Einleitung Zu SON
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X Einleitung Klaviermusik spielt in Eislers Denken und Schaffen eine Sonate folgt, zeigt Eisler seine ganze Kunst motivisch-thema- eigen artige Rolle. Sie war mit seinen Anfängen als Komponist tischer Verknüpfung und kontrapunktischer Kombinatorik.3 verbunden, und er kam auf sie zurück, wenn er Muße zum Zwar ist die Sonate grundsätzlich im atonalen Idiom der Komponieren hatte, aber zugleich war sie die Negativfolie, Wiener Schule gehalten; in ihren tonalen Residuen (wie etwa von der sich sein eigentliches Wirken abheben sollte. Dieses dem unaufgelösten Dominantseptnonenakkord am Ende des galt der Arbeiterbewegung und einer Musik, die sich in deren Hauptthemas des I. Satzes) zeigt sie indessen eine Eigenheit, Kämpfen für eine sozialistische Gesellschaft nützlich machen in der Reinhold Brinkmann den „künftigen kritischen Sänger konnte. Die Klaviermusik ist gewissermaßen Teil des „priva- angelegt“ sieht: „Will man seine [sc. dieses Akkordes] Isoliert- ten“ Eisler, der davon wenig Aufhebens machte. Das Klavier heit nicht als Stilbruch abtun, läßt er sich kaum anders denn war sein Instrument, und sein Klavierspiel scheint bei allen parodistisch fassen.“4 technischen Mängeln von großer Ausstrahlung gewesen zu Die Zweite Sonate entstand nur kurz darauf, erhielt zwar die sein.1 An Umfang übertrifft Eislers Klavierwerk dasjenige sei- Opuszahl 6, wurde aber zur Entstehungszeit weder aufgeführt nes Lehrers Arnold Schönberg, und neben Gelegenheitskom- noch verlegt. Sie ist keine Sonate im engeren Sinne des Be- positionen finden sich darin Werke, die wegen ihrer Stellung griffs, sondern eigentlich ein Variationenzyklus; der vollstän- im Gesamtschaffen oder ihrer immanenten Qualitäten als dige Titel heißt denn auch Zweite Sonate für Klavier (in Form Schlüsselwerke bezeichnet werden können. von Variationen). Zwar bilden 1.–3. Variation als Scherzo In diesem Band werden die Klavierwerke Eislers in Sonaten- – (kontrastierendes) Trio – Scherzo (Reprise in Umkehrung) oder Variationenform vorgelegt. Die übrigen Klavierkompo- eine Art Sonatensatz innerhalb des Variationen-Zyklus. An- sitionen folgen in Band IV/11, darunter auch die Sonatine dere Anspielungen an die Sonatenform wie die Bezeichnung op. 44, die zum Komplex der pädagogischen Musik gehört „Quasi Seitensatz“ bei der 11. Variation oder „Durchführung“ und trotz ihrer Sonatenform in diesem Kontext erscheint; und in einer Skizze zur 9. Variation hat Eisler jedoch fallen lassen, selbstverständlich werden die Variationen aus op. 8 und op. 31 wohl weil es dafür an Plausibilität fehlte.5 Die Sonate ist ein nicht aus den betreffenden Sammlungen von Klavierstücken Experimentierfeld, auf dem Eisler sich mit gegenläufigen Ten- herausgelöst. denzen des aktuellen Komponierens auseinandersetzt. Er wen- Mit den Sonaten und den Variationen enthält dieser Band det die von Schönberg erfundene Methode des Komponierens die gewichtigsten Klavierkompositionen Eislers, mit denen mit zwölf aufeinander bezogenen Tönen an, aber nicht etwa der Komponist zugleich einen bedeutenden Beitrag zur Kla- um eine größere Form mit gesteigerter Komplexität zu errei- viermusik der Wiener Schule