Plenarprotokoll 14/165

Deutscher

Stenographischer Bericht

165. Sitzung

Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 14: des Verbraucherschutzes und zur Unterstützung der landwirtschaftli- – Zweite und dritte Beratung des von den chen Betriebe erforderlich Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 14/5544, 14/5722) . . . . 16126 B DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetzbuchs – Neuntes b) Antrag der Abgeordneten Ulrich Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Heinrich, Marita Sehn, weiterer Abge- Teilhabe behinderter Menschen ordneter und der Fraktion der F.D.P.: (Drucksachen 14/5074, 14/5786, Hungernden Menschen in Nordkorea 14/5800) ...... 16113 A BSE-negativ getestetes Rindfleisch liefern und nicht vernichten – Zweite und dritte Beratung des von der (Drucksache 14/5479) ...... 16126 C Bundesregierung eingebrachten Ent- Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 16126 C wurfs eines Sozialgesetzbuchs – Neun- tes Buch – (SGB IX) Rehabilitation Iris Hoffmann (Wismar) SPD ...... 16128 D und Teilhabe behinderter Menschen Ulrich Heinrich F.D.P...... 16129 D (Drucksachen 14/5531, 14/5639, 14/5786, 14/5800) ...... 16113 B Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU ...... 16130 C Silvia Schmidt (Eisleben) SPD ...... 16113 B Renate Künast, Bundesministerin BMVEL 16131 C CDU/CSU ...... 16114 D Ulrich Heinrich F.D.P...... 16132 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 16117 B Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . 16133 A Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P...... 16119 A Kersten Naumann PDS ...... 16134 C Dr. Ilja Seifert PDS ...... 16120 C Jürgen Koppelin F.D.P...... 16135 D Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin , Bundesminister BMA ...... 16121 B BMZ ...... 16136 A Matthäus Strebl CDU/CSU ...... 16123 A Hartmut Schauerte CDU/CSU ...... 16136 C Karl-Hermann Haack, Behindertenbeauftragter Albert Deß CDU/CSU ...... 16138 A der Bundesregierung ...... 16124 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 16140 A Tagesordnungspunkt 15: Ulrich Heinrich F.D.P...... 16140 D a) Beschlussempfehlung und Bericht des Matthias Weisheit SPD ...... 16141 D Ausschusses für Verbraucherschutz, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . 16143 A Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/ Sofortmaßnahmen zur Verbesserung DIE GRÜNEN ...... 16143 D II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Tagesordnungspunkt 16: Zusatztagesordnungspunkt 16: – Zweite und dritte Beratung des von den Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- schusses für Wirtschaft und Technologie zu SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten dem Antrag der Abgeordneten Rolf Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung Kutzmutz, Dr. , weiterer des Rechts der Untersuchungsausschüsse Abgeordneter und der Fraktion der PDS: des Deutschen Bundestages (Untersu- Zukunftschancen des deutschen und eu- chungsausschussgesetz) ropäischen Schiffbaus nachhaltig ver- bessern (Drucksachen 14/2518, 14/5790) . . . . 16144 B (Drucksachen 14/5457, 14/5815) ...... 16157 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. , Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten Tagesordnungspunkt 18: und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten a) Zweite und dritte Beratung des von der Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung Bundesregierung eingebrachten Ent- des Rechts der Untersuchungsausschüsse wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- des Deutschen Bundestages (Untersu- derung des Künstlersozialversiche- chungsausschussgesetz) rungsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 14/2363, 14/5790) . . . . 16144 B (Drucksachen 14/5066, 14/5792) . . . . 16158 A Hermann Bachmaier SPD ...... 16144 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Andreas Schmidt (Mülheim) CDU/CSU . . . . 16146 C Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung Dieter Wiefelspütz SPD ...... 16147 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE Dr. , Hans- GRÜNEN ...... 16148 D Joachim Otto (Frankfurt am Main), Jörg van Essen F.D.P...... 16150 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Dr. Evelyn Kenzler PDS ...... 16152 B Reform der Künstlersozialversi- Erika Simm SPD ...... 16153 B cherung gerecht gestalten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 16154 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Dieter Wiefelspütz SPD ...... 16155 C Dr. , Dr. Heidi Knake- Werner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Tagesordnungspunkt 17: Für eine grundlegende Reform Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- der Künstlersozialversicherung schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang (Drucksachen 14/4929 [neu], 14/5086, Börnsen (Bönstrup), , weiterer 14/5792) ...... 16158 A Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Herstellung fairer Wettbe- werbsbedingungen für die deutsche und Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA 16158 B europäische Werftenindustrie Karl-Josef Laumann CDU/CSU ...... 16159 D (Drucksachen 14/5137, 14/5797) ...... 16157 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE in Verbindung mit GRÜNEN ...... 16161 C Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P...... 16162 D

Zusatztagesordnungspunkt 13: Dr. Heinrich Fink PDS ...... 16163 D Angelika Krüger-Leißner SPD ...... 16164 B Antrag der Abgeordneten Dr. , Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie Tagesordnungspunkt 19: der Abgeordneten Kersten Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des a) Zweite und dritte Beratung des von der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Siche- Bundesregierung eingebrachten Ent- rung eines fairen Wettbewerbs für deut- wurfs eines Gesetzes zur Änderung sche und europäische Werften des Bundesdatenschutzgesetzes und (Drucksache 14/5769) ...... 16157 B anderer Gesetze (Drucksachen 14/4329, 14/4458, in Verbindung mit 14/5793) ...... 16166 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 III

b) Beschlussempfehlung und Bericht des Tagesordnungspunkt 22: Innenausschusses zu der Unterrichtung Beschlussempfehlung und Bericht des durch die Bundesregierung: Tätigkeits- bericht 1997 und 1998 des Bundesbe- Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auftragen für den Datenschutz – – zu dem Antrag der Abgeordneten Franz 17. Tätigkeitsbericht Thönnes, Klaus Wiesehügel, weiterer (Drucksachen 14/850, 14/1012 Nr. 6, Abgeordneter und der Fraktion der 14/5353) ...... 16166 C SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE Tagesordnungspunkt 20: GRÜNEN: Eckpunkte zur Verbesse- a) Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens rung der Bekämpfung illegaler Be- Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer schäftigung und Schwarzarbeit Abgeordneter und der Fraktion der – zu dem Antrag der Abgeordneten PDS: Änderung des Zerlegungsmaß- Rainer Brüderle, Hildebrecht Braun stabs des Gewerbesteuermessbetrags (Augsburg), weiterer Abgeordneter und (Drucksache 14/5584) ...... 16167 B der Fraktion der F.D.P.: Schattenwirt- b) Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens schaft mit marktwirtschaftlichen Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Mitteln eindämmen Abgeordneter und der Fraktion der (Drucksachen 14/5270, 14/3024, PDS: Erhöhung der Gewerbesteuer- 14/5784) ...... 16169 D umlage rückgängig machen (Drucksache 14/5586) ...... 16167 B Tagesordnungspunkt 23: Dr. Uwe-Jens Rössel PDS ...... 16167 C Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter Tagesordnungspunkt 21: und der Fraktion der F.D.P.: Für ein effizi- entes und transparentes Ausfuhrgewähr- a) – Zweite und dritte Beratung des von leistungssystem den Fraktionen SPD und BÜND- (Drucksache 14/5334) ...... 16170 B NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörig- Zusatztagesordnungspunkt 14: keitsgesetzes Drucksachen 14/5335, 14/5798) 16168 D Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer – Zweite und dritte Beratung des von Abgeordneter und der Fraktion der SPD der Bundesregierung eingebrachten sowie der Abgeordneten Kerstin Müller Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion rung des Staatsangehörigkeits- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: gesetzes Für ein modernes Ausfuhrgewährleis- (Drucksachen 14/5654, 14/5798) tungssystem (Drucksache 14/5767) ...... 16170 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. , Dr. Edzard Schmidt- Zusatztagesordnungspunkt 15: Jortzig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrach- Antrag der Abgeordneten Erich G. Fritz, ten Entwurfs eines Gesetzes zur Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und Änderung des Staatsangehörig- der Fraktion der CDU/CSU: Für den Er- keitsgesetzes und des Ausländer- halt von Hermes als Instrument der gesetzes Außenwirtschaftsförderung und eine (Drucksache 14/4537, 14/5798) Reform des Hermes-Instruments im in- ternationalen Rahmen b) Beschlussempfehlung und Bericht des (Drucksache 14/5749) ...... 16170 C Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Nächste Sitzung ...... 16170 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: „Schlussoffensive“ für erleich- Anlage 1 terte Einbürgerung von Kindern (Drucksachen 14/4416, 14/5798) . . . . 16169 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 16171 A IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Anlage 2 Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P...... 16184 C Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten PDS ...... 16185 A Dr. Ilja Seifert (PDS) zur Abstimmung über Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 16185 C den Entwurf eines Sozialgesetzbuches – Neun- tes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teil- habe behinderter Menschen ...... 16172 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anlage 3 Anträge: Erklärung des Abgeordneten Rolf Kutzmutz – Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Ge- (PDS) zur Abstimmung über die Nr. 2 der Be- werbesteuermessbetrags schlussempfehlung des Ausschusses für Wirt- – Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rück- schaft und Technologie zu dem Antrag: Her- gängig machen stellung fairer Wettbewerbsbedingungen für (Tagesordnungspunkt 20 a und b) ...... 16186 D die deutsche und europäische Werftenindustrie (Tagesordnungspunkt 17) ...... 16173 C Bernd Scheelen SPD ...... 16186 D Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU ...... 16188 A Anlage 4 Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: GRÜNEN ...... 16192 A – der Beschlussempfehlung: Herstellung fai- Gerhard Schüßler F.D.P...... 16193 A rer Wettbewerbsbedingungen für die deut- sche und europäische Werftindustrie Anlage 7 – des Antrages: Sicherung eines fairen Wett- bewerbs für deutsche und europäische Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Werften Entwürfe: – der Beschlussempfehlung: Zukunftschan- – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörig- cen des deutschen und europäischen Schiff- keitsgesetzes baus nachhaltig verbessern – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörig- (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord- keitsgesetzes und des Ausländergesetzes nungspunkte 13 und 16) ...... 16173 C und zur Beratung des Antrags: „Schlussoffen- sive“ für erleichterte Einbürgerung von Kin- Dr. Margrit Wetzel SPD ...... 16173 D dern Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 16175 A (Tagesordnungspunkt 21 a und b) ...... 16193 B (Leipzig) BÜNDNIS 90/ Dr. Michael Bürsch SPD ...... 16193 B DIE GRÜNEN ...... 16177 B (Heilbronn) CDU/CSU ...... 16194 C Hans-Michael Goldmann F.D.P...... 16177 C (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE Rolf Kutzmutz PDS ...... 16178 C GRÜNEN ...... 16196 B Dr. F.D.P...... 16196 D Anlage 5 PDS ...... 16197 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatsse- – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung kretärin BMI ...... 16198 B des Bundesdatenschutzgesetzes und ande- rer Gesetze Anlage 8 – der Unterrichtung: Tätigkeitsbericht 1997 und 1998 des Bundesbeauftragten für den Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Daten-schutz – 17. Tätigkeitsbericht Anträge: (Tagesordnungspunkt 19 a und b) ...... 16179 A – Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämp- fung illegaler Beschäftigung und Schwarz- Jörg Tauss SPD ...... 16179 A arbeit und CDU/CSU ...... 16181 D – Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftli- Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE chen Mitteln eindämmen, GRÜNEN ...... 16183 D (Tagesordnungspunkt 22) ...... 16198 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 V

Leyla Onur SPD ...... 16198 D Reform des Hermes-Instruments im inter- nationalen Rahmen CDU/CSU ...... 16200 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ (Tagesordnungspunkt 23 und Zusatztagesord- DIE GRÜNEN ...... 16201 B nungspunkte 14 und 15) ...... 16204 C F.D.P...... 16202 A Rolf Hempelmann SPD ...... 16204 C Dr. Klaus Grehn PDS ...... 16203 B Erich G. Fritz CDU/CSU ...... 16206 A , Parl. Staatssekretär BMA . . . . 16203 D Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 16207 D Anlage 9 Gudrun Kopp F.D.P...... 16209 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Ursula Lötzer PDS ...... 16209 D Anträge: Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär – Für ein effizientes und transparentes Aus- BMWi ...... 16210 C fuhrgewährleistungssystem, – Für ein modernes Ausfuhrsystem Anlage 10 – Für den Erhalt von Hermes als Instrument der Außenwirtschaftsförderung und eine Amtliche Mitteilungen ...... 16211 C

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(A) (C)

165. Sitzung

Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Guten Morgen, liebe der Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5786 ist uns Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. aufgefallen, dass sie einen redaktionellen Fehler enthält, der wie folgt korrigiert werden muss: In Art. 60 Abs. 6 ist Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: die Datumsangabe 1. Januar 2002 durch die Datumsan- gabe 1. August 2001 zu ersetzen. Das ist mit den Bericht- – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen erstattern und den Fraktionen abgesprochen. – Danke. der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- NEN eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetz- buchs – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilita- ren! Selten wurde ein Gesetz, ein ganzes Gesetzbuch in tion und Teilhabe behinderter Menschen diesem Hause verabschiedet, das von einer vergleichbar breiten gesellschaftlichen und politischen Zustimmung – Drucksache 14/5074 – getragen wurde. Unser innovatives Verständnis von Poli- (Erste Beratung 144. Sitzung) tik und Demokratie, unser Ansatz, der seine Impulse in der Gesellschaft sucht, erklärt diese Zustimmung. (B) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- (D) gierung eingebrachten Entwurfs eines Sozialge- Wenn heute das Sozialgesetzbuch IX dem Deutschen setzbuchs – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabili- Bundestag zur Annahme vorliegt, hat das mit einem neuen tation und Teilhabe behinderter Menschen Verständnis von Demokratie zu tun. Damit ist gemeint, dass dieser vorliegende Gesetzentwurf nicht, wie oft zi- – Drucksachen 14/5531, 14/5639 – tiert, am grünen Tisch entstanden ist. Er ist vielmehr das (Erste Beratung 161. Sitzung) Ergebnis von intensiven Beratungen, Diskussionen, Fach- tagungen, Workshops und Anhörungen. Er ist das Ergeb- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- nis einer praktizierten partizipativen Demokratie. Dieses ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) Sozialgesetzbuch IX ist inmitten unserer Bürgergesell- – Drucksachen 14/5786, 14/5800 – schaft, im Dialog mit allen Beteiligten, mit allen Betrof- Berichterstattung: fenen, entstanden. Das ist der Politikwechsel, den wir Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt meinen. Dr. Heinrich L. Kolb (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Claudia Nolte DIE GRÜNEN) Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Ilja Seifert Das Sozialgesetzbuch IX ist nicht nur für die Men- schen, sondern auch mit und von den Menschen geschaf- Es liegen fünf Änderungsanträge der Fraktion der PDS fen worden, also mit den Bürgern und Bürgerinnen, die im sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion der Alltag unmittelbar davon betroffen sind. Den behinderten CDU/CSU und der Fraktion der PDS vor. Menschen muss zugestanden werden, dass sie Experten in Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die eigener Sache sind, mit Fähigkeiten und Kompetenzen, Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen die es endlich wahrzunehmen gilt. Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Deshalb richtet sich unser Dank ausdrücklich an alle Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kolle- Mitbürger und Mitbürgerinnen, die mit dazu beigetragen gin Silvia Schmidt, SPD-Fraktion. haben, dass wir heute das Sozialgesetzbuch IX in einem breiten parlamentarischen Konsens verabschieden wer- den. Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Bevor ich mit meiner Rede beginne, möchte ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ eine Bemerkung für das Protokoll machen. – Beim Lesen DIE GRÜNEN) 16114 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Silvia Schmidt (Eisleben) (A) Lassen Sie mich kurz einige Punkte unseres Gesetz- paar Stichworte: wohnortnahe Leistungen, Einbeziehung (C) entwurfs hervorheben. Sie zeigen nämlich exemplarisch, von familienentlastenden Diensten und Anspruch auf welche innovative Kraft dem Sozialgesetzbuch IX inne- Teilzeitarbeit für Erziehungspflichtige. Weiterhin werden wohnt und dass es neue Gedanken in die Behindertenpo- die Interessenvertretungen behinderter Frauen in allen litik nicht nur hineinträgt, sondern sie aufnimmt. Wir sind Bereichen der Integration beteiligt. entschlossen, neue Wege zu gehen, entschlossen, den Pa- Schließlich erhalten behinderte Frauen zur Stärkung radigmenwechsel in der Behindertenpolitik einzuleiten. ihres Selbstbewusstseins einen Rechtsanspruch auf Re- Eine von den Behindertenverbänden stets mit Nach- habilitationssport. Denn besonders behinderte Frauen druck gestellte Forderung ist die Neuregelung des Unter- sind im Alltag Diskriminierungen ausgesetzt. Nicht we- haltsrückgriffs bei unterhaltspflichtigen Eltern von behin- nige von ihnen – das musste ich sehr oft erfahren – fühlen derten und pflegebedürftigen Hilfeempfängern. sich hilflos und trauen sich kaum aus ihren Wohnungen. Bedürftigkeitsprüfungen wird es nach dem SGB IX im Diese Form von Rehabilitationssport kann ein erster Normalfall nicht mehr geben. Nach unserem Entwurf zah- Schritt sein, Frauen dabei zu unterstützen, ihre Ängste ab- len diese Eltern einen Pauschalbetrag von monatlich zubauen. 50 DM. Es besteht jedoch für diejenigen Eltern, denen Lassen Sie mich noch kurz eine weitere Gruppe behin- eine solche Zahlung nicht zugemutet werden kann, die derter Menschen nennen, die mehrfach benachteiligt wer- Möglichkeit, die Alternative der Bedürftigkeitsprüfung zu den und deshalb oft Spielball behördlicher Willkür und wählen, um sich von dieser Zahlung zu befreien. Das Opfer von Sparmaßnahmen sind. Ich spreche von den Prinzip der Bedürftigkeitsprüfung wird also praktisch behinderten Menschen, die, weil es einfach und billig ist, umgekehrt. ohne ihre Einwilligung in Pflegeheime abgeschoben wer- Überhaupt ist es unser Anliegen, das Prinzip der Be- den. Das wird es nicht mehr geben. dürftigkeitsprüfung und das des Nachrangs in der Sozial- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hilfe deutlich einzuschränken. Das wird durch die gegen- DIE GRÜNEN) seitige sinnvolle Ergänzung von SGB IX und einer § 40 a des Bundessozialhilfegesetzes gibt hier eindeutige zukünftigen sozialen Grundsicherung erreicht. Diese Er- Regelungen zugunsten der Pflegebedürftigen vor. gänzung garantiert behinderten Menschen einerseits die materielle Absicherung des Lebensunterhaltes im Rah- Behinderte Mitbürger und Mitbürgerinnen sind ein Teil men der Grundsicherung, das heißt im Alter und bei unserer Gesellschaft; sie gehören dazu. Mit dem Sozial- Erwerbsunfähigkeit. Andererseits steht ihnen im Rahmen gesetzbuch IX haben wir die ersten Barrieren zur gleich- des SGB IX ein breites Angebot bedürftigkeitsunab- berechtigten Teilhabe an der Gesellschaft beseitigt. Wir hängiger Leistungen zur Verfügung. Gemeint sind hiermit haben einen guten Anfang gemacht. Wir werden weiter (B) (D) die medizinische Rehabilitation und die Leistungen zur daran arbeiten. Wir werden genau beobachten, ob uns die Teilhabe am Arbeitsleben. Dazu gehören ebenso Leistun- Regelungen des SGB IX dem Ziel näher bringen, Chan- gen in den Werkstätten und in vergleichbaren sonstigen cengleichheit für alle in unserer Bürgergesellschaft zu Beschäftigungsstätten, auch in so genannten Fördergrup- schaffen. pen oder Tagesfördereinrichtungen. Der Anspruch behin- Deshalb fordern wir, den Dialog mit allen Beteiligten derter Menschen auf Selbstbestimmung und Teilhabe am und Betroffenen nicht nur fortzuführen, sondern auch aus- Leben in der Gesellschaft wird damit grundlegend ver- zubauen. Wir stehen vor einer Herausforderung. Ich for- bessert. dere auch Sie auf mitzuwirken. Auch im Rahmen der Frühförderung und Früherken- Danke. nung gehen wir einen neuen Weg. Der hier geschaffene in- novative Ansatz lässt sich unter dem Begriff Komplexleis- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tung zusammenfassen. § 30 des SGB IX sieht ausdrücklich DIE GRÜNEN) besondere nicht ärztliche Leistungen zur Früherkennung und Frühförderung vor, wobei auch interdisziplinäre heil- Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort pädagogische Förderstellen mit einbezogen werden. Wir der Kollegin Claudia Nolte, CDU/CSU-Fraktion. werden darauf achten, dass Menschen, die von Behinderung bedroht sind und die in unserer Gesellschaft behindert wer- den, sofort und unbürokratisch Hilfe bekommen – und das Claudia Nolte (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsi- dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen so früh und so umfassend wie möglich. Verabschiedung des Sozialgesetzbuches IX wird ein (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ langjähriges Vorhaben seinen vorläufigen Abschluss fin- DIE GRÜNEN) den. Schon Mitte der 70er-Jahre, bei der Schaffung des Reha-Angleichungsgesetzes, gab es Überlegungen, ein Unsere Gesetzgebung legt – das ist den daran beteilig- eigenständiges Sozialgesetzbuch für die Rehabilitation zu ten Frauen ein Herzensanliegen – einen ganz besonderen schaffen. Schon die Tatsache, dass wir dieses Gesetz Schwerpunkt darauf, dass vor allem behinderte Mütter heute verabschieden, verschafft Genugtuung und ist ein und Väter, die in unserer Gesellschaft mehrfach benach- Grund zur Freude. teiligt werden, mehr Chancengleichheit erhalten. Der erste Schritt, hier Benachteiligung abzubauen, besteht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- darin, den besonderen Bedürfnissen dieser behinderten neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Mütter und Väter Rechnung zu tragen. Ich nenne nur ein und der F.D.P.) 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Claudia Nolte (A) Das darf uns aber nicht den Blick dafür verstellen, dass nach wie vor Probleme haben, seine Leistungsansprüche (C) an ein solches Sozialgesetzbuch hohe Erwartungen ge- zusammenzusuchen und zu verstehen. knüpft werden – schon von jeher, aber auch aufgrund der Das Gleiche gilt für die einheitliche Praxis im Rehabi- Eckpunkte der Koalitionsarbeitsgruppe. Die Erwartungen litationsrecht. Denn die Leistungskataloge sind nicht an- hängen natürlich davon ab, von welchem Blickwinkel aus geglichen und aufeinander abgestimmt worden. Es gibt man auf das Rehabilitationsrecht schaut. Die Betroffenen unterschiedliche Leistungsvoraussetzungen und -kata- interessiert in erster Linie, welche Leistungsver- loge. Das heißt, an diesem Punkt bleiben wir eindeutig besserungen vorgesehen sind, welche Ansprüche neu ge- hinter dem zurück, was wir vorgehabt haben. Ich hoffe schaffen werden und wie sich das System auf sie persön- nur, dass die Gremien für gemeinsame Empfehlungen und lich auswirkt. Die Rehaträger achten darauf, dass ihnen für die Qualitätssicherung, die wir schaffen, zu der Platt- die Kosten nicht davonlaufen und wie es ihren Ein- form werden, die in den Eckpunkten beschrieben wird, richtungen geht. Deshalb sind Zielkonflikte in einem ge- und dass Zusammenarbeit, Koordination und Aufeinan- wissen Maße vorgegeben. derzugehen möglich werden. Ich möchte von den Erwartungen ausgehen, die die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Koalition selber aufgestellt hat. Das sind in der Tat recht neten der F.D.P.) hohe Ansprüche. So heißt es: Der größte Schwachpunkt des Gesetzes bleibt aller- Das SGB IX beendet die Divergenz und dings, dass es keine wesentlichen neuen Weichenstellun- Unübersichtlichkeit des bestehenden Rehabilitati- gen im Reharecht enthält. onsrechtes. Es wird angestrebt, dass ... Begriffe und Abgrenzungskriterien aller einschlägigen Regelun- (Zustimmung bei Abgeordneten der gen unabhängig von ihrem Standort vereinheitlicht CDU/CSU) werden. Was notwendig gewesen wäre, wissen Sie in der Koalition Das SGB IX errichtet eine gemeinsame Plattform, ganz genau: eine klarere Abgrenzung von Reharecht auf auf der durch Koordination, Kooperation und Kon- der einen Seite und Eingliederungsrecht bzw. -hilfe auf vergenz ein gemeinsames Recht und eine einheitli- der anderen Seite. che Praxis der Rehabilitation und der Behinderten- (Dr. Ilja Seifert [PDS]: Teilhaberecht heißt politik errichtet werden können. das! Aber sonst haben Sie Recht!) Ein erfolgreiches Rehabilitationsmanagement be- – Herr Kollege, wir sind da nicht auseinander. ginnt mit der ersten Klärung von Rehabilitationsbe- Im Rahmen der Rehabilitation werden Leistungen zu- dürftigkeit und der Bestimmung von Rehabilitations- (B) meist in einem genau beschriebenen Zeitraum mit einem (D) zielen; es muss von Anbeginn durchgehend gesichert klar definierten Leistungserfolg erbracht. Bei den Leis- sein und umfasst immer soziale, berufliche und me- tungen der Eingliederungshilfe sieht das anders aus. Dort dizinische Eingliederung. erfolgt die Leistung meistens ein Leben lang und es gibt Auch ich weiß, dass es sicherlich zu früh ist, um beur- keinen abhakbaren Erfolg nach dem Motto: Der Patient ist teilen zu können, wie sich das Gesetz in der Praxis aus- nun gesund. Der Erfolg bemisst sich daran, ob es gelun- wirken wird, ob es diesen Ansprüchen genügt. Deshalb gen ist, dem Behinderten sowohl im beruflichen als auch unterstütze ich ausdrücklich, dass wir nach einem gewis- im sozialen Bereich Teilhabe zu sichern. sen Zeitraum – etwa vier Jahre; das ist gesagt worden – (Beifall bei dem Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]) die Erfahrungen mit dem Sozialgesetzbuch prüfen und zusammenfassen und dann gucken, ob unsere Erwartun- Dass das Unterbleiben einer solchen klaren Trennung gen an das Sozialgesetzbuch erfüllt wurden oder ob es zu grundsätzlichen Problemen führt, ist unbestritten. Die noch Änderungsbedarf gibt – und das, obwohl ich in der Eingliederungshilfe hat im Bundessozialhilfegesetz Regel starke Bedenken gegen das Berichtsunwesen habe. nichts verloren; sie ist ein Überbleibsel der Geschichte. Aber in diesem Falle halte ich einen Bericht für an- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gemessen. Deshalb war es unser Ziel, sie dort herauszubekommen. Trotzdem sage ich jetzt schon, dass ich befürchte, dass Dieses Ziel haben auch Sie im Wahlkampf vertreten. Des- wir in einigen Bereichen unsere Ziele nicht erreichen wer- wegen hatten wir die Hoffnung, dass das, was wir nicht den. Dies gilt beispielsweise für eine angestrebte größere geschafft haben, wenigstens Sie schaffen. Transparenz oder eine bessere Verzahnung. Denn wir ha- ben uns – ich denke: zu Recht – entschieden, beim ge- ( [CDU/CSU]: Ja, ge- gliederten Rehabilitationsrecht zu bleiben. Es hat in den nau! Sehr richtig!) vergangenen Jahren seine Leistungsfähigkeit unter Be- Wir haben Ihnen viel zugetraut. Das ist doch auch einmal weis gestellt. etwas Schönes, oder nicht? Die Einzelvorschriften im Reharecht werden aber Dass Sie das nicht erreicht haben, führt jetzt dazu, dass durch das SGB IX nicht geändert. Sie bekommen jetzt Sie Hilfskonstruktionen schaffen und im Sozialhilferecht mehr oder weniger nur ein gemeinsames Dach. Das heißt, verankerte Prinzipien durchbrechen müssen, damit den die Gliederung und die daraus resultierende Unübersicht- Menschen, die für ihre Kinder ein Leben lang sorgen, lichkeit bleiben erst einmal bestehen. Der Einzelne wird nicht auch ein Leben lang die finanzielle Verantwortung 16116 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Claudia Nolte (A) allein überlassen bleibt. Wir dürfen diese Menschen nicht Ich bin froh, dass wir nun eine befriedigende Lösung (C) allein lassen. Wenn wir wollen, dass werdende Eltern zu gefunden haben. Sie haben in der Tat Recht: Wir können ihren Kindern auch dann Ja sagen, wenn sie wissen, dass die bestehenden Strukturen nutzen. Dadurch werden Kos- sie mit Behinderungen auf die Welt kommen, dann müs- ten vermieden und die Entscheidungs- und Finanzverant- sen sie darauf vertrauen können, dass unsere Gesellschaft wortung bleibt in einer Hand. Anderenfalls müssten wir sie nicht allein lässt. nämlich das Prinzip der Selbstverantwortung und Selbst- verwaltung aufgeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz dieser neten der F.D.P.) grundsätzlichen Bedenken wird die CDU/CSU-Fraktion dem Entwurf des Sozialgesetzbuches IX zustimmen; Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungs- denn er enthält Ansätze, auf denen man weiter aufbauen fraktionen, vielleicht wäre der eine oder andere Streit we- kann und die geeignet sind, das Selbstbestimmungsrecht niger heftig gewesen – einige von Ihnen nehme ich jetzt und die Autonomie der von Behinderung betroffenen aus, weil mit ihnen immer eine gute Kooperation be- Menschen zu stärken und damit ihre Lebensumstände zu stand –, wenn die Opposition frühzeitig ernsthaft einge- verbessern. Dazu zählen vor allen Dingen das verbesserte bunden worden wäre. Es war allerdings für die Beratung Wunsch- und Wahlrecht und die stärkere Nutzung des des Gesetzentwurfs ausgesprochen hinderlich, dass Prinzips „ambulant vor stationär“, was den Betroffenen während des Gesetzgebungsverfahrens ein Entwurf den die Möglichkeit gibt, selbst zu entscheiden, unter welchen anderen jagte. Bedingungen ihre Eingliederung, ihre Rehabilitation er- (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist folgreich ablaufen wird. immer so! Bei der Rente war das auch so!) Wir sind auch sehr für die modellhafte Erprobung des Während der Beratungen hatte man das Gefühl, dass man persönlichen Budgets; denn wir glauben, dass das Prin- immer hinterher hinkte. Das hat nicht nur uns, sondern zip der Geldleistung die Autonomie stärkt, auch wenn wir auch den betroffenen Verbänden die Arbeit erschwert; das wissen, dass es dagegen erhebliche Widerstände gibt. muss man eindeutig sagen. Ich erinnere mich an Podi- Natürlich gibt es ein Interesse daran, die stationäre Reha- umsdiskussionen, bei denen wir wussten, dass es schon bilitation aufrechtzuerhalten, weil wir diese Einrichtung wieder ein veralteter Gesetzentwurf ist, über den wir re- nun einmal haben. Wir kommen aber nicht umhin, bei Re- den. Das hat es etwas schwierig gemacht. haleistungen immer auch nach dem medizinisch Notwen- digen zu entscheiden, auch unter dem Gesichtspunkt der (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist Wirtschaftlichkeit. Hier gibt es eine Reihe von Interes- der Arbeitsstillstand unter Rot-Grün!) (B) senkonflikten, denen wir uns stellen müssen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle insbesondere den (D) Es war sicherlich auch ein Anliegen aller, die Aus- Verbänden und den betroffenen Institutionen sehr herzlich kunfts- und Beratungsrechte der Menschen mit Be- danken, die sich dort durchgebissen und uns in einer un- hinderungen zu verbessern. Ich habe schon angespro- glaublichen Weise mit ihrem Fachwissen zur Verfügung chen, dass das Rehabilitationsrecht sehr kompliziert ist. gestanden haben. Das war eine sehr gute Kooperation. Für den Einzelnen erschließt sich eben nicht ganz einfach, Wir werden auch in Zukunft auf sie angewiesen sein. wer der zuständige Rehaträger ist, welche Leistungen ihm (Beifall bei der CDU/CSU) zustehen, wie die Verfahren ablaufen und an wen er sich wenden muss. Da ist das Prinzip „Beratung aus einer Ich möchte ausdrücklich betonen, dass sich seit der öf- Hand“ gut und unterstützenswert: Ich habe nur eine An- fentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit und So- laufstelle, weiß, wie sie aussieht, und bekomme dort auch zialordnung die Zusammenarbeit mit dem Ministerium umfassende Beratung. sehr konstruktiv gestaltet und deutlich verbessert hat. An erster Stelle danke ich Herrn Wilmerstadt. Es war eine (Beifall der Abg. Katrin Göring-Eckardt sehr zufrieden stellende Zusammenarbeit. Außerdem be- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) danke ich mich bei dem Beauftragten der Bundesregie- Wir haben dies schon immer unterstützt, dabei aber rung für die Belange der Behinderten, Herrn Haack, für auch das Problem gesehen, dass verhindert werden muss, das Zusammenwirken. dass neue teure Strukturen aufgebaut werden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: Das ist doch Es freut uns, dass es dadurch möglich war, eine Reihe von gar nicht wahr! Das ist doch Unsinn!) Anliegen, die uns wichtig waren, mit in den Gesetzent- – Wir haben lange darüber diskutiert. Wir haben ferner das wurf aufzunehmen. Problem gesehen, dass die Entscheidungsverantwor- Beispielsweise ging es uns um bessere Rahmenbedin- tung und die Finanzverantwortung in einer Hand blei- gungen für die Werkstätten für Behinderte. Es war ur- ben müssen und nicht getrennt werden dürfen. sprünglich vorgesehen, bei Aufträgen an die Werkstätten den Betrag, den man auf seine Ausgleichsabgabe anrech- (Beifall bei der CDU/CSU) nen konnte, anders zu berechnen, was zu einer erhebli- Das war, Frau Kollegin Schmidt, ein entscheidender chen Bürokratie geführt und den Anreiz genommen hätte, Streitpunkt in unserer Diskussion. Hier verstehe ich auch Aufträge bei den Werkstätten auszulösen. Dass das jetzt die Sorgen der Rehabilitationsträger sehr gut. nicht mehr in dem Gesetzentwurf steht, ist wohl auch un- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16117

Claudia Nolte (A) serem Bemühen zu verdanken. Darüber bin ich froh, weil Handicap weiterentwickelt und in ein Recht auf Teilhabe (C) wir den Werkstätten das Leben nicht noch schwerer ma- umgewandelt wird. Man kann sicherlich sagen, dass das chen dürfen. Das ist schon schwer genug. noch nicht die Jahrhundertreform ist; aber es ist ein qua- litativ neuer Schritt, der vor allem eine neue Herange- (Beifall bei der CDU/CSU) hensweise beinhaltet, nämlich: Wir wollen nicht mehr Ein weiterer Punkt ist: Das Angebot der beruflichen Fürsorge, sondern Teilhabe. Insofern ist dieser Schritt an Bildung in den Werkstätten wurde in dem Gesetzent- dieser Stelle richtig. Jahrhundertreformen haben ja wurf ausdrücklich verankert. Dies geht in die richtige manchmal den Nachteil, dass man Jahrhunderte oder zu- Richtung. Es muss uns ja ein Anliegen sein, dass Werk- mindest Jahre darauf warten muss. Ich finde, dass wir es stattmitarbeiter die nötige Qualifikation bekommen, um richtig gemacht haben. in den ersten Arbeitsmarkt zu gehen. Aus diesem Grunde Sie wissen, dass wir mit dem Gesetzesvorhaben in die- ist die Verankerung der beruflichen Bildung richtig. Ein sem Hause, aber auch draußen lange Zeit auf Widerstände erster Schritt dafür ist, dass sie für zwei Jahre einen An- gestoßen sind. Das mag daran gelegen haben, dass alles, spruch auf Leistungen im Berufsbildungsbereich haben. was neu ist, immer mit Skepsis betrachtet wird. Viele Wi- Ebenso haben wir erreichen können, dass die Träger von derstände gab es aber vielleicht auch deshalb, weil man Rehaeinrichtungen genauso Partner bei der Erarbeitung nach den Erfahrungen, die heute Morgen schon beschrie- von Empfehlungen und Qualitätssicherung sind wie an- ben worden sind, nicht mehr glaubte, dass dieses Re- dere Partner auch. Denn sie sind diejenigen, die am Ende formwerk tatsächlich realisiert werden würde. Einige Wi- die Rehaleistung ausführen müssen. Sie kennen sich am derstände gibt es noch heute. Diese sind zum Teil bereits besten aus und wissen, wie die Rahmenbedingungen be- erwähnt worden. schaffen sein müssen. Deshalb wäre es töricht gewesen, sie außen vor zu lassen. Ich möchte diejenigen, die noch zweifeln, auffordern: Gehen Sie mit uns diesen Weg und schauen Sie sich an, Nicht erfolgreich waren wir jedoch – das bedauere ich was die Praxis zeigen wird! Wenn Sie dann noch immer ausdrücklich – bei der Beteiligung der Länder an der Ver- zweifeln, will ich Ihnen sagen: Wir als Grüne sind nicht sorgungsplanung. Die Länder haben in diesem Bereich mehr bereit, die Rechte von Menschen mit Handicap wei- keine Finanzverantwortung. Es ist zu befürchten, dass in ter hintanzustellen, weil Veränderungsangst oder Ver- die Entscheidung über die Errichtung von neuen sta- änderungsmüdigkeit das Alltagshandeln zu lähmen droht. tionären Rehaeinrichtungen und über andere Dinge sach- Deswegen ist dieses Gesetz ein erster großer Schritt, den fremde Erwägungsgründe einfließen. Dies bedauere ich wir hier gemeinsam tun. ausdrücklich. Ich hoffe, dass die Länder, in denen die SPD und die Grünen Regierungsverantwortung tragen, dies Nach der Erweiterung von Art. 3 des Grundgesetzes (B) nicht eines Tages bereuen. Die Wirkung, die Folge darf um das Verbot der Diskriminierung von Menschen mit (D) nicht sein, dass wir Überkapazitäten in diesem Bereich Behinderungen ist das SGB IX der erste wirksame schaffen. Schritt zur rechtlichen Umsetzung des Gleichstellungsge- botes des Grundgesetzes. Das ist ein Erfolg, den wir nicht Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, dass die unterschätzen sollten, weil wir hiermit andeuten: Es wird kritischen Anmerkungen nötig waren, auch wenn ich weitere Schritte geben, um die rechtliche Umsetzung der mich freue, dass wir heute mit großer Mehrheit das Sozi- im Grundgesetz geforderten Gleichstellung tatsächlich algesetzbuch IX verabschieden werden, gerade weil es am auf den Weg zu bringen. Der nächste Schritt wird selbst- Anfang nicht danach aussah. Uns ist klar, dass mit der verständlich ein Antidiskriminierungsgesetz sein müssen, Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs das Kapitel SGB das noch weiter geht. IX nicht beendet ist, sondern fortgesetzt werden muss. Viele Ansätze, die jetzt neu sind – ich sprach zum Beispiel Wir haben in den zwei Jahren, in denen wir am vom persönlichen Budget und von Arbeitsassistenz –, SGB IX gearbeitet haben, von manchen gehört: Was müssen weiterentwickelt und als langfristige Hilfen aus- wollt ihr eigentlich ändern? Das gibt es doch schon al- gebaut werden. Für unsere Fraktion sage ich: Wir sind les. – Das ist richtig. Vieles von dem, was in diesem Ge- dazu ausdrücklich bereit. setzentwurf steht, gibt es theoretisch schon jetzt. Doch die unzähligen Briefe und die Gespräche, die wir wohl Herzlichen Dank. alle geführt haben, sprechen eine deutliche Sprache: Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie ordnungen werden nicht umgesetzt, Ansprüche werden der Abg. Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]) in der Praxis nicht gewährt, vor allem dauert die Bear- beitung von Anträgen viel zu lange und Anträge werden Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort mitunter pauschal negativ beschieden. Das kann im All- der Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die tagshandeln passieren. Wenn es aber – das ist die Rea- Grünen. lität – zu häufig geschieht und wenn es vor allen Dingen diejenigen trifft, die mehr als andere auf Unterstützung angewiesen sind, dann ist die Politik aufgefordert zu han- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- deln. Das tun wir hiermit. NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- gen! Auch ich freue mich, dass wir heute mit einer breiten Wir wollen, dass sich Menschen mit Handicap in Zu- parlamentarischen Mehrheit – Frau Nolte hat gerade da- kunft an eine zuständige Stelle wenden, die die weiteren rauf hingewiesen – das neue SGB IX beschließen werden, Hilfen verantwortlich und zielgerichtet koordiniert. Dazu mit dem das Recht auf Rehabilitation für Menschen mit haben wir die Servicestellen geschaffen, die – das ist ein 16118 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Katrin Göring-Eckardt (A) Punkt, über den wir lange geredet haben – die vorhande- eine kreative Lösung, die deutlich macht: Es geht um (C) nen Ressourcen und Strukturen nutzen sollen. Wichtig Selbstbestimmung. Die Erfüllung des von den Betroffe- und neu ist aber, dass sie leistungsübergreifende Beratung nen erhobenen Anspruchs auf die Wahrnehmung und Ver- und Unterstützung bieten müssen. Menschen mit einem wirklichung ihrer Bedürfnisse hat nichts damit zu tun, sie Rehaanspruch sollen und dürfen nicht länger von mit einer „Sozialdecke“ einzuengen, sondern soll die ei- Person A zu Person B und von dieser wieder zu Person C gene Verantwortung stärken. geschickt werden, die sie dann wieder zu Person A In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinwei- schickt. sen, dass es zu den Nebeneffekten unseres Gesetz- Wir alle wissen, dass der Erfolg von Rehabilitation entwurfes zählt, dass Beratungsstellen bei uns nun Ser- ganz maßgeblich davon abhängt, dass sie nahtlos und di- vicestellen und Hauptfürsorgestellen in Zukunft Inte- rekt erfolgt. Aus diesem Grund haben wir nicht nur einen grationsämter heißen werden. Das mag so klingen, als verbindlichen Rahmen für den Zeitraum zwischen An- sei dies nur eine einfache Umbenennung. Aber dahinter tragstellung und Beginn der Rehamaßnahme festgelegt, steckt mehr. Es wird tatsächlich Veränderungen geben: sondern wir haben uns auch auf Sanktionsmaßnahmen Menschen mit Behinderungen werden zu Kunden und verständigt. Dies ist ein Erfolg, weil somit eine hohe Verbrauchern. Das ist das Neue an der Herangehensweise Verbindlichkeit gewährleistet wird. dieses Gesetzentwurfes. In den Ausschussanhörungen, in denen über 80 Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bände, Vertreter von Ländern und Kommunen, Leistungs- sowie bei Abgeordneten der SPD) träger und -anbieter im Bundestag zusammengekommen sind, hat sich abgezeichnet, dass auch hier eine breite Es geht um Selbstbestimmung, um Selbstverantwor- Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf vorliegt. Das hat tung, ja um Mitbestimmung. Wir wollen einklagbare selbstverständlich damit zu tun, dass dieser Gesetzentwurf Rechte, mit denen man sich wirklich gegen Benachteili- gut ist, aber wohl auch damit, dass wir ihn in einem neuen gungen zur Wehr setzen kann. Im SGB IX haben wir das Stil erarbeitet haben: Wir haben von Anfang an alle Be- unter anderem durch die Beweislastumkehr bei Nicht- teiligten, die Verbände bis hin zu den Selbsthilfegruppen, berücksichtigung im Bewerbungsverfahren, durch die in einer Weise eingebunden, wie wir es noch bei keinem Festschreibung eines Verbandsklagerechtes sowie durch anderen Vorhaben gemacht haben. Wir haben deutlich ge- die Sicherung eines barrierefreien Zugangs zu Soziallei- macht, was bürgernahe Politik ist. Auch deswegen wird stungen verwirklicht. Dazu gehört auch das, was wir zum dieses Gesetz ein großer Erfolg sein. Thema Integration in den Arbeitsmarkt bereits in der Vergangenheit beschlossen haben. Wir alle wissen, dass Wir haben endlich festgeschrieben, dass Menschen, die das ein ganz zentraler, wenn nicht der zentrale Punkt beim (B) in einer Behinderteneinrichtung leben, auch dort An- Thema Integration ist. Wir haben die Integration mit dem (D) spruch auf Pflegeleistungen haben. Kein behinderter Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz und vor allen Din- Mensch darf in Zukunft aus Kostengründen in eine Pfle- gen dadurch verwirklicht, dass für Menschen mit Handi- geeinrichtung abgeschoben werden. cap der erste Arbeitsmarkt Vorrang hat. Arbeitsassistenz, die Unterstützung von Integrationsunternehmen und die Es ist nach langen Verhandlungen gelungen, den Un- flächendeckende Einrichtung von Integrationsfachdien- terhaltsrückgriff auf Eltern behinderter Kinder aufzu- sten sind sehr bedeutende Instrumente zur Verwirklichung heben – darauf ist heute Morgen schon hingewiesen wor- unserer Ziele. den – und durch eine Pauschalierung zu ersetzen. Dies freut mich sehr, weil damit eine große Ungerechtigkeit Wir haben im SGB IX hervorgehoben, dass den Belan- beseitigt worden ist, die wir in der Vergangenheit hatten. gen von Frauen – darauf ist schon hingewiesen worden – Wir werden damit ein Aufatmen nicht nur in den Fami- ebenso wie den spezifischen Bedürfnissen von seelisch lien, sondern auch in den Amtsstuben erreichen. Behinderten Rechnung getragen werden muss. Das halte ich insofern für wichtig, als manche Handicaps nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sichtbar, nicht offensichtlich, nicht mitteilbar oder sowie bei Abgeordneten der SPD) schwierig zu vermitteln sind, sodass diese Menschen aus Das Leben mit einem behinderten Kind darf in dieser unserer Solidarität herauszufallen drohen. Gesellschaft eben nicht mehr als Schicksal oder schweres Man soll mit großen Worten nicht um sich werfen, aber Los aufgefasst werden. Das Leben mit einem behinderten ich muss sagen: Ich bin froh, dass wir dieses Gesetz heute Kind ist einfach nur anders. Wir als Gesellschaft haben die beschließen werden. Ich glaube, heute ist ein guter Tag, Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Schwierigkeiten, Handi- und zwar nicht nur für die Menschen mit Behinderungen, caps oder Barrieren, die wir aufgebaut haben, abgebaut sondern für die gesamte Gesellschaft. Wenn wir uns in un- werden und dass das Leben mit einem behinderten Kind, serer Unterschiedlichkeit gegenseitig anerkennen, wahr- wie überhaupt das Leben mit Handicap, nicht durch nehmen und als Gleiche stützen, so würde ich das als so- gesellschaftliche Barrieren zusätzlich erschwert wird. zialstaatliche Modernität bezeichnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Dank an die sowie bei Abgeordneten der SPD) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums und Dabei geht es nicht allein um das Verteilen von finan- der Fraktionen sagen, die in einem langen Arbeitsprozess ziellen Mitteln; denn das entwürdigt und entmündigt. Die vielleicht manchmal selbst nicht mehr daran geglaubt ha- Ermöglichung persönlicher Budgets ist ein Beispiel für ben, zu einem Ende zu kommen. Lassen Sie mich einen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16119

Katrin Göring-Eckardt (A) Dank an die vielen engen Beraterinnen und Berater sagen, tuation. Unser Alltag sieht anders aus als der von Familien (C) die dafür gesorgt haben, dass wir ein Gesetz auf den Weg mit nicht behinderten Kindern. – Sie haben gefragt: bringen, das in vielen Details sehr lange diskutiert worden Warum mutet uns dieser Staat Jahr für Jahr eine unwür- ist und – wie ich glaube – tatsächlich neuen Schwung in dige Zeremonie zu, warum müssen wir uns Jahr für Jahr die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behin- einer Bedürftigkeitsprüfung unterziehen, obwohl am derung bringt, in ein Miteinander, das auf Gleichheit und Ende keine nennenswerten Förderbeträge fließen? – Ich Gleichberechtigung beruht. glaube, es ist sehr wichtig, dass wir es mit diesem Gesetz schaffen, hier eine Änderung zu erreichen und die betrof- Vielen Dank. fenen Familien entsprechend zu entlasten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der F.D.P.) und bei der SPD) Es wurde weiter gefragt: Warum kann ich meinem be- hinderten Kind nicht, wie anderen Kindern auch, ein Erbe Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort übergeben? Warum muss, wenn mein behinderter Sohn dem Kollegen Heinrich Kolb, F.D.P.-Fraktion. oder meine behinderte Tochter nach der Erbschaft weiter in einer Behindertenwerkstatt ist, das ererbte Vermögen Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe dafür eingesetzt werden? Auch diesem Problem hat sich Kolleginnen und Kollegen! Auch die F.D.P.-Bundestags- der Gesetzentwurf gestellt. Das ist wichtig, weil wir erst- fraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf unter Ab- mals, bedingt durch unsere Geschichte, eine Erbengenera- tion haben und es viele behinderte Menschen gibt, die ein wägung der erreichten Fortschritte und der weiterhin of- Erbe antreten werden. Diesen Menschen kann mit diesem fenen Fragen zustimmen. Ich denke, dass dieser breite, Gesetz geholfen werden. übergreifende Konsens, mit dem wir diese Neuregelung auf den Weg bringen, für die behinderten Menschen in un- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten serem Lande ein Signal dafür ist, dass wir auf dem Weg der CDU/CSU) voranschreiten, der bei Art. 3 Abs. 3 begonnen hat und in der letzten Legislaturperiode mit der Entschließung zur Natürlich profitieren auch die Geschwister behinderter Menschen von der Abschaffung der Bedürftigkeitsprü- Pflegeproblematik weiter beschritten worden ist. Das ist fung, die der Gesetzentwurf vorsieht. All das kommt in ei- ein ganz wichtiger Punkt. ner Vielzahl von Fällen zum Tragen, in denen Familien (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten schwerbehinderte oder schwerstbehinderte Kinder groß- der CDU/CSU) ziehen. Auch die Entlastung nach dem 27. Lebensjahr ist ein ganz wichtiger Punkt. (B) Es ist schon gesagt worden: Zäh war das Verfahren von (D) der Koalitionsvereinbarung über die relativ hoch fliegen- Ich möchte auch nicht vergessen, die Regelungen zu den Eckpunkte, über verschiedene Schritte im Nähe- den heilpädagogischen Maßnahmen für schwerstbe- rungsverfahren und über Referentenentwürfe zu dem, was hinderte Kinder zu erwähnen. Diese Maßnahmen wer- wir heute beraten und beschließen werden. Ich glaube, die den sicherlich Geld kosten. Aber das ist ein überschau- rot-grüne Koalition brauchte auch entsprechende Zeit, um barer Rahmen von – ich schätze einmal – 20 Millionen bis wieder auf den Boden des Machbaren zurückzukehren. 30 Millionen DM. Ich glaube, dass gerade dieses Geld sehr gut angelegt ist, und begrüße deshalb diese Regelun- Ich möchte nicht anstehen, mich ausdrücklich dafür zu gen ausdrücklich. bedanken, dass es in der Schlussphase des Gesetzgebungs- prozesses doch noch gelungen ist, die Opposition in die (Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. Erika Beratungen einzubeziehen. Ich bedanke mich in diesem Lotz [SPD]) Zusammenhang persönlich bei dem Behindertenbeauf- Es gibt aber auch Kritikpunkte. Das sind die Pro- tragten Karl-Hermann Haack. Ich denke, dass unsere Ge- bleme an den Schnittstellen zwischen SGB IX, SGB XI spräche sehr hilfreich und sachdienlich gewesen sind. und SGB V sowie dem Bundessozialhilfegesetz. In der (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Anhörung und in den weiteren Beratungen wurde dazu der SPD und der CDU/CSU) einiges angesprochen und danach wurden auch einige Verbesserungen eingearbeitet. Die Regelungen zum per- Allerdings hätte manches von dem, was wir heute an Be- sönlichen Budget und zum Wunsch- und Wahlrecht – die denken vortragen, ausgeräumt werden können, wenn die können sicherlich noch verbessert werden – gehen uns Opposition schon zu einem früheren Zeitpunkt ihren beileibe nicht weit genug. Für die F.D.P. – das möchte ich Sachverstand hätte einfließen lassen können. hier klar sagen – ist es unabdingbar, auch behinderten (Susanne Kastner [SPD]: Kam der Sachver- Menschen ein weitgehend selbstbestimmtes, selbstständi- stand sehr spät, Herr Kolb?) ges und auch eigenverantwortliches Leben zu ermögli- chen. Ich glaube, in dieser Hinsicht ist das Gesetz noch Ich will Ihnen sagen, warum wir dem Gesetzentwurf ausbaufähig. zustimmen werden: Der Gesetzentwurf berührt Probleme, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten mit denen ich schon seit Beginn der Beratungen konfron- der CDU/CSU) tiert werde. Ich hatte Gespräche mit Eltern, die ein behin- dertes Kind haben. Sie haben sich nicht beklagt, sondern Es gab – wenn mich nicht alles täuscht – in allen Frak- mir gesagt: Wir sind in einer besonderen familiären Si- tionen viele Nachfragen der Gesundheitspolitiker, die ich 16120 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Heinrich L. Kolb (A) hier punktuell wiedergeben möchte. Bezüglich der Ser- Dr. Ilja Seifert (PDS): Herr Präsident! Meine Damen (C) vice- und Beratungsstellen hat sich im Vergleich zum ur- und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von sprünglichen Gesetzentwurf sicherlich eine Verbesserung der Koalition, wenn es doch der große Wurf wäre, den Sie dadurch ergeben, dass auch auf bestehende Strukturen hier verkünden! Ich würde dann gerne zustimmen und die zurückgegriffen wird. Aber man muss abwarten, ob die ganze PDS auch. Zusatzkosten, die durch die Einrichtung einer zentralen (Zuruf von der SPD: Man entzieht sich gern Anlaufstelle entstehen, in der Praxis auch tatsächlich den der Verantwortung, nicht?) erhofften zusätzlichen Nutzen bringen werden. Mit dem Gesetzentwurf – das ist wichtig – wird dafür gesorgt, dass Aber es reicht nicht aus, mit vielen betroffenen Menschen die behinderten Menschen nicht mehr von Pontius zu und den Vertretern der Behindertenorganisationen zu Pilatus geschickt werden, sondern nach relativ kurzem sprechen. Man muss auch hören, was sie sagen, und auch Weg Sicherheit haben, welche Ansprüche ihnen zustehen. tun, was sie wollen. Sie können doch nicht leugnen, dass die Hauptaussage in der Anhörung war: Da wir leider kein (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Leistungsgesetz bekommen können, diskutieren wir jetzt der CDU/CSU) über SGB IX und stimmen zu. Dann ist sicherlich zu kritisieren, dass der Weg wieder (Detlev von Larcher [SPD]: Was ist denn der stärker in Richtung Staatsplanung beschritten wird, statt richtige Weg?) den Weg in Richtung mehr Wettbewerb auch im Bereich – Der richtige Weg wäre ein Leistungsgesetz gewesen. der Rehabilitation zu gehen und zum Beispiel die Ein- Das wissen Sie auch. Alle haben ein solches Gesetz ge- richtungen der Rentenversicherungsträger endlich zu pri- fordert. Ich füge hinzu: Eigentlich bräuchten wir auch vatisieren. Zukünftig wird es eine gemeinsame Bedarfs- noch ein Barrierenbeseitigungsgesetz, das sicherstellt, planung der Rehabilitationsträger unter Beteiligung dass wenigstens in Zukunft keine neuen baulichen und der Bundesregierung und der Landesregierungen geben. kommunikativen Barrieren mehr errichtet werden, und Das heißt im Klartext, dass das, was man im Kranken- das uns dabei hilft, die bestehenden Barrieren nach und hausbereich gerade auf eine Rahmenplanung zurückzu- nach zu beseitigen. führen versucht, nun im Bereich der Rehabilitation neu eingeführt wird. Das ist für uns unbefriedigend. Die PDS wird diesem Gesetz nicht zustimmen, son- dern sich der Stimme enthalten, weil wir unseres Erach- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten tens hier nicht in der Situation der Echternacher Spring- der CDU/CSU) prozession sind, die der Kollege Behindertenbeauftragte Insgesamt wird das Gesetz entgegen den Ankündigun- gerne bemüht; vielmehr springen wir einen Schritt vor (B) und einen zurück, und es bleibt am Ende nichts. (D) gen in den Eckpunkten der Koalition nicht kostenneutral sein. Es ist nicht ganz klar, wie die Kosten gegenfinanziert Die positiven Dinge sind hier von vielen bereits ge- werden sollen, zumindest dann nicht, wenn man wie die nannt worden. Ich will die durchaus nicht kleinreden. Ich Bundesgesundheitsministerin am Grundsatz der Beitrags- freue mich auch darüber, dass sogar einige Anregungen satzstabilität festhält. Es wird sicherlich Geld für die Be- der PDS zumindest teilweise aufgenommen wurden, zum handlung kranker Menschen fehlen. Das sind zwar Punk- Beispiel, dass jetzt wenigstens anderthalb Berichte ge- te, die wichtig sind und die angesprochen werden müssen; macht werden, also einer für Reha und einer für die Teil- aber insgesamt überwiegen für uns aus den eingangs ge- habe von Menschen mit Behinderungen am Leben der nannten Gründen die Aspekte, die es uns ermöglichen, Gemeinschaft. Eines Tages werden wir auch noch zwei dem Gesetzentwurf zuzustimmen. bekommen, und dann wird man sehen, dass Rehabilita- tion und Teilhabe zwei verschiedene Dinge sind. Auch ich möchte den Behindertenverbänden danken. Ich bin vor zwei Jahren in die Sozialpolitik eingestiegen. Aber – das ist das Entscheidende – in vielen Punkten Ich muss sagen, es hat Spaß gemacht, mit den sehr enga- konnten Sie sich nicht dazu durchzuringen, tatsächlich ei- gierten Vertretern dieser Verbände zusammenzuarbeiten, nen Paradigmenwechsel vorzunehmen. Sie haben sich nicht einmal dazu durchringen können, den Bezug zum die das Wohl von Mitbürgern im Auge haben, die sicher- Artikel 3 des Grundgesetzes in diesem Gesetz herzustel- lich kein einfaches Leben haben. Ich bin stolz darauf, dass len. Sie haben ja nachher noch die Möglichkeit, unseren meine Fraktion bzw. wir alle heute einem Gesetzentwurf Änderungsanträgen zuzustimmen. Leider sieht es nicht so zustimmen werden, der das Leben der behinderten Men- aus, als ob Sie es täten. Sie haben einen Behindertenbe- schen in Deutschland ein Stück einfacher machen wird. griff angewandt, der in der Hauptsache defizitär angelegt Danke schön. und mit Einschränkungen versehen ist, die den Menschen mit Behinderungen eher zum Nachteil gereichen. Leider (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie ist das von Ihnen nicht geändert worden. Diese entschei- bei Abgeordneten der SPD – Konrad Gilges denden Punkte muss man schon einmal nennen dürfen. [SPD]: Die Lehrzeit beträgt drei Jahre! Sie ha- ben noch ein Jahr vor sich!) Auch der seit Anbeginn von allen Behindertenorgani- sationen stark kritisierte § 3a des Bundessozialhilfegeset- zes wird von Ihnen in keiner Weise geändert, geschweige Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort denn abgeschafft, wie es sich eigentlich gehört. Das muss dem Kollegen Ilja Seifert, PDS-Fraktion. endlich geschehen! Wir brauchen diesen Heimeinwei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16121

