil, Mische Alpen, Italien) an einer reichlich mit Caryophyllaceen bewachsenen Stelle aus Knieholzgesträuch geklopft hatte. Mehr als acht Jahrzehnte blieb diese auffallende Gnorimoschemine verschol- len, ehe Pinker (1953 : 180) sie nicht weit von Raibl im Gebiet des Montasch (Monte Montasio) wiederentdeckte aber mangels Vergleichsmate- riales in den einschlägigen Sammlungen nicht erkannte und als Lita thurneri erneut beschrieb (Huemer, 1988 : 502). Im Rahmen seiner lepidopterologi- schen Forschungen in den Julischen Alpen in den Jahren 1951-1952 hatte Pinker auf der in etwa 1800m Höhe an der Südseite des Montasch gelegenen Pekolalpe (Malga Pekol) (Pinker's Angabe 1900 m ist etwas zu hoch gegriffen) drei wiederum männliche Falter unter Steinen gefunden bzw. aus einer Puppe gezogen. Ein ebenfalls von ihm erwähntes weibliches Exemplar vom Triglav (Jugoslawien, Julische Alpen) erwies sich später als Gnorimoschema hoefneri (Rebel, 1909) (Povolny, 1966 : 394 ; 1968 : 19). Pinker verdanken wir auch den ersten Hinweis auf die Biologie von lacera- tella. Aus dem Fund mehrerer Puppen, die aber nur einen Falter ergaben, schloß er, daß die Raupe an Moehringia ciliata (Scop.) DT. leben müsse. Anläßlich einer gemeinsamen Studienreise in die Julischen Alpen hatten wir im August 1987 Gelegenheit, die Typenlokalitäten von laceratella unà. thur- 258 ©Societas Europaea Lepidopterologica; download unter http://www.biodiversitylibrary.org/ und www.zobodat.at Abb. 1, 2. Caryocolum laceratella (Zeller), Mische Alpen, Montasch, Pekolalpe, 1800 m, 1, & el. 2.ix.l987. 2, 9, el. 29.viii.1987. 259 ©Societas Europaea Lepidopterologica; download unter http://www.biodiversitylibrary.org/ und www.zobodat.at ,;.,/i-,; ; ;..,.^;. , , ,/::'!.;./''.;.. Abb. 3-5. 3, Lebensraum von Caryocolum laceratella (Zeller). Julische Alpen, Montasch, Pekolalpe, 1800 m; Kalkschuttkegel. 4, Caryocolum laceratella (Zeller), Julische Alpen, Montasch, Pekolalpe, 1800 m ; 9, lebend. 5, Moehringia dilata (Scop.) DT. im Kalkschutt ; im Geröll verborgene Pflanzenteile freigelegt. 260 ©Societas Europaea Lepidopterologica; download unter http://www.biodiversitylibrary.org/ und www.zobodat.at neri zu besuchen. Besonders intensive Nachforschungen an Pinker's Fundstelle auf der Pekolalpe, vor allem einem weithin sichtbaren Schuttkegel oberhalb des 1670 m hoch gelegenen Rifugio Giacomo di Brazza (Abb. 3), erbrachten zahlreiche fast erwachsene Raupen, aus denen schließlich 1 3 SS und 1199 schlüpften. Auch am Mangart (Jugoslawien, Mische Alpen) konnten wir die Art nachweisen. Das bisher unbeschriebene weibliche Geschlecht ist flugunfahig und zeichnet sich durch eine deutliche Tendenz zur Brachypterie aus (Abb. 2,4). Wie die brachypteren Weibchen zahlreicher anderer Arten, z.B. Kessleria zimmer- manni Nowicki, 1864 (Yponomeutidae) (Burmann, 1973 : 153), Pleurota marginella (Denis & Schiffermüller, 1775) (Oecophoridae) (Fischer von Röslerstamm, 1843 : 295), Sattleria spp. (eigene Beobachtungen) und Sphaleroptera alpicolana (Frölich, 1830) (Tortricidae) (Burmann, 1958 : 1