im Besonderen und der des chen, sondern er lichtet den Klaviersatz und härtet den Klang 20. Jahrhunderts im Allgemeinen leistete. Wenn man in Be- im Geist der Neuen Sachlichkeit (wobei selbst Schönberg mit tracht zieht, wie sehr die Wiener Schule sich am Formenkanon der Klassik orientierte, mag es verwundern, dass die Klavier- sonate im Schaffen der Kerngruppe – abgesehen von Alban Bergs einsätzigem Opus 1 – nicht vorkommt. Ausgerechnet 3 Vgl. Christoph Keller, „Das Klavierwerk Hanns Eislers“, in: Wilhelm der „abtrünnige“ Hanns Eisler ist es, der nicht weniger als drei Killmayer, Siegfried Mauser und Wolfgang Rihm (Hrsg.), Klaviermusik Exempel zu dieser Gattung beigesteuert hat. des 20. Jahrhunderts, Mainz: Schott 1992 (= MELOS. Jahrbuch für zeit Mit der Sonate op. 1, 1923 am Ende der Lehrzeit bei Arnold genössische Musik 51), S. 25–41, hier S. 25–28. 4 Reinhold Brinkmann, „Kompositorische Maßnahmen Eislers“, in: Schönberg entstanden, gab Eisler einen vielbeachteten und Rudolf Stephan (Hrsg.), Über Musik und Politik, Mainz: Schott 1971 erfolgreichen Einstand als Komponist. Der Vergleich mit frü- (= Veröffentlichungen des Instituts für neue Musik und Musikerziehung heren Klavierstücken zeigt, welch qualitativen Sprung Eisler Darmstadt 10), S. 9–22, hier S. 20. unter Schönbergs Anleitung gemacht hat.2 In diesem Gesel- 5 Der Versuch, in dem Werk eine Verschränkung von Variationenform, lenstück, das formal dem traditionellen Typus der dreisätzigen Sonatenhauptsatzform und mehrsätziger Sonate zu sehen, den Thomas Ahrend in seiner Dissertation von 2004 unternimmt (Aspekte der Instru mentalmusik Hanns Eislers. Zu Form und Verfahren in den Variationen, Berlin: Mensch & Buch Verlag 2006 [= Musikwissenschaft an der Tech nischen Universität Berlin 7], S. 70–76), ist eine analytische tour de force mit teilweise unhaltbaren Zuschreibungen. Am ehesten lässt sich der 1 Vgl. dazu die im Folgenden angeführten Zeugnisse von Eduard Steuer- sonatenhafte Charakter wohl am Prinzip der entwickelnden Varia- mann (S. XVII) und Walter Olbertz (S. XVIII). tion festmachen, von dem das Werk durchdrungen ist. Oft legt Eisler 2 Christian Martin Schmidt meint dagegen: „Von allem Anfang ist die einer Variation ein Element zugrunde, das er in der vorhergehenden kompositorische Kompetenz weit entwickelt“, wobei er als Exempel entwickelt hat (so knüpft die 4. Variation unmittelbar an den Schluss dafür nicht die frühen Klavierstücke, sondern die vor der Lehrzeit bei der 3. Variation an, die 6. Variation an den der 5. Variation usw.), so Schönberg entstandenen Lieder anführt („‚Sonate, que me veux-tu?‘ Zu dass sich ein Kontinuum ergibt, dessen Gliederung in einzelne Num- Hanns Eislers Klaviersonaten und deren Vortrag“, in: Hartmut Krones mern zumal gegen Schluss des Werks hin arbiträr erscheint. Insofern [Hrsg.], Hanns Eisler. Ein Komponist ohne Heimat?, Wien: Böhlau die einzelnen Variationen eher aufeinander bezogen sind, als dass sie Verlag 2012 [= Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg 6], bestimmte Aspekte des Themas entfalten, ist es nachvollziehbar, dass S. 21–34, hier S. 25). Eisler diesen Variationenzyklus als Sonate bezeichnet hat. XI der Suite für Klavier op. 25 einen Schritt