Zum Gedenken an einen Antifaschisten, Gewerkschafter, Arbeiterfunktionär, Genossen und Kollegen, an seinen aufrechten und konsequenten Gang als Vorbild und als Mensch der deutschen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. 100. Geburtstag Willi Bleicher geboren am 27. Oktober 1907

„...lebe wenn Du leben musst, kämpfe wenn Du kämpfen musst, leide wenn Du leiden musst, sterbe wenn Du sterben musst, aber sei was Du sein musst, ein Mensch....“ Willi Bleicher, bei den Feierlichkeiten anlässlich seines 75. Geburtstages 1982

Widmung von Eugen Loderer im Buch „Wir brauchen kein Denkmal“ von H.G. Abmayr Wer Willi Bleicher verstehen will muss diesen Roman von gelesen haben.

Denkmal KZ Buchenwald Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen, runde Ereignistage sind immer besondere Erinnerungs- tage. Mit dem 100. Geburtstag von Willi Bleicher wurde mir klar, dass mit diesem Erinnerungstag, zeithistorische Ereignisse um Willi Bleicher und auch um ihn selbst, dem Mensch, Arbeiterfunktionär, Gewerkschafter, Antifaschist, Genosse und Kollege eine bedeutsame Rolle spielen wird. Nein, nicht Nostalgie. Nicht erinnern an das Vergangene. Sondern lernen aus dem Vergan- genen für die Gegenwart und damit auch für die Zukunft. Willi Bleicher kann für die Nachgeborenen wichtige Erkenntnisse liefern und damit auch für die Gegenwart wichtige Handlungsimpulse geben. Wer sich nimmt seine Reden und Beispiele die er auf Kundgebungen und Versammlungen ausführte, nachzulesen, diese auf die Gegenwart zu interpretieren, wird geschichtliche Erkenntnisse entdecken. Sein historisches Bewusstsein ist geschärft durch seine Erlebnisse in den faschistischen Gefängnissen und im Konzentrationslager Buchen- wald. Gerade die Gegenwart beweist, dass diese kapitalistische Gesellschaftsordnung alles andere ist als eine humane Gesellschaft. An der Macht sind die Banken und die Multis. In ihrem Sinne wird Politik gemacht. Ihre Ziele haben politische Priorität. Wir leben in einer Klassengesellschaft. In der die uneingeschränkten Besitzverhältnisse an den Produktions- mittel die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht. Willi Bleicher ist einen Lebensweg gegangen, sein politisches Bewusstsein und sein Handeln war geprägt von der Erkenntnis der Überwindung dieser Klassengegensätze. „Tradition heißt nicht Asche aufbewahren, sondern die Glut am Leben halten“ so Bleicher. In der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung heute noch sind daher die Traditionalisten die wahren Erneuerer oder Modernisierer.