Dr. Ilja Seifert (A) sungsparagraphen nicht. Er schwebt wie ein Damokles- besseres Recht, aber vor allem geht es um ein besseres Le- (C) schwert über allen Betroffenen. ben für diese Menschen. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Leider haben Sie auch den Weg verlassen, den wir im Mai des vergangenen Jahres mit der gemeinsamen Verab- Ich erinnere daran, dass 6,6 Millionen Menschen in un- schiedung einer Entschließung dieses Bundestages – aller serem Land als Schwerbehinderte anzusehen sind und Fraktionen – eingeschlagen haben, nämlich gemeinsam dass der Kreis der Betroffenen – man denke an die An- zu sagen, wie es weitergehen soll. Wenn Sie sagen wür- gehörigen – weit über diesen Bereich hinausgeht. Wir re- den: „Das ist ein Schritt auf dem Weg; der nächste ist das den also nicht über Randgruppen, nicht über Nebensäch- Gleichstellungsgesetz, dann folgt das Leistungsgesetz, lichkeiten, sondern über Menschen, die wir alle kennen, und dann kommt das Barrierenbeseitigungsgesetz“, dann und über Lebenslagen, in die wir alle kommen können. wäre es gut. Aber Sie haben sich nicht dazu durchringen Es ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung, für können, wenigstens das verbindlich festzulegen. Wir bie- Menschen mit Behinderungen das Leben einfacher und ten Ihnen dazu nachher noch einmal die Chance mit dem vor allem besser zu machen. Wir haben uns darauf bereits Entschließungsantrag. Vielleicht können Sie sich doch in der Koalitionsvereinbarung verpflichtet. Sie kennen die noch dazu aufraffen? ersten Schritte, die getan wurden. Ich verweise auf das Es gibt auch ganz entscheidende Bereiche, wo nichts Schwerbehindertenrecht, auf unsere Kampagne, mit der verbessert oder sogar etwas verschlechtert wird. Das be- wir 50 000 behinderte Menschen in Arbeit bringen wol- trifft den Behindertensport, ungelöste Fragen der Versor- len, und auf die intensiven Anstrengungen der Bundesan- gung von psychisch kranken Menschen, unbefriedigende stalt für Arbeit. Erste Erfolge stellen sich ein. Wir haben Lösungen für behinderte Studierende, offene Fragen bei inzwischen 13 000 Schwerbehinderte in Arbeit gebracht, hörgeschädigten Menschen, restriktive Regelungen bei und wir haben die Vermittlungsquote erheblich, nämlich der Gebärdensprache usw. usf. Kurz vor Toresschluss ha- um fast 30 Prozent, angehoben. ben Sie sogar noch bei der Krankenhilfe – § 37 BSHG – (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des eine Verschlechterung herbeigeführt. Die Streichung der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Erholungshilfen steht für Verschlechterung. Anstatt Men- schen, die diese Hilfen brauchen, besser zu stellen, haben Das sind erste und sehr wichtige Schritte. Nicht nur im Sie dort eher noch Verschärfungen eingeführt. Warum Hinblick auf das Arbeitsleben brauchen wir aber umfas- das? Das können wir uns nicht gefallen lassen. sende und weit reichende systematische Lösungen für die Probleme von Menschen mit Behinderungen. Wir brau- Lassen Sie uns nicht nur den Weg der Evaluierung die- (B) chen Antworten auf die Fragen, die sich im Alltag, in der (D) ses Gesetzes gehen, sondern lassen Sie uns von vornhe- Familie oder in der Reha stellen. Es geht um die gleich- rein sagen: Wir brauchen weitere Schritte, die weit über berechtigte Teilhabe in der Gesellschaft und um die den Ansatz dieses Gesetzes hinausgehen. Dieses Gesetz Umsetzung des Benachteiligungsverbots des Grund- ist ein Rehabilitationsgesetz, aber es wird die Teilhabe gesetzes. von Menschen mit Behinderungen am Leben der Ge- meinschaft nicht so entscheidend fördern, wie dies nötig Sie alle wissen, wie schwer das Schicksal jemanden wäre und wie Sie es eigentlich selbst erklären. treffen kann, wenn er eine Behinderung erleiden und obendrein noch feststellen muss, dass die Gesellschaft da- (Beifall bei der PDS) mit nicht immer sehr menschlich umgeht. Viele können Dann haben Sie doch den Mut zu sagen: Wir sind auf ei- ein trauriges Lied von endlosen Wartezeiten – manch ei- nem Weg und nicht an einem Ziel. Das wäre gut, würde in ner musste von Pontius zu Pilatus laufen – und vom der Öffentlichkeit verstanden und wäre in keiner Weise unsäglichen Dschungel des Behindertenrechts singen. herabwürdigend, auch nicht im Blick auf Ihre Leistungen. Leider gibt es auch immer wieder Klagen über die Will- kür des Amtsschimmels, über Kompetenzstreitigkeiten, Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Sie können die zulasten von behinderten Menschen und ihren An- sicher sein: Unsere kritische Begleitung dieses Gesetzes gehörigen ausgetragen wurden, über die schweren Lasten wird die Menschen, die es betrifft, mobilisieren und uns für die betroffenen Familien oder über die schmerzhaften alle voranbringen. Erfahrungen, nicht wie ein gleichberechtigter Mensch be- (Beifall bei der PDS) handelt zu werden. Die Vielzahl der Probleme ist Legion. Ich brauche sie hier nicht im Einzelnen vorzustellen. Ich bin sicher, dass mir niemand widersprechen wird, wenn Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile Bundesmi- ich sage, dass diese Missstände überwunden werden müs- nister Walter Riester das Wort. sen, damit unsere Gesellschaft und unsere Arbeitswelt im Ganzen menschlicher werden. Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zialordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da- DIE GRÜNEN) men und Herren! Wir entscheiden heute über einen Mei- lenstein der Sozialpolitik. Wir entscheiden über nichts Schon am 19. Mai des vorigen Jahres wurde im Plenum Geringeres als über das neue Recht für viele Menschen des Bundestages ein entsprechender Entschließungsan- mit Behinderungen in unserem Lande. Es geht um ein trag einstimmig angenommen. Der Bundestag hat über 16122 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Bundesminister Walter Riester (A) alle Parteigrenzen hinweg beschlossen, dass die Integra- gensüberprüfung unterhaltspflichtiger Eltern von erwach- (C) tion von Menschen mit Behinderungen eine zentrale, eine senen behinderten Kindern, wenn sie für die Kosten einer dringliche politische und gesellschaftliche Aufgabe ist. vollstationären Unterbringung einen gewissen Beitrag Damals haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Her- aufbringen müssen. Wir machen den Zugang zu den Leis- ren, uns, die Bundesregierung, aufgefordert, das Recht tungen, mit denen behindertenbedingte Benachteiligun- der Reha möglichst umgehend in einem neuen Sozialge- gen vermieden, ausgeglichen oder überwunden werden, setzbuch zusammenzufassen und weiterzuentwickeln. schneller und vor allem weniger bürokratisch. Wir führen Wir haben dies mit einem politischen Selbstverständnis dafür wohnortnahe Servicestellen ein. Lange Wartezeiten gemacht, das von einem engen Austausch und von einer und mühsame Behördengänge sollen endlich der Vergan- engen Zusammenarbeit mit allen Beteiligten geprägt ist. genheit angehören. Ich nenne die Organisationen der behinderten Men- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schen, die Sozialversicherungsträger, die Wohlfahrtsver- DIE GRÜNEN) bände, die Vertreter der Länder und Kommunen sowie die vielen anderen, die mitberaten und mitgearbeitet haben. Wir werden dem Benachteiligungsverbot des Grund- In zahlreichen Abstimmungsrunden wurden offene Fra- gesetzes gerecht. Dafür verzichten wir auf die Bedürftig- gen geklärt, Meinungsverschiedenheiten beigelegt, Vor- keitsprüfung, um bisherige Formen der Ungleichbehand- schläge besprochen und – soweit möglich – berücksich- lung von behinderten Menschen abzuschaffen. Wir tigt. Für die gute Zusammenarbeit möchte ich mich bei werden dem gewandelten Selbstverständnis von behin- allen in diesem Saale und draußen im Lande bedanken. derten Menschen besser gerecht. Deshalb nehmen wir Rücksicht auf die persönliche Lebenssituation von Fami- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ lien und auch auf Religion und Weltanschauung. Wir DIE GRÜNEN) schaffen das Recht auf Verwendung der Gebärdensprache Ich freue mich aber auch über die gute parteiübergrei- im Verfahren vor Sozialverwaltungen und bei der Aus- fende Zusammenarbeit gerade in der Schlussphase zwi- führung von Sozialleistungen. schen den Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Es (Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sie erkennen die Ge- wurde auf Profilierung und in vielen Punkten auch auf Po- bärdensprache nicht an!) larisierung verzichtet. Ich bin überzeugt: Die Menschen draußen im Lande würden diesen Politikstil in sehr vielen Dies sind nur einige der wichtigsten Neuerungen. Punkten gerne häufiger sehen. Doch sie zeigen deutlich, wie weit die Reform reicht. Das Sozialgesetzbuch IX reformiert die Behindertenpolitik in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ unserem Lande von Grund auf. Wir erhalten eine neue und DIE GRÜNEN) (B) einheitliche Grundlage für die Praxis. Damit versetzen (D) Ihnen liegt heute der Entwurf für das neue Sozialge- wir behinderte Menschen in die Lage, ihre eigenen Be- setzbuch IX zur Abstimmung vor. Bevor der Gesetzent- lange so weit wie möglich selbst und in Eigenverant- wurf in seiner endgültigen Fassung vorlag, konnten wir wortung zu bestimmen. Wir verbessern das Leistungsan- schon viel Positives darüber hören. Beispielsweise wurde gebot so, dass es zeitgemäß und sozialer wird. gesagt: Behinderte Menschen werden künftig nicht mehr Es liegt nun an den Leistungsträgern, die neuen Mög- nur Gegenstand der Fürsorge sein. Sie werden befähigt, lichkeiten so zu nutzen und sie mit Leben zu erfüllen, dass ihr Leben und ihre Teilhabe in der Gesellschaft selbst- die gesteckten Ziele und Erwartungen erfüllt werden. Ich ständig und gleichberechtigt in die Hand zu nehmen. – So wünsche mir, dass alle Beteiligten die notwendigen An- ließe sich das zusammenfassen, was die Menschen vom strengungen unternehmen. Unser gemeinsames Ziel muss neuen Sozialgesetzbuch zu erwarten haben. Ich meine, es sein, die Dienstleistung zu den Menschen zu bringen diese Einschätzung ist richtig. und den Dienstleistungen sozusagen ein konkretes Ge- Ich will dies mit einigen Beispielen belegen: Wir er- sicht zu geben. weitern die Wunsch- und Wahlrechte der Menschen; (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ denn in der Regel wissen diese Menschen besser, was sie DIE GRÜNEN) selbst notwendig brauchen. Deshalb können sie etwa Geldleistungen wählen, falls Sachleistungen nicht zwin- Ich bin überzeugt, es wird uns gelingen. gend erforderlich sind. Wir berücksichtigen die Bedürf- Ich freue mich, dass wir uns im Plenum des Bundesta- nisse von Frauen und Kindern auf vielfältige Weise. ges und in seinen Ausschüssen über Inhalte und Ziele die- Wir geben wohnortnahen, ambulanten Leistungen den ses Gesetzes so sachlich und so kooperativ verständigen Vorrang. Wir erstatten Reisekosten für Kinder und er- konnten. Wir sind aufeinander zugegangen und haben uns möglichen passgenaue Leistungsangebote etwa bei der in fast allen Fragen einigen können. Dafür bedanke ich Teilzeitarbeit. Besonders behinderte Frauen und Kinder mich. profitieren von den rund 60 Leistungsverbesserungen. Frauen sollen nicht mehr doppelt benachteiligt sein – als Das Tor ist nun weit offen, die Behindertenpolitik jetzt Frau und Behinderte. gemeinsam auf eine neue und gesicherte Grundlage zu stellen. Damit können wir unserem Land ein menschli- Wir stellen behinderte Menschen aber auch finanziell cheres Gesicht geben. besser. So verbessern wir die Entlohnung für die Be- schäftigten in den Werkstätten für behinderte Menschen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und wir verzichten auf die Einkommens- und Vermö- DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16123

Bundesminister Walter Riester (A) Das ist wichtig; denn vor allem die Menschen mit Behin- Mit der Pflegeversicherung hat noch die unionsge- (C) derungen erwarten, dass wir diese Chance ergreifen. führte Bundesregierung – darauf möchte ich hinweisen – hierauf eine Antwort gegeben, an der wir weiterbauen Ich hoffe auf Ihre Zustimmung und möchte mich dafür wollten. Nun, da Sie regieren, testen Sie die finanzielle recht herzlich bedanken. Belastbarkeit der 44 Pflegekassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich bin überaus dankbar für das aktuelle Urteil des DIE GRÜNEN) Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zur Familien- komponente in der Pflegeversicherung. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dem Kollegen Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion. Dieses Urteil geht weit über den Beurteilungstatbestand hinaus. Matthäus Strebl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute vorliegende (Claudia Nolte [CDU/CSU]: So ist es!) Gesetzentwurf ist ein erster Schritt in die richtige Rich- Es fordert im Kern eine Reform aller Sozialversiche- tung. Er könnte zwar größer sein, doch entscheidend ist, rungsbereiche, beispielsweise auch der Rentenversiche- dass es für die betroffenen Menschen vorangeht. 6,6 Mil- rung. lionen Menschen in Deutschland sind Schwerbehinderte; das sind 8,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Verglichen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mit nichts ist das, was Sie heute vorlegen, immer noch Zwei weitere Urteile stehen noch aus: ein Urteil zur besser als gar nichts. Deshalb bestehen wir zwar auf qua- Rentenbesteuerung und ein Urteil über die letztjährige litativen Änderungen, werden dem Gesetz aber zustim- Willküranpassung bei der gesetzlichen Rentenversiche- men, denn zumindest die grobe Richtung stimmt. rung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Beim SGB IX wünschen wir uns auch in Zukunft mehr Wir haben uns 1994 gemeinsam verpflichtet, die Lage Handeln, eine bessere Finanzierung durch ein Leistungs- der Behinderten nachhaltig zu verbessern und statt Für- gesetz des Bundes und weniger Bürokratie. sorge mehr Selbstbestimmung anzustreben. Die alte Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) desregierung hatte nach der Grundgesetzänderung in Art. 3 im Jahre 1994 gesetzliche Schritte angestrebt. Mit Ein bundeseinheitliches Leistungsgesetz, mit dem die der Pflegeversicherung ist uns ein wichtiger Baustein ge- etwa 500 Millionen DM Regressleistungen über die So- lungen. zialhilfe aufgefangen würden, wäre hier die adäquate Lö- (B) sung gewesen. Es hätte wesentlich zur Vereinfachung, zu (D) Bei allen Wünschen, die wir seitens der CDU/CSU für mehr Effizienz und zu weniger Bürokratie geführt. Wir das SGB IX noch haben: Blockieren werden wir nicht. hätten für einen solchen mutigen Schritt – vergleichbar Wir sagen, was wir für falsch und was wir für korrektur- mit Blüms Pflegeversicherung – heute im Deutschen bedürftig halten, werden aber grünes Licht geben. Bundestag eine parteiübergreifende Mehrheit gefunden. (Erika Lotz [SPD]: Sagen Sie mal, was Sie Etwa 15 Milliarden DM werden derzeit alljährlich für nicht gemacht haben!) die Eingliederung behinderter Menschen gezahlt. Auf die Die Behinderten, ihre Angehörigen und die vielen Ehren- Regressleistungen der Sozialhilfeträger in Höhe von etwa und Hauptamtlichen bei den Verbänden und Einrichtun- 500 Millionen DM zu verzichten würde etwa 3 Prozent gen brauchen Perspektiven. Deshalb ist es gut, dass die der ohnehin schon mobilisierten Gelder ausmachen. SPD beim SGB IX noch in den letzten Stunden, wie heute Mehr Mut wünschten wir uns auch bei der Bereitstel- schon angeschnitten worden ist, Verbesserungen, die von lung eines persönlichen Budgets. Für die Menschen, die der Union vorgeschlagen wurden, ermöglicht hat. dieses in Anspruch nehmen könnten, wäre dies ein echter (Beifall bei der CDU/CSU) qualitativer Quantensprung. Ich betone: Wir von der CDU/CSU sagen Ja zu mehr Selbstverantwortung. Dies gilt vor allem für den Regressverzicht bei Familien mit Behinderten und das gilt für eine weniger bürokrati- (Beifall bei der CDU/CSU sowie sche Überprüfung der Leistungsbedürftigkeit durch den bei Abgeordneten der F.D.P.) Medizinischen Dienst. Die betroffenen Menschen und Unsere Pflegeversicherung zeigt, dass der Weg, aus ihre Angehörigen haben dies mehr als verdient. Leistungsempfängern Hilfe einkaufende Kunden zu ma- Fast 30 Millionen Menschen, Betroffene mit ihren An- chen, aus menschlicher und ökonomischer Sicht richtig gehörigen und die ehren- und hauptamtlich im Behinder- ist. Gerade hierdurch haben wir die familiären Kräfte ge- stärkt und das Prinzip, häusliche geht stationärer Pflege tenbereich tätigen Menschen, erwarten heute ein klares vor, erfolgreich umgesetzt. Ich stelle fest, dass das SGB Signal für mehr Integration und mehr Selbstbestimmung. IX von der Pflegeversicherung lernen kann. Wer durch die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Einführung persönlicher Budgets mehr Selbstbestim- mung erreichen will, darf sich nicht in zaghaften kleinen Diese Menschen werden wir nicht enttäuschen. Denn die Modellversuchen verlieren. Entwicklung unserer Bevölkerung zeigt, dass diese Inte- grationsaufgabe wachsen wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 16124 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Matthäus Strebl (A) Wir sollten uns in den kommenden Monaten und Jah- Meine sehr geehrten Damen und Herren, richtig ist, (C) ren darauf verständigen, dass in überschaubarer Zeit, dass diese rot-grüne Koalition das Verfassungsverspre- nicht irgendwann, sondern spätestens in drei Jahren, klare chen einlöst, welches die damalige Regierung gegeben Ergebnisse erarbeitet werden, mit denen wir politisch und 1994 in das Grundgesetz hineingeschrieben hat – Sie weiterarbeiten können. Rehabilitation und Teilhabe be- wissen, dass die Einführung dieses Verfassungsgrund- hinderter Menschen sind nämlich Ausdruck einer huma- satzes seinerzeit von allen Vertretern des Hauses be- nen Gesellschaft. schlossen worden ist –, dass nämlich Menschen mit Be- Eine Bemerkung zum Schluss: Warum soll das, was in hinderungen nicht benachteiligt werden dürfen. den skandinavischen Ländern erfolgreich erprobt wurde, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, nicht auch in Deutschland funktionieren? Wir wünschen der CDU/CSU und der F.D.P.) uns, dass das Leben von Behinderten und ihren Ange- hörigen durch mehr Mut, mehr Selbstbestimmung und In der Zwischenzeit mussten wir uns mit dem Problem mehr Tatkraft gekennzeichnet ist. auseinander setzen, dass uns die betroffenen Organisatio- Auch wenn wir dem Gesetzentwurf heute zustimmen, nen diesen Satz immer wieder vorgehalten haben: Men- bleiben wir am Ball. Beim SGB IX gilt das Gleiche, was schen mit Behinderungen dürfen nicht benachteiligt wer- für die Renten- und die Steuerreform dieser Bundesregie- den, ihnen muss es möglich werden, ein selbstbestimmtes rung gilt: Die Reform nach der Reform ist absehbar. Leben zu führen. Wir lösen, wenn dieses Gesetz zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft tritt, dieses Versprechen ein. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Darin, dass sie nun nicht länger nur Objekt der Fürsorge sind, liegt der Paradigmenwechsel zur bisherigen – ge- Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort meinsam getragenen – Politik zu Lebensentwürfen von dem Kollegen Karl-Hermann Haack, Behindertenbeauf- Menschen mit Behinderungen. tragter der Bundesregierung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Karl-Hermann Haack, Beauftragter der Bundesregie- rung für die Belange der Behinderten: Herr Präsident! Der Begriff der Zivilgesellschaft meint, dass in ihrem Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist zu Kernbereich Teilhabe und für Menschen mit Behinderun- diesem Thema Feldgottesdienst angesagt – nachdem wir gen selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden sollen. uns die letzten Male dazu kräftig auseinander gesetzt ha- Der Grundsatz gilt also auch für Menschen mit Behinde- ben. Wir wollen also die Orgel gemeinsam spielen. rungen, dass wir von der Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe ausgehen – das ist ein Projekt modernen Regie- (B) Dennoch möchte ich mir zwei Bemerkungen erlauben: (D) Herr Strebl, wenn Sie dankbar für das jüngste Verfas- rens. sungsgerichtsurteil zur Pflegeversicherung sind, dann sind (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Oh, oh, Sie dankbar dafür, dass das Bundesverfassungsgericht ein oh!) Gesetz korrigiert hat, welches Sie verabschiedet haben. Das möchte ich hier einmal öffentlich feststellen. Ich nenne drei Kernelemente, an denen ich dies klar- machen möchte. Das erste ist das Instrumentarium zur In- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tegration von Menschen mit Behinderungen in die Ar- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zu- beitswelt, in den ersten Arbeitsmarkt; das zweite ist, ruf von der F.D.P.: Ihr auch!) Selbstbestimmung durch die Eröffnung von Wunsch- und – Das war Ihr Gesetz. Wahlleistungen zu ermöglichen; das dritte ist der Abbau (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ich kann bürokratischer Hemmnisse bei der Erlangung von Instru- mich erinnern, dass Herr Haack dem Gesetz menten sozialer Teilhabe in unserem sozialen Siche- auch zugestimmt hat! –Heinz Schemken [CDU/ rungssystem. CSU]: Keine Beschimpfungen, Hermann!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Gleich wird es moderater. Integration in den ersten Arbeitsmarkt bedeutet für Als Zweites möchte ich generell etwas zu der Debatte uns, über Integrationsberatung, über die Verankerung ei- sagen: Seit 18 Jahren wird um ein SGB IX gerungen. Bis nes Rechtsanspruches auf Arbeitsassistenz – zum Beispiel zum heutigen Tage war das Glas leer. Ich freue mich da- Gebärdendolmetscher, Vorlesekraft oder Arbeitsassistenz rüber, dass das Glas jetzt halb voll ist und ich es in einem für Querschnittsgelähmte – allen Menschen die Möglich- Zug genüsslich austrinken kann. keit zu geben, nach Beratung in den ersten Arbeitsmarkt (Beifall bei der SPD) zu kommen. Der Bundesarbeitsminister hat eine vorläu- fige Bilanz gezogen: Bis zum Ende des Jahres 2000 sind Ich möchte mich für die konstruktive Zusammenarbeit rund 13 000 Menschen auf diese Art in Arbeit gekommen. in den letzten Beratungsrunden bei allen – auch bei den Es werden mehr werden. Ich bin optimistisch: Wir werden Damen und Herren der CDU/CSU- und der F.D.P.-Frak- die Zielmarke 50 000 erreichen. tion – bedanken. Ich hätte mich gefreut, wenn die PDS- Fraktion ebenfalls zugestimmt hätte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Claudia Nolte [CDU/CSU]: So sind wir!) Soweit zum ersten Kernelement. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16125

Beauftragter der Bundesregierung Karl-Hermann Haack (A) Das zweite Kernelement sind die Wunsch- und Wahl- zeitnah sein: Maximal nach sieben Wochen muss ent- (C) leistungen. Bisher hatte der Mensch mit Behinderungen, schieden werden; bisher dauerte die Entscheidung im wenn er denn einen Antrag auf Leistungen der sozialen Si- Durchschnitt 48 Wochen. Danach hat der Petent das cherungssysteme stellte, sich in seiner Bedürftigkeit mehr Recht, sich seinen Hilfsbedarf selber zu besorgen. Und: oder weniger zu inszenieren – ein unwürdiger Zustand. Einmal entschieden, ist immer entschieden. Wenn ich also Wir machen nun damit Schluss, indem wir ermöglichen, von einem System in ein anderes übergeleitet werde, wird dass neben der Sachleistung auch eine Geldleistung ge- meine gesamte Biografie nicht noch einmal von Sachver- währt werden kann. Das heißt, ein Mensch mit Behinde- ständigen neu durchgearbeitet. rung kann in bestimmten Bereichen zukünftig seinen Hilfsbedarf selber organisieren. Ich meine, hiermit stär- Das sind die drei Kernelemente unseres Entwurfs, auf ken wir ein liberales Element im Grundsatz der gesell- die wir als Bauelemente gesellschaftlicher Teilhabe Wert schaftlichen Teilhabe. Die Behinderten werden an dem legen. Punkt künftig selber entscheiden können. Ich möchte Ausblick geben, meine sehr verehrten Da- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) men und Herren: Wir werden Evaluation einführen, ein Novum in der Sozialpolitik, und beobachten, wie sich die- Ich will auch darauf hinweisen, dass es auch das so ge- ses Gesetz bis 2004 entwickelt. Externe Experten werden nannte Einweisungsverfahren nicht mehr gibt. In der Ver- uns dabei helfen, Berichte zu schreiben, Vorschläge zu gangenheit konnte ein Mensch mit Behinderungen durch machen und Kritik zu üben, aber auch Gutes zu benennen. einen bürokratischen Akt in eine stationäre Einrichtung eingewiesen werden. Jetzt ist das geändert worden, sodass Des Weiteren werden wir noch in dieser Legislaturpe- auch an dieser Stelle im Rahmen wirtschaftlicher Be- riode ein Gleichstellungsgesetz verabschieden. Eine Pro- gründbarkeit eine Wahlmöglichkeit besteht. jektgruppe hat sich gebildet, eine Koalitionsarbeitsgruppe hat ihre Arbeit bereits aufgenommen. Ich lade Sie alle ge- (Beifall bei der SPD) meinsam noch einmal ein, mit uns dieses Gleichstel- Ein weiterer Punkt: Wir haben einen Riegel vorge- lungsgesetz zu erarbeiten. Ich habe die Hoffnung, dass der schoben, sodass es den Landesfinanzministern nicht mehr Paradigmenwechsel gelingt, der darin besteht, Menschen möglich ist, sich auf Kosten der Pflegeversicherung – zu- mit Behinderungen nicht als Objekte von Fürsorge zu de- gunsten der Eingliederungshilfe – zu entlasten. Es ist also finieren, sondern ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu er- nicht mehr möglich, dass ältere Menschen mit Behinde- möglichen, damit wir diesen großen Felsbrocken auf dem rungen, die in stationären Reha-Einrichtungen leben, ge- Lebensweg von Menschen mit Behinderungen gemein- wissermaßen in Pflegefälle umgetauft werden, aus ihrer sam mit den Betroffenen zur Seite schieben. (B) Lebensumwelt herausgenommen und in Pflegeeinrich- (D) tungen untergebracht werden. Hier ist eine einvernehmli- Ich darf mich noch einmal bei Ihnen allen, bei den Ver- che Regelung mit den Ländern gefunden worden. Ich be- bänden, auch bei meinen Kritikern recht herzlich bedan- grüße das außerordentlich. ken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Zu dem dritten Punkt, dem Abbau bürokratischer Hemmnisse, möchte ich uns in Erinnerung rufen, dass Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aus- diese Bundesregierung den Umbau des Sozialstaates sprache. nicht ausschließlich als Neuorganisation der finanziellen Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- Grundlagen begreift. Vielmehr beinhaltet dieser Umbau tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie des Sozialstaates ein weiteres Kernelement, nämlich den über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf Abbau bürokratischer Hemmnisse beim Zugang zu Leis- eines Sozialgesetzbuches – Neuntes Buch – Rehabilita- tungen unseres Sozialstaates zu ermöglichen. Der Kraft- tion und Teilhabe behinderter Menschen, Drucksa- akt, den wir jetzt hier, im Sozialgesetzbuch IX, vollzie- chen 14/5074, 14/5531 und 14/5786. Der Ausschuss für hen, nämlich die Beratungssysteme von sieben sozialen Arbeit und Sozialordnung empfiehlt die Annahme der zu- Sicherungssystemen nach dem Grundsatz „Die Dienstleis- sammengeführten Gesetzentwürfe in der Ausschussfas- tung folgt dem Menschen und nicht der Mensch der sung. Dienstleistung!“ neu zu organisieren, bedeutet einen Pa- radigmenwechsel in der Selbstverwaltung der sozialen Si- Zum Gesetzentwurf liegen fünf Änderungsanträge der cherungssysteme. An diesem Punkt will ich Dank sagen: Fraktion der PDS vor, über die wir zuerst abstimmen. Nach anfänglichem Zögern und Widerständen ist nun si- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- chergestellt, dass zum 1. Juli die gemeinsamen Auskunfts- che 14/5826? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – und Beratungsstellen nach diesem genannten Grundsatz Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS ab- organisiert werden. gelehnt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) che 14/5827? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Das bedeutet: Die Dienstleistung wird zukünftig orts- Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenver- nah sein, nämlich auf Landkreisebene geregelt. Sie wird hältnis abgelehnt. 16126 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Präsident Wolfgang Thierse (A) Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Berichterstattung: (C) che 14/5828? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Abgeordneter Matthias Weisheit Der Änderungsantrag ist wiederum mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Marita Sehn, Gudrun Kopp, weiterer Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. che 14/5829? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist wiederum mit dem gleichen Hungernden Menschen in Nordkorea BSE-ne- Stimmenverhältnis abgelehnt. gativ getestetes Rindfleisch liefern und nicht vernichten Schließlich: Wer stimmt für den Änderungsantrag auf – Drucksache 14/5479 – Drucksache 14/5830? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Stimmenverhältnis abgelehnt. Landwirtschaft (f) Auswärtiger Ausschuss Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ausschussfassung mit der vorhin von der Berichterstatte- Entwicklung rin vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen um das Haushaltsausschuss Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltun- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung Aussprache eine Stunde vorgesehen. mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. bei Stimmenthaltung der PDS ange- Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. nommen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Dritte Beratung Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion. und Schlussabstimmung. Hierzu liegt mir eine Erklärung zur Abstimmung des Kollegen Dr. Ilja Seifert vor.1) – Ich Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- viel öffentliche Aufmerksamkeit für den Verbraucher- len, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Stimment- schutz und für die Agrarpolitik wie in diesen Tagen hat es haltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von wohl selten gegeben. Es gab aber auch noch nie so viele SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. bei traurige Anlässe dafür. Stimmenthaltung der PDS angenommen. (B) Bevor ich darauf näher eingehe, möchte ich eines in (D) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem den Mittelpunkt des Interesses rücken, meine Damen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Herren von der Regierungskoalition: Was bei Ihrer Ver- F.D.P.) braucherschutz- und Landwirtschaftspolitik zunehmend Wir kommen zu den Entschließungsanträgen. Wer in Vergessenheit gerät, sind die Verbraucher und die Land- stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der wirte selbst: die Verbraucher, die nicht mehr wissen, was CDU/CSU auf Drucksache 14/5804? – Wer stimmt dage- sie guten Gewissens und ohne Angst essen können, und gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit die Landwirte mit ihren Familien, die wegen BSE- und den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen MKS-Krise um ihre Existenz fürchten müssen – ganz zu die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung von F.D.P. schweigen von denjenigen Bauern, die hilflos zusehen müssen, wie ihre Herden gekeult werden, die ohne wirk- und PDS abgelehnt. same Hilfe bleiben und die in immer größerer Zahl vor der Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Vernichtung ihrer Existenz stehen. der PDS auf Drucksache 14/5823? – Wer stimmt dage- Ihre Unfähigkeit zu handeln bzw. Ihr fehlender Wille, gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist ge- aber auch das fehlende Durchsetzungsvermögen im zu- gen die Stimmen der PDS abgelehnt. ständigen Ressort bzw. der zuständigen Ministerin sind Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 15 a und für die Menschen ein Skandal. Das grenzt beinahe an un- 15 b: terlassene Hilfeleistung. Ich will daran erinnern, was alles zum Verbraucher- a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schutz und zu anderen landwirtschaftspolitischen Fra- richts des Ausschusses für Verbraucherschutz, gestellungen in den Raum gestellt worden ist: Frau Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu Künast, was ist aus dem magischen Sechseck in Ihrer An- dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU trittsrede als Ministerin geworden, Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des Ver- ( [CDU/CSU]: Ja!) braucherschutzes und zur Unterstützung der landwirtschaftlichen Betriebe erforderlich was aus dem burschikosen „Hoppla, jetzt komme ich und mache alles besser“, der angekündigten Agrarwende und – Drucksachen 14/5544, 14/5722 – dem allumfassenden vorsorgenden Verbraucherschutz? Wer Politik als Zickzackkurs zwischen den Zwängen 1) Anlage 2 der Tagespolitik versteht, dem geht schnell die konzeptio- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16127

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (A) nelle Luft aus. Wer darüber hinaus in Brüssel so oft wie Agrarwende eingesetzt, jedoch davon Abstand genom- (C) Sie gegen die Wand rennt, der kann sich logischerweise men, als Sie im Agrarministerrat keine Mehrheit gewin- kaum mehr bewegen, was Sie durch Ihr Statement in Sa- nen konnten. Sie haben sich in Brüssel gegen den Sieben- chen Maul- und Klauenseucheimpfung selbst bestätigt punkteplan von EU-Kommissar Fischler, insbesondere haben. Sie sagten dazu: Alleingänge wird es von mir nicht gegen das zweite Schlachtprogramm, zur Wehr gesetzt, geben. – Für mich ist das ein ganz klarer Fall von Domes- dann aber auf dessen schnelle Umsetzung gedrängt. tizierung. Gleichzeitig haben Sie durch Ihre Blockadepolitik die schnelle Umsetzung des ersten Ankaufprogramms ver- Ich will aber auch sagen, Frau Ministerin Künast: An hindert, das nunmehr zusätzlich durch das Auftreten der diesem Punkt wird deutlich, dass Sie Ihre Haltung vorher Maul- und Klauenseuche-Krise gehemmt wird. Sie woll- nicht gründlich durchdacht haben, sondern sie permanent ten sich für die europaweite Umstellung des Prämiensys- ändern. Sie haben in der Frage der Impfungen mit Frau tems auf die Weideflächen einsetzen. Was ist daraus ge- Höhn einen Streit vom Zaun gebrochen; ich werde darauf worden? noch zurückkommen. Wenn ich es heute der Presse rich- tig entnehme, sind Sie – wie auch in anderen Fragen – da- (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bei, einzulenken und einen anderen Kurs einzuschlagen. NEN]: Mann! Sie ist nicht mal 100 Tage im Warum denken Sie nicht erst nach, entscheiden dann und Amt!) kommen anschließend zu einem vernünftigen Weg, an- Auch auf der nationalen Ebene haben Sie Ihre Ver- statt solche Auftritte von beiden Seiten zu veranstalten? sprechen bislang nicht gehalten. Die Liste der angekün- (Beifall bei der CDU/CSU) digten und nicht realisierten Maßnahmen ist lang. Frau Künast, Sie haben sich bislang im Wesentlichen auf Frau Künast, Sie waren bei Herrn Gauck in der Talk- Absichtserklärungen beschränkt. Sie haben sich zu Be- show und wurden gefragt, was denn der Ausweg aus der ginn Ihrer Amtszeit mit starken Worten als die Retterin der BSE-Krise sei. Ihre Antwort war: Die Verbraucher müs- Verbraucher vorgestellt, als jemand, der die Probleme der sen qualitätsbewusster kaufen. – Ich übersetze das in mein Verbraucher in die Hand nimmt und sowohl für eine kurz- einfaches Deutsch: Die Verbraucher sind an der BSE- fristige Lösung der BSE-Krise als auch langfristig für eine Krise selber schuld. umfassende Gestaltung von Verbraucherschutz nicht nur Dieser Zynismus, den Sie nicht müde werden zu ver- im Lebensmittelbereich sorgt. Das alles ist nicht gesche- breiten, ist unerträglich. Es gibt Menschen in unserem hen. Land, die nicht so gut wie Sie verdienen. Diese müssen Frau Ministerin, insbesondere in der Frage der auf den Pfennig achten. Natürlich kaufen sie, was günstig flächendeckenden Impfung streiten Sie sich derzeit mit (B) ist. Sie können diese Menschen doch nicht zu Schuldigen Frau Höhn. Sie waren zunächst gegen flächendeckende (D) machen, nach dem Motto: Wäret ihr nicht so geizig, gäbe Impfungen und beginnen jetzt darüber nachzudenken, ob es kein BSE. Nein, Frau Künast, Pflicht und Schuldigkeit Sie sich nicht auf europäischer Ebene dafür einsetzen. Ihrer Politik muss es sein, dass Qualität, Qualität und nur Qualität in die Fleischtheke kommt, selbst wenn es sich (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- um Sonderangebote handelt. Auch hier genießt der Ver- NEN]: Das tut sie schon lange – wenn Ihnen das braucher Vertrauensschutz. entgangen ist!) (Beifall bei der CDU/CSU) In der Öffentlichkeit wird dies als Machtkampf zwischen zwei Frauen interpretiert. Ich sage ganz deutlich: Frau Frau Ministerin, ich glaube fast, dass Sie die MKS- Künast, es ist keine Zeit für Machtkämpfe. Es geht um die Krise im Moment schon deshalb innerlich begrüßen, weil Lösung von Fragen. Statt Frau Höhn Panikmache vorzu- sie von der BSE-Krise und ihrer Lösung ablenkt. Ich werfen und sich heute mit ihr zu einem innergrünen Gip- glaube, das kann man so nicht belassen. Denn Sie haben fel zu treffen, hätten Sie besser im Vorhinein einen ver- in dieser Frage auf den verschiedensten Ebenen immer nünftigen Weg miteinander abgesprochen. Jetzt gehen Sie nur angekündigt – wieder und wieder! im Grunde denselben Weg. Sie haben angekündigt, auf EU-Ebene ein unbefriste- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tes Verbot der Verfütterung von Tiermehlen und Tier- fetten durchzusetzen – nicht geschehen! –, Ich unterstreiche noch einmal ganz deutlich, dass wir die- sen Weg gehen müssen. (Widerspruch bei der SPD) (Matthias Weisheit [SPD]: Welchen?) das Verbot der derzeit noch legalen antibiotischen Futter- zusatzstoffe sowie von Hormonen voranzutreiben – nicht Dass meine Kritik gerechtfertigt ist, zeigen auch die realisiert! –, EU-Subventionen für Lebendtransporte zu folgenden Zitate. Ich zitiere aus der „taz“: streichen, die EU-Tiertransportrichtlinie zu überarbeiten, Renate Künast hat ihr neues Amt als Verbraucher- kürzere Transportzeiten durchzusetzen – Dringlichkeits- schutz- und Landwirtschaftsministerin mit viel Elan an- antrag auf Ihrem Parteitag; bisher nichts geschehen. getreten und auch schon einige starke und schöne Reden gehalten, Visionen entwickelt und Veränderungen gefor- Sie haben darüber hinaus einen Zickzackkurs in der dert. Sonst ist in ihrem Ressort allerdings noch nicht viel Frage der Bewältigung der BSE-Krise gefahren: Sie ha- passiert. ben sich für den Einsatz einer Arbeitsgruppe von Fach- leuten zur Erarbeitung von Reformvorschlägen für die (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) 16128 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (A) Ich zitiere das „Handelsblatt“: hörden, die sich intensiv mit wissenschaftlichen Fragen (C) auseinander setzen. Die Beratung aus dem Wissen- Renate Künast hat in Brüssel den Glanz, den sie in schaftsbereich muss systematisiert werden, und zwar den ersten Tage nach ihrem Amtsantritt auf dem nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch in Deutschland. Höhepunkt der BSE-Krise in Deutschland gewonnen Wir brauchen entsprechende wissenschaftliche Beiräte. hatte, wieder verloren. Mit forschen Sprüchen ist auf Die Grundzüge dessen wollen wir in einem Verbraucher- dem glatten EU-Parkett keine gemeinsame Agrarpo- schutzgesetz zusammenfassen. Das halte ich für eine ver- litik zu machen. nünftige Form der Vorgehensweise, über die wir kon- So lassen sich die Zitate fortführen. In der „FAZ“ steht: struktiv miteinander reden sollten. Die Neue ist acht Wochen im Amt, die Schonzeit geht Dies sollten wir auch in der Frage der Landwirt- langsam zu Ende. Grüne riefen entsetzt im Büro schaftspolitik tun, weil es wenig Sinn macht, eine Zwei- Künast an, als die Ministerin mit leeren Händen von klassenpolitik zu betreiben und zwischen den Guten und der letzten EU-Agrarministerrunde aus Brüssel den Bösen, zwischen Kleinen und Großen oder zwischen zurückkam. „Künast in Brüssel gescheitert“, titelten ökologischer und konventioneller bzw. klassischer Land- die Blätter. wirtschaft zu unterscheiden. Die Landwirtschaft der Zu- kunft ist eine gesunde Landwirtschaft in allen Bereichen: Weiter heißt es in der „FAZ“: sowohl in den bäuerlichen Familienbetrieben als auch auf Ihr Widerstand in Brüssel wurde nur belächelt. Sie den größer strukturierten Höfen. Mehr Ökologie ist gut gab ihn auf. und richtig, aber sie muss in allen Bereichen gleicher- maßen gefördert werden. Wir wollen eine Landwirtschaft, Die „taz“ zitiert aus ihrem eigenen Hause: die gesunde Lebensmittel zu angemessenen Preisen pro- Außer neuer Lyrik im Verbraucherschutz tut sich duziert – egal, ob auf dem Wege der konventionellen oder nicht viel. der ökologischen Landwirtschaft –, die Naturschutz, Um- weltschutz und artgerechte Haltung berücksichtigt – egal, Das sollen ihre eigenen Mitarbeiter gesagt haben. ob es sich um konventionelle oder um Biohöfe handelt – und die naturnah und wirtschaftlich produziert. Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Lippold, ge- In diesem Zusammenhang werben wir dafür, dass der statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt? Gedanke des Vertragsnaturschutzes immer stärker in die Diskussion eingeführt wird und stärkere Beachtung Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): findet, wie es zum Beispiel in den süddeutschen Ländern schon heute der Fall ist. Auch brauchen wir gute Rege- (B) Nein, ich möchte meine Gedanken im Zusammenhang (D) darstellen. lungen nicht nur für die Bundesrepublik selbst. Wir brau- chen solche guten Regelungen, wie es vorhin deutlich ge- (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- macht wurde, in ganz Europa. Dies gilt auch für Importe NEN]: Er traut sich nicht!) aus Drittländern: Unabhängig davon, ob es sich um ein- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss hier heimische Produkte oder um Produkte aus Drittländern auch noch das Stichwort „Tierethik“ ansprechen. Frau handelt, müssen die Anforderungen, die wir stellen, Künast, Sie haben sich nicht für die sinnvolle Kohorten- flächendeckend erfüllt sein, damit der Verbraucher wirk- keulung eingesetzt. Was bleibt, ist die unnötige und sinn- lich geschützt ist und sich keine Sorgen darüber machen lose Tötung ganzer Herden. Wie wollen Sie das mit den muss, was er in Zukunft verzehren kann. Dafür lohnt sich ethischen Grundsätzen vereinbaren, die Sie stets propa- eine gemeinschaftliche Anstrengung. gieren? Deshalb bitten wir Sie, Frau Künast, auf Ankündigun- Auch zeichnet sich bislang keine mittel- und langfris- gen in Zukunft zu verzichten und statt dessen eine kon- tige Verbesserung des Verbraucherschutzes im Ernäh- struktive Kooperation mit uns zu beginnen. Wir sind dazu rungsbereich ab. Es ist dringend erforderlich, die BSE- bereit. Forschung auch im Hinblick auf andere Schlachttiere vo- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ranzutreiben. Die Entwicklung von BSE-Tests am leben- den Tier muss vorangebracht werden. Es muss ein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) EU-weites BSE- und Scrapie-Überwachungsprogramm für Schafe und Ziegen eingeführt werden. Ich könnte Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile Kollegin diese Reihe beliebig fortsetzen; überall muss noch etwas Iris Hoffmann, SPD-Fraktion, das Wort. getan werden, aber überall sehen wir dafür noch keine vernünftigen Ansätze. Iris Hoffmann (Wismar) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Union Meine Damen und Herren! Bei dem Antrag der hat, weil sie nicht beim Negativen stehen bleiben will, ein CDU/CSU „Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des Ver- umfassendes Verbraucherschutzkonzept vorgelegt. Frau braucherschutzes und zur Unterstützung der landwirt- Ministerin, wir sind gerne bereit, mit Ihnen über eine kon- schaftlichen Betriebe erforderlich“ mögen Sie, liebe Kol- struktive Weiterentwicklung der Verbraucherschutzpoli- leginnen und Kollegen von der CDU/CSU, tief, vielleicht tik zu reden. Nach unserer Auffassung brauchen wir ein sogar sehr tief in sich gegangen sein. Trotzdem haben Sie Verbraucherschutzministerium und nachgeordnete Be- sich dabei leider wieder einmal verlaufen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16129

Iris Hoffmann (Wismar) (A) Der Großteil Ihres Antrags ist zum einen zeitlich über- – Sie hätten ja schon längst einen Antrag stellen können, (C) holt, und zum anderen argumentieren Sie schlicht mit Un- Herr Ronsöhr. wahrheiten. Wir lassen die deutschen Bauern und die (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das deutschen Verbraucher nicht allein, Herr Dr. Lippold. wurde hier doch immer anders dargestellt!) Realität ist, dass im Rahmen der bereitgestellten mehr als 900 Millionen DM für BSE-Folgekosten die Heraus- Fast alle der rund 24 Millionen dort lebenden Men- kaufaktion der bis zu 400 000 Rinder mit 362 Mil- schen leiden unter erheblichem Nahrungsmittelmangel. lionen DM finanziert wird. Recherchen der dort wirkenden Hilfsorganisationen bele- gen, dass von den pro Tag und pro Kopf benötigten 2 000 (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das passt Kilokalorien lediglich 600 Kilokalorien zur Verfügung doch hinten und vorne nicht! – Weiterer Zuruf stehen. Völlig klar ist, dass hierunter insbesondere Kin- von der CDU/CSU: Das ist doch Makulatur! Hören Sie doch auf!) der, Alte und Kranke leiden. Angesichts dieser dramati- schen Lage und der offensichtlich vorhandenen bitteren Meine Damen und Herren, die Bundesregierung be- Armut in Nordkorea wäre es fatal, in Deutschland Tau- hindert dies nicht, wie von der CDU/CSU-Fraktion be- sende Tonnen von Rindfleisch zur Marktbereinigung zu hauptet wird, sondern die erste Herauskaufaktion ist be- verbrennen. reits vor zwei Wochen angelaufen. Nicht wir, sondern die CDU/CSU-Fraktion kommt mal wieder zu spät. Vorsich- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten tige Schätzungen sprechen von etwa 100 000 Rindern in [CDU/CSU]: So ist es!) der ersten Stufe der Ankaufaktion. In der zweiten Stufe ist Eine Tonne Rindfleisch verbrennen belastet den Bundes- von zurzeit 200 000 Rindern auszugehen. Der derzeitige haushalt mit 350 DM. Die Lieferung einer Tonne BSE-ne- Stand ist, dass hierfür circa 300 Millionen DM der insge- gativ getestetes Rindfleisch nach Nordkorea kostet samt 362 Millionen DM benötigt werden. 1 700 DM. Diese Mehrkosten werden wir im Rahmen der Sicherlich ist es so, dass die insgesamt 362 Milli- für die Herauskaufaktion bereitgestellten 362 Millio- onen DM zu rund einem Drittel aus der abgesenkten Ge- nen DM finanzieren. meinschaftsaufgabe in Höhe von 125 Millionen DM fi- Ich machte bereits darauf aufmerksam, dass nach jet- nanziert werden. Außer Frage steht auch, dass dies ein zigen Schätzungen davon auszugehen ist, dass nicht alle schmerzlicher Einschnitt für das Jahr 2001, aber gleich- Mittel zum Ankauf von Rindern benötigt werden. Mo- zeitig der Beginn und die Chance ist, die Gemeinschafts- mentan gehen wir davon aus, dass bis zu 50 Mil- aufgabe an den Zielen der Agrarwende zu orientieren, das lionen DM für humanitäre Zwecke bereitgestellt werden. heißt, Schwerpunkte gemeinsam mit den Ländern neu zu Das heißt, dass zunächst einmal drei Lieferungen zu je- (B) definieren, zum Beispiel die Förderung der ländlichen weils 6 000 Tonnen Rindfleisch nach Nordkorea erfolgen (D) Entwicklung und die Förderung des ökologischen Land- werden. Diese können in der Folgezeit bis auf 30 000 baus. Um diesen Weg fortzuführen, wird hierzu zum Tonnen ausgebaut werden. Eines ist aber Fakt: Rind- 29. Juni 2001 mit den Länderagrarministern eine Kon- fleischkonserven zu produzieren und für Nordkorea be- zeption für die Fördergrundsätze 2002 vorbereitet wer- reitzustellen übersteigt den finanziellen Spielraum bei den, um so den Ländern ab dem 1. Januar 2002 an den weitem. neuen Eckpunkten orientierte Förderprogramme anbieten zu können. Eines ist klar: Als Regierungsfraktion ist es Meine Damen und Herren, den Antrag von CDU/CSU unser erklärtes Ziel, die Gemeinschaftsaufgabe entspre- lehnen wir natürlich ab, da er der Realität nicht entspricht chend der mittelfristigen Finanzplanung 2002 mit und auch noch nie entsprochen hat. Er ist eben ein Antrag 1,8 Milliarden DM fortzuführen. von gestern. Im Antrag der CDU/CSU-Fraktion erfährt man, dass (Beifall bei der SPD – Albert Deß [CDU/ das gelobte Land Bayern 600 Millionen DM für die Be- CSU]: Ihr habt keinen besseren!) wältigung der BSE-Krise bereitstellt. (Albert Deß [CDU/CSU]: Da könnt ihr nur vor Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- Neid erblassen!) gen Ulrich Heinrich, F.D.P.-Fraktion, das Wort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist schlichtweg falsch. Allenfalls sind dies 245 Millionen DM, aufgeteilt Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Kol- auf zwei Jahre. Mit den anderen Mitteln werden nicht leginnen und Kollegen! Leider Gottes steht heute diese BSE-bedingte Folgekosten finanziert. Debatte auf der Tagesordnung: Die Situation in der deut- schen Landwirtschaft ist wirklich dramatisch. Nicht nur Wir begrüßen ausdrücklich den Kabinettsbeschluss BSE, sondern auch die Maul- und Klauenseuche sind vom vergangenen Mittwoch. Die Bundesregierung geht die beherrschenden Themen. Wie die zukünftige Politik den richtigen Weg, große Teile der Ankaufaktion von diesbezüglich aussehen soll, ist kaum erkennbar. Sie hat Rindern humanitären Zwecken zuzuführen und damit der keine klare Linie und die Bäuerinnen und Bauern wissen hungerleidenden Bevölkerung in Nordkorea zu helfen. nicht, wie es weitergeht. Nicht einmal die durch die Ge- (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das setzgebung des Deutschen Bundestages von Ende 2000 haben wir lange vermisst bei euch! Da habt ihr entstandenen finanziellen Fragen sind geklärt. Es ist ein euch aber gewaltig gewandelt!) Skandal, die Familien so allein zu lassen. Es ist nicht 16130 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Ulrich Heinrich (A) verantwortbar, hier so viel über „Öko“ oder „Nicht-Öko“ etwas abgeebbt ist, können wir Tiertransporte auch wie- (C) zu reden, aber 97 Prozent der Bauern im Stich zu lassen. der verantworten. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Aus Ihrem Hause, Frau Künast, habe ich am Mittwoch Ich halte es für unverantwortlich, wie hier mit einem auf meine Nachfrage hin, wo die Hauptübertragungsrisi- ganzen Berufsstand umgegangen wird und dass man ken bei der Maul- und Klauenseuche liegen, erfahren, wirklich von Tag zu Tag eine andere Politikausrichtung dass bis auf ganz wenige Fälle, in denen es durch ver- zur Kenntnis zu nehmen hat. wandtschaftliche Beziehungen zu einer Übertragung ge- kommen ist, die Übertragung ausschließlich durch Tier- Das Marktentlastungsprogramm ist sehr spät ange- transporte erfolgt ist. Wenn es so ist, dass die laufen, nämlich gerade jetzt, zu einem Zeitpunkt, in dem Übertragung hauptsächlich auf den Tiertransporten er- die Maul- und Klauenseuche eigentlich jeden zusätzli- folgt, halte ich es für nicht verantwortbar, die erste He- chen Transport verbietet. rauskaufaktion zum jetzigen Zeitpunkt vorzunehmen. (Beifall des Abg. Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (Beifall bei der F.D.P.) [CDU/CSU] – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das haben wir mit Absicht gemacht! Da- ran sind wir schuld!) Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Heinrich, ge- statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Stetten? Ich verstehe nicht, warum man diese Aktionen gerade – Bitte. jetzt anlaufen lässt.

Als die Maul- und Klauenseuche auch die Niederlande Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): und Frankreich erreicht hatte, habe ich gesagt: Es ist nicht Herr Kollege Heinrich, können Sie mir, damit auch die mehr verantwortbar, dass wir mit dieser Herauskaufaktion Bevölkerung weiß, um welche Mengen es bei der He- – nachdem wir sie überhaupt noch nicht gestartet hatten – rauskaufaktion geht, bestätigen, dass es in Deutschland jetzt anfangen. rund 15 Millionen Rinder gibt, von denen jährlich rund (Beifall bei der F.D.P. – Hans-Michael 4 Millionen geschlachtet werden, und dass bei einer He- Goldmann [F.D.P.]: Richtig!) rauskaufaktion von 400 000 Rindern etwa 100 Milli- onen Kilogramm Fleisch anfallen? Das würde bedeuten, Frau Ministerin, das ist seuchenpolitisch nicht verant- dass wir dann, wenn jeder im Monat nur ein kleines Steak wortbar. Sagen Sie bitte nicht „Quatsch“. Sehr viele ernst essen würde, kein Fleisch vernichten, also verbrennen zu nehmende Wissenschaftler sagen genau das Gleiche müssten. (B) wie ich. In einer solchen Situation – ich erinnere nur an (D) die Fernsehbilder aus Hessen von vor zwei Tagen und (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch von gestern – zusätzliche Tiertransporte zuzulassen und dazu noch zu ermuntern, damit es überhaupt dazu – Langsam. Seien Sie vernünftig. So gutes Fleisch wie kommt, ist unverantwortbar. das, was im Moment auf dem Markt ist, haben wir über- haupt noch nicht gehabt; es ist nämlich getestet. Deswe- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten gen sollte man dies dem Verbraucher einmal sagen. der CDU/CSU) Aber meine Frage ist folgende: Wäre es angesichts der Ich meine, wir hätten gut daran getan, die erste Tatsache, dass wir gerade über die Verwertung diskutie- Tranche auslaufen zu lassen und in die zweite einzustei- ren, nicht sinnvoll, außer den 30 Millionen Kilogramm gen. Ich sage Ihnen auch, warum. Die erste Marktentla- Fleisch, die wir nach Nordkorea liefern, für die anderen stungsmaßnahme war von der Europäischen Kommission 70 Millionen Kilogramm Fleisch eine Werbeaktion zu ganz klar als Vernichtung des Fleisches definiert. Ich habe starten, damit die Verbraucher wieder Fleisch kaufen? von Anfang an gesagt: Eine Herauskaufaktion aussch- Das Geld für diese Aktion – das sind die Millionen, die ließlich zur Vernichtung des Fleisches kommt für die sonst für die Verbrennung des Fleisches genutzt werden – F.D.P.-Fraktion nicht infrage. steht der Ministerin zur Verfügung. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich habe alles unternommen, um Verbindungen zu Nordkorea herzustellen, um mit Cap Anamur und ande- Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herzlichen Dank für die ren Hilfsorganisationen Verbindung aufzunehmen, damit Frage, Herr von Stetten. Die Verbraucher sollten jetzt in es zu der Fleischvernichtung nicht kommen muss. der Tat wieder zur Normalität, zur Vernunft zurückfinden. (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NEN]: Das ist Populismus, was Sie machen! Zum Beispiel alle Mitglieder der F.D.P.!) Echt unverantwortlich!) Die Verhältnisse haben sich wieder verbessert. Wir liegen Jetzt lässt man unter seuchenpolizeilichen Gesichts- derzeit wieder bei 70 Prozent des Verbrauches von Fleisch punkten mit der Vernichtung des Fleisches eine Aktion von vor der BSE-Krise. laufen, die nicht zu verantworten ist, statt solche Maß- nahmen zu ergreifen, die es ermöglichen, das Fleisch noch ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zu verwerten. Wenn das Maul- und Klauenseuchenrisiko Zwangsverfütterung von Rindfleisch!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16131

Ulrich Heinrich (A) Aber es muss weiter für den Verzehr von Rindfleisch Ich weiß sehr wohl, dass die Impfung in die Hoheit der (C) geworben werden. Auch dieses Hohe Haus hat Mitver- Länder fällt. Aber Sie sind in Brüssel das Sprachrohr. antwortung dafür, wie wir mit diesem Thema umgehen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir hysterisch oder gehen wir mit diesem Thema Was hat Ihre Koalition gemacht?) verantwortungsvoll um? Die Länder können überhaupt nichts gegen Brüssel (Beifall bei der F.D.P.) durchsetzen, Ich kann nur dafür plädieren, dass wir verantwortungsvoll (Matthias Weisheit [SPD]: Wir auch nicht!) damit umgehen und dass wir den Bürgerinnen und Bür- gern mitteilen, dass das Fleisch, das heute verkauft wird, sondern Sie müssen in Brüssel die Dinge entsprechend zur Sprache bringen. Bisher hatte ich gedacht, Sie hätten unbedenklich und einwandfrei sowie für den Verzehr ge- eine Linie. Seit heute weiß ich: Sie haben keine Linie. eignet ist. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Bei der F.D.P. gibt es bei BSE auch keine!) der CDU/CSU) In einer solch existenziellen und wichtigen Frage kann Wenn dieses Fleisch nicht einwandfrei wäre, könnten man so nicht vorgehen. wir es auch nicht verschenken. Ich erinnere mich noch an die Diskussion Mitte Februar, als das Thema Hilfsliefe- Herzlichen Dank. rungen nach Nordkorea aufgekommen ist. Diese Diskus- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten sion hat sich auf meinen Antrag ausgewirkt. Nahezu das der CDU/CSU) gesamte Kabinett stand diesem Vorschlag ablehnend ge- genüber. Fast alle zuständigen Ministerien haben gesagt: Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Bun- Das ist Unsinn. Der Markt vor Ort wird gestört. In dieser desministerin Renate Künast das Wort. Art und Weise kann man keine Hilfe leisten.

