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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Willi Bleicher Widerstandskämpfer und Gewerkschafter Von Hermann G. Abmayr Sendung: Freitag, 29. April 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Udo Zindel Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch sogenannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de MANUSKRIPT OT 01 Willi Bleicher: Das erste, was ich in Buchenwald erlebte, war, dass ich von der politischen Abteilung vernommen wurde. Da kamen all diese Zugänge und mussten dort stehen. Und da wurde jeder einzelne gefragt, weshalb er hier sei. Und dann sagte der eine, er wisse es nicht, warum er hier wäre. Und dann wurde er derartig geprügelt, mit dem Kopf an die Wand geschlagen; er brach zusammen. Ansage: "Wer nicht kämpft, hat schon verloren" – Willi Bleicher: Widerstandskämpfer und Gewerkschafter". Eine Sendung von Hermann G. Abmayr. OT 02 Willi Bleicher: Und dann wurden wir ins Lager geführt. Und im Lager wurde uns gesagt: "Ihr seid nicht mehr im Gefängnis hier, nicht im Sanatorium. Da ist der elektrische Zaun. Wer glaubt, es nicht durchhalten zu können, der möge doch in den elektrischen Zaun gehen. Dann wird alsbald Feierabend sein." So wurden wir empfangen und wurden dann über den Appellplatz in die Baracken gejagt. Sprecher: Was Willi Bleicher hier erzählte, hat sein ganzes Leben geprägt: Der Widerstandskämpfer aus Stuttgart war Häftling im Konzentrationslager Buchenwald. Dort riskierte er sein Leben, um ein Kind zu retten. Später wurde er einer der bedeutendsten Funktionäre der Industriegewerkschaft Metall und verhandelte mit Managern, die im Nationalsozialismus überzeugte SS-Männer gewesen waren. Willi Bleicher führte 1963 den ersten großen Arbeitskampf in der jungen Bundesrepublik, in Baden-Württemberg. Vielen Gewerkschaftern gilt er bis heute als Vorbild. Oft zitieren sie ihn mit einem Satz von Bertold Brecht, den er gerne in seine Reden eingebaut hat: "Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren." Die Stadt Stuttgart verlieh Willi Bleicher 1979 ihre höchste Auszeichnung: die Bürgermedaille. Manfred Rommel, der damalige Oberbürgermeister, sagte, in Bleicher verbinde sich "das Charisma des Arbeiterführers mit der Vernunft des Sachkundigen und der Menschlichkeit dessen, der mehr Unmenschlichkeit ertragen musste, als andere". Willi Bleicher kommt am 27. Oktober 1905 in Stuttgart-Bad Cannstatt zur Welt. Sein Vater arbeitet als Schlosser "beim Daimler", wie die Schwaben sagen, im Werk Untertürkheim. Willi macht Anfang der 20er-Jahre eine Bäcker-Lehre, was er später gerne verschweigt, denn es zieht ihn, nach der Gesellenprüfung, zu den selbstbewussten Metallern. Zumindest für kurze Zeit kann er bei Daimler arbeiten, als Hilfsarbeiter in der Gießerei. OT 03 Willi Bleicher: Ich habe damals verdient, ich glaube 52 oder 53 Pfennige die Stunde, bei schwerster Arbeit. Da gab es keine Hitzezulage oder Gießereizulage oder sonst irgendwas. Wir haben 10 Stunden gearbeitet. Wir haben eine halbe Stunde Mittagspause gehabt. Da gab es keine Kantine. Das Essen wurde dann von der Essensträgerin, das heißt, die 2 Mutter kochte das Essen zu Hause und dann wurde das in so einen Behälter eingepackt, es wurde dann zum Werk gefahren. Sprecher: Das erzählte Willi Bleicher 1973 dem Journalisten Klaus Ullrich, der eine Biographie über ihn verfassen wollte. Es ist das mit Abstand offenste und umfassendste Interview mit Bleicher. Ullrich, der beim Süddeutschen Rundfunk gearbeitet hatte, kannte den Gewerkschafter von Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfen. Bevor er die Biographie schreiben konnte, starb Ullrich. Der SWR strahlt erstmals Teile seines Interviews aus. Musik "Brüder zur Sonne zur Freiheit" (1. Strophe"): "Brüder zur Sonne zur Freiheit, Brüder zum Lichte empor. Hell aus dem dunklen Vergangenen leuchtet die Zukunft hervor." Sprecher: In den Zwanzigerjahren ist der Erste Mai noch nicht arbeitsfrei. Doch Willi Bleicher erlebt schon als Kind, dass es ein besonderer Tag ist, der "Kampftag der Arbeiterklasse", wie viele Linke ihn nennen. Man organisiert Umzüge, es wird gefeiert und gesungen. "Brüder zur Sonne zur Freiheit" zum Beispiel, das beliebteste Arbeiterlied nach dem Ersten Weltkrieg. Musik "Brüder zur Sonne zur Freiheit" (2. Strophe): Seht, wie der Zug von Millionen endlos aus Nächtigem quillt..." Sprecher: Während der Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er-Jahre ist Willi Bleicher meist arbeitslos, wie viele junge Männer damals. Sechs Millionen Menschen müssen stempeln gehen, um Unterstützung zu bekommen, die zum Sterben zu viel ist – und zum Leben zu wenig. Bleicher prangert die soziale Ungerechtigkeit der Weimarer Republik an. Schon als 17-Jähriger engagiert er sich bei der Kommunistischen Jugend – dem Jugendverband der KPD. Die Arbeitslosigkeit greift in den Krisenjahren immer weiter um sich. Während sich viele Betroffene ins Private zurückziehen, depressiv werden oder ihren Frust mit Alkohol zu ertränken suchen, nutzt Bleicher die Zeit für politische Arbeit und um sich politisch zu bilden. OT 04 Willi Bleicher: Ich weiß keine Stunde in dieser Zeit, die ich verplempert hätte. Im buchstäblichen Sinne verplempert. Tanzstunden waren nicht drin. Wir sind auch nie tanzen gegangen oder irgend zu anderen billigen Veranstaltungen. Und selbst der verregnete Tag wurde mitbenützt zum Lesen von Literatur. Der kommunistische Jugendverband hatte eine Bibliothek, und die Bücher wanderten von Hand zu Hand. 3 Sprecher: In der Kommunistischen Jugend bewahrt Bleicher seinen eigenen Kopf. Ihm gefällt der stalinistische Kurs der KPD nicht, der immer stärker von Moskau vorgegeben wird. Er schließt sich parteiinternen Dissidenten an, den sogenannten Oppositionskommunisten. Sie fordern eine Einheitsfront gegen den rasch erstarkenden Faschismus. Umgehend wird Bleicher aus der KPD ausgeschlossen. Anfang 1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler gewählt. Schon bald werden Funktionäre der Gewerkschaften und linker Parteien verhaftet; sie verschwinden in "Schutzhaft", wie das die nationalsozialistischen Machthaber nennen. In der Stuttgarter Arbeitersiedlung Luginsland durchsucht die Polizei auch das Häuschen, in dem Bleicher und seine Eltern wohnen. Der mittlerweile 25-Jährige taucht unter. Den 1. Mai 1933 erlebt er in Würzburg, wo er für kurze Zeit Unterschlupf findet. Zum ersten Mal ist der Tag der Arbeit ein Feiertag. Ausgerechnet das diktatorische Regime der Nationalsozialisten hat diese alte Forderung der Arbeiter erfüllt. Doch auf Geheiß der Nazis müssen Arbeitervertreter zusammen mit Unternehmern marschieren. Der Großdeutsche Rundfunk überträgt eine Hitler-Rede. OT 05 Hitler-Rede zum 1. Mai 1933: Nur wenn Ihr alle selbst eins werdet in dem Willen, Deutschland zu retten, kann in Deutschland auch der deutsche Mensch seine Rettung finden. Sprecher: Einen Tag später, am 2. Mai, besetzt das nationalsozialistische Regime die Gewerkschaftshäuser und entlässt alle Funktionäre. Willi Bleicher flieht in die Schweiz und von dort weiter nach Frankreich. Erst ein Jahr später wagt er sich nach Stuttgart zurück. Dort findet er ein Auskommen als Hilfsarbeiter bei einer Baufirma. Bleicher schließt sich einer Widerstandsgruppe an, die sich "Neckarland" nennt, da die meisten ihrer Mitglieder in den Stuttgarter Neckarvororten leben. Sie verstecken eine Schreibmaschine und einen Hektografierapparat in einem Keller, drucken Flugblätter mit Meldungen, die sie per Kurier aus der Schweiz erhalten. Und sie sammeln Geld für die Familien verhafteter Nazi-Gegner. Nachdem ein Spitzel die Gruppe verraten hatte, wird Willi Bleicher verhaftet und wegen Vorbereitung von Hochverrat zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Er sitzt seine Strafe in Ulm ab. Doch danach wird er nicht freigelassen. Die Geheime Staatspolizei bringt ihn ins Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, ohne Angabe, wann er wieder entlassen werden soll. Im KZ trifft Bleicher auf ehemalige Genossen aus Württemberg. Die politischen Häftlinge schließen sich heimlich zusammen, um die Willkür des Lagers erträglicher zu machen und sich gegenseitig zu helfen. Selbst einen Aufstand schließen sie nicht aus. Sie besorgen Waffen und verstecken sie im Lager. Den 1. Mai feiert die Gruppe, zu der Willi