Heidenheim, den 08. November 2007

Zusammengestellt von Ulrich Huber Fuchssteige 21, 89518 Heidenheim

2 Willi Bleicher 27. Oktober 1907 23. Juni 1981

Das Wissen um den 100. Konzentrationslagern. Sie auch, „der Kardinalfehler be- Geburtstag von Willi Blei- standen zu Bleicher. gann damals, als die Ameri- cher, dem schwäbischen Ge- Nach der Befreiung kaner die Vergesellschaftung werkschafter, weckt bei der Produktionsmittel absolut Deutschlands vom Faschis- 3 vielen Metallern Erinnerun- mus stand Willi Bleicher als verhinderten“. gen aus den 60iger und konsequenter Arbeiterver- Willi Bleicher seit 1926 im 70iger Jahren. treter und Antifa- Jeder, der ihn aber bei Ar- schist für einen Zu- beitskämpfen und in Tarif- kunft in der die kommissionen, in Kongres- Ausbeutung des sen und Versammlungen der Menschen durch IG Metall erlebt hat, wird mir den Menschen der bescheinigen: Willi Bleicher Vergangenheit an- war ein Gewerkschafter, ein gehören sollte. Arbeitervertreter, dessen Willi Bleicher Persönlichkeit geprägt stand für den So- wurde, von der brutalsten zialismus. „Nur mit Willi Bleicher 1963 in Heidenheim deutschen Epoche, dem diesem System Neben Bleicher: rechts August Seidel DGB-HDH deutschen Faschismus. In vermag man aus seinen Gesprächen und Re- dem Schutt (…) aus den Kommunistischen Jugend- den verspürte man diesen zerbombten Städten und verband (KJVD) und der Lebensabschnitt. dem moralischen und ideo- Kommunistischen Partei Nicht nur für mich, für viele logischen Zusammenbruch Deutschlands (KPD) wurde 1929 aus der KPD wegen Differenzen über die Revolu- „Sie vergaßen, dass der Faschismus nichts an- tionäre Gewerkschafts- deres ist, als auch eine Regierungsform, eine Opposition ausgeschlossen. Regierungsform, zu der man greift, nachdem Er trat daraufhin in die Kom- eine andere Regierungsform, nämlich die Demo- munistische Partei Opposi- kratie, nicht mehr den Profit sicherstellen kann, tion (KPO) ein. Von 1929 bis nachdem mit den bisherigen Herrschaftsmetho- zu seiner Verhaftung 1936 den der Demokratie, nicht mehr zu regieren ist. durch die war Blei- Dann greift man zum Faschismus als ein Herr- cher aktiv im Widerstand ge- gen den Faschismus tätig. schaftsinstrument des Kapitalismus.“ Bleicher versteckte sich 1933 in der Schweiz und in 1) 4) jung Kolleginnen und Kolle- herauszukommen.“ Er Frankreich. Nach gen war Bleicher eine große stand für die Demokratisie- zurückgekehrt lehnte die ille- historische Persönlichkeit. rung der Wirtschaft für einen gale KPO-Leitung die Zu- Für die älteren Kolleginnen gesellschaftlichen Neube- sammenarbeit ab. Er schließt und Kollegen war er die Hoff- ginn. „Nicht für den Aufbau sich 1934 der KPD- nung nach den Entbehrun- auf den alten Fundamen- dominierten Widerstands- ten.“2) Willi Bleicher erkannt gen des Krieges nach den (Fortsetzung auf Seite 4)

3 (Fortsetzung von Seite 3) als Mitglied in der Tarifkom- gruppe „Neckarland“ in Un- mission, als Delegierter zu tertürkheim an5). Am 03. Ja- verschiedenen Konferenzen nuar 1936 wurde Bleicher für gewerkschaftliche Ver- von den Nazis verhaftet. und trauensleute, Bezirkskonfe- kam in das Untersuchungs- renzen und auf einigen örtli- gefängnis in . chen Begegnung in Heiden- Im November 1937 wurde er heim. Seine Reden auf Kundgebungen begei- sterten mich. Seine einfache Rhetorik, Thälmann-Gedenkstätte im seine Beispiele und Konzentrationslager Buchenwald Vergleiche waren poli- tisch zugespitzt. Er Willi Bleicher wurde im KZ formulierte die politi- geschunden und geschla- sche und gesellschaft- gen. Er war im Lager in den liche Situation tref- illegalen Widerstand mit an- fend. Willi Bleicher deren Häftlingen eingebun- konnte begeistern. Im Gespräch wirkte „...Vergessen wir niemals die Häftlinge im Konzentrationslager er nachdenklich, Erkenntnis, dass, wer für den wegen Vorbereitung zum immer bewusst, oft über- Frieden ist, gegen den Krieg Hochverrat zu zwei Jahre raschend in seiner per- kämpfen muss“ Bleicher im Vorwort zum Geschäftsbe- und sechs Monate verurteilt sönlichen Art. Er nahm richt der Bezirksleitung März 1966 und nach verlegt. Im Au- kein Blatt vor den Mund. gust 1938 kommt Bleicher in Er sagte auch öffentlich den den. Er beteiligte sich an der das KZ Welzheim in Funktionären unverblümt Rettung des dreijährigen Kin- „Schutzhaft“ und wird im Ok- seine Meinung. Willi Blei- des , ge- tober 1938 in das Konzentra- cher war bei hauptamtlichen nannt Juschu. Bleicher ver- tionslager (KZ) Buchenwald Gewerkschaftsfunktionären, hinderte den Weitertransport des Kindes. Er war Mitorga- nisator einer Gedenkfeier zu Ehren des ermordeten KPD- Chefs Ernst Thälmann die verraten wurde. Deshalb wird er innerhalb des KZs in ver- schärfte Haft genommen. „Ich habe geschwiegen“ so Bleicher „Und der Juschu, das habe ich später erfahren, wurde von anderen Häftlin- gen aus der Effektenkammer weggeholt und in den Quarantäne-Blocks ver- steckt.“6) Im Dezember 1944 wird er der Staatspolizei in Antifaschistische Demo in Stuttgart 1988 unterstellt und eingeliefert. wenn es um ihre gewerk- kommt ins Zuchthaus Ich- 7) Willi Bleicher lernte ich erst schaftliche Arbeit ging nie tershausen in Thüringen. kennen während meiner akti- zimperlich. Diesen Mut be- Seit dem 13.03.1945 wurde ven ehrenamtlichen Arbeit wunderte ich damals. Bleicher vom Gestapo- (Fortsetzung auf Seite 5)