Dass wir auf Dauer mit Verschenkungsaktionen keine Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher- Hilfe leisten können, wissen wir selber. Aber in der Situa- schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Präsident! tion, in der sich jetzt Nordkorea befindet, wo die Men- Meine Damen und Herren! Ich will mit der Nahrungs- schen Gras essen müssen und die Verhältnisse menschen- mittelhilfe für Nordkorea beginnen und dann auf einige unwürdig sind, muss eine solche Lieferung zumindest andere Fragen eingehen. überlegt werden. Wenn wir überhaupt noch einen Gedan- Über viele Jahre hinweg wurde die Nahrungsmittel- ken daran verschwenden, ob wir dieses Fleisch verbren- (B) hilfe nach dem Motto betrieben: Hauptsache, die hiesigen (D) nen oder als Hilfslieferung dorthin senden sollen, dann Berge an Butter, Magermilchpulver oder Rindfleisch wer- zeigt dies doch, wie verknöchert wir sind und dass dies den kleiner. nicht dem entspricht, was man an humanitärer Grundein- stellung von diesem Kabinett erwarten müsste. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Hört! Hört! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten schon 100 Jahre her!) der CDU/CSU) – Der Zwischenruf „Das ist doch schon 100 Jahre her!“ Ich muss schon sagen: Ich war tief enttäuscht, wie stimmt nicht. Das ist ungefähr so lange her, wie es eine lange man in der Presse darüber lesen musste, wie knall- neue rot-grüne Bundesregierung gibt. hart die Bundesregierung diese Hilfslieferungen ablehnte. (Beifall bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ich bin sehr froh, dass zum Beispiel die Welthungerhilfe Ronsöhr [CDU/CSU]: Ihr habt doch die Pro- und andere Institutionen, die durch ihre Arbeit vor Ort duktion ausgeweitet! Lügen Sie doch nicht dau- mehr Kenntnisse als diejenigen haben, die sich in ernd! – Gegenruf des Abg. Dr. Uwe Küster Deutschland aufhalten, die dringende Notwendigkeit er- [SPD]: Herr Ronsöhr, was habe ich da gehört?) kannt haben, dass hier Hilfe zu leisten ist. Frühere Regierungen haben die Frage der Wirkung von (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lieferungen auf Empfängerländer immer nur am Rande NEN]: „Brot für die Welt“ lehnt das ab!) als interessant empfunden. Ich erinnere Sie nur daran, wie intensiv Rindfleischexporte der EU aus dem Überschuss Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu Ihnen sa- nach Westafrika stattgefunden haben. Die dortigen gen, Frau Ministerin Künast. Die Landwirte haben nicht Märkte sind kaputt gemacht worden, wir haben den Men- nur einen Anspruch auf finanzielle Hilfe – das habe ich schen vor Ort nicht geholfen, eine eigene Rindfleischpro- eingangs betont –, sondern auch darauf, endlich von Ih- duktion aufzubauen, sondern haben die dort vorhandenen nen zu erfahren, wie Sie sich zu Impfungen in der Bun- Herden noch zerstört. desrepublik Deutschland stellen. Ich bin schon einiger- maßen erstaunt darüber, was man heute in der Zeitung (Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist doch ein al- lesen kann. Sie sind uns hier und heute eine klare Antwort ter Hut! Das liegt über zehn Jahre zurück!) schuldig. Ich erwarte jetzt von Ihnen, dass Sie sagen, was Ein solches Vorgehen ist nicht Politik dieser Bundesre- Sie wollen, was Sie für richtig halten und was in Zukunft gierung und deshalb haben wir uns schwer getan – ich die Politik der Bundesrepublik Deutschland ist. gebe das zu –, an dieser Stelle zu sagen: Der jetzt existente 16132 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Bundesministerin Renate Künast (A) Überschuss an Rindfleisch aus Deutschland wird an ein Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher- (C) anderes Land verschenkt. – Wir tun uns schwer damit und schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ja. werden solche Aktionen nur in begrenztem Maße durch- führen. Es muss weiterhin gelten: Entwicklungshilfe Ulrich Heinrich (F.D.P.): Ich bin sehr dankbar dafür, muss heißen, vor Ort Strukturen und Arbeitsplätze aufzu- bauen sowie dort Reis und Getreide anzubauen. dass Sie die Daten genannt haben, ab wann die zweite Herauskaufaktion starten kann. Ich möchte Sie aber bit- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten, die erste Herauskaufaktion, bei der Fleisch zur Ver- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der nichtung bestimmt ist, zu stoppen, und zwar erstens, weil F.D.P. und der PDS) wir das Fleisch nicht vernichten wollen, und zweitens, Die Menschen brauchen 365 Tage im Jahr Essen und nicht weil wir das Risiko einer Ausbreitung der Maul- und nur dann, wenn wir Überfluss abzugeben haben. Klauenseuche durch die Tiertransporte nicht erhöhen wollen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wo ist PDS – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Zyni- die Frage?) sches Weib!) Ich bin deshalb froh – das ist einer der Erfolge, den ich Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher- in Brüssel hatte und den die Opposition natürlich nicht se- schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Setzen wir ein- hen will –, dass die zweite Herauskaufaktion nicht erst am fach ein Fragezeichen dahinter, dann haben wir eine 1. Juli stattfinden wird, sondern wir die Möglichkeit ha- Frage. Ich verstehe Ihr Anliegen. ben, sie vorzuziehen. Wir können bezüglich der zweiten Herr Heinrich, es gibt seuchenpolitisch Hinweise da- Herauskaufaktion von Brüssel die Erlaubnis bekommen, rauf, dass es Sinn macht, Ställe zu leeren, anstatt sie über- Rindfleisch an Nordkorea zu verschenken. Herr Fischler voll zu lassen. Je dichter die Tiere stehen, desto größer ist hat mir gegenüber klar gesagt, wir bekämen die Erlaub- die Gefahr. Der andere Punkt ist: Ich bin rechtlich zu die- nis, sobald wir konkret den Antrag stellen. sem Herauskaufprogramm verpflichtet und könnte (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Na sonst von den Bauern verklagt werden. Ich habe aber also!) Druck gemacht, dass die zweite Herauskaufaktion nicht am 1. Juli beginnt, sondern vorgezogen werden kann. Aber erst wenn ungefähr Anfang Mai die zweite Heraus- kaufaktion beginnen kann und rechtlich beginnen darf, Ich muss Ihnen auch sagen, dass ich für dieses Vorzie- werden wir das Verfahren durchführen können. Die hen der zweiten Herauskaufaktion erst die Erlaubnis der (B) Bundesregierung hat eine Delegation aus drei Ressorts EU brauche und in diesem Zusammenhang noch einige (D) gebildet. Prüfungen – ich denke an die volle BSE-Testkapazität in Deutschland – durchgeführt werden müssen. Dieses (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wenn Genehmigungsverfahren wird einige Wochen dauern. es dann richtig ist, ist es jetzt auch richtig!) Ich muss Ihnen aber auch sagen, dass wir im Augen- – Jetzt geht es nicht, weil es rechtlich verboten ist. Sie ha- blick nicht in der Lage sind – ich lasse mir dabei von Ih- ben sich doch gerade gestern um mein Rechtsverständnis nen gerne Hilfestellung geben –, die erforderlichen Sorgen gemacht. Ich bitte Sie heute, auf dem Boden der mehrstelligen Millionenbeträge aufzubringen, um das Gesetze zu stehen. Das ist doch nicht so schwierig, wie aufgekaufte Fleisch zu verschenken. Eine solche Aktion wir beide wissen. könnte auch nur dort durchgeführt werden, wo es keine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konkurrenz zum Export gibt. Wir alle, Herr Heinrich, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der wollen doch gemeinsam, dass die Bauern weiterhin Rind- PDS – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/ fleisch verkaufen können, um Geld einzunehmen. Des- CSU]: Über Ihr Rechtsverständnis machen wir halb bekomme ich auch keine globale Verschenkungs- uns Sorgen!) genehmigung aus Brüssel. Das sind klare Punkte. Wir können also die Aktion ab 1. Mai durchführen, wir Ich weise Ihren Vorwurf zurück, dass die in diesem Zu- haben eine Delegation nach Nordkorea entsandt und fest- sammenhang notwendigen Transporte zur Ausbreitung gestellt: 6 000 Tonnen können mit der Zielsetzung – Frau von MKS beitragen würden. Es ist ganz klar: Es darf nur Hoffmann hat das schon gesagt –, alte und kranke Men- Direkttransporte geben, keine anderen Kontakte. Die be- schen zu ernähren, dorthin gebracht und so verteilt werden, troffenen Tiere müssen getrennt von anderen Tieren in den dass es nicht zu Auftauerscheinungen kommt. Ich sage Schlachthöfen getötet werden. Es muss vorher und nach- ganz klar: Die Tatsache, dass die zweite Herauskaufaktion her desinfiziert werden. Insofern besteht das von Ihnen inhaltlich anders gestaltet ist, als sie ursprünglich von Herrn befürchtete Infektionsrisiko nicht. Fischler geplant war, ist Ergebnis meiner Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) und bei der SPD) Präsident Wolfgang Thierse: Frau Ministerin, er- Präsident Wolfgang Thierse: Frau Ministerin, ge- lauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Widmann- statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich? Mauz? Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16133

(A) Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher- Ich möchte jetzt nicht mehr auf das Thema Nordkorea, (C) schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ja, aber danach sondern auf ein paar andere Punkte eingehen, die auch an- lasse ich keine Zwischenfragen mehr zu. gesprochen worden sind, unter anderem auf die Maßnah- men zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche. Ich sage Ihnen ganz klar: Bei der Bekämpfung der Maul- und Präsident Wolfgang Thierse: Bitte schön. Klauenseuche fahren wir eine Politik der Risikominimie- rung und bis zu diesem Augenblick – nun kann man dreimal Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Frau Minis- auf Holz klopfen – hat sie offensichtlich funktioniert. An- terin Künast, Sie haben gerade dargestellt, mit welcher ders als in England ist in Deutschland viel früher eingegrif- Verve Sie für die Aktion eintreten, Nordkorea BSE-nega- fen worden. Deshalb haben wir bisher das Glück gehabt, tiv getestetes Rindfleisch zu schenken. Ich denke, dass dass keine positiven Fälle in Deutschland aufgetreten sind. das ziemlich zynisch war. Können Sie uns erklären, Ich sage Ihnen auch klar: Ich habe Bedenken bezüglich warum Sie es bis heute noch nicht einmal für nötig gehal- einer prophylaktischen Impfung gegen MKS, wenn der ten haben, die zwei Schreiben des Ministerpräsidenten Virus schon ausgebrochen ist, weil mir verschiedene Per- von Baden-Württemberg zu beantworten, in denen er sonen nicht nur aus meinem Haus, sondern auch von seine finanzielle Unterstützung für die Verschenkungsak- nachgeordneten Behörden und anderen Institutionen ge- tion angeboten hat, und können Sie, nachdem Sie gerade sagt haben, dass man dann, wenn man zu dem Zeitpunkt davon gesprochen haben, dass die Millionenbeträge, die prophylaktisch gegen MKS impft, zu dem die Seuche zur Finanzierung dieser Aktion notwendig sind, noch schon ausgebrochen ist, die Ausbreitung der Seuche nicht nicht bereitgestellt sind, mehr verfolgen kann. Ich weiß, es gibt auch andere Auf- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Kommen Sie einmal fassungen. Ich habe in der Vergangenheit – insofern habe mit dem Fragezeichen rüber!) ich meinen Kurs nicht geändert, Herr Lippold und Herr Heinrich – wiederholt im EU-Agrarrat gesagt: Die bishe- – wenn Sie damit nicht zurechtkommen, ist das Ihr Pro- rige Impfpolitik kann nicht fortgesetzt werden. blem –, dem Hohen Hause erklären, wie der Stand der Gespräche zwischen dem Bundesentwicklungshilfemi- Der nationale nisterium, dem Bundesfinanzministerium und Ihrem Res- (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das sort bezüglich der Frage ist, woher schließlich und letzt- ist uns in Ausschuss anders dargestellt worden! endlich die Mittel für diese Aktion kommen sollen, wenn Das ist nicht wahr! – Nein!) Sie schon auf das Hilfsangebot eines Bundeslandes Krisenstab hat am 26. Februar einen Dreistufenplan be- zumindest nicht positiv reagieren? schlossen. Die AMK hat am 23. März diese Position über- (B) nommen und damit sichergestellt – Dank Richtung Bay- (D) Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher- ern und anderer Länder, die weit entfernt von den schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Punkt eins. Ich aktuellen Seuchengebieten liegen –, dass für Niedersach- habe den Brief, in dem mir der Ministerpräsident von sen und Nordrhein-Westfalen im Falle eines positiven Baden-Württemberg 1 Million DM als Unterstützung Tests sofort klar ist, was zu tun ist. Ich habe auch öffent- angeboten hat, vor zwei, drei Tagen beantwortet. Wie lich gesagt, dass ich der AMK auf deren Wunsch hin am lange die Post braucht, um einen Brief von hier nach Stutt- 23. März zugesichert habe, dass ich die grundsätzliche gart zu transportieren, weiß ich nicht. Aber ich habe mich Frage der Impfpolitik im Agrarrat in Brüssel und auch bei beim Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg be- dem an diesem Wochenende stattfindenden informellen dankt. Er war der Einzige, der sich bereit erklärt hat, diese Treffen weiter ansprechen werde. Ich glaube nicht, dass Aktion zu unterstützen. Mein herzliches Dankeschön! uns die Klärung dieser Frage im Augenblick weiterhelfen Vielleicht ist sein Angebot auch eine Anregung für andere wird. Aber wir sind für den Fall, dass ein Tier positiv ge- Ministerpräsidenten. testet wird, gerüstet. Punkt zwei – zur Frage, woher das Geld kommen Den Ländern, die schon heute eine vorbeugende soll –: Das AA, das Ressort von Frau Heidemarie flächendeckende Impfung gegen MKS wollen, muss ich Wieczorek-Zeul und mein Ministerium haben eine Dele- aus Gründen des Respekts sagen: Nicht ich bin für das gation nach Nordkorea geschickt. Es waren auch Vertre- Impfen zuständig, sondern die Länder. Sie müssen ent- ter vom World-Food-Program und von Cap Anamur dort. sprechende Impfaktionen beschließen und die entspre- Es wurde sehr sorgfältig geprüft, in welchem Umfang chenden Impfdosen vorhalten. Ich bin die Botin und das Rindfleisch nach Nordkorea geliefert werden kann. Es Bindeglied zur EU. Wenn die Länder eine flächen- wurde festgestellt, dass 6 000 Tonnen monatlich möglich deckende Impfung beschließen, werde ich das mit we- sind. Dementsprechend haben wir in der Kabinettssitzung henden Fahnen im Agrarrat verteidigen. Ich habe schließ- vom letzten Mittwoch beschlossen, dass und lich auch dafür gesorgt, dass das Notprogramm umgesetzt ich Geldquellen zur Finanzierung der Verschenkungsak- wurde, und habe erste gute Erfolge bei den Zootieren er- tion finden werden. zielt. Ich werde weiterkämpfen. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh! – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die und bei der SPD) Findungskommission!) Wenn die Agrarministerkonferenz ihren Beschluss – Wir haben bis zum 1. Mai Zeit. vom 23. März auflöst und sagt: „Wir wollen auch 16134 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Bundesministerin Renate Künast (A) prophylaktische Impfungen“, werde ich mich mit ent- zwischen Bund und Ländern haben angefangen zu arbei- (C) sprechender Verve für prophylaktische Impfungen ein- ten. Wir haben erste Termine mit 26 Verbänden zum setzen. Da kenne ich nichts. Thema Qualitätssiegel. Das Siegel wird diesen Herbst kommen, und dann haben die Landwirte wieder einen (Zuruf von der CDU/CSU: Warum kritisieren Wettbewerbsvorteil. Bei der Krise, die andere organisiert Sie dann Frau Höhn? – Heinrich-Wilhelm haben, packen wir uns gemeinsam am Schopf und ziehen Ronsöhr (CDU/CSU): Haben Sie auch eine ei- uns heraus. gene Position?) (V o r s i t z : Vizepräsidentin ) Aber noch ist dieses nicht Agrarministerkonzeption, und noch – das wissen Sie alle – ist mindestens umstritten, Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich Ihnen noch mehr Maßnahmen mitteilen, die ich in meinen noch nicht ein- (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie mal 100 Tagen Amtszeit ergriffen habe. Aber da will ich haben keine Position, das ist das Entschei- anderen nicht die Redezeit stehlen. dende! Sie sind das klassische Sowohl-als- Auch!) Ich danke Ihnen. wie es an dieser Stelle weitergeht. Der Punkt ist auf alle (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fälle der, dass in den letzten Jahren auch die alte Bundes- und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr regierung meinte, klassische Maßnahmen reichen. Da bin [CDU/CSU]: Das war aber schwach! Das war ich ausnahmsweise einmal ein Stück in Kontinuität. aber eine schwächelnde Rede! – Abg. Norbert Schindler [CDU/CSU] meldet sich zu einer (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das Zwischenfrage) ist nicht wahr! Sie müssen sich inzwischen in- formiert haben!) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, es be- Jetzt muss ich aber noch zwei, drei Worte zu der Frage steht noch der Wunsch nach einer Zwischenfrage. – Jetzt sagen, was ich in dieser Zeit alles gemacht habe. Das nicht mehr. Danke schön. zweite Schlachtprogramm ist verbessert, der Siebenpunk- teplan befindet sich in Brüssel in einer Veränderungsdis- Nun erteile ich das Wort der Kollegin Kersten kussion. Ein Punkt wird auf deutschen Druck hin wohl Naumann für die PDS-Fraktion. vorgezogen, nämlich dass der Kleegrasanbau auf Stillle- gungsflächen schon in diesem Jahr erlaubt sein wird. Ich Kersten Naumann (PDS): Frau Präsidentin! Meine habe die Bestimmungen über die Führung eines Stall- Damen und Herren! Ausgerechnet immer dann, wenn die (B) buchs unterzeichnet, in dem Bauern und Tierärzte in Zu- wohlhabenden Länder an Überschuss leiden, stellt sich in (D) kunft beim Umgang mit Antibiotika genau nachweisen Deutschland die Frage, ob nicht denen etwas abgegeben müssen, wo und bei welchem Tier diese eingesetzt wer- werden soll, die Hunger leiden. Das ist auch der Kern- den. Ich sehe mit Freude Ihrer Zustimmung im Bundesrat punkt des F.D.P.-Antrags, auf den ich mich hier konzen- entgegen. Ich sage nur: Das hätten Sie schon 1996 haben trieren will. können. Ein Vorschlag, medienwirksam in Umlauf gebraucht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heißt Nordkorea. Die Bedarfsanfrage des koreanischen und bei der SPD) Landwirtschaftsministeriums erfolgte auf deutsche Ini- Ich habe zwei Aromastoffe verboten, weil sie karzinogen tiative durch Cap Anamur und nicht, weil die Koreaner sind. Ich werde nächste Woche dem BMJ den Entwurf ei- vorher keinen Bedarf gehabt hätten. ner Legehennenverordnung zusenden. Auch da dürfen In Korea hungern die Menschen. Aber erstens hungern Sie dann zustimmen, wenn es in Zukunft heißt: keine Bat- die Menschen dort nicht erst seit der BSE-Krise. Zweitens terien, keine Käfige mehr für Hühner. Ich habe eine neue ist diese Tatsache seit Mitte der 90er-Jahre, als die Hun- Nutztierverordnung unterschrieben. gersnot dort wesentlich größer war, bekannt. Drittens (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: hungern nicht nur dort Menschen. Und schließlich wäre Keine Eier mehr aus Käfigen, dann auch aus den hungernden Menschen mit einer wirklichen und ste- dem Ausland!) tigen Hungernothilfe wie Getreide oder Milchpulver bes- ser geholfen. Ich habe die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur für dieses Jahr gemeinsam mit den Ländern mit einem neuen Schon 1996 hat die PDS Entwicklungszusammen- Schwerpunkt versehen. Das war ein diplomatischer Akt. arbeit und Hungerhilfe für Nordkorea gefordert. Damals Schwerpunkt in diesem Jahr ist die Umstellung auf Öko- verhungerten nach jahrelangen Missernten bereits landbau, auf artgerechte Tierhaltung, auf regionale Verar- 100 000 Menschen, darunter sehr viele Kinder. Wo war denn damals der Antrag der F.D.P. für eine Hungerhilfe? beitung und Vermarktung. Das hätten Sie schon vor vie- Aber leider Gottes gab es damals in Deutschland keine len Jahren machen können. BSE-Krise und noch bis heute gibt es keinerlei Entwick- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, lungszusammenarbeit mit Nordkorea. bei der SPD und der PDS) Meine Damen und Herren von der F.D.P., das zeigt Wir haben die Eckpunkte für die Gemeinschaftsauf- umso deutlicher, worum es Ihnen in Ihrem Antrag eigent- gabe des Jahres 2002 verabschiedet. Die Arbeitsgruppen lich wirklich geht. Hunger fällt Ihnen nur ein, wenn wir Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16135

Kersten Naumann (A) im Überfluss leben. Hier geht es einzig und allein um koreaner – gerade einmal 1 Kilo Fleisch ankommen. An- (C) Überschussverwertung. gesichts der Millionen Rinder, die in Europa vernichtet werden, macht das Ganze mehr als deutlich: Es geht nicht Das ist auch die Einschätzung der NGOs. In ihrem wirklich um Nahrungsmittelhilfe und Nothilfe; es handelt jahrzehntelangen Kampf um Entwicklungszusammenar- sich um eine populistisch gut verpackte Abfallverwen- beit und Nahrungsmittelhilfe sehen sie darin eine Verlet- dung des Markthorrors. Auf dem Rücken von Hungern- zung der Prinzipien des Umgangs mit Nothilfe. den werden Marktbereinigungsinteressen ausgetragen. Meine Damen und Herren, die PDS spricht sich klipp Nordkorea wird benutzt, um das deutsche Gewissen zu er- und klar für eine kontinuierliche Hungerhilfe in Nord- leichtern. korea aus. Aber worin liegt eigentlich das politische Problem, (Beifall bei der PDS) das hinter der Entsorgung von Fleisch zwecks Nahrungs- Diese sollte aus den dafür vorgesehenen Töpfen des BMZ mittelhilfe steht? Fakt ist, dass hoch subventioniertes mit den erforderlichen Mitteln und Maßnahmen zur Ver- Fleisch, produziert mit importierten Futtermitteln aus fügung stehen. dem Süden, nun plötzlich humanitären Zwecken zuge- führt werden soll. Erst haben wir Entwicklungsländern Aber Hungerhilfe ist in erster Linie eine Frage des die Flächen für ihre eigene Ernährungsbasis entzogen und wirksamen und gut handhabbaren Einsatzes von Nah- nun soll ihnen unter dem Mantel der humanitären Großzü- rungsmitteln zur Linderung der Not. Tatsache ist doch, gigkeit Hungerhilfe zugeführt werden. Welch ein Irrsinn! dass sich mit dem gleichen Geld für den Transport von Frostfleisch, das sinnvoller in wirkliche Nahrungsmittel- Zur Lösung des grundsätzlichen Problems gehört auch, hilfe investiert wird, viel mehr Mäuler stopfen ließen und dass sich Frau Künast in Brüssel weiterhin dafür einsetzt, noch dazu viel mehr Kinder gerettet werden könnten. Fakt dass Futtermittel, die unter den natürlichen Standortbe- ist – Kollegin Hoffmann hat das eben verdeutlicht –, dass dingungen Mitteleuropas produziert werden können, auch die Hungerhilfe für Nordkorea sogar als Kostenein- in Deutschland produziert werden dürfen, und zwar nicht sparungsmaßnahme im Rahmen der Vernichtung des nur in Betrieben des Ökolandbaus, auch wenn das in Fleisches diskutiert wird. Das halte ich schon für makaber. Brüssel mehr kostet. (Beifall bei Abgeordneten der PDS – Iris Die PDS fordert in Haushaltsdebatten Jahr für Jahr Hoffmann [Wismar] [SPD]: Das ist keine Kos- – sie bringt dazu Anträge ein –, dass der Umfang der hu- teneinsparung! – Matthias Weisheit [SPD]: manitären Hungerhilfe nicht weiter sinkt und dass sich Mehrkosten!) der Etat für die Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Pro- zent des Bruttosozialprodukts beläuft. Dass auch Sie, (B) Erfahrungen der Welthungerhilfe mit einer Lieferung werte Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., diesen (D) von 4 500 Tonnen Gefrierfleisch Ende der 90er-Jahre Anträgen nicht zugestimmt haben, stößt gerade nach dem nach Nordkorea belegen, dass die Vorbedingungen nicht von Ihnen vorgelegten Antrag auf mein Unverständnis. erfüllt sind. Zwar sind Gefrierlagerkapazitäten vorhan- Die PDS-Fraktion wird den Antrag der F.D.P. ablehnen den. Was nützt es jedoch, wenn wir das Zeug hier zwar los und sie wird sich bei der Abstimmung über den Antrag der sind, dort aber Energiemangel herrscht – der Strom wird CDU/CSU enthalten, da ein Teil der Forderungen schon öfter abgeschaltet – und Gefrierfleisch demzufolge, wie überholt ist und wir unter anderem der Auffassung sind, die Erfahrung zeigt, sogar verklappt werden muss? dass der Einsatz von antibiotischen Leistungsförderern (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: So nicht erst in eineinhalb Jahren, sondern sofort, auch im na- arbeiten eben die Kommunisten!) tionalen Alleingang, verboten werden muss. Danke schön. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, gestat- (Beifall bei der PDS) ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Zu einer Kurzinter- Kersten Naumann (PDS): Nein. vention erteile ich dem Kollegen Koppelin das Wort. Wenn in Deutschland wenigstens in die Verarbeitung zu Dosenfleisch investiert würde! Aber auch was diese Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe Idee angeht – Kollegin Hoffmann hat das vorhin ebenfalls Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein starkes Stück, getan –, rechnet man sofort die höheren Kosten vor. Wenn dass jemand in einer Rede hier allen, egal auf welcher Seite es schon nur um Kosten geht – diese Debatte zeigt das –: dieses Hauses sie sitzen – außer natürlich der PDS –, Vor- Die Rindfleischentsorgung sollte weder aus dem Etat für würfe macht, was das Verhalten gegenüber Nordkorea an- Entwicklungszusammenarbeit noch aus dem Agrarhaus- geht. Sie haben mit keinem Wort erwähnt, dass sich die- halt bestritten werden, sondern einzig und allein aus dem ser Staat über Jahre total abgeschottet hat. Vor allem Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung. haben Sie – das ärgert mich am meisten – mit keinem Wort Man muss sich einmal darüber klar werden, über wel- den hohen Militäretat in Nordkorea erwähnt. Wenn der che Dimensionen man hier diskutiert: Von 30000 Tonnen Militäretat dort nicht so hoch wäre, dann hätten die Men- Frostfleisch – darüber ist gestern ein Beschluss gefasst schen dort wahrscheinlich mehr zu essen. Vielleicht sollte worden – wird pro Kopf – es gibt 23 Millionen Nord- sich die PDS darum kümmern. 16136 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun erteile ich der Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Ministerin, es (C) Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage. Gestatten und Entwicklung, Frau Heidemarie Wieczorek-Zeul, das Sie diese Zwischenfrage? Wort. Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ja. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte sehr. in dieser Diskussion daran erinnern, dass unser Ministe- rium bereits seit 1997 durch die Unterstützung des Welt- ernährungsprogramms Nahrungsmittelhilfe für die Hun- Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Frau Ministerin, gernden in Nordkorea leistet. Das Welternährungspro- Sie haben gerade den gleichen Sachverhalt erwähnt, den gramm erfüllt einen wichtigen Auftrag, indem es Getreide, schon Frau Künast angesprochen hat. Sinngemäß wurde gesagt: Es gibt in den betroffenen Ländern Hunger; Kin- Hülsenfrüchte und weitere Produkte der Nahrungsmittel- der können nicht überleben. Daher wäre Hilfe zwar hilfe dorthin transportiert und dazu beiträgt, dass diese Pro- nötig. Wir können sie aber nicht leisten, weil wir damit dukte der Bevölkerung zugute kommen. den Aufbau der Märkte in diesen Ländern behindern Die Deutsche Welthungerhilfe leistet insofern eine würden. – Halten Sie diesen Standpunkt nicht für zy- bewundernswerte Arbeit, als sie dort durch die Schaffung nisch? von Arbeitsplätzen, etwa in örtlichen Bäckereien, dazu (Widerspruch bei der SPD) beiträgt, bei Schulspeisungen 60 000 Kindern zu Brot ver- arbeitetes Getreide zur Verfügung zu stellen. Ich sage das, damit nicht der Eindruck entsteht, diese Diskussion sei Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für neu. Die von mir dargestellte Arbeit findet bereits seit Jah- wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr ren statt. Es ist wichtig, das zu wissen. Kollege, ich bitte um Nachsicht, dass ich nachher auf die- sen Punkt eingehen werde. Ich werde ihn auf jeden Fall (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des ansprechen. Aber er gehört in einen Gesamtzusammen- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der hang. CDU/CSU) Diejenigen unter Ihnen, die der Meinung sind, die Ent- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Sie hätten aber mehr (B) scheidung sei einfach, sollten hier das Wort ergreifen. Ich Redezeit, Frau Ministerin, wenn Sie direkt antworten (D) gestehe freimütig, dass mir der Abwägungsprozess würden. schwer gefallen ist. Diese Diskussion eignet sich nicht für Schwarz-Weiß-Debatten. Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Das DIE GRÜNEN) ist richtig. Ich möchte trotzdem fortfahren. Auf der einen Seite sagt die Bevölkerung zu Recht, Die Europäische Union hat in den letzten Jahren zu dass es Wahnsinn ist, wenn BSE-negativ getestetes Rind- Recht auf den Export solcher Nahrungsmittelüber- fleisch, das verzehrt werden könnte, verbrannt wird. Auf schüsse verzichtet, weil sie erkannt hat, dass die lokalen der anderen Seite gab es einen über Jahre andauernden Märkte beispielsweise in Afrika dadurch zerstört worden Lernprozess der internationalen Gemeinschaft, an dem sind. Die Bundesregierung gehört der internationalen ich selber im Rahmen der Debatten des Europäischen Par- Nahrungshilfekonvention an, die 1999 entsprechend lamentes beteiligt war. Man kam zu der Erkenntnis, dass verändert worden ist, um diesen alten Fehlern Rechnung sich Agrarüberschüsse und Überschüsse in der Fleisch- zu tragen und entsprechende Schlussfolgerungen zu zie- produktion aus entwicklungspolitischer Sicht generell hen. nicht für Exporte eignen, weil dadurch die Märkte in den Entwicklungsländern zerstört werden und damit die Men- Nach der Abwägung der Argumente für und gegen bin schen auf Dauer abhängig von Nahrungsmittelhilfe wer- ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir in diesem den. Das ist doch die Wahrheit. Sonderfall – Nordkorea ist ein Sonderfall – liefern sollten. Andernfalls würde das Fleisch verbrannt, obwohl es eine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Notlage in Nordkorea gibt und es dort keinen lokalen DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU] : Von Markt gibt, der durch diese Lieferung zerstört werden dieser Sicht ist man längst weg !) würde. Wir sind deshalb der Meinung, dass in einem sol- – Ich werbe doch nur dafür, dass wir den Abwägungspro- chen Fall eine Lieferung ausnahmsweise stattfinden kann. zess gemeinsam nachvollziehen, den die Bundesregie- Dazu bekenne ich mich. rung vollzogen hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrich DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die Heinrich [F.D.P.]: Wenn wir nicht so viel Druck Erkenntnis gab es nur aufgrund unseres Drucks! gemacht hätten!) Geben Sie es zu!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16137

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) Ich werbe also dafür, dass wir nicht nach dem Muster überwachen und zum Beispiel sicherzustellen, dass die (C) „Das eine ist richtig und das andere ist falsch“ argumen- besonders betroffenen Gruppen der Bevölkerung, bei- tieren. spielsweise Kranke, versorgt werden können. Deshalb (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das werden Lieferungen vorrangig unter anderem an Kran- ist ein bisschen einfach! – Ulrich Heinrich kenhäuser gehen, um die Menschen dort zu erreichen. [F.D.P.]: Geben Sie zu, dass Sie sich getäuscht In meiner Abwägung – vielleicht können Sie das mit haben!) mir vollziehen – spielt noch eine andere Frage eine Rolle. Ich komme auf die Punkte zu sprechen, die für uns von Mit der erbetenen Lieferung ist doch auch ein Zeichen der Bedeutung sind: Wir wollen vor allem sicherstellen, dass Öffnung des Landes verbunden. Die Rindfleischliefe- das Fleisch der hungernden Bevölkerung und nicht ir- rungen für die Menschen in Nordkorea könnten doch auch gendwelchen privilegierten Gruppen oder dem Weltmarkt einen ersten Schritt für die Öffnung des Landes bedeuten. zugute kommt. Das ist ein wichtiger Punkt. Die Öffnung des Landes ist wiederum Voraussetzung und Grundlage für weitere politische Gespräche und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ entwicklungspolitische Möglichkeiten im Interesse der DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das Menschen des Landes. Deshalb komme ich bei der Ab- hat niemand gefordert!) wägung aller Argumente für und gegen zu dem Schluss: Deshalb haben wir die Expertenkommission unter Lei- Der umfassende entwicklungspolitische Nutzen spricht tung unseres Ministeriums in das Land geschickt. Nach dafür, andere Bedenken zurückzustellen. Ich bitte, das mit der Rückkehr hat diese Kommission deutlich gemacht, zu vollziehen. dass es in der Tat notwendig ist, dieser Fehlernährung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten entgegenzuwirken; denn es gibt einen akuten Protein- der F.D.P.) mangel bei Kindern, schwangeren Frauen sowie bei Alten und Kranken. Die Öffnung, die sich in der internationalen Zusam- menarbeit bezüglich Nordkorea abzeichnet, sollte auch (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das gilt auch für andere Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik des für Afrika und nicht nur für Nordkorea!) Landes Nordkorea gelten. Die Öffnung darf angesichts Diese Tatsache müssen auch die Vertreter der PDS der verhärteten Politik der neuen amerikanischen Regie- berücksichtigen. rung nicht verschüttet werden. Auf diese Situation wollte ich verweisen. Ich komme jetzt zu einem Punkt, den wir in unseren Debatten nicht vergessen dürfen. Die Ursachen – sie wur- Noch zwei Anmerkungen zum Schluss. Aus dem, was (B) den eben schon von Ihnen angesprochen – sind sehr kom- die Kollegin Künast gesagt hat, wird ersichtlich, dass die (D) plex. Sie hängen zusammen mit dem zurückgehenden An- Lieferungen nicht aus Mitteln der Entwicklungszusam- teil von Ackerland im Land, mit der langjährigen menarbeit finanziert werden, sondern aus Mitteln, die für Selbstabschottung des Landes, mit der Fehlleitung von die Folgen der BSE-Krise zur Verfügung gestellt worden Finanzmitteln des Landes in den Militärsektor – das ist sind. Das ist richtig und auch notwendig. doch die Wahrheit und das muss man sehr deutlich an- Zuletzt eine nachdenkliche Anmerkung. Amartya Sen, sprechen –, der Nobelpreisträger, hat darauf hingewiesen, dass es ei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nen engen Zusammenhang zwischen Demokratie und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der guter Versorgung der Bevölkerung gibt. Er hat gesagt: In F.D.P.) Demokratien gibt es fast niemals Hungersnöte, weil die öffentliche Berichterstattung, weil die Beteiligung der Zi- aber natürlich auch mit der Weigerung, marktwirt- vilgesellschaft an der Diskussion in einem solchen Land schaftliche Elemente zuzulassen, und ebenso mit den im- dazu beitragen, dass frühzeitig gehandelt werden kann mer wieder auftretenden Naturkatastrophen. und dass falsche Entscheidungen korrigiert werden kön- Ich meine, dass uns die Notwendigkeit langfristiger nen. Maßnahmen nicht daran hindern darf, jetzt Lieferungen Auch das ist ein Appell, den die Betroffenen hören mö- zu leisten; denn es gibt eine Notlage und unsere Hilfe wird gen. gebraucht. (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das Der Vorrednerin von der PDS möchte ich sagen: Wer sagen Sie doch mal der PDS!) sind wir, dass wir, wenn uns die dortige Regierung darum bittet und wir sicherstellen können, dass das Fleisch Denn es geht jetzt um einen bestimmten Fall von Hilfe. tatsächlich den Bedürftigen zugute kommt, sagen, wir Aber wir sind doch alle zusammen dafür verantwortlich, wissen es aber besser? Ich bitte, das zu berücksichtigen. dass damit im Interesse der Menschen ein Prozess der Veränderung in Nordkorea insgesamt in Gang gesetzt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wird. In diesem Sinn verstehe ich die Debatte heute hier des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der im Deutschen Bundestag. F.D.P.) Vielen Dank. Um die Transparenz der Verteilung sicherzustellen, wollen wir die örtliche Mission des Welternährungspro- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gramms bitten, die Verteilung und Auslieferung vor Ort zu DIE GRÜNEN) 16138 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bevor ich dem Kolle- Heute, über vier Monate später, hat der Bundeskanzler (C) gen Albert Deß das Wort erteile, möchte ich mich mit trotz wiederholter Aufforderungen nicht definiert, was Herrn Ronsöhr ins Gespräch begeben. Sie haben Frau eine Agrarfabrik ist. Wenn er dazu schon nicht in der Künast vorgeworfen: Lügen Sie doch nicht dauernd. – Lage ist, dann soll er seinen Vorwurf zurücknehmen und Das ist nicht sehr parlamentarisch. sich bei den Rinder haltenden Betrieben in Deutschland (Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] entschuldigen. Die Rinderhaltung hat am wenigsten etwas [CDU/CSU]: Aber zutreffend!) mit Agrarfabriken zu tun. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Ich belasse es einmal dabei. Bundeskanzler Schröder ist zumindest mitverantwort- Nun hat das Wort der Kollege Albert Deß, CDU/CSU- lich für den Abschluss der Agenda 2000. Die Agenda Fraktion. 2000 beschleunigt die Ausrichtung der europäischen Agrarpreise an den Weltmarktagrarpreisen. Albert Deß (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Frau Ministerin Künast, wenn Sie (Erika Lotz [SPD]: Und die Agenda 21?) Nahrungsmittelhilfe als Überschussbeseitigung bezeich- Weltmarktagrarpreise bewirken einen massiven Struktur- nen, dann beleidigen Sie damit die Bundeswehrpiloten, wandel hin zu einer industriellen Agrarproduktion. Bun- die unter Einsatz ihres Lebens im Tiefflug über Somalia deskanzler Schröder hat die Agenda 2000 unterschrieben und Äthiopien Nahrungsmittel abgeworfen haben, und ihren Abschluss als großen Erfolg dargestellt. Keine ( [SPD]: Das hat sie doch zwei Jahre später kündigt er eine große Wende an. Fazit: gar nicht so gemeint!) Er muss vor zwei Jahren schlecht verhandelt und die falsche Richtung eingeschlagen haben. um etwas gegen den Hunger dort zu tun. Frau Ministerin Künast kündigt dann medienwirksam (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – eine Agrarpolitik nach dem Motto „Klasse statt Masse“ Erika Lotz [SPD]: Darum geht es doch gar an. Dieser Spruch passt nahtlos zur Politik dieser Bun- nicht!) desregierung. Nach einem Zweiklassensteuerrecht, einer Die Politik, Überschüsse durch Abgabe an Entwicklungs- Zweiklassengesundheitspolitik will Frau Künast eine länder zu beseitigen, ist schon in der Ägide der früheren Zweiklassenversorgung mit Nahrungsmitteln: Regierung eingestellt worden. Ich selber kann mich an (Zuruf von der CDU/CSU: Zweiklassengesell- Gespräche im Jahre 1991 mit Vertretern der Bauern aus schaft!) Westafrika erinnern. (B) für Bürger mit dicker Brieftasche die Klasse, für die übri- (D) (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Richtig!) gen Bürger die Masse. Das Motto für eine vernünftige Es sei eine kurze Rückblende in den Januar 2001 er- verbraucherpolitische Zielsetzung lautet nicht „Klasse laubt: Ein neuer Politstar betritt in Berlin die Bühne. Mit statt Masse“, sondern „Masse muss klasse sein“, und zwar schrillen Tönen, flotten Sprüchen und großmundigen für alle Bürger in unserem Land. Ankündigungen wurde eine neue Zeitrechnung für die (Beifall bei der CDU/CSU) deutsche Verbraucher- und Agrarpolitik angekündigt. Die neue Ministerin schließt damit nahtlos an die Sprüche- Wenn es nach Frau Künast geht, brauchen wir zukünf- klopferei unseres Bundeskanzlers an. Er hat sich Ende No- tig für Landwirte keine Ausbildung mehr. vember 2000 angesichts der BSE-Krise für einen tief grei- (Erika Lotz [SPD]: Sie tun so, als ob es BSE fenden Wandel in der Landwirtschaft ausgesprochen. Er nicht gäbe!) verband die Parole „Weg von den Agrarfabriken!“ mit einer Perspektive für eine verbraucherfreundliche Land- Es reicht, wenn sie wissen, dass man Kühe mit Wasser, wirtschaft. Diese unqualifizierten Aussagen des Bundes- Gras und Getreide füttert. Frau Ministerin, geben Sie doch kanzlers haben den Eindruck erweckt, die Agrarproduk- bitte weitere Fütterungsempfehlungen auch für die ande- tion in Deutschland erfolge in Agrarfabriken und die ren Nutztiere. bisherige Agrarpolitik sei verbraucherunfreundlich gewesen. (Gustav Herzog [SPD]: Bemühen Sie sich (Erika Lotz [SPD]: Das ist eine Beschimpfung um etwas mehr Niveau!) unseres Bundeskanzlers!) So könnten Sie empfehlen, dass Schweine nur mit Was- Diese Aussagen haben sehr zur Verunsicherung der Ver- ser, Getreide und Kartoffeln, Hühner nur mit Wasser und braucher in Deutschland beigetragen und stellen eine Be- Getreide gefüttert werden sollen. Es wären noch weitere leidigung für Hunderttausende Bäuerinnen, Bauern und solcher Empfehlungen denkbar. Ich würde mich nicht Beschäftigte in der deutschen Landwirtschaft dar. wundern, wenn demnächst in Gesetzen oder Verordnun- gen festgelegt würde, wie unsere Bauern ihre Tiere füttern Die deutsche Landwirtschaft ist durch die unverant- müssen. wortlichen Aussagen des Bundeskanzlers und die flotten Sprüche seiner neuen Ministerin in ihrer Gesamtheit an (Beifall bei der CDU/CSU – Dietmar Schütz [Ol- den Pranger gestellt worden. denburg] [SPD]: Für Sie Wasser und Brot!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Ich bin aber schon überrascht, dass von der Bundesre- Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.]) gierung angekündigt wurde, dass demnächst in Deutsch- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16139

Albert Deß (A) land wieder Fischmehl verfüttert werden darf. Ich habe landwirtschaftlichen Bereich sehr zurück. Es ist zu be- (C) zwar nichts dagegen, aber es ist doch ein Widerspruch, fürchten, dass künftig nicht mehr genügend landwirt- dass man dieses erst großmundig verbietet und dann schaftliche Betriebsleiter zur Verfügung stehen. Green ankündigt, dass es wieder erlaubt ist. Card für die grünen Berufe in Deutschland? – Das kann (Dr. [CDU/CSU]: Unglaub- doch wohl nicht die Lösung für die Zukunft sein. lich!) Ich fordere die Bundesregierung auf, die Landwirt- Ich würde mich nicht wundern und wäre durchaus bereit, schaft dahin gehend zu unterstützen, dass eine nachhal- darauf zu wetten, dass irgendwann die Frau Ministerin tige Bewirtschaftung erleichtert wird. Die Nachhaltig- hier im Deutschen Bundestag verkündet, dass auch Tier- keit war und bleibt ein ganz besonderes Merkmal unserer mehl wieder in der Tiermästung eingesetzt werden darf. Landwirtschaft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bis heute (Iris Hoffmann [Wismar] [SPD]: Das machen habe ich nicht sehen können, wie und wo Frau Künast ihre wir doch! Die ganze Zeit machen wir das!) Ankündigungen einer Agrarwende umgesetzt hat. Im Ge- Unsere Landwirtschaft ist in die Europäische Union genteil: Als die Kommission in Brüssel Obergrenzen für eingebunden. Wir brauchen deshalb einen EU-weiten ver- Rinderprämien vorgeschlagen hat, sprach sich Frau bindlichen Verbraucherschutz und vor allem langfristige, Künast dagegen aus. Man kann ja durchaus über die Be- rechtigung von Obergrenzen sprechen. Aber einerseits feststehende Absicherungen, damit ein weitsichtiges Agrarfabriken anprangern und andererseits Obergrenzen Planen auch für unsere landwirtschaftlichen Betriebe ablehnen, das passt schlichtweg nicht zusammen. möglich ist. Dazu gehört auch ein gesicherter Finanzrah- men, der den landwirtschaftlichen Betrieben ein ange- (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen des Abg. messenes Einkommen gewährleistet. Matthias Weisheit [SPD]) Die Bauern in Deutschland sind jederzeit bereit, wei- In einem Leserbrief im „Landwirtschaftlichen Wo- tere Auflagen, Vorschriften und Qualitätsnormen zu erfül- chenblatt in Bayern“ vom 10. März war zu lesen: len, wenn diese sinnvoll sind. Unsere Bauern haben aber Ich kann die Auftritte der berufsfremden Ministerin im harten Wettbewerb nur dann eine Chance, wenn diese nicht mehr sehen und hören, denn sie hat keine Ah- Standards europaweit umgesetzt und bei den WTO-Ver- nung, keinen Anstand. Haben wir Landwirte alles handlungen abgesichert werden. Wo bleiben Ihre Vor- verkehrt gemacht schläge, Frau Ministerin, zur Modulation der EU-Aus- ( [SPD]: Ja!) gleichszahlungen? Wo bleibt das groß angekündigte Qualitätssiegel? Wo bleibt das langfristige Verbot der Ver- (B) (D) oder sind wir wirklich so dumm, haben unser Vieh fütterung von Tiermehl? Wo bleibt das EU-weite Verbot generationenlang falsch gefüttert, den Boden vergif- der Verwendung von nicht lebensmitteltauglichen Fetten? tet, die Luft verpestet, die Landschaft verschandelt, In anderen Ländern Europas sind weiterhin Fettschmel- schlechtes und billiges Fleisch erzeugt? zen im Einsatz. Wie sollen unsere Bauern Vertrauen in die Das sind Fragen, Frau Ministerin, die mehr als berechtigt Zukunft haben, wenn in Europa mit Rückendeckung der sind. Sie sollten sich nicht nur von Ihrem Aufruf zur Frei- deutschen Verbraucherministerin eine Seuchenbekämp- lassung von der Mitgliedschaft in einer terroristischen fungspolitik aus dem Mittelalter – ich meine den Schei- Vereinigung verdächtigter Personen distanzieren, terhaufen – umgesetzt wird? (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der NIS 90/DIE GRÜNEN – Erika Lotz [SPD]: Das SPD: Das ist doch gar nicht wahr!) darf doch nicht wahr sein!) sondern auch von Ihren unqualifizierten Vorwürfen gegen Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, Sie die Bäuerinnen und Bauern in unserem Land. Oder sagen müssen bitte zum Schluss kommen. Sie den Bauern doch konkret, was sie bisher falsch ge- macht haben. Albert Deß (CDU/CSU): Ja. – Bis heute gibt es auch (Beifall bei der CDU/CSU) kein verantwortbares Vorgehen beim Auftreten eines Die Krise in unserem Land erfordert schnelles und ent- BSE-Falles. Die Tötung ganzer Herden bei BSE oder schlossenes Handeln; die Zeit des Schönredens ist vorbei. Maul- und Klauenseuche kann nicht Sinn und Ziel einer Die Landwirte lassen es sich auch nicht mehr gefallen, europäischen und deutschen Agrarpolitik sein. Wenn Sie, dass sie mit falschen Vorwürfen konfrontiert werden und Frau Ministerin, diese Politik weiterhin mit vertreten – da- dass man sie als „Täter“ an den Pranger stellt. Notwendig mit komme ich zum Schluss –, dann sollten Sie Ihr Mi- sind jetzt konkrete Maßnahmen, um die wirtschaftliche nisterium in Schall-und-Rauch-Ministerium umtaufen. Existenz unserer bäuerlichen Betriebe zu sichern. Die Dieser Name würde das Ministerium, dem Sie vorstehen, Landwirte warten auf konkrete Taten, Frau Künast. Wer treffend beschreiben. auch künftig „neue Agrarpolitik“ machen will, braucht Vielen Dank. dazu Landwirte und leistungsfähige Betriebe. Aufgrund der jetzigen Krisen und vor allem auch wegen des unent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schlossenen Handelns gehen die Ausbildungszahlen im neten der F.D.P.) 16140 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat die Kollegin Selbstverständlich muss es auch eine Diskussion über (C) Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. einen Plan B geben, nämlich für den Fall, dass die bishe- rigen konventionellen Maßnahmen der Bestandstötung und Quarantäne nicht mehr vernünftig funktionieren, für Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr den Fall, dass es eine Art Schadschwellenüberschreitung geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- gibt, oder den Fall, dass es außer Kontrolle gerät. gen! Es ist wirklich unglaublich, nach welch kurzer Zeit die CSU glaubt, zu den Grundfesten einer Politik zurück- Man muss natürlich auch auf etwas mehr Trennschärfe kehren zu können, die mit Verbraucherschutz – das ist ja in dieser Diskussion achten. Es hat niemand von all den das Thema dieser Debatte – gar nichts zu tun hat. Beteiligten gefordert, eine prophylaktische Impfung für die nächsten Jahre durchzuführen, sondern es geht einzig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und allein darum, wie man mit einem konkreten Erreger und bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Ich und entsprechenden Entwicklungen verfährt. Diese Vor- habe gesagt, dass wir Verbraucherschutz wol- bereitung ist bereits eingeleitet worden, auch mit der Un- len!) terstützung durch Renate Künast. Der erste Erfolg ist mei- nes Erachtens schon einmal, Zootiere, artgefährdete Das geht in die Richtung: Man braucht gar nichts zu Tierrassen zu schützen. Ich denke, in dieser Richtung tun. muss man weitergehen. (Albert Deß [CDU/CSU]: Mit gutem Beispiel Meine Damen und Herren von der Opposition, in einer vorangehen!) solchen Situation sollten wir die Krisenbewältigung ge- meinsam betreiben und an dieser Krisenbewältigung mit- Man ignoriert die Verbrauchernachfrage, die Anliegen des wirken, statt die Diskussion für eine populistische und Umweltschutzes, die Anliegen des Tierschutzes und kehrt kleinkarierte Auseinandersetzung zu nutzen. in eine alte Ideologie zurück, obwohl man feststellen musste, dass uns diese alte Politik in diese Katastrophe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geführt hat, in der wir jetzt stehen. und bei der SPD – Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Über eure Schwä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chen soll man nicht reden! So geht es nicht!) BSE, Herr Albert Deß, ist doch wohl zu Zeiten der alten Ich komme, um zur Ursprungsdebatte zurückzukehren, Bundesregierung, die Sie getragen haben, in dieses Land zu den Maßnahmen für den Verbraucherschutz und zur gekommen und nicht bekämpft worden. Wir haben uns Unterstützung der landwirtschaftlichen Betriebe. Der An- jetzt mit all diesen Konsequenzen herumzuschlagen. trag der CDU/CSU, über den wir heute debattieren, bleibt (B) weit hinter dem zurück, was die Koalitionsfraktionen in (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihren Anträgen zur BSE-Bekämpfung und zur Neuorien- und bei der SPD) tierung der Landwirtschaft sowie zum Verbraucherschutz Herr Lippold hat beklagt, dass die Auseinandersetzung formuliert haben. Was aber das Wichtigste ist: Es ist be- im Fall der Maul- und Klauenseuche an Schärfe zuge- reits konsequent und schnell gehandelt worden. Über das nommen hat. Er hat dabei allerdings vergessen zu erwäh- rasche Krisenmanagement hinaus sind durch Renate nen, dass es Herr Sinner ist, der bayerische Verbraucher- Künast Schritte zur Neuorientierung der Landwirtschafts- minister, der sich heftig gegen die Impfungen einsetzt, politik und der Verbraucherschutzpolitik eingeleitet und die konkreten Schritte für den Verbraucherschutz bereits während Ministerpräsident Koch in Hessen genau das Ge- getan worden. genteil tut.

Wir könnten diese Debatte noch ein bisschen fort- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, gestat- setzen. Aber man muss vielleicht auch ein Stück weit Ver- ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich? ständnis haben – das sage ich jetzt nicht polemisch –: Das ist ja eine Debatte, die auf einer sehr ernsten Grundlage beruht, nämlich auf dem Abwägungsprozess, was in einer Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. solchen Situation notwendig ist. Es gibt eine berechtigte Angst von Verbrauchern und von Bauern und natürlich Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte sehr. den Druck auf die politisch Verantwortlichen. Insofern gibt es hier auch einen entsprechenden Prozess der Aus- Ulrich Heinrich (F.D.P.): Frau Kollegin Höfken, Sie einandersetzung. Ich finde es absolut richtig, dass Frau haben hier gerade populistische Methoden angeprangert. Ministerin Künast die Initiative mit ergriffen hat, am Ich teile die Meinung. Wie würden Sie dann aber das Ver- Wochenende die Agrarminister zu treffen und sich mit halten der Frau Kollegin Höhn in den letzten Wochen ein- dieser Frage auseinander zu setzen. schätzen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das [CDU/CSU]: Ihr habt doch erst die britischen ist eine einfach zu beantwortende Frage. Genauso wie ich Verhältnisse verteidigt, im Ausschuss mehr- das Verhalten der Ministerinnen von Hessen und Rhein- mals! Das ist die Wahrheit! Das ist ein Schei- land-Pfalz einschätze, so tue ich das eben auch im Falle terhaufen!) Nordrhein-Westfalens. Das sind die Ministerinnen, die in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16141

Ulrike Höfken (A) den Ländern in der Verantwortung stehen, die damit ihre Ich finde es zudem unsäglich, dass die Hungernden in (C) Sorgen zum Ausdruck bringen und natürlich die Diskus- Nordkorea für eine populistische Scheindebatte instru- sion um die Zukunft der Tierbestände in ihren Ländern mentalisiert werden. führen müssen. Das ist genau diese Sorge, die die Lan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN desminister gegenüber der EU – so muss man an diesem sowie bei Abgeordneten der SPD) Punkt sagen – umtreibt. Die Verantwortung – das wissen Sie auch, Herr Heinrich – liegt letztlich bei den Ländern. Ich will ganz deutlich feststellen: Ich unterstütze aus Frau Künast hat es so ausgedrückt: Sie ist die Botschaf- vollem Herzen die Position von Frau Ministerin Künast terin hin zur EU und genau diese Funktion nimmt sie ver- und von Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, an diese Ange- antwortlich wahr. legenheit abwägend und vorsichtig heranzugehen. Das ist (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber gerade haben der einzig verantwortbare Weg. Sie von Populismus gesprochen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Wir haben auf deutsche Initiative hin in Europa eine wie bei Abgeordneten der SPD – Ulrich schnelle Einführung der BSE-Tests erreicht. Auf natio- Heinrich [F.D.P.]: Die haben wir zum Jagen tra- naler Ebene wurden die Tests auf Rinder in einem Alter gen müssen!) bis zu 24 Monaten ausgedehnt. Das Ankaufprogramm ist jedenfalls angelaufen. Es Es wurde erreicht, dass seit dem 14. März dieses wird weiter auf der rechtlichen Grundlage der EU zur An- Jahres ein Verbot der Verwendung von Separatoren- wendung kommen. fleisch von Rindern, Schafen und Ziegen besteht. Ich will noch das Stichwort Agrardiesel nennen. Auch Deutschland hat sich im Übrigen über diese Maßnahme hier haben wir eine Verbesserung der Situation der Erzeu- hinaus für ein generelles Verbot eingesetzt. Zudem müs- ger bewirkt. sen in Zukunft – eine entsprechende Verordnung ist schon auf dem Weg – alle verwendeten Fleischsorten in der Zu- (Albert Deß [CDU/CSU]: Aber noch zehnmal tatenliste angegeben werden. Unsere Maßnahmen sind schlechter als in Frankreich!) also weitreichend. Es gibt eine Unterstützung der artgerechten Tierhaltung Die Einfuhr von nicht BSE-getestetem Fleisch ist ein und entsprechender Grünlandwirtschaft im Rahmen der großes Problem. Dieses Problem ist EU-weit zu lösen. Gemeinschaftsaufgabe. Dies wurde übrigens gemeinsam Dafür setzen wir uns entschieden ein. Nationale Maßnah- mit den Ländern erarbeitet. Es ist auch eine Herabsetzung men sind, wie Sie sehr wohl wissen, aufgrund des Binnen- der Schlachtgewichte, das heißt eine Umgestaltung der marktes begrenzt wirksam. entsprechenden Prämien, vorgesehen. (B) Wir haben ebenso die Frage des Tiermehls sehr ent- Ich möchte Sie auffordern – das hat Herr Lippold an- (D) schieden – übrigens parteiübergreifend – gelöst. Natürlich geboten; das muss ich ihm zugestehen –, dass Sie sich setzen wir uns auch auf der EU-Ebene weiter dafür ein, gemeinsam mit uns dieser schwierigen Situation der Kri- dass das Verbot der Verfütterung von Tiermehl bestehen senbewältigung und der Neuausrichtung der Landwirt- bleibt. schaft zuwenden. Bezüglich der Verwendung von antibiotikahaltigen Danke. Leistungsförderern ist es in ungeheurer Schnelligkeit zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einer Ausstiegsperspektive durch die EU-Kommission und bei der SPD – Steffi Lemke [BÜND- gekommen. Auf nationaler Ebene werden wir uns dafür NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit eigenen einsetzen, dass hier sehr schnell eine Lösung zustande Vorschlägen!) kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Anke Fuchs: Als Letztem in dieser sowie bei Abgeordneten der SPD) Debatte erteile ich das Wort dem Kollegen Matthias Zur Existenzsicherung der Fleischerzeuger – um das Weisheit für die SPD-Fraktion. letzte Stichwort aufzugreifen –: Die Diskussion über das in diesem Zusammenhang bestehende Ankaufprogramm Matthias Weisheit (SPD): Frau Präsidentin! Ge- ist unglaublich scheinheilig. schätzte Kolleginnen und Kollegen! Schon als ich mir die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur heutigen Debatte vorliegenden Anträge noch einmal sowie bei Abgeordneten der SPD) angesehen habe, war mir bewusst: Dabei kann nicht viel herauskommen. Denn der Inhalt der Anträge ist, soweit er Es ist kaum zu fassen: Auf der einen Seite kritisiert gerade auf nationaler Ebene umsetzbar ist, durch konsequentes die F.D.P., dass das Ankaufprogramm nicht angelaufen Handeln der Regierung erledigt. Die Anträge sind über- ist. Auf der anderen Seite besteht das Problem der Trans- flüssig. porte. Wie, bitte schön, soll denn das Fleisch nach Nord- korea kommen? Soll es vielleicht auf fliegenden Teppi- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ chen oder in einer anders gearteten Form dorthin DIE GRÜNEN) transportiert werden? Deshalb war es für mich kein Wunder, dass Herr (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie haben leider Lippold hier eine riesige Litanei an Forderungen bezüg- nicht zugehört!) lich des Verbraucherschutzes vorbringt. Dazu muss ich 16142 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Matthias Weisheit (A) sagen: Dieses Thema haben Sie offenbar neu erfunden, mehr – gibt, die eigentlich nur dadurch entstehen können, (C) seit Sie in der Opposition sind. Denn bisher hat es bei dass wir Futter aus Ländern importieren, wo Hunger Ihren Kollegen, deren Position mir seit vielen Jahren aus herrscht, dann dürfen bei uns nur noch so viele Tiere dem Agrarausschuss bekannt ist, keine Rolle gespielt. gemästet und großgezogen werden, wie wir selber inner- Das, was Albert Deß in seinem Beitrag, der vonseiten der halb der Europäischen Union ernähren können. CSU kam, angesprochen hat, widersprach zum Teil dia- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ metral dem, was Sie vorhin hinsichtlich des Verbraucher- DIE GRÜNEN) schutzes gefordert haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Aber diese Politik hat bisher noch niemand eingeleitet. DIE GRÜNEN) Jetzt sagen Sie: Macht es doch endlich! Ja, wir sind dabei. So habe ich mir die heutige Debatte von vornherein Sie wissen aber ganz genau, dass wir weder die Ge- vorgestellt. Ich erinnere an den Satz, den Bundesminister setzmäßigkeiten des Föderalismus in der Bundesrepublik Müller letzte Woche gesagt hat, nämlich dass wir eigent- Deutschland von heute auf morgen umwerfen können – da lich eine bessere Opposition verdient hätten, eine, mit der gibt es Zuständigkeiten; das gilt übrigens auch für die Fi- man sachlich arbeiten könnte; denn dann könnte man auf nanzierung der BSE-Folgen – noch die EU von heute auf den gesamten Bundestag stolz sein. Aber auf eine solche morgen von ihren Beschlüssen abbringen und zum Um- Art und Weise, indem man nämlich die Ministerin nur dif- kehren auf ihren Pfaden bringen können. Das dauert län- famiert und sagt, dass all das, was sie macht, schlecht ist, ger. Aber in den Gesprächen, die wir mit unseren Kolle- und dass all das, was man selber will, gut ist, sollte man gen in wichtigen europäischen Partnerstaaten führen, nicht miteinander umgehen. Leider ist dies so passiert, stellen wir fest: Es findet ein Umdenken statt. In ein paar zum Beispiel durch die Zurufe meines geschätzten Kolle- Jahren, beim Mid-Term-Review, sind wir bestimmt so gen Ronsöhr. weit, dass wir in die Richtung marschieren können, dass die Futtergrundlage, die wir in der EU haben, für die tie- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Durch unsere Politik rische Erzeugung, die wir betreiben, ausreichen muss. ist es doch erst dazu gekommen! Wir haben uns Nur so kommen wir aus diesem Dilemma mit den hun- doch durchgesetzt!) gernden Ländern auf der einen Seite und den Überschüs- sen bei uns auf der anderen Seite heraus. – Lieber Herr Kollege Heinrich, um noch einmal auf die Geschichte mit Nordkorea einzugehen: Lassen Sie mich an dieser Stelle einen ganz bemer- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Es ist doch unsere kenswerten Vorgang aufgreifen. Albert Deß, ich habe mit Politik gewesen!) großem Vergnügen zur Kenntnis genommen, dass der Sprecher der CSU und damit auch der gesamten (B) Es ist nicht Ihre Politik gewesen. CDU/CSU-Fraktion hier gesagt hat, wir sollten die 90- (D) Tiere-Obergrenze, die Herr Fischler gefordert hat, ak- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber natürlich!) zeptieren. Vielmehr ist die Sache aus der Öffentlichkeit auf uns zu- (Albert Deß [CDU/CSU]: Ich habe den Wider- gekommen. spruch von Frau Künast dargestellt!) (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie konnten doch – Das hast du hier gefordert. – gar nicht anders!) (Albert Deß [CDU/CSU]: Nein!) Wir haben sie geprüft und konnten Gott sei Dank zu dem Schluss kommen: Bei Korea handelt es sich um eine Aus- Ich möchte gerne hören, was in Bayern los ist, wenn wir nahme, wo wir das machen können. Aber es soll doch nie- das akzeptieren würden: Mord und Totschlag! Diese böse mand sagen – und damit persönlich diffamieren, nichts Bundesregierung! anderes ist geschehen –, Die 90-Tiere-Obergrenze beträfe nicht nur die Be- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ich habe niemanden stände in den neuen Bundesländern, sondern die Bestände persönlich diffamiert!) in allen Ländern, auch in Süddeutschland. Die 90-Tiere- Obergrenze ist ein Unfug. Denn von der Zahl der Tiere in wer solche Nahrungsmittelhilfe aus Überschüssen der einem Betrieb hängt weder Qualität noch Umweltschutz Industrienationen für schlecht hält, der beleidigt Bundes- oder artgerechte Haltung ab. Von der Fleischmenge kom- wehrpiloten. Die werfen üblicherweise keine Über- men wir nur herunter, wenn wir das Schlachtgewicht sen- schüsse ab. Inzwischen wird das Zeug in den benachbar- ken. Darüber verhandelt die Ministerin in Brüssel. Da ten Regionen gekauft und kommt eben nicht mehr aus kommen wir auch voran. unseren Überschüssen. Die Ministerin hat selber vorhin dargestellt, was sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ alles in dieser kurzen Zeit angestoßen und wo sie sich DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: durchgesetzt hat. Ich kann deshalb darauf verzichten, das Alles in einen Topf geschmissen!) noch einmal zu tun. Wenn wir mittelfristig aus dieser Zwickmühle heraus- Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche erhol- kommen wollen – die darin besteht, dass es auf der einen same Ostern. Seite in den armen Ländern im Süden hungernde Men- schen und auf der anderen Seite bei uns Veredelungs- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ überschüsse – Schweinefleisch, Rindfleisch und anderes DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16143

(A) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Dahin kommen wir Jetzt wird im Grunde genommen innerhalb einer Legisla- (C) noch nicht, weil nun der Kollege Ronsöhr noch den turperiode europaweit kein weiteres Antibiotikum verbo- Wunsch nach einer Kurzintervention hat. Bitte sehr, Herr ten. Solche Tatbestände sind so unmöglich, dass eine Op- Kollege. position sie zu Recht aufarbeiten muss. (Zurufe von der SPD: Er entschuldigt sich! – (Beifall bei der CDU/CSU) Als Kavalier alter Schule! – Zuruf vom BÜND- Meine Damen und Herren, Ähnliches gilt für den öko- NIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt bringt er ein Kon- logischen Landbau. In Bayern wird ganz anders als bei- zept!) spielsweise in Nordrhein-Westfalen gefördert. Nordrhein- Westfalen fördert mit 191 DM, Bayern mit 707 DM. Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU): Frau Prä- (Matthias Weisheit [SPD]: Hat er jetzt eine zu- sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier sätzliche Redezeit?) wurde behauptet, nichts aus unserem Antrag sei umsetz- bar. Schauen Sie sich die Verbreitung des ökologischen Land- baus in Baden-Württemberg an und vergleichen Sie dies (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit Nordrhein-Westfalen, mit Schleswig-Holstein oder NEN]: Er hat sich erledigt!) dem Land, das der Kanzler früher als Ministerpräsident – Ulrike, ich wäre ja sehr froh, wenn er sich erledigt hätte. regiert hat! Aber wo ist denn das Verbot des Tiermehltourismus? Du hast im Ausschuss selbst angekündigt, dass ihr Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt müssen Sie zum Schluss kommen. Ihre Redezeit ist beendet. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das steht nicht in dem Antrag!) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU): Frau Prä- – das steht drin – den Tiermehltourismus verbieten wür- sidentin, ich bedanke mich für diesen Hinweis. det. Zumindest gibt es eine gesetzliche Grundlage, die wir gemeinsam mit der Koalition verabschiedet haben. Aber Wir haben keine Belehrungen nötig. Eher muss die rot- diese gesetzliche Grundlage wird nicht genutzt. grüne Koalition belehrt werden. Was ist mit dem Verbot der Fettschmelzen? Wir sind (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) uns doch alle einig und verfügen inzwischen auch alle über entsprechende Erkenntnisse, dass Fettschmelzen Vizepräsidentin Anke Fuchs: Zu einer Erwiderung (B) Prionenschleudern sind, die stillgelegt werden müssen. erteile ich der Kollegin Höfken das Wort. (D) Wenn wir dies hier problematisieren, tun wir das mit al- lem Recht. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Man (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) könnte den Gesinnungswandel der CDU/CSU in gewisser Im Hinblick auf Antibiotika hat sich unser Antrag doch Weise begrüßen, wäre sie denn in den Abstimmungen, in den Konzepten und in der Durchsetzungsstrategie – auch auch nicht erledigt. In Europa war die Tür sehr weit offen, in den Ländern – konsequent. Aber wenn das ein Angebot als es um das Verbot der letzten vier antibiotischen „Leis- war, in Zukunft in Richtung Verbraucher-, Umwelt- und tungsförderer“ ging. Tierschutz zu gehen, nehmen wir das gerne auf. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Leistungsförderer?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Herr Kollege, ich habe doch das in Anführungsstriche und bei der SPD) gesetzt. Allerdings wies die Rede des Kollegen Albert Deß lei- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das habe ich gehört!) der in eine ganz andere Richtung. Er argumentierte nach dem Motto, jedes landwirtschaftliche Produkt sei gleich, – Es ist ja schön, dass Sie das zur Kenntnis nehmen. es gebe keine Unterschiede, Ökolandbau sei mieser (Dr. Uwe Küster [SPD]: Ich lache nur über Kram und im Grunde nicht geeignet, um der steigenden diesen Euphemismus!) Nachfrage gerecht zu werden. Sie müssen eine Abkehr von der Sichtweise finden, dass es in der Landwirtschaft Wenn ein solches Verbot aber erst im Jahre 2005 greift, keine unterschiedlichen Angebote zu geben brauche. dann ist dies aus unserer Sicht nicht der richtige Zeit- Auch Sie müssen einen neuen Weg finden, um der Nach- punkt. frage der Verbraucher zu entsprechen. Dafür bietet Öko- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: landbau eine riesige Chance. Wir werden sie wahrneh- Das hätten Sie mal früher machen sollen!) men und haben uns 10 Prozent in fünf Jahren und 20 Prozent in zehn Jahren zum Ziel gesetzt. Dies halten – Wir haben zehn antibiotische „Leistungsförderer“ in un- wir für eine positive Entwicklung der Landwirtschaft ins- serer Regierungszeit verboten. gesamt. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Richtig! – Wider- Zum Zweiten möchte ich Sie an die Diskussionen er- spruch der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ innern, die wir um die Herausnahme des Risikomaterials DIE GRÜNEN]) geführt haben. Damals haben Sie, Herr Ronsöhr, mit aller 16144 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Ulrike Höfken (A) Kraft dafür gekämpft, dass das nicht passiert. Ein weite- – Drucksache 14/2363 – (C) res Beispiel ist das Tiermehl. Es hat sehr viel Energie ge- (Erste Beratung 82. Sitzung) kostet, Tiermehl in Futtermitteln endlich zu verbieten. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann hätten wir bis Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- heute keine BSE-Erkrankungen festgestellt, weil alles ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- verdeckt worden wäre. Das gleiche gilt für Antibiotika. ordnung (1. Ausschuss) Wir haben unglaubliche Diskussionen darüber geführt, ob die tägliche Einnahme von antibiotischen Leistungsförde- – Drucksache 14/5790 – rern unvermeidlich ist. Berichterstattung: Abgeordnete Hermann Bachmaier (Albert Deß [CDU/CSU]: Die rot-grüne Bun- Andreas Schmidt (Mülheim) desregierung war genauso dabei!) Hans-Christian Ströbele Ich finde, wir kommen erst jetzt an einen Punkt, an Jörg van Essen dem wir uns gemeinsam verständigen müssen, um viel- Dr. Evelyn Kenzler leicht in Zukunft eine gute Verbraucherpolitik zu betrei- Zu diesen Gesetzentwürfen liegt ein Änderungsantrag ben. der PDS-Fraktion vor. Danke. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Damit sind Sie und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr einverstanden. [CDU/CSU]: Auf keine konkrete Sache einge- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem gangen!) Kollegen Hermann Bachmaier, SPD-Fraktion.

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich schließe die Aus- Hermann Bachmaier (SPD): Frau Präsidentin! Mei- sprache. ne verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vor mehr als Wir stimmen ab über die Beschlussempfehlung des einem Jahr haben wir in erster Lesung die beiden Gesetz- Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- entwürfe der Koalitionsfraktionen und der F.D.P.-Frak- wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit tion im Bundestag beraten. Damals hatte ich immer noch dem Titel „Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des Ver- meine Zweifel, ob es uns nach 50 Jahren endlich gelin- braucherschutzes und zur Unterstützung der landwirt- gen würde, der Arbeit der Untersuchungsausschüsse des (B) schaftlichen Betriebe erforderlich“, Drucksache 14/5722. Deutschen Bundestages eine vernünftige gesetzliche (D) Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache Grundlage zu geben. Es sieht aber so aus, als ob dieser 14/5544 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- – mittlerweile achte – Versuch endlich Erfolg haben wird. empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Mit den Besonders erfreulich ist, dass der heute zu beschließende Stimmen der Fraktion der SPD und der Fraktion des Gesetzentwurf eine breite, möglicherweise einstimmige Bündnisses 90/Die Grünen ist diese Beschlussempfeh- Zustimmung erfahren wird. lung angenommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf DIE GRÜNEN) Drucksache 14/5479 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein- Dies ist gut so und wird dem Gesetz über seine rechtliche verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Verbindlichkeit hinaus hohe Legitimation für die Arbeit zukünftiger Untersuchungsausschüsse mit auf den Weg Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: geben. Es ist schon interessant, der Frage nachzugehen, worin – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- denn die Gunst der Stunde besteht, dass wir gerade jetzt, nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE während der Parteispenden-Untersuchungsausschuss noch GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- höchst kontrovers um Erkenntnisse und Ergebnisse ringt, zes zur Regelung des Rechts der Untersuchungs- die Kraft aufbringen, endlich die gesetzlichen Grundlagen ausschüsse des Deutschen Bundestages (Unter- für die weitere Arbeit von Untersuchungsausschüssen zu suchungsausschussgesetz) schaffen. Möglicherweise haben gerade die höchst unter- – Drucksache 14/2518 – schiedlichen Erfahrungen der Fraktionen in diesem Un- tersuchungsausschuss mit dazu beigetragen, die längst (Erste Beratung 82. Sitzung) überfällige gesetzliche Regelung zu schaffen. Schließlich ist es ein entscheidendes Anliegen des Gesetzes, das Ver- – Zweite und dritte Beratung des von den Abge- fahren zukünftig so zu strukturieren, dass die Sacharbeit ordneten Dr. Wolfgang Gerhardt, Jörg van Essen, in Untersuchungsausschüssen nicht im ständigen Verfah- , weiteren Abgeordneten und der renshickhack zu ersticken droht. Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Regelung des Rechts der Un- Entscheidend war sicherlich auch, dass einerseits die tersuchungsausschüsse des Deutschen Bundes- Koalitionsfraktionen die zum Teil bitteren Erfahrungen in tages (Untersuchungsausschussgesetz) ihrer Oppositionszeit noch nicht vergessen haben und an- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16145

Hermann Bachmaier (A) dererseits die heutige Opposition mittlerweile gelernt hat, auch gleichzeitig das notwendige Vertrauen aller Grup- (C) dass auch Untersuchungsausschüsse Regeln benötigen, pierungen im Untersuchungsausschuss haben muss. Das die ein gerechtes und zügiges Verfahren und somit eine in § 10 des Gesetzentwurfs vorgesehene Verfahren zwingt vernünftige Sacharbeit ermöglichen. dazu, über den eigenen politischen Tellerrand hinaus zu denken. Mir fallen viele Personen mit höchst unterschied- Machen wir uns aber keine Illusionen! Trotz dieses lichem politischen Hintergrund ein, die ich mir für diese recht gelungenen ersten Untersuchungsausschussgesetzes interessante Aufgabe vorstellen könnte. des Deutschen Bundestages wird es auch in Zukunft hef- tigen Streit um den richtigen Weg zur Aufklärung und vor Einen Punkt möchte ich noch besonders hervorheben, allem um die Bewertung der in den Ausschüssen ge- weil sich gerade an ihm in der Vergangenheit immer wie- wonnenen Erkenntnisse geben. Dies ist gut und richtig so, der heftiger und unnötiger Streit entzündet hat. Die Frage, denn Untersuchungsausschüsse sind keine gerichtlichen wann welche Zeugen zu vernehmen sind und in welcher Entscheidungskörper – und sollen es auch nicht sein – in Reihenfolge die jeweilige Vernehmung zu erfolgen hat, denen am Ende ein allgemeingültiges Urteil gesprochen haben wir durch einen ganz einfachen Verweis gelöst. In wird. Es wird immer mehrere und unterschiedliche Beur- Zukunft werden die Regeln der Geschäftsordnung des teilungen geben. Dieses Gesetz soll allerdings dazu bei- Deutschen Bundestages im Untersuchungsausschuss tragen, dass die Auseinandersetzungen mehr um die Sa- dann sinngemäß angewendet, wenn sich die unterschied- che und weniger um das jeweilige Verfahren geführt lichen Gruppierungen nicht auf ein vernünftiges Verfah- werden. ren verständigen können. Dieser unersprießliche und fast jeden Untersuchungsausschuss begleitende Streit, der die (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Arbeit nicht selten schwer belastet und manchmal fast er- GRÜNEN und der F.D.P.) stickt hat, wird, so meinen wir, bald der Vergangenheit an- Dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf hat die gründ- gehören. liche parlamentarische Beratung gut getan. Er ist besser, Ein weiterer Punkt: In Zukunft wird für alle Verfah- realitätsgerechter und in seinen Folgen weitreichender rensstreitigkeiten, für die nicht von vornherein das Bun- geworden als die Entwürfe, die ihm zugrunde lagen. Das desverfassungsgericht zuständig ist, der Bundesgerichts- ist nicht immer so. hof bzw. der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof Nach einer hochinteressanten Sachverständigenanhö- zuständig sein. Die Folge ist, dass es nur noch eine Instanz gibt. Die Konsequenz ist, dass schnell und zügig Rechts- rung, einer höchst informativen Berichterstatterreise in sicherheit geschaffen wird. Außerdem wird sich durch die die USA und gründlichen Berichterstattergesprächen un- Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs auch schnell eine ter Einbeziehung vielfältiger weiterer Anregungen haben gefestigte Rechtsprechung für alle alltäglichen Streitfra- wir ein, wie ich meine, recht gutes Untersuchungsaus- (B) gen eines Untersuchungsausschusses herausbilden, so- (D) schussgesetz entwickelt. Dieses Gesetz führt nicht nur die dass viele Verfahren überflüssig werden dürften. bisherigen Streitfragen einer vernünftigen Lösung zu, sondern wird zukünftigen Untersuchungsausschüssen Diese Regelung wird ihre Wirkung auf grundlos un- auch neue Impulse geben. willige Zeugen und diejenigen, die die Herausgabe von Beweismitteln grundlos verweigern, nicht verfehlen. Unser Ziel war es, das Verfahren zügiger, effizienter Auch die deutliche Erhöhung der Ordnungsgelder auf bis und ergebnisorientierter auszurichten. Die interessanteste zu 10 000 Euro wird bei denjenigen, die ihren Pflichten Neuerung dabei ist sicherlich die gesetzlich geschaffene gegenüber einem Untersuchungsausschuss nicht nach- Möglichkeit, in Zukunft einen Ermittlungsbeauftragen kommen wollen, nicht ohne Wirkung bleiben. bzw. eine Ermittlungsbeauftragte dem Untersuchungs- ausschuss zuzuordnen und ihn bzw. sie mit Vorermittlun- Während der Beratungen haben wir uns auch intensiv gen zu beauftragen. Wenn der Untersuchungsausschuss mit der Frage der Fernsehöffentlichkeit von Zeugenver- von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, bleiben ihm nehmungen im Untersuchungsausschuss beschäftigt und mühsame und zeitraubende Vorstrukturierungen erspart. eine Vielzahl von Gesprächen mit sachkundigen Personen Der Untersuchungsausschuss weiß auch möglicherweise geführt. Die jetzt gefundene Lösung führt zu einer behut- früher als bislang, was er von den jeweils zu ladenden samen Öffnung und lässt Fernsehübertragungen von Zeu- Zeugen zu erwarten hat. genvernehmungen dann zu, wenn zwei Drittel der Mit- glieder des Untersuchungsausschusses und die jeweils (Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!) betroffene Zeugin oder der betroffene Zeuge derartigen Es kann dann schon im Vorfeld Wesentliches leichter von Aufnahmen zustimmen. Ich meine, dass wir damit den Unwesentlichem getrennt werden. Das Verfahren kann schwer in Einklang zu bringenden Belangen der Wahr- konzentrierter und zügiger vorangebracht werden. heitsfindung, des Persönlichkeitsschutzes und des Öffent- lichkeitsprinzips des Parlaments hinreichend Rechnung Allerdings werden diejenigen, die in Zukunft einen Er- tragen. mittlungsbeauftragten bzw. eine Ermittlungsbeauftragte fordern, viel Fingerspitzengefühl benötigen, wenn es da- Wir konnten dabei auch nicht außer Acht lassen, dass rum geht, eine geeignete Person vorzuschlagen, die neben das Bundesverfassungsgericht erst jüngst Fernsehübertra- gungen von Gerichtsverhandlungen und vor allem auch Erfahrung, Kompetenz und Sachverstand von Zeugenvernehmungen strikt untersagt hat. In unse- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten rem Verfassungssystem sind eben – anders als in den Ver- [CDU/CSU]: Hirsch!) einigten Staaten von Amerika – der Mediengesellschaft 16146 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Hermann Bachmaier (A) nach wie vor gewisse Grenzen gesetzt. Auch dies hatten Herzlichen Dank. (C) wir zu berücksichtigen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Wir haben uns auch mit der im Parteispenden-Unter- GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) suchungsausschuss höchst umstrittenen und brisanten Frage des Rechtes der Auskunftsverweigerung von Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile dem Kolle- Zeugen intensiv auseinandergesetzt. Ich habe viel Ver- gen Andreas Schmidt für die CDU/CSU-Fraktion das ständnis für den Ärger meiner Kolleginnen und Kollegen Wort. im Parteispenden-Untersuchungsausschuss, die häufig mit einer Wand des Schweigens konfrontiert sind, wenn zentrale Zeugen vor dem Ausschuss erscheinen. Dennoch Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU): Frau Prä- war für uns der Grundsatz, dass letztlich kein Zeuge ge- sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zwungen werden kann, sich durch seine Aussage der Ge- CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird heute dem vorlie- fahr einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen, immer genden Entwurf zum Untersuchungsausschussgesetz in unbestritten. An eine Lockerung dieses rechtsstaatlichen der Fassung der Beschlussempfehlung des Geschäftsord- Grundprinzips in Untersuchungsausschüssen wäre des- nungsausschusses zustimmen. Dieses Gesetz ist aufgrund halb nur dann zu denken gewesen, wenn gleichzeitig ei- der Erfahrungen, die wir im laufenden Untersuchungsaus- nem aussagebereiten Zeugen zugesichert werden könnte, schuss mit der rot-grünen Mehrheit gemacht haben, drin- dass ihm aus dem dann geschilderten Sachverhalt keine gend notwendig und in der Sache geboten. strafrechtliche Verfolgung mehr droht. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Wir haben uns sehr ernsthaft und gründlich mit dieser GRÜNEN]: Das hört man gerne!) Frage auseinandergesetzt, auch in langen Gesprächen, die wir in den Vereinigten Staaten geführt haben; denn dort Wir erreichen mit diesem Gesetz drei wichtige Ziele: – das wissen Sie – gibt es eine andere Regelung. Einen so Erstens. Die Minderheitenrechte werden in zentralen weitgehenden, dem Kronzeugenprinzip angenäherten Punkten gestärkt. Verzicht auf Strafverfolgung, ausschließlich bezogen auf (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE ein parlamentarisches Untersuchungsausschussverfahren, GRÜNEN]: So sind wir!) haben wir letztlich nicht gewollt. Auch das Untersu- chungsrecht des Parlamentes sollte dort seine Grenzen Zweitens. Die einseitige parteipolitische Instrumenta- finden, wo die Ermittlungsmöglichkeiten in einem ge- lisierung eines Untersuchungsausschusses durch die richtlichen Strafverfahren enden. Mehrheit wird durch das Gesetz zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, aber zumindest erschwert. (B) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir (D) zukünftigen Untersuchungsausschüssen eine vernünftige Drittens. Minderheit und Mehrheit erhalten durch rechtliche Grundlage. Wir erheben nicht den Anspruch, das Gesetz gemeinsam die Chance, sich gegenseitig zu dass wir damit für alle Zeit alle Streitfragen erledigt hät- zwingen, sich in künftigen Untersuchungsausschüssen ten. Jedes neue Gesetz muss sich zunächst in der Praxis konzentrierter und zielgerichteter am eigentlichen Unter- bewähren. suchungsauftrag zu orientieren. Wir haben im Untersu- chungsausschuss die wichtige Erfahrung gemacht, dass Das heute zu beschließende Untersuchungsausschuss- sich hier etwas ändern muss. gesetz ist eine Chance, Untersuchungsausschussarbeit in Zukunft sachorientierter in Angriff zu nehmen und Zu einer parlamentarischen Demokratie gehört nicht schneller als bisher zu Ergebnissen zu kommen. Das Ge- nur die Debatte. Zur Demokratie gehört vor allen Dingen setz liefert aber nur einen vernünftigen Rahmen und, wie auch der Streit. Für diesen notwendigen Streit gibt es in wir meinen, ein vernünftiges Verfahren. Damit ist noch einem Rechtsstaat Spielregeln. Das heute hier vorlie- nicht gewährleistet, dass sich die konkrete Arbeit an die- gende Untersuchungsausschussgesetz wird nach seiner sen Zielvorstellungen orientiert. Mit Leben erfüllt werden Verabschiedung zu diesen Spielregeln gehören. Ich finde, muss dieses Gesetz erst durch die Parlamentarierinnen es ist ein Wert an sich, wenn die Spielregeln für die strei- und Parlamentarier, die in Zukunft in Untersuchungsaus- tigen Auseinandersetzungen im Konsens beschlossen schüssen Verantwortung tragen. werden. Manches wird nicht mehr nach den eingefahrenen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Schemata der letzten 50 Jahre gehen. Daran werden sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diejenigen gewöhnen müssen, die sich in dieser Grauzone Ich begrüße daher sehr, dass es uns gelungen ist, in die- bislang gut eingerichtet haben. Die eigentliche Bewäh- sem Punkt einen solchen Konsens, eine gemeinsame Po- rungsprobe steht dem heute zu beschließenden Gesetz sition, erreicht zu haben. erst noch bevor. Ich habe gerade gesagt, dass die Erfahrung, die wir im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten laufenden Untersuchungsausschuss mit der rot-grünen der F.D.P.) Mehrheit gemacht haben, der entscheidende Grund dafür Vielen Dank an diejenigen, die an dieser schwierigen ist, dass die Union den vorliegenden Gesetzentwurf für Aufgabe im Parlament, in den Ministerien und vor allem notwendig und richtig hält. Die rot-grüne Mehrheit im auch in dem Sekretariat des Geschäftsordnungsaus- Untersuchungsausschuss hat in den vergangenen Mona- schusses so tatkräftig mitgewirkt haben. ten gegen jedes rationale Aufklärungsinteresse diesen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16147

Andreas Schmidt (Mülheim) (A) Ausschuss in einer unglaublichen Art und Weise zu partei- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (C) politischen Zwecken gegen die Union instrumentalisiert. GRÜNEN]: Das hätte Ihnen eher einfallen müssen!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie sich sparen können! Wir haben im laufenden Untersuchungsausschuss eine Das ist doch nun wirklich nicht wahr!) zweite Erfahrung gemacht, die dazu geführt hat, dass wir heute sagen: Wir brauchen dieses Gesetz. Wir wissen SPD und Grüne haben immer wieder gegen besseres Wis- heute – Sie können das nicht bestreiten –, dass auch die sen, ohne Belege oder Beweise zu haben, den Verdacht SPD massiv gegen das Transparenzgebot des Grundge- kolportiert, es gebe einen Zusammenhang zwischen setzes und gegen das Parteiengesetz verstoßen hat, Spenden und bestimmten Entscheidungen der früheren Bundesregierung. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Gesetzent- (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ob wir dem Ge- wurf zu tun?) setzentwurf jetzt noch zustimmen, ist fraglich!) und zwar durch eine systematische Verschleierung eines Um diese Diffamierungskampagne fortsetzen zu kön- riesigen Beteiligungsvermögens. Der Untersuchungsauf- nen, hat Rot-Grün die Vernehmung der entscheidenden trag im laufenden Untersuchungsausschuss verlangt auch Zeugen, die diese schweren Vorwürfe hätten aufklären hierüber Aufklärung. können, über Monate nicht zugelassen. Unseren Anträ- gen, den ehemaligen Bundeskanzler, Dr. Kohl, und die Unsere Erfahrung ist völlig eindeutig: Rot-Grün hat übrigen Regierungsmitglieder zu Beginn dieses Untersu- immer dann, wenn es für die SPD unangenehm wurde, chungsausschusses als Zeugen zu vernehmen, hat sich die ihre Mehrheit missbräuchlich eingesetzt, Mehrheit aus rein parteitaktischen Gründen über Monate (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE widersetzt. GRÜNEN]: Das ist ja schon wieder Polemik! Sie wollten doch brav sein!) Der entscheidende Vorteil des Untersuchungsaus- schussgesetzes liegt darin, dass eine einseitige Festle- indem sie unsere Beweisanträge zur Aufklärung des gung der Zeugenreihenfolge aus rein parteitaktischen SPD-Parteivermögens durch Abstimmung für unzulässig Gründen zukünftig nicht mehr möglich sein wird. erklärt hat. Die rot-grüne Arroganz der Macht gegenüber unseren Minderheitenrechten war nur deshalb so scham- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE los möglich, weil uns aufgrund der geltenden Rechtslage GRÜNEN]: So ist es! Das hätten Sie schon in kein Rechtsmittel gegen dieses missbräuchliche Verhalten der letzten Legislaturperiode machen können!) zur Verfügung gestanden hat. Das neue Gesetz bringt hier (B) Durch das Gesetz wird sichergestellt, dass auch die Min- eine wichtige Verbesserung. Durch das neue Unter- (D) derheit das Recht hat, eine Vernehmung von ihr benann- suchungsausschussgesetz erhält eine Fraktion das Recht, ter Zeugen zeitnah und sachgerecht zu terminieren. Das bei Ablehnung eines eigenen Beweisantrages den Rechts- ist für mich der entscheidende Fortschritt durch dieses weg zum BGH zu beschreiten. Gesetz. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Gestatten Sie eine (Beifall bei der CDU/CSU) Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz? Wenn dieses Gesetz schon bei Einsetzung des laufen- den Untersuchungsausschusses Geltung gehabt hätte, Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU): Ja, sehr wären auf unseren Antrag hin zum Beispiel die Zeugen gerne, Herr Kollege. Kohl, Genscher und Stoltenberg zu Beginn der Arbeit des Untersuchungsausschusses vernommen worden. Der Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte sehr. Ausschussvorsitzende Neumann hätte dann viele Monate früher – als er es jetzt getan hat – vor der Öffentlichkeit zugeben müssen, dass beispielsweise die Vorwürfe der Dieter Wiefelspütz (SPD): Lieber Herr Kollege Bestechlichkeit bezüglich der Panzerlieferung völlig ge- Schmidt, können Sie uns eigentlich verraten, warum wir genstandlos sind. uns fraktionsübergreifend auf das neue Untersuchungs- ausschussgesetz verständigt haben? (Beifall bei der CDU/CSU – Hermann Bachmaier [SPD]: Lieber Herr Schmidt, reden Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU): Herr Sie doch über diesen Gesetzentwurf und nicht Kollege Wiefelspütz, wir machen das gemeinsam, weil es über den Ausschuss!) bei Ihnen doch noch einige nachdenkliche Leute gibt, Das heute zu verabschiedende Gesetz wird formal erst (Zuruf von der SPD: Die ganze Fraktion!) für den nächsten Untersuchungsausschuss Geltung haben; darüber sind wir uns einig. Wir erwarten allerdings, dass die erkennen, dass sich die Arroganz der Macht, die sie im die rot-grüne Mehrheit auch im laufenden Untersuchungs- Untersuchungsausschuss an den Tag gelegt haben, jetzt ausschuss den klaren Willen des Gesetzgebers akzeptiert gegen sie selbst richtet. und zur Kenntnis nimmt, dass auch die Minderheit das (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Recht haben soll, die Reihenfolge der Vernehmung der GRÜNEN]: Zum Beispiel der Kollege Zeugen mitzugestalten. Ströbele!) 16148 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Andreas Schmidt (Mülheim) (A) Damit dies nicht noch einmal geschieht, sind sie offen- Die rechtsstaatlichen Prinzipien müssen auch in einem (C) sichtlich zu der Erkenntnis gelangt, dass es richtig ist, hier Untersuchungsausschussverfahren Geltung haben. Des- etwas zu verändern. halb ist es wichtig und richtig, dass im Gesetzentwurf klar und unmissverständlich festgestellt wird: Die Aussage- Ich nenne Ihnen ein zweites Argument: Sie müssen verweigerungsrechte der Strafprozessordnung haben natürlich damit rechnen – das wissen Sie auch –, bald wie- uneingeschränkt Geltung auch im Untersuchungsaus- der eine Minderheit zu sein, schussverfahren. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Ich möchte als abschließenden Punkt das Thema Be- GRÜNEN]: Wie kommen Sie denn darauf?) troffenenstatus ansprechen. Wir haben diesen Status im und Sie wollen nicht, dass wir dann Ihre Erfahrungen nut- Gesetzentwurf ausdrücklich nicht geregelt. In diesem zen und mit Ihnen genauso umgehen, wie Sie es mit uns Punkt hat es keinen Konsens, keine Einigung gegeben. als Minderheit getan haben. Aber wir sind uns einig, dass der Gesetzentwurf im Hin- blick auf die Geltung des Art. 44 des Grundgesetzes den Betroffenenstatus im Einzelfall nicht ausschließt. Des- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege halb haben wir in den Bericht folgende Formulierung zu Wiefelspütz möchte eine weitere Zwischenfrage stellen. § 20 des Gesetzentwurfs einvernehmlich aufgenommen: Ich denke aber, ich lasse diese Frage nicht mehr zu, weil die Zeit inzwischen fortgeschritten ist. Bei Erörterung des Verzichts auf einen gesetzlich vorzusehenden Betroffenenstatus und vor dem Hin- Herr Kollege, Sie dürfen fortfahren. tergrund der weiterhin von Art. 44 GG angeordneten sinngemäßen Anwendung der Regeln über den Straf- Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU): Ich will prozess war dem Ausschuss bewusst, dass eine über im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf zwei wei- die Regelungen des Untersuchungsausschussgeset- tere Punkte ansprechen: zes hinausgehende Zuerkennung von Rechten für Zeugen in bestimmten Sonderkonstellationen durch Erstens. Wir schaffen mit dem Gesetz die neue Institution die Rechtsprechung nicht ausgeschlossen werden eines Ermittlungsbeauftragten im Untersuchungsaus- könne. schussverfahren. Ich sage Ihnen ganz klar: Weder Kenneth Starr noch Herr Hirsch haben hierbei Pate gestanden; bei Als Fazit halte ich fest: Aufgrund der gemachten Er- unserer Diskussion über die neue Funktion waren sie eher fahrungen im laufenden Untersuchungsausschuss halten abschreckende Beispiele. Der Ermittlungsbeauftragte hat wir den vorliegenden Gesetzentwurf für notwendig und lediglich – darüber sind wir uns einig – im Innenverhältnis zielführend. Mit diesem Gesetzentwurf, vor allem durch eine dienende Funktion. Er soll nämlich die Arbeit des die Stärkung der Minderheitenrechte, stellt sich der Ge- (B) Untersuchungsausschusses vorbereiten und dadurch hel- setzgeber eindeutig gegen den Missbrauch der rot-grü- (D) fen, die Arbeit zu straffen und zu forcieren. nen Mehrheit im laufenden Untersuchungsausschussver- fahren. Zweitens. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schrei- ben wir den Grundsatz fest, dass Fernsehübertragungen (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE aus einem Untersuchungsausschuss grundsätzlich nicht GRÜNEN]: Aber Herr Schmidt!) zulässig sind. Diese Position ist nach meiner Auffassung Die CDU/CSU-Fraktion wird deswegen dem Gesetzent- richtig und wichtig, weil eine Fernsehübertragung eher der wurf in zweiter und dritter Lesung zustimmen. parteipolitischen Instrumentalisierung als der Wahrheits- Auch ich möchte abschließend die Gelegenheit nutzen, findung dient und die Persönlichkeitsrechte der Zeugen um mich für die sachgerechte und sachliche Diskussion bei einer Fernsehübertragung übermäßig beeinträchtigt zu bedanken, die ohne Kameras stattfand. würden. Im Wege des Kompromisses haben wir die Mög- lichkeit ins Gesetz geschrieben, eine Ausnahme von der (Hermann Bachmaier [SPD]: Die im wohltu- Regel zuzulassen. Allerdings ist die Hürde dafür durch enden Gegensatz zu dieser Rede stand!) eine notwendige Zweidrittelmehrheit im Ausschuss und Ich bedanke mich auch bei den Mitarbeitern, die uns hilf- die notwendige Zustimmung des Zeugen bewusst sehr reich zur Seite gestanden haben. Ich glaube, wir be- hoch angesetzt worden. Nach den bisher geltenden IPA- schließen heute ein wichtiges und notwendiges Gesetz. Regeln hatte der Ausschussvorsitzende allein über die Zulässigkeit von Fernsehübertragungen zu entscheiden. Vielen Dank. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- klarere Rechtslage und zementieren den Grundsatz: Öf- neten der SPD) fentlichkeit im Untersuchungsausschuss ja, Fernseh- übertragungen prinzipiell nein. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile das Wort Der Konsens im Hinblick auf den Gesetzentwurf, den dem Kollegen Hans-Christian Ströbele für die Fraktion wir partei- und fraktionsübergreifend begrüßen, war auch von Bündnis 90/Die Grünen. deshalb möglich, weil sich der Kollege Ströbele mit sei- ner Vorstellung, Zeugenrechte einzuschränken, nicht durchsetzen konnte. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kol- (Dr. Wolfgang Freiher von Stetten legen! Das Parlament gibt sich kurz vor Ostern ein Gesetz [CDU/CSU]: Sehr gut!) für die Arbeit des Parlaments, um die Kontrolle, eine der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16149

Hans-Christian Ströbele (A) wichtigsten Aufgaben des Parlaments, in Zukunft noch und haben gesagt: Wir schaffen jetzt ein Gesetz, aufgrund (C) besser ausüben zu können. Den vorliegenden Gesetzent- dessen die Minderheit, die Opposition – CDU/CSU und wurf werden wir wahrscheinlich einstimmig verabschie- F.D.P., aber auch die ganz kleine Fraktion – in Zukunft das den. Das wäre prima. Dass die CDU/CSU mitmacht – das Recht bekommt zu sagen: An dem Tag hätten wir gerne ist schon signalisiert worden –, ist sehr gut. einen bestimmten Zeugen vernommen. Sie haben in Zu- Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass der Kollege kunft einen Rechtsanspruch darauf, Schmidt, (Zuruf von der CDU/CSU: Mit Betonung auf (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten „in Zukunft“!) [CDU/CSU]: Ein guter Mann!) das jedenfalls in der Reihenfolge, die die Geschäftsord- anstatt die Platte aus dem Untersuchungsausschuss hier nung des Bundestages auch in anderen Fällen vorsieht, noch einmal abzuspielen, einige kleine selbstkritische durchzusetzen. Äußerungen gemacht hätte. Herr Kollege Schmidt, Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hätten ruhig erwähnen können, dass Sie am Anfang, als das Gesetz eingebracht und die Begleitmusik in der Öf- Das ist eine ganz positive Neuerung, wozu man als fentlichkeit gemacht worden ist, gegen das Gesetz und ge- große Mehrheit in diesem Hause über seinen Schatten gen die Ausdehnung der Minderheitenrechte gewesen springen musste. Wir hätten uns gewünscht, Sie hätten sind, obwohl Sie in der Opposition sind, und zwar des- diese Größe damals gehabt oder hätten jetzt mindestens halb, weil Sie Ihre Rolle in der Opposition vor einem Jahr die Größe, heute hier anzuerkennen, dass wir dies getan noch nicht richtig gefunden hatten. haben, dass wir also insoweit die Rechte der Opposition (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Minderheiten ernst nehmen. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie hätten sich auch kritisch dazu äußern können, und bei der SPD) warum Sie eigentlich in den 16 Jahren, in denen Sie mit Das Hervorragende an dem Gesetz ist also erstens – da- anderen hier die Mehrheit hatten – die F.D.P. war ja schon rauf ist von beiden Vorrednern hingewiesen worden –, früher für ein solches Gesetz, sie hat auch einen eigenen dass diese Minderheitsrechte geschaffen worden sind. In Entwurf eingebracht –, nicht die Gelegenheit wahrge- der nächsten Legislaturperiode, wenn wir wieder einen nommen haben, ein vernünftiges, schönes, gutes Gesetz Untersuchungsausschuss haben, – ähnlich wie dieses – zu verabschieden. Dann wären all Ihre Litaneien, die Sie uns heute wieder dargeboten ha- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: ben, nicht nötig gewesen, weil sie im laufenden Untersu- Auf das Betreiben von Herrn Ströbele!) (B) (D) chungsausschuss nach diesem Gesetz hätten verfahren können Sie maßgeblich mitbestimmen, wann Herr können. Auch diese Chance haben Sie verpasst. Dr. Kohl oder andere Zeugen gehört werden. Das ist für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Zukunft sicherlich auch für Sie eine Errungenschaft, sowie bei Abgeordneten der SPD weil Sie ja weiterhin in der Opposition bleiben Man fragt sich: Warum hat der Deutsche Bundestages (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und – in den 50 Jahren seiner Tätigkeit – auch in Untersu- bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten chungsausschüssen – eigentlich nicht fertig gebracht, ein [CDU/CSU]: Aber Kohl ist sicher nicht mehr solches Gesetz zu schaffen? Der Grund dafür ist, dass die Untersuchungsgegenstand!) jeweiligen Mehrheiten es in der Vergangenheit nicht über sich gebracht haben, den Minderheiten mehr Rechte zu und dann das Handeln Ihrer früheren Regierung besser geben, mit uns aufklären können. (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Recht haben sie ge- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN habt!) und bei der SPD) weil sie sich in ihrer Regierungstätigkeit, in ihrer Tätig- Eine zweite wichtige Änderung ist, dass wir uns in Zu- keit als Mehrheitskoalition nicht stören lassen wollten. kunft an eine moderne Entwicklung anpassen. Wir alle sit- Das war nicht sehr demokratisch, aber das waren die Fak- zen viel vor dem Fernseher, hören viel Radio und wün- ten. schen uns vielleicht manchmal, auch die Aussage so bedeutender Zeugen wie des Herrn Dr. Kohl live im Fern- Die Bündnisgrünen und die SPD, das heißt die neue sehen miterleben zu können, um nicht darauf angewiesen Koalition, zu sein, wie es heute geschieht, dass er vor dem Saal für (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Ströbele, die die Weltöffentlichkeit erzählt, was im Untersuchungsaus- SPD und die Bündnisgrünen, bitte schön! Das schuss zur Sprache gekommen ist. ist ja unglaublich!) (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Kohl wird haben mit dieser Vergangenheit gebrochen, sind über dann schon zustimmen!) ihren Schatten gesprungen Mit unserem Gesetz öffnen wir ein bisschen die Tür. Mit (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Zweidrittelmehrheit kann der Ausschuss die Fernsehüber- Über den grünen Schatten oder den roten tragung beschließen, allerdings nur mit Zustimmung der Schatten?) betroffenen Person. Es gab schon entsprechende Signale. 16150 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Hans-Christian Ströbele (A) Der dritte wesentliche Punkt – auch das erleichtert die Wiefelspütz [SPD]: Herr von Stetten, das war (C) Arbeit des Untersuchungsausschusses in Zukunft – ist, sehr sachbezogen!) dass seine Arbeit durch Rechtsmittel in Zukunft wirksa- Das heißt, dass der Ausschuss in wenigen, wichtigen Ein- mer und auch glaubwürdiger überprüft werden kann. Es zelfällen die Möglichkeit haben sollte, einen Zeugen zu ist ja heute so, dass ein Richter – früher am Amtsgericht einer Aussage zu veranlassen, wenn er Fragen nicht be- in Bonn, jetzt am Amtsgericht Tiergarten –, ein Assessor, antworten möchte, die für die Aufklärungsarbeit des Un- der vielleicht erst drei Monate in diesem Amt ist – wir ha- tersuchungsausschusses von entscheidender Bedeutung ben diese Erfahrung gemacht – darüber entscheidet, ob sind. Das sollte allerdings mit der Maßgabe geschehen, eine Entscheidung, die ein Untersuchungsausschuss des dass der Zeuge wegen dieser Aussage strafrechtlich nicht Deutschen Bundestages mit Mehrheit getroffen hat, Gül- zur Verantwortung gezogen werden kann und dass eine tigkeit behalten soll. Wir meinen, dass darüber der Bun- Immunitätsregelung geschaffen wird, wie sie für die desgerichtshof in Karlsruhe bzw. in Leipzig entscheiden US-Amerikaner selbstverständlich ist. muss. In Zukunft wird darüber also ein Ermittlungsrichter entscheiden. Es gibt die Beschwerdemöglichkeit und die Wir sind extra in die Vereinigten Staaten geflogen, um Möglichkeit, vor dem Bundesverfassungsgericht zu kla- die Erfahrungen der USA in dieser Angelegenheit kennen gen. Das ist eine ganz wichtige Veränderung. zu lernen. In den USA verstehen kein Abgeordneter – ganz egal, von welcher Partei –, kein Mitarbeiter, kein Nun komme ich zu einer Neuerung, die wir in der Staatsanwalt, kein Zeuge, kein Wissenschaftler und kein letzten Phase der Beratungen – am letzten Sitzungstag – Journalist, wie in Deutschland ein Untersuchungsaus- eingebaut haben. Kurz vor Ostern ist es richtig und wich- schuss arbeiten kann, ohne die Möglichkeit zu besitzen, ei- tig, zu erwähnen, dass diese Neuerung eine Errungen- nen Zeugen dazu zu veranlassen, von seinem Auskunfts- schaft ist. verweigerungsrecht, das er grundsätzlich hat, nicht (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Gebrauch machen zu dürfen und stattdessen eine Immu- [CDU/CSU]: Aha!) nitätsregelung in Anspruch nehmen zu müssen. Mit diesem neuen Gesetz – wir haben nicht alte Gesetze Eine solche Regelung fehlt in diesem Gesetzentwurf; nachgebessert oder neu formuliert – haben wir uns als Ge- dennoch ist dieses Gesetz ein erster wichtiger Schritt in setzgeber auf ein ganz neues Feld gewagt. In diesem Ge- Richtung Kodifizierung der Rechte eines Untersuchungs- setzentwurf ist zum ersten Mal nicht nur von „der Vorsit- ausschusses. Ich sehe diesen Schritt als Anfang. Ich bin si- zende“, sondern auch von „die Vorsitzende“, nicht nur cher, dass wir Erfahrungen machen werden. Dieses Ge- von „der Stellvertreter“, sondern auch von „die Stellver- setz wird in 50 Jahren anders als heute aussehen. treterin“ die Rede. In diesem Gesetzentwurf heißt es an- Zusätzliche Erfahrungen, die man in Untersuchungsaus- (B) ders als in allen anderen Gesetzen – das gilt auch für die schüssen macht, werden zu wichtigen Neuerungen (D) Strafprozessordnung – nicht nur „der Zeuge“, sondern führen. Irgendwann wird dieses Gesetz eine Regelung auch „die Zeugin“. Dass es Frauen in all diesen Bereichen enthalten, die die Arbeit des Untersuchungsausschusses gibt, findet seinen Niederschlag darin, dass sie im Gesetz noch effektiver macht, als sie heute schon ist. benannt werden. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: So ein CSU]: Effektiv war sie noch nicht!) Quatsch!) Ich wünsche uns allen, dass wir diesen Gesetzentwurf Wenn der Gesetzgeber seine Forderungen ernst nimmt mit gutem Gewissen verabschieden und damit einen – in diesem Fall handelt es sich um eine Forderung, de- wichtigen Schritt in die richtige Richtung tun. ren Umsetzung sich die Koalition von Anfang an vorge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und nommen hat –, dann ist das ein gutes Signal an die Öf- bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) fentlichkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile dem Kolle- wie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) gen Jörg van Essen für die F.D.P.-Fraktion das Wort. Wir setzen mit diesem Gesetz in dieser Hinsicht Maß- stäbe. Wir hoffen, dass der Gesetzgeber, dieses Parlament, Jörg van Essen (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe dieses Vorhaben auch in Bezug auf andere neue Geset- Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für den zeswerke beherzigen wird. Deutschen Bundestag. Wer die vielen Versuche kennt, zu Ich war und ich bin dafür – allerdings war diese Posi- einem Untersuchungsausschussgesetz zu kommen, der tion auch in meiner eigenen Fraktion bisher nicht mehr- weiß, wie schwierig der hinter uns liegende Weg war. Alle heitsfähig –, dass in Zukunft Auskunftsverweigerungs- Beteiligten freuen sich sehr darüber, dass alle Fraktio- rechte von Zeugen nicht ignoriert werden, sondern in nen – der Bundestag hat zu einer einheitlichen Meinung anderer Weise goutiert werden, so wie es beispielsweise gefunden; das gilt vom einen bis zum anderen Ende des im Rechtsstaat Vereinigte Staaten von Nordamerika der Plenarsaals – diesem Gesetzentwurf zustimmen. Fall ist. (Beifall des Abg. Dr. Max Stadler [F.D.P.]) (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ich freue mich besonders als Angehöriger der F.D.P.- Über Folter! – Gegenruf des Abg. Dieter Bundestagsfraktion über diese einheitliche Meinung, weil Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16151

Jörg van Essen (A) sie ein Beispiel dafür ist, wie eine Oppositionsfraktion beauftragten in besonderer Weise in Ihrer Arbeit gestärkt. (C) durch einen vernünftigen Vorschlag dazu beitragen kann, Darüber freue ich mich sehr. dass man zu Regelungen kommt, die von allen Fraktionen (Beifall bei der F.D.P. und der PDS) akzeptiert werden. Ich will darauf hinweisen, dass auch für uns wichtig ist, (Beifall bei der F.D.P.) dass als Ermittlungsbeauftragter eine Persönlichkeit ge- Wir waren die ersten, die unmittelbar nach der Bundes- funden werden muss, die von allen Seiten des Hauses an- tagswahl einen entsprechenden Gesetzentwurf einge- erkannt wird. Deshalb haben wir aus guten Gründen eine bracht haben, der sich in dem heutigen Entwurf wiederfin- Zweidrittelmehrheit für die Ernennung dieses Beauftrag- det. Sowohl der Entwurf der F.D.P.-Bundestagsfraktion als ten vorgesehen. Jemand, der sich nur in der Öffentlichkeit auch der Entwurf der Regierungskoalition ist ja Grundlage profilieren will und der etwas aus der Vergangenheit auf- für unsere Einigung geworden. arbeiten will, ist für diese Position nicht geeignet. Es muss jemand sein, der für alle Seiten des Hauses akzeptabel ist Ich denke, dass wir einen ganz besonders günstigen und der an der Sache orientiert arbeitet. Zeitpunkt erwischt haben. Wir Liberalen sind immer für ein solches Gesetz gewesen. Aber wir mussten in der Vergan- Ein zweiter Punkt, der mir im Zusammenhang mit dem genheit erkennen, dass insbesondere die CDU/CSU-Frak- Untersuchungsausschussgesetz wichtig ist, Herr Kollege tion schwieriger von der Notwendigkeit zu überzeugen Ströbele, ist, dass wir Ihren Vorstellungen mit einer brei- war. Deswegen war es uns während unserer Koalitionszeit ten Mehrheit nicht nachgekommen sind. leider nicht gelungen, ein Untersuchungsausschussgesetz (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE auf den Weg zu bringen. Erst die Erfahrungen als Minder- GRÜNEN]: Nicht allen! – Irmingard Schewe- heit, die von Ihnen vorgetragen worden sind, haben zu ei- Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nem Sinneswandel beigetragen. den meisten!) Es war auch deshalb ein günstiger Zeitpunkt – dies ist Wie die Vereinigten Staaten von Amerika, obwohl sie ein von Ihnen, Herr Bachmaier, schon angesprochen wor- Rechtstaat sind, für uns, bezogen auf die Vollstreckung den –, weil Sie natürlich noch wussten, wie es ist, wenn von Todesurteilen, kein Vorbild sein können, man als Minderheit überstimmt wird. Ich bin froh, dass (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE wir diesen günstigen Zeitpunkt genutzt haben, um ein Ge- GRÜNEN]: Aber! Aber!) setz auf den Weg zu bringen, das nach meiner Auffassung die Untersuchungsausschussarbeit ganz erheblich er- können sie nach meiner Auffassung auch kein Vorbild leichtern und, wie ich hoffe, auch versachlichen kann. sein, was den Umgang mit originären Rechten von Zeu- (B) gen, insbesondere den Umgang mit Auskunftsverweige- (D) Was ist für uns wichtig? Für uns Liberale ist insbeson- rungsrechten anbelangt. dere wichtig, dass es einen Ermittlungsbeauftragten gibt. Die Vorteile des Ermittlungsbeauftragten sind von (Beifall bei der F.D.P.) den anderen Rednern schon angesprochen worden; ich Ich danke daher insbesondere dem Kollegen brauche sie also nicht zu wiederholen. Ich will aber auf ei- Bachmaier – auch ihm war dies ein Anliegen –, dass wir nen Aspekt hinweisen, der gerade für die kleinen Fraktio- in die Rechte der Zeugen, insbesondere in das Aus- nen ganz außerordentlich wichtig ist: Im Gegensatz zu den kunftsverweigerungsrecht, nicht eingegriffen haben. großen Fraktionen haben wir nämlich keinen Stab, den wir Ich glaube, dass das ein wichtiges Signal ist. unseren Mitgliedern im Untersuchungsausschuss zur Ver- Ich will aber auch deutlich machen, dass es einen Punkt fügung stellen können. Der Ermittlungsbeauftragte hinge- gibt, an dem ich die Freude, die der Kollege Ströbele vor- gen arbeitet für alle. Deshalb können gerade die kleinen hin gezeigt hat, nicht ganz teile. Ich habe großes Ver- Fraktionen in besonderer Weise von seiner Arbeit profi- ständnis für den Anspruch der Kolleginnen – die Frauen tieren. bilden ja die Mehrheit in unserem Lande –, dass sie sich Ich denke, dass das eine Entwicklung befördern kann, auch in der Gesetzessprache wiederfinden wollen. wie wir sie gerade im Augenblick beim laufenden Unter- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.] so- suchungsausschuss erleben. Ich sehe mit großem Vergnü- wie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen, dass Sie, Herr Kollege Stadler, aber auch Sie, Frau Kollegin Kenzler von der PDS, von den Journalisten, die Ich fand es gut, dass wir den Versuch einer geschlechts- die Arbeit des Untersuchungsausschusses begleiten, in neutralen Formulierung unternommen haben. Dies ist ein besonderer Weise hervorgehoben werden, weil Sie mit ru- erster Einstieg. Ich denke aber, dass dadurch die Lesbarkeit higen, sachlichen und an der Aufklärung orientierten Fra- nicht unbedingt verbessert wurde. Um allerdings zu einer gen zur Arbeit des Untersuchungsausschusses beitragen. genauen Bewertung zu kommen, müssen wir die gesam- melten Erfahrungen auswerten. Es macht mich nachdenk- (Beifall bei der F.D.P. und der PDS) lich, dass es insbesondere Kolleginnen waren, die mich Ich denke, dass Ihre Arbeit ein Lob verdient, weil sie angesprochen und gefragt haben, ob das, was wir in die- stilbildend ist. Gerade Sie, die Sie auf eine wirklich ver- sem Zusammenhang gemacht haben, wirklich gut gewe- nünftige Vorgehensweise des Untersuchungsausschusses sen sei. hinwirken, werden durch dieses Untersuchungsaus- Aber das beeinträchtigt natürlich nicht die Qualität des schussgesetz und durch die Einsetzung des Ermittlungs- Gesetzes insgesamt. Es war ein unterstützenswertes 16152 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Jörg van Essen (A) Vorhaben, dass sich die Mehrheit der Bundesbürger – das Die Praxis wird insbesondere da, wo Neuland betreten (C) sind nun einmal Frauen – im Gesetzestext wiederfinden wurde, beispielsweise bei der Einsetzung eines Ermitt- kann. Deshalb findet dieses Gesetz unsere ausdrückliche lungsbeauftragten, zeigen, ob und inwieweit an der ei- Zustimmung. nen oder anderen Stelle später noch nachgebessert werden muss. Wir appellieren daran – ich bin deshalb ein bisschen er- staunt, Herr Kollege Schmidt, dass ein Teil der Stimmung Aber auch die Tatsache, dass wir einen Kompromiss im Ausschuss auch in Ihren Redebeitrag hinüberge- zustande bekommen haben, ist erfahrungsgemäß nicht schwappt ist –, dass die Untersuchungsausschussarbeit nur von Vorteil. So sind im Vorfeld besonders kontrovers versachlicht wird. Das dient dem Parlament insgesamt. diskutierte Fragen – der Kollege Ströbele ist bereits darauf eingegangen; ich denke hier nur an das Auskunftsver- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE weigerungsrecht von Zeugen oder auch an die Frage des GRÜNEN]: Sehr richtig!) Verhältnisses von Untersuchungsausschussmitgliedern zu Es dient insbesondere der Minderheit. Mit Polemik ge- Zeugen – bei der Regelung bewusst ausgeklammert wor- winnt man nichts. Man gewinnt kein Vertrauen und man den, um das Gesamtprojekt nicht zu gefährden. Diese Fra- kommt der Wahrheit kein Stückchen näher. gen werden uns dennoch auch in Zukunft weiter beschäf- tigen. (Beifall bei der SPD) Schließlich dürfen wir nicht die öffentliche Kritik ver- Deshalb, denke ich, ist das ein Punkt, an den in diesem gessen, dass Untersuchungsausschüsse oft hinter den an Zusammenhang noch einmal erinnert werden muss. Das sie gestellten Erwartungen zurückbleiben. Wir können Untersuchungsausschussgesetz wird jedenfalls dazu bei- deshalb auch bei der heutigen Debatte nicht der Frage tragen, dass das Ganze sachlicher wird, und das ist gut. nach dem Sinn solcher Untersuchungsinstrumente aus- Vielen Dank. weichen. Denn das Untersuchungsausschussgesetz hat wesentlichen Einfluss darauf, ob ein Ausschuss seinen (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem Auftrag flexibel, ergebnisorientiert und zeitgemäß abar- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- beiten kann oder ob er durch bürokratische, streitträchtige ordneten der CDU/CSU und der PDS) und ineffektive Regelungen blockiert wird. Den Praxis- test muss unser Gesetz erst noch bestehen; aber ich denke, Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat die Kollegin wir haben eine gute Grundlage geschaffen. Dr. Evelyn Kenzler für die PDS-Fraktion das Wort. Nun noch zu einem Punkt mit gewissem Neuigkeits- wert; das ist unser Änderungsantrag. Auch wenn es bei der (B) Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Stärkung parlamentarischer Minderheiten durchaus Be- (D) Kolleginnen und Kollegen! Es grenzt schon fast an ein wegung gegeben hat – das erkenne ich an –, hat der vorlie- Wunder, dass wir heute vor der Verabschiedung eines Un- gende Entwurf beispielsweise bei diesem Punkt durchaus tersuchungsausschussgesetzes des Deutschen Bundesta- noch Reserven. Wir schlagen vor, dass ein parlamentari- ges stehen. Endlich ist die Ablösung der IPA-Regeln aus scher Untersuchungsausschuss im Falle von Minderheits- der 5. Wahlperiode in greifbare Nähe gerückt. Nach di- enqueten nicht erst dann eingesetzt werden kann, wenn versen Anläufen und nachdem fast neun Wahlperioden ein Viertel der Bundestagsabgeordneten einen entspre- vergangen sind, liegen nun klare gesetzliche Vorgaben auf chenden Antrag stellt. Vielmehr soll jede Fraktion unab- dem Tisch. Das ist ein deutlicher Fortschritt für die Arbeit hängig von ihrer Stärke bzw. sollen mindestens 5 Prozent zukünftiger Untersuchungsausschüsse. der Abgeordneten die Möglichkeit dazu erhalten. Auch wenn es unüblich ist, politische Konkurrenten im (Beifall bei der PDS) Parlament zu loben: Die Fraktionen der SPD und des Damit würden Fraktionen unterhalb der 25-Prozent- Bündnisses 90/Die Grünen wie auch der F.D.P. haben für Grenze nicht darauf angewiesen sein, sich bei der Einset- das Zustandekommen des vorliegenden Entwurfs durch zung in die Abhängigkeit von größeren Fraktionen zu be- ihre fundierten Vorschläge eine anerkennenswerte und geben. Es steht nicht zu befürchten, dass durch eine solche wichtige Grundlage geschaffen. Absenkung des Einsetzungsquorums eine Flut von Unter- (Beifall bei der PDS und der F.D.P.) suchungsausschüssen auf uns zukommt. Jede Fraktion wird sich in Anbetracht der jetzigen Erfahrungen nämlich Am Ende waren es aber auch die Berichterstatterge- sehr gut überlegen, ob sie einen solchen Antrag stellt; spräche, die, überaus konstruktiv und ergebnisorientiert, denn es besteht ja die nicht geringe Gefahr, dass der An- zu einem parteiübergreifenden Kompromiss geführt ha- trag scheitert. ben, einem Kompromiss, von dem ich glaube, dass er keine Verlierer kennt. Das ist wichtig für die Arbeit der Aus diesem Ansatz ergeben sich eine Reihe von Fol- zukünftigen Ausschüsse; dies wurde hier schon mehrfach geänderungen für die Arbeit von Untersuchungsausschüs- betont. sen, damit die antragstellende Minderheit in die Lage ver- setzt wird, ihr Untersuchungsinteresse durchzusetzen, Aber auch ein guter Gesetzentwurf ist nicht so gut, dass ohne dabei von größeren Fraktionen blockiert zu werden. er nicht noch verbessert werden könnte. Die antragstellende Minderheit sollte unter anderem (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE größere Rechte bei der Einberufung von Sitzungen, der GRÜNEN]: Das stimmt!) Einsetzung eines Ermittlungsbeauftragten, der Beweis- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16153

Dr. Evelyn Kenzler (A) erhebung, der Festlegung der Reihenfolge der Zeugen- reits während der Weimarer Republik. Bereits der erste (C) vernehmungen usw. erhalten. der bis heute 33 Untersuchungsausschüsse, der sich da- mals schon mit der Hauptstadtfrage befasste, plädierte (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) 1951 – wir begehen also das 50-jährige Jubiläum – für eine Verfahrensordnung, um gerade die Minderheiten- Darüber hinaus sollte die antragstellende Fraktion rechte sicherzustellen. Gleichzeitig sollte über die Reich- grundsätzlich, das heißt unabhängig von ihrer Größe, ge- weite des Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechtes stärkt werden: Die Antragsteller sollten zukünftig den Klarheit geschaffen werden. Vorsitzenden stellen können und im Ausschuss beispiels- weise auch als erste das Fragerecht erhalten. Dem liegt die Im Jahre 1961 gab es Empfehlungen der Konferenz der Überlegung zugrunde, dass die Antragsteller naturgemäß Präsidenten der Länderparlamente. 1972 folgte ein Mus- das größte Interesse an einer zügigen Aufklärung des terentwurf auf Länderebene. Im Ergebnis waren uns die Untersuchungsgegenstandes und Erledigung des Unter- Länder voraus. Die meisten Landtage verfügen – teil- suchungsauftrages haben. Somit würde die gesamte Aus- weise schon länger – über das hier immer wieder ange- schussarbeit effektiver werden. strebte Gesetz. Auch wenn Sie unserem Änderungsantrag wider Er- 1967 trat die viel zitierte IPA – die Interparlamenta- warten nicht zustimmen sollten – wobei ich davon aus- rische Arbeitsgemeinschaft – in Erscheinung. Deren gehe, dass gerade die F.D.P. und das Bündnis 90/Die Grü- Entwurf von 1969 – die so genannten IPA-Regeln – bildet nen gewisse Sympathien für die Intentionen des Antrages bis heute die Sondergeschäftsordnung für unsere Unter- haben –, suchungsverfahren. Die Enquete-Kommission „Verfas- sungsreform“ hat dann 1976 Vorschläge unterbreitet. Ihr (Jörg van Essen [F.D.P.]: Das kann ich nicht ver- folgten Fraktions-, Gruppen- und Ausschussinitiativen. hehlen! – Hans-Christian Ströbele [BÜND- Seit dem ersten Vorschlag in der 5.Wahlperiode hat es bis NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Sympa- einschließlich der 13. Wahlperiode elf Vorstöße gegeben. thien, lehnen aber trotzdem ab!) Wichtig für die weiteren Beratungen bis zur heute vorge- werden wir im Interesse einer gemeinsamen Arbeits- legten Fassung waren die Bemühungen des Ausschusses, grundlage und eines möglichst breiten Konsenses dem dessen Vorsitzende ich jetzt bin. heute vorliegenden Entwurf zustimmen. In der 10. Wahlperiode hat der 1. Ausschuss unter sei- (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Dr. Max nem damaligen Vorsitzenden Manfred Schulte einen ei- Stadler [F.D.P.]) genen Entwurf erarbeitet und eingebracht. Dieser Entwurf ist in der 11. Wahlperiode von einer Gruppe von Abge- (B) ordneten aus CDU/CSU, SPD und F.D.P. wieder aufge- (D) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat das Wort die griffen worden. Er war zusammen mit einer SPD-Initia- Kollegin Erika Simm, SPD-Fraktion. tive, durch die ein Mehr an Minderheitsrechten gewährt werden sollte, die Basis für die weitere Arbeit im Ge- Erika Simm (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! schäftsordnungsausschuss. Dort hat man sich damals Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im vorigen Jahr konnte – genauso wie heute – auf einen gemeinsamen Text ver- ich mit einer kleinen Delegation im österreichischen Na- ständigt. Er hatte eine große Chance, verabschiedet zu tionalrat über unsere Erfahrungen mit Minderheits- werden, ist letzten Endes aber – das muss ich leider zuge- untersuchungen, also Minderheitsenqueten, berichten. In ben – am Widerstand aus meiner Fraktion gescheitert. Österreich gibt es so etwas bisher nicht. Es war schon et- was eigenartig, zwar Erfahrungen vermitteln zu können, Diese Ausschussfassung der 11. Wahlperiode hat Maß- aber auf die Frage, seit wann wir ein Untersuchungs- stäbe gesetzt. Sie ist in der Folge mehrfach wiederbelebt ausschussgesetz hätten, beschämt eingestehen zu müssen, worden und hat unverkennbar auch bei beiden Entwürfen dass das deutsche Parlament ein solches bis heute noch der jetzigen Wahlperiode Pate gestanden. nicht zustande gebracht habe. (Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist das!) (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Auch dieses Mal haben wir es uns nicht einfach ge- CSU]: Aber heute, Frau Kollegin!) macht. Ich habe nachgezählt: Neun Ausschusssitzungen – Heute verabschieden wir ein Gesetz. Bis vor kurzem und eine Anhörung haben stattgefunden; daneben gab es hätten nur wenige geglaubt, dass es zustande käme. Wenn zehn Berichterstattergespräche, ich mit Kollegen, Journalisten und Wissenschaftlern da- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE rüber gesprochen habe, haben sie an die Erfahrungen aus GRÜNEN]: Das stimmt! Das war zu viel!) der Vergangenheit erinnert und Skepsis geäußert, ob wir es diesmal schaffen würden. nicht zu vergessen die vielen informellen Kontakte im Hintergrund und Vorfeld. Ich möchte deswegen einen kurzen Rückblick geben, weil ich denke, dass vor dem Hintergrund der Historie zu- Meines Erachtens kann sich das Ergebnis sehen lassen. sätzlich deutlich wird, wie wichtig das Erreichte ist: In der Dem Bundestag – und zwar im Bundestag – ist es gelun- Vergangenheit hat es sowohl außerhalb als auch innerhalb gen, dieses Gesetzesprojekt zu verwirklichen. Dabei will des Bundestages unendlich viele Anläufe gegeben. Drei ich die freundliche Unterstützung aus dem Justizministe- Juristentage waren diesem Thema gewidmet, einer be- rium und dem Innenministerium nicht unterschlagen. 16154 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Erika Simm (A) Aber wir waren bei diesem Parlamentsgesetz doch in ers- Wichtig ist für mich, dass nun das Gesetz vorliegt, das (C) ter Linie auf uns gestellt. sich in den nächsten Jahren in der Praxis bewähren muss. Es wird gegebenenfalls aufgrund von Erfahrungen verän- Ich finde es sehr wichtig, dass wir einen Konsens er- dert oder verbessert werden, zum Beispiel in Bezug auf zielt haben. Das ganze Haus trägt dieses Gesetz mit, das das Betroffenenstatut. Dies gilt sowohl für die Rechte ja einen wesentlichen Aspekt aus dem Aufgabenbereich der Minderheit – in der Regel ein Viertel der Mitglieder eines Parlamentes regelt. Ich begrüße es sehr, dass alle des Bundestages bzw. ein Viertel der Mitglieder des Aus- Seiten zugestimmt und abweichende Vorstellungen zu schusses – als auch für den Schutz der Zeugen und der zu Einzelfragen zugunsten des Gesamtergebnisses, Herr Befragenden. Wichtig ist, dass der im Einsetzungsbe- Ströbele, hintangestellt haben. schluss festgelegte Untersuchungsgegenstand nicht will- Bedanken möchte ich mich bei allen, die zu unserem kürlich von der Mehrheit geändert werden darf, ohne dass erfolgreichen Abschluss beigetragen haben. Das sind die Antragstellenden zustimmen. zunächst diejenigen aus der Vergangenheit, die ich na- Herr Ströbele, wenn Sie Zeugen mit staatlichen Mitteln mentlich nicht aufzählen kann; einen Namen habe ich ge- „weichkochen“ wollen, empfehle ich Ihnen die Folter des nannt: Manfred Schulte. Mein Dank gilt aber vor allem Mittelalters. Ich könnte Ihnen ein Verlies zur Verfügung den jetzigen Berichterstattern des 1. Ausschusses, von de- stellen. Zeugen müssen den nach der StPO geltenden nen mehrere zugleich Mitglied im laufenden Untersu- Schutz auch im Untersuchungsausschuss haben. chungsausschuss sind und die sich trotzdem oder viel- Bei der Zusammensetzung der Mitglieder und der leicht gerade deswegen engagiert und konstruktiv an den Wahl des Vorsitzenden wurde auf Bewährtes aus der Ge- Beratungen beteiligt haben. schäftsordnung oder auf geübte Praxis zurückgegriffen. Als Parlamentarier sind wir aber auch auf Zuarbeit und Neu ist, dass es ein abgestuftes Verfahren zur Be- Unterstützung angewiesen. Diese haben wir aus den bei- schlussfähigkeit gibt, um zu verhindern, dass willkürlich den bereits genannten Bundesministerien, den Fraktionen eine Beschlussunfähigkeit hergestellt wird. und vor allem auch aus dem Ausschusssekretariat unter der Leitung von Herrn Dr. Winkelmann erhalten. Neu und nicht ganz unumstritten ist der in § 10 festge- legte Ermittlungsbeauftragte, der auf Antrag eines Vier- (Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen) tels der Mitglieder des Untersuchungsausschusses einzu- Ihnen allen möchte ich meine Anerkennung für das Ge- setzen und mit Zweidrittelmehrheit zu wählen ist. Dieser leistete aussprechen. Ermittlungsbeauftragte soll unabhängig sein, kann jedoch wiederum mit Zweidrittelmehrheit abberufen werden. (Beifall im ganzen Hause – (B) Unklar ist, was geschieht, wenn keine Mehrheit bei der (D) [SPD]: Ein ausgleichender Beitrag!) Wahl zustande kommt und bei dem dann vorgesehenen Ersatzverfahren kein Einvernehmen erzielt wird. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat der Kollege Aber, meine Damen und Herren, Sie können versichert Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten für die CDU/CSU- sein: Unsere Wahl wäre nie auf Herrn Hirsch gefallen, den Fraktion das Wort. so genannten Beauftragten des Kanzleramtes, der als Son- derermittler quasi als Handlanger der Diffamierungskam- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): pagne gegen Bohl und rechtschaffene Mitarbeiter ein- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal gesetzt wurde. Ihn hätten wir mit Sicherheit nicht ge- nommen. dauern Dinge etwas länger, zum Beispiel das Gesetz über die Untersuchungsausschüsse. Seit Jahrzehnten wurde Neu ist, dass mit Zustimmung von zwei Dritteln der an- darüber diskutiert, es wurden Entwürfe vorgelegt und in wesenden Mitglieder und mit Zustimmung der zu verneh- Ausschüssen verabschiedet. Aber im Plenum des Bundes- menden oder anzuhörenden Person Ton- und Filmauf- tages fanden sie, mal auf der linken Seite, mal in der nahmen sowie Übertragungen zulässig sind. Durch diese Mitte, keine Mehrheit. Im Schatten des jetzigen Untersu- hohen Hürden sind Bedenken im Wesentlichen aus- chungsausschusses aber hat es nun endlich eine Überein- geräumt, dass die Untersuchungsausschüsse noch mehr stimmung für ein solches Gesetz gegeben, weil die Un- als bisher als politische Instrumente genutzt werden. zulänglichkeiten gerade bei diesem sehr emotional Denn wir sind uns doch alle klar darüber, dass es nicht im- ablaufenden Untersuchungsausschuss gezeigt haben, dass mer nur um die Wahrheit geht, sondern auch um politische es Zeit wird, zumindest einen Rahmen zu schaffen. Vorstellungen. Ob nun die Abkürzung PUAG für Parlamentarisches Ob sich die Bestimmungen zum Geheimnisschutz und Untersuchungsausschussgesetz besonders glücklich ist, zum Zugang zu Verschlusssachen in den §§ 15 und 16 be- Herr Wiefelspütz, oder nicht, sei dahingestellt. währen, wird sich zeigen, weil zwischen Staatsinteresse und persönlicher Integrität ein ausgewogenes Verhältnis (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das kommt von ei- erreicht werden muss. nem Mitarbeiter der CDU!) Die Beweiserhebung – darauf wurde schon hingewie- Auch kann die Besonderheit der geschlechtsneutralen Be- sen – kann nun auch schon von einem Viertel der zeichnung meines Erachtens nur eine Nebensache sein, Mitglieder beantragt werden. Hilfsweise wird zur auch wenn Herr Ströbele es als besonders wichtig ansieht. Reihenfolge die Geschäftsordnung des Bundestages Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16155

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (A) angewendet, die dann notfalls im Ältestenrat bestimmt Danke schön. (C) wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Bewähren muss sich noch, dass bei Streitigkeiten in der Regel der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes Vizepräsidentin Anke Fuchs: Als letztem Redner entscheidet, zum Beispiel bei Entscheidungen des Unter- erteile ich dem Kollegen Dieter Wiefelspütz, SPD-Frak- suchungsausschusses über die Erhebung bestimmter Be- tion, das Wort. weise bzw. Anwendung beantragter Zwangsmittel oder über die Einstufung als Verschlusssache. Das Verfas- sungsgericht dagegen entscheidet über die Rechtmäßig- Dieter Wiefelspütz (SPD): Frau Präsidentin! Liebe keit der Ablehnung eines Ersuchens des Untersuchungs- Kolleginnen und Kollegen! Um Legenden vorzubeugen: ausschusses durch die Bundesregierung oder Ministerien. Der vorliegende Entwurf eines Untersuchungsaus- Insgesamt ist richtig, dass alle Entscheidungen vom Ver- schussgesetzes hat mit dem 1. Untersuchungsausschuss fassungsgericht noch einmal überprüft werden können. der 14. Wahlperiode überhaupt nichts zu tun. Wir hätten diesen Gesetzentwurf völlig unabhängig von der Existenz Die deutliche Erhöhung des Ordnungsgeldes für nicht dieses Untersuchungsausschusses eingebracht. Bei allem erschienene Zeugen auf 10 000 Euro, also immerhin Respekt, man würde viel zu viel Ehre antun! 20 000 DM, und gegebenenfalls ihre zwangsweise Vor- Wir beschließen dieses Gesetz nicht wegen bzw. für oder führung ist nicht ganz unstrittig, kann aber einen Sinn ha- gegen Helmut Kohl, sondern in eigener Sache. Wir schaf- ben, auch zur Aufwertung des Untersuchungsausschus- fen Parlamentsrecht, weil wir 50 Jahre lang auf diesem ses. Sektor kein Gesetz hatten. Der Vorwurf der einen oder anderen Gruppe – auch Die erste Sitzung des ersten Untersuchungsausschus- noch in unseren Parteien –, dass die Rechte der Minder- ses fand – ich habe das einmal nachgeschaut – am heit zu groß oder zu klein seien und die der Mehrheit nicht 22. März 1950, also vor über 50 Jahren, statt. Erst heute genügend berücksichtigt würden, wird parteiübergreifend sind wir gemeinsam so weit und beschließen ein entspre- natürlich auch nur deswegen geltend gemacht, weil der chendes Gesetz, das Generationen von Kollegen vor uns, eine jetzt in der Opposition und der andere in der Regie- die sich bemüht haben, und übrigens auch sehr viele rung ist. Das kann sich ja, wie wir hoffen, bald wieder än- Rechtswissenschaftler gefordert haben. Wir sind es, die dern. heute – wenn man so will: erst heute – dieses wichtige Ge- Wir werden auch bei diesem Gesetz in der Praxis se- setz verabschieden. Ich denke, das ist ein wichtiger Tag; hen, dass das eine oder andere fehlt, wie wir dies beim das ist hier mehrfach gewürdigt worden. Es ist aber auch höchste Zeit. (B) Parteiengesetz in den letzten Monaten erfahren haben. (D) Ich will schon ansprechen, dass wir die nicht ordnungs- Nur, Herr Schmidt, mit Ihren positiven oder weniger gemäße Vermögensangabe nicht im Parteiengesetz sank- positiven Erfahrungen im 1. Untersuchungsausschuss tioniert haben, wie das Verwaltungsgericht Berlin richti- dieser Wahlperiode hat dieses Gesetz überhaupt nichts zu gerweise feststellte. Offen ist auch in der Zukunft die tun. Frage, wie zum Beispiel Milliardenvermögen der Treuhänder der SPD in den Geschäftsbericht eingebracht (Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr werden, wie tatsächliche Vermögenswerte oder wie Buch- von Stetten [CDU/CSU]: Aber wir haben Er- werte. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir auch dieses Ge- fahrungen gesammelt!) setz dringend ergänzen und die Lücken schließen, damit Ich will deutlich feststellen: Ich bin dankbar dafür und Einnahmen und Vermögen der Parteien dem Bürger und finde es in Ordnung, dass Sie sich so konstruktiv daran be- Wähler gegenüber lückenlos aufgezeigt werden können. teiligt haben und dass Sie voraussichtlich zustimmen. Dann kommt es nicht mehr zu solchen Untersuchungs- Aber ich will auch deutlich machen: Wir hätten dieses Ge- ausschüssen. setz auch dann verabschiedet, wenn Sie nicht zugestimmt Meine Damen und Herren Kollegen von den Regie- hätten. Denn dieses Gesetz ist für die Arbeit zukünftiger rungsfraktionen – die Frau Ministerin ist nicht hier – wir Untersuchungsausschüsse wirklich notwendig. Das hat sollten schnell handeln, damit dieses Parteiengesetz dem mit engeren parteipolitischen Interessen Ihrer Fraktion Hohen Hause bald vorgelegt wird. Wenn wir alle wirklich überhaupt nichts zu tun. das wollen, was wir unseren Wählern tagtäglich sagen, Ich bin gleichwohl dankbar dafür, dass wir eine solch müsste dieses Gesetz in Kürze verabschiedet werden kön- breite Mehrheit haben. Es entbehrt ja nicht einer gewissen nen. Ironie, dass viele bisherige Versuche, ein solches Gesetz Erfreulich ist – damit möchte ich dann auch schlie- zu verabschieden, vergeblich waren – Frau Simm hat da- ßen –, dass die Tradition des Geschäftsordnungsaus- rauf hingewiesen – und dass wir ausgerechnet jetzt dieses schusses beibehalten wurde, dass Beschlüsse und Gesetze Gesetz einstimmig verabschieden. Das ist, denke ich, eine ganz wertvolle Angelegenheit. in der Regel einmütig sein sollen. Es gibt sie noch, die par- teiübergreifende Zusammenarbeit, wenn auch seltener als Dieses Gesetz ist – wie immer; es kann gar nicht anders früher. Das Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersu- sein – ein Kompromiss. Wenn fünf Fraktionen dazu Ja sa- chungsausschüsse des Deutschen Bundestages ist ein gen, wird man sich einander angenähert haben müssen; gutes Beispiel dafür und sollte zur Nachahmung empfoh- anders geht es nicht. Ich will einmal den von mir ge- len werden. Wir stimmen freudig zu. schätzten Kollegen Lammert, der vor vielen Jahren auf 16156 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dieter Wiefelspütz (A) dem 57. Deutschen Juristentag vor dem Hintergrund sei- Wir bleiben auf der Mitte des Weges, „middle of the (C) ner eigenen Bemühungen um die Einbringung eines Un- road“, lieber Herr Ströbele, tersuchungsausschussgesetzes Folgendes gesagt hat, zi- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Und zwar aus guten tieren: Gründen, Herr Wiefelspütz!) Wir haben in unseren Beratungen im Geschäftsord- und machen keine Experimente, die im Übrigen auch nungsausschuss im Wesentlichen in der letzten Wahl- keine Mehrheit gehabt hätten. periode die feste Überzeugung gewonnen, dass es den großen Wurf nicht geben wird; aus einer Reihe Wir brauchen für dieses Gesetz breite Mehrheiten. von Gründen im Übrigen. Die in sich stringente, un- Deswegen bleiben wir bei der bewährten Strafprozess- ter jedem Gesichtspunkt konsequente Lösung wird ordnung. Es bleibt also bei dem Zeugnis- und Aus- es günstigstenfalls im Entwurf geben, aber nicht im kunftsverweigerungsrecht der Strafprozessordnung. Gesetz. Denn wir reden hier natürlich nicht nur über Zwangsrechte erhalten eine deutliche gesetzliche Grund- sozusagen theoretisch schlüssige Ansätze und Lö- lage. Ein Gegendarstellungsrecht wird eingeräumt. Das sungen, sondern wir müssen am Ende auch noch die Rechtswegchaos, das es bis heute gibt, wird durch die Kleinigkeit klären, wie man für den für zweckmäßig alleinige Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtes gehaltenen Entwurf eine Mehrheit auf die Beine und des Bundesgerichtshofes beseitigt. Das ist schon be- bringt. deutend. Genau diese Mehrheit ist früher nie zustande gekom- Ich würde mir gerne noch eine halbe Minute erlauben – men. Jetzt kommt sie zustande. Dieses Gesetz wird si- mit Ihrer Zustimmung, Frau Präsidentin. cherlich auch in der Fachöffentlichkeit viel Kritik erfah- ren, Vizepräsidentin Anke Fuchs: Fragen Sie nicht (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ lange, reden Sie! Sonst wird es eine Minute. CSU]: Das werden wir überleben! – Jörg van Essen [F.D.P.]: Es werden genug Dissertationen Dieter Wiefelspütz (SPD): Ich möchte nicht versäu- darüber geschrieben werden!) men, einen Blick zurück zu werfen. Wir haben das alles nicht erfunden; Frau Simm hat das angedeutet. weil dem einen dies und dem anderen jenes nicht passt. Ich möchte erwähnen, wer sich vor uns ganz maßgeb- Ich denke, dass der Ertrag dieses Gesetzes nicht uner- lich beteiligt hat: Manfred Schulte, , heblich ist. In diesem Gesetz werden die Rechte der qua- Konrad Porzner, Manfred Langner, Helmut Buschbom, lifizierten Minderheit bei der Einsetzung eines Untersu- (B) Horst Eylmann, Detlef Kleinert, Kollegen aus der 10. und (D) chungsausschusses präzisiert. Es gibt eine Neuerung, den der 11. Legislaturperiode – nur wenige sind heute noch Ermittlungsbeauftragten, um die parlamentarische Unter- hier dabei –, die damals, vor zehn, zwölf, 15 Jahren, maß- suchung zu straffen und zu beschleunigen. Grundsätzlich gebliche Vorarbeiten gemacht haben. bleibt den elektronischen Medien der Zugang zur Be- weiserhebung im Untersuchungsausschuss versperrt. Sie Durchgesetzt haben es die Berichterstatter Hermann sehen, dass ich die Akzente etwas anders setze als meine Bachmaier aus Crailsheim, Erika Simm, Hans-Christian Vorredner. Ich bin kein Freund von elektronischen Me- Ströbele, dien im Untersuchungsausschuss. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD]) GRÜNEN]: Das bin ich!) Aber das, was wir hier gemacht haben, ist insgesamt ge- Jörg van Essen und Dr. Evelyn Kenzler, die einen wichti- sehen ein vernünftiger Kompromiss. gen Anteil an diesem Erfolg haben. Die qualifizierte Minderheit hat einen gesetzlichen An- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten spruch auf Erhebung der von ihr beantragten Beweise. [CDU/CSU]: Und wir sind überhaupt nicht da- Die Reihenfolge der Vernehmung von Zeugen und Sach- bei, Herr Kollege?) verständigen kann von der qualifizierten Minderheit Ihnen allen ist zu danken. wirksam beeinflusst werden. Im Gesetz wird auf den Rechtsstatus des Betroffenen verzichtet. Es wird aber Ein bisschen feiern wir uns heute selber. Aber es ist nicht die Forderung nach einer uneingeschränkten Aus- hohe Zeit, dass wir endlich ein Untersuchungsausschuss- sagepflicht der Auskunftsperson aufgegriffen, die von ge- gesetz haben. Wir haben nicht das Rad neu erfunden, aber schätzten Kollegen wie zum Beispiel Herrn Ströbele und eine wichtige Grundlage geschaffen. In Zukunft arbeiten Herrn Danckert gefordert worden ist. Ich finde diese sich alle am Gesetz ab und geben nicht immer die eigene Aspekte sehr interessant. Herr Danckert hat sich in einem Meinung als Gesetz aus. Das ist eine wichtige Grundlage lesenswerten Aufsatz dazu geäußert; es gibt Kollegen mit für die zukünftige Arbeit des Parlamentes in Unter- wissenschaftlicher Kompetenz unter uns. Es wäre aber ein suchungsausschüssen. Paradigmenwechsel und hätte vermutlich einer Verfas- Herzlichen Dank. sungsänderung bedurft, solche Gedanken umzusetzen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!) GRÜNEN und der F.D.P.) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16157

(A) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Wir freuen uns, dass (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des (C) der Kollege Buschbom heute den Beratungen folgt. Herz- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN lich willkommen im Deutschen Bundestag! Sicherung eines fairen Wettbewerbs für deut- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten sche und europäische Werften der SPD) – Drucksache 14/5769 – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord- Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- nung um den folgenden Zusatzpunkt 16 zu erweitern und tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie ihn mit den beiden genannten Punkten zu verbinden: der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwürfe zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des ZP 16 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Deutschen Bundestages. richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge- neten Rolf Kutzmutz, Dr. Dietmar Bartsch, schäftsordnung empfiehlt die Annahme der zusammenge- Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der führten Gesetzentwürfe in der Ausschussfassung. Fraktion der PDS Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor, Zukunftschancen des deutschen und europä- über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än- ischen Schiffbaus nachhaltig verbessern derungsantrag auf Drucksache 14/5819? – Wer stimmt da- – Drucksachen 14/5457, 14/5815 – gegen? – Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der PDS und Stimmenthaltung der F.D.P. im Übrigen abge- Berichterstattung: lehnt. Abgeordneter Wolfgang Börnsen (Bönstrup) 1) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- Die Reden sind zu Protokoll gegeben worden , sodass schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – ich die Aussprache eröffne und sogleich wieder schließe. Wer stimmt dagegen? – Das ist einstimmig. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- Dritte Beratung fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Herstel- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem lung fairer Wettbewerbsbedingungen für die deutsche und Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Eine europäische Werftenindustrie, Drucksache 14/5797. (B) Gegenprobe brauche ich gar nicht. Der Gesetzentwurf ist (D) einstimmig angenommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss- empfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/5137 für er- Ich beglückwünsche alle, die daran mitgearbeitet ha- ledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussemp- ben. Das ist ein wichtiger Tag für den Deutschen Bundes- fehlung? – Alle sind damit einverstanden. Damit ist die tag. Beschlussempfehlung angenommen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 sei- GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) ner Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschlie- ßung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatz- genprobe! – Enthaltungen? – Diese Entschließung ist bei punkt 13 auf: Enthaltung der PDS einstimmig angenommen.2)

17. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- Grünen beantragen, ihren Antrag zur Sicherung eines fai- logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- ren Wettbewerbs für deutsche und europäische Werften neten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Gunnar auf Drucksache 14/5769 für erledigt zu erklären. – Das ist Uldall, Hansjürgen Doss, weiterer Abgeordneter so beschlossen. und der Fraktion der CDU/CSU Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen ses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der für die deutsche und europäische Werften- Fraktion der PDS mit dem Titel „Zukunftschancen des industrie deutschen und europäischen Schiffbaus nachhaltig ver- bessern“, Drucksache 14/5815. Der Ausschuss empfiehlt, – Drucksachen 14/5137, 14/5797 – den Antrag auf Drucksache 14/5457 abzulehnen. Wer ist Berichterstattung: für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal- Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel tungen? – Gegen die Stimmen der PDS ist die Beschluss- empfehlung angenommen. ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar Staffelt, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 1) Anlage 4 der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller 2) Anlage 3 16158 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 18 a und b auf: rung sehr wohl bewusst. Wir haben deshalb bei dieser No- (C) vellierung den wesentlichen Schwerpunkt auf den sozial- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- politischen Bereich gesetzt. gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten An der Spitze steht der erleichterte Zugang zur Kran- Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialver- kenversicherung der Rentner. Für die selbstständigen sicherungsgesetzes und anderer Gesetze Künstlerinnen und Künstler und Publizisten hat der güns- – Drucksache 14/5066 – tige Krankenversicherungsschutz besondere Bedeutung. (Erste Beratung 143. Sitzung) Dieser fällt weg, wenn die künstlerische oder publizisti- sche Tätigkeit altersbedingt aufgegeben wird. Viele ältere Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Künstlerinnen und Künstler und Publizisten können die ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) Voraussetzungen der Krankenversicherung der Rentner – Drucksache 14/5792 – – eine fast lückenlose Pflichtversicherung in der zweiten Berichterstattung: Hälfte des Erwerbslebens – nicht erfüllen, weil das Künst- Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner lersozialversicherungsgesetz erst 1983 in Kraft getreten ist. Deshalb öffnen wir den Zugang zur Krankenversiche- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- rung der Rentner für Künstler und Publizisten, die ihre richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Tätigkeit vor 1983 aufgenommen haben und zwischen nung (11. Ausschuss) dem 1. Januar 1985 und der Rentenantragstellung fast durchweg in der Krankenversicherung nach dem KSVG – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Irmgard pflichtversichert waren. Damit schließen wir eine noch Schwaetzer, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), bestehende Lücke in der sozialen Absicherung der Künst- , weiterer Abgeordneter und lerinnen und Künstler und Publizisten, die für die Betrof- der Fraktion der F.D.P. fenen besonders schmerzhaft war. Reform der Künstlersozialversicherung ge- recht gestalten Außerdem gestalten wir die Voraussetzungen für den Versicherungsschutz flexibler als bisher, indem wir den – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich Einkommensschwankungen bei Künstlern und Publi- Fink, Dr. Heidi Knake-Werner, Pia Maier, zisten Rechnung tragen. Künftig kann die Geringfügig- Maritta Böttcher und der Fraktion der PDS keitsgrenze innerhalb von sechs Jahren bis zu zweimal Für eine grundlegende Reform der Künst- unterschritten werden, ohne dass der Versicherungs- lersozialversicherung schutz entfällt. Dies bedeutet für gering verdienende (B) Künstler und Publizisten eine größere Sicherheit. (D) – Drucksachen 14/4929 (neu), 14/5086, 14/5792 – (Vorsitz: Vizepräsidentin Petra Bläss) Berichterstattung: Für die Berufsanfänger haben wir eine befriedigende Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner Lösung gefunden. Nach dem Ende der von fünf auf drei Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je ein Jahre verkürzten Berufsanfängerfrist, in der der Versi- Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der cherungsschutz auch bei einem Einkommen unterhalb der Fraktion der F.D.P. vor. Geringfügigkeitsgrenze besteht, können die Versicherten unmittelbar im Anschluss hieran die Neuregelung zur Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Flexibilisierung der Geringfügigkeitsgrenze in Anspruch Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei- nehmen. Im Ergebnis verlängert sich dadurch die Frist, in nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. der ein Mindesteinkommen nicht erforderlich ist, auf bis Ich eröffne die Aussprache. Nach meiner Redefolge hat zu fünf Jahre. Ferner wird die Berufsanfängerfrist um als Erste die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Zeiträume verlängert, in denen eine Versicherungspflicht Mascher das Wort. zum Beispiel wegen Mutterschafts- und Erziehungsur- laub oder wegen einer Arbeitnehmertätigkeit nicht be- standen hat. Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Arbeit und Sozialordnung: Frau Präsidentin! Um einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme der Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute Künstlersozialversicherung entgegenzuwirken, können zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurf verbes- künftig Studenten, die hauptsächlich studieren, nicht sern wir den sozialen Schutz selbstständiger Künstlerin- mehr auf die günstigere Krankenversicherung nach dem nen und Künstler und Publizisten. Zugleich passen wir die KSVG ausweichen. Das Gleiche gilt für über 65-Jährige. Künstlersozialversicherung den aktuellen Erfordernissen Auch für sie gibt es nicht mehr die Möglichkeit, nach ei- an und machen sie zukunftssicher. ner Zeit der Privatversicherung auf die günstigere Kran- kenversicherung der Künstlersozialkasse auszuweichen. Es geht um wichtige Rahmenbedingungen für heute rund 110 000 selbstständige Künstlerinnen und Künstler Für die abgabepflichtigen Verwerter ergeben sich nur und Publizisten. An ihrer sozialen Absicherung beteiligen wenige Änderungen. Verschiedene Vorschriften dienen sich die Verwerter mit der Künstlersozialabgabe und der der Verwaltungsvereinfachung. In diesem Zusammen- Bund mit dem Bundeszuschuss. Die Bundesregierung ist hang sind insbesondere die Ausgleichsvereinigungen zu sich der Verantwortung für die Künstlersozialversiche- nennen, zu denen sich Verwerter zusammenschließen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16159

Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher (A) können. Die Verbände der Verwerter haben begrüßt, dass tungen habe ich festgestellt, dass es bei keiner Fraktion (C) die Bildung von Ausgleichsvereinigungen attraktiver ge- Überlegungen für eine weitere Absenkung gibt. macht wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf Für Musikvereine – jetzt sind hier wohl einige beson- von der CDU/CSU: Na ja! – Zuruf der Abg. ders aufmerksam –, Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Der Abgabesatz, der im Jahre 2001 von 4 Prozent auf 3,9 Prozent gesunken ist, Frau Dr. Schwaetzer, was für die deren Vereinszweck nicht überwiegend auf öffentliche Verbände wichtig ist, zeigt, dass die Verwerter auch wei- Aufführungen gerichtet ist, sondern bei denen, wie in der terhin nicht unverhältnismäßig belastet werden. Auf die Regel, die Freude am gemeinsamen Musizieren im Vor- Höhe der Renten von Künstlern und Publizisten hat der dergrund steht, haben wir sichergestellt, dass grundsätz- Bundeszuschuss keinen Einfluss. lich keine Abgabepflicht besteht. Ich möchte nun auf den Entschließungsantrag der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.-Fraktion eingehen, wonach die Bundesregierung PDS – Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie aufgefordert werden soll, gegenüber gemeinnützigen Or- sehr gut geändert!) ganisationen rückwirkend erlassene Schätzbescheide zu- Wenn ein Musikverein nicht nur gelegentlich eintritts- rückzunehmen. Die Künstlersozialversicherung ist nach pflichtige Veranstaltungen durchführt und Honorare an geltendem Recht verpflichtet, solche Bescheide heraus- Solisten zahlt, sind diese Honorare abgabepflichtig. Eine zugeben. Sie hat die kritisierten Bescheide erlassen, weil Abgabepflicht besteht aber erst dann, wenn innerhalb ei- die Volkshochschulen als Anbieter künstlerischer Kurse nes Jahres mehr als drei Veranstaltungen durchgeführt zur Künstlersozialabgabe verpflichtet sind und eine dro- werden. Ferner kann eine Abgabepflicht bestehen, wenn hende Verjährung ihrer Ansprüche verhindert werden ein Verein eine einer Musikschule vergleichbare Ausbil- musste. Die Vorgehensweise der Künstlersozialkasse hat dungseinrichtung betreibt. daher absolut nichts mit der derzeitigen Höhe des Bundeszuschusses zur Künstlersozialversicherung zu tun, (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: und ich gehe davon aus, dass dies auch den Antragstellern Hier müssen noch Verbesserungen geschaffen der F.D.P. bewusst ist. werden!) Kein Geheimnis dürfte es auch sein, dass jetzt die Hinsichtlich der vereinseigenen Chorleiter und Dirigen- langjährigen Verhandlungen über die Bildung einer Aus- ten wird klargestellt, dass auf die an sie gezahlten Ho- gleichsvereinigung auf einem guten Weg sind. Ein ver- norare keine Künstlersozialabgabe entfällt. Damit sollen bindliches Angebot der Künstlersozialkasse liegt den (B) etwaige Verunsicherungen ausgeräumt werden. Volkshochschulen vor. Es muss allerdings noch den Ver- (D) Schließlich haben wir einen weiteren Beitrag zur För- besserungen dieses Gesetzes angepasst werden. Im Hin- derung des bürgerschaftlichen Engagements und der blick auf die bevorstehende Ausgleichsvereinigung hat ehrenamtlichen Tätigkeit geleistet. Künftig ist auf die so die Künstlersozialkasse den Volkshochschulen jedoch genannte Übungsleiterpauschale keine Künstlersozial- mitgeteilt, dass sie die Künstlersozialabgabe zunächst abgabe zu zahlen. Musikvereine, die eine Ausbildungs- nicht erheben wird und Widersprüche gegen die Be- einrichtung betreiben und nebenberufliche Ausbilder ein- scheide entbehrlich sind. Aus diesem Grunde sind bisher setzen, werden entlastet. Diese Regelung kommt auch den Volkshochschulen keine zusätzlichen Kosten entstan- Volkshochschulen zugute, die künstlerische Kurse anbieten den. Ich denke, wir werden mit den Volkshochschulen und und dabei auf nebenberufliche Lehrkräfte zurückgreifen. der Künstlersozialkasse eine gute Lösung finden. Ich komme nun zu einer organisatorischen Änderung. Den Mitgliedern des federführenden Ausschusses, der Die Künstlersozialkasse ist zurzeit eine Abteilung der mitberatenden Ausschüsse, aber auch der Enquete-Kom- Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen. mission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ danke ich sehr herzlich für ihre engagierte Mitarbeit. Da- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ durch ist es gelungen, den sozialen Schutz der Künstle- CSU]: Eine grauenvolle Organisation!) rinnen und Künstler sowie der Publizisten weiterzuent- Mit dem In-Kraft-Treten der Novelle soll die Künstler- wickeln. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung. sozialkasse organisatorisch wieder in die Bundesverwal- Danke. tung einbezogen und dazu der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung in Wilhelmshaven angegliedert (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ werden. Das unterstreicht die politische Verantwortung des DIE GRÜNEN) Bundes für die Durchführung der Künstlersozialversi- cherung. Der Standort und die Arbeitsplätze bleiben in der Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die CDU/CSU- Region erhalten. Fraktion spricht jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann. Eine Erhöhung des Bundeszuschusses zur Künstler- sozialversicherung ist aus haushaltspolitischen Gründen Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! nicht möglich. Die finanzielle Beteiligung des Bundes in Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf zur Höhe von 20 Prozent der Ausgaben der Künstlersozial- Novellierung des Künstlersozialversicherungsgesetzes ist kasse ist eine verlässliche Größe. Bei den Ausschussbera- für unsere Fraktion enttäuschend. Er ist nicht mehr als 16160 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Karl-Josef Laumann (A) eine Reparaturnovelle. Einige der Vorschläge sind zwar Gewerkschaften musste nachgebessert werden. Dies ist (C) sinnvoll, wieder ein Beweis dafür, wie reparaturanfällig die Ren- tenreform aus dem Hause Riester ist. Einem solchen Re- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten paraturgesetz kann die Union auf keinen Fall zustimmen. [CDU/CSU]: Ja!) (Peter Dreßen [SPD]: Ich denke, ihr wollt auch aber die wirklichen Notwendigkeiten fehlen in diesem das hohe Niveau!) Gesetz. Besonders schlimm ist aber, dass der in der Niveau- Vor allen Dingen wird die Alterssicherung der sicherungsklausel angegebene Beitragssatz von 22 Pro- Künstler nicht verbessert. Im Jahre 2000 lag das Durch- zent sowie das Rentenniveau von 67 Prozent nicht stim- schnittseinkommen der Künstler und Publizisten bei un- men. Die Anhörung zur Niveausicherungsklausel in die- ter 22 000 DM im Jahr. Damit liegt es bei etwa 40 Prozent ser Woche hat ein weiteres Mal gezeigt: Sie haben bei der des Durchschnittseinkommens der Versicherten in der ge- Berechnung von Rentenniveau und Beitragssatz ge- setzlichen Rentenversicherung. Dementsprechend schlecht schönte Zahlen vorgelegt. ist die Alterssicherung der Künstler: Ein Versicherter, der auf der Basis dieses Einkommens 40 Jahre lang Beiträge (Zustimmung bei der CDU/CSU) in die Künstlersozialversicherung einzahlt, bekommt Die Experten haben deutlich gemacht: Der Beitrags- nach 40 Jahren eine monatliche Rente in Höhe von satz in der Rentenversicherung von 22 Prozent im Jahre 800 DM. 2030 ist nicht zu halten. Sie sind insbesondere bei der Be- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten schäftigungsentwicklung und der Beitragsentwicklung in [CDU/CSU]: Hört! Hört!) der Kranken- und Pflegeversicherung von geschönten Zahlen ausgegangen. Jemand, der 30 Jahre lang eingezahlt hat, bekommt eine Rente in Höhe von nur 600 DM pro Monat. (Beifall bei der CDU/CSU) Statt Vorschläge zu machen, wie die Alterssicherung Das Rentenniveau wird im Jahre 2030 nach realisti- der Künstler verbessert werden kann, zieht sich der Bund schen Berechnungen nicht bei 68 Prozent, sondern bei aus der Finanzierung der Künstlersozialversicherung 64 Prozent liegen. Bei der blümschen Rentenreform hätte zurück. das vergleichbare Rentenniveau 2030 bei 65,4 Prozent ge- legen. Dieses Rentenniveau wurde von Ihnen im Wahl- (Angelika Krüger-Leißner [SPD]: Das stimmt kampf – wenn Sie sich noch erinnern doch gar nicht! – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Unglaublich!) (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ (B) CSU]: Das tun sie nicht gerne!) (D) Mit der Absenkung des Bundeszuschusses zur Künst- lersozialversicherung haben Sie das finanzielle Funda- – als unanständig beschimpft. ment und die Stabilität des Systems der Künstlersozial- ( [CDU/CSU]: Das nennt versicherung schwer beschädigt. Kompensationen für man Regierungsamnesie!) diese Einschnitte sieht der Gesetzentwurf nicht vor. Jetzt liegen Sie mit Ihrem Rentenniveau noch weit da- Lediglich bei den Laienmusikvereinen sind Sie einen runter. kleinen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Die ur- sprüngliche Regelung in Ihrem Entwurf hätte zu großen (Widerspruch bei der SPD) finanziellen Belastungen für die Laienmusikvereine ge- Im Frühsommer des letzten Jahres haben Sie zum führt. Das Fortbestehen vieler Musikvereine stand auf ersten Mal Vorschläge gemacht, die einen Rentenbei- dem Spiel. Zu begrüßen ist, dass Sie der Forderung der trag von 22 Prozent im Jahre 2030 vorsahen. Das Renten- Union und auch der Enquete-Kommission „Zukunft des niveau sollte nach Ihrem ersten Vorschlag 2030 bei Bürgerschaftlichen Engagements“ hinsichtlich einer Be- 62 Prozent liegen. Nach Ihren aktuellen Rentenplänen soll freiung der Laienmusikvereine von der Pflicht zur Zah- das Rentenniveau 2030 nun nicht unter 67 Prozent sinken, lung von Abgaben an die Künstlersozialversicherung zu- und zwar wieder bei einem Beitragssatz von 22 Prozent. mindest teilweise nachgekommen sind. Sie haben es also bei dieser Reform wirklich fertig ge- Aber es geht ja weiter: In letzter Sekunde haben Sie an bracht, den Beitragssatz von 22 Prozent in Ihren Plänen das Künstlersozialversicherungsgesetz noch eine Kor- festzuschreiben, haben aber mittlerweile das Rentenni- rektur des Rentenniveaus in der Niveausicherungsklau- veau viermal nach oben korrigiert. Wie Sie das mit einem sel in der Rentenversicherung angehängt. Diese Korrek- gleichen Beitragssatz und mit der gleichen Beschäfti- tur ist notwendig geworden, weil im Hause Riester wieder gungsgrundlage errechnet haben, ist mir schleierhaft und einmal geschlampt wurde. höchstens durch die Ausbildung in einer sozialistischen (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Gesamtschule erklärbar. [CDU/CSU]: Wie so oft!) (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Was ist daran so schlimm, den Beitrags- Sie haben groß verkündet, dass durch die Rentenre- satz festzulegen?) form im Jahre 2030 ein Rentenniveau von fast 68 Prozent erreicht werden wird. In der Niveausicherungsklausel Viel schlimmer ist, dass Sie nach der Festschreibung standen aber immer noch die 64 Prozent. Auf Druck der des Beitragssatzes zur Rentenversicherung im Gesetz Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16161

Karl-Josef Laumann (A) auch das Rentenniveau festlegen. Damit lassen Sie sich Schönen Dank. (C) jede Stellschraube, die man in der Rentenversicherung (Beifall bei der CDU/CSU – Eckart von Klaeden braucht, aus der Hand nehmen. Nur eine einzige Stell- [CDU/CSU]: Er wird wieder für einen Regie- schraube haben Sie noch, nämlich die Möglichkeit, das rungswechsel sein!) Renteneintrittsalter heraufzusetzen. (Klaus Brandner [SPD]: Was Merz vorge- Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat die Kol- schlagen hat!) legin Dr. Thea Dückert für die Fraktion des Bündnis- Lieber Kollege Brandner, die Wahrheit ist, dass Sie ses 90/Die Grünen. sich uns bei den anstehenden Rentenkonsensgesprächen im Vermittlungsausschuss überhaupt nicht nähern kön- Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nen. Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten gen! Die Rede von Herrn Laumann hat zwei Sachen deut- [CDU/CSU]: So ist es!) lich gemacht: Erstens. Die CDU interessiert sich nicht für die Reform der Künstlersozialversicherung. Sie haben den Gewerkschaften ein Rentenniveau von 67 Prozent garantiert, und die Witwen in Deutschland sol- (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Quatsch! Das len jetzt dafür bluten. ist weit unter Ihrem Intelligenzniveau, Frau Dückert!) (Beifall bei der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist eine Sauerei! – Peter Zweitens. Sie ist sich nicht zu schade, hier zum wieder- Dreßen [SPD]: Sie sagen die Unwahrheit! – holten Male – ich weiß nicht, zum wievielten Male – Un- Weiterer Zuruf von der SPD: Lüge!) wahrheiten über die Rentenreform zu verbreiten, Das ist die Wahrheit. Diesen Zusammenhang können wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus sozialpolitischer Sicht schlicht und ergreifend nicht und bei der SPD) verantworten. und zwar mit dem platten und dummen Ziel, die Bevöl- In der Anhörung am letzten Dienstag hat Herr Profes- kerung mit Märchen über die zukünftige Rente in die Irre sor Schmähl sehr deutlich gesagt, dass die Bedürfnisprü- zu führen. fung in einer beitragsfinanzierten Rentenversicherung, Die Rentenreform – das wissen Sie ganz genau – und die Sozialdemokraten das erste Mal eingeführt haben gerade die Reform der Witwenrente wird die heutigen – nichts anderes ist die Anrechnung aller Einkommensar- Rentnerinnen und Rentner überhaupt nicht betreffen. Es (B) ten beim Freibetrag der Witwenrente –, einem System- ist eine Reform der Hinterbliebenenrente, (D) wechsel gleichkommt. Dafür stehen Sozialdemokraten in diesem Bundestag! (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sie wollen sie doch 2010 aussetzen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die erst in der Zukunft gilt. Das heißt, nur die heute jun- Weil Herr Zwickel zum Telefonhörer gegriffen hat gen Ehefrauen werden von dieser Regelung berührt. Sie – das weiß ich aus Gesprächen mit dem einen oder ande- wissen, dass sich deren Erwerbsbiografien sehr stark von ren Kollegen von Ihnen –, haben Sie eine Sondersitzung denen unserer Mütter und von unseren eigenen unter- der Grünen- und der SPD-Fraktion durchgeführt. Damit scheiden, die wir weniger in die Rentenkassen eingezahlt haben Sie sich gegen die Witwen und für ein geschöntes haben. Rentenniveau im Sinne der Gewerkschaften entschieden. Das ist die Wahrheit. (Klaus Brandner [SPD]: Das muss gesagt werden!) (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: In Wider- sprüche verzwickelt!) Hier werden Unwahrheiten verbreitet, und zwar zum wie- derholten Male. Ich kann das in keiner Weise konstruktiv Dass Sie es wagen, einen so hochpolitischen Vorgang ne- und vernünftig finden. benbei mit dieser Künstlersozialversicherung zu verbin- den, macht den Skandal komplett. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir reden jetzt aber über die Reform der Künstlersozi- Deswegen werden wir diesem Gesetz nicht zustimmen alversicherung. Im Zusammenhang mit dieser Reform bin können. Wenn Sie etwas für die Alterssicherung der ich sehr froh, dass es uns gelungen ist, sie in einem über- Künstler in unserem Land tun wollen, dann heben Sie für sichtlichen Zeitraum und unter Beteiligung von vielen Leute, die nach 40 Jahren Beitragszahlung eine Rente von Fachverbänden auf den Weg zu bringen. Natürlich gibt es 800 DM bekommen, den Bundeszuschuss wieder auf die vonseiten der Fraktionen die üblichen Nörgeleien, aber in 25 Prozent an, bei denen er in Zeiten der CDU/CSU-Re- Wirklichkeit kann niemand in diesem Hause ernsthaft be- gierung 16 Jahre lang gelegen hat. Dann haben Sie we- streiten, dass die Reform der Künstlersozialversicherung nigstens in diesem Punkt ein Stückchen Glaubwürdigkeit Verbesserungen mit sich bringt, und zwar gerade auch für gewonnen. Mancher Künstler, der bei den Wahlen 1998 die Künstlerinnen und Künstler. Die Herabsetzung des für einen Regierungswechsel gestimmt hat, wird nach die- Bundesanteils von 25 Prozent auf 20 Prozent im Zusam- ser gesetzlichen Änderung nicht mehr für Rot-Grün sein. menhang mit dem Haushaltssanierungsgesetz war damals 16162 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Thea Dückert (A) natürlich ein schwieriger Schritt; er war aber rechtlich ge- Insgesamt ist zu sagen, dass sowohl im parlamentari- (C) boten, weil sich der Selbstvermarktungsanteil reduziert schen Verfahren Einlassungen der Opposition als auch im hat, und er war auch haushaltspolitisch sinnvoll. Anhörungsverfahren Einlassungen der angehörten Ver- Herr Laumann, ich muss Ihnen vorhalten, dass Sie bände zu wesentlichen Veränderungen am Gesetzentwurf heute wieder mit falschen Zahlen operiert haben, wenn geführt haben. Insbesondere gilt das – die Frau Staats- Sie behaupten, die Herabsetzung des Bundesanteils habe sekretärin hat das vorhin bereits dargelegt – für die Be- sich in irgendeiner Weise auf den Rentenbezug der Künst- rücksichtigung von Dirigenten und Übungsleitern in Mu- lerinnen und Künstler ausgewirkt. Diese Behauptung ist sikvereinen. Auf diesem Feld werden Erleichterungen unwahr. Die Reduzierung des Bundesanteils wirkt sich in geschaffen; das wird von allen – sogar von der CDU/CSU, keiner Weise nachteilig auf die Sozialleistungen der die den Gesetzentwurf im Übrigen ja bemängelt – be- Künstlerinnen und Künstler aus. grüßt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alle Veränderung im Rahmen dieser Reform sind im und bei der SPD) großen Einklang mit dem Deutschen Kulturrat erfolgt. Si- cherlich gibt es in Detailfragen noch Kritik, insgesamt Mit dieser Reform werden der Versicherungsschutz für aber wird diese Reform begrüßt. Ich denke, die rot-grüne die Künstlerinnen und Künstler insgesamt verbessert, die Koalition hat mit dieser Reform ein klares Bekenntnis zu- Versicherungspflicht eingegrenzt und das Verfahren ver- gunsten der Künstler- und Publizistenszene in der Bun- einfacht. Die Künstlersozialversicherung, die bereits seit desrepublik Deutschland abgelegt, 1983 existiert, ist sehr gut angenommen worden. Dies liegt vor allem daran, dass sie freischaffenden Künstlerin- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: nen und Künstlern die Möglichkeit gibt, sich mit einem Dafür müsst ihr aber noch was machen!) Eigenanteil von 50 Prozent rentenversichern zu können. und zwar unter den Bedingungen eines Sparhaushaltes. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen wissen, dass zum Bei- Ich finde, das ist eine reife Leistung und bedeutet eine spiel bildende Künstler, Übersetzer und Kleinkünstler Verbesserung für die betroffenen Künstlerinnen und trotz hervorragender Arbeit ohne diese Künstlersozial- Künstler. kasse finanziell oft nicht überleben könnten. Gerade des- halb wollten wir durch diese Reform die Künstlerinnen Ich danke Ihnen. und Künstler besser absichern. Nach unserer Auffassung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN leisten viele Künstlerinnen und Künstler für Unternehmen und bei der SPD) eine gute Arbeit, leider sehr oft zu schlechten Konditio- nen. Dennoch denke ich, dass diese Arbeiten mit einem (B) Eigenbeitrag von 4 Prozent für die Verwerter angemessen Vizepräsidentin Petra Bläss: Jetzt spricht die Kol- (D) berücksichtigt sind. legin Dr. Irmgard Schwaetzer für die F.D.P.-Fraktion. Der Selbstvermarktungsanteil – ich habe bereits darauf hingewiesen – ist zurückgegangen. Deshalb war es uns Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Frau Präsidentin! wichtig, im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf die Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reform der Eigenbeteiligung des Bundes auf 20 Prozent festzuschrei- Künstlersozialversicherung war in der Tat längst über- ben. Diese Tatsache reduziert im Übrigen auch die Un- fällig. Sie war von der Koalition lange angekündigt wor- sicherheit über die zukünftige Entwicklung und schafft den. Es sind zwar durch ein paar Änderungen, die mehr Sicherheit. während der Beratungen vorgenommen worden sind, leichte Verbesserungen erzielt worden. Insofern hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich – Frau Dückert, das ist das Einzige, was Sie in Ihrer und bei der SPD) Rede richtig dargestellt haben – im Vergleich zum ur- Durch das In-Kraft-Treten des Gesetzes wird es auch sprünglichen Entwurf etwas verbessert. Aber der wesentliche andere Verbesserungen geben. So ist nun bei- Gesetzentwurf, der heute zur Verabschiedung vorliegt, spielsweise festgelegt, dass Künstlerinnen und Künstler bleibt weit hinter den Erwartungen sowohl der Künstle- in einem Zeitraum von sechs Jahren die Geringfügigkeits- rinnen und Künstler und der Verwerter als auch hinter grenze zwei Mal unterschreiten können. Ich denke, diese den notwendigen Verbesserungen zurück, die diese Re- Flexibilisierung war notwendig, weil das Einkommen der form eigentlich hätte bringen sollen. Betroffenen in diesem Bereich sehr häufig schwankt. Es (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten wäre nicht gerechtfertigt, den Versicherten aus diesem der CDU/CSU) Grunde den Versicherungsschutz zu entziehen. Ich möchte mit den Verbesserungen beginnen. Sie ha- Des Weiteren – auch das ist eine wesentliche Verbes- ben dem massiven Drängen vor allem der F.D.P.-Fraktion serung – können ältere Künstlerinnen und Künstler sowie nachgeben müssen, die gemeinnützigen Vereine wenigs- Publizistinnen und Publizisten Zugang zu der Kranken- tens teilweise außen vor zu lassen. Unser Antrag ging al- versicherung der Rentner erhalten; das gilt auch für jene, lerdings weiter, nämlich alle gemeinnützigen Vereine die bereits vor In-Kraft-Treten der Künstlersozialversiche- freizustellen. Das wäre eine angemessene Regelung ge- rung in diesem Bereich tätig waren. Außerdem macht der wesen. Gesetzentwurf die Bildung von Ausgleichsvereinigungen attraktiver. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16163

Dr. Irmgard Schwaetzer (A) Das, was Sie machen, ist wieder nur eine Krücke. Eine letzte Bemerkung zu dem wirklich sachwidrigen (C) Anhängsel, das Sie diesem Gesetzentwurf verpasst haben, (Zuruf von der SPD: Warum haben Sie es nämlich der so genannten Niveausicherungsklausel von nicht gemacht? Sie hatten 16 Jahre lang 67 Prozent in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das, Zeit!) was Sie hier auf Druck der Gewerkschaften versuchen, ist Kein Wort in Ihrer Rede, Frau Dückert, kam – das ist wirklich die Quadratur des Kreises. Jeder weiß, dass das schon bezeichnend – so oft vor wie „Sparhaushalt“ und nicht funktionieren wird. Sie haben im Gesetzentwurf ei- „Notwendigkeit des Sparens“. Warum Sie ausgerechnet nen Beitragssatz von 22 Prozent festgeschrieben. Sie bei den Künstlern mit dem Sparen beginnen, bleibt mir al- schreiben darüber hinaus eine Niveausicherungsklausel lerdings verschlossen. von 67 Prozent fest. Beides werden Sie innerhalb der nächsten Jahre zurückziehen müssen, weil Sie es nicht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) halten können. Hier die Vorstellungen des Kulturrates, die wesentlich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) weitergingen – die Opposition hat diese Vorstellungen aufgegriffen und Sie haben uns anschließend vorgewor- Ihre Berechnungsgrundlagen stimmen einfach nicht; sie fen, es seien Nörgeleien –, als Nörgeleien zu bezeichnen sind zu optimistisch. Das hat die Anhörung ganz eindeu- ist schon Frechheit. tig ergeben. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wenn die Gewerkschaften hier jetzt Politik machen, dann ist die Sozialpolitik in der Wir sind nicht damit einverstanden, dass Sie die Be- Tat einseitig und wird eine Katastrophe erleben. rufsanfängerzeit von fünf auf drei Jahre verkürzen. Wir sind auch nicht damit einverstanden, dass Sie den Bun- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten deszuschuss zur Künstlersozialkasse auf 20 Prozent [CDU/CSU]: So ist es!) gekürzt lassen. Wir sind des Weiteren nicht damit einver- Deswegen werden wir dem nicht zustimmen. standen, dass Sie den sehr guten Vorschlag des Kulturra- tes, bei der Bemessung des Bundeszuschusses flexibler Danke schön. vorzugehen, nicht umgesetzt haben. Der Kulturrat hat uns (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) vorgeschlagen, den Bundeszuschuss zur Künstlersozial- versicherung in einem Korridor von 20 Prozent bis Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die PDS-Fraktion 25 Prozent der Ausgaben zu bemessen und danach die spricht jetzt der Kollege Dr. Heinrich Fink. Verwerterabgabe und die Beiträge der Künstler festzule- gen. Es hätte die finanziellen Möglichkeiten des Bundes (B) keinesfalls überfordert, wenn Sie diesen angemessenen Dr. Heinrich Fink (PDS): Sehr geehrte Frau Präsiden- (D) Vorschlag aufgegriffen hätten. Aber Sie haben das nicht tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es gelungen getan. Das ist eine Negierung der Interessen der Künstler. wäre, die Vorschläge unseres Antrags im Novellierungs- prozess des Künstlersozialversicherungsgesetzes umzu- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) setzen, Sie haben noch nicht einmal versucht, den Kreis der (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Personen, die in die Künstlersozialversicherung aufge- Das wäre noch schlechter!) nommen werden können, zu begrenzen. Damit lassen Sie eine Ausweitung dieses Personenkreises zu, ohne aber die dann könnten wir heute ein wesentlich besseres Ergebnis Finanzierung der neuen Mitglieder in angemessener Weise vorweisen: sicherzustellen. All das kann keinen Bestand haben. (Beifall bei der PDS – Dr. Wolfgang Freiherr Wir erhalten die Forderungen aus unserem Entschlie- von Stetten [CDU/CSU]: Das wäre noch viel ßungsantrag – Frau Mascher hat dazu etwas gesagt – auf- schlechter!) recht und bitten um Zustimmung. Die Volkshochschu- Erstens. Es wäre gesichert, dass alle hauptberuflich len in der Bundesrepublik Deutschland sind wirklich künstlerisch oder publizistisch Tätigen, die nicht im Rah- flächendeckend mit Abgabenbescheiden überzogen wor- men von Beschäftigungsverhältnissen sozial abgesichert den, in denen Rückforderungen in Höhe von 25 000 bis sind, in den Versicherungsschutz nach dem KSVG 40 000 DM für angeblich nicht gezahlte Beiträge in den einbezogen würden. letzten Jahren erhoben werden. Jetzt sagt die Bundesre- gierung den Volkshochschulen: „Legt dagegen mal keine Zweitens. Die Gefahr für den Bestand der Künstlerso- Beschwerde ein“, ohne zuzusagen, dass diese Bescheide zialkasse, die von den bestehen bleibenden Festlegungen geändert oder zurückgenommen werden. Sie hätten mit im Haushaltssanierungsgesetz von Ende 1999 ausgeht, dem vorliegenden Gesetzentwurf die Möglichkeit gehabt, wäre mit Sicherheit gebannt. das zu tun. Aber Sie haben es nicht getan. Deswegen Drittens. Es würde von der Bundesregierung eine um- werde ich allen Volkshochschulen weiterhin empfehlen, fassende Kulturenquete in Auftrag gegeben, von deren Er- auf jeden Fall Widerspruch gegen diese Bescheide einzu- gebnissen aus der Ausbau der Künstlersozialversicherung legen und sich nicht auf finanzielle Zusagen der Bundes- verantwortungsvoll betrieben werden könnte. regierung zu verlassen, die noch nicht einmal beziffert Denn nach wie vor sind noch Fragen offen – die hier sind, geschweige denn durchgesetzt. auch gestellt wurden –, wie die nach einem Versicherungs- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schutz für Zeiten ohne Einkommen, nach der Einführung 16164 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Heinrich Fink (A) einer Arbeitslosenversicherung und nach der Gewährleis- Stetten [CDU/CSU]: Nur gegen den Unsinn der (C) tung einer angemessenen Rente für die Künstler und Künst- Rentenreform! – Eckart von Klaeden [CDU/ lerinnen sowie die Publizisten und Publizistinnen. CSU]: Die können wir doch gar nicht boykot- tieren!) Unser Antrag hat allerdings mit dazu beigetragen, das zwei wichtige Korrekturen an dem Gesetz vorgenommen Ich glaube, Sie haben bis heute nicht verstanden, dass wurden. Die beabsichtigte Verkürzung der Berufsan- wir dabei sind, auch diesen Part der Hinterbliebenenrente fängerzeit von fünf auf drei Jahre ist durch die vorge- zu modernisieren. Mit der Verbesserung der Familienför- schlagene Regelung so gut wie aufgehoben. Zudem soll derung in den nächsten Jahren tragen wir auch zur Ab- die Einstandspflicht des Bundes von ihrer engen Bindung sicherung der Eigenständigkeit der Frauen bei. Außerdem an die so genannte Selbstvermarktungsquote gelöst wer- haben Sie bis heute nicht begriffen, dass Niveaustabilität den. Dies ist die wohl folgenreichste Änderung. Sie führt und Beitragsstabilität für uns ein verlässlicher Faktor in dazu, dass für die Begründung des Bundeszuschusses die der Rentenpolitik sind und bleiben. kulturpolitische Verantwortung des Bundes für die so- (Beifall bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer ziale Absicherung der Künstler und Künstlerinnen sowie [F.D.P.]: Damit werden Sie doch die Grundre- der Publizisten und Publizistinnen noch stärker als bisher chenarten nicht aufheben! Die lassen sich nicht in den Vordergrund rückt. verändern!) (Beifall bei der PDS) Bevor ich in dieser Rede inhaltlich auf die Reform der Das ist eine wichtige Weichenstellung für die gesamte Künstlersozialversicherung eingehe, möchte ich – da- Fortentwicklung der Künstlersozialversicherung. rüber ist mit Ihnen im Vorfeld im Einvernehmen beraten worden – eine kleine Berichtigung zur Beschlussemp- Nun muss die Bundesregierung auf die noch immer im fehlung anführen. In der Beschlussempfehlung des Aus- Raume schwebende isolierte Studie zur Selbstvermark- schusses für Arbeit und Sozialordnung zum Entwurf eines tung endgültig verzichten und es ist auch neu über eine Zweiten Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialver- Erhöhung des Bundeszuschusses zu diskutieren. Natür- sicherungsgesetzes und anderer Gesetze muss es unter lich unterstützen wir auch die noch nachträglich er- Art. 1 Ziffer 10 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb statt reichten Verbesserungen, die nicht in unserem Antrag ent- „Satz 3 zweiter Halbsatz“ heißen „Satz 2 zweiter Halb- halten sind, also die Behebung der Sorgen bei den satz“. Ich bitte, diese Korrektur zu protokollieren und bei Laienmusikvereinen und die generelle Herausnahme der der Abstimmung entsprechend zu berücksichtigen. – Übungsleiterpauschale aus der Bemessungsgrundlage für Danke. die Künstlersozialabgabe. Einige von uns haben den im März erschienenen Arti- (B) Wir beschließen heute – das ist ja hier schon hinrei- (D) kel des Deutschen Kulturrats in der Zeitschrift „Kultur ak- chend diskutiert worden – über die „Sicherung“ des Ren- tuell“ gelesen. Die Überschrift dieses Artikels lautete: tenniveaus auf 67 statt bisher 64 Prozent. Ich muss schon „Ende gut, alles gut?“ Dies bezog sich auf die Reform der sagen, für die PDS ist das eine sophistische Frage. Unsere Künstlersozialversicherung. Ich freue mich, dass wir Rentenreformvorschläge hätten ein deutlich höheres Ren- diese Frage heute in der abschließenden Lesung dieses tenniveau sichergestellt. Eine wirkliche Rentenreform Gesetzentwurfs positiv beantworten können; wäre dann möglich gewesen – und diese ist fällig. (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sie schon!) Wir begrüßen die erreichten Verbesserungen, halten sie aber für nicht ausreichend, um dem Gesetzentwurf zu- denn wir haben die Reform des Künstlersozialversiche- zustimmen. Wir werden uns deshalb enthalten. Also: rungsgesetzes auf die Zielgerade gebracht. Damit halten Weiter kämpfen für eine bessere Existenz der Künstle- wir unser Wort – es ist im Koalitionsvertrag festgeschrie- rinnen und Künstler und damit auch für die Kunst in un- ben –, dass wir die Künstlersozialversicherung zur weite- serem Land! ren Absicherung der Künstlerinnen und Künstler verbes- sern werden. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzte Rednerin in Die Künstlersozialversicherung stellt seit 1983 das ge- dieser Debatte ist die Kollegin Angelika Krüger-Leißner setzliche Fundament vieler Künstler und Publizisten in für die SPD-Fraktion. Deutschland für die Vorsorge bei Krankheit und für das Alter dar. Ist der Kreis der von diesem Gesetz erfassten Versicherten im Vergleich zu den Beitragszahlern und Angelika Krüger-Leißner (SPD): Sehr geehrte Frau Rentnern der gesetzlichen Rentenversicherung auch ge- Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ring, so hat die Künstlersozialversicherung für die dort doch sehr erstaunt, wie die Opposition heute diese De- heute 110 000 Versicherten dennoch eine ähnlich große batte um eine sehr wichtige soziale Reform, die wir zu- sozialpolitische Bedeutung. gunsten der Künstler und Publizisten heute umsetzen wol- len, nutzt, um ihren Boykott gegen die Rentenreform (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fortzuführen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie ist letztendlich zugleich die Grundbedingung für kre- DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Freiherr von atives künstlerisches und publizistisches Schaffen. Bei ei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16165

Angelika Krüger-Leißner (A) nem jährlichen Durchschnittseinkommen der in der Künst- Unter die Lupe genommen haben wir vor allen Dingen (C) lersozialkasse versicherten Künstler von sage und schreibe den Bereich der Abgabenpflicht von Laienmusikvereinen, 21 852 DM wird uns der Wert dieser sozialen Absicherung die gegenüber der Künstlersozialkasse besteht. In diesem erst so richtig bewusst. Punkt herrschte Unklarheit und Verunsicherung. Nun ist Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen galt es aber klar gestellt, dass von Laienorchestern und -chören für die Regierungskoalition zum einen, diese soziale und auf die Honorare an vereinseigene Dirigenten und Chor- kulturpolitische Errungenschaft zu erhalten und durch leiter keine Künstlersozialabgabe gezahlt werden muss. Verbesserungen zu stärken. Dabei gelang uns in enger (Beifall bei der SPD) Zusammenarbeit mit den Interessenvertretern aller künst- lerischen Sparten – mit Künstlern, mit Vertretern der Kul- turwirtschaft und mit den Laienschaffenden – ein inten- Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin, Sie siver Austausch über den Reformbedarf. Die Diskussion müssen bitte zum Schluss kommen. strahlte ins Land aus. Sie wurde in Verbänden, mit der Gewerkschaft und vor allem mit den Betroffenen selbst Angelika Krüger-Leißner (SPD): Eine weitere Ver- geführt. Sie hat Anregungen – natürlich auch kritische – besserung bedeutet auch die Ausdehnung der so genannten hervorgerufen. Somit hat sie auf jeden Fall für die not- Übungsleiterpauschale auf die Laienmusikvereine. Steuer- wendige Transparenz gesorgt. Diese Diskussion hat vor freie Aufwandsentschädigungen bleiben bis zu 3 600 DM allem eines deutlich gemacht: In vielen Punkten gibt es sozialabgabefrei. Wir haben damit das Ehrenamt gestärkt. Übereinstimmung und auch Anerkennung im Hinblick Das ist politisch so gewollt und wird auch so umgesetzt. auf die heute vorliegende Novellierung. Wir haben durch diese Regelungen die existenziellen (Beifall bei der SPD) Interessen der Künstler und Publizisten berücksichtigt. Die Anhörung hat in vielen Sachpunkten Klarheit ge- Wir wissen aber auch, dass wir nicht alle Wünsche erfül- schaffen, die zu Änderungsanträgen der Koalitionsfrak- len konnten. Die Höhe des Bundeszuschusses blieb un- tionen führten. berührt. Da die Verbände vor allem eine weitere Absen- kung des Bundeszuschusses befürchteten, will ich eines (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Richtig! deutlich machen: Das darf nicht passieren. Im Entwurf waren die überhaupt nicht drin!) (Beifall bei der SPD) Auch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kul- tur und Medien war für die Entscheidungsfindung wichtig. Wir brauchen für alle Seiten Verlässlichkeit und Konti- Die Änderungen im vorliegenden Gesetzentwurf haben nuität in der Künstlersozialversicherung: für die Künstler (B) vor allem eines zur Folge: Sie schaffen mehr Gerechtigkeit selbst, für die Verwerter und für den Bund. (D) für die jungen Künstler, für die Publizisten, aber auch für die Älteren, die in den nächsten Jahren das Rentenalter er- Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin, ich er- reichen werden. mahne Sie ein letztes Mal, zum Schluss zu kommen. Kernstück der Novelle ist daher der erleichterte Zu- gang älterer Künstler und Publizisten zur Kranken- Angelika Krüger-Leißner (SPD): Ich komme zum versicherung der Rentner, auch wenn sie schon vor Ent- Schluss meiner Ausführungen. stehung der Künstlersozialversicherung tätig waren. Damit schließen wir eine Lücke in der sozialen Absiche- Ich könnte meine Rede nicht besser beenden als mit ei- rung dieser Menschen. Ich bin froh, dass wir dieses drän- nem Zitat eines Sachverständigen aus der Anhörung. Herr gende Problem auf diese Weise gelöst haben. Zimmermann vom Deutschen Kulturrat fasste unsere Re- formbemühungen in folgende Worte: Wir haben (Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Da ist wenigstens einer froh!) alle gemeinsam ein Interesse daran ..., dass diese Künstlersozialversicherung nicht nur in dieser Legis- Begrüßt wird vor allem auch die Möglichkeit, die Be- laturperiode hält, sondern sie soll auch in den nächs- rufsanfängerzeit zu unterbrechen: zum Beispiel durch ten 20 bis 30 Jahren ... halten, weil es die beste, die Mutterschafts- und Erziehungsurlaub, Zivil- bzw. Wehr- sinnvollste Möglichkeit der sozialen Absicherung für dienst oder Arbeitnehmertätigkeit. Das ist richtig und not- die Künstlerinnen und Künstler ist. wendig und ermöglicht eine Verlängerung der dreijähri- gen Berufsanfängerfrist. Dazu will ich zum Schluss noch eine Bemerkung machen. Um noch besser die Besonderheiten der schwierigen Anfangsjahre zu berücksichtigen, haben wir diese Rege- Vizepräsidentin Petra Bläss: Nein, Frau Kollegin, lung mit der Möglichkeit kombiniert, die Geringfügig- der Osterbonus ist aufgebraucht. keitsgrenze zweimal innerhalb von sechs Jahren unter- schreiten zu können, ohne den Versicherungsschutz zu Angelika Krüger-Leißner (SPD): Dann bedanke ich verlieren. mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich glaube, diese Regelung trägt der Realität Rechnung. DIE GRÜNEN) 16166 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes (C) sprache. und anderer Gesetze Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- – Drucksachen 14/4329, 14/4458 – desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung (Erste Beratung 128. Sitzung) des Künstlersozialversicherungsgesetzes und anderer Ge- setze, Drucksache 14/5066. Der Ausschuss für Arbeit und Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss- schusses (4. Ausschuss) empfehlung auf Drucksache 14/5792 die Annahme des – Drucksache 14/5793 – Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Ich bitte dieje- Berichterstattung: nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung Abgeordnete Gisela Schröter – unter Einschluss der soeben vorgetragenen Berichti- Beatrix Philipp gung – zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer Grietje Bettin stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Dr. Edzard Schmidt-Jortzig ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen von Petra Pau CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenom- men. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Wir kommen zur richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung dritten Beratung Tätigkeitsbericht 1997 und 1998 des Bundes- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem beauftragten für den Datenschutz – 17. Tätig- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer keitsbericht – stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf – Drucksachen 14/850, 14/1012 Nr. 6, 14/5353 – ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen. Berichterstattung: Abgeordnete Gisela Schröter Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen. Wer Beatrix Philipp stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der Cem Özdemir CDU/CSU auf Drucksache 14/5825? – Wer stimmt dage- Dr. Edzard Schmidt-Jortzig gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist ge- Petra Pau gen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthal- Zu dem Gesetzentwurf liegen sechs Änderungsanträge tung der PDS-Fraktion abgelehnt. (B) und ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor. (D) Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Kolleginnen und Kollegen Jörg Tauss, Beatrix der F.D.P. auf Drucksache 14/5824? – Wer stimmt dage- Philipp, Grietje Bettin, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Petra gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist ge- Pau sowie der Parlamentarische Staatssekretär Fritz gen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abge- Rudolf Körper haben ihre Reden zu Protokoll gege- lehnt. ben.1) – Ich sehe keinen Widerspruch im Hause. Wir kommen zurück zur Beschlussempfehlung des Wir kommen deshalb sofort zu den Abstimmungen, Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksa- und zwar zunächst über den von der Bundesregierung ein- che 14/5792. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner gebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesda- Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der tenschutzgesetzes und anderer Gesetzes in der Aus- Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Reform der Künstler- schussfassung, Drucksachen 14/4329 und 14/5793. Es sozialversicherung gerecht gestalten“, Drucksache liegen sechs Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor, 14/4929 (neu). Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- über die wir zuerst abstimmen werden. lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss- empfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache F.D.P.-Fraktion angenommen. 14/5812? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak- Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner tion abgelehnt. Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/5086 mit dem Titel Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache „Für eine grundlegende Reform der Künstlersozialversi- 14/5816? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der cherung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak- Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- tion abgelehnt. lung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ange- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache nommen. 14/5818? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: Fraktion abgelehnt.

19 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes 1) Anlage 5 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16167

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der (C) 14/5820? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der PDS Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak- Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgän- tion abgelehnt. gig machen Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache – Drucksache 14/5586 – 14/5821? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag: Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak- Finanzausschuss (f) tion abgelehnt. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Schließlich der Änderungsantrag auf Drucksache Haushaltsausschuss 14/5822: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist gegen Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die PDS- die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Fraktion ist der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Kolleginnen und Kollegen! Auch beim Thema Kommu- chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge- nalfinanzen muss die Bundesregierung offenbar erst zum setzentwurf ist gegen die Stimmen von F.D.P.- und PDS- Jagen getragen werden. Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU in zweiter Beratung angenommen. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ausge- rechnet durch die PDS!) Wir kommen zur – Gerade durch die PDS. dritten Beratung Mit einem schwergewichtigen Versprechen ist die rot- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem grüne Regierung 1998 gestartet. Die kommunale Finanz- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer kraft sollte gestärkt und das Gemeindefinanzsystem einer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf in der Tat umfassenden Prüfung unterzogen werden. Pas- ist damit gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS bei Ent- siert ist aber wenig. haltung der CDU/CSU angenommen. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wie Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion immer!) der PDS. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/5817? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- – Wie immer, Kollege Fromme, da gebe ich Ihnen Recht. (B) (D) tungen? – Der Entschließungsantrag ist gegen die Stim- (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Bei men der PDS-Fraktion abgelehnt. dieser Regierung!) Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be- Die dringend notwendige Reform des kommunalen Fi- schlussempfehlung des Innenausschusses zum Tätigkeits- nanzwesens wurde erst einmal auf die lange Bank ge- bericht 1997 und 1998 des Bundesdatenschutzbeauf- schoben und jetzt sogar auf die nächste Legislaturperiode tragten. Es handelt sich um die Drucksachen 14/850 und vertagt. Das halten wir für unverantwortlich. 14/5353. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Be- richts eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für (Beifall bei Abgeordneten der PDS) diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal- Jetzt tut handeln Not. Für viele Kommunen ist bereits tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen jetzt das Ende der Fahnenstange erreicht. Allein die Steu- des gesamten Hauses angenommen. erreform reißt im Jahre 2001 ein Minus von etwa 8 Milli- arden DM in die Stadt- und Gemeindekassen. Weitere Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: Steuerausfälle bzw. Mehrkosten bei den Kommunen wur- den noch gar nicht exakt beziffert. Ich nenne als belas- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe- tende Faktoren nur die BSE-Krise, die Euro-Umstellung, Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie die Förderung der privaten Altersvorsorge, den Wegfall Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der der originären Arbeitslosenhilfe und den Teilrückzug des PDS Bundes aus der Finanzierung des Unterhaltsvorschusses Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Ge- für Alleinerziehende. Dies alles unterstreicht noch ein- werbesteuermessbetrags mal, wie dringend notwendig es ist, eine Reform des kom- munalen Finanzwesens in Angriff zu nehmen. – Drucksache 14/5584 – Die PDS-Fraktion stellt nicht nur Forderungen, son- Überweisungsvorschlag: dern ist auch die einzige Fraktion, die schon vor einiger Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Zeit ein diesbezügliches Konzept in den Bundestag ein- Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder gebracht hat. Haushaltsausschuss (Beifall bei der PDS) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe- Dieses Konzept wird durch weitere Anträge, die heute der Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie Öffentlichkeit vorgestellt werden, untersetzt. Ein erster 16168 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Dr. Uwe-Jens Rössel (A) Antrag fordert dazu auf, dass die zur Finanzierung der Un- spiele –, wird die Gewerbesteuer entsprechend den ge- (C) ternehmensteuerreform beschlossene Erhöhung der so ge- zahlten Löhnen und Gehältern auf die jeweiligen Ge- nannten Gewerbesteuerumlage an Bund und Länder meinden aufgeteilt. Damit führt eine niedrigere Lohn- und rückgängig gemacht wird. Bereits jetzt schon müssen Gehaltssumme der Betriebsstätte zu einer niedrigeren Zu- Städte und Gemeinden 20 Prozent ihrer Gewerbe- weisung der Gewerbesteuer an die Kommune. steuereinnahmen an den Bund bzw. das jeweilige Land (Zuruf des Abg. Jochen-Konrad Fromme abführen. Dabei soll es aber nicht sein Bewenden haben. [CDU/CSU]) Bis zum Jahre 2005 soll diese Umlage schrittweise auf sage und schreibe 28 Prozent ansteigen. Bereits in diesem Besonders negativ betroffen, Kollege Fromme, sind ost- Jahr – das ist empörend – verlieren die Kommunen da- deutsche Städte und Gemeinden, deren Betriebsstätten im durch 1,4 Milliarden DM an eigenen Einnahmen. Durchschnitt 25 Prozent niedrigere Löhne und Gehälter zahlen als Stammunternehmen im Altbundesgebiet. Aber (Rolf Kutzmutz [PDS]: Richtig! – Bernd auch in strukturschwachen Regionen im Altbundesgebiet Scheelen [SPD]: Falsche Zahlen! Die sind ein bis zwei Jahre alt!) gibt es eine im Grundsätzlichen vergleichbare Situation. – Das sind keine falschen Zahlen, Kollege Scheelen. – Deshalb schlägt die PDS-Fraktion in dem heute vorlie- Das ist so viel, wie allein der Umwelthaushalt des Bundes genden Antrag auch vor, anstelle des jetzigen Zerle- in diesem Jahr ausmacht. gungsmaßstabes nach dem Verhältnis der Löhne und Gehälter künftig diesen nach dem Verhältnis der Zahl der (Rolf Kutzmutz [PDS]: Empörend!) Arbeitsplätze in den jeweiligen Betriebsstätten zu bemes- – Das ist empörend. sen. Auf der Strecke bleiben die kommunalen Finanzen; (Beifall bei der PDS) das wirkt sich insbesondere auf die Investitionen und die Das ist gerechter, ist in Bezug auf die Statistik handhab- Finanzierung von Freizeiteinrichtungen für Jugendliche bar und verursacht keinen höheren Verwaltungsaufwand. aus. Gerade hier entstehen dadurch Leerräume, in die Es wäre ein Weg, um bestehende Benachteiligungen vor rechtsradikale und rassistische Kräfte stoßen können. Wir allem für Gemeinden ist Ostdeutschland, aber auch für sollten das immer im Auge behalten. Gemeinden in so mancher strukturschwachen Region im Eine Besserung bei den Regelungen zur Gewerbe- Altbundesgebiet künftig korrigieren zu können. Daher steuerumlage scheint nicht in Sicht. Im Jahre 2005 wer- werbe ich ausdrücklich für die Unterstützung dieses An- den den Gemeinden deswegen voraussichtlich 5 Milliar- trages und bitte Sie, bei den Ausschussberatungen dem- den DM fehlen. Immer mehr Gewerbesteuer fließt damit entsprechend zu agieren. (B) (D) in die Kassen von Bund und Ländern – und nicht in die (Gerhard Schüßler [F.D.P.]: Schafft die Ge- Gemeindekasse, wo sie originär hingehört. Kollege werbesteuer ab, dann habt ihr die Probleme Scheelen, Sie wissen das; in Krefeld ist das auch so. nicht!) (Beifall bei der PDS) Jetzt wünsche ich Ihnen noch ein schönes Osterfest und Der Kollege Hans-Werner Brüning, Fraktionsvorsit- einen guten Heimweg in die Wahlkreise. zender im Stadtrat von Magdeburg, hat am Dienstag vor (Beifall bei der PDS) der Fraktion erklärt, dass in seiner Stadt CDU und SPD auf diese Situation dadurch reagieren, dass sie den Hebe- satz für die Gewerbesteuer weiter erhöhen. Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die guten Wün- sche bin ich nachher zuständig. (Rolf Kutzmutz [PDS]: Das kommt natürlich gut!) Die Kolleginnen und Kollegen Bernd Scheelen, Jochen-Konrad Fromme, Christine Scheel und Gerhard Das aber ist unternehmensschädlich. Wir als unterneh- Schüßler haben ihre Reden zu Protokoll gegeben1). – Ich mensfreundliche Partei verurteilen dies entschieden. sehe großes Einverständnis im gesamten Hause. (Beifall bei der PDS – Lachen bei der SPD und Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf der CDU/CSU – Jochen-Konrad Fromme den Drucksachen 14/5584 und 14/5586 an die in der Ta- [CDU/CSU]: Ihr habt alles kaputtgemacht!) gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich danke für die Zustimmung, auch im Kreis der Ko- Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann alition wird das offenbar so gesehen; diese Unterstützung sind die Überweisungen so beschlossen. nehmen wir gern zur Kenntnis. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: Ein zweiter Antrag zielt auf die Veränderung des so genannten Zerlegungsmaßstabes. Dies ist ein schwieri- a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen ges Feld, ich versuche aber, es einfach darzustellen. Es der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- geht um Folgendes: Nach der derzeitigen Rechtslage be- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur stimmt der Gewinn der ortsansässigen Unternehmen die Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Gewerbesteuereinnahmen der Städte und Gemeinden. Er- strecken sich die Betriebsstätten eines Unternehmens aber über mehrere Gemeinden – dafür gibt es ja sehr viele Bei- 1) Anlage 6 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16169

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) – Drucksache 14/5335 – schlussempfehlung auf Drucksache 14/5798, die genann- (C) (Erste Beratung 155. Sitzung) ten drei Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Es handelt sich um die – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Drucksachen 14/5335, 14/5654 und 14/4537. Ich bitte regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer – Drucksache 14/5654 – stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Kann ich noch einmal (Erste Beratung 161. Sitzung) das Abstimmungsverhalten der PDS erfahren? (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die haben – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- überall einmal gehoben! – Heiterkeit bei der neten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt- CDU/CSU) Jortzig, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Staatsangehörigkeitsgesetzes und des Auslän- Wir kommen zur dergesetzes – Drucksache 14/4537 – dritten Beratung (Erste Beratung 155. Sitzung) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- glaube, jetzt müsste sich auch die F.D.P. erheben. schusses (4. Ausschuss) (Heiterkeit im ganzen Hause – Eckart von – Drucksache 14/5798 – Klaeden [CDU/CSU]: Weckruf der Präsiden- Berichterstattung: tin!) Abgeordnete Dr. Michael Bürsch Thomas Strobl (Heilbronn) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- Marieluise Beck (Bremen) wurf ist damit gegen die Stimmen der CDU/CSU-Frak- Dr. Edzard Schmidt-Jortzig tion angenommen. Petra Pau Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5798 die b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be- (B) richts des Innenausschusses zu dem Antrag der schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – (D) Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen Schmidt-Jortzig, Dr. Max Stadler, weiterer Abge- der CDU/CSU-Fraktion angenommen. ordneter und der Fraktion der F.D.P. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c „Schlussoffensive“ für erleichterte Einbürge- rung von Kindern seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „,Schlussoffensive‘ für erleichterte – Drucksachen 14/4416, 14/5798 – Einbürgerung von Kindern“ für erledigt zu erklären; es Berichterstattung: handelt sich um die Drucksache 14/4416. Wer stimmt für Abgeordnete Dr. Michael Bürsch diese Beschlussempfehlung? – Ich stelle Einstimmigkeit Thomas Strobl im Hause fest; die Beschlussempfehlung ist angenom- Marieluise Beck (Bremen) men. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Petra Pau Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Michael Bürsch, Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Thomas Strobl, Marieluise Beck, Dr. Max Stadler, Ulla richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Jelpke sowie die Parlamentarische Staatssekretärin nung (11. Ausschuss) Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast haben ihre Reden zu Pro- – zu dem Antrag der Abgeordneten Franz 1) tokoll gegeben. – Auch hier sehe ich Freude im gesam- Thönnes, Klaus Wiesehügel, Leyla Onur, wei- ten Hause. terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Wir kommen zur Abstimmung über die Gesetzent- sowie der Abgeordneten Kerstin Müller würfe der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des Grünen sowie der Bundesregierung zur Änderung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Staatsangehörigkeitsgesetzes und über den Gesetzent- Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämpfung wurf der Fraktion der F.D.P. zur Änderung des Staatsan- illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit gehörigkeitsgesetzes und des Ausländergesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- – zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und 1) Anlage 7 der Fraktion der F.D.P. 16170 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Erich G. (C) Mitteln eindämmen Fritz, Gunnar Uldall, Wolfgang Börnsen (Böns- – Drucksachen 14/5270, 14/3024, 14/5784 – trup), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Berichterstattung: Abgeordnete Brigitte Baumeister Für den Erhalt von Hermes als Instrument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform Die Kolleginnen und Kollegen Leyla Onur, Brigitte des Hermes-Instruments im internationalen Baumeister, Dr. Thea Dückert, Dirk Niebel, Dr. Klaus Rahmen Grehn sowie der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Auch – Drucksache 14/5749 – hier wieder große Freude! Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- Auswärtiger Ausschuss ses für Arbeit- und Sozialordnung auf Drucksa- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit che 14/5784. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags Entwicklung Haushaltsausschuss der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü- nen mit dem Titel „Eckpunkte zur Verbesserung der Die Kolleginnen und Kollegen Rolf Hempelmann, Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzar- Erich G. Fritz, Werner Schulz, Gudrun Kopp, Ulla Lötzer beit“, Drucksache 14/5270. Wer stimmt für diese Be- sowie der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Auch Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von hier Einverständnis im Hause. CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/5334 an die in der Tagesordnung aufge- Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe b führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Schattenwirtschaft so beschlossen. mit marktwirtschaftlichen Mitteln eindämmen“, Druck- sache 14/3024. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss- der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü- empfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und nen „Für ein modernes Ausfuhrgewährleistungssystem“. F.D.P. angenommen. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/5767? – (B) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist (D) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 sowie die Zusatz- gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS an- punkte 14 und 15 auf: genommen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf 23. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Drucksache 14/5749 an die in der Tagesordnung aufge- Brüderle, Paul K. Friedhoff, Dr. Günter Rexrodt, führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Für ein effizientes und transparentes Ausfuhr- so beschlossen. gewährleistungssystem Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am – Drucksache 14/5334 – Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Auswärtiger Ausschuss GRÜNEN und der PDS) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- lung tages auf Mittwoch, den 9. Mai 2001, 13.00 Uhr, ein. Haushaltsausschuss Ich wünsche Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Mitarbeitern, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitar- Hempelmann, Dr. Ditmar Staffelt, , beitern der Bundestagsverwaltung ein gesundes und fro- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD hes Osterfest. Viel Spaß beim Suchen! Seien Sie erfolg- sowie der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), reich! Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS- Die Sitzung ist geschlossen. SES 90/DIE GRÜNEN Für ein modernes Ausfuhrgewährleistungssys- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE tem GRÜNEN und der PDS) – Drucksache 14/5767 – (Schluss: 14.03 Uhr)

1) Anlage 8 2) Anlage 9 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16171

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Altmaier, Peter CDU/CSU 06.04.2001 Hirche, Walter F.D.P. 06.04.2001 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 06.04.2001 Irber, Brunhilde SPD 06.04.2001 Behrendt, Wolfgang SPD 06.04.2001** Jaffke, Susanne CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Berg, Axel SPD 06.04.2001 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 06.04.2001 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 06.04.2001 Dr. Blank, CDU/CSU 06.04.2001 Kauder, Volker CDU/CSU 06.04.2001 Joseph-Theodor Klappert, Marianne SPD 06.04.2001 Bodewig, Kurt SPD 06.04.2001 *** Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 90/ 06.04.2001** Bohl, Friedrich CDU/CSU 06.04.2001 Angelika DIE GRÜNEN Dr. Brecht, Eberhard SPD 06.04.2001***** Dr.-Ing. Krüger, Paul CDU/CSU 06.04.2001 Breuer, Paul CDU/CSU 06.04.2001 Kühn-Mengel, Helga SPD 06.04.2001

Brüderle, Rainer F.D.P. 06.04.2001 *** Dr. Lamers CDU/CSU 06.04.2001** Brudlewsky, Monika CDU/CSU 06.04.2001 (Heidelberg), Karl A. Burgbacher, Ernst F.D.P. 06.04.2001 Leidinger, Robert SPD 06.04.2001 (B) Ehlert, Heidemarie PDS 06.04.2001 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 06.04.2001 (D) Fischer (Berlin), BÜNDNIS 90/ 06.04.2001 Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 06.04.2001** Andrea DIE GRÜNEN Lintner, Eduard CDU/CSU 06.04.2001** Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 06.04.2001 Joseph DIE GRÜNEN Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 06.04.2001 DIE GRÜNEN Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 06.04.2001***** Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 06.04.2001 Gleicke, Iris SPD 06.04.2001 Erich Glos, Michael CDU/CSU 06.04.2001 Maier, Pia PDS 06.04.2001 Graf (Rosenheim), SPD 06.04.2001 Mascher, Ulrike SPD 06.04.2001 Angelika Michels, Meinolf CDU/CSU 06.04.2001 Griefahn, Monika SPD 06.04.2001***** Moosbauer, Christoph SPD 06.04.2001 Hartnagel, Anke SPD 06.04.2001 Müller (Berlin), PDS 06.04.2001 Hasenfratz, Klaus SPD 06.04.2001 Manfred Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 06.04.2001 Müller (Jena), CDU/CSU 06.04.2001 Hansgeorg Bernward Dr. Haussmann, F.D.P. 06.04.2001 Ostrowski, Christine PDS 06.04.2001 Helmut Pieper, Cornelia F.D.P. 06.04.2001 Heinen, Ursula CDU/CSU 06.04.2001 Poß, Joachim SPD 06.04.2001 Heubaum, Monika SPD 06.04.2001 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 06.04.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 06.04.2001 *** DIE GRÜNEN Raidel, Hans CDU/CSU 06.04.2001** 16172 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

rungen erzielt wurde. Gleichzeitig gibt es aber eben auch (A) entschuldigt bis (C) Abgeordnete(r) einschließlich reale Verschlechterungen. Als am 4. Dezember des vergangenen Jahres der Deutsche Behindertenrat seine 12 Thesen symbolisch an die Tür der Berliner Nikolaikir- Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 06.04.2001 che heftete, war klar, dass ein SGB IX nicht ausreichen Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 06.04.2001 würde, um die wahrlich nicht neuen Forderungen der Hannelore Menschen mit Behinderungen und ihrer Verbände zu er- füllen. Gemessen an diesen Thesen ist das SGB IX ein Schloten, Dieter SPD 06.04.2001***** Zwischenschritt, aber nicht der bereits überall verlaut- barte Paradigmenwechsel. Schmidt (Aachen), Ulla SPD 06.04.2001 In These 10 heißt es beim Deutschen Behindertenrat Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 06.04.2001 zum Beispiel: „Die Nachrangigkeit der Eingliederungs- Andreas hilfe im Sozialrecht muss beseitigt werden. Eltern, die sich für ein behindertes Kind entschieden haben, dürfen Schuhmann (Delitzsch), SPD 06.04.2001 nicht lebenslang durch Unterhaltszahlungen ’bestraft‘ Richard werden.“ Mit dem SGB IX wird die Nachrangigkeit bei Schultz (Everswinkel), SPD 06.04.2001 der Eingliederungshilfe für Behinderte nicht beseitigt. In- Reinhard sofern ist das SGB IX kein Leistungsgesetz. Es ist vor- wiegend auf die Zusammenfassung und Weiterentwick- Dr. Schuster, R. Werner SPD 06.04.2001 lung des Rechts der medizinischen und beruflichen Rehabilitation ausgerichtet. Hier gibt es in der Tat eine Sehn, Marita F.D.P. 06.04.2001 Reihe von positiven Neuerungen, die von der PDS bereits Steiger, Wolfgang CDU/CSU 06.04.2001 bei Vorlage des Gesetzentwurfs benannt wurden. Da der Grundsatz der Nachrangigkeit für Leistungen der Ein- Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 06.04.2001 gliederungshilfe im Bundessozialhilfegesetz verankert bleibt, müssen auch künftig Menschen mit Behinderun- Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 06.04.2001 gen Einkommens- und Vermögensnachweise erbringen Tröscher, Adelheid SPD 06.04.2001 und Bedürftigkeitsprüfungen über sich ergehen lassen. Positiv ist allerdings, dass jetzt Angehörige von Werkstät- Uldall, Gunnar CDU/CSU 06.04.2001 ten für Behinderte und in Fördereinrichtungen von dieser Regelung ausgenommen werden. Hier macht die Bundes- Volquartz, Angelika CDU/CSU 06.04.2001 (B) regierung einen Schritt, den die PDS begrüßt. Die Be- (D) Wiesehügel, Klaus SPD 06.04.2001 grenzung der Unterhaltspflicht für Eltern von erwachse- nen Behinderten auf das 27. Lebensjahr und auf einen Wistuba, Engelbert SPD 06.04.2001 Höchstbetrag von 50 DM ist die wohl wichtigste Verbes- serung, die im parlamentarischen Verfahren im SGB IX Wohlleben, Verena SPD 06.04.2001 erzielt wurde. Damit wird zumindest der zweite Teil der Wolf, Aribert CDU/CSU 06.04.2001 genannten These des Deutschen Behindertenrates weitge- hend erfüllt. Wichtig wäre aber, bei diesen Schritten nicht Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 06.04.2001 stehen zu bleiben. Deshalb hat die Fraktion der PDS in ihren Anträgen gefordert, schon im SGB IX eine Festle- Zierer, Benno CDU/CSU 06.04.2001** gung zu treffen, bis wann ein umfassendes Leistungsge- Zöller, Wolfgang CDU/CSU 06.04.2001 setz für Menschen mit Behinderungen vorgelegt werden soll. Eine solche Festlegung würde sowohl den betroffe- ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- nen Menschen und ihren Angehörigen, aber auch den lung des Europarates Städten und Gemeinden, die bisher als Sozialhilfeträger **** für die Teilnahme an der Sitzung der Parlamentarischen Versamm- für die Kosten der Eingliederungshilfe aufkommen, eine lung der NATO klare Perspektive bieten. ***** für die Teilnahme an der 105. Jahreskonferenz der Interparlamenta- rischen Union PDS und CDU/CSU hatten ja im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung mit eigenen Anträgen ein Leistungs- gesetz gefordert. Die CDU/CSU ging sogar so weit, allen Anlage 2 Verbänden mit Schreiben vom 15. März ihre grundsätzli- che Zustimmung zum SGB IX mitzuteilen. Weiter heißt Erklärung nach § 31 GO es im Schreiben von Frau Nolte und Herrn Laumann: „Es ist unsere feste Überzeugung, dass dieser Schritt nicht des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS) zur Ab- ausreicht, um elementaren Bedürfnissen der behinderten stimmung über den Entwurf eines Sozialgesetz- Menschen gerecht zu werden. Daher fordert die buches – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilation CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein eigenständiges, bun- und Teilhabe behinderter Menschen (Drucksa- desfinanziertes Leistungsgesetz für Behinderte, mit dem che 14/5074) die Eingliederungshilfe aus dem Sozialhilferecht heraus- Der große Wurf in der Behindertenpolitik ist mit dem gelöst und auf eine eigene Grundlage gestellt wird.“ Da- SGB IX nicht erreicht, obwohl eine Reihe von Verbesse- her habe ich mich in einem Schreiben am 29. März an die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16173

(A) behindertenpolitischen Sprecher aller Fraktionen ge- Anlage 3 (C) wandt und vorgeschlagen, wenigstens in einer begleiten- den Entschließung zum SGB IX den Willen aller Parla- Erklärung des Abgeordneten Rolf Kutzmutz (PDS) mentarier zum Ausdruck zu bringen, die Vorlage eines zur Abstimmung über die Nr. 2 der Beschluss- solchen Gesetzentwurfs in der kommenden Legislaturpe- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und riode zu unterstützen. Ein Gespräch mit dem Behinder- Technologie zu dem Antrag: Herstellung fairer tenbeauftragten der Bundesregierung am 27. März hatte Wettbewerbsbedingungen für die deutsche und mich zusätzlich zu diesem Schritt ermutigt. europäische Werftindustrie (Tagesordnungs- Weder von den Fraktionen der Regierungskoalition, punkt 17) noch von CDU/CSU oder der F.D.P. gab es irgendeine Re- Ich erkläre namens mein Fraktion: Unser Votum lautet aktion auf diesen Vorschlag. Auch bei der abschließenden Ja. Beratung im federführenden Ausschuss gab es kein posi- tives Echo. Hier haben Regierung und rechte Opposition eine Chance verpasst, die positiven Ansätze des SGB IX Anlage 4 zu stärken und die noch offenen Fragen im nächsten An- lauf zu lösen. Bei allem Respekt gegenüber der persönli- Zu Protokoll gegebene Reden chen Leistung des Behindertenbeauftragten kann man zur Beratung: heute nicht darüber hinweggehen, dass das SGB IX zahl- reiche Defizite, offene Fragen und sogar Leistungsein- – der Beschlussempfehlung: Herstellung fairer Wett- schränkungen aufweist. Warum wurde zum Beispiel der bewerbsbedingungen für die deutsche und europä- Kostenvorbehalt im § 3 a des BSHG für ambulante ge- ische Werftindustrie genüber stationären Leistungen, also der so genannte – des Antrags: Sicherung eines fairen Wettbewerbs „Heimeinweisungsparagraph“, nicht aufgehoben? Warum für deutsche und europäische Werften hält die Regierungskoalition an einem Behindertenbegriff fest, der mit unnötigen Einschränkungen versehen und – der Beschlussempfehlung: Zukunftschancen des eher defektologisch orientiert ist? Und warum weigert sie deutschen und europäischen Schiffbaus nachhaltig sich angesichts des immer noch ausstehenden Bundes- verbessern gleichstellungsgesetzes, das im Grundgesetz verankerte (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesordnungs- Benachteiligungsverbot von Menschen mit Behinderun- punkte 13 und 16) gen in die Zielbestimmung des SGB IX aufzunehmen? (B) Übrigens – das kostet keinen Pfennig. (D) Dr. Margrit Wetzel (SPD): Kräftiger Rückenwind für Weitere Defizite können hier nur summarisch benannt unsere Regierung am 15. Mai in Brüssel: Das ist es, was werden. Sie reichen vom Behindertensport über ungelöste heute alle Fraktionen im Parlament beim Thema Werften Fragen der Versorgung von psychisch kranken Menschen, eint. Wir wollen, dass die EU energisch weiter mit Korea unbefriedigenden Lösungen für behinderte Studierende, verhandelt, um das Fairness-Abkommen durchzusetzen. offenen Fragen für hörgeschädigte Menschen, restriktiven Wir wissen, dass Japan die EU dabei unterstützen wird. Regelungen bei der Gebärdensprache etc. Und wir wollen wirksame neue Regelungen, die die Wett- bewerbsfähigkeit der europäischen Werften sichern, so- Die Endfassung de SGB IX enthält sogar Leistungs- lange Korea noch mit Dumpingpraktiken die Wettbewer- einschränkungen und Verschlechterungen: Leistungen ber vom Markt zu fegen versucht. der Krankenhilfe nach § 37 BSHG werden erheblich ein- geschränkt, anstatt – wie von der nationalen Armutskon- Wenn es nur um einen harten Wettbewerb auf dem ferenz gefordert – außerhalb des BSHG zu gewährleisten, Weltmarkt ginge, hätte der deutsche Schiffbau unsere dass bisher nicht krankenversicherte Sozialhilfeempfän- Hilfe ganz sicher nicht nötig. Unsere deutschen Werften ger endlich in die GKV einbezogen werden. Die Erho- sind nicht mehr die Stahlbauunternehmen der 50er-Jahre, lungshilfen werden – auf Forderung des Bundesrates – ihre Kernkompetenz liegt heute in ihrer Systemfähigkeit. aus Einsparzwecken gestrichen. Sie betreffen eine relativ Maßgeschneiderte Schiffe von hoher Komplexität werden geringe Anzahl von Menschen, das kann aber kein Grund mit höchster Präzisionstechnologie in enger Abstimmung für Leistungskürzungen sein. Teilhabeleistungen im Be- mit Auftraggebern, Planern, Entwicklern, Zulieferern und reich des Wohnens werden restriktiv geregelt, denn von Systemlieferanten konzipiert, entworfen, gebaut, zusam- Hilfen beim Um- und Ausbau einer behindertengerechten mengeführt und pünktlich in hoher Qualität ausgeliefert. Wohnung ist nicht mehr die Rede. Die Pflichtquote zur Die Werften selbst erbringen heute nur noch etwa Beschäftigung Schwerbehinderter im Öffentlichen Dienst 30 Prozent der Wertschöpfung eines Schiffes, tragen aber – 6 Prozent – soll in dieser Höhe nur noch in Einrichtun- die Systemverantwortung und das volle unternehmerische gen des Bundes gelten, die diese Pflichtquote bereits bis- – auch das finanzielle – Risiko. Sie sind belastet durch her erfüllt haben. Damit wird die angestrebte Vorbildrolle hohe Entwicklungskosten, oft am einzelnen Schiff. Vor- des öffentlichen Dienstes bei der Beschäftigung Schwer- teile durch Serien- oder gar Massenproduktion sind nie behinderter geschwächt. Unter dem Strich bleibt festzu- am gesamten Schiff, bestenfalls bei standardisierten Bau- halten: Bei diesem SGB IX sind viele Chancen verpasst teilen oder einzelnen Modulen zu erzielen. Auf den Werf- worden. Daher verdient es eine Stimmenthaltung. ten finden wir heute nicht mehr überwiegend Blaumänner, 16174 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) sondern Weißkittel: Es gibt mehr Ingenieure, Konstruk- Die Japaner haben ähnliche Sorgen. Die niedrigen (C) teure und Datenverarbeitungsspezialisten als Schlosser, Lohnkosten in Korea und die neuerliche Won-Abwertung Tischler oder Stahlbauer. Eine spannende Industrie, eine sind harte Wettbewerbsfaktoren, für Japan und China so- Wachstumsbranche, in der Innovation Alltag ist. gar noch in unmittelbarer Nähe. Leider weiß das aber auch unsere asiatische Konkur- Japan will neue Schwerpunkte in Forschung und Ent- renz nur viel zu gut. Nachdem zunächst Japan viele Jahre wicklung setzen, stellt die Produktion um von Masse auf härtester Wettbewerber unserer Werften mit der über viele Klasse und wird damit zugleich zum härteren Wettbewer- Jahre konkret geplanten und gezielt durchgehaltenen stra- ber in den Nischen, in die sich europäische und deutsche tegischen Unterstützung seiner maritimen Industrie war, Werften notgedrungen zurückziehen mussten. Schiff- leiden nun nahezu alle Schiffbaunationen unter der Dum- bau-Studenten werden in Japan systematisch auf die Zu- ping- und Verdrängungspolitik, die Südkorea im Schiff- kunft vorbereitet, Studiengänge wandeln sich, werden bau betreibt. Gigantische, hochmoderne Werften, qualifi- komplexer, verbinden den Präzisionsmaschinenbau mit zierte, motivierte Arbeiter, hohe Serienproduktionen im dem Wissen um die Zusammenhänge maritimer Indus- Bereich der Standardtanker, Massengutfrachter und Con- trien. tainerschiffe mit allen damit verbundenen Kostenvortei- Die Konkurrenz schläft nicht. Sie ist hellwach und ei- len wären vielleicht noch zu verkraften, wenn nicht die gentlich eine absolut spannende Herausforderung nicht Dumpingpreise Koreas zu einem brutalen Verdrängungs- nur für den Markt, sondern auch für uns als Politiker. In wettbewerb führen würden. diesem Wettbewerb nicht nur des internationalen Schiff- Werften, die Verkaufspreise bis zu 40 Prozent unter den baus, sondern auch der staatlichen Rahmenbedingungen, eigenen Gestehungskosten anbieten, können langfristig die die Gestaltung der maritimen Zukunft beeinflussen, zwar nicht durchhalten, kurzfristig aber die Märkte so dra- müssen die deutschen Werften, ja die gesamte eng ver- matisch stören, dass der Weltschiffbau im Hinblick auf zahnte maritime Industrie und Dienstleistung, uns aktiv Preise und Kapazitäten vollständig aus der Balance gerät. und handlungsbereit an ihrer Seite wissen. Unterstützung finden die koreanischen Werften bei den Deshalb ist es auch so wichtig, dass es uns endlich ge- staatlich kontrollierten Banken, die sie durch Kredite, lingt, die bedeutenden Schiffbaunationen der Welt unter Umschuldungen und Anleihen trotz ihres desolaten Bi- einem neuen, wirksamen Weltschiffbauabkommen zu lanzierungswesens immer wieder über Wasser halten. vereinen. Langfristig kann nur Fairness im Wettbewerb Korea hat nicht nur mit Abstand die führende Position gut für alle sein. Da auch Verstöße gegen Fairness nie aus- im Containerschiffbau erobert, sondern beherrscht inzwi- zuschließen sind, müssen die Länder sich auf Handels- schen auch das Segment der Flüssiggastanker und dringt und Bilanzierungsvereinbarung, aber auch auf Sanktio- (B) in den anspruchsvolleren Passagierschiffsektor ein. Vor nen verbindlich verständigen. Wir wollen, dass das Welt- (D) allem: Die großen Containerschiffe kommen, und zwar aus schiffbauabkommen politisch schnellstmöglich vorange- Korea. Samsung produziert eine Serie von sechzig bracht wird. Wir erwarten, dass die Verhandlungen auch 6 500-TEU-Containerschiffen. Die Order für mindestens darüber deutlich vorangetrieben werden. drei 9 700-TEU-Schiffe ist erteilt. Kurzfristig geht es am 15. Mai in Brüssel darum, wie Auch China reagiert auf die koreanische Konkurrenz. wir in diesem ohnehin schon harten Wettbewerb die un- Allein im vergangenen Jahr haben die chinesischen Werf- lauteren Praktiken Koreas, die Dumpingpreise und die ten ihre Produktion um 12 Prozent gesteigert. Der Schiff- massive Stützung durch staatlich kontrollierte Banken bau soll zur strategischen Industrie ausgebaut werden. Die endlich wirksam eindämmen können. Wir sind damit in chinesische Reederei COSCO plant den Neubau zahlrei- der wenig angenehmen Situation, dass deutsche und eu- cher Großcontainerschiffe zwischen 6 000 und 8 000 TEU ropäische Werften, die effizient und produktiv arbeiten und übernimmt gleichzeitig eine chinesische Reparatur- und sich in jedem fairen Wettbewerb behaupten können werft nach der anderen. So gehen selbst diese Marktseg- – und wollen – wirksame ergänzende Hilfen brauchen, um mente den europäischen Werften systematisch verloren. sich gegen den Verdrängungswettbewerb zu behaupten. Immer wieder betonen die Vertreter der europäischen Die japanische Schiffbauindustrie positioniert sich neu Werften, dass sie keine Subventionen, sondern faire gegen den Druck aus Korea und China. Umsatzeinbrüche, Wettbewerbsbedingungen wollen. Recht haben sie. eine rückläufige Entwicklung der Forschungsaufwen- dungen und der Mangel an Spezialisten machen sich spür- Wer sich heute bei den Werften informiert, wird begeis- bar bemerkbar. Was wir dort beobachten, kennen wir doch tert sein, mit welchem Engagement dort für die Zukunft nur zu genau, verehrte Kollegen: Wir hören die Sorgen geplant wird: noch mehr Produktivität, noch mehr Effi- unserer Werften um den qualifizierten Nachwuchs für die zienz durch noch mehr vertikale und horizontale Koope- Hochtechnologieberufe; wir wissen um ihre Klagen über ration, durch Vernetzung, Systemverbünde, Serieneffekte hohe Forschungs- und Entwicklungskosten, die eben bei Bauteilen, Schnittstellen, Planungen, Standardisie- rung. Es ist eine Freude, den Zusammenhalt, die Kreati- nicht nur als Grundlagenforschung, sondern synchron zur vität und Innovationsoffenheit auf den Werften zu beob- Auftragsabwicklung entstehen. Die Werft als Dienstleis- achten! ter trägt das finanzielle Risiko bis zur erfolgreichen Ab- lieferung des Schiffes. Die Sicherheit der qualifizierten Und für uns ist dieses Engagement eine drängende Arbeitsplätze hängt vom Auftragsbuch ab. Auslastung ist Verpflichtung, alles politisch-parlamentarisch Mögliche gefragt, auch wenn der Auftrag noch so speziell ist. zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Werften Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16175

(A) auf nationaler Ebene und im europäischen Verbund zu Sollte sich die Bundesregierung am 14. Mai nicht durch- (C) tun. Deshalb möchte ich den Vertretern der Opposition, setzen, muss den Werften auf nationaler Ebene geholfen besonders Ihnen, Herr Kollege Börnsen, der Sie in dieser werden. Sie ist aufgefordert, zusammen mit den Betroffe- Frage besonders aktiv waren, noch einmal danken, dass nen zügig ein schlüssiges Konzept zu erarbeiten und um- Sie so ausdrücklich und nachdrücklich die Verhand- zusetzen. Dabei ist auf eine gerechte Lastenverteilung lungsposition unseres Ministers in Brüssel bei den anste- zwischen Bund und Ländern zu achten. henden Verhandlungen mit uns unterstützen. Schiffbaupolitik ist eine nationale Aufgabe. Die Wert- Wir wünschen unserer Regierung in Brüssel Geschick, schöpfung findet zu über 75 Prozent bei den Zulieferern Durchsetzungsvermögen, viel Überzeugungskraft und ei- statt, überwiegend in Bayern, Baden-Württemberg und nen kühlen Kopf für einen klugen Kurs durch die Untie- Nordrhein-Westfalen, nur zu knapp 25 Prozent an der fen unterschiedlichster Interessen der europäischen Mit- Küste. Bei der bisherigen Praxis hat der Bund ein Drittel gliedstaaten – zum Wohle unserer Werften und der dort der Werftenhilfe getragen, die Werften-Länder zwei Drit- Beschäftigten. tel. Schon jetzt ist in Schleswig-Holstein die Länder-Ko- finanzierung nicht sichergestellt. Bremen und Mecklen- burg-Vorpommern, wesentlich finanzschwächer als Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Am Schleswig-Holstein, haben es jedoch geschafft. Statt der 14. Mai wird in Brüssel über die Zukunft der deutschen 7 Prozent Wettbewerbshilfe erhalten die Werften in Werftindustrie entschieden. Auf Initiative der Union wird Schleswig-Holstein nur 3 Prozent. Es besteht die Gefahr, heute ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen debattiert. dass bestehende Aufträge wieder zurückgegeben werden Kleinteiliges Parteiengezänk wurde beiseite gelassen, um müssen. Dazu darf es nicht kommen! Ich appelliere an die der Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel Landesregierung in Kiel, das gegebene Versprechen von den Rücken zu stärken – zum Nutzen für 220 000 Arbeits- Ministerpräsidentin Simonis, dass kein Auftrag wegen plätze, für einen hoch komplexen und innovativen Indu- fehlender Wettbewerbshilfen für Schleswig-Holsteins striezweig. Dafür mein Dank an alle Fraktionen. Werften verloren gehe, einzuhalten. Wort halten, Frau Mi- Über 220 000 Schiffbauer, Dienstleister und Zulieferer nisterpräsidentin! von Flensburg bis Vilshofen erwarten von den EU-Indus- Gleichzeitig muss es endlich zur Einleitung des trieministern eine Perspektive für einen ganzen Industrie- WTO-Verfahrens kommen und der Abschluss eines Welt- zweig. Nur rund zwei bis drei Jahre reicht der Auftrags- handelsabkommens im Schiffbau über die OECD forciert bestand der Werften, aber Folgeaufträge stehen aus. werden. Die G-7/8-Länder haben sich damit zu befassen. Korea hat in dieser Branche seinen Weltmarktanteil mitt- lerweile aggressiv auf über 50 Prozent erhöht. Noch 1998 Korea muss gezwungen werden, die im Sommer letz- (B) lag er bei 26 Prozent. Erreicht hat das Korea nicht allein ten Jahres getroffene Vereinbarung mit der EU umzuset- (D) durch Leistung, sondern durch Abschlüsse zu nicht kos- zen. Ansonsten blamiert sich die EU gegenüber einem Ti- tendeckenden Preisen. Die Preise der von der EU unter- ger-Staat als Papier-Tiger. In der Vereinbarung hatte sich suchten Aufträge lagen im Mittel 20 Prozent unterhalb der Korea verpflichtet, seinen Werften keine Wettbewerbs- Selbstkosten. Getragen werden sie versteckt vom korea- vorteile von staatlicher Seite mehr zu gewähren. Koreani- nischen Staat, so die EU-Kommission. So werden den sche Werften sollten in Zukunft zu Vollkosten kalkulieren koreanischen Werften Schulden durch staatliche Banken müssen. Geändert hat sich nichts. Seit 1999 dokumen- ohne Bonitätsprüfung abgenommen, im Einzelfall per tierte die Kommission den Missstand in drei Berichten, Gesetz Steuern erlassen und durch Subventionen im Zu- zuletzt im November. lieferbereich günstige Einkäufe ermöglicht. Weder die Tatsache, dass die Koreaner bis zu 40 Pro- Bereits mit einer Abwehrbeihilfe von 7 Prozent waren zent unter den eigenen Herstellungskosten ihre Schiffe deutsche Werften gegenüber den koreanischen Dumping- verkaufen, hat zu einer kraftvollen Reaktion des EU-Mi- preisen konkurrenzfähig, in anderen EU-Mitgliedstaaten nisterrates geführt, noch der Tatbestand, dass der Interna- waren Abwehrbeihilfen von bis zu 9 Prozent notwendig. tionale Währungsfonds durch die Stützung des koreani- Gesichert wurden damit im letzten Jahr in Deutschland schen Won indirekt die Regierung vor Ort in die Lage 197 Neubauaufträge, mit einer Gesamtsumme von versetzte, den Großwerften wieder zu helfen. Am 20,7 Milliarden DM. Dieses erfolgreiche Abwehrinstru- IWF-Großkredit war Deutschland mit fast 6 Prozent be- ment ist am 31. Dezember des letzten Jahres ausgelaufen, teiligt. Bundesdeutsches Geld hat zum Aufbau der korea- obwohl die gesamtwirtschaftliche Wirkung die Ausgaben nischen Konkurrenz beigetragen. Die IG-Metall hat die- um mehr als das Vierfache übersteigt. Schuld daran ist der sen Sachverhalt mit dem Hinweis auf den Punkt gebracht, EU-Industrieministerrat. Er hatte im Dezember die Ab- wir mästen unseren eigenen Schlächter. Damals war aus wehrhilfen für europäische Werften auslaufen lassen. Die Gründen der internationalen Währungsstabilität die Ini- Bundesregierung unterlag in der Abstimmung total. Dies tiative des IWF notwendig. Doch den Kredit ohne Aufla- wäre ein falsches Signal an Korea; denn unfaire, aggres- gen zu geben, war gelinde gesagt grob fahrlässig. Im ver- sive Wirtschaftspolitik wurde belohnt, die europäische gangenen Jahr erreichten Europas Werften gerade noch Werftindustrie fast aufgegeben. Begründet wurde diese 15, Deutschlands Anteil lag bei 5,5 Prozent. Für beide ist Entscheidung unter anderem mit zu hohen Zuschüssen für dass der geringste Weltmarktanteil der vergangenen die Schiffbauindustrie. Experten halten diese Zahlen der 50 Jahre. Der IWF muss das Mandat erhalten, sich zur Kommission mit über 50 000 DM pro Arbeitsplatz und Überwachung der Kreditbedingungen auch mit einzelnen Jahr für überhöht, was zutrifft. Industriezweigen zu befassen. 16176 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Der letzte Bericht vom November bestätigt noch ein- überhaupt die Beschwerde annimmt. Koreanischen Ex- (C) mal eindeutig den Sachverhalt: Die Schiffbau-Nation perten in Europa die rote Karte zu zeigen wird immer un- Nummer eins, Südkorea, fördert den Bootsbau mit unlau- wahrscheinlicher. CESAs Aktivität hat aber den Vorteil teren Mitteln. Drei Jahre nach dem ersten Beweis dieses für den Ministerrat, seine passive Strategie der lustlosen Sachverhaltes reagierte im Dezember der Ministerrat und Interessenwahrnehmung fortzusetzen mit dem Hinweis, schaffte das bewährteste Mittel gegen die weltweite Wett- das Resultat der Klage abzuwarten. bewerbsverzerrung, die Werftenbeihilfe, zum 1. Januar Zwei weitere Punkte sollten in der Mai-Debatte nach 2001 ab. Und, was die ganze Hilflosigkeit der EU kenn- vorne befördert werden: Durch nachhaltige Umweltpoli- zeichnet, es wurden gleichzeitig keine Maßnahmen gegen tik wären bessere internationale Umweltstandards im die einseitige koreanische Schiffbauoffensive beschlos- Seeverkehr möglich. 24 Jahre beträgt derzeit das Durch- sen, keine Handelsauflagen gegen koreanische Güter ge- schnittsalter der Schiffe auf unseren Meeren, Tausende in- fordert, keine Strategien entwickelt, um weltweites Preis- stabile Rostlauben sind darunter. Und von 8 500 weltweit dumping zu verhindern. Der Stier Europa hat seine eingesetzten Tankern besitzen nur 1 400 eine Doppel- Hörner eingebüßt. Deutschlands Schiffbauer und die der hülle. Meereskatastrophen sind täglich möglich. Umwelt- anderen Länder bleiben mit ihren Existenzsorgen allein. wie wirtschaftspolitisch gäbe es einen Sinn, bei Alter und Noch vor einem Jahr hatte Bundeskanzler Schröder auf Sicherheit der Boote anzusetzen, zu neuen Standards zu der großen maritimen Konferenz in Emden versprochen: kommen, damit auch dem Schiffbau einen neuen Drive zu „Wir lassen unsere Werften nicht im Stich, wir werden geben. konkret handeln.“ Chefsache wurde die maritime Politik. Und außerdem: Die Kapazitätsbeschränkungen für die Nur, der Chef setzte Deutschlands Interessen in Brüssel Werften in Mecklenburg-Vorpommern auf 327 000 CGT nicht durch. Er, wie der Wirtschaftsminister, erhielt eine bestehen immer noch. Sie müssen aufgehoben oder zu- bittere Niederlage trotz der Tüchtigkeit ihrer Mitarbeiter mindest gelockert werden. Diese nehmen den Werften in in diesem Politikfeld. Sicher, so etwas kann passieren; Wismar, , Stralsund und Wolgast jede Luft, Flexi- doch was ich nicht billigen kann, ist das Spiel mit den bilität und beeinträchtigen ihre Wettbewerbsfähigkeit. betroffenen Menschen: hohe Erwartungen zu wecken, Produktivitätsfortschritte können nicht genutzt, zusätzli- Risiken zu negieren und für den Misserfolg andere ver- che Aufträge nicht hereingenommen werden; statt dessen antwortlich machen. Menschen werden zur Manipulati- müssen Arbeitsplätze abgebaut werden. Die kritische Per- onsmasse, der Demokratie wird damit geschadet. Im ver- sonalgröße ist bereits erreicht, Fachpersonal kann ohne gangenen Jahr erreichten Europas Werften gerade noch Kompetenzverlust nicht weiter abgebaut werden. Haupt- 15 Prozent, Deutschlands Anteil lag bei 5,5 Prozent. Für gewinner der CGT-Beschränkungen ist Südkorea, dessen beide ist das der geringste Weltmarktanteil der vergange- Werften für ihre unfairen Praktiken noch belohnt werden. (B) nen 50 Jahre. Dies kann und darf nicht im Sinne der EU-Kommission (D) sein. Europäische Werften werden im Kernsegment der Eine letzte Chance, das Ruder herumzureißen, gibt es großen Containerschiffe, die von den ostdeutschen Werf- noch. Am 14. Mai will der EU-Ministerrat noch einmal ten besonders günstig gebaut werden, kaum berührt. Die die Wettbewerbsverzerrungen im Weltschiffbau aufgrei- Bundes- und die Landesregierung in Schwerin muss diese fen. Doch der Spielraum ist eng. Die Zeit läuft dem Rat, Argumente entschiedener und überzeugender als bisher der drei Jahre nichts bewegt hat, davon. vortragen. Nur dann wird sich die EU-Kommission für die Die koreanische Schiffbau-Offensive schafft Tatsa- Chancengleichheit der Werften in Mecklenburg-Vorpom- chen. Bei den „Post-Panamax-Containerschiffen“, die mern einsetzen. Bei Einführung der Kapazitätsbeschrän- 1988 in Europa entwickelt wurden, gingen im vergange- kung wurde ein Prüfungsauftrag nach fünf Jahren fest- nen Jahr 82 Prozent des Gesamtvolumens nach Fernost. gelegt. Dem sollte zugunsten der Werften schleunigst Japan konnte 4 Prozent der Aufträge akquirieren, die nachgekommen werden. EU-Werften gingen erstmals leer aus. Bei den Kreuz- Ob volkswirtschaftlich sinnvoll oder nicht, die fahrtschiffen, deren Hersteller bisher in Europa zu Hause EU-Kommission ist grundsätzlich gegen jegliche Staats- waren, gingen im vergangenen Jahr die ersten Aufträge hilfen. Deshalb bezeichnen Insider die Mai-Konferenz als nach Fernost. Auch auf diesem Sektor gibt jetzt Deutsch- Alibitreffen; weil die Mehrheit der EU-Länder von land erstmals Marktanteile ab. Jeder zweite Neubauauf- Förderhilfen weg will. Von einem möglichen Schiff- trag geht heute nach Fernost, Tendenz steigend. Im Wind- bau-Boom in den nächsten Jahren wären unsere Werften schatten folgt die Volksrepublik China mit über 7 Prozent damit ausgeschlossen. Deshalb ist es richtig, hier im Par- Auftragsanteil. Beide bauen ihre Kapazitäten aus. Die EU lament die Verhandlungen zu unterstützen. In Sorge um dagegen fördert mit Prämien die Stilllegungen von Werf- über 100 000 direkt betroffene Arbeitsplätze, in Verant- ten. Vor diesem Hintergrund ist die Lage für kleine und wortung für die Zukunft einer erstklassigen, traditionsrei- mittlere Werften, die nicht durch Marineschiffe ihren Auf- chen Industrie ist nichts unversucht zu lassen. Es ist ein tragsbestand kompensieren können, besonders bedroh- Gebot der Stunde, der Bundesregierung eine breite Unter- lich, so die Kommission. stützung in Brüssel zu bieten. Die Möglichkeiten, den Marktmissbrauch Südkoreas Außerdem sollte die Anregung aus dem Kommissions- im Schiffbau zu beenden, nehmen rapide ab. Die Kom- bericht aufgenommen werden, die nationalen und europä- mission ist in Korea gescheitert, jetzt klagt der europä- ischen Forschungs- und Entwicklungsprogramme auf die ische Schiffbauverband CESA. Gut drei Jahre dauert es, Besonderheiten der Schiffbaubranche auszurichten und bis die WTO eine Entscheidung fällt, falls, ja falls sie ausreichend zu dotieren. Die Innovationsfähigkeit der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16177

(A) Werftindustrie ist, wie die der Luft- und Raumfahrtindus- zen. Wir erwarten, dass noch im ersten Halbjahr ein wei- (C) trie, umfangreich zu fördern, und ihre Technologieführer- terer Bericht zur Lage der europäischen Werften vorgelegt schaft zu stärken. wird. Darin muss die Kommission darlegen, welcher Sachstand sich aufgrund welcher Aktivitäten ergeben hat. Zum Ausgleich von Zinsschwankungen wird von der Und wir wollen, dass dieser Bericht darstellt, welche EU als Finanzierungsinstrument die Anwendung von durchgreifenden Sanktionsmöglichkeiten es gibt, bis hin CIRR empfohlen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, zur Bewertung eines Einfuhrstopps für bestimmte eine in der OECD harmonisierte Anwendung sicherzu- koreanische Güter. Wir wollen darüber hinaus einen Sach- stellen, um Wettbewerbsnachteile bei der Exportfinanzie- standsbericht über das Welthandelsabkommen im Schiff- rung für die deutsche Werftindustrie zu vermeiden. Die bau. Commercial Interest Reverence Rate muss auch für die deutschen Werften uneingeschränkt anwendbar sein. Auch wenn sich im Ausschuss nicht alle Fraktionen da- mit anfreunden konnten, werden wir weiter darauf drän- Nach unserer Auffassung wäre eine baldige Verab- gen, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass schiedung der OECD-Regelung der Königsweg, um end- der IWF künftig auch das Mandat erhält, sich zur Über- lich aus dem Wettlauf der Subventionen im Schiffbau aus- wachung von Kreditbedingungen mit sektoralen Angele- zusteigen. Ziel muss der Abbau aller Staatsförderung sein. genheiten zu befassen. Unsere Werften könnten dann trotz hoher Produktkosten der Konkurrenz standhalten, so ihre eigene Aussage. Ja- Über die Detailregelungen ist bereits alles gesagt. Nur pan und Korea sind, wie die meisten der Schiffbauländer, einen Punkt möchte ich noch erwähnen, die leidige Sub- für ein solches Abkommen. Nur die USA, die es einmal ventionsfrage. Natürlich können wir bzw. müssen wir selbst angeboten haben, sperren sich. Warum greifen wir – zumindest moralisch – den heimischen Schiffbau ange- nicht Japans Angebot auf, ohne Amerika zu einer Eini- sichts der besonderen Umstände unterstützen. Dies kann gung zu kommen? aber kein Dauerzustand sein. Meine Fraktion wird auch in diesem Bereich, trotz aller verständlichen Wünsche, da- Wir von der Union erwarten, dass der Bundeskanzler rauf drängen, dass die Subventionen deutlich zurückge- das Thema „Weg mit den Subventionen im Schiffbau“ auf fahren werden. Von daher ist es umso drängender, zu ei- die Tagesordnung des kommenden G-7/G-8-Treffens set- ner allseits befriedigenden Lösung zu kommen. zen lässt. Wir erwarten, dass damit nicht weiter gezögert wird. Der augenblickliche Auftragsbestand auf deutschen Werften ist in 24 bis 30 Monaten abgearbeitet. Und sollen Hans-Michael Goldmann (F.D.P.): Nur Gemeinsam- die Schiffbauer nicht ein Waterloo erleben, ist es zum keit kann deutschen und europäischen Werften fairen Handeln fünf Minuten vor Zwölf. Vergessen wir nicht, Wettbewerb sichern. Die F.D.P. unterstützt die Bundesre- (B) Südkorea will seine Marktmacht noch weiter ausbauen, gierung ausdrücklich in ihrer Verhandlungsposition, am (D) China stößt nach. Was sagte ein Schiffbauer bei meinem 15. Mai in der Sitzung des EU-Industrieministerrates in letzten Werftenbesuch: „Wir in Deutschland benötigen Brüssel darauf zu drängen und dafür zu sorgen, dass die keine Subventionen, aber einen fairen Wettbewerb.“ südkoreanischen Werften im Welthandelsschiffbau ihre unkorrekten Methoden zur Eroberung hiesiger Marktan- teile endlich einstellen. Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Bündnis 90/Die Grünen begrüßen, dass es nach ei- Die F.D.P. drängt darauf, dass den Werften in den nord- nigem Hin und Her doch noch gelungen ist, eine gemein- deutschen Küstenländern mit ihren hoch qualifizierten same Position zu finden. Von Anfang an lagen die Arbeitsplätzen vor Ort, aber auch mit denen der Zuliefer- Koalitionsfraktionen und die Opposition nicht allzu weit betriebe in den süddeutschen Ländern, die Hilfe zuteil auseinander. wird, die sie weltweit wettbewerbsfähig halten und die sie in die Lage versetzen, gegenüber den Südkoreanern, Wir alle hoffen jetzt, dass sich die Bundesregierung bei die im Schiffsbaumarkt nach wie vor Foul spielen, zu be- den Verhandlungen am 15. Mai in der Sitzung des EU-In- stehen. dustrieministerrats weitgehend durchsetzen kann. Die EU-Kommission kann nicht tatenlos zusehen, wenn die Der Dritte Bericht der EU-Kommission an den Rat zur koreanischen Werften gegen Abmachungen verstoßen Lage des Weltmarktes im Schiffbausektor macht über- und somit in erheblichem Umfang Wettbewerbsvorteile deutlich, dass es die Südkoreaner sind, die für Preisverfall gewinnen. Die Verhandlungen mit Südkorea müssen da- und Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil deutscher her nachdrücklich und energisch weitergehen. Arbeitsplätze verantwortlich sind. Mit Dumpingpreisen zum Teil von mehr als 40 Prozent unter den tatsächlichen Wir möchten, dass mit allen Mitteln auf eine Lösung Baukosten erobern sich die Südkoreaner auf unkorrekte hingearbeitet wird. Ob dies durch bilaterale Verhandlun- Weise Marktanteile. Leider hat die Kommission bis jetzt gen erfolgt oder auf dem Klageweg, ist mittlerweile ne- nicht sehr viel erreicht, obwohl die Südkoreaner deutschen bensächlich. Wir können und wollen es nicht weiter hin- Schiffbauern auf der Nase herumtanzen. Es war nach Auf- nehmen, dass der europäische, vor allem auch unser fassung der F.D.P. ein schwerer Fehler, dass die Kommis- deutscher Schiffbau durch manipulationsähnliche Tricks sion auf die Wettbewerbshilfe zum Jahresende verzichtet in erheblichem Umfange benachteiligt wird. Es muss jetzt hat, obwohl die Südkoreaner überhaupt keine Kompro- schnellstens eine vernünftige Lösung gefunden werden. miss- und Gesprächsbereitschaft gezeigt haben. Das Ab- Die Kommission darf nicht die Hände in den Schoß le- schieben der Verantwortung an den europäischen Schiff- gen, sie muss die notwendigen Maßnahmen zügig umset- bauverband CESA war falsch. 16178 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Nein, hier sind der Bundeskanzler, die Bundesregie- Rolf Kutzmutz (PDS): Natürlich unterstützt auch die (C) rung und alle im Deutschen Bundestag vertretenen Par- PDS-Fraktion die vorliegende interfraktionelle Be- teien gefordert, sich schützend vor die deutsche Werft- schlussempfehlung. Schließlich deckt sie sich mit den industrie und deren Arbeitsplätze zu stellen. Wir dürfen außen- und handelspolitischen Forderungen, die wir in nicht hinnehmen, dass unsere Werftindustrie, die hervor- unserem eigenen Antrag erhoben haben. Ausdrücklich be- ragende Leistungen vollbringt, durch unfaire Methoden grüße ich dabei, dass sich – anders als ursprünglich von der Südkoreaner zerstört wird. Deshalb fordert die F.D.P. CDU/CSU gewünscht – zur Form denkbarer neuer Bei- von der Bundesregierung Taten und unterstützt sie bei hilfen für den heimischen Schiffbau nicht festgelegt wird. ihren Verhandlungen am 15. Mai 2001 in der Sitzung des Schließlich müsste vor einer Neuauflage tatsächlich erst einmal ernsthaft über die Lastenverteilung für die öffent- EU-Industrieministerrates in Brüssel: lichen Haushalte geredet werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, darauf zu drän- Dass die Küstenländer zwei Drittel und der Bund den gen, dass die EU-Kommission den ihr vom Ministerrat im Rest davon tragen sollen, ist für uns jedenfalls nicht län- November 1999 erteilten Verhandlungsauftrag mit der ger hinnehmbar. Rund 30 Prozent der mit dem Schiffbau südkoreanischen Regierung nachdrücklich und energisch verbundenen Wertschöpfung finden schließlich allein in weiterführt und sie zu einem positiven Abschluss bringt. Bayern und Baden-Württemberg statt. Das war erst am Wir fordern die Bundesregierung auf, darauf zu drän- Mittwoch wieder zu hören, diesmal auf einem parlamen- gen, dass die getroffenen Vereinbarungen der „Agreed tarischen Abend von Blohm & Voss in Hamburg. mimetes“ von der koreanischen Regierung eingefordert Im Übrigen muss ich aber bei meiner Feststellung vom werden. Ziel muss es sein, dass den koreanischen Werften vergangenen Monat bleiben: Es ist gut und richtig, dass keine Wettbewerbsvorteile von staatlicher Seite gewährt der Bundestag der Regierung ordentlichen Rückenwind werden, sondern dass diese, wie ihre EU-Wettbewerber, für die Verhandlungen über die Südkorea-Strategie im ebenfalls zu Vollkosten kalkulieren müssen. EU-Ministerrat gibt. Das allein dürfte den deutschen und europäischen Werften aber nicht viel weiter helfen. Die F.D.P. drängt darauf, dass entsprechend dem Drit- ten Bericht der Kommission an den Rat zur Lage des Welt- Wohin die Reise gehen müsste, will ich nur an zwei marktes im Schiffbausektor vom 15. März 2000 bis zur Meldungen der letzten Tage illustrieren: Die Peene-Werft Klärung in bilateralen Verhandlungen oder auf dem Kla- in Wolgast konnte am Sonntag Aufträge für elf Contai- geweg vor der WTO gegenüber der Regierung Südkoreas nerschiffe und die Option auf zwei weitere bekannt geben. Grund des Erfolgs laut Eigentümer Hegemann: neben ge- Entschlossenheit demonstriert und auf eine schnelle Lö- stiegenem Dollarkurs und anziehenden Charterraten die sung hingewirkt wird, einen fairen Wettbewerb für deut- (B) völlige Neuentwicklung dieser Serie. (D) sche und europäische Werften zu sichern. In Japan fusionieren nach Hitachi Zosen und NKK nun Die F.D.P. drängt darauf, dass neue wirksame Rege- auch IHI und Kawasaki Heavy. Die hiesigen Werften ha- lungen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der euro- ben es nun nicht mehr nur mit Mitsubishi Heavy, sondern päischen Werften bis zur Herstellung fairer Wettbewerbs- gleich mit drei Giganten zu tun, von denen jeder einen bedingungen auf dem Weltschiffbaumarkt gefunden Jahresumsatz zwischen 1,7 und 2,6 Milliarden Euro er- werden. wirtschaftet. Zum Vergleich: Die Thyssen-Werften kamen Die F.D.P. unterstützt die Bundesregierung in ihrem im vergangenen Jahr auf 842 Millionen Euro, HDW in- klusive seiner Auslandstöchter auf knapp 1 Milliarde Anliegen, Einfluss auf den EU-Industrieministerrat zu Euro. nehmen, damit die Kommission sowohl verpflichtet wird, die genannten Maßnahmen unverzüglich umzusetzen, als Ob und wie angesichts solcher Trends das neue Tech- auch im ersten Halbjahr einen weiteren Bericht zur Lage nologieprogramm im Hause von Ministerin Bulmahn der europäischen Werften und über den Fortschritt der Ak- oder die gewiss verdienstvollen Aktivitäten des mariti- tivitäten der Kommission vorzulegen. Wir wollen, dass men Koordinators, Herrn Staatssekretär Gerlach aus dem die Kommission darstellt, welche wirkungsvollen Sankti- Wirtschaftsministerium, der erst gestern hier in Berlin ei- onsmöglichkeiten bzw. Möglichkeiten eines Einfuhr- nen Workshop zu Kooperationsmöglichkeiten ausgerich- stopps es für bestimmte koreanische Güter gibt. tet hat, effektiv und ausreichend sind – das sollten wir kontinuierlich weiter prüfen. Die F.D.P. drängt darauf, dass die Bundesregierung ei- Zum Schluss – aber nicht zuletzt – will ich hier aber nen Sachstandsbericht über die Fortschritte beim Ab- auch nochmals auf das Problem der Kapazitätsbeschrän- schluss des Welthandelsabkommens im Schiffbau abgibt. kungen für die ostdeutschen Werften verweisen. Das hat Die F.D.P. wird die Leistungen der Bundesregierung und sicher weniger mit Südkorea, aber sehr viel mit dem In- speziell des Bundeskanzlers an den Ergebnissen messen, dustrieministerrat zu tun. Zwar könnte diese Frage nach die er bei der Sitzung des EU-Industrieministerrates am den Vorschlägen der Bundesregierung von der Kommis- 15. Mai 2001 in Brüssel erzielt. sion autonom entschieden werden. Wir vermuten jedoch, Das Foulspiel der südkoreanischen Werften muss ein dass sie sehr wohl mit dem allgemeinen europäischen Ende haben. Deutsche, aber auch europäische Werften Beihilfenregime verknüpft wird. insgesamt und deren Arbeitsplätze müssen in einem fai- Die Bundesregierung sollte deshalb der Kommission ren Wettbewerb gesichert werden. wie auch den anderen Mitgliedstaaten zumindest eines Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16179

(A) klarmachen: Je flexibler die Beschränkung gehandhabt tive des Datenschutzes unbedenkliche Produkte auf den (C) wird, desto kleiner ist der Beihilfebedarf für einen be- Markt kommen, sondern könnte ebenfalls das Bewusst- achtlichen Teil der deutschen Werftindustrie. Und daran sein um die Bedeutung des Datenschutzes in der Infor- müsste ja allen gelegen sein. mationsgesellschaft erhöhen. Seitens der Wirtschaft gab es hierzu sowohl unterstüt- zende als auch kritische Anmerkungen. Natürlich gilt es, Anlage 5 diese Bedenken ernst zu nehmen. Aufgabe der Politik ist es nun, gesetzliche Regelung zur Durchführung und Kon- Zu Protokoll gegebene Reden trolle eines solchen Auditierungsverfahrens zu ent- zur Beratung wickeln, die diesen Bedenken gerecht werden und mit de- nen bestimmte Verhaltensregeln und Mindeststandards – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- vorgegeben werden. desdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze Ich möchte nicht noch einmal auf die einzelnen Rege- – der Unterrichtung: Tätigkeitsbericht 1997 und lungen und die strittigen Punkte dieses Gesetzentwurfes 1998 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz im Detail eingehen, sondern vielmehr den Blick auf die so – 17. Tätigkeitsbericht – genannte zweite Stufe der Modernisierung des Informati- (Tagesordnungspunkt 19 a und b) onsrechtes lenken und Sie herzlich zur konstruktiven Mit- arbeit einladen. Hierzu haben wir ja heute Morgen auch ein Gespräch geführt. Jörg Tauss (SPD): Der Datenschutz und das Grund- recht auf informationelle Selbstbestimmung sehen sich Warum eigentlich eine zweite Stufe? Immer mehr Le- angesichts der technischen Entwicklungen in der Kom- bensbereiche in der sich entfaltenden Wissens- und Infor- munikationstechnologie, aber auch beispielsweise in der mationsgesellschaft werden von den neuen Informations- Biotechnologie, in der medizinischen Forschung und an- und Kommunikationstechniken durchdrungen. Damit gesichts eines wachsenden Missbrauchs personenbezoge- wird eine dieser Gesellschaftsformation angemessene ner Daten in den neuen Medien vor enormen Herausfor- neue Datenschutzpolitik notwendig; denn ohne einen bes- derungen. Mit der zweiten und dritten Lesung zum seren Schutz der Privatsphäre wird es keine demokratisch Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzge- verantwortbare Informationsgesellschaft geben. setzes und anderer Gesetze werden heute die Weichen zur Einige Zahlen können dies belegen: 74 Prozent fühlen Bewältigung dieser Probleme richtig gestellt. sich nach einer Umfrage von Opaschowski durch Daten- (B) Durch die Umsetzung der EG-Datenschutz-Richtlinie missbrauch betroffen und 55 Prozent sagen, Datenschutz (D) wird europaweit ein einheitliches Datenschutzniveau ge- solle wieder eine größere Bedeutung haben. Nach einer schaffen und werden einheitliche Maßstäbe für die Erhe- Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen aus bung und Verarbeitung von Daten in der Europäischen dem Jahr 2000 haben 62 Prozent der Internetnutzer wegen Union festgelegt. Die zentralen Ziele der EG-Daten- des „nicht gewährleisteten Datenschutzes“ noch nicht on- schutz-Richtlinie lauten zusammengefasst: Transparenz line bestellt oder gekauft. der Datenverarbeitung und Akzeptanz der Verbraucher Auch die Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten und Nutzer. für den Datenschutz – auch diese stehen ja heute zur Über die Umsetzungspflicht der Richtlinie hinaus sind Beratung an – können als Beleg hierfür dienen. Dem in diesem Gesetzentwurf bereits einige Elemente eines 18. Tätigkeitsbericht zufolge müssen Bürgerinnen und neuen und modernen Datenschutzrechtes aufgenommen, Bürger in Deutschland immer häufiger mit Eingriffen in die auch für die zweite Stufe einer Gesamtreform von Be- ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung deutung sind. Dazu zählen beispielsweise die Aufnahme rechnen, sei es durch Überwachungsmaßnahmen, die im- der Prinzipien der Datenvermeidung und Datensparsam- mer häufigere Videoüberwachung im privaten Bereich keit, die Regelungen für mobile Speichermedien – Chip- oder das Ausspähen von Daten bei der Nutzung der neuen karten – und Regelungen zur Videoüberwachung, für die IuK-Möglichkeiten, beispielsweise des Internet. Der es – im privaten Bereich – bislang keine Regelungen gab. Bundesdatenschutzbeauftragte äußerte völlig zu Recht am Donnerstag große Sorge, dass zum Beispiel die An- Ein wesentliches Modernisierungselement stellt die ordnungen von Telefonüberwachung seit 1995 um mehr künftige Möglichkeit eines freiwilligen Datenschutzau- als 170 Prozent zugenommen hätten, ohne dass ein Grund dits dar. Eine solche Auditierung trägt künftig mit dazu dafür ersichtlich sei. In der Kriminalitätsentwicklung bei, die Ergebnisse der Selbstregulierung transparent zu scheinen diese Gründe, wie die Zahlen belegen, nicht zu machen. Zugleich könnte sie die Wahrnehmung des Da- liegen, sodass wir hierüber einmal ruhig und sachlich re- tenschutzes als Qualitäts- und Wettbewerbsfaktor stärken den müssen. und damit deutlich machen, dass Datenschutz eben nicht nur als Kostenfaktor für Unternehmen anzusehen ist, son- So ist und bleibt es ein wichtiges Ziel dieser rot-grünen dern vor allem einen –, wenn auch nicht kurz-, so aber Bundesregierung, die in den vergangenen Jahren einge- doch mittel- und längerfristig – entscheidenden Wettbe- führten Regelungen, die eine Erweiterung der werbs- und Standortvorteil darstellen kann. Eine solche Eingriffsbefugnisse der Behörden zum Ziel hatten, hin- Zertifizierung; mit der die Unternehmen werben könnten, sichtlich ihrer Notwendigkeit und Wirksamkeit zu eva- hätte nicht nur die unmittelbare Folge, dass aus Perspek- luieren – wobei hier gerade seitens der Bundesländer eine 16180 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) größere Bereitschaft notwendig wäre. Dabei ist – wie ge- zu widerspruchsfreien, einheitlichen, praktikablen und (C) genwärtig bei der Diskussion um den Entwurf für eine Te- vor allem auch verständlichen Regelungen zu gelangen. lekommunikationsüberwachungsverordnung – besonders Selbst die Datenschutzexperten klagen über eine kaum dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Eingriffsmög- noch zu überblickende Normenflut auf dem Gebiet des lichkeiten in das Telekommunikationsgeheimnis durch Datenschutzrechts. Das allgemeine und das bereichsspe- „berechtigte“ Stellen immer auch missbräuchliche Ein- zifische Datenschutzrecht bedarf daher einer Durchfors- griffe durch unberechtigte Dritte zur Folge haben können. tung und Überprüfung. So hat in den vergangenen Jahren die Bedeutung des Bundesdatenschutzgesetzes durch im- Die „Stuttgarter Nachrichten“ schreiben heute zum mer neue bereichsspezifische Regelungen tendenziell ab- Thema Datenschutz: „In unserer vernetzten, indiskreten genommen. Mit der Umsetzung der zweiten Stufe ergibt Gesellschaft bleibt wenig geheim, praktisch gar nichts. sich die Möglichkeit, durch eine Aufwertung des BDSG Nicht die Kreditbelastung, nicht das Konsumverhalten, die Menge der bereichsspezifischen Regelungen deutlich auch nicht Adresse und Telefonnummer. Von Privatheit zu reduzieren. Dazu zählt – gerade bei den neuen luK- keine Spur, nicht mal der Gang durchs Museum ist noch Möglichkeiten – beispielsweise die Frage, wie sich unsere Sache: Wenn wir Pech haben, tauchen wir kurz da- Abgrenzungsprobleme zwischen Telekommunikations- rauf im Internet auf. Es gibt also viele ungute Gründe, gesetz, Teledienstedatenschutzgesetz und den Da- wachsam zu sein. Wer finstere Mächte am Werk glaubt, tenschutzregelungen des Mediendienste-Staatsvertrages wenn mitgehört und ausgeforscht wird, täuscht sich. Die vermeiden lassen und ob hier gegebenenfalls Anpas- Absichten sind lauter, stets geht es um die Aufklärung ver- sungsbedarf besteht. Dazu zählt auch die meiner Meinung meintlicher Straftaten. Auch der Rechtsstaat ist nicht feh- nach dringend notwendige Anpassung von Teil 11 des lerfrei. Fazit: Wer nichts verbirgt, hat viel zu befürchten.“ Telekommunikationsgesetzes, TKG, an die neuen daten- So weit die „Stuttgarter Nachrichten“, denen ich an dieser schutzrechtlichen Instrumente des Teledienstedaten- Stelle zustimme. schutzgesetzes, des TDDSG. Der Schutz der personenbezogen Daten und die Trans- Drittens: Stärkung des Selbstschutzes. Eine große Be- parenz der Datenverarbeitung werden – so können diese deutung kommt in einem neuen Datenschutzrecht den Überlegungen zusammengefasst werden – neben dem Möglichkeiten des Selbstschutzes für den einzelnen Nut- Schutz von Persönlichkeitsrechten sowohl zu zentralen zer zu. Dazu bedarf es insbesondere der weiteren Ent- Akzeptanzvoraussetzungen als auch zu entscheidenden wicklung von Selbstschutzinstrumenten – zum Beispiel Wettbewerbsfaktoren. der digitalen Signatur und der Verschlüsselungssoft- Fazit: Will die Gesellschaft beim Übergang zur Wis- ware –, was zugleich eine Herausforderung an eine zu- sens- und Informationsgesellschaft am Ziel eines freiheit- kunftsgerichtete Forschungsförderpolitik ist. Außerdem (B) lich-demokratischen Gemeinwesens festhalten und will ist der Aufbau einer Sicherungsinfrastruktur für die Nut- (D) sie auch die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen zung dieser Selbstschutzmechanismen unabdingbar, Potenziale nicht gefährden, kommt sie nicht umhin, auch wofür die Politik Rahmenbedingungen formulieren muss. in einer vernetzten und digitalisierten Welt das Grund- Notwendig ist darüber hinaus die Förderung des Bewusst- recht auf informationelle und kommunikative Selbstbe- seins um die Möglichkeiten des Selbstdatenschutzes und stimmung zu bewahren. Die Entwicklung eines modernen des Systemdatenschutzes. Dies kann zum einen durch Datenschutzkonzeptes ist und bleibt damit ein zentrales Maßnahmen zur Aufklärung über die Chancen und Risi- Reform- und Modernisierungsprojekt der nächsten Jahre. ken der neuen Informations- und Kommunikationstechni- ken geschehen, zum anderen aber auch dadurch, dass die Schwerpunkte der zweiten Stufe der Modernisierung öffentliche Verwaltung entsprechende Techniken einsetzt des Datenschutzrechtes werden insbesondere sein: und Ansätze zu „electronic government“ gezielt gefördert Erstens: Datenschutz durch Technik. Die Möglichkei- werden. ten der informationstechnischen Sicherheit müssen als ein Viertens: Systemdatenschutz. Um die nun festge- zentrales Instrument zur Umsetzung eines „neuen schriebenen Gebote der Datensparsamkeit und der Daten- Datenschutzes“ verstanden werden. Um zu einem wirk- vermeidung „mit Leben“ zu füllen, sollten die Systeme lich effektiven Datenschutz zu kommen, muss das Zu- der Diensteanbieter nach dem Prinzip des Systemdaten- sammenwirken zwischen Datenschutz und Datensicher- schutzes organisiert werden. Die informationsverarbei- heit intensiviert werden. tenden Systeme sollten so konstruiert werden, dass sie Zweitens: Vereinfachung und Verschlankung. Ange- möglichst wenig personenbezogene Daten verarbeiten sichts der Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit des müssen – und können –, um ihre jeweilige Aufgabe zu er- Datenschutzrechts sollte im Interesse von datenverarbei- füllen. tenden Stellen und Nutzern eine erhebliche Vereinfa- Fünftens: neue Technologien. In den vergangenen Ta- chung und Verschlankung des Datenschutzrechts im Vor- gen wurde in den Medien die Frage von „heimlichen Gen- dergrund stehen. Nur wenn der Einzelne seine Rechte tests“ thematisiert. Natürlich stellt sich die Frage eines überhaupt kennt, kann er diese auch wahrnehmen. Ver- modernen Datenschutzrechtes also nicht nur im Zusam- einfachung und Verschlankung dürfen natürlich nicht zu menhang mit den neuen Möglichkeiten der Informations- einer Aufweichung der verfassungsrechtlich garantierten und Kommunikationstechnik. Auch andere neue Techno- Rechte oder zur Einschränkung oder Abschwächung be- logien bergen erhebliche Gefährdungspotenziale für das währter Verfahren des Datenschutzes führen. Diese Ziele Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das gilt erweisen sich aber vor allem deshalb als notwendig, um beispielsweise für diese heimlichen Genomanalysen und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16181

(A) für die Nutzung dieser Informationen, beispielsweise vorzulegen. Im Sommer soll dieser Entwurf vorliegen und (C) durch Versicherungen. Auch diese Gefährdungspoten- beraten werden. ziale gilt es auszuloten und – wo nötig – gesetzlich zu Auf Initiative der Koalitionsfraktionen hat der Unter- regeln. ausschuss „Neue Medien“ beschlossen, diese zweite Sechstens: anonyme und pseudonyme Nutzung. Stufe der Modernisierung des Informationsrechtes zu- Grundlegende Bedeutung kommt gerade bei der Nutzung gleich als Pilotprojekt einer elektronischen Demokratie der neuen Informations- und Kommunikationsmöglich- zu begleiten. Hierzu werden in Abstimmung mit allen keiten der pseudonymen Nutzungsmöglichkeit als Mittel Fraktionen die letzten Detailfragen geklärt. Ich will als des Selbstdatenschutzes zu, die gefördert werden sollte. Vorsitzender des Unterausschusses und zugleich im Na- Mit einer pseudonymen Nutzungsmöglichkeit werden die men der Vorsitzenden des Innenausschusses, , personenbezogenen Daten zwar nicht reduziert, jedoch alle Fraktionen auch zur Mitarbeit an diesem E-Demo- wird damit die Zurückverfolgung der gespeicherten und kratie-Pilotprojekt herzlich einladen. Dieses E-Demokra- verarbeiteten Daten zu einer tatsächlichen Person wirk- tie-Pilotprojekt bietet eine hervorragende Gelegenheit, sam verhindert – außer im Streitfall. die immensen Chancen der neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten für den politischen Pro- Siebtens: Schutz der Kommunikation am Arbeitsplatz. zess als auch zur Ermöglichung von mehr Partizipation zu Nach jahrelangen Ankündigungen müssen im Rahmen erkennen und zu nutzen – im Interesse eines modernen dieser zweiten Stufe – unter Einbeziehung aller Beteilig- und angemessenen Informationsrechtes der Bürgerinnen ten – Regelungen zum Schutz der Kommunikationspro- und Bürger und im Dialog mit ihnen und der Fachszene. zesse am Arbeitsplatz entwickelt werden. Rechtssicher- Eine demokratische und verantwortbare Informations- heit in diesem Bereich ist übrigens sowohl im Interesse und Wissensgesellschaft darf, wie ausgeführt, die neuen der Arbeitgeber als auch der Beschäftigten: Bei der Ent- Möglichkeiten des Dialoges nicht verstreichen lassen. wicklung zu computergestützter Arbeit im Betrieb und im Rahmen von Telearbeit wachsen die Daten in Umfang und Wenn wir dies jetzt auch mit diesem Zukunftsthema Qualität stark an, ohne dass sie in angemessener Weise ge- verbinden, haben wir für die bürgernahe Informationsge- schützt sind und einer angemessenen Kontrolle unterlie- sellschaft einen weiteren Beitrag geleistet. Heute aber gen. Lediglich die Ausweitung des Fernmeldege- verabschieden wir zunächst die erste Stufe. Dies ist ein heimnisses auch auf innerbetriebliche Kommunikation wichtiger Schritt und, wie ausgeführt, ein Schritt zu wei- hat in den letzten Jahren zu einem Zuwachs an Schutz ge- teren interessanten Projekten. führt. Zuletzt möchte ich der Opposition herzlich danken für Achtens: Regulierte Selbstregulierung. Die in der die konstruktive Zusammenarbeit in der Schlussphase (B) EU-Datenschutz-Richtlinie enthaltene Verpflichtung, im dieses Gesetzgebungsverfahrens. (D) nationalen Datenschutzrecht ergänzende Möglichkeiten der Selbstregulierung vorzusehen, sollte nicht als unver- einbare „Systemwidrigkeit“, sondern als Chance begrif- Beatrix Philipp (CDU/CSU): Seit ich mich intensiver fen werden, dieses Instrument für den Schutz des Rechts mit dem Bereich Datenschutz befasse, habe ich in Ab- auf informationelle Selbstbestimmung fruchtbar zu ma- wandlung eines Sprichwortes öfters gedacht: „Daten- chen. Es kann nicht mehr Regelungen für jedes Detail in schutz ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Lei- jedem Prozess geben – und erst recht nicht durchgesetzt den schafft.“ Nun ist Leidenschaft an sich nichts Schlechtes – es sei denn, man verliert dadurch völlig die werden. Entsprechende Regelungen sollten sich an den Orientierung. Erfahrungen von Staaten orientieren, die bereits Erfah- rungen mit Selbstregulierung im Bereich des Daten- Aber nun Spaß beiseite, Thema ist heute die zweite und schutzes gesammelt haben. So können auch mögliche dritte Beratung zur Änderung des Bundesdatenschutzge- Schwächen im Hinblick auf Repräsentativität und Umset- setzes und die Beschlussempfehlung des Innenausschus- zung in den jeweiligen Branchen, die diese „codes of ses zum 17. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für conduct“ haben, erkannt und vermieden werden. Selbst- den Datenschutz zu den Jahren 1997 und 1998. Beides regulierungsmechanismen setzen jedoch gesetzliche Rah- sind gewichtige Themen, und es ist schade, dass wir beide menbedingungen voraus für den Fall, dass diese versagen. Themen in einer nur halbstündigen Debatte „verwursteln“ Die Betroffenen dürfen in einem solchen Fall nicht müssen. schutzlos sein. Ich möchte nur ein paar kurze Anmerkungen zum Neuntens: Verbesserung der Kontrolle. Wirksame und 17. Tätigkeitsbericht machen: Wir haben zu einem sehr unabhängige Kontrolle ist die Voraussetzung eines erfolg- späten Zeitpunkt über den 17. Tätigkeitsbericht für die reichen Datenschutzes. Wenn man Datenschutz zuneh- Jahre 1997 und 1998 gesprochen, nämlich im Herbst mend als Querschnittsaufgabe begreifen will, muss dies 2000. Das ist eine Verzögerung von zwei Jahren! Wir wa- auch institutionelle Folgen haben. Zu fragen und abzuwä- ren uns alle einig, dass eine zeitnahe Beratung der Sache gen sein wird in dieser zweiten Stufe auch die Stellung des sicherlich dienlicher gewesen wäre. Insofern bin ich froh, Bundesbeauftragten für den Datenschutz. dass der Bundesdatenschutzbeauftragte gestern den Be- richt für 1999 und 2000 vorgestellt hat, den wir ja nun Zehntens: Informationsfreiheitsgesetz. Als Kehrseite auch bald beraten werden – so hoffe ich doch! derselben Medaille müssen wir auch über den Zugang zu Informationen reden. Die Koalition hat in ihrem Koaliti- Was den Bericht betrifft, so wäre es eine erhebliche onsvertrag angekündigt, ein Informationsfreiheitsgesetz Erleichterung, wenn herausgehobene Beanstandungen 16182 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) als inzwischen erledigt oder als noch nicht erledigt oder Es fehlen die Ausführungsbestimmungen zum Daten- (C) als strittig gekennzeichnet würden. Das würde die Lesbar- schutzaudit. Da es, wie gesagt, keinen Zeitdruck in dieser keit und die Beratung erheblich erleichtern und verkür- Frage gibt, macht mich das ausgesprochen misstrauisch! zen. Ich gehe auch davon aus, dass die Forderungen aus Nichts ist so haltbar wie ein Provisorium! Heute nur über dem 17. Bericht aufgegriffen und in absehbarer Zeit er- das „Ob“ und nicht gleichzeitig über das „Wie“ zu ent- füllt werden. scheiden, halte ich vor dem Hintergrund der Belastungen, die Sie zurzeit der Wirtschaft sowieso schon zumuten, für Ich komme nun zur Änderung des Bundesdaten- nicht vertretbar! schutzgesetzes: Sie beinhaltet einerseits die Angleichung an die EU-Richtlinie 94/46 EG, die überfällig war, wie wir Hier geht es um den untauglichen und kostenintensiven alle wissen. Andererseits finden Sie in der Drucksache ein Versuch, in Bewährtes einzugreifen, nämlich in den gut paar Bereiche, die aus der noch für diese Legislaturperi- funktionierenden Datenschutz in den Betrieben. Zwar ode vorgesehenen Novellierung des Datenschutzgesetzes weisen SPD und Bündnis 90/Grüne immer wieder darauf quasi „vorgezogen“ wurden. hin, dass es sich hier um die Einführung eines freiwilligen Datenschutzaudits handelt. Aber seit wann und warum Wie gesagt, zweifellos war die Umsetzung der EU- müssen wir denn Freiwilligkeit in Gesetzen festschreiben? Richtlinie überfällig. Insofern war die Bereitschaft zur zü- gigen Beratung auf allen Seiten vorhanden, und auch Die CDU/CSU-Fraktion hat ein intensives Experten- Kompromissbereitschaft war vorhanden. So konnte bei- gespräch mit Vertretern der Wirtschaft, des Handwerks spielsweise bei der Aufgabendefinition für den Daten- und verschiedener Verbände durchgeführt. Einhellig schutzbeauftragten ein gemeinsamer Kompromiss er- lehnten alle Experten die geplante Einführung eines Da- reicht werden. Anders sieht es mit den eben erwähnten so tenschutzaudits ab. Die Argumente allein von zwei nam- genannten vorgezogenen Punkten aus. Das sind erstens haften deutschen Unternehmen, positiv zum Audit zu ste- die Einführung eines Datenschutzaudits, zweitens die hen, haben – das wissen Sie so gut wie ich – sehr Videoüberwachung und drittens die Chipkartenregelung. durchschaubare und nicht übertragbare Gründe. Zwei Anträge unserer Fraktion machen unsere Beden- Ich will noch einmal die Hauptgründe gegen das Da- ken deutlich: Erstens. Das geplante Datenschutzaudit tenschutzaudit nennen. Erstens. Die Einführung eines Da- – gemäß BDSG-E § 9 a – wird von uns abgelehnt. Zwei- tenschutzaudits schwächt die Stellung des betrieblichen tens. Die Vorschriften zur Videoüberwachung – BDSG-E Datenschutzbeauftragten. Bisher haben die betrieblichen § 6 b – erscheinen uns unzureichend. Datenschutzbeauftragten und die ihnen übergeordneten Aufsichtsbehörden sehr gut zusammengearbeitet, wie Hinsichtlich des Datenschutzaudits stelle ich fest: Ers- beide Seiten betonen. Die betriebliche Selbstkontrolle (B) tens. Es belastet die Wirtschaft finanziell in besonderem durch betriebliche Datenschutzbeauftragte hat sich be- (D) Maße. Zweitens. Es ist eine Arbeitsbeschaffungsmaß- währt. So ist es uns unverständlich, warum durch ein Da- nahme für einen neuen Berufszweig, nämlich so genannte tenschutzaudit nun eine Art „Dreifach-Kontrolle“ einge- Auditoren. Drittens. Es regelt einen Bereich, den der führt werden soll: neben der Selbstkontrolle durch Markt selbst regeln kann, und entspricht damit nicht der betriebliche Datenschutzbeauftragte und der Fremdkon- immer gepriesenen „Entbürokratisierung“ und „Deregu- trolle durch die Aufsichtsbehörden nun auch noch ein lierung“. „Datenschutzaudit“ durch von außen „eingeflogene“, ex- Es ist geplant, den betrieblichen Datenschutzbeauf- terne Auditoren. tragten – seit Jahren bewährten und engagierten Fach- Auch die beabsichtigte Verbesserung sehe ich nicht. leuten in Sachen Datenschutz – externe „Kontrolleure“ Datenschutz ist schließlich ein Prozess; beim Daten- beizugeben, nämlich einen oder mehrere externe Daten- schutzaudit handelt es sich jedoch nur um eine Moment- schutzauditoren, die das Datenschutzkonzept der Betriebe aufnahme! Auch inhaltlich kann ich also keinen Fort- überprüfen und dafür dann ein „Siegel-Zertifikat“ oder schritt erkennen. Ähnliches vergeben. Wer die Erfahrungen mit der ISO 9000-Norm kennt, weiß, dass – direkt oder indirekt – Aber viele Fragen bleiben: Welche Konsequenzen hat Druck entsteht, der bis zum kleinsten Zulieferer weiterge- ein durchgeführtes Audit ? Welche Probleme können ent- geben wird, nämlich Druck, ein Audit durchzuführen. stehen – zum Beispiel dann, wenn Gutachter und Daten- Dass es sich dabei zunächst noch um eine freiwillige Auf- schutzkontrollbehörden zu unterschiedlichen Bewertungen gabe handelt, verbessert die Situation auch nicht. Wenn gelangen, von der Meinung des betrieblichen Datenschutz- der Markt es erforderlich macht, wird der Markt es regeln. beauftragten einmal ganz abgesehen? Wer garantiert die Warum ein Gesetz? Unabhängigkeit und vor allem die Qualifikation der Audi- toren? Der TÜV Rheinland bildet bereits innerhalb von Auch dass es sich bei dem Datenschutzaudit um ein zwei Tagen so genannte Auditoren aus! „Modellprojekt“ – wie betont wird – handelt, hilft nicht, Viele betriebliche Datenschutzbeauftragte haben als es auf Dauer nicht verbindlich werden zu lassen, zulasten Informatiker einen Hochschulabschluss oder zwei Jahre der Wirtschaft. berufsbegleitende Fortbildung absolviert. Sind die bishe- Als NRW-Abgeordnete habe ich bisher schlechte Er- rigen Qualifikationen überflüssig? Führen die bisherigen fahrungen mit Modellprojekten gemacht, weil man immer Ausbildungen zur Überqualifikation? Das sind Fragen, schon zu Beginn wusste, wie das Projekt endet, nämlich die meines Erachtens vor der Einführung geklärt werden immer im Sinne des Projektes, das heißt positiv! mussten und müssen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16183

(A) Zweitens. Die Kosten für die Wirtschaft sind immens und Zweck, von Möglichkeiten und Grenzen der Video- (C) und kaum abschätzbar. überwachung deutlich gemacht. Insofern hätten wir auch bei diesem Punkt gerne ausschussübergreifende Regelun- Drittens. Ich zitiere aus der Beschlussempfehlung des gen gefunden. Videoüberwachung hat mehrere Ziele; sie Innenausschusses auf Drucksache 14/5793: ist schließlich kein Selbstzweck! Die geplante Regelung wird voraussichtlich durch Es geht um das Sicherheitsempfinden unserer Bürger, folgende Änderungen zu Mehrbelastungen der Wirt- schaft führen: Durch die Einführung von Informati- von dem wir wissen, dass es sich vom tatsächlichen Be- onspflichten im Rahmen der Erhebung personenbe- drohungspotenzial oft erheblich unterscheidet. Dies sollte zogener Daten beim Betroffenen auch im nicht uns zu denken geben und den Versuch wert sein, die Fak- öffentlichen Bereich sowie durch die Einführung der ten einerseits und das Gefühl andererseits nicht weiter sog. Vorabkontrolle für bestimmte automatisierte auseinanderdriften zu lassen. Verarbeitungen sind Mehrbelastungen zu erwarten. Insofern war uns die Formulierung in § 6 b Abs. 3 zu Ferner kann die nach dem Gesetzentwurf gebotene kurz gesprungen. Sie ist nach unserer Auffassung ergän- Auswahl von Kommunikationstechnik am Maßstab zungsbedürftig und sollte um den Aspekt der „Gefahren- des Prinzips der Datenvermeidung und -sparsamkeit vorsorge oder Strafverhütung“ ergänzt werden. Mehrausgaben verursachen. Jetzt heißt es in Absatz 3 des § 6, dass die Verarbeitung Große Automobilkonzerne rechnen mit zusätzlichen oder Nutzung von Daten aus der Videoüberwachung Kosten von circa 10 bis 20 Millionen DM für das Daten- zulässig ist, wenn nicht schutzwürdige Interessen der Be- schutzaudit, vom personellen und bürokratischen Mehr- troffenen überwiegen. aufwand ganz zu schweigen. Ich zitiere nun: „Für einen anderen Zweck dürfen sie Viertens. Sollte der Markt auf Dauer tatsächlich ein nur verarbeitet oder genutzt werden, soweit dies zur Ab- Datenschutzaudit notwendig machen, dann wird es kom- wehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit erfor- men. Die Wirtschaft reguliert sich selbst besser und fle- derlich ist.“ Wir haben hier den Zusatz vorgeschlagen, xibler, als jedes Gesetz es tut. Im Gegenteil: Durch die dass die Daten auch zur „Verfolgung von Straftaten bzw. Einführung des Datenschutzaudits droht vielmehr eine zur Gefahrenvorsorge oder Straftatenverhütung“ genutzt Marktverzerrung! Schon bei der „IS0 9000“-Norm war oder verarbeitet werden können. dies zu beobachten. Zertifizierte Betriebe arbeiten nur noch mit kleineren zusammen, wenn diese ebenfalls über Denn wir meinen, Videoüberwachung soll auch zur das gewünschte Zertifikat verfügen. Denken Sie einmal vorbeugenden Bekämpfung von Kriminalität dienen und (B) an den Handwerksbetrieb mit seinem Meister, den drei präventiv wirken. (D) Gesellen und der Meisterfrau, die die Buchhaltung macht. Leider haben wir uns mit beiden Anträgen nicht durch- Die Kosten für ein Datenschutzaudit wären für diese klei- setzen können. Wir bedauern das sehr und können uns da- nen Betriebe eine zusätzliche Belastung und kaum zu ver- her bei der Abstimmung des Gesetzes zur Änderung des antworten. Bundesdatenschutzgesetzes auf Drucksache 14/4329 ins- In den letzten Tagen ging mir eine Pressemitteilung des gesamt nur der Stimme enthalten. Landesbeauftragten für Datenschutz in Schleswig-Hol- stein, Dr. Bäumler, zu. Ab sofort wird in Schleswig-Hol- stein ein Datenschutzaudit für öffentliche Stellen durch- Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der geführt. Für nicht öffentliche Stellen existiert jetzt ein heute zu beschließenden Reform des Bundesdatenschutz- Datenschutz-Gütesiegel. gesetzes unterstreicht Rot-Grün seine Kompetenz hin- sichtlich eines verantwortungsvollen und modernen Um- Ich darf aus dieser Pressemitteilung zitieren: „Gütesie- gangs mit Daten. Uns gelingt mit dieser Gesetzesreform gel sind primär dazu da, den Behörden die Auswahl sol- der Brückenschlag zwischen dem Verbraucherschutz und cher Produkte zu erleichtern, die mit den Datenschutzbe- den berechtigten Interessen öffentlicher und privater Stel- stimmungen in Einklang stehen.“ Hier zeigt sich doch len. Eine effiziente Datenverarbeitung und das Vertrauen schon der von mir kritisierte indirekte Zwang, den wir der Bürgerinnen und Bürger in die Sicherheit ihrer Daten nicht wollen und aufgrund der guten Erfahrungen mit dem dürfen sich nicht widersprechen. Dieses Anliegen werden betrieblichen Datenschutz auch nicht brauchen. wir auch bei der demnächst folgenden zweiten Reform- Aus diesen Gründen hat die CDU/CSU-Fraktion den stufe des Bundesdatenschutzgesetzes berücksichtigen, Antrag gestellt, das Datenschutzaudit ersatzlos zu strei- mit der wir das Vertrauen der Verbraucher in Formen der chen. Sollten Ausführungsbestimmungen, also auch das elektronischen Kommunikation noch weiter verstärken „Wie“, bekannt sein, denken wir neu nach, wenn es uns wollen. denn dann sinnvoller erscheint als heute. Datenschutz ist ein sehr wichtiges und nicht zuletzt Auch die Vorschriften zur Videoüberwachung sind im hochaktuelles Thema! Datenschutz ist moderner Verbrau- Vorgriff auf die zweite Stufe des BDSG heute Gegenstand cherschutz und ein entscheidender Akzeptanzfaktor für der Beratung. Es handelt sich um die Beobachtung öf- alle Formen des elektronischen Handels und der elektro- fentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen nischen Verwaltung. Ein moderner Datenschutz schafft Einrichtungen. Eine öffentliche Anhörung des Innenaus- Vertrauen für die Bürgerinnen und Bürger in Staat und schusses hat sehr unterschiedliche Auffassungen von Sinn Wirtschaft; ohne ausreichenden Datenschutz werden sich 16184 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) viele Bürgerinnen und Bürger der Informationsgesell- Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Der vorlie- (C) schaft verweigern. gende Gesetzentwurf soll die so genannte erste Stufe der Datenschutzreform darstellen. Dabei handelt es sich um Mit dieser Gesetzesänderung erledigen wir nicht nur die – darauf sei ausdrücklich hingewiesen: überfällige – unser Pflichtprogramm – die Anpassung an eine EU- Umsetzung der EU-Datenschutz-Richtlinie vom 24. Ok- Richtlinie von 1995, deren Umsetzung die alte Bundesre- tober 1995. Insoweit begrüßt die F.D.P. diese Vorlage. gierung versäumt hatte –, sondern wir setzen eigene, Auch dass dabei der gegebene Spielraum genutzt wurde, wichtige Akzente, auf die ich jetzt im Einzelnen kurz ein- ist aus unserer Sicht zu begrüßen. Insbesondere beim Da- gehen werde. tenschutz im Sozialhilferecht, der Datenschutzumsetzung Insbesondere auf Initiative von Bündnis 90/Die Grü- bei den Medien und den erneuerten Vorschriften über den nen hin wurde der Punkt Datenschutzaudit in diesen Bundesdatenschutzbeauftragten sind gute Fortentwick- Entwurf mit aufgenommen. Zur Verbesserung der Daten- lungen gelungen. sicherheit können datenverarbeitende Stellen ihr Daten- Leider sind auf diesen ersten Reformschritt jedoch schutzkonzept durch unabhängige Gutachter prüfen und ohne Not drei zusätzliche Regelungsansätze „draufgesat- die Ergebnisse veröffentlichen lassen: Zertifizierung statt telt“ worden, die richtigerweise in die zweite Stufe der Reglementierung – dies ist die Zukunft! Diese Form der Datenschutzreform gehört hätten. Diese soll ja der An- Transparenz ist auch im Interesse der Unternehmen; denn gleichung des Datenschutzrechts an die neuen Gegeben- diese können nun den verantwortungbewussten Umgang heiten in der Informations- und Kommunikationstechno- mit Daten aktiv für den Wettbewerb nutzen. logie gewidmet sein. Es handelt sich bei den drei Nun zum sensibelsten Punkt des Entwurfs, der „op- Zusatzpunkten um die Chipkartenregelung, die Video- tisch-elektronischen Beobachtung öffentlich zugängli- überwachung und das Datenschutzaudit. cher Räume“, der so genannten Videoüberwachung. Weshalb diese Anliegen schon jetzt unbedingt durch- Der häufig zu beklagende „Wildwuchs“ in diesem Be- gezogen werden mussten, obwohl noch vielfältiger Bera- reich – die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen tungsbedarf bestanden hätte, ist trotz mehrfachen Nach- und privatwirtschaftlichen Räumen gehört auch in der fragens leider unklar geblieben und muss deshalb gleich Bundesrepublik längst zum Alltag – bedarf dringend ge- vielfachen Verdacht hervorrufen. Das Gehetze ist bezüg- setzlicher Regelungen, um jede unnötige und überflüssige lich dieser Punkte nämlich überhaupt nicht einzusehen. Maßnahme zu verhindern. Ob uns dies mit den hier for- Das wird beispielsweise besonders deutlich beim Daten- mulierten Bestimmungen gelingt, bleibt abzuwarten. schutzaudit, weil dort ohnehin alles von einem detaillier- Doch wir können eines versichern: Bündnis 90/Die Grü- ten „besonderen Gesetz“ abhängt, das aber weit und breit (B) nen werden immer ein wachsames Auge darauf haben, nirgends zu sehen ist. Warum also mussten diese Punkte (D) dass unsere Gesellschaft nicht von unerwünschten wach- schon jetzt ohne irgendeine Anhörung und ohne jede Ein- samen Augen beobachtet wird. „Big Brother“ im Fernse- zelkorrekturbereitschaft unbedingt durchgepaukt wer- hen können wir vielleicht gerade noch ertragen, „Big den? Darüber hätten wir auch jetzt noch gerne Auskunft. Brother“ im wirklichen Leben nicht mehr. Nur exemplarisch greife ich aus jenen drei umstritte- Darum: Datenvermeidung und Datensparsamkeit sind nen Zusatzpunkten noch etwas näher die Videoüberwa- oberste Grundsätze eines modernen Datenschutzrechtes chung heraus. Unbestritten ist, dass es hier dringend einer und werden in diesem Gesetzesentwurf so weit wie mög- eigenen Ermächtigungsnorm bedarf. Manche der Einzel- lich berücksichtigt. regelungen im Gesetzentwurf sind auch, so meinen wir, durchaus zu begrüßen. Das gilt etwa für die so genannte Ich möchte betonen, dass wir die Arbeit des Bundes- Erkennbarmachung, die konkrete Benachrichtigungs- beauftragten für den Datenschutz ausdrücklich unterstüt- pflicht oder die unverzügliche Datenlöschung. zen – dessen Stellung in diesem Gesetzesentwurf ja auch weiter gestärkt und herausgehoben wird. Auch möchten Aber wie ist es um die konkrete Zweckbindung be- wir die positive Zusammenarbeit bei der Verabschiedung stellt? Für öffentliche Stellen wird nämlich a priori die Be- dieses Gesetzes herausheben: Insbesondere in den Be- obachtung allgemein zugänglicher Räume mit optisch- richterstatterrunden mit den Ministerien sowie im Dialog elektronischen Einrichtungen zur Erfüllung jeder mit den Datenschutzbeauftragten der Länder und – dies beliebigen Aufgabe zugelassen. Freilich soll das nur dort sei ausdrücklich erwähnt – auch mit der Opposition wurde gelten, wo keine überwiegenden schutzwürdigen Interes- ausgesprochen konstruktiv gearbeitet, eine Vorgehens- sen der Betroffenen gegenüberstehen. Aber ob etwas weise, die wir bei der zweiten Reformstufe erfolgreich überwiegt, lässt sich doch erst beurteilen, wenn man die fortsetzen und ausbauen wollen, unter anderem mit der Bezugsgröße kennt, also den Zweck, zu dessen Erfüllung Einrichtung einer Diskussionsplattform im Internet für die Maßnahme vorgenommen wird. Deshalb hätten die zulässigen Zwecke im Gesetz schon noch näher spezifi- alle Bürgerinnen und Bürger. ziert werden müssen. Denn da Videoüberwachung doch Mit der Modernisierung des Datenschutzrechtes und einen spezifischen, subtileren und also auch heikleren der demnächst folgenden Verabschiedung eines Informa- Grundrechtseingriff für die Beobachteten bedeutet, dürf- tionsfreiheitsgesetzes leisten wir weitere Schritte hin zu ten die legitimierenden Einsatzbedarfe auch nur entspre- einer transparenten und bürgernahen Informationsgesell- chend gewichtig sein. Dies muss im Gesetz benannt und schaft, die ohne Bündnis 90/Die Grünen so nicht denkbar sichergestellt werden. Das verlangt ein verfassungsbe- wäre. wusster Datenschutz. Allseits ist deshalb im Datenschutz- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16185

(A) recht ja auch anerkannt, dass eine exakte Zweckbindung entwurf strotzt vor einer Normenüberflutung und Büro- (C) der Datenerhebung und -verwendung der Schlüssel für kratisierung sowie einer ins kleinste Detail gehenden Re- eine wirksame Wahrung des datenbezogenen Persönlich- gelungsdichte, die den Bürgern den Umgang mit diesem keitsrechts ist. Gesetz erschwert, da es dadurch nur schwer lesbar und All solche Fragen zu den drei draufgesattelten Sonder- kaum verständlich ist. punkten konnten nicht mehr geklärt werden. Deshalb wird Deshalb hat die PDS mehrere Änderungsanträge in den die F.D.P. dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, obwohl Bundestag eingebracht. Wir fordern unter anderem, dass wir das für die Richtlinienumsetzung eigentlich gerne ge- erstens das Recht auf informationelle Selbstbestimmung tan hätten. als Gesetzeszweck festgeschrieben wird, dass zweitens der Bundesbeauftragte für Datenschutz nicht mehr dem Petra Pau (PDS): Zuerst möchte ich den Bericht des Innenministerium, sondern dem Parlament unterstellt ist Bundesdatenschutzbeauftragten würdigen. Auch wenn er und damit endlich einen unabhängigen Status erhält, dass schon etwas älter ist, macht er auf aktuelle Probleme und drittens der Kündigungsschutz von Datenschutzbeauftrag- Handlungsbedarf aufmerksam. Bestätigt wird dies durch ten verbessert wird, dass viertens die Zweckbindung von den seit gestern vorliegenden neuen Bericht. Sie werden Daten im Gesetz eindeutig festgeschrieben wird, damit darin einen ganzen Katalog von Hausaufgaben finden, keine Persönlichkeitsprofile von Menschen erstellt werden welche auch durch uns zu erfüllen sind und durch die vor- können, und dass fünftens die Videoüberwachung streng liegende Gesetzesnovelle nicht abgedeckt wurden. geregelt wird. Nun zu unserem heutigen Problem: Mit der Novellie- Mit der Annahme dieser Änderungsanträge können Sie rung des BDSG kommt die Bundesregierung mit immen- wenigstens einen Teil der eingangs genannten Hausauf- ser Verspätung der Verpflichtung nach, das bundesdeutsche gaben erledigen. Damit könnten wir auch manche berech- Recht der EU-Richtlinie zum Schutz personenbezogener tigte Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten Jacob zu Daten aus dem Jahre 1995 anzupassen. Diese Umsetzung den aktuellen Entwicklungen ausräumen. hätte bereits bis Oktober 1998 erfolgen müssen. Die ge- planten gesetzlichen Veränderungen beziehen sich auf all- gemeine Regelungen zum Datenschutz: Zulässigkeit von Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- Datenerhebungen, rechtliche Grundlagen der Datenverar- desminister des Innern: Der vorliegende Gesetzentwurf beitung, Stellung von Datenschutzbeauftragten, Auskunft der Bundesregierung dient der Anpassung des Bundesda- an Betroffene, Videoüberwachung, Datenschutz im So- tenschutzgesetzes und anderer Gesetze an die EG-Daten- zial- und Rentenbereich etc. Datenschutzrechtliche Be- schutzrichtlinie. Durch die Richtlinie und ihre nationale (B) stimmungen zu Sicherheitsdiensten bleiben unter alleini- Umsetzung wird ein einheitliches Datenschutzniveau für (D) ger nationaler Gesetzesregelung. die Mitgliedstaaten der EU geschafften. Nach Übernahme der Richtlinie durch den EWR gilt sie inzwischen auch für Bei der Novellierung des BDSG hat die Bundesregie- die übrigen Vertragsstaaten des Europäischen Wirt- rung bisher nur die Erfordernisse aus der EU-Richtlinie umgesetzt. In einem zweiten Schritt – Sommer 2001 – schaftsraumes. kündigt sie neue gesetzliche Veränderungen an, die sich Zu den wichtigsten unmittelbaren Verbesserungen aus mit den Problemen der Informationsgesellschaft und dem der Sicht des Bürgers zählt die weitere Stärkung seiner In- Datenschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern formationsansprüche. Dem Bürger kommt ebenfalls zu- beschäftigen sollen. gute, dass das System interner und präventiver Kontroll- Wie ist dies zu bewerten? Die Bundesregierung stützt mechanismen ausgebaut wird. Nach der Richtlinie zieht sich bei der Novellierung auf die Vorarbeiten der Kohl- die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Da- Regierung. Ein fortschrittlicher Entwurf der Grünen wur- ten entweder eine Meldepflicht gegenüber der Daten- de ignoriert. Die Bundesregierung hält es nicht für nötig, schutzkontrollstelle oder die Pflicht zur Bestellung eines 18 Jahre nach dem Urteil des BVG zur Volkszählung das internen Beauftragten für den Datenschutz nach sich. hier kreierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung Dem in Deutschland schon bewährten Institut eines Be- im BDSG festzuschreiben. Entsprechend ist auch die ge- auftragten für den Datenschutz und der internen Selbst- samte Zielsetzung des Gesetzesentwurfs: Eine Zweckbin- kontrolle wird damit zukünftig eine gesteigerte Bedeu- dung von Daten(-erhebungen) wird im Interesse der In- tung zukommen. dustrie und der Behörden sowie von Krankenkassen und Zu der bei den Bundesbehörden ganz überwiegend Rentenversicherungsanstalten aufgehoben. Die Stellung bereits bisher praktizierten Bestellung von Beauftragten der Datenschutzbeauftragten wird nicht gestärkt. Die Scha- für den Datenschutz besteht – infolge der Richtlinie – densersatzpflicht ist völlig unzureichend. Die geplante zukünftig eine gesetzliche Verpflichtung. Videoüberwachung ist nur mangelhaft im Gesetzentwurf geregelt. Es wird nicht festgelegt, dass nur in besonderen Entsprechend den Vorgaben der Richtlinie eröffnet das Ausnahmefällen Videoaufnahmen erlaubt sein dürfen. Bundesdatenschutzgesetz den freien Datenverkehr im Eindeutige Speicher- und Löschfristen sind nicht vorge- Binnenmarkt. Damit wird der innergemeinschaftliche Da- sehen. Das Gesetz schafft keine juristischen Grundlagen tenverkehr künftig dem inländischen Datenverkehr für eine effektive Datenvermeidung. Ein Datenschutzau- gleichgestellt. Für die Praxis bedeutet dies eine Vereinfa- dit – Vermeidung von Datenflüssen – wird nur symbolisch chung, da bei der Übermittlung personenbezogener Daten festgeschrieben und nicht konkret geregelt. Der Gesetz- im Binnenmarkt keine besonderen Regeln mehr beachtet 16186 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) werden müssen. Angesichts des von der Richtlinie vorge- des Gesetzentwurfs im Einzelnen diskutiert – betonen: (C) gebenen gemeinschaftsweit einheitlichen Datenschutz- Das Audit beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit; es niveaus ist dies ohne Nachteile für die Rechte der Bürger setzt zur Verbesserung des Datenschutzes auf die Selbst- möglich geworden. verantwortlichkeit der Unternehmen. Eine Pflicht-Audi- tierung wird es nicht geben. Dort, wo sie sinnvollerweise Der Datenaustausch mit Drittstaaten wird zwar regle- zum Einsatz kommen kann, wird sie sich für die Unter- mentiert; durch einen sachgerechten Ausnahmekatalog nehmen im Markt als Wettbewerbsvorteil erweisen und wird jedoch dafür Sorge getragen, dass eine Beeinträchti- den Verbrauchern die eigenverantwortliche Auswahl un- gung des Wirtschaftsverkehrs nicht eintritt. ter konkurrierenden Anbietern erleichtern. Der Gesetzentwurf konzentriert sich darauf, die Richt- Die Bundesregierung hat darauf Wert gelegt, den Ge- linie im erforderlichen Umfang umzusetzen. Angesichts setzentwurf mit allen Fraktionen im Bundestag, dem Bun- des in Deutschland bereits bestehenden hohen Daten- desbeauftragten für den Datenschutz, den Ländern und schutzniveaus hielt sich die materielle Tragweite der Än- der Wirtschaft so weit wie möglich im Einvernehmen derungen deshalb in Grenzen. Die teilweise abweichen- abzustimmen. Die Vorschläge und Prüfbitten des Bundes- den Konzepte der Richtlinie machten jedoch Eingriffe bei rates in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf fast allen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes wurden weitgehend im parlamentarischen Gang des Ge- notwendig. Es ließ sich nicht vermeiden, dass das Bun- setzgebungsverfahrens berücksichtigt. Danken möchte desdatenschutzgesetz dadurch komplexer geworden und ich ausdrücklich den Berichterstattern der Fraktionen für in einzelnen Bestimmungen auch für Fachleute nur noch die konstruktive, zielstrebige Beratung des Gesetzent- schwer verständlich ist. Da die Umsetzungsfrist bereits im wurfs. Oktober 1998 – fast zeitgleich mit dem Regierungswech- sel – abgelaufen ist, kann die richtlinienbedingte Ände- Mit der heutigen Zustimmung des Bundestages werden rung des Bundesdatenschutzgesetzes jedoch nicht weiter die Weichen für ein schnelles In-Kraft-Treten des Geset- hinausgeschoben werden. zes gestellt. Nur so besteht eine Chance, der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland in dem bereits anhängi- Die Bundesregierung wird eine zweite Stufe der No- gen Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen vellierung anschließen, in der das Gesetz in einer umfas- Gerichtshof zuvorzukommen. Auch vor diesem Hinter- senden Neukonzeption vereinfacht und seine Lesbarkeit grund bitte ich um Ihre Zustimmung. erhöht wird. Dabei wird es auch darauf ankommen, das Datenschutzrecht im Blick auf die schnelle Entwicklung der Informationsgesellschaft zu modernisieren. Hierzu Anlage 6 hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz bereits in seinem 17. Tätigkeitsbericht, zu dem uns heute hier die (B) Zu Protokoll gegebene Reden (D) Beschlussempfehlung des Innenausschusses vorliegt, Stellung genommen. Er greift dieses Thema übrigens zur Beratung der Anträge: auch in seinem gestern vorgestellten 18. Tätigkeitsbericht – Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbe- erneut auf. steuermessbetrags Gestatten Sie noch einen Satz dazu: Im Innenausschuss – Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgängig ist mit Recht gerügt worden, dass die Beratung des – mitt- machen lerweile vorletzten – Tätigkeitsberichts erst jetzt erfolgt ist. Die Bundesregierung wird künftig ihren Beitrag dazu (Tagesordnungspunkt 20 a und b) leisten, dass die parlamentarische Befassung zeitnäher erfolgen kann. Bernd Scheelen (SPD): „Immer wieder freitags“ Der vorliegende Gesetzentwurf enthält bereits erste könnte man in Abwandlung des Hits von Cindy und Bert Kernelemente einer Modernisierung, die das Ziel der der 60er-Jahre sagen: Immer wieder freitags stellt die PDS Richtlinie, die Transparenz der Datenverarbeitung für den vermeintlich kommunalfreundliche Anträge zu den Ge- Bürger zu erhöhen, verwirklichen. Ich weise auf diesen werbesteuereinnahmen der Städte und Gemeinden. Zusammenhang deswegen hin, weil die Opposition kriti- Warum immer wieder freitags? Weil an einem der da- siert hat, die Bundesregierung sattle hier unnötigerweise rauffolgenden Sonntage irgendwo in den neuen Ländern auf die zwingenden Vorgaben der Richtlinie auf. Kommunal-, Bürgermeister- oder Landratswahlen sind. Unter Transparenzgesichtspunkten bestand jedoch be- Am 6. Mai dieses Jahres sind solche Wahlen in Sach- reits jetzt dringender Handlungsbedarf, so etwa vor allem sen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Da vorher bei der Videoüberwachung. Sie wird durch den Gesetz- keine Sitzungen des Parlaments mehr stattfinden, muss entwurf erstmals in einer allgemeinen Vorschrift ein- eben der Freitag vor der Osterpause herhalten. Die Termi- deutigen Zulässigkeitsvoraussetzungen unterworfen. Der nierung der Antragsberatung entlarvt die Anträge als das, Entwurf der Bundesregierung ist hier von den Daten- was sie sind: Wahlkampftheater. schutzbeauftragten aus Bund und Ländern nachhaltig un- Die PDS möchte die Erhöhung der Gewerbesteuerum- terstützt worden. lage rückgängig machen, die Bestandteil des Steuersen- Dies gilt auch für die Regelung zur Chipkarte und zum kungsgesetzes ist, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft Datenschutzaudit. Lassen Sie mich zum Datenschutzaudit getreten ist und die Bürgerinnen und Bürger und den Mit- nochmals – wir haben dies ja bei der Ausschussberatung telstand in diesem Jahr um insgesamt 45 Milliarden DM Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16187

(A) entlastet. Steuerliche Entlastung der Bürgerinnen und Im Übrigen ist das Steuerentlastungsgesetz in Abspra- (C) Bürger bedeutet natürlich, dass der Staat auf Steuerein- che und mit Unterstützung der kommunalen Spitzenver- nahmen verzichtet. Das betrifft alle staatlichen Ebenen: bände in Kraft gesetzt worden. Dazu zitiere ich Ihnen den Bund, Länder und Gemeinden! Wenn die Bürgerinnen Präsidenten des Städte- und Gemeindebundes, Heribert und Bürger mehr Netto vom Brutto behalten sollen, heißt Thallmair, CSU: das, dass der Staat sich einschränken, also sparen muss. Die Reform der Unternehmensbesteuerung bildet Die Koalition hat die Steuerreform gemacht, um die eine solide Grundlage für wirtschaftliches Wachstum Menschen und die Unternehmen im Land zu entlasten und und ist daher ein Schritt in die richtige Richtung. damit die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Dass dieses Sie werden sich auch noch daran erinnern, dass bei der Konzept aufgeht, zeigt die Entwicklung der Konjunktur: gesonderten Anhörung der kommunalen Spitzenverbände Trotz drastisch gestiegener Rohölpreise, trotz drastischer die gute Zusammenarbeit mit der Bundesebene hervorge- Abkühlung der Konjunktur in den USA, trotz der wirt- hoben wurde. schaftlichen Probleme in Japan ist die europäische und insbesondere die deutsche Konjunktur robust. Auch in Nun zu den Zahlen im PDS-Antrag: Wir stellen fest, diesem Jahr ist mit einem Wachstum oberhalb von 2 Pro- dass die PDS wieder einmal hinter der Entwicklung her- zent zu rechnen. Das ist mehr als der Durchschnitt der ge- hinkt. Es reicht eben nicht, Anträge aus dem Jahr 2000 samten 90er-Jahre, sogar bei stabilem Geld! einfach mit einem neuen Datum zu versehen und sie er- neut in den Deutschen Bundestag einzubringen. Ein biss- Es zeigt sich, dass die Steuerreform genau zum richti- chen mehr Sorgfalt wäre schon angebracht! Wenn die gen Zeitpunkt gekommen ist. Bei nachlassender außen- PDS die Steuerausfälle der Kommunen in 2001 mit wirtschaftlicher Konjunktur ist eine robuste Binnennach- 8,3 Milliarden DM und im Jahr 2005 mit 12 Milliar- frage unerlässlich. So freut sich der Einzelhandel in den DM beziffert, hinkt sie eben gut eineinhalb Jahre hin- Deutschland erstmals seit Jahren über Umsatzsteigerun- ter der Entwicklung her und nimmt nicht zur Kenntnis, gen. Binnenwirtschaftliches Wachstum bedeutet auch die dass das endgültig verabschiedete Steuersenkungsgesetz Schaffung neuer Arbeitsplätze und damit Entlastung der bei den Kommunen Ausfälle von 4,4 Milliarden in 2001 öffentlichen Kassen von Kosten der Arbeitslosigkeit. Seit und 6,9 Milliarden in 2005 bewirkt. Damit werden die 1998 ist die Zahl der registrierten Arbeitslosen um 1 Mil- Städte und Gemeinden unterproportional an den Steuer- lionen gesunken. In entsprechendem Maße ist die Zahl der ausfällen beteiligt. Erwerbstätigen gestiegen. Im Jahr 2000 hatten die Gemeinden einen Anteil von Es zeigt sich deutlich: Die Entlastung der Bürgerinnen 12,3 Prozent an allen Steuereinnahmen. Zur Finanzierung und Bürger und der Unternehmen in Deutschland war (B) der Nettoentlastung der Steuerreform werden sie aller- (D) überfällig und zum jetzigen Zeitpunkt geboten. Erstaun- dings im Schnitt der Jahre 2001 bis 2006 mit lediglich lich deshalb, dass die PDS nun wieder Steuererhöhungen 8,9 Prozent und damit deutlich unterproportional betei- fordert; denn nichts anderes bedeutet die Forderung nach ligt. Dieses kommunalfreundliche Verhalten ist von den der Rückgängigmachung der Veränderung bei der Ge- kommunalen Spitzenverbänden ausdrücklich begrüßt werbesteuerumlage. Dazu ist es notwendig, zu beleuch- worden. Sie haben ihre Bereitschaft erklärt, sich im Rah- ten, warum die Gewerbesteuerumlage erhöht wurde, men ihres Anteils an den Steuereinnahmen auch an den warum also die Städte und Gemeinden mehr Gewerbe- Steuerausfällen zu beteiligen. steueranteile an Bund und Land abführen sollen. Während der Beratungen des Steuersenkungsgesetzes Das Steuersenkungsgesetz sieht eine deutliche Absen- konnte durch Berücksichtigung der Ausfälle infolge der kung des Körperschaftsteuersatzes von 40 Prozent auf Steuerfreiheit bei den Veräußerungsgewinnen von 25 Prozent vor. Die dadurch bedingten Steuerausfälle tra- Unternehmensbeteiligungen der relativ geringe Anteil der gen Bund und Länder alleine. Zur teilweisen Gegenfinan- Städte und Gemeinden an den Steuerausfällen durchge- zierung sind Veränderungen der AfA-Tabellen vorgese- setzt werden. Wenn die PDS nun fordert, dass der Aus- hen, die zu Steuermehreinnahmen auch der Gemeinden gleichsmechanismus der Gewerbesteuerumlage abge- führen. Diese Windfall Profits der Städte und Gemeinden schafft wird, fordert sie Bund und Länder auf, diese abzuschöpfen und zur Finanzierung der Steuerreform he- Verluste zusätzlich zu tragen, was zwangsläufig Steuerer- ranzuziehen ist Sinn der Gewerbesteuerumlagenerhöhung höhungen nach sich zieht. Dies lehnen wir ab! und nichts anderes. Fazit: Den Gemeinden wird also rein gar nichts weggenommen. Wir sprechen in der Republik über Steuersenkungen und nicht über Steuererhöhungen. Die Bürgerinnen und Um dem nicht linearen Verlauf der Mehreinnahmen Bürger haben genug von immer höheren Steuern und Ab- Rechnung zu tragen, ist die Erhöhung der Gewerbe- gaben. Sie erwarten zu Recht vom Staat, dass er sich auf steuerumlage bis 2005 befristet. Ab 2006 gilt ein um sechs seine eigentlichen Aufgaben besinnt, dabei sparsam mit Punkte abgesenkter Vervielfältiger. Außerdem haben wir den Mitteln umgeht und Menschen und Unternehmen ent- im Gesetz eine Revisionsklausel für das Jahr 2004 vorge- lastet, um zusätzliche Spielräume für mehr Wachstum und sehen, um im Lichte der Erkenntnisse, wie die Steuerre- Beschäftigung zu schaffen. Diese Ziele werden auch von form tatsächlich wirkt, die Erhöhung der Gewerbe- den kommunalen Spitzenverbänden mitgetragen. Mit ih- steuerumlage zu überprüfen. Denn eines ist klar: Die nen wissen wir uns auch einig in der Forderung nach ei- Berechnungen des BMF haben den Charakter einer Pro- ner umfassenden Gemeindefinanzreform. Das ist ein Vor- gnose und dies kann auch gar nicht anders sein. haben, das für die nächste Legislaturperiode auf der 16188 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Agenda steht, zu dem die Vorarbeiten jetzt zu leisten sind. der Bauunterhaltung, weil dies nicht unmittelbar Folgen (C) Deshalb macht der zweite Antrag der PDS, den Zer- für die Bürgerinnen und Bürger hat. Jede nicht ausgege- legungsmaßstab des Gewerbesteuermessbetrages zu än- bene Mark bedeutet aber auch weniger Aufträge für Han- dern, auch keinen Sinn. del und Gewerbe. Jeder Auftrag weniger bedeutet weni- ger Arbeit und damit weniger Steuern und mehr Was wir brauchen, ist eine umfassende Reform, deren Arbeitslosigkeit. Mehr Arbeitslosigkeit bedeutet mehr Vorbereitung noch Zeit braucht. Einzelmaßnahmen sind Sozialhilfe. So zeigt sich, in welchem schwierigen Teu- deshalb zu diesem Zeitpunkt unsinnig. Wir können die felskreis sich die Städte, Gemeinden und Landkreise be- Gemeindefinanzreform auch deshalb in Ruhe und gründ- finden. Viele können ihre laufenden Ausgaben nicht mit lich angehen, weil wir mit dem Steuersenkungsgesetz den laufenden Einnahmen decken. Besorgniserregend ist die Kommunen Planungssicherheit bezüglich des Bestandes Entwicklung der Kassenkredite in vielen großen Städten der Gewerbesteuer gegeben haben. Mit der Unterneh- des Ruhrgebietes. mensteuerreform ist das Kunststück gelungen, einerseits den Gemeinden die Gewerbesteuer als eigenständige, ge- Wie bedrohlich die Lage ist, kann man an einer Schlüs- staltbare Steuerquelle zu erhalten und andererseits den selzahl ablesen. Das ist der Stand der Kassenkredite zum Mittelstand durch die pauschalierte Anrechenbarkeit 31. Dezember 2000. „Kassenkredit“ klingt sehr technisch, bei der Einkommensteuer von der Gewerbesteuer zu ent- ist aber nichts anderes als der Ausdruck dafür, dass lau- lasten. fende Ausgaben mit Krediten finanziert wurden, was ei- gentlich nicht sein darf. Der Kassenkredit ist nur eine un- Am 6. Mai dieses Jahres sind, wie bereits erwähnt, terjährige Liquiditätshilfe und muss am Jahresende, wenn Bürgermeister- und Landratswahlen in Sachsen-Anhalt alle Einnahmen und Ausgaben getätigt sind, auf Null ste- und Mecklenburg-Vorpommern. Am 10. Juni wird ent- hen. Sie betrugen 14,1 Milliarden DM; dazu kommen sprechend in Sachsen gewählt. Wetten, dass die PDS noch 14,0 Milliarden DM innere Darlehen. Diese beiden beide Anträge spätestens am 1. Juni wieder einbringt? Zahlen hätten am 31. Dezember 2000 null betragen müs- Dann heißt es erneut: „Immer wieder freitags“. sen. 28,1 Milliarden DM sind rund 6,5 Prozent der lau- fenden Ausgaben aller Städte, Gemeinden und Landkreise Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Die PDS für Personal, laufenden Sachaufwand, soziale Leistungen will sich mit ihren beiden Anträgen zum Anwalt der Kom- und Zinsen. In diesem Maße wurden diese Posten mit munen machen. Sie will die kommunale Finanzausstat- Krediten finanziert. Das ist, wie wenn sich ein privater tung in einzelnen Punkten verändern. Dies ist meines Er- Haushalt ohne Aussicht auf zusätzliche Einnahmen sein achtens völlig unzureichend. Wenn dieses Thema Butterbrot auf Kredit kauft oder wenn ein Handwerks- angefasst werden soll, dann richtig; dann muss es um eine meister das Verbrauchsmaterial mit einem Kontokorrent- (B) Gemeindefinanzreform insgesamt gehen. Die Anträge der kredit finanziert und über die Rechnung nicht wieder he- (D) PDS als punktuelle Lösung würden den Druck in Rich- reinbekommt. tung einer grundsätzlichen Lösung vermindern. Schon Die rot-grüne Koalition hat in der Koalitionsvereinba- deshalb kann ihnen nicht zugestimmt werden. Aber es gibt rung zum Regierungsantritt 1998 angekündigt, die Fi- auch inhaltliche Punkte, auf die ich noch zu sprechen nanzkraft der Gemeinden stärken zu wollen. Wörtlich komme. heißt es in Kapitel III Nr. 2 Punkt 3 der Koalitionsverein- Dennoch gibt der Tagesordnungspunkt Gelegenheit, barung: den Blick auf ein wichtiges Thema zu lenken. Die kom- Die neue Bundesregierung tritt dafür ein, dass munale Finanzausstattung ist völlig unzureichend und zukünftig Aufgabenverlagerungen im Verhältnis der wurde von der Regierungskoalition entgegen all ihren staatlichen Ebenen – Bund einerseits, Länder und Versprechungen dramatisch verschlechtert. Ich verweise Gemeinden andererseits – im Rahmen des bundes- dazu nur auf die Dokumentation Nr. 16 des Deutschen staatlichen Finanzausgleichs berücksichtigt werden Städte- und Gemeindebundes, die die Auswirkung der (Konnexitätsprinzip). Wir wollen die Finanzkraft der Eingriffe in die kommunale Finanzausstattung eindrucks- Gemeinden stärken und das Gemeindefinanzsystem voll schildert. Danach haben die Eingriffe im Jahr 2001 einer umfassenden Prüfung unterziehen. ein Volumen von 6,4 Milliarden DM zuzüglich 4,9 Milli- arden DM Folgewirkungen über den kommunalen Fi- Von einer Gemeindefinanzreform war bisher noch nanzausgleich. keine Rede. Sie haben in dieser Richtung noch nichts un- ternommen. Das gilt auch für die Umsetzung des Konne- Die kommunale Finanzausstattung ist nicht nur ein xitätsprinzips: Fehlanzeige! Thema für Bürgermeister und Kommunalpolitiker. Sie geht uns alle an. Wenn den Kommunen die Finanzkraft Im Gegenteil: Wie Sie diese Versprechen mit Füßen fehlt, dann müssen sie bei den Ausgaben für Einrichtun- treten, will ich an zwei Beispielen deutlich machen. Da ist gen kürzen, die für die Bürgerinnen und Bürger wichtig zum einen der Familienleistungsausgleich und zum ande- ren die Grundsicherung im Rahmen der Rentenreform. sind. Sie müssen Schulen, Kindergärten, Kultureinrich- tungen, Schwimmbader und Ähnlichem Geld nehmen In der Bundestagsdebatte vom 21. September 1995 oder sie gar schließen. (Plenarprotokoll 13/55) führte Bundesfinanzminister Waigel dazu aus: Sie ist aber auch ein wichtiges Thema für Handwerk und Handel. Wenn den Gemeinden Geld fehlt, dann kür- Die von der Koalition angestrebte Systemumstellung zen sie häufig bei Beschaffungen und insbesondere bei auf das steuerrechtliche Optionsmodell und die Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16189

(A) besserungen beim Familienleistungsausgleich waren halten, etwas weitergeben. Wir fordern mit allem (C) von Anfang an mit der Zusage an die Länder ver- Nachdruck die Länder auf, den Kommunen den ih- bunden, für die daraus resultierenden Lastenver- nen zustehenden Anteil aus der gesetzlichen Um- schiebungen einen fairen, vollen Ausgleich zu ge- satzsteuer zukommen zu lassen. währen. Im Vermittlungsausschuss haben wir uns auf Zum Jahressteuergesetz 1996 und zu der entsprechen- die dauerhafte Absicherung des bisherigen Lasten- den Grundgesetzänderung führte der Berichterstatter, Fi- teilungsverhältnisses von 74:26 beim Familienleis- nanzminister Heinz Schleuser (SPD), am 22. September tungsausgleich geeinigt. Dies erfolgt durch die Er- 1995 im Bundesrat (S. 371 f.) aus: gänzung des Art. 106 des Grundgesetzes. ... die Neuregelung des Familienleistungsausglei- Man kann darüber streiten, ob es schön und wün- ches als steuerliche Lösung führt zu gravierenden schenswert ist, dass eine solche Frage im Grundge- Verschiebungen der Finanzverteilung zwischen setz geregelt wird. Es war die unabdingbare Voraus- Bund, Ländern und Gemeinden. Bisher trug der setzung für die Zustimmung der Länder, und darum Bund 74 Prozent ... der Ausgaben für den Familien- macht es auch gar keinen Sinn, darüber noch lange leistungsausgleich, während Länder und Gemeinden Diskussionen zu führen. ... die verbleibenden 26 Prozent aufbringen mussten. Diese Ergänzung verpflichtet den Gesetzgeber, bei Die Neuregelung im Rahmen der Einkommensteuer der Festsetzung des Beteiligungsverhältnisses an der führt zwangsläufig zu einer Lastenverteilung, die der Umsatzsteuer die sich durch den neuen Familienleis- Verteilung der Einkommensteuer entspricht. Das tungsausgleich ergebenden Steuermindereinnahmen heißt: Statt der bisher 26 Prozent entfallen ab 1996 der Länder auszugleichen. Hierdurch wird die verfas- 57, 5 Prozent der Ausgaben für den Familienleis- sungsrechtliche Voraussetzung für die dauerhafte tungsausgleich auf Länder und Gemeinden. Fortführung des bisherigen Lastenteilungsverhältnis- ses durch die entsprechenden Regelungen im Finanz- Anmerkung: Dabei sind die Auswirkungen des kommu- ausgleichsgesetz geschaffen. ... nalen Finanzausgleiches – Verschiebung von im Bundes- durchschnitt 20 Prozent der Kosten von der Ebene der Die Länder haben sich verpflichtet, den Gemeinden Länder auf die Gemeinden – noch nicht berücksichtigt. die Steuerausfälle durch die Neuregelung des Familienleistungsausgleichs fair und voll auszuglei- Nach ziemlich schwierigen, intensiven Diskussionen chen. Wir alle miteinander werden aufmerksam da- über diese Lastenverlagerung auf Länder und Ge- rüber wachen, dass dies erfolgt. Die gleiche Fairness, meinden wurde ein Kompromiss erzielt: Die bishe- die der Bund den Ländern entgegenbringt, verlangen rige Verteilung zwischen Bund und Ländern von (B) wir von den Ländern den Kommunen gegenüber. 74:26 Prozent bleibt bestehen und wird für die Zu- (D) kunft dauerhaft festgeschrieben. Die Länder erhalten Zu der Grundgesetzänderung führte die CDU-Abge- zum Ausgleich ihre durch die Neuregelung entste- ordnete Dr. Tiemann in der Debatte aus: henden Steuerausfälle einen erhöhten Anteil an der Insofern machen die Länder diese Grundgesetzände- Umsatzsteuer. rung zur Bedingung, weil sich die Lastenverteilung Anmerkung: 5,5 Prozentpunkte. zwischen Bund und Ländern zu ihren Ungunsten verändern würde. Wir schreiben mit dieser Grundge- Die verfassungsrechtliche Grundlage wird durch setzänderung den Länderanteil fest, bewirken aber eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes ge- dadurch – und darauf möchte ich hinweisen – gewis- schaffen. sermaßen einen Bund-Länder-Sonderausgleich für Das Finanzausgleichsgesetz setzt diese Vorgaben den Familienbereich. konkret um ... Ich mache darauf aufmerksam, dass wir mit diesem Ab 1998 wird dieser Ausgleichsbetrag der aktuellen Sonderausgleich in die Systematik unserer Finanz- Entwicklung angepasst. ... verfassung eingreifen. Auch für die Gemeinden, die an diesem Umsatzsteu- Zu der Grundgesetzänderung führte der CDU-Abge- erausgleich systembedingt nicht unmittelbar partizi- ordnete Uldall in der Debatte aus: pieren, ist Sorge getragen: Die Länder haben sich Minister Waigel hat vorgeschlagen, die Ausfälle der verpflichtet, ihnen einen fairen und vollen Ausgleich Gemeinden in Form eines höheren Anteils der Kom- für die ihnen durch die Umstellung entstehenden munen an der Einkommensteuer, nämlich statt heute Steuerausfälle zu garantieren. 15 Prozent dann 16 Prozent, direkt zu kompensieren. Das waren die Versprechungen. Die Wirklichkeit sieht (Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Das war ein ganz anders aus: Der Gesamtaufwand für das Kindergeld stieg von 43,3 Milliarden DM im Jahr 1996 auf 57,6 Mil- hervorragender Vorschlag! Er wurde aber nicht liarden DM im Jahr 1999. Für das Jahr 2000 liegen leider angenommen!) noch keine endgültigen Daten vor. Der den Ländern als Das lehnte der Bundesrat ab. Auch hier ist der Grund Ausgleich gewährte Anteil von 5,5 Punkten Mehrwert- klar. Die Länder wollten natürlich das Geld erst ein- steuer entwickelte sich von 13 Milliarden DM im Jahre mal in den eigenen Kassen haben, bevor sie den Ge- 1996 auf 13,8 Milliarden DM im Jahr 1999. Selbst wenn meinden von den Einnahmen, die sie zusätzlich er- man unterstellt, dass die systembedingten Lasten der 16190 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Kommunen unter Einschluss der Wirkung des kommuna- über den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer zu ge- (C) len Finanzausgleiches im Jahr 1996 von den Ländern voll ben, machen Sie doppelte Winkelzüge: ausgeglichen worden sind – was leider nicht passiert ist –, Die Aufgabenzuweisung an die Landkreise und kreis- dann haben die damals geschaffenen Systeme in den Fol- freien Städte erfolgt durch bundesrechtliche Regelungen: gejahren nicht ausgereicht, um die systembedingte Belas- § 4 GSiG in der Fassung von Artikel 8 a des Gesetzes zur tung der Städte, Gemeinden und Landkreise auszuglei- Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur chen. In den Jahren 1997 bis 1999 entwickelt sich das Defizit über 1,4 Milliarden DM auf 2,7 Milliarden DM. In Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermö- den Jahren 1997 bis 1999 haben die Kommunen allein gens (zustimmungspflichtiger Teil). Dies hat für Städte, 5,5 Milliarden, DM des Kindergeldes getragen, obwohl Gemeinden und Landkreise fatale Folgen. Der Bund steht sie zu 100 Prozent entlastet werden sollten. in keiner direkten finanziellen Verpflichtung gegenüber den Kommunen und kann deshalb wegen der Mehrauf- Große zusätzliche Risiken für die kommunale Finanz- wendungen von diesen rechtlich nicht direkt belangt wer- ausstattung lassen die geplanten Veränderungen beim den. Die Aufgabenzuweisung ist übrigens rechtlich be- Kindergeld erwarten. Wenn nun das Kindergeld, wie zu denklich, weil entgegen Artikel 84 GG hier in die vernehmen ist, um 30 DM erhöht werden soll, dann be- Organisationshoheit der Länder eingegriffen wird. Weil deutet das laut Bundesfinanzminister Waigel in der die neue Aufgabe nicht durch ein Landesgesetz erfolgt, „Welt“ vom 27. März 2001 einen zusätzlichen Steueraus- können die Kommunen die neue Aufgabenzuweisung und fall in Höhe von 5,5 Milliarden DM. Rechnete man die- die damit verbundenen Mehraufwendungen nicht direkt sen Betrag auf den Steuerausfall von 1999, so ergäbe das vor den Verfassungsgerichten angreifen. Es bleibt ihnen einen Aufwand für den Familienleistungsausgleich von nur der Weg über Klagen wegen mangelnder Finanzaus- 63,1 Milliarden DM. Auf die Kommunen entfielen dann stattung allgemein, in deren Rahmen dann diese Frage mit nach kommunalem Finanzausgleich 4,1 Milliarden DM. geprüft wird. Das ist ein wesentlich stumpferes Schwert In den Jahren 1996 bis 2000 haben sie dann 9,6 Milliar- als der direkte Angriff. Es ist ein klarer Bruch des mit der den DM zum Kindergeld zugeschossen, obwohl sie über- Koalitionsvereinbarung gegebenen Versprechens. haupt nicht belastet. werden sollten. Das sind dann 6,4 Prozent. Länder und Kommunen zusammen tragen Zur Finanzierung wählt die Koalition den Finanzfluss dann 35,6 Prozent des Kindergeldes, obwohl sie nur über mehrere Umwege durch die Landeskassen. Durch 26 Prozent tragen sollten. Das ergibt einen Zahlungsüber- eine Änderung des Wohngeldgesetzes in Artikel 9 will der hang von 15,9 Milliarden DM. Bund den Ländern diejenigen Mehrausgaben ausglei- chen, die den Kreisen und kreisfreien Städten als Trägern Die Bundesregierung lehnt ab, aufgrund dieser Situa- der Grundsicherung und der entsprechenden Mehrauf- tion tätig zu werden. Sie ist der Auffassung, dass das eine (B) wendungen in der Sozialhilfe entstehen. Damit landet das (D) Frage der allgemeinen Deckungsquotenberechnung sei Geld zunächst einmal in den Landeskassen. Aufgrund der und kein Handlungsbedarf gegeben sei. Wer soll bei die- Erfahrung ist keineswegs anzunehmen, dass diese Mittel sen Lastenverschiebungen und bei diesem plötzlichen auch voll den Kommunen weitergegeben werden. Die Er- Meinungsumschwung der Beteiligten, die noch als Mi- fahrungen zeigen, dass die Finanzminister „klebrige Fin- nisterpräsidenten an einer völlig anderen Front gekämpft ger“ haben und die Mittel praktisch nie vollständig wei- haben, darauf vertrauen, dass der Bund einen fairen Las- tergereicht wurden. tenausgleich vornimmt – von einer Verwirklichung des versprochenen Konnexitätsprinzips ganz zu schweigen? Bei landesinternen Umsetzungsregelungen wurden häufig Wege gewählt, die schon nach wenigen Jahren Die Koalition hat bei Regierungsantritt versprochen, nicht mehr nachvollziehbar waren und damit geradezu dass nicht alles anders, aber vieles besser werden solle. eine Einladung an die Länder waren, Mittel für sich selbst Darauf hatten die Kommunen große Hoffnungen gesetzt, abzuzweigen. Der Familienleistungsausgleich ist ein be- zumal in der Koalitionsvereinbarung vollmundige Ver- redtes Beispiel dafür. So wurden zum Beispiel in Nieder- sprechungen gemacht worden sind. Konnexität heißt sachsen die Mittel in den kommunalen Finanzausgleich nichts anderes als: Wer die Musik bestellt, muss sie auch eingerechnet, und dies auch noch unvollkommen, sodass bezahlen. Sie machen große Versprechungen auf Kosten die Städte, Gemeinden und Landkreise zusätzlich auf er- anderer. Sie lassen sich für eine Haushaltssanierung feiern heblichen Teilen der Kosten sitzen geblieben sind. und schieben die Lasten den Kommunen zu. Außerdem verfügen wir auch über Erfahrung mit dem Mit dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsi- Ausgleichsmechanismus „Wohngeld“. Als sich der Bund cherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) soll in den 80er-Jahren aus der Krankenhausfinanzierung eines der kostenträchtigsten Gesetze für die Kommunen zurückgezogen hat, erfolgte der finanzielle Ausgleich un- in den letzten 30 Jahren ins Werk gesetzt werden. Unab- ter anderem – ähnlich wie das jetzt geschehen soll – da- hängig davon, wie man dazu steht – ich halte diesen Weg durch, dass der Bund von der eigentlich durch die Länder für falsch –, wäre dies nun die beste Gelegenheit gewesen, zu finanzierenden Wohngeldhälfte einen Festbetrag über- zu beweisen, dass man das Versprechen auch ernst meint. nahm. Zum Ende des Jahres 2000 hat er sich aus dieser Nichts davon ist zu spüren. Wie immer liegen Anspruch Mitfinanzierung verabschiedet, sodass nachträglich der und Wirklichkeit bei dieser Koalition meilenweit ausei- Ausgleich entfallen ist. Wer will bei diesem Erfahrungs- nander. horizont eigentlich darauf vertrauen, dass hier ein dauer- Statt bei diesem Vorhaben einen ehrlichen Finanzie- hafter Ausgleich zugunsten der Kommunen stattfindet? rungsweg zu wählen und den Kommunen das Geld direkt Wie auf einer so brüchigen Vertrauensbasis die Kosten- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16191

(A) entwicklung auf Dauer gerecht ausgeglichen werden soll, höhung der Gewerbesteuerumlage genommen wurden, (C) kann ich mir nicht vorstellen. rückläufig. Deshalb muss aus der gestreckten Abschrei- bung eine Anpassung folgen. Daneben ist die Finanzierungsnotwendigkeit umstrit- ten; Der Bund geht in der Ursprungsdrucksache 14/4595 Bei der Gewerbesteuerumlage sind noch Anpassungen und auch noch in der Drucksache 14/5150 von 600 Milli- offen, weil die Begründung für vormalige Erhöhungen onen DM aus. Im Laufe des Vermittlungsverfahrens hat er ganz oder teilweise entfallen ist: bereits 800 Millionen DM angeboten. Die kommunalen Spitzenverbände gehen von 2 Milliarden DM aus. Die Be- Zur kommunalen Mitfinanzierung des Solidarpaktes rechnung des Bundes scheint wenig glaubwürdig, zumal wurde die Gewerbesteuerumlage in den alten Ländern er- sie auf Berechnungen und Schätzungen Datenmaterial höht. Trotz einer gesetzlichen Revisionsklausel wurde aus dem Jahre 1997 beruht. Für den Zeitraum 1997 bis eine Neuberechnung von den Ländern ohne Begründung 2001 wird eine Preissteigerungsrate von 5,1 Prozent un- blockiert, obwohl die kommunalen Spitzenverbände terstellt. Angesichts der Tatsache, dass wir im Jahre 2001 schon für das Jahr 1995 belegt hatten, wie stark die allein eine Inflationsrate von 2,5 bis 3 Prozent haben wer- tatsächlichen Transfers der alten an die neuen Länder un- den, ist das völlig unrealistisch. ter den ursprünglichen Erwartungen geblieben waren. Schon im ersten Jahr des Solidarpaktes war nur eine Er- Nun zur Gewerbesteuerumlage. Die Gewerbesteuer- höhung der Gewerbesteuer um 16 statt der gesetzlich fi- umlage wurde 1969 im Rahmen der Gemeindefinanz- xierten 29 Vervielfältigerpunkte gerechtfertigt. reform als Ausgleich für die Beteiligung der Kommunen an der Einkommensteuer eingeführt. Richtig ist, dass in Bei der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage im Rah- den Folgejahren die jeweiligen Bundesregierungen häufig men des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmensteu- die Gewerbesteuerumlage als direktes Ausgleichsinstru- erreform um zunächst 7 und ab 2001 um 6 Vervielfälti- ment zwischen Bund und Ländern einerseits und den gerpunkte hat der Gesetzgeber auf eine Befristung Städten und Gemeinden andererseits gebraucht haben. verzichtet, obwohl die damit abzuschöpfenden gemeind- Das hat dazu geführt, dass die Gewerbesteuer für die lichen Mehreinnahmen aus dem Abbau der Drohverlust- Kommunen an Bedeutung verloren hat. Ob dies richtig rückstellungen 2003 auslaufen und damit die Berechti- war oder nicht, darüber kann man streiten. Jedenfalls ist gung auch für diese Erhöhung der Gewerbesteuerumlage es einvernehmliche Praxis in Deutschland gewesen und weitestgehend entfällt. deshalb müssen sich alle auch daran halten. Als Fazit bleibt festzustellen: Es besteht bei der Ge- Mit dem jetzigen Umfang der Abschöpfung gemeind- werbesteuerumlage dringender Handlungsbedarf. Die licher Einnahmen durch die Gewerbesteuerumlage ist die- Bundesregierung verweigert sich diesem, obwohl sie eine (B) ses Instrument unter systematischen Gesichtspunkten zu Besserung der kommunalen Finanzverhältnisse verspro- (D) kritisieren. Durch den wachsenden Anteil der Gewerbe- chen hatte. Dies ist Ausdruck der kommunalfeindlichen steuerumlage am Bruttoaufkommen der Gewerbesteuer Haltung der Regierung Schröder. wird auf kommunaler Ebene nicht nur der Interessenzu- Die Zerlegung der Gewerbesteuer hat die Aufgabe, das sammenhang zwischen Wirtschaft und Standortgemein- Steueraufkommen an Gemeinden zu verteilen, wenn ein den, sondern auch der Charakter der Gewerbesteuer als Betrieb mehrere Betriebsstätten hat. Dabei gilt es, den Gemeindesteuer geschwächt. Entgegen der Behauptung richtigen Kompromiss zwischen einfacher Durchführung des Bundes, es gebe keine unmittelbare Finanzbeziehung und Ergebnisgerechtigkeit zu erzielen. Grundsätzlich gilt zwischen Bund und Kommunen, nutzt er die Gewerbe- nach § 29 Gewerbesteuergesetz (GewStG) der Arbeits- steuerumlage immer häufiger und in großem Umfang als lohn an den einzelnen Betriebsstätten als Zerlegungsmaß- unmittelbares Instrument zur Abschöpfung gemeindlicher stab. Allerdings sind auch andere Formen der Zerlegung Einnahmen. denkbar. Nach § 33 GewStG kann, wenn die Regelzerle- Im Rahmen des Steuersenkungsgesetzes sollte die Ge- gung zu offenbar unbilligen Ergebnissen fährt, die Auf- werbesteuerumlage von Bund und Ländern von rund teilung auch nach einem anderen Maßstab, der die 20 auf fast 30 Prozent angehoben werden. Dies ist zwar tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt, erfolgen. nicht im vollen Umfang geschehen; aber dennoch kam es Dabei ist gemäß § 33 Abs. 2 einer Einigung zwischen den im Ergebnis zu einer erheblichen Anhebung und zu einer beteiligten Gemeinden über die Steuerschuld der Vorrang dauerhaften Festschreibung auf einem zu hohen Niveau. zu geben. Von dieser Regelung wird im großen Umfang Damit ist der Grad des Erträglichen überschritten. Gebrauch gemacht. So wurden für die Telekom und bei- spielsweise viele Energieversorgungsunternehmen, zum Die Verlängerung der Nutzungsdauer in den AfA-Ta- Beispiel in Niedersachsen die Avacon, besondere Maß- bellen schafft in den ersten Jahren Steuermehreinnahmen, stäbe entwickelt. Wenn es keine Einigung unter den weil geringere Abschreibungen erfolgen. Dadurch ent- Beteiligten gibt, kann auch die Finanzverwaltung ihre steht bei den Steuereinnahmen eine Spitze. Wenn diese Regelungen treffen. Diese flexible Regelung trägt den Be- abflaut, tritt ein Loch ein, weil die vorgezogenen Steuer- dürfnissen der Praxis ausreichend Rechnung, sodass der mehreinnahmen dann entfallen. Im Rahmen des Steuer- Antrag auf Veränderung der Zerlegung abzulehnen ist. senkungsgesetzes wurden diese Mehreinnahmen bei den Kommunen im Finanztableau berücksichtigt und waren Das Lohngefälle vermag allein ein Abweichen von Anlass zu einer unbefristeten Erhöhung der Gewerbe- denn bisherigen grundsätzlichen Zerlegungsmaßstab steuerumlage. Hier bedarf es einer Anpassung. Mittelfris- nicht zu rechtfertigen, denn es ist auch eine unterschiedli- tig sind die Mehreinnahmen, die als Basis für die Er- che Produktivität gegeben. Wäre das nicht der Fall, hätte 16192 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) es schon längst eine Angleichung der Tariflöhne gegeben. baren Steuerausfällen liegt mit durchschnittlich rund (C) Insofern geht Ihr Antrag in die falsche Richtung. 9 Prozent von 2001 bis 2006 noch wesentlich unterhalb ihres Anteils an den gesamten Steuereinnahmen der Ge- Die Auswirkungen des Kaufes der UMTS-Mobilfunk- bietskörperschaften. Dieser Anteil beträgt rund 12 Pro- Lizenzen auf die Steuerzahlung der Unternehmen recht- zent. Erst ab 2005 steigen die Steuerausfälle der Kommu- fertigen eine Änderung bei der Gewerbesteuerumlage nen deutlich an, bleiben aber anteilig mit rund 11 Prozent nicht. Hier wäre es vielmehr angebracht gewesen, die Kommunen direkt an den Einnahmen zu beteiligen. weiterhin unterhalb des Anteils der Kommunen an den gesamten Steuereinnahmen. Ich fasse zusammen: Weil der Antrag zur Zerlegung der Gewerbesteuer sachlich verfehlt ist und der Antrag zur Ich halte fest: Die Kommunen sind demzufolge unter- Gewerbesteuerumlage nur einen berechtigten Teilaspekt proportional an der Finanzierung der Steuerreform betei- aufgreifen würde, der den Blick die Gesamtproblematik ligt. Auch aus der Statistik über die kommunalen Einnah- eher versperrt, wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion men der Kommunen für das Jahr 2000 ergibt sich, dass beide Anträge ablehnen. sich die finanzielle Lage in der Summe – Finanzierungs- saldo oder Nettokreditaufnahme – eher entspannt hat. Un- Unter der Regierung Kohl ging es uns gut. Unter der abhängig davon befinden sich die einzelnen Kommunen Regierung Schröder geht es uns besser. Aus kommunaler in sehr unterschiedlichen Haushaltslagen. Dies gilt im Sicht kann die Forderung nun lauten: Ach, ginge es uns Grunde auch für Kommunen in den neuen Ländern, je doch wieder gut! nach wirtschaftlicher Entwicklung und Höhe der Arbeits- losigkeit. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Die PDS fordert in dem einen Antrag die Rücknahme Auswirkungen der Steuerreform werden natürlich nicht der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage im Rahmen der nur von Bund und Ländern getragen, sondern auch von Steuerreform. Diesem Begehren werden wir nicht zu- den Kommunen. Im Rahmen der föderalen Finanzvertei- stimmen, weil von der Tendenz her die Städte und Ge- lung erhalten die Kommunen ihren Anteil an den Steuer- meinden die Gewinner der Unternehmensteuerreform einnahmen und umgekehrt tragen sie natürlich auch an- sind. Die Mehreinnahmen ergeben sich im Wesentlichen teilig die Steuermindereinnahmen in Folge der aus den zur Gegenfinanzierung der Steuerreform vorge- Steuersenkungen. sehenen veränderten Abschreibungsbedingungen. Diese Auf eines muss an dieser Stelle einmal ganz deutlich verbreitern die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer hingewiesen werden: Wir sind es gewesen, die sich von und führen so unter dem Strich sogar zu mehr Gewerbe- Anfang an für den Erhalt der Gewerbesteuereinnahmen in steuereinnahmen. Durch die Erhöhung der Gewerbe- (B) voller Höhe und vollem Hebesatzrecht und damit der Fi- steuerumlage in der verabschiedeten Form wird in der (D) nanzautonomie der Kommunen eingesetzt haben. Wir ha- Summe eine angemessene Beteiligung der Kommunen an ben deshalb schon bei den konzeptionellen Überlegungen der Steuerreform erreicht. An der Finanzierung der Tarif- zur Steuerreform die Variante der Gewerbesteueranrech- reform in der Einkommensteuer sind die Kommunen in nung auf die Einkommensteuerschuld favorisiert. Mit der etwa in Höhe ihres 15-prozentigen Anteils am Gesamt- Gewerbesteueranrechnung sind gleich zwei Probleme aufkommen beteiligt. Die Erhöhung der Gewerbesteuer- gelöst. Die Personenunternehmen sind nahezu vollständig umlage ist ansteigend gestaltet in den Jahren 2001 bis von der Gewerbesteuer entlastet und die Kommunen 2005 und wird ab 2006 abgemildert. Da die finanziellen behalten ihre Gewerbesteuereinnahmen und Finanzauto- Mehreinnahmen der Kommunen wegen der veränderten nomie. Abschreibungsbedingungen zwangsläufig auf Schätzwer- ten beruhen, hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Gerade dieses Element der Steuerreform bewirkt zu- dafür eingesetzt, dass spätestens Anfang des Jahres 2004 sammen mit der Absenkung des Einkommensteuertarifs eine Überprüfung der Höhe der Gewerbesteuerumlage er- und des Eingangsteuersatzes eine Förderung kleinerer und folgt. So wird es jetzt auch gemacht. mittlerer Unternehmen in den Städten und Gemeinden. In einem weiteren Antrag der PDS wird eine Änderung Für uns stand die ganze Zeit fest. Die Reform der Un- des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbesteuermessbetrages ternehmensbesteuerung und dreistufige Absenkung der vorgeschlagen. Die PDS schlägt vor, von der bisherigen Einkommensteuer sind gemeinsame Reformanstrengun- Lohnsumme abzugehen und die Gewerbesteuer nach gen von Bund, Ländern und Kommunen. An der Finan- Maßgabe der Arbeitsplätze und des Wertes der Betriebs- zierung dieser Entlastungen für Bürger und Unternehmen anlagen aufzuteilen. Sie erweckt damit den Eindruck, als sind alle staatlichen Ebenen anteilig beteiligt, also auch könne eine veränderte Gewerbesteueraufteilung das Ein- die Kommunen. Unsere Steuerentlastungen verbessern nahmeproblem vieler ostdeutscher Städte und Gemeinden die Bedingungen für Investitionen, erhöhen die verfüg- lösen. Erst mehr wirtschaftliche Aktivitäten werden die- baren Einkommen in den Kommunen und begünstigen ses Dilemma beseitigen. Den vorgeschlagenen veränder- damit die Schaffung von Arbeitsplätzen. ten Maßstab halten wir nicht für geeignet. Solange es die Die Früchte dieser Politik werden steigende Einnah- Gewerbesteuer gibt, ist der Anteil der Arbeitslöhne besser men bei der Gewerbesteuer und geringere Belastungen geeignet als die Anzahl der Arbeitsplätze, weil die Ge- aus der Finanzierung zum Beispiel von Sozialleistungen werbesteuer eine Steuer auf einen Teil der Wertschöpfung sein. Dies kommt vor allem den Kommunen zugute. Der ist. Deswegen sollte auch eine Aufteilung entsprechend Anteil der Kommunen an den reformbedingten unmittel- der Höhe der Wertschöpfung je Kommune erfolgen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16193

(A) Kommt man im Rahmen der ausstehenden kommuna- rechts durch den Deutschen Bundestag vergangen, das (C) len Finanzreform zu dem Ergebnis, dass die Gewerbe- reformierte Staatsangehörigkeitsgesetz ist seit dem 1. Ja- steuer abgeschafft wird und ein Hebesatzrecht der nuar 2000 in Kraft. Heute haben wir über die Verlänge- Kommunen im Rahmen der Einkommenssteuer oder Um- rung der Regelungen zur vereinfachten Kindereinbürge- satzsteuer eingeräumt wird, dann muss auch der Vertei- rung zu entscheiden. Dies ist eine gute Gelegenheit, eine lungsschlüssel neu gestaltet werden. Strukturschwachen erste Bilanz über das neue Staatsangehörigkeitsrecht zu Gemeinden und Kommunen, also insbesondere auch für ziehen. viele Gegenden der neuen Länder, muss im Rahmen einer Zwar ist die Datenbasis noch zu schmal, um quantita- gezielten Strukturpolitik geholfen werden, und zwar nicht mit veränderten Schlüsselzahlen im Rahmen der Gewer- tive Aussagen zu treffen, da die Einbürgerungsbehörden besteuer. erst jetzt damit beginnen, ihre Angaben dem Statistischen Bundesamt zu übermitteln. Aber in einer ersten qualitati- ven Bewertung können wir bereits feststellen, dass die Gerhard Schüßler (F.D.P.): Das Grundanliegen der Kernpunkte der Reform greifen – und dass sich das Be- beiden vorliegenden Anträge der PDS-Fraktion ist die wusstsein in der Bevölkerung ändert, dass über Integra- ausreichende Finanzausstattung der Gemeinden. Diesem tion, Staatsangehörigkeit und Zuwanderung heute diffe- Anliegen wird jedes Mitglied dieses Hauses uneinge- renzierter diskutiert werden kann, als dies noch vor zwei schränkt zustimmen. Bei der Frage, wie wir für eine aus- Jahren der Fall war. Ich nenne hier Staatsangehörigkeit, reichende Finanzausstattung der Gemeinden sorgen kön- Integration und Zuwanderung bewusst in einem Zusam- nen, scheiden sich allerdings die Geister. menhang, denn die Reform des Staatsangehörigkeitsge- Um es gleich vorwegzunehmen: Die F.D.P. bleibt bei setzes war nur der erste Schritt bei der grundlegenden Er- ihrer Forderung, die Gewerbesteuer endgültig abzuschaf- neuerung unseres Ausländer- und Einwanderungsrechts. fen. Bei der Gewerbekapitalsteuer ist das bereits gelun- Dies wird eines der wichtigsten politischen Vorhaben der gen. Grund dafür war allerdings nicht die Einsicht, dass nächsten Jahre sein und wir sollten hier die Mahnung des diese Steuer die Unternehmen schwächt. Alles, weil die Bundespräsidenten beherzigen: Die Diskussion muss so Einführung dieser Substanzsteuer in den neuen Ländern geführt werden, dass weder Angst geschürt noch Illusio- drohte, konnte beseitigt werden. Die Kommunen benöti- nen geweckt werden. gen eine wirtschaftskraftbezogene eigene Steuerquelle, Am heutigen Tag können wir eine weitere erfreuliche das heißt, sie müssen mittels eines Hebesatzrechtes die Feststellung treffen: Alle Bundestagsfraktionen außer der Höhe der Steuer festlegen können. CDU/CSU sind sich einig, dass der frühzeitigen Integra- Die F.D.P. schlägt vor, im Gegenzug zum Wegfall der tion der in Deutschland aufwachsenden Kinder ausländi- (B) Gewerbeertragsteuer auf Gemeinden ein eigenes Hebe- scher Familien eine überragende Bedeutung zukommt. (D) satzrecht auf die Einkommensteuer, alternativ auf die SPD, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS tragen ge- Umsatzsteuer, einzuräumen. Die Gewerbeertragsteuer ist meinsam den Antrag, die Regelung zur erleichterten Kin- eine Sonderbelastung der Unternehmen. Gerade die PDS dereinbürgerung zu verlängern. Bei den Kolleginnen und müsste daran interessiert sein, diese Belastung zu beseiti- Kollegen aus den Reihen der Union fehlt es leider auch gen, um dadurch Entlastungseffekte auch für ostdeutsche heute an der Bereitschaft, sich an der Suche nach den bes- Unternehmen zu erzielen. Der Wegfall der Gewerbeer- ten Lösungen für die zentralen Fragen der Innenpolitik zu tragsteuer wäre gleichzeitig ein spürbarer Beitrag zur Ver- beteiligen. Das ist umso bedauerlicher, als viele von ihnen einfachung unseres Steuerrechts. Wir müssten uns dann heute schon ganz anders über Zuwanderung denken als nicht mit hochkomplizierten Verrechnungsmodalitäten vor zwei Jahren. und mit der Höhe der Gewerbesteuerumlage befassen. Vor einer Woche haben Sie sich einem gemeinsamen Die vorliegenden Anträge lehnt die F.D.P. daher ab. Antrag gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus verweigert. Beim NPD-Verbotsan- trag haben Sie nicht zu einer einheitlichen Linie gefunden. Anlage 7 Während die bayerische Landesregierung den Verbotsan- trag nachdrücklich gefordert hat, konnten Sie sich hier im Zu Protokoll gegebene Reden Bundestag nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen aller zur Beratung der Entwürfe: demokratischen Parteien entschließen. Heute stellen Sie sich wiederum gegen ihre Landesregierungen. Die hessi- – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge- sche CDU/F.D.P.-Koalition – man höre und staune – hat setzes in den Ausschussberatungen des Bundesrates die Verlän- – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge- gerung der bisherigen Regelung zur vereinfachten Kin- setzes und des Ausländergesetzes dereinbürgerung um ein Jahr vorgeschlagen. Hier können Sie sich an Roland Koch ausnahmsweise einmal ein Vor- und zur Beratung des Antrags: „Schlussoffensive“ für bild nehmen! erleichterte Einbürgerung von Kindern Wieder einmal kann man es nicht besser sagen als mit (Tagesordnungspunkt 21 a und b) den Worten von Willy Brandt: „Ich dachte, wir wären schon weiter.“ Wie wollen Sie glaubwürdig über Zuwan- Dr. Michael Bürsch (SPD): Nahezu zwei Jahre sind derung diskutieren, wenn Sie schon der Integration der seit der Verabschiedung des neuen Staatsangehörigkeits- hier im Lande geborenen Kinder Steine in den Weg legen? 16194 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Die Debatte über Zuwanderung und Integration von reichen Familien, als erhebliches Hemmnis für die Ein- (C) Ausländern ist in Bewegung geraten und zum Glück wird bürgerungsbereitschaft erwiesen hat. sie zunehmend sachlicher geführt. Wir haben mit der Än- Diese Absenkung um 400 DM pro Kind bedeutet ver- derung des Staatsbürgerschaftsrechts den Anfang ge- kraftbare Einnahmeausfälle heute, aber eine erhebliche macht. Millionen Menschen, die dieses Land mit aufge- Ersparnis an Anstrengungen und Kosten in der Zukunft, baut haben, die erheblich zum wirtschaftlichen Erfolg wenn die Integration im Erwachsenenalter mit ungewis- Deutschlands beitragen, die sich ehrenamtlich engagieren sen Erfolgsaussichten nachgeholt werden muss. Einen und unsere Gesellschaft nachdrücklich geprägt und berei- kleinkarierten Streit über die angemessene Höhe der Ver- chert haben, wurde mit der Reform das Angebot rechtli- waltungsgebühren sollten wir uns ersparen und stattdes- cher Gleichstellung und politischer Teilhabe gemacht. sen klarstellen, wie wichtig – und wie viel wert – uns die Staatsangehörigkeit kann Integration nicht ersetzen, frühzeitige Integration der in Deutschland aufwachsenden aber sie kann und muss sie ergänzen. Die Bedeutung der Kinder ausländischer Familien ist. Staatsangehörigkeit für die Integration darf nicht über- Wir machen mit der heutigen Entscheidung einen wei- schätzt, sie darf aber auch nicht unterschätzt werden. Erst teren Schritt zur erleichterten Einbürgerung von Auslän- die Staatsangehörigkeit gewährleistet einen verlässlichen dern. Der nächste, erheblich größere Schritt wird die Status, der ein wirklich gleichberechtigtes Zusammenle- Regelung von Zuwanderung und Integration sein, die wir ben erst ermöglicht. noch in diesem Jahr auf den Weg bringen werden. Ich Wenn dies schon für die Elterngeneration richtig ist, hoffe, dass wir dann alle Fraktionen dieses Hauses im Boot wiederfinden. dann gilt dies erst recht bei den Kindern. Der Kernpunkt der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die Ergän- zung des Abstammungsprinzips durch das Geburtsrecht, Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Das Thema das Jus soli, soll es den hier geborenen Jugendlichen er- gibt Anlass darauf hinzuweisen, dass es hinsichtlich der leichtern, sich mit ihrem Heimatland Deutschland zu Integration von in Deutschland lebenden Ausländern un- identifizieren. Rund 50 000 der im vergangenen Jahr in terschiedliche Lösungsansätze und Grundpositionen gibt, Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern be- die verschiedener kaum sein könnten. Da ist zum einen sitzen aufgrund der neuen Regelung bereits von Geburt an die Position derer, die das deutsche Staatsangehörigkeits- die deutsche Staatsangehörigkeit. recht zum 1. Januar 2000 geändert haben, die heute zu die- sem Gesetz das fünfte oder sechste Änderungsgesetz Diese Möglichkeit soll auch weiterhin ihren nur we- – irgendwann hört man mal auf zu zählen – einbringen nige Jahre älteren Geschwistern offen stehen. Leider blieb und die der Auffassung sind, der Pass sei das geeignete (B) die Zahl der Einbürgerungsanträge auf Grundlage der be- Mittel zur Integration. In der Konsequenz bedeutet diese (D) fristeten Regelung des § 40 b des Staatsangehörigkeitsge- Meinung nichts anderes als: Wenn man nur möglichst setzes hinter den Erwartungen zurück. Bis zum Ablauf der viele Pässe verteilt, dann gibt es möglichst wenig Pro- Antragsfrist wurde nur für höchstens 30 000 der über bleme mit der Integration. Das ist aber nicht unsere Posi- 300 000 einbürgerungsberechtigten Kinder ein Antrag ge- tion. Wir sehen es genau umgekehrt: Zunächst kommt für stellt. Nach den Erfahrungen der Einbürgerungsbehörden uns die Integration, und dann – nach erfolgtem und erfol- haben vor allem die überhöhten Gebühren von 500 DM greichem Integrationsprozess – kommt der Pass. Also dazu beigetragen, dass die vielfach einkommensschwa- nicht der Pass als Mittel zur Integration, sondern die Ver- chen Familien vor einem Antrag zurückschreckten. leihung der Staatsbürgerschaft am Ende des Integrations- prozesses. Am Sinn der Regelung zur Kindereinbürgerung be- steht kein Zweifel. Wir wollen diesen Kindern im Klein- Dass der Pass nicht automatisch zur Integration in kind-, Kindergarten- und Grundschulalter die bestmögli- Deutschland führt, kann man, wenn man nicht völlig blind chen Integrationsbedingungen bieten. Denn in den ist, wirklich klar beobachten. Mehr als eine Million Men- Kindergärten und Schulen entscheidet sich, ob die Inte- schen haben sofort einen deutschen Pass erhalten, als sie gration in unserem Land gelingt. Dies sind die Lernorte aus einem völlig anderen Kulturkreis nach Deutschland des Zusammenlebens. kamen. Sie hätten eigentlich sofort und ohne Probleme nach rot-grüner Logik integriert sein müssen. Aber wol- Es wäre für die Betroffenen nicht nachvollziehbar, len Sie im Ernst die Probleme bestreiten, die wir mit wenn in einer Familie die beiden älteren Geschwister – sa- Spätaussiedlern – etwa aus Kasachstan – haben? Wollen gen wir einmal: im Alter von zwei und vier Jahren – nicht Sie im Ernst behaupten, gerade die Jüngeren aus dieser das Optionsrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit ha- Gruppe würden sich dank des deutschen Passes hier gera- ben, während ihre neugeborene Schwester den deutschen dezu optimal und problemfrei integrieren? Ich müsste Sie Pass in die Wiege gelegt bekommt. Einen solchen Riss dann schon fragen, wo Sie eigentlich leben. Wer diese durch die Familien wollen wir vermeiden. Probleme nicht sieht oder nicht sehen will, der leidet ent- Deshalb wollen wir die Antragsfrist um zwei Jahre, bis weder unter Realitätsverlust oder unter einer schlimmen zum 31. Dezember 2002, verlängern. Wir wollen darum Ideologie. Beides wäre bedenklich. werben, den Rechtsanspruch auch zügig einzulösen, des- Im Übrigen, gestatten Sie den Hinweis, ging und geht halb bleibt es bei einer Befristung. Wir senken aber es Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Rot- gleichzeitig die Einbürgerungsgebühr von 500 DM auf Grün, natürlich um mehr: Sie wollen allen in Deutschland 100 DM, da sich die Höhe der Gebühr, zumal bei kinder- lebenden Ausländern die generelle doppelte Staatsbürger- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16195

(A) schaft geben, sind damit aber am Widerstand der Bevöl- Auch unter integrationspolitischen Gesichtspunkten ist (C) kerung und der Opposition von CDU und CSU geschei- das rot-grün-gelbe Gesetzeswerk durchgreifenden Beden- tert. Aufgegeben haben Sie Ihr Vorhaben, so ist zu be- ken ausgesetzt. Die Vorschrift eröffnet auch dann einen fürchten, dass sie es jetzt in kleinen Schritten nicht nur Einbürgerungsanspruch, wenn Kinder von Ausländern verwirklichen. Damit hatten Sie allerdings die Menschen gar nicht in Deutschland leben, sondern im Ausland auf- hinters Licht geführt. Wir werden Ihnen das nicht so ohne wachsen, dort die Schule besuchen, kein Wort Deutsch weiteres durchgehen lassen. sprechen, Deutschland nie kennen gelernt oder vielleicht überhaupt noch nie gesehen haben. In diesen, in der Pra- Sie setzen ihr Stückwerk fort, allerdings so, dass wie- xis nicht seltenen, Fällen kann die mit der Einbürgerung der Stückwerk entsteht, sodass die nächsten Änderungs- intendierte Integrationserleichterung überhaupt nicht gesetze schon vorprogrammiert sind. Vielleicht möchte funktionieren, sie ist von vornerherein absolut ausge- der Bundesinnenminister in Sachen Änderungsgesetzge- schlossen. Gesetzeszweck und das vorgelegte Gesetz ste- bung – von der Anzahl her gesprochen, über Qualität ist hen einander wirklich diametral gegenüber. Behaupten in diesem Zusammenhang schon lange nicht mehr zu re- Sie bitte nicht, dass dies Einzelfälle wären. Ausländer- den – seinen Kollegen Riester oder die ehemalige Kolle- behörden beantworten die Frage, wie viele dieser jungen, gin Fischer noch toppen. Nur möchte ich klar sagen: Das bei uns geborenen Menschen zum Zwecke des Schulbe- Staatsangehörigkeitsrecht ist eine sensible Materie, es ist suchs und der Ausbildung in das Heimatland Türkei ver- ein Rechtsgebiet, welches mehr als andere auf Kontinuität bracht werden, mit 30 bis 40 Prozent. Das sind also nicht und Berechenbarkeit angelegt ist. Das liegt in der Natur nur Ausnahmefälle, die man vernachlässigen könnte! Mit der Sache. Wenn ihre Änderungsgesetzgebung nun nicht der geplanten Verlängerung der Antragsfrist nach § 40 b aus handwerklichem Unvermögen, sondern gar aus Ab- StAG um weitere zwei Jahre verantworten Sie, dass die sicht geschähe, dann wäre dies bei dieser Materie sehr zu integrationspolitisch bedenklichen Fälle in Zukunft deut- kritisieren. Es wäre nämlich in hohem Maße verantwor- lich zunehmen könnten. Sie leisten der Sache insgesamt tungslos. damit allerdings einen Bärendienst. Nun soll also, vermutlich nach dem Willen einer Mehr- Sie wollen die Einbürgerungsgebühr von 500 DM auf heit hier im Deutschen Bundestag, das Staatsangehörig- 100 DM senken. Auf Länderebene – und da sitzen ja die keitsrecht erneut geändert werden. Im Wesentlichen soll Praktiker – geht man davon aus, dass die nach rot-grüner für die Kinder von Ausländern, die bei In-Kraft-Treten Auffassung zu niedrigen Antragszahlen überhaupt nicht des Gesetzes am 1. Januar 2000 noch keine zehn Jahre alt auf die Höhe der Einbürgerungsgebühr zurückzuführen gewesen sind, die Frist, innerhalb der erklärt werden sind. Schon deshalb ist die entsprechende Behauptung in kann, dass auch diese Kinder zusätzlich die deutsche der Gesetzesbegründung des Gesetzentwurfs von SPD, Staatsbürgerschaft erhalten und die am 31. Dezember (B) Grünen und F.D.P. nicht zutreffend. (D) 2001 ablaufen wird, gleich um zwei Jahre verlängert wer- den; außerdem soll die Gebühr für diese Einbürgerungen Aber es gibt weitere Gründe, warum diese drastische von 500 DM auf 100 DM gesenkt werden, was dann zwar Gebührenabsenkung nicht akzeptiert werden kann. Mit nicht mehr kostendeckend, aber, nach Auffassung von der „Discount-Gebühr“, die jetzt eingeführt werden soll, Rot-Grün und leider auch der F.D.P., ein Integrations- werden die entstehenden Kosten bei weitem nicht ge- hemmnis beseitigen würde. Es wird sicherlich deckt. Die tatsächlichen Kosten betragen mindestens das niemanden verwundern, dass wir von CDU/CSU dem kei- Doppelte. Nun verfährt die rot-grüne Bundesregierung nesfalls zustimmen können. Die vorgesehene Verlänge- hier nach einem Grundsatz, den wir leider aus vielen an- rung der Antragsfrist für Einbürgerungen nach § 40 b deren Bereichen nur zu gut kennen: In Berlin beschließen StAG betrifft eine Gesetzesbestimmung, welcher wir im Rot und Grün, bezahlen dürfen dann die Länder und Kom- Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Reform des munen. So geht das nicht! Diese kommunalfeindliche Staatsangehörigkeitsrechts bereits von Anfang an aus Einstellung wird immer auf unseren erbitterten Wider- grundsätzlichen Erwägungen widersprochen haben. Mit stand treffen! dieser Vorschrift wird nämlich der Grundsatz der Vermei- Was ist eigentlich mit dem viel zitierten Verursacher- dung von Mehrstaatigkeit massiv infrage gestellt. Damit prinzip, das Sie hier mit Füßen treten? Ich vermag nicht wird ein das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht maßgeb- einzusehen, warum die tatsächlich entstehenden Kosten lich prägender Grundsatz eklatant verletzt. Wir wollen bei Einbürgerungsverfahren von der Allgemeinheit der auch in Zukunft im Grunde genommen mehrere Staats- kommunalen Gebühren- und Steuerzahler gezahlt werden bürgerschaften bei einer Person vermeiden, Sie aber, Kol- soll, nur weil es einer rot-grün-gelben Mehrheit im Deut- leginnen und Kollegen von Rot-Grün, haben ja eine an- schen Bundestag so in den Kram passt. Wer bestellt, soll dere Auffassung, können mit der Verletzung dieses auch bezahlen! Das muss auch bei der Einbürgerung gel- Eckpfeilers des Staatsangehörigkeitsrechts aber gut leben. ten! Die Gebühr wäre bei Kostendeckung ja ganz sicher Mit einem müssen Sie allerdings auch leben, nämlich, nicht so hoch, dass jemand, dem es Ernst ist mit der deut- dass wir unsere Meinung sagen und als Opposition im schen Staatsangehörigkeit, sich davon abhalten ließe. Das Deutschen Bundestag Ihre Meinung, die übrigens ja auch wäre doch geradezu absurd! von einer ganz klaren Mehrheit der Bevölkerung für falsch und inakzeptabel gehalten wird, deutlich kritisie- Zu absurden Ergebnissen würde im Übrigen das Wei- ren. Also: Mit dieser berechtigten Kritik unsererseits wer- terentwickeln ihrer Logik führen. Wissen Sie, meine Da- den Sie heute, aber auch bei Ihren weiteren Vorhaben, ein- men und Herren von SPD, Grünen und F.D.P. und PDS: fach leben müssen, auch wenn es weh tut. Wenn die Einbürgerungsgebühr ein Hemmnis für den 16196 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Einbürgerungsantrag ist und sich nach Absenken der Ge- Die heute zur Beratung anstehenden Gesetzentwürfe (C) bühr nach zwei Jahren immer noch nach Ihrer Lesart zu sind vor diesem Hintergrund ein positiver Schritt. So soll wenig Einbürgerungsanträge angesammelt haben, dann die Frist für die Einbürgerung ausländischer Kinder um müssten sie eigentlich eine Einbürgerungsprämie ausset- zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2002 verlängert wer- zen. Ja, das wäre dann in der Tat absurd, aber diese Zu- den. Gleichzeitig soll die Hürde hoher Verwaltungskosten spitzung zeigt, wie falsch sie schon im Ansatz liegen. entfallen und die Gebühren für die Kindereinbürgerung auf 100 DM gesenkt werden. Dies soll auch für alle sons- Auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ist übrigens tigen Einbürgerungen Minderjähriger gelten. die Senkung der Gebühr von 500 DM auf 100 DM be- denklich. Was ist eigentlich mit den Eltern, welche den Erfreulich ist auch, dass die Gesetzentwürfe der Koali- Antrag nach geltendem Recht fristgerecht gestellt haben, tion und der F.D.P. in den Ausschüssen zusammengeführt sich also rechtstreu verhalten haben, und eine fünfmal so werden konnten – sozusagen als Konsens der Demo- hohe Gebühr bezahlt haben? Was werden Sie diesen El- kraten. tern sagen, wenn diese Sie fragen: Wie ist das gerechtfer- Für sich selbst spricht das Verhalten der Union: Wie tigt oder ist das nicht sogar eine willkürliche Ungleichbe- schon bei der Ablehnung eines gemeinsamen Antrags handlung? Darauf hörte ich gerne eine Antwort von Ihnen, zum Thema „Bekämpfung des Rechtsextremismus“ in der was Sie diesen Menschen dann sagen. Und wie Sie die in- vergangenen Woche verweigert sie sich auch bei diesem nere Logik auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ih- wichtigen integrationspolitischen Thema und gerät so im- rer Regierungs- und Gesetzgebungskunst dann auch im mer weiter ins Abseits. Denn die vorgeschlagenen Geset- Grundsätzlichen rechtfertigen. zesänderungen bieten eine neue Chance für die rechtliche Aber vielleicht ist diesen Menschen ja auch zu antwor- Integration ausländischer Kinder. Auch wenn die Zahl der ten: Wartet noch ein bisschen zu, mit euren hunderttau- berechtigten Kinder nicht größer wird, so besteht doch sendfachen Einbürgerungsanträgen. SPD, F.D.P. Grüne eine erneute Möglichkeit zur Einbürgerung für diejeni- und PDS im Deutschen Bundestag, eine satte Mehrheit je- gen, die diese bisher nicht wahrgenommen haben. Vor denfalls, will euch alle einbürgern. Koste es, was es wolle. dem Hintergrund, dass in fast allen Parteien und bei den Und vielleicht kostet es in zwei Jahren nicht einmal mehr Bürgerinnen und Bürgern die Einsicht wächst, dass Inte- gration möglichst früh beginnen sollte, verschenken wir die hundert Mark, vielleicht gibt es die deutsche Staats- eine einmalige Chance, wenn wir nicht alles Mögliche angehörigkeit dann ganz umsonst. Vielleicht, wer weiß, tun, auch den Integrationsprozess der bereits heute hier le- kommt sie irgendwann ja doch noch, die rot-grüne Ein- benden Kinder bis zu zehn Jahren, die in Kindergarten bürgerungsprämie dafür, dass man endlich die deutsche und Schule erste prägende Erfahrungen gemacht haben, Staatsbürgerschaft annimmt. (B) möglichst frühzeitig zu erleichtern. (D) Hoffentlich kommt es aber nie so weit. Denn bis dahin Um der Gesetzesinitiative zum Erfolg zu verhelfen, haben wir, das hoffe jedenfalls, wieder andere Mehrheits- sind allerdings insbesondere die Bundesländer gefragt. verhältnisse im Deutschen Bundestag. Und diese Mehr- Ich fordere daher die Länder auf, bei den Beratungen im heit wird dann dem absurden Spuk im Interesse einer ganz Bundesrat ihre teilweise kleinmütige Haltung gegenüber großen Mehrheit der Deutschen, in Wahrheit aber auch im dieser Gesetzesänderung aufzugeben und ihr zuzustim- Interesse der Integration der bei uns lebenden Ausländer, men. Bornierte haushaltspolitische Vorbehalte gegen die ein Ende bereiten. abgesenkte Einbürgerungsgebühr helfen nicht weiter. Ich appelliere ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der F.D.P., darauf hinzuwirken, in den Koalitionsver- NEN): Das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeits- handlungen in Baden-Württemberg ihr eigenes Anliegen gesetzes vom Juli 1999 sieht eine erleichterte Einbürge- nochmals einzubringen. rung für Minderjährige, die nach dem 1. Januar 1990 Wer der rechtlichen Gleichstellung selbst hier gebore- geboren wurden, bis zum 31. Dezember 2000 vor. Von ner ausländischer Kinder Steine in den Weg legt, dem liegt diesem Recht haben bis zum Ende letzten Jahres jedoch deren Integration offensichtlich nicht am Herzen. lediglich zehn Prozent der etwa 300 000 berechtigten Kin- der Gebrauch gemacht. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die Erfahrung der letzten Vor allem die Einbürgerungsgebühr von 500 DM ist für Jahre hat gezeigt, dass der Gesetzgeber gut beraten ist, bei viele Eltern ein Hindernis, den für die frühzeitige Integra- Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts behutsam tion der Kinder notwendigen Antrag zu stellen. Dies wird vorzugehen. Nur dann ist die Akzeptanz in der Bevölke- uns vor allem von Beratungsstellen und Ausländerbeauf- rung gewährleistet. Die grundlegende Modernisierung tragten immer wieder berichtet. Es ist den betroffenen El- des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 1999 tern oft nur schwer zu vermitteln, weshalb ihr Kind, das hat unter maßgeblichem Einfluss der F.D.P. diese Anforde- im Jahr 2000 hier geboren wurde, kraft Gesetz und damit rungen erfüllt. Nun muss sich das neue Recht in der Pra- gebührenfrei die deutsche Staatsangehörigkeit erhält, xis bewähren. Für einschneidende Änderungen ist daher während sie für jedes noch nicht zehnjährige Kind einen kein Raum. Dennoch muss der Gesetzgeber korrigierend gesonderten Antrag stellen und die Gebühr von 500 DM eingreifen, wenn einzelne Vorschriften des neuen Rechts wie bei der Einbürgerung eines Erwachsenen zahlen sich schon nach kurzer Zeit nicht als praxistauglich er- müssen. wiesen haben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16197

(A) Die F.D.P. war der Überzeugung, dass ein möglichst naue Zahlen ist die Bundesregierung auch nach einer Klei- (C) frühzeitiger Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nen Anfrage der PDS schuldig geblieben. den hier aufwachsenden Kindern ausländischer Eltern die Die Entwicklung ist für die Bundesregierung enttäu- Integration in Deutschland wesentlich erleichtert. Dieses schend, und sie lässt sich nicht mehr schönreden. Die Integrationsangebot wurde auch den Kindern gemacht, Gründe dafür sind vielfältig und beruhen auf den gravie- die bereits vor der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts renden Schwachstellen des geltenden Rechts. Vor diesem geboren worden sind, wenn sie das zehnte Lebensjahr Hintergrund hat der Innenausschuss mit seiner Beschluss- noch nicht vollendet haben. Die Frist hierfür ist Ende empfehlung einen wichtigen Schritt gemacht. Auf Antrag 2000 abgelaufen. der PDS schlägt er vor: Die Bundesregierung soll aufge- Es hat sich gezeigt, dass eine Verlängerung dieser Frist fordert werden, das Europäische Übereinkommen über geboten ist. Von der Regelung ist nicht in dem von uns er- die Staatsangehörigkeit zu unterzeichnen und zur Ratifi- hofften Umfang Gebrauch gemacht worden. Dafür gibt es zierung vorzulegen. sicherlich unterschiedliche Gründe. Von den Betroffenen Worum geht es dabei? Das Staatsangehörigkeitsgesetz wird aber als einer der Hauptpunkte die zu hohe Einbür- zwingt die in Deutschland geborenen Kinder ausländi- gerungsgebühr von 500 DM pro Kind genannt. Von der scher Eltern, die eine „Schnupperstaatsangehörigkeit“ un- Möglichkeit der Gebührenermäßigung oder Gebührenbe- ter Beibehaltung ihrer bisherigen Nationalität erworben freiung zugunsten der Antragsteller wurde in der Praxis haben, sich bis zum 23. Lebensjahr für eine der beiden kaum Gebrauch gemacht. Daher hat die F.D.P. die Initia- Staatsangehörigkeiten zu entscheiden. Das Ausländerge- tive ergriffen, dieses finanzielle Einbürgerungshindernis setz verlangt in den übrigen Fällen, dass der Einbürge- zu beseitigen, und vorgeschlagen, die Einbürgerungs- rungsbewerber vor Antragstellung die bisherige Staatsan- gebühr für minderjährige Kinder generell auf 100 DM gehörigkeit verloren hat oder aufgibt. herabzusetzen. Selbst wenn die Verwaltungskosten etwas Man kann sich vorstellen, welche seelischen Konflikte höher sein sollten, erscheint uns der erzielbare Integrati- damit ausgelöst werden. Viele Menschen haben noch onsfortschritt diesen Preis wert. enge – emotionale, kulturelle, rechtliche – Beziehungen In der Konsequenz dieses Vorschlages haben wir auch zu dem Land, aus dem sie gekommen sind. Diese Bin- für eine Verlängerung der Einbürgerungsfrist um ein Jahr dungen drohen zu zerreißen, wenn sie die bisherige plädiert. Staatsangehörigkeit aufgeben. Viele Eltern haben Angst vor „Loyalitätskonflikten“ zwischen ihnen und der alten Diese Initiative der F.D.P. hatte den Erfolg, dass seitens Heimat einerseits und den Kindern andererseits. Für sie ist der Koalition ein eigener Gesetzentwurf vorgelegt wurde, es undenkbar, dass ihre Kinder die alte Staatsangehörig- (B) der sich vom F.D.P.-Entwurf nur darin unterscheidet, dass keit aufgeben, weil sie noch enge emotionale und auch (D) die Einbürgerungsfrist bis 31. Dezember 2002 verlängert bürgerlich-rechtliche Bindungen an das Herkunftsland werden soll. Dem ist jetzt zuzustimmen, da das Gesetz- haben, die sie nicht aufgeben, sondern im Gegenteil pfle- gebungsverfahren bereits mehrere Monate in Anspruch gen und erhalten wollen. Weil man auf Teufel komm raus genommen hat, sodass eine Fristverlängerung bis Ende an der Fiktion festhalten wollte, es dürfe keine – oder zu- 2001 nicht mehr ausreichen würde. mindest nur in äußerst geringem Umfang – