WILLI BLEICHER PREIS 2016

JOURNALISMUSPREIS

DER IG METALL

BADEN-WÜRTTEMBERG

BEITRÄGE DER PREISTRÄGERINNEN UND PREISTRÄGER

Willi-Bleicher-Preis 2016: Die Preis- träger/innen

Den Willi-Bleicher-Preis 2016 erhalten:

Kategorie Print/Online: Philipp Alvares de Souza Soares, Astrid Maier, manager magazin, für „Kapitalismus auf Koks“ Thema: Neue Geschäftsmodelle im Zuge von Digitalisierung und On-Demand-Economy ...... Seite 8-19 Kategorie Hörfunk: Caspar Dohmen, DLF, für „Im Gegenwind. Der weltweite Kampf um Lohn und bessere Arbeitsbedingungen“ Thema: Über Macht und Ohnmacht von Gewerkschaften ...... Seite 20-21 Kategorie Fernsehen – 2 Preisträger: Thomas Hoeth, SWR, für „Flüchtlinge – schaffen wir das wirklich?“ Thema: Integration von Flüchtlingen in Schwäbisch Gmünd ...... Seite 22-23 Dr. Christine Schönfeld, Anja Neubert, MDR, für „Betriebsräte“ Thema: Wie Betriebsräte bei der Arbeit behindert werden ...... Seite 24-25

3 Willi-Bleicher-Preis 2016: Die Jury

Prof. Dr. Frank Brettschneider Universität Hohenheim, Institut für Kommunikations- wissenschaft

Barbara Roth Redaktionsleiterin Abteilung Hintergrund, Redaktion Innenpolitik,

Foto © Foto Fürst-Fastré Bettina Deutschlandfunk

Wolfgang Schorlau

Foto © Foto Schiller Heike Schriftsteller

4 Vorwort

Gewerkschaften sind aus der Mitte der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken: Sie schließen zukunftsweisende Tarif- verträge, setzen wichtige Impulse in Politik und Gesellschaft und lösen be- triebliche Probleme rund um Geld, Zeit oder soziale Absicherung. Kurzum: Ge- werkschaften wie die IG Metall sorgen für eine gute Arbeit und ein gutes Le- ben der Beschäftigten. Doch was passiert dort, wo es keine Gewerkschaften gibt? Entweder, weil Geschäftsfelder neu entstehen oder Arbeitgeber die Organisation von Be- schäftigten unterbinden? Das passiert tagtäglich im Ausland und meist au- ßerhalb Europas – aber nicht nur. Auch in Deutschland werden Betriebsräte bei der Arbeit behindert. Der Willi-Bleicher-Preis  macht solche Beispiele öffentlich – zum Bei- spiel in Oschatz in Sachsen, in Bad Hersfeld in Hessen, aber auch im zentralamerikanischen El Salvador oder im asiatischen Pakistan.

5 Vorwort Zur fünften Ausschreibungsrun- uns ist es das sehr wohl: Der Bei- de hat die IG Metall Baden-Würt- trag macht deutlich, dass Ausbil- temberg den Preis erstmals nicht dung und Arbeit für ein auskömm- ausschließlich auf die Berichter- liches Leben, aber auch für die stattung aus Baden-Württemberg Würde von Menschen, unerläss- begrenzt, sondern auch Journa- lich sind. listinnen und Journalisten außer- halb der Landesgrenzen einbezo- Neben den vier ausgezeichneten gen. Eine gute Reportagen und Features (einmal Entscheidung! Print/Online, Globalisierung zweimal Fern- und Digitali- sehen, einmal sierung verän- Hörfunk) haben dern den Ar- uns zahlreiche beitsalltag und weitere lesens- die gesamte Ar- und sehenswer- beitswelt. Welt- te Beiträge er- weit entstehen reicht – allen neue, digitale Teilnehmerin- Geschäftsmo- nen und Teilneh- delle – zugleich mern danke ich flüchten Men- dafür herzlich. schen auf der Und stelle fest: Suche nach einer auskömmlichen Der Willi-Bleicher-Preis ist zu einer Arbeit und einem friedlichen Le- Institution in der deutschen Me- ben um den halben Globus. dienlandschaft geworden, der da- raus ebenso wenig wegzudenken Die  prämierten Beiträge be- ist wie Gewerkschaften aus der Ge- schreiben den weltweiten Kampf sellschaft! um Arbeitnehmerrechte, werfen einen Blick hinter die Kulissen von Der Preis soll Journalistinnen und Arbeits- und Lebensbedingungen, Journalisten ermuntern, sich mit beleuchten den Wandel von Ge- Themen aus der Arbeitswelt aus- schäftsmodellen und Tätigkeiten einanderzusetzen. Sein Namens- und setzen sich mit dem Alltag von geber, der  verstorbene ehe- Flüchtlingen in Deutschland aus- malige IG Metall-Bezirksleiter Willi einander. Letzteres mag im ersten Bleicher, stand für soziale Gerech- Moment wenig wie ein Thema aus tigkeit und Menschlichkeit – in sei- der Arbeitswelt erscheinen, für nem Sinne wurde der Preis 

6 Vorwort ins Leben gerufen. Die prämier- am Institut für Kommunikations- ten Beiträge der vergangenen fünf wissenschaft an der Universität Jahre wurden seinem Anspruch Hohenheim, Barbara Roth, Redak- mehr als gerecht – weil sie gezeigt tionsleiterin für Hintergrund/In- haben, wie sich Menschlichkeit nenpolitik beim Deutschlandfunk und Gerechtigkeit in der Arbeits- und dem Schriftsteller Wolfgang welt herstellen lassen oder dieje- Schorlau. nigen an den Pranger gestellt ha- ben, die eine gute Arbeit und ein gutes Leben für die Beschäftigten verhindern. Alle bisherigen Preis- träger stehen auf der Internetseite www.willi-bleicher-preis.de Roman Zitzelsberger, Geschichten, die die Arbeitswelt IG Metall-Bezirksleiter besser machen, brauchen wir auch Baden-Württemberg in Zukunft. Tagtäglich müssen Ge- werkschafter einmal erkämpfte Standards unseres Sozialstaats gegen vielfältige Angriffe verteidi- gen – die Meinung der Markt wer- de es schon richten, ist keinesfalls überholt. Veränderte Arbeitspro- zesse im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung erfordern zu- dem ein neues Miteinander von Gesetzen, Tarifverträgen und be- trieblicher Mitbestimmung. Uns erwarten also spannende Zeiten - und hoffentlich zahlreiche span- nende Geschichten über die Ar- beitswelt zum Willi-Bleicher-Preis .

Den diesjährigen Preisträgerin- nen und Preisträgern gratuliere ich zu ihrem Erfolg und danke der Jury für ihre Arbeit, namentlich Dr. Frank Brettschneider, Professor

7 Preisträger Kategorie Print/Online

Philipp Alvares de Souza Soares Astrid Maier

Jahrgang 1985 Jahrgang 1975 Studium der Politikwissenschaft und Ressortleiterin Innovation & Digitales Volkswirtschaftslehre in Marburg bei der WirtschaftsWoche. Sie be- (Lahn) und Den Haag. schäftigt sich als Journalistin seit über Danach Ausbildung zum Redakteur einem Jahrzehnt mit dem Erstarken der an der Deutschen Journalistenschule Tech-Ökonomie und deren Auswirkun- in München. gen auf Wirtschaft und Gesellschaft - mit vorigen Stationen beim manager Freier Autor u. a. für Frankfurter All- magazin und der Financial Times gemeine Zeitung, , Deutschland. und Spiegel Online. Sie hat Regionalwissenschaften China Seit 2014 Redakteur beim manager in Köln und Peking studiert und ein wis- magazin, ab 2015 mit Schwerpunkt senschaftliches Buch, „Die Todesstrafe auf Start-ups und Digitalisierung. in der VR China“, geschrieben. Im Herbst 2016 als „Arthur F. Burns Von 2015 bis 2016 verbrachte sie ein Fellow“ Gastreporter bei der Jahr als Stipendiatin in Stanford im Washington Post. John S. Knight Fellowship Program für internationale Journalisten. Im Herzen des Silicon Valleys erforschte sie, wie sich traditionelle Medienkonzerne umstellen müssen, um agiler und inno- vativer zu werden.

8 www.willi-bleicher-preis.de Philipp Alvares de Souza Soares / Astrid Maier «Kapitalismus auf Koks» manager magazin, Juli 2015

Begründung der Jury

Die Jury hat sich entschlossen, den Für die Jury steht außer Frage, dass Phi- Willi -Bleicher-Preis in der Kategorie lipp Alvares de Souza Soares und Astrid Print/Online an Philipp Alvares de Maier einen sehr wichtigen und preiswür- Souza Soares und an Astrid Maier zu digen Beitrag geschrieben haben. Her- vergeben. Ihr Beitrag „Kapitalismus vorragend recherchiert, mit zahlreichen, auf Koks“ erschien im Juli 2015 im ma- auch überraschenden Fakten – und mit nager magazin. vielen Beispielen aus der Perspektive der betroffenen Beschäftigten. Vor allem aber Dass die Digitalisierung unser Leben öffnet er den Blick für eine Seite, die in verändert, steht außer Frage. Häufig wer- der öffentlichen Wahrnehmung eine viel zu den die Vorteile für Verbraucherinnen und geringe Rolle spielt. Verbraucher gepriesen – man kann per Herzlichen Glückwunsch zum Willi- Mausklick einkaufen, geliefert wird schnell Bleicher-Preis 2016. nachhause. Auch viele Dienstleistungen, per App gesteuert, erleichtern das Leben – etwa Köchinnen und Köche auf Abruf, Einkaufs-Boten oder Taxidienste wie Uber. Das klingt gut. Und es schafft Arbeitsplät- ze für „digitale Ich-AGs“. Aber es gibt eine Kehrseite der On- Demand-Economy. Die Menschen, die ihr Fundament bilden, arbeiten oft ohne Sozi- alversicherung, ohne Feierabend und ohne Urlaubsanspruch. Und einem Uber-Fahrer bleiben nach Abzug seiner Kosten nur wenige Dollar pro Stunde. Risiken trägt er selbst. Den Gewinn macht der Fahrver- mittlungsservice. Philipp Alvares de Souza Soares und Astrid Maier ziehen das Fazit: „Es droht ein digitaler Feudalismus“.

9 Preisträger Kategorie Print/Online «Kapitalismus auf Koks» manager magazin, Juli 2015

DIGITALISIERUNG – In der On-De- lädt er den Einkauf in einen alten mand-Economy gibt es weder Opel Astra, den er zum Kunden ins Sozialversicherung noch Feier- fünf Kilometer entfernte Reinicken- abend. Es droht ein digitaler Feu- dorf steuert. dalismus. Insgesamt vergehen knapp 45 Mi- nuten, bis er seinem Smartphone, „Nur Deppen schleppen“ – mit sol- das jeden seiner Arbeitsschritte chen Plakaten wirbt gerade das protokolliert, einen erfolgreichen Start-up Shopwings in und Abschluss melden kann. Ungefähr München. Kunden der Rocket-In- 14 Euro verdient Valtser durch- ternet-Tochter können sich seit schnittlich für so einen Einkaufs- Ende vergangenen Jahres online auftrag, meist braucht er weniger als eine Stunde dafür. Shopwings Lebensmittel aus dem Supermarkt wälzt die Kosten für Sprit, Versi- bestellen. On-demand, versteht cherung und mobile Datenrate sich, innerhalb von nur zwei Stun- ebenso auf ihn ab wie das Risiko, den soll dann der Einkauf vor der sich beim Schleppen zu verletzen. Tür stehen. „Shopper“ sind Selbstständige. Es ist ein schwüler Dienstagnach- Valtser fi ndet das trotzdem einen mittag in Berlin-Wedding, als Ev- guten Deal. Er lebt eigentlich von geny Valtser (28) durch die Gän- Bafög und ist als Student kran- ge eines Lidl-Marktes eilt, das kenversichert. Für Shopwings, Smartphone, seine digitale Ein- das mittlerweile über 100 Rent- kaufsliste, stets griff bereit. Den ner, Ex-Arbeitslose und Studenten Shopwings-Claim kommentiert er wie ihn beschäftigt, rechnet sich mit einem schrägen Lächeln; er ist das Geschäft trotzdem noch nicht. der, der schleppt. Denn die Liefergebühr beträgt ma- Ein Sixpack Pepsi, Crunchips „Wes- ximal 6,90 Euro. tern Style“, Schokopudding - knapp „Wir wollen noch kosteneffi zien- 20 Produkte sind es diesmal. „Ein ter werden, ohne den Lohn zu sen- guter Auftrag“, sagt Valtser, schon ken“, sagt Co-Gründer Conrad Blo- nach 15 Minuten steht er mit sei- ser, ein ehemaliger Bain-Berater. nem Wagen an der Kasse. Draußen Seine Idee: Der Wert der Pfand-

10 Philipp Alvares de Souza Soares / Astrid Maier fl aschen, die Flatrates und Kunden den Cloud-Compu- Shoppern der- ting sind die zeit gern als Transaktions- Trinkgeld mit- kosten für Un- geben, könne ternehmen, die künftig mit ih- auch komple- rem Honorar Kapitalismus xe Aufgaben an auf Koks verrechnet wer- DIGITALISIERUNG In der On-Demand-Economy freie, statt ei- gibt es weder Sozialversicherung noch den. Feierabend. Es droht ein digitaler Feudalismus. gene Mitarbei- Pfandflaschen ter vergeben, in ein sammeln: den vergange- Machen das nen Jahren ra- nicht üblicher- pide gesunken. N

weise Men- A Wachstum und M E G D I R B

: . B B schen, die arm A Fortschritt ba- Juli 2015 manager magazin 83 und ohne Hoff - sieren seit je nung auf eine auf Effi zienz- gesicherte Existenz sind? Ja, und gewinnen, sie haben uns erst aus neuerdings auch ein Start-up, das der Abhängigkeit der Scholle und mit rund zwölf Millionen Euro zu später aus dem Elend der frühen den besser fi nanzierten gehört. Industrialisierung befreit. Nun Die Pfandfl asche ist geradezu sym- schreitet der Kapitalismus in die bolhaft für ein Geschäftsmodell, nächste Phase dieser Befreiung: das sich derzeit von Kalifornien Die neuen Fuß- und Kopfarbeiter aus mit aller Macht in die Welt aus- können jederzeit frei entscheiden, breitet: willkommen in der On-De- wann, wie und für wen sie arbeiten mand-Economy, in der jeder lousy wollen. Libertäre Valley-Ideologen Penny zählt. Die neue Wirtschafts- sind begeistert. form könnte das Verhältnis zwi- Die Betroff enen oft weniger. Denn schen Kapital und Arbeit nach- die Entwicklung hat längst auch haltig verändern. Zugunsten des qualifi ziertere Berufe wie Anwäl- Kapitals, versteht sich. te (Upcounsel), Programmierer Zunächst einmal klingen die Ge- (Topcoder), Consultants (Eden Mc- schäftsmodelle verlockend: Callum) oder Vertriebler (Univer- Die ausgeklügelten Apps von sal Avenue) erfasst. Die Plattform Shopwings, Uber und Co. bringen Upwork vermittelt bereits 9,3 Mil- gegen Provision Kunden und freie lionen Fachkräfte an rund 3,7 Mil- Dienstleister auf besonders effi zi- lionen Firmen in der ganzen Welt. ente und bequeme Weise zusam- In den USA wachse die Zahl der men. Dank Smartphones, Internet- Selbstständigen, die einst gut do-

11 Preisträger Kategorie Print/Online tierte und bewerten las- fest ange- sen: fünf Ster- stellte Jobs ne für Pünktlich- in Büros hat- keit, aber nur ten, beson- zwei für Quali- ders schnell, tät, leider kein sagt Richard Folgeauftrag für Greenwald, dich. Arbeitsmark- On-Demand-Be- texperte und schäftigte wie Dekan des Evgeny Valtser Brooklyn Col- müssen sich zu- leges. 53 Mil- meist selbst um LIEFERBOY Früher er ledigte die Haus frau den Einkauf, heute sind lionen Freibe- persön liche Shopper für sie unter wegs, manövriert per App Krankenversi- rufl er gibt es cherung oder in den USA Altersvorsorge 82 manager magazin Juli 2015 bereits, das kümmern, ei- sind 33 Pro- nen Urlaubsan- zent der ar- spruch haben sie nicht. Ihr Lohn beitenden Bevölkerung. Hält der wird zum Vorteil der Start-ups (Pro- Trend in diesem Tempo an, rollt auf visionen) und Kunden (niedrigere die Wirtschaft die vielleicht größ- Preise) dezimiert. te Umwälzung seit der industriel- Was sich früher nur eine Elite leis- len Revolution zu. Arbeit wird völ- ten konnte, soll dank weltumspan- lig neu organisiert, Unternehmen nender Plattformen so günstig werden von Menschen entkernt: werden, dass es auch für die Mit- die Digitalisierung als Neutronen- telschicht bezahlbar wird. bombe. In Amerika können bes- Die Regeln des serverdienende Städter Sozialpaktes wer- bereits auf ein ganzes den stillschwei- Heer von Honorarfah- gend neu defi niert. rern (Uber und Lyft), Mit Apps ausge- -boten (Postmates), stattet, werden die -butlern (Alfred) und Arbeitnehmer in -köchen (Spoonrocket) digitale Leistungs- zugreifen, das sie via bienen verwandelt, Smartphone fernsteu- deren Arbeitsschrit- ern. Das Kundenbedürf- te sich live überwa- nis wird zur Maxime chen und für alle und per Wisch befrie- öff entlich sichtbar digt.

12 Philipp Alvares de Souza Soares / Astrid Maier Die Investoren mer Uber die sind begeis- eigene Provisi- tert: 4,12 Mil- on erhöht, de- liarden US-Dol- monstrieren lar pumpten frustrierte Fah- amerikanische rer vor der Zen- Wagniskapital- trale in San geber im Jahr Francisco. Im In- 2014 in heimi- DOWNLOAD ternet bezeich- sche Start-ups nen sie Kalanick aus der On-De- als modernen mand-Welt - ein Sklaventreiber Plus von 514 und rechnen

PUTZTEUFEL In den USA bestellt sich Prozent im Ver- die Mittelschicht vor, was ihnen ganze Dienstleister- armeen per Smart - phone nach Hause. Die Geräte bringen diese selbst mit. nach Abzug al- gleich zum Vor- FOTO [M]: GLOW IMAGES jahr (siehe Gra- ler Kosten wirk- fi k). Kaum ein lich bleibt – ein anderes Ge- paar Dollar pro schäft befeu- Stunde. ert derzeit so sehr die Fantasie der Als ein Reporter des „New York Profi geldgeber. Magazine“ den Putzdienst Home- Der neue Superheld dieser Bewe- joy in San Francisco ausprobierte, gung heißt Travis Kalanick, der musste er feststellen, dass seine Chef von Uber. Der Fahrvermitt- neue Reinigungskraft aus der Vor- lungsservice ist mit bald 50 Mil- stadt Oakland obdachlos war. Sein liarden US-Dollar Firmenwert auf Bericht löste landesweit Kontro- dem Papier zum wertvollsten Start- versen aus. Die On-Demand-Wirt- up der Welt avanciert - und damit schaft sei „im Besitz der oberen 1 zum Vorbild für die nächste Grün- Prozent des Silicon Valleys“, hielt dergeneration. Schnell, aggres- Jeremiah Owyang, Analyst und Vor- siv und gnadenlos effi zient beim denker der On-Demand-Bewegung, Ausnutzen jedes noch so winzi- seinem Publikum neulich bei ei- gen juristischen und fi nanziellen nem Kongress vor. Schlupfl ochs, so gelang es Uber, in Steuern wir also mit jedem Soft- Rekordzeit in über 58 Länder welt- ware-update unseres iPhones weit zu expandieren. Zwei Milliar- auf einen digitalen Feudalismus den US-Dollar soll der Chauff eur- zu? Von Optimisten gern als Sha- dienst bereits im laufenden Jahr ring-Economy schöngeredet? erlösen. Der Internetkritiker Andrew Doch dieser Erfolg hat auch eine Keen warnt jedenfalls, die On- sehr hässliche Seite. Wann im- Demand-Wirtschaft sei das

13 Preisträger Kategorie Print/Online „Betriebssys- sich für Unter- ON-DEMAND-ECONOMy TRENDS

ur Deppen schlep- schen, die Kunden den Shoppern Büros hatten, besonders schnell, tem eines neu- pen“ – mit solchen derzeit gern als Trinkgeld mitgeben, sagt Richard Greenwald, Arbeits- nehmen rech- Plakaten wirbt ge- könne künftig mit ihrem Honorar marktexperte und Dekan des Brook - rade das Start-up verrechnet werden. lyn Colleges. 53 Millionen Shopwings in Ber- Pfandflaschen einsammeln: Ma- Frei be rufler gibt es in den uSA be- en, zunehmend lin und München. chen das nicht üblicherweise Men- reits, das sind 33 Prozent der arbei- net, in eigene KNunden der Rocket-internet-Toch- schen, die arm und ohne Hoffnung tenden Bevölkerung. Hält der Trend ter können sich seit Ende vergange- auf eine gesicherte Existenz sind? Ja, in diesem Tempo an, rollt auf die nen Jahres online lebensmittel aus und neuerdings auch ein Start-up, Wirtschaft die vielleicht größte um- ungerechten Si- dem Supermarkt bestellen. On de- das mit rund zwölf Millionen Euro wälzung seit der industriellen Revo- Mitarbeiter zu mand, versteht sich, innerhalb von zu den besser finanzierten gehört. lution zu. Arbeit wird völlig neu nur zwei Stunden soll dann der Ein- Die Pfandflasche ist geradezu organisiert, unternehmen werden kauf vor der Tür stehen. symbolhaft für ein Geschäftsmodell, von Menschen entkernt: die Digita- licon- Valley-Ka- Es ist ein schwüler Dienstagnach- das sich derzeit von Kalifornien aus lisierung als Neutronenbombe. investieren. Der mittag in Berlin-Wedding, als Ev - mit aller Macht in die Welt ausbrei- Die Regeln des Sozialpaktes wer- geny Valtser (28) durch die Gänge tet: willkommen in der On-Demand- den stillschweigend neu definiert. eines lidl-Marktes eilt, das Smart - Economy, in der jeder lousy Penny Mit Apps ausgestattet, werden die pitalismus“. phone, seine digitale Einkaufsliste, zählt. Die neue Wirtschaftsform Arbeitnehmer in digitale leistungs- stets griffbereit. Den Shopwings- könnte das Verhältnis zwischen Ka- bienen verwandelt, deren Arbeits- Aufschwung Claim kommentiert er mit einem pital und Arbeit nachhaltig verän- ON SALE schritte sich live überwachen und schrägen lächeln; er ist der, der dern. Zugunsten des Kapitals, ver- Wagniskapital in für alle öffentlich sichtbar bewerten schleppt. steht sich. Start-ups mit lassen: fünf Sterne für Pünktlich- Ein Sixpack Pepsi, Crunchips Zunächst einmal klingen die Ge- On-Demand- keit, aber nur zwei für Qualität, lei- Deutschlands Geschäftsmodell, Während Karl „Western Style“, Schokopudding – schäftsmodelle verlockend: Die aus- in Mio. Dollar der kein Folgeauftrag für dich. knapp 20 Produkte sind es diesmal. geklügelten Apps von Shopwings, On-Demand-Beschäftigte wie Ev - „Ein guter Auftrag“, sagt Valtser, uber und Co. bringen gegen Pro - geny Valtser müssen sich zumeist schon nach 15 Minuten steht er mit vision Kunden und freie Dienst - selbst um Krankenversicherung oder nach dem Zwei- Marx noch pro- seinem Wagen an der Kasse. Drau- leister auf besonders effiziente und Altersvorsorge kümmern, ei nen ur- ßen lädt er den Einkauf in einen be que me Weise zusammen. Dank laubsanspruch haben sie nicht. ihr alten Opel Astra, den er zum Kunden Smart phones, internet-Flatrates und lohn wird zum Vorteil der Start-ups ins fünf Kilometer entfernte Reini- Cloud-Computing sind die Trans - (Provisionen) und Kunden (niedri- ten Weltkrieg ckendorf steuert. aktionskosten für unternehmen, die gere Preise) dezimiert. phezeite, die   insgesamt vergehen knapp 45 auch komplexe Aufgaben an freie, Was sich früher nur eine Elite Minuten, bis er seinem Smartphone, statt eigene Mitarbeiter vergeben, in leisten konnte, soll dank weltum- das jeden seiner Arbeitsschritte pro- den vergangenen Jahren rapide ge- spannender Plattformen so günstig war auch der tokolliert, einen erfolgreichen Ab- sunken. werden, dass es auch für die Mittel- Welt werde sich schluss melden kann. ungefähr 14 Wachstum und Fortschritt basie- schicht bezahlbar wird. Euro verdient Valtser durchschnitt- ren seit je auf Effizienzgewinnen, sie  in Amerika können besserverdie- lich für so einen Einkaufsauftrag, haben uns erst aus der Abhängigkeit 2010 2015 nende Städter bereits auf ein ganzes meist braucht er weniger als eine der Scholle und später aus dem Heer von Honorarfahrern (uber und Siegeszug der Schätzung mm teilen in jene, Stunde dafür. Shopwings wälzt die Elend der frühen industrialisierung |  bis  lyft), -boten (Postmates), -butlern Kosten für Sprit, Versicherung und befreit. Nun schreitet der Kapita - Quelle: CB Insights (Alfred) und -köchen (Spoonrocket) Grafik: mm mobile Datenrate ebenso auf ihn ab lismus in die nächste Phase dieser zugreifen, das sie via Smartphone wie das Risiko, sich beim Schleppen Befreiung: Die neuen Fuß- und Kopf- fernsteuern. Das Kundenbedürfnis sozialen Markt- die die Pro- zu verletzen. „Shopper“ sind Selbst- arbeiter können jederzeit frei ent- wird zur Maxime und per Wisch be- ständige. scheiden, wann, wie und für wen sie friedigt. Valtser findet das trotzdem einen arbeiten wollen. libertäre Valley- Die investoren sind begeistert: guten Deal. Er lebt eigentlich von ideologen sind begeistert. 4,12 Milliarden uS-Dollar pumpten wirtschaft. duktionsgüter Bafög und ist als Student kranken- Die Betroffenen oft weniger. Denn amerikanische Wagniskapitalgeber versichert. Für Shopwings, das mitt- die Entwicklung hat längst auch qua- im Jahr 2014 in heimische Start-ups lerweile über 100 Rentner, Ex-Ar- lifiziertere Berufe wie Anwälte (up- aus der On-Demand-Welt – ein Plus beitslose und Studenten wie ihn counsel), Programmierer (Topco- von 514 Prozent im Vergleich zum besäßen und beschäftigt, rechnet sich das Ge- der), Consultants (Eden McCallum) Vorjahr (siehe Grafik links). Kaum schäft trotzdem noch nicht. Denn oder Vertriebler (universal Avenue) ein anderes Geschäft befeuert der- Nicht nur in den die liefergebühr beträgt maximal erfasst. Die Plattform upwork ver- zeit so sehr die Fantasie der Profi- 6,90 Euro. mittelt bereits 9,3 Millionen Fach- geldgeber. jene, die für sie „Wir wollen noch kosteneffizi - kräfte an rund 3,7 Millionen Firmen Der neue Superheld dieser Be- enter werden, ohne den lohn zu in der ganzen Welt. wegung heißt Travis Kalanick, der senken“, sagt Co-Gründer Conrad in den uSA wachse die Zahl der Chef von uber. Der Fahrvermitt- USA wird die- Bloser, ein ehemaliger Bain-Berater. Selbstständigen, die einst gut do- lungsservice ist mit bald 50 Milliar- arbeiten müss- Seine idee: Der Wert der Pfandfla- tierte und fest angestellte Jobs in den uS-Dollar Firmenwert auf 2 Juli 2015 manager magazin 85 ser Pakt wieder ten, stellt sich brüchig. Erst die Situation hat die Globali- inzwischen ganz anders dar. Die sierung Millionen von Arbeitsplät- Macht hat der, dem die Algorith- zen ins Ausland katapultiert, jetzt men gehören und der damit ganze gehen auch noch die alten Struktu- Dienstleisterar meen steuert. Ihre ren in Flammen auf. Werkzeuge (Autos, Putzlappen, Ra- senmäher) bringen diese zur Arbeit selbst mit. Die digitale Ich-AG Diese Entwicklung hat das Poten- zial, selbst über Jahrzehnte ge- Uber & Co. folgen bei der Bezah- wachsene Konzerne zu sprengen. lung einer eiskalten Marktlogik, Großunternehmen mit Hunderttau- statt eines Tarifvertrags entschei- senden von Beschäftigten sind ein den Angebot und Nachfrage sekun- Konstrukt der industriellen Revolu- dengenau über den Lohn. Bei Un- tion. Erstmals wurden Mitarbeiter fällen soll die private Versicherung fest eingestellt und nach normier- des Einzelnen einspringen. Uber ten Strukturen organisiert. Das war will in der Regel erst zahlen, wenn effi zienter für die Herstellung von ein Unfallschaden die Obergrenze Massenprodukten, als Tagelöhner des Fahrers übersteigt. am Straßenrand anzuheuern. Ein solches Umwälzen von Kosten Später setzten Gewerkschaften Ta- und Pfl ichten ist nicht nur im Ta- rifl öhne durch, Arbeitgeber über- xigewerbe vorstellbar. Adam Neu- nahmen Teile der Sozialleistungen. mann (36), schulterlanges Haar Die Einsicht war gereift, dass es und T-Shirt mit dem Aufdruck „Cre-