4 (Fortsetzung von Seite 4) Sekretär der IG Metall der politischen Haltung der Gefängnis Ichtershausen mit Baden-Württemberg und KPD zur Gewerkschaftspoli- weiteren 200 Häftlingen auf wird 1948 in den Vorstand tik. Antikommunismus und einen Todesmarsch ge- schickt. Der Todeszug lö- Wir sind in einer Klassengesellschaft, das muss ste sich wegen Tiefflie- man deutlich sagen und deutlich machen. Das müs- gerangegriffen auf. Mit sen auch die Gewerkschaften deutlicher machen anderen Häftlingen als das bisher der Fall gewesen ist. Das ist meine kreuzte Bleicher durch das Erzgebirge bis sie in Feste Überzeugung. Man muss den Kollegen die Eger von den Amerika- Wahrheit sagen, aber was ist Wahrheit. Wahrheit nern aufgegriffen und be- ist die Härte dieses Kampfes. freit werden. Bleicher kam, die Häftlinge von Bu- der IG Metall gewählt. der „Kalte Krieg“ war gesell- chenwald hatten sich am Willi Bleichers Rückkehr zu schaftliche vorherrschend 15.04.1945 selbst befreit, seiner Metallgewerkschaft und führte vielmals zu per- nach Buchenwald zurück, er verlief nicht einfach. Es war sönlichen Meinungsver- kein Selbstläufer. schiedenheiten und Streit. Seine aktive Mitar- Als gewähltes geschäftsfüh- beit am Aufbau der rendes Vorstandsmitglied Gewerkschaft war wurde er gemeinsam mit den gerne gesehen, KPD Genossen Fritz Salm seine KPD Mit- und Karl Küll auf dem Ham- gliedschaft weniger. burger Gewerkschaftstag Die persönlichen Er- 1950 nach einer organisier- ten Delegiertenabsprache niedrigungen, die 10) körperlichen Tortu- abgewählt. Eugen Loderer, ren der Faschisten damals Bevollmächtigter der während seiner In- IG Metall Heidenheim, später haftierung formten langjähriger Vorsitzende der sein Verhalten und Gewerkschaft, hält den damit auch die Anfor- Rausschmiss von Willi Blei- derungen an seine cher und seinen beiden Kol- Juschu mit KZ Häftlingen nach der legen nach wie vor „für eine Funktionäre. Zuver- 11) Befreiung des KZ Buchenwalds lässigkeit und auch miese Sache.“ Härte gegen sich selbst wa- Willi Bleicher arbeitete da- bekam dort seine Entlas- ren Merkmale die er zu nach als einfacher Angestell- sungspapier und fährt auf übertragen suchte. ter des Vorstandes. Im Jahre Kohlenzügen zurück nach 1951, inzwischen Bevoll- Stuttgart Untertürkheim.8) Willi Bleicher stand auch Im Sommer 1945, tritt „...an Stelle von Entflechtung und Vergesellschaf- Bleicher erneut in die KPD ein und organisierte sich tung, traten die Multis. An Stelle der Bewältigung im „Arbeitsausschuss“ ei- unserer faschistischen Vergangenheit war nicht nem kommunalen Selbst- die Rede und die Mörder leben noch unter uns. verwaltungsorgan in Un- Restauration ist abgeschlossen, wir leben in der tertürkheim. Er kandi- Phase der Reaktion...“ dierte 1946 bei den Ge- meinderatswahlen für die 9) der damaligen KPD Führung mächtigter der IG Metall KPD. Bleicher wird 1946 Göppingen, trat er aus der hauptamtlicher Funktionär nicht unkritisch gegenüber. Gründe hierfür lagen wohl in der IG Metall Stuttgart. 1947 (Fortsetzung auf Seite 6)

5 (Fortsetzung von Seite 5) eigenen Leib verspürt, dass ler (SPD), Bleicher passte KPD aus. Er beteiligte sich nur der Zusammenhalt, das die Abhängigkeit von der neben seiner hauptamtlichen gemeinsam formulierte Ziel, SPD nicht und stand deswe- Arbeit im Kampf gegen die die Solidarität untereinander gen auch mit dem damaligen Ersten Vorsitzenden der IG Metall Otto Brenner im- mer wieder im Wider- spruch. Bleicher kritisierte wiederholt die Art von staatlicher Einmischung12) die durch die „Konzer- tierte-Aktion“ ständig ver- sucht wurde. Was die 68er Jahre ge- Protest der Metaller April 1963 auf dem Olgaplatz sellschaftspolitisch mit -am Rednerpult IGM Befollmächtigte Karl Kircher- den Studentenunruhen so interessant machte so in- Wiederbewaffnung und Wie- und das gemeinsame Han- teressant waren die 69er deraufrüstung der Bundesre- deln der Arbeiterschaft un- Jahre im Kampf um bessere publik und unterstützte die erlässlich ist, um den streng Einkommensbedingungen Kampagne gegen die Not- organisierten Unternehmer- für Arbeiter und Angestellte. standsgesetze. 1953 Eintritt verbänden und ihren Vertre- Der IG Metall-Vorstand ver- in die SPD. 1958 Wahl zum tern, etwas abzuringen. gatterte die Tarifbezirke bei Bezirksleiter der IG Metall einer Forderung von zwölf Baden-Württemberg. Prozent zu einem Abschluss Wenn er in Konferenzen von acht Prozent. Bleicher oder Kundgebungen redete, und die große Mehrheit der hingen im die Kolleginnen Tarifkommission in Baden und Kollegen buchstäblich Württemberg lehnten den an den Lippen. Er verstand Kompromiss als unzurei- es Parallelen und Unter- chend ab.13) Die Stahlarbei- schiede herauszuarbeiten. ter kritisierten die Gewerk- Er sah seine Vergangenheit schaftsführung wegen ihrer nie isoliert und stellte Ver- „Stillhaltepolitik“ gegenüber bindungen zur Gegenwart der damaligen Großen Koali- her. So interessant Bleicher tion. Die Gewerkschaftsfüh- für seine Zuhörer war, so rung hatte alle Mühe, die kritisch standen ihm viele „wilden“ Septemberstreiks seiner hauptamtlichen Mit- von 1969 einigermaßen ge- arbeiterInnen wegen seines werkschaftlich zu begleiten. Führungsstiels gegenüber. Nicht die Gewerkschaften Seine Härte gegenüber den waren es damals sondern Mitfunktionären lässt sich die Beschäftigten und ihre bestimmt auf der Vergan- „Brecht die Macht der Monopole“ Betriebsräte selbst die da- genheit und die Erfahrungen Das Transparent der Heidenheimer mals auch in Baden- aus den faschistischen Ge- Metaller 1971 Stuttgart Württemberg bis zu 50 Pfen- fängnissen begründen. Willi nigen pro Stunde an Lohner- Bleicher war bekannt für Mitte der 60iger Jahre, es höhungen durchsetzten. Für seine oftmals grobschläch- war die Zeit der Baden-Württemberg und tige Ausdrucksweise. „Konzertierten Aktion“ des Willi Bleicher kam damals Wirtschaftsministers Schil- Er wusste und hat es am (Fortsetzung auf Seite 7)

6 (Fortsetzung von Seite 6) 11-prozentige Lohn- und Tarifverhandlungen. In einer die Einführung der analyti- Gehaltsforderung“.14) Diese ersten Schlichtung wurde der schen und summarischen Ar- Erklärung war beitsplatzbewertung entge- gleichzeitig eine gen. So konnten damals in Kampfansage an den mageren Monaten der die Unternehmer. Jahre 1968 und 1969 in zahl- Es musste 1971 reichen Betrieben durch Hö- mit einem harten hergruppierungen teilweise Arbeitskampf ge- bis zu zwölf Prozent Lohner- rechnet werden. höhungen erreicht werden. Willi Bleicher, der Zu Beginn des Arbeits- ehemalige KZ- kampfes der IG Metall 1971 Häftling an der erklärte Willi Bleicher: “Wir Spitze der Baden- Metaller der VOITH Getriebe KG orientieren uns an dem, was Württembergi- Sie streikten noch vor der Aussperrung wir täglich in den Betrieben schen Tarifbewe- gung über den Vorschlag des Schlichters, Vertreter der Un- des früheren Wirtschaftsmi- ternehmerver- nisters von Baden- bände Hanns Mar- Württemberg Veit, von 7,5 tin Schleyer, er Prozent bei einer Laufzeit war Mitglied der von sieben Monaten von den Hitlerjugend, der Unternehmern abgelehnt. Es SS und der geht nicht nur um den Pfen- NSDAP ein über- nig so Bleicher - es geht zeugter Nazi: „Ich Habe den Protestversammlung 1971 im Konzerthaus Schleyer betrach- tet als einen der bezüglich Arbeitstempo, In- konsequentesten, der rigo- vestitionsbereitschaft, Auf- rosesten Unternehmerver- tragslage mit eigenen Augen treter. Ein Mann der die Un- und Ohren hören und sehen. ternehmer auf einen Nen- Wir orientieren uns bei unse- ner zu bringen vermochte ren Kolleginnen und Kolle- und der die Interessen des gen (…). Wir registrieren Unternehmertums wie kein auch, was sich an den Bör- anderer zu vertreten ver- sen abspielt (…) Die nationa- mochte.“15) Aber Bleicher len und internationalen Bör- wusste auch, dass auch die senspekulanten, die in Stun- Solidarität der Metaller an- den mit Milliardenbeträgen gesichts der damaligen (…) Millionen und Aber- ökonomischen Lage gut Protestzug von Metaller war. Das Angebot der Me- zum Olgaplatz „Der Pfennig kann zum König tallindustrie von 4,5 Prozent werden - 10 Pfennig wurde als völlig unzurei- auch um die Ehre des arbei- erkämpft sind mehr als chend von der Großen Tarif- tenden Menschen. Die Tarif- 11 Pfennig verhandelt.“ kommission am 17.10.1971 kommission beschloss dar- Millionen-Gewinne kassieren zurückgewiesen Die Dele- aufhin den Streikbeginn auf (…). Was wir von Ihnen gierten aus den Betrieben Montag, den 22.11.1971 heute erwarten ist ein kon- und Verwaltungsstellen be- festzusetzen. Den von der IG kretes Angebot auf unsere schlossen das Scheitern der Metall durchgeführten (Fortsetzung auf Seite 8)

7 (Fortsetzung von Seite 7) Kampfes den die Arbeitge- auch, die auf 08.12.1971 an- Schwerpunktstreiks, setzen ber wählten, lässt jedes Maß gesetzte Großkundgebung in die Unternehmer die totale an sozialer Verantwortung Stuttgart vorzubereiten. Für vermissen. Was die Arbeiter der Heidenhei- wir erlebten war mer VOITH - Werke stand ein Rückfall in die das Konzerthaus zur Verfü- Barbarei, in die gung. Neben der täglichen Jahre der Grün- Erfassung der ausgesperrten derzeit.“19) Eine Beschäftigten benutzten sie besondere die großen Flächen der Säle Schlichtung wird zur Vorbereitung der Groß- vereinbart. demonstration und pinselten In Heidenheim er- Plakate und Transparent. Es war Stimmung und Protest VOITHianer im Streiklokal 1971 lebte ich diesen Tarifkampf. Noch gegen die von denUnterneh- Aussperrung entgegen. „Der bevor der Aussper- mern unerträgliche Haltung Arbeitskampf, so Schleyer, rungsbeschluss auf die ist eine harte Sache; er ist Heidenheimer Betriebe umso humaner je kürzer er 16) wirkte, waren die Be- ist.“ Die Strategie von schäftigten der VOITH Schleyer und Gesamtmetall Getriebe KG nicht zu „Tariffragen sind halten. Rund 900 Be- Machtfragen - es kommt nicht schäftigte kamen der darauf an, was wir wollen, Aussperrung zuvor. sondern was wir Sie erklärten sich mit durchzusetzen in der Lage sind.“ den bereits in Stutt- gart, Esslingen, war, die Gewerkschaften fi- Mannheim und anderen nanziell auszuhungern. Über Urabstimmung mit dem Aufruf Orten im Tarifgebiet IG Metaller stimmen mit „Nein“ 360 000 Metallarbeiter setz- streikenden Kolleginnen ten die Unternehmer auf die und Kollegen solidarisch. in dieser Tarifrunde. „Wir ha- Straße. Bleicher setzte ge- Sie waren sauer, weil sie ben das Warten satt“ auf die gen diese totale Aussper- nicht in der ersten Streik- Forderung von 11 Prozent rung seine Strategie entge- welle ab 22.11.1971 berück- muss ein akzeptables Ver- gen: „Legt alle Betriebe still sichtigt wurden. Die Stim- handlungsangebot kommen. und in einer Woche wäre der „Brecht die Macht der Mono- 17) mung für den Streik war gut. Spuk zu Ende.“ Dann hät- Eine auf Freitag den pole“ war eines der vielen ten wir das „Heft des Han- 03.12.1971 angesetzte Transparente aus Heiden- delns in der Hand.“18) Auch heim, die mit dem Sonderzug aus dem Brenztal nach Stutt- „Alles wird viel härter, viel,viel härter und dass gart dabei waren. Auf der Zeiten kommen werden, wo sie uns nicht nur die Großkundgebung vor über Butter vom Brot nehmen wollen, sondern auch 45.000 Metaller verurteilte ein Stück des Brotes das wir bisher hatten. Vor- Bleicher die Scharfmacher von Gesamtmetall. Doch am ausgesetzt, diese Arbeiterschaft verharrt in ih- Abend nach der Großkund- rem gegenwärtigen Zustand.“ gebung wurden die regiona- len Verhandlungen fortge- der damalige ÖTV- Funktionärsversammlungen setzt. Und auf der Rückfahrt Vorsitzende Klunker geißelte in Heidenheim war überwäl- ins Brenztal erfuhren wir, die Aussperrung der Unter- tigend besucht. Ziel war dass ein Schlichtungsvor- nehmer: “Die Form des (Fortsetzung auf Seite 9)

8 (Fortsetzung von Seite 8) Unternehmern sofort aufge- angenommen. Auf einer schlag des Schlichters Prof. hoben. Sie rechneten damit, Funktionärskonferenz auf Wannagat 7,5 Prozent und die Arbeiter würden nach 23 der auch Kritik gegen den 12 Monate Laufzeit zur An- Tagen Streik und Aussper- Abschluss laut wurde rehabi- nahme empfohlen werden rung haufenweise in die litierte Willi Bleicher die Kol- sollte. Als dann am 10 und Betriebe zurückkommen. leginnen und Kollegen die 11.12.1971 genaueres zum Sie hatten sich ver- Schlichtungsspruch bekannt rechnet. „Die Krise gehört zum Kapitalismus wurde, war die Enttäuschung Zur Vorbereitung wie die Nacht zum Tage“. der streikenden Arbeiter der Urabstimmung komplett. Die Laufzeit des fand in Heidenheim am das Ergebnis abgelehnt hat- Tarifvertrags wurde in dieser 11.12.1971 eine Funktio- ten mit dem Hinweis: dass Nacht von 12 auf 15 Monate närskonferenz statt. Dort alle diejenigen Kolleginnen erhöht. Bekannt wurde auch, entlud sich die Enttäu- und Kollegen die mit „Nein“ dass die Gewerkschafts- schung der Metaller. „Aus gestimmt haben, die tragen- spitze Bleicher gedrängt sieben Monate Laufzeit den Stützen dieser Tarifbe- hatte, an einem Gespräch mach fünfzehn, das sticht wegung waren. mich“ so ein Es war der letzte Arbeits- Delegierter. kampf an dem Willi Bleicher „Warum hat beteiligt war. Dieser Arbeits- man das jetzt kampf trug seine Handschrift. so schnell Willi Bleicher widmete nach- durchge- dem er 1972 in den Ruhe- peitscht, wo wir stand verabschiedet wurde doch am Drüc- 20) seine ganze Kraft und Ener- ker waren.“ gie für Vorträge insbeson- Aus der Mitte dere bei gewerkschaftlichen der Versamm- Jugendgruppen. lung wurde der Im Mai 1978 wird ihm in Ol- Funktionärskonferenz „Goldenes Rad“ 1971 Antrag verab- schiedet: „Die denburg die Carl-von- mit dem damaligen Kanzler- Funktionärsversammlung Ossietzky-Medaille verlie- Brandt in nachzukom- empfiehlt den Mitgliedern „Es gibt keine kleinen Leute - men. So fuhren die Spitzen der IG Metall, den Ab- es gibt nur Menschen, der IG Metall und des Arbeit- schluss abzulehnen. In den die andere klein machen.“ geberverbandes nach Bonn. Streiklokalen sind Plakate In diesem Gespräch sicherte und Transparente anzubrin- hen. Schleyer zu, auf der Basis gen, die die Empfehlung der Am Vorabend des 1. Mai des Wannagat-Vorschlag Funktionärsversammlung 1979 wird ihm die Bürgerme- von 7,5 Prozent weiter zu kundtun.“21) daille der Stadt Stuttgart ver- verhandeln, wenn der Die Mehrheit der Metaller in liehen. Und im gleichen Jahr Schiedsspruch im Sinne der Heidenheim sagen „Nein.“22) verlieh im die Vereinigung Unternehmer abgewandelt Knapp 60 Prozent waren es der Verfolgten des Naziregi- würde. Die Laufzeitverlänge- die der Empfehlung der mes - Bund der Antifaschi- rung war es, die den Kolle- Großen Tarifkommission sten die „Ehrenmedaille des ginnen und Kollegen sauer nicht folgten. Im Bezirk deutschen Widerstands“. aufgestoßen ist. Damit hat- Stuttgart wurde das Ergeb- Der Staat Israel verlieh ihm ten sie nicht gerechnet. Die nis jedoch mit 175.761 Stim- den Ehrentitel „Gerechter un- Aussperrung wurde von den men das sind 71,2 Prozent (Fortsetzung auf Seite 10)

„Du sollst dich nicht vor einem lebenden Menschen bücken“ Ein Film über Willi Bleicher der aufrüttelt, der für jeden Metaller ein historisches Zeitdokument ist

9 (Fortsetzung von Seite 9) ter den Völkern“ wohl wegen Literatur zu Willi Bleicher: der Rettung des Stefan Jerzy „Willi Bleicher“ Zweig im KZ Buchenwald. Ein Leben für die Gewerkschaften Benz,Georgi, Mahlein, Schmidt Willi Bleicher ist und wird in „Wir brachen kein Denkmal“ der Geschichte der Arbeiter- Willi Bleicher: Der Arbeiterführer und Gewerkschaftsbewe- und seine Erben Hermann G. Abmayr gung nicht vergessen blei- ben. „Tränen allein genügen nicht“ Zacharias u. Stefan Jerzy Zweig Er starb am 23. Juni 1981 „Nackt unter Wölfen Buchenwald-Roman Bruno Apitz

Quellen: 1] Zitat Bleicher, aus dem Film: „Du sollst dich nicht vor einem lebenden Menschen bücken“ 2] Zitat Bleicher, -siehe oben- 3] Zitat Bleicher, -siehe oben- 4] H.G. Abmayr, „Wirbrauchen kein Denkmal“ Zeittafel Seite 132 5] H.G. Abmayr, -siehe oben- Zeittafel 6] Benz, Georgi, Mahlein, Schmidt: „Willi Bleicher“ -Ein Leben für die Gewekschaften- Seite 120 7] H.G. Abmayr, „Wir brauchen kein Denkmal“ Zeittafel Seite 133 8] Benz, Georgi, Mahlein Schmidt: „Willi Bleicher“ -Ein Leben für die Gewerkschaften- Seite 203 9] H.G. Abmayr, „Wir brauchen kein Denkmal“ Zeittafel Seite 133 10] H.G. Abmayr, -siehe oben Seite 79 11] H.G. Abmayr, -siehe oben Seite 80 12] H.G. Abmayr -siehe oben Seite 124 13] H.G. Abmayr -siehe oben Seite 124 u. 125 14] Metall-Nachrichten, 25.10 1971 15] Benz, Georgi,Mahlein, Schmidt: „Willi Bleicher“ -Ein Leben für die Gewerkschaften- Seite 25 16] Metall-Nachrichten, 25.11.1971 17] Spiegel, 13.12.1971 Seite 29 18] Spiegel, -siehe oben- 19] Speigel, 13.12.1971 Seite 30 20] HNP, 13.12.1971 21] HNP -siehe oben 22] HNP, 15.12.1971

Fotos: zu den Arbeitskämpfen HZ u. HNP, Metall-Nachrichten, VVN-BdA Zitate in den Kästen: Aus den oben erwähnten Quellen und Broschüre des IGM Bezirks Baden- Württemberg

Spende! Wir brauchen Ihre finanzielle Unterstützung BLICKPUNKT, TURBINE, Handzettel und andere Publikationen kosten Geld Auch kleine Spendenbeiträge sind willkommen DKP Heidenheim Spendenkonto 413903 BLZ 632 500 03 Kreissparkasse Heidenheim Vielen Dank!

10 Mitteilungsblatt der DKP für VOITH-Beschäftigte

Um unsere Meinung und um unsere Politik in Heidenheim bekannt zu machen, organisieren wir Infostände im Zentrum unserer Stadt. Mit unserer Betriebszeitung TURBINE bei VOITH und der Stadtzeitung BLICKPUNKT in die Briefkästen verschiedener Wohngebieten, halten wir Kontakt zur Bevölkerung. Diese Arbeit wird von unseren Mitgliedern selbst organisiert und auch finanziert. Das sind unsere einzigsten Sponsoren. Finanzieren Sie mit. Eine Spende hilft.

11 Die Stadträte der DKP sind Mitglied im Linken Forum

Selbstverständnis des Forums Linke Kommunalpolitik in Baden-Württemberg e.V.

Das Forum Linke Kommunalpolitik in Baden-Württemberg e.V. ist ein parteiunabhängiger kommunalpoliti- scher Bildungsverein. Das Forum Linke Kommunalpolitik in Baden-Württemberg e.V. stellt sich zur Aufgabe, Einwohnerinnen und Einwohner zur demokratischen Mitwirkung an der kommunalen Selbstverwaltung zu motivieren. Unser Ziel ist es, durch ein breitgefächertes Bildungsprogramm interessierte Menschen zu ermuntern, sich an kommu- nalpolitischen Prozessen zu beteiligen, bei Wahlen auf kommunaler Ebene zu kandidieren oder sich in Bür- gerinitiativen zu engagieren. Kommunale Selbstverwaltung bedeutet demokratische Organisation wesentlicher Funktionen der Daseins- vorsorge, insbesondere die Schaffung von Arbeitsplätzen. Kommunale Selbstverwaltung braucht das ehren- amtliche Engagement der Menschen, die mit den örtlichen Verhältnissen vertraut sind, die bereit sind, sich einzumischen und die viel Zeit und Kraft aufwenden, um in ihrer Gemeinde, ihrer Stadt oder ihrem Land- kreis die Lebensbedingungen sozial zu entwickeln und solidarisch zu gestalten. (Auszug)

Unkostenbeitrag 2,- € für Druck u. Papier erwünscht

12