in diese Richtung tenthema des ersten Satzes) Chansonhaftes einschließen.7 Von machte), und auch die Jazz-Mode der 1920er Jahre findet in einer eklek tischen Mixtur kann dabei allerdings nicht die Rede der synkopenreichen Komposition ihren Reflex. sein, denn die verschiedenen Ebenen werden so verknüpft, Sowohl die Variationen als auch die Dritte Sonate entstanden dass sie durch die Konfrontation ihre jeweiligen Grenzen im US-amerikanischen Exil, als Eisler genügend Muße hatte, überschreiten und sich zu einem Ganzen zusammenschließen, um sich mit einem weder politisch nützlichen noch kommer- dessen Wahrheit – der von Theodor W. Adorno im Zusam- ziell ergiebigen Genre wie der Klaviermusik zu befassen. Mit menhang mit Schönberg gerne benutzte Begriff mag hier am der Reminiszenz an das Quintett aus der Zauberflöte, in dem Platze sein – gerade in seiner Widersprüchlichkeit liegt. Sym- Papageno durch ein Schloss vor dem Mund am Sprechen ge- p tomatisch für Eislers freies Komponieren in diesem Werk ist hindert wird, spielt das Thema derVariationen auf die Situa- auch die Art und Weise, in der er die Zwölftontechnik ein- tion des Exilierten an, und auch der Trauermarsch im 1. Finale, bezieht: er nutzt sie, um den B-Teil im letzten Satz eingrei- der dem Andenken der auf der Flucht in Moskau verstorbenen fend zu variieren, und schafft damit –con alcune licenze – eine Freundin Margarete Steffin gilt, ist ein Dokument des Leidens Zwölfton-Insel. Aufs Ganze des Werks gesehen, in dem tonale im Exil. In den Variationen griff Eisler auf die Zwölftontechnik Elemente erscheinen, ohne dass Tonalität als System restituiert zurück, von der er sich im Zuge seiner Distanzierung von der wird, ist es nur konsequent, dass auch die Zwölftontechnik ,modernen Musik‘ abgewendet hatte und die nun angesichts nicht systematisch gehandhabt wird. Es ist hier wie dort der der Ächtung durch die Nazis in neuem Licht erschien.6 Bemer- Komponist mit seinem untrüglichen Sinn für harmonische kenswert ist, dass in diesem Werk die Zwölftontechnik mit weit und melodische Logik, der die Entscheidungen trifft.8 größerer Strenge angewendet wird als in der Zweiten Sonate. Es scheint, als nutze Eisler hier die Zwölftontechnik als Rationa- lisierungsmethode im Sinne einer écriture automatique; auch Entstehung und Rezeption die vorherrschende A-B-A-Form in den einzelnen Variationen weist auf ein hohes Kompositionstempo hin. Dennoch sind die Sonate für Klavier op. 1 Variationen keineswegs als akademisch routinierte Dutzend- ware einzustufen; in der Prägnanz, mit der eine Vielzahl von Laut dem (was die Jahreszahl betrifft, freilich irrtümlichen) Charakteren musikalisch gestaltet sind, zeigt sich Eislers Meis- Datumsvermerk auf dem Autograph schrieb Eisler den I. Satz terschaft samt der Erfahrung, die er sich in der Zwischenzeit in in nur fünf Tagen, nämlich vom 5.–9. März 1923 (nicht angewandter Musik erworben hatte. 1922). Bereits am 29. März trug Eisler in einer kleinen Runde Zum ersten Mal seit seinem Opus 1 schrieb Eisler 1943 wieder bei Schönberg in Mödling die Sonate vor, allerdings ohne dass eine dreisätzige Klaviersonate. Diese Dritte Sonate ist zugleich der letzte Satz fertiggestellt war. Das bezeugt ein Brief