14 Philipp Alvares de Souza Soares / Astrid Maier ator“, glaubt fest ketingteams

Putzlappen, Rasenmäher) bringen diese an die neuen zur Arbeit selbst mit. rekrutieren, Diese Entwicklung hat das Potenzial, selbst über Jahrzehnte gewachsene Kon- zerne zu sprengen. Großunternehmen mit Selbstständigen. Hunderttausenden von Beschäftigten sind die dann ge- ein Konstrukt der industriellen Revolu- tion. Erstmals wurden Mitarbeiter fest eingestellt und nach normierten Struktu- Er ist CEO und ren organisiert. Das war effizienter für die meinsam in Herstellung von Massenprodukten, als Ta- gelöhner am Straßenrand anzuheuern. Später setzten Gewerkschaften Tarif- Gründer von We löhne durch, Arbeitgeber übernahmen Räumen mit Teile der Sozialleistungen. Die Einsicht war gereift, dass es sich für unternehmen rechnet, in eigene Mitarbeiter zu investie- Work und hat von ren. Der Aufschwung Deutschlands nach der Aufschrift dem Zweiten Weltkrieg war auch der Sie- geszug der sozialen Marktwirtschaft. Nicht nur in den uSA wird dieser Pakt wieder brüchig. Erst hat die Globalisie- New York aus den rung Millionen von Arbeitsplätzen ins „Werde nie Ausland katapultiert, jetzt gehen auch noch die alten Strukturen in Flammen auf.

Kopfarbeitern Die digitale Ich-AG sesshaft“ an uber & Co. folgen bei der Bezahlung einer eiskalten Marktlogik, statt eines Tarifver- trags entscheiden Angebot und Nachfrage der On-Demand- sekundengenau über den lohn. Bei un fäl - einem Projekt len soll die private Versicherung des Ein- zelnen einspringen. uber will in der Regel EIGENES AUTO, VOLLES RISIKO Unternehmen wie Uber wälzen immer mehr erst zahlen, wenn ein unfallschaden die Welt ganze Tem- Pflichten auf das Individuum ab. Der Sozialpakt wird neu definiert. Obergrenze des Fahrers übersteigt. arbeiten. Ist FOTO: TV-YESTERDAY Ein solches umwälzen von Kosten und Pflichten ist nicht nur im Taxigewerbe dem Papier zum wertvollsten Start-up der Bericht löste landesweit Kontroversen vorstellbar. Adam Neumann (36), schul- Welt avanciert – und damit zum Vorbild aus. Die On-Demand-Wirtschaft sei „im terlanges Haar und T-Shirt mit dem Auf- es beendet, pel errichtet, aus für die nächste Gründergeneration. Besitz der oberen 1 Prozent des Silicon druck „Creator“, glaubt fest an die neuen Schnell, aggressiv und gnadenlos effizient Valleys“, hielt Jeremiah Owyang, Analyst Selbstständigen. Er ist CEO und Gründer beim Ausnutzen jedes noch so winzigen und Vordenker der On-Demand-Bewe- von We Work und hat von New york aus juristischen und finanziellen Schlupflochs, gung, seinem Pub likum neulich bei einem den Kopfarbeitern der On-Demand-Welt denen sich auch so gelang es uber, in Rekordzeit in über 58 Kongress vor. ganze Tempel errichtet, aus denen sich löst sich die länder weltweit zu expandieren. Zwei Steuern wir also mit jedem Software- auch unternehmen bedienen können. Milliarden uS-Dollar soll der Chauffeur- update unseres iPhones auf einen digita- Das Start-up vermietet Arbeitsplätze in dienst bereits im laufenden Jahr erlösen. len Feudalismus zu? Von Optimisten gern Großraumbüros an selbstständige Desig- Unternehmen be- Doch dieser Erfolg hat auch eine sehr als Sharing-Economy schöngeredet? ner, Rechtsanwälte, Journalisten, Mar ke - Truppe wie- hässliche Seite. Wann immer uber die Der internetkritiker Andrew Keen tingexperten oder Programmierer. Das ei ge ne Provision erhöht, demonstrieren warnt jedenfalls, die On-Demand-Wirt- klingt nach den in der Gründerszene so fru strierte Fahrer vor der Zentrale in San schaft sei das „Betriebssystem eines neu - beliebten Co-Working-Spaces, hat damit dienen können. Francisco. im internet bezeichnen sie Ka- en, zunehmend ungerechten Silicon- aber wenig zu tun. Das iPhone 6 Plus der auf. lanick als modernen Sklaventreiber und Valley-Kapitalismus“. würde ja auch keiner mehr mit dem alten rechnen vor, was ihnen nach Abzug aller Während noch prophezeite, Nokia 3210 vergleichen. Kosten wirklich bleibt – ein paar Dollar die Welt werde sich teilen in jene, die die We Worker schließen eine Mitglied- pro Stunde. Produktions güter besäßen und jene, die schaft ab, sie bekommen dafür eine Flat - Als ein Reporter des „New york Maga- für sie arbeiten müssten, stellt sich die Si- rate, die WlAN, Druckerpatronen, Das Start-up ver- zine“ den Putzdienst Homejoy in San tuation in zwischen ganz anders dar. Die De sig nereinrichtung und sogar Alkohol Kein anderer Francisco ausprobierte, musste er feststel- Macht hat der, dem die Algorithmen gehö- enthält. „Hausmeister“ organisieren für len, dass seine neue Reinigungskraft aus ren und der damit ganze Dienstleisterar- den Feierabend After-Work-Partys, Tisch- der Vorstadt Oakland obdachlos war. Sein meen steuert. ihre Werkzeuge (Autos, tennisturniere oder Tech-Vorträge. Wer 2 Büromakler mietet Arbeits- 86 manager magazin Juli 2015 plätze in Groß- in New York raumbüros an wächst der- selbstständige Designer, Rechts- zeit schneller als We Work, Neu- anwälte, Journalisten, Marketing- mann hat Dependancen von San experten oder Programmierer. Das Francisco über London bis Tel Aviv klingt nach den in der Gründersze- eröff net. Seine Investoren aus dem ne so beliebten Co-Working-Spa- Silicon Valley und von der Wall ces, hat damit aber wenig zu tun. Street bewerten die Firma bereits Das iPhone 6 Plus würde ja auch mit fünf Milliarden US-Dollar. Dem- keiner mehr mit dem alten Nokia nächst will der Entrepreneur auch 3210 vergleichen. nach Berlin expandieren. Es gehe ihm vor allem darum, mit We Work We Worker schließen eine Mitglied- eine „Gemeinschaft von Schaff en- schaft ab, sie bekommen dafür den aufzubauen, die Menschen eine Flatrate, die WLAN, Drucker- inspiriert, das zu tun, was sie lie- patronen, Designereinrichtung und ben“, sagte er kürzlich dem Maga- sogar Alkohol enthält. „Hausmeis- zin „Bloomberg Businessweek“. ter“ organisieren für den Feier- abend After-Work-Partys, Tischten- Dieser Traum ist schon lange kein nisturniere oder Tech-Vorträge. Wer amerikanischer mehr. Selbst in will, kann über We Work eine Grup- Schweden, das lange für seinen penkrankenversicherung abschlie- Sozialstaat bewundert wurde, ha- ßen oder sich mit dem Nachbarn ben sich die gesellschaftsökono- an der Bar zu einem neuen Start-up mischen Koordinaten verschoben. zusammentun. Konzerne können In Stockholm sitzt Max Giselson hier ganze Entwickler- oder Mar- vor seinem Computer, ein 27-Jäh-

15 Preisträger Kategorie Print/Online

KÖCHIN AUF ABRUF Die riger mit akku- neuen Plattformen lo- beiten und da- cken mit der Freiheit, selbst zu bestimmen, wann und wie ge - arbeitet wird – König ist aber der Kunde wir leben wollen.“ rat gezogenem Der Satz klingt esoterisch, passt aber für vor Kurzem zum lebensgefühl vieler Millennials, also jener, die um die Jahrtausendwende im Teenageralter waren. Die On-Demand-Ar- Seitenschei- beiterschaft bestehe zu 44 Prozent aus die- einen festen Job ser Generation, die bereits mit dem internet aufwuchs, sagt Mary Meeker, Partnerin beim investor Kleiner Perkins tel und weitem Caufield & Byers und Autorin des jährli- bei einer Kre- chen „internet Trend Reports“, eine Art Superstudie über die wichtigsten Trends im Digitalbusiness. 38 Prozent der Millen- Hipster-Sweat- nials seien Freischaffende, die viel Wert dit-Ratingagen- auf Flexibilität legten. Forscher der universität Stanford sehen das On-Demand-Gewerbe in einem differenzierteren licht. Sie haben 1330 shirt. Giselson Freischaffende befragt und dabei heraus- tur aufgegeben: gefunden, dass die meisten ihre Jobs nur ausüben, um ein anderes Einkommen auf- zubessern. Krankenversicherung, Alters- ist Vertriebler. vorsorge oder bezahlter urlaub seien nach „Ich habe als wie vor leistungen, die von den Befragten sehr geschätzt werden. Zudem verliere die in Aussicht gestellte Flexibilität schnell Er verkauft an an Attraktivität, wenn einem die Plattfor- Anfänger in et- men diktierten, zu welchen uhrzeiten am meisten Geld verdient werden kann. Der FOTO: RETROFILE / GETTY IMAGES Algorithmus übernimmt die Rolle des Vor- Restaurants, will, kann über We Work eine Gruppen- akkurat gezogenem Seitenscheitel und arbeiters. was über einer krankenversicherung abschließen oder weitem Hipster-Sweatshirt. Giselson ist Robert B. Reich, ehemaliger Arbeitsmi- sich mit dem Nachbarn an der Bar zu Ver triebler. Er verkauft an Restaurants, nister unter uS-Präsident Bill Clinton und einem neuen Start-up zusammentun. Ho tels und Boutiquen in Stockholm An - heute Wirtschaftsprofessor in Berkeley, Konzerne können hier ganze Entwickler- gebote digitaler Dienstleister. Zu seinen warnt die nachwachsende Generation be- Woche schon Hotels und oder Marketingteams rekrutieren, die Kunden gehören iZettle, ein Start-up für reits vor „einem unberechenbaren, nicht dann gemeinsam in Räumen mit der Auf- mobile Bezahlsysteme, oder Spotify, der sonderlich gut bezahlten und furchtbar schrift „Werde nie sesshaft“ an einem Pro- Musik-Streamingdienst. Obwohl Giselson unsicheren Erwerbsleben“. jekt arbeiten. ist es beendet, löst sich die Spotify-Abos für Gewerbetreibende ver- Von mehr Effizienz müssen schon alle Boutiquen in Truppe wieder auf. kauft, hat er noch nie mit jemandem aus profitieren, Vermittler und Beschäftigte. 1900 Euro ver- Kein anderer Büromakler in New york dem unternehmen zu tun gehabt. Sonst reißt der neue Tech-Kapitalismus wächst derzeit schneller als We Work, noch mehr Gräben auf als all seine Vorgän- Neumann hat Dependancen von San Fran- Arbeiten als Lifestyle-Gefühl germodelle. Stockholm An- cisco über london bis Tel Aviv eröffnet. Seine Aufträge erhält er über die App des Bei der Juristin lara Phimister scheint dient“, sagt er. Seine investoren aus dem Silicon Valley Start-ups universal Avenue. Sie zeigt ihm das On-Demand-Geschäft zu funktionie- und von der Wall Street bewerten die an, welche Route er durch die Stadt neh- ren. Die yale-Absolventin und ehemalige Firma bereits mit fünf Milliarden uS-Dol- men soll, damit er in der geplanten Zeit Vizepräsidentin beim investmentfonds gebote digita- lar. Demnächst will der Entrepreneur auch möglichst viele Kunden besuchen kann. Wellington bietet ihre Dienste inzwischen Den alten Job nach Berlin expandieren. Es gehe ihm vor Mit ihr kann er sich auch fortbilden und in bei upcounsel feil. Auf eigenes Risiko und allem darum, mit We Work eine „Gemein- interaktiven Übungen seine Stärken und eigene Rechnung. ihre Kunden geben ihr schaft von Schaffenden aufzubauen, die Schwächen als Vertriebsmann ausloten. 4,9 von maximal fünf Sternen, Kommentar: Menschen inspiriert, das zu tun, was sie Giselson hat gerade erst angefangen, „lara is the best.“ vermisse er ler Dienstleis- lieben“, sagte er kürzlich dem Magazin mit universal Avenue zu arbeiten und Mit Pfandflaschen hingegen wird sich „Bloomberg Businessweek“. dafür vor Kurzem einen festen Job bei kein Mitarbeiter lange motivieren lassen. Dieser Traum ist schon lange kein ame- einer Kredit-Ratingagentur aufgegeben: Ganz unten beginnt der Kessel schon zu rikanischer mehr. Selbst in Schweden, das „ich habe als Anfänger in etwas über einer pfeifen. So haben sich beispielsweise in nicht: „Ich kann ter. Zu seinen lange für seinen Sozialstaat bewundert Woche schon 1900 Euro verdient“, sagt er. Kalifornien Fahrer von uber und lyft auf wurde, haben sich die gesellschaftsökono- Den alten Job vermisse er nicht: „ich kann zwei Massenklagen geeinigt: Sie fordern mischen Koordinaten verschoben. jetzt arbeiten, wann ich will und mir dabei den Status von fest angestellten Mitarbei- in Stockholm sitzt Max Giselson vor auch noch coole Marken wie Spotify aus- tern. it’s the old economy, stupid. jetzt arbeiten, Kunden ge- seinem Computer, ein 27-Jähriger mit suchen.“ universal-Avenue-Gründer Johan 1 Philipp Alvares de Souza Soares/ lilja (35) sitzt daneben und grinst. liljas Astrid Maier 88 manager magazin Juli 2015 Firmenmotto lautet: „Wir arbeiten so, wie hören iZett- wann ich will le, ein Start- und mir dabei up für mobile Bezahlsysteme, auch noch coole Marken wie Spo- oder Spotify, der Musik- tify aussuchen.“ Universal-Avenue- Streamingdienst. Obwohl Giselson Gründer Johan Lilja (35) sitzt dane- Spotify-Abos für Gewerbetreiben- ben und grinst. Liljas Firmenmotto de verkauft, hat er noch nie mit je- lautet: „Wir arbeiten so, wie wir le- mandem aus dem Unternehmen zu ben wollen.“ tun gehabt. Der Satz klingt esoterisch, passt aber zum Lebensgefühl vieler Mill- ennials, also jener, die um die Jahr- Arbeiten als Lifestyle-Gefühl tausendwende im Teenageralter waren. Die On-Demand-Arbeiter- Seine Aufträge erhält er über schaft bestehe zu 44 Prozent aus die App des Start-ups Universal dieser Generation, die bereits mit Avenue. Sie zeigt ihm an, welche dem Internet aufwuchs, sagt Mary Route er durch die Stadt nehmen Meeker, Partnerin beim Investor soll, damit er in der geplanten Zeit Kleiner Perkins Caufi eld & Byers möglichst viele Kunden besuchen und Autorin des jährlichen „Inter- kann. Mit ihr kann er sich auch fort- net Trend Reports“, eine Art Super- bilden und in interaktiven Übun- studie über die wichtigsten Trends gen seine Stärken und Schwächen im Digitalbusiness. 38 Prozent der als Vertriebsmann ausloten. Millennials seien Freischaff ende, Giselson hat gerade erst angefan- die viel Wert auf Flexibilität legten. gen, mit Universal Avenue zu ar- Forscher der Universität Stanford

16 Philipp Alvares de Souza Soares / Astrid Maier sehen das On-Demand-Gewerbe nung. Ihre Kunden geben ihr 4,9 in einem diff erenzierteren Licht. von maximal fünf Sternen, Kom- Sie haben 1330 Freischaff ende be- mentar: „Lara is the best.“ fragt und dabei herausgefunden, Mit Pfandfl aschen hingegen wird dass die meisten ihre Jobs nur aus- sich kein Mitarbeiter lange moti- üben, um ein anderes Einkommen vieren lassen. Ganz unten beginnt aufzubessern. Krankenversiche- der Kessel schon zu pfeifen. So ha- rung, Altersvorsorge oder bezahl- ben sich beispielsweise in Kalifor- ter Urlaub seien nach wie vor Leis- nien Fahrer von Uber und Lyft auf tungen, die von den Befragten sehr zwei Massenklagen geeinigt: Sie geschätzt werden. Zudem verliere fordern den Status von fest ange- die in Aussicht gestellte Flexibili- stellten Mitarbeitern. It’s the old tät schnell an Attraktivität, wenn economy, stupid. einem die Plattformen diktierten, zu welchen Uhrzeiten am meisten Geld verdient werden kann. Der Al- gorithmus übernimmt die Rolle des Vorarbeiters. Robert B. Reich, ehemaliger Ar- beitsminister unter US-Präsi- dent Bill Clinton und heute Wirt- schaftsprofessor in Berkeley, warnt die nachwachsende Generation bereits vor „einem unberechenba- ren, nicht sonderlich gut bezahlten und furchtbar unsicheren Erwerbs- leben“. Von mehr Effi zienz müssen schon alle profi tieren, Vermittler und Be- schäftigte. Sonst reißt der neue Tech-Kapitalismus noch mehr Grä- ben auf als all seine Vorgängermo- delle. Bei der Juristin Lara Phimister scheint das On-Demand-Geschäft zu funktionieren. Die Yale-Absol- ventin und ehemalige Vizeprä- sidentin beim Investmentfonds Wellington bietet ihre Dienste in- zwischen bei Upcounsel feil. Auf eigenes Risiko und eigene Rech-

17 Preisträger Kategorie Print/Online

ON-DEMAND-ECONOMy TRENDS

unablässig Produkte ausspucken. Sie set- ra in der Lage, ein Hauptsache, zen langsam Schicht auf Schicht, bis ein weißer Plastikblock entsteht, aus dem Mitarbeiter später vorsichtig die Bestel- Hauptsache, lungen herausbrechen, färben und sortie- ren. Es sind alles Einzelstücke. Schmuck, passendes Produkt Schlüsselanhänger oder Spielzeug – rund einzigartig einzigartig 150 000 Produkte verkauft Shapeways im Monat, die es in New york oder im nie - Digitalisierung und 3-D-Druck machen den derländischen Eindhoven ausdruckt. Am binnen drei Wochen besten gehen derzeit Handyschalen für 10 klassischen Handel überflüssig: Die Lieferketten bis 20 Dollar das Stück. werden kürzer, Einzelstücke zur Norm. Kunden können Farbe, Größe und Ma - te rial (Metall, Plastik, Porzellan et cetera) auf seiner Websei- der Ware bestimmen, fabriziert wird erst nach Eingang der Bestellung, meist inner- halb von sechs Tagen. Das Design laden die Käufer selbst auf der Webseite hoch oder Digitalisierung wählen es in einem Shop aus, den sich te anzubieten, sagt ikinis mit Fransen, Schmuck in klassischen Handel. Die Start-ups produ- Händler auf der Firmenhomepage ein - Muschelform und generell: Glit- zieren on demand und können sich deshalb richten können. Der Spielzeughersteller zer. Das brauchen wir jetzt.“ teure lager sparen. Weil sie nur genau das Hasbro bietet so mit großem Erfolg „My B Roman Kirsch (26), der mit sei- herstellen, was der Kunde gerade möchte, little Pony“-Figuren an, die von Fans de- Kirsch. Rund zehn und -D-Druck ner ersten Firma bereits Millionen ver dient fällt kaum Ausschuss an. Die herkömmli- signt wurden. hat, steht im Büro seines neuen Start-ups che lieferkette aus Groß-, Zwischen- und „lange hat sich die Produktion einer lesara im Berliner Stadtteil Prenzlauer Einzelhändlern schrumpft auf Anfang und Ware nur gelohnt, wenn man sie in Massen Berg und hört seinem Mitarbeiter zu. Denn Ende zusammen. herstellen konnte“, sagt Zack Schildhorn, machen den der weiß, was sich verkaufen lässt. „Diese Entwicklung wird noch ein Rie- „das ändert sich jetzt.“ Er ist Partner beim Kollegen in Guang- lesara hat das internet nach Datenfut- senproblem, weil Händler wie Karstadt New yorker Wagnisfinanzierer lux Capital, ter für Algorithmen durchforstet, die Aus- überflüssig werden“, glaubt der E-Com- der zusammen mit namhaften investoren kunft über Kundenwünsche versprechen. merce-Experte Gerrit Heinemann, Profes- wie Andreessen Horowitz knapp 50 Millio- klassischen Han- Also: Was wird bei Google gesucht? Was sor an der Hochschule Niederrhein. nen Dollar in Shapeways pumpte. zhou halten Kon- geht bei der Konkurrenz? Worüber reden Ob Schuhe, Gitarren, Kopfhörer – dank die leute bei Twitter? Welche Fotos posten neuer Technologien sind hyperindividua- Modeblogger bei instagram? lisierte Waren, die lange als luxusgut gal- 80 leute arbeiten bei lesara. Das un- 150 000 ten, nun für die breite Masse erschwinglich. takt zu Hunderten del überfl üssig: ternehmen verkauft Kleidung, Schmuck individualisierte So bietet das Start-up indochino aus und anderen Discountplunder, den es sonst Produkte druckt Shapeways Vancouver maßgeschneiderte Anzüge ab in den Filialen von Takko oder New yorker im Monat aus 379 Dollar an, die es ohne Mittelsmann von gibt. Kleine Stückzahlen für begrenzte einem Vertragsschneider in Shanghai nä- Die Lieferketten Zeit, produziert meist in China, und zwar hen lässt, die Kunden vermessen sich zu chinesischen Fab- on demand. Der internetriese Alibaba etwa ver- Hause selbst. Sobald ein Trend identifiziert ist, sei knüpft mit seiner Plattform Aliexpress Das Konzept von unternehmen wie lesara in der lage, ein passendes Produkt schon erfolgreich brasilianische Kunden dem amerikanischen Shapeways oder Tee- binnen drei Wochen auf seiner Webseite mit chinesischen Produzenten. 2013 or- spring dreht die idee noch eine Ebene wei- rikanten, fotogra- werden kürzer, anzubieten, sagt Kirsch. Rund zehn Kolle- chestrierte der Konzern eine Sonderak- ter: Neben On-Demand-Fertigung, schlan- gen in Guangzhou halten Kontakt zu Hun- tion, bei der uS-Bauern rund 170 Tonnen ker lieferkette und einem individuellen derten chinesischen Fabrikanten, fotogra - Kirschen auf Bestellung chinesischer Zuschnitt sind es hier die Kunden, die die fieren Ware, prüfen deren Qualität und Obstliebhaber pflückten – zu Großhan- Designs liefern. Bei Teespring, wo jeder mit Einzelstücke zur schicken sie dann via luftfracht nach delspreisen und mit einer lieferzeit von ein paar Mausklicks seinen eigenen T- fi eren Ware, prü- Deutschland. Fast-Fashion mit Turbo- nur drei Tagen. Mit deutschen Apfel - Shirt-Shop eröffnen kann, gibt es Nutzer, Boost, die keine Zwischenhändler mehr bauern redet der Konzern gerade über die mit ihren Hemdenkreationen über nötig hat. „Wir bringen Kunden und liefe- ähn liche Kooperationen. 100 000 Dollar im Jahr verdienen. Norm. ranten direkt zusammen“, sagt Kirsch. Ein altes Fabrikgebäude in long island Prinzipiell lasse sich das Teespring- fen deren Qualität Die Verbrauchernähe und Effizienz, mit City, New york. Es ist warm und staubig, Prinzip mühelos auf nahezu jedes Klei - der unternehmen wie uber oder Helpling viele Mitarbeiter tragen Atemmasken. Das dungs stück übertragen, sagt Mitgründer Dienstleistungsmärkte aufrollen, übertra- Start-up Shapeways hat hier eine Ferti- Walker Williams. „Für uns sind T-Shirts gen Firmen wie lesara jetzt auch auf den gungsstraße aufgebaut, in der 3-D-Drucker nur der Anfang.“ und schicken sie

Juli 2015 manager magazin 87 dann via Luftfracht Bikinis mit Fran- nach Deutschland. sen, Schmuck Fast-Fashion mit in Muschelform und generell: Glit- Turbo-Boost, die keine Zwischen- zer. Das brauchen wir jetzt.“ Ro- händler mehr nötig hat. „Wir brin- man Kirsch (26), der mit seiner ers- gen Kunden und Lieferanten direkt ten Firma bereits Millionen ver dient zusammen“, sagt Kirsch. hat, steht im Büro seines neuen Start-ups Lesara im Berliner Stadt- Die Verbrauchernähe und Effi zienz, teil Prenzlauer Berg und hört seinem mit der Unternehmen wie uber oder Mitarbeiter zu. Denn der weiß, was Helpling Dienstleistungsmärkte auf- sich verkaufen lässt. rollen, übertragen Firmen wie Les- ara jetzt auch auf den klassischen Lesara hat das Internet nach Daten- Handel. Die Start-ups produzieren futter für Algorithmen durchforstet, on-demand und können sich des- die Auskunft über Kundenwünsche halb teure Lager sparen. Weil sie nur versprechen. Also: Was wird bei genau das herstellen, was der Kun- Google gesucht? Was geht bei der de gerade möchte, fällt kaum Aus- Konkurrenz? Worüber reden die Leu- schuss an. Die herkömmliche Lie- te bei Twitter? Welche Fotos posten ferkette aus Groß-, Zwischen- und Modeblogger bei Instagram? Einzelhändlern schrumpft auf An- fang und Ende zusammen. 80 Leute arbeiten bei Lesara. Das Unternehmen verkauft Klei- „Diese Entwicklung wird noch ein dung, Schmuck und anderen Dis- Riesenproblem, weil Händler wie countplunder, den es sonst in den Karstadt überfl üssig werden“, Filialen von Takko oder NewYor- glaubt der E-Commerce-Experte ker gibt. Kleine Stückzahlen für be- Gerrit Heinemann, Professor an der grenzte Zeit, produziert meist in Chi- Hochschule Niederrhein. na, und zwar on-demand. Sobald Der Internetriese Alibaba etwa ver- ein Trend identifi ziert ist, sei Lesa- knüpft mit seiner Plattform Ali-

18 Philipp Alvares de Souza Soares / Astrid Maier express schon erfolgreich brasili- großem Erfolg „My little Pony“-Figu- anische Kunden mit chinesischen ren an, die von Fans designt wurden. Produzenten. 2013 orchestrier- „Lange hat sich die Produktion ei- te der Konzern eine Sonderaktion, ner Ware nur gelohnt, wenn man sie bei der US-Bauern rund 170 Ton- in Massen herstellen konnte“, sagt nen Kirschen auf Bestellung chinesi- Zack Schildhorn, „das ändert sich scher Obstliebhaber pfl ückten – zu jetzt.“ Er ist Partner beim New Yor- Großhandelspreisen und mit einer ker Wagnisfi nanzierer Lux Capital, Lieferzeit von nur drei Tagen. Mit der zusammen mit namhaften In- deutschen Apfelbauern redet der vestoren wie Andreessen Horowitz Konzern gerade über ähnliche Ko- knapp 50 Millionen Dollar in Shape- operationen. ways pumpte. Ob Schuhe, Gitarren, Ein altes Fabrikgebäude in Long Is- Kopfhörer – dank neuer Technologi- land City, New York. Es ist warm und en sind hyperindividualisierte Wa- staubig, viele Mitarbeiter tragen ren, die lange als Luxusgut galten, Atemmasken. Das Start-up Shape- nun für die breite Masse erschwing- ways hat hier eine Fertigungsstraße lich. So bietet das Start-up Indochi- aufgebaut, in der 3-D-Drucker un- no aus Vancouver maßgeschneider- ablässig Produkte ausspucken. Sie te Anzüge ab 379 Dollar an, die es setzen langsam Schicht auf Schicht, ohne Mittelsmann von einem Ver- bis ein weißer Plastikblock entsteht, tragsschneider in Shanghai nähen aus dem Mitarbeiter später vorsich- lässt, die Kunden vermessen sich zu tig die Bestellungen herausbrechen, Hause selbst. färben und sortieren. Es sind al- les Einzelstücke. Schmuck, Schlüs- Das Konzept von Unternehmen wie selanhänger oder Spielzeug – rund dem amerikanischen Shapeways 150 000 Produkte verkauft Shape- oder Teespring dreht die Idee noch ways im Monat, die es in New York eine Ebene weiter: Neben On-De- oder im niederländischen Eindho- mand-Fertigung, schlanker Liefer- ven ausdruckt. Am besten gehen kette und einem individuellen Zu- derzeit Handyschalen für 10 bis 20 schnitt sind es hier die Kunden, die Dollar das Stück. die Designs liefern. Bei Teespring, wo jeder mit ein paar Mausklicks Kunden können Farbe, Größe und seinen eigenen TShirt-Shop eröff nen Material (Metall, Plastik, Porzellan kann, gibt es Nutzer, die mit ihren et cetera) der Ware bestimmen, fab- Hemdenkreationen über 100 000 riziert wird erst nach Eingang der Be- Dollar im Jahr verdienen. stellung, meist innerhalb von sechs Tagen. Das Design laden die Käufer Prinzipiell lasse sich das Tee- selbst auf der Webseite hoch oder spring-Prinzip mühelos auf nahezu wählen es in einem Shop aus, den jedes Kleidungsstück übertragen, sich Händler auf der Firmenhome- sagt Mitgründer Walker Williams. page einrichten können. Der Spiel- „Für uns sind T-Shirts nur der An- zeughersteller Hasbro bietet so mit fang.“

19 Preisträger Preisträgerin Kategorie Kategorie Hörfunk Fernsehen «Im Gegenwind. Der weltweite Kampf um Lohn und bessere Arbeits - bedingungen» Deutschlandfunk, Caspar Dohmen 2. Februar 2016

Jahrgang 1967 Wirtschaftsjournalist und Buchautor, studierte Volkswirtschaft und Politik Begründung der Jury in Köln. Volontariat bei der Rheini- schen Post. Danach Wirtschaftsre- dakteur beim Wiesbadener Kurier, Die Jury hat sich entschlossen, den Handelsblatt und der Süddeutschen Willi-Bleicher-Preis in der Kategorie Zeitung. Hörfunk an Caspar Dohmen zu vergeben. Er arbeitet heute als Wirtschafts- Sein 45-minütiges Feature „Im Gegen- korrespondent für die Süddeutsche wind. Der weltweite Kampf um Lohn und Zeitung sowie als Feature-Autor, bessere Arbeitsbedingungen“ wurde am Kommentator und Kritiker für das 2. Februar 2016 im Deutschlandfunk Deutschlandradio, den SWR und ausgestrahlt. WDR. Unter anderem verantwortlich für die beiden ARD-Radiofeature Schnell gerät in Vergessenheit, wem wir „Zins und Zockerei“ und „Tatort in Deutschland fundamentale Arbeits- und Textilfabrik“ Sozialrechte zu verdanken haben: der Sozi- Autor von „Let‘s Make Money. Was alpartnerschaft mit starken Gewerkschaften macht die Bank mit unserem Geld“, als Motor. Was hierzulande erreicht wurde, „Good Bank“, „Otto Moralverbrau- ist in den meisten Ländern jedoch keine cher und „Profi tgier ohne Grenzen. Wenn Arbeit nichts mehr wert ist Selbstverständlichkeit. Abstrakt wissen wir und Menschenrechte auf der Strecke das alle. Aber was das konkret bedeutet, das bleiben“. macht uns Caspar Dohmen in seinem her- ausragenden Feature bewusst. Wir werden Ohrenzeugen, wie mutige Gewerkschafter kämpfen, um die Lage der Arbeiter zu ver-

20 www.willi-bleicher-preis.de Caspar Dohmen bessern. So wie Nasir Mansoor auf dem Für die Jury steht außer Frage, dass Cas- Schiffsfriedhof in der Nähe der pakistani- par Dohmen einen sehr wichtigen und schen Industriestadt Karachi. Oder Sergio preiswürdigen Beitrag geliefert hat. Das Chavez in El Salvador. ist kein schneller Bericht über Ereignisse, Wir hören aber auch, dass Gewerkschafter sondern ein sehr gründlich recherchiertes überall auf der Welt unter Druck stehen. und aufwändig produziertes Feature, dem Auch in Deutschland, wie Caspar Dohmen sehr viele Hörer zu wünschen sind. am Beispiel des Versandriesen Amazon Herzlichen Glückwunsch zum Willi- schildert. Das Beispiel zeigt auch, dass Bleicher-Preis 2016. Rechte nicht nur erkämpft werden müssen, sondern dass sie – einmal erreicht – im- mer wieder gegen Angriffe verteidigt wer- den müssen.

Der Gewerkschafter Nasir Mansoor hofft auf eine breite gesellschaftliche Bewegung, um die Lage der Arbeiter in Pakistan zu verbessern. (Foto: Caspar Dohmen)

21 Preisträger Preisträgerin Kategorie Kategorie Fernsehen Fernsehen «Flüchtlinge – schaff en wir das wirklich?» SWR «betriff t» 13. April 2016

Begründung der Jury Thomas Hoeth Die Jury hat sich entschlossen, den Jahrgang 1962 Willi- Bleicher-Preis in der Kategorie Studium: Politik, Wirtschaftswissen- Fernsehen an Thomas Hoeth zu verge- schaften, Philosophie und Spanisch ben. Sein 45-minütiger Beitrag „Flücht- in Duisburg. linge – schaffen wir das wirklich?“ wur- Nach einem Zeitungsvolontariat ist de am 13. April 2016 im SWR-Fernsehen er zunächst Redakteur für verschie- dene Blätter. Danach folgt eine wei- ausgestrahlt, in der Sendereihe „be- tere Ausbildung zum Drehbuchautor trifft“. für Film- und Fernsehen. Kein anderes Thema hat die innenpolitische Seit 1997 arbeitet er als Autor, Journalist und Regisseur für das Diskussion im letzten Jahr so geprägt wie SWR-Fernsehen. Hoeth lehrte viele das Flüchtlings-Thema. Thomas Hoeth be- Jahre kreatives Schreiben und Jour- schäftigt sich damit nicht abstrakt, sondern nalismus an einer Hochschule und konkret – am Beispiel der Integration von ist Trainer in der Journalistenausbil- Flüchtlingen in Schwäbisch Gmünd: Amare dung. Heute produziert er vor allem aus Somalia, Kazim aus Afghanistan und Ray- Filme für unterschiedliche Reporta- mond aus Nigeria. Und er stellt positive Bei- ge- und Doku-Plätze im Fernsehen. spiele in den Mittelpunkt seines Beitrags. Er Außerdem schreibt er Romane und zeigt die vielfältigen Bemühungen – sowohl Kurzgeschichten. Seine Filme und des Oberbürgermeisters Richard Arnold, als Bücher wurden mehrfach ausge- auch der ausgeprägten Zivilgesellschaft in zeichnet. der Stadt. Er beschreibt deren Handeln. Er schildert aber auch, wie Flüchtlinge ihren Alltag wahrnehmen – und wie sie trotz Inte- gration von Abschiebung bedroht sind. Dabei verfällt er nicht in romantische Darstellun-

22 www.willi-bleicher-preis.de Thomas Hoeth gen. Aber er macht deutlich, dass Integ- ration gelingt, wenn sie ernsthaft betrie- ben wird. Dazu gehören Wohnen, Lernen, das Mitwirken am kulturellen Leben in der Stadt – und Arbeit. Vor allem aber zeigt Thomas Hoeth eines: Ausbildung und Arbeit sind nicht nur die Vorausset- zung für ein auskömmliches Leben – son- dern auch für die Würde von Menschen. Und das gilt nicht nur für Flüchtlinge. Für die Jury steht außer Frage, dass Thomas Hoeth einen sehr wichtigen und preiswürdigen Beitrag geliefert hat. Herzlichen Glückwunsch zum Willi- Bleicher-Preis 2016.

Szenen aus dem Film 23 Preisträger Kategorie Fernsehen

Dr. Christine Schönfeld Anja Neubert

Jahrgang 1956 Jahrgang 1971 Studium der Germanistik und Studium der Journalistik, der Lusita- Geschichte in Potsdam, Promotion, nistik und der Kulturwissenschaften wissenschaftliche Assistentin. an der Universität Leipzig. Ab 1988 Arbeit als Journalistin Seit 1995 freie Journalistin für und Autorin beim Deutschen Fernseh- Print und Hörfunk, seit 1999 zudem funk (DFF) im Bereich Kulturfeature. Nachrichtenredakteurin bei MDR.DE. Seit 1991 Redakteurin beim MDR Seit 2010 Recherchen und Daten- für die politischen Magazine „Fakt“ journalismus für das MDR-Recherche- (ARD) und „exakt“ (MDR), Autorin Team. und Redakteurin von Dokus, Reportagen und Talkformaten für ARD, MDR und Arte.

24 www.willi-bleicher-preis.de Dr. Christine Schönfeld / Anja Neubert «Betriebsräte» MDR «exakt» 15. Juli 2015

Begründung der Jury

Die Jury hat sich entschlossen, den ternehmens wurde auch der Gewerkschaft Willi-Bleicher-Preis in der Kategorie IG Metall das Betreten des Betriebsgeländes Fernsehen an Christine Schönfeld und verboten. Anja Neubert zu vergeben. Ausge- Wer die Bildung eines Betriebsrats oder strahlt wurde der Beitrag am 15. Juli dessen Arbeit behindert, macht sich straf- 2015 im MDR, im politischen Magazin bar. Eigentlich. Der Schutz des Betriebsver- „exakt“. fassungsgesetzes läuft in der Praxis nämlich meist ins Leere. Denn viel zu selten kommt Einschüchtern, abmahnen, mobben – es zur Anklage. wenn es gegen Betriebsräte geht, lassen Die Fakten in dem siebenminütigen Film sich manche Firmen einiges einfallen. Am sprechen für sich. Für die Jury steht außer Beispiel eines Heimtextilienherstellers aus Frage, dass Christine Schönfeld und Anja Bayern berichten sie in ihrer Fernseh-Repor- Neubert einen wichtigen, einen preiswür- tage, wie Betriebsräte in ihrer Arbeit behin- digen Fernsehbeitrag gedreht haben. Willi dert werden. Bleicher sah die Hauptaufgabe der Gewerk- Ein Betriebsrat darf in jedem Betrieb ab schaften in der alltäglichen, konsequenten mindestens fünf Beschäftigten gegründet Interessenpolitik zu Gunsten der Arbeitneh- werden. Betriebsräte sind besonders ge- mer. Allein dieser Satz ist für die Auszeich- schützt und nahezu unkündbar, denn sie nung eigentlich Begründung genug. sollen sich ohne Angst vor Konsequenzen Herzlichen Glückwunsch zum Willi-Bleicher- für ihre Kolleginnen und Kollegen einsetzen Preis 2016. können. Soweit die Theorie. In der Realität allerdings weht Betriebsräten in deutschen Firmen ein immer rauerer Wind entgegen. Arbeitgeber können sehr einfallsreich sein im Versuch, Arbeitnehmerrechte zu schlei- fen. Zwischenzeitlich haben sich sogar Kanz- leien auf Seminare spezialisiert, in denen sie Chefs für den Kampf gegen Betriebsräte schulen. Ziel ist es, Betriebsräte zu zermür- ben; im Fall des im Film thematisierten Un- Szene aus dem Film 25 Willi Bleicher Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg von 1959 - 1972

26 Impressum:

Herausgeber: IG Metall Bezirk Baden-Württemberg Stuttgarter Straße 23 70469 Tel 0711.16581-32 Fax 0711.16581-30 www.bw.igm.de

Redaktion: Petra Otte, Karin Schneider

V.i.S.d.P.: Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter

Gestaltung: INFO & IDEE GmbH, Ludwigsburg

Herstellung: KOMESO GmbH, Stuttgart

Auflage: 350 Stück · 11/2016

27 Willi Bleicher: Sein Name steht für soziale Gerechtigkeit und Mensch- lichkeit. Er war und ist eine Symbolfigur.

Anfang des 20. Jahrhunderts im Deutschen Kaiserreich in Armut geboren, erlebte er Aufstieg und Fall der Weimarer Republik. Während seiner Haft unter den Nazis waren Leid, Hoffnung, Gewalt und Tod allgegenwärtig. Die Jahre bis zur Niederschlagung des Faschismus haben ihn gleichermaßen desillusioniert und gestärkt. Sie haben aus Bleicher einen Menschen mit Haltung, Statur und Charisma gemacht. Sie prägten den großen Antifaschisten und Arbeiterführer, der Willi Bleicher bis zu seinem Tod war.

Was liegt also näher, als einen Preis nach einem Menschen zu benen- nen, der immer einstand für Menschlichkeit und Gerechtigkeit.

Die IG Metall verleiht den Willi-Bleicher-Preis an Journalistinnen und Journalisten, die mit ihrer Arbeit die Arbeitswelt für Leser, Hörer und Betrachter erlebbar machen.

www.willi-bleicher-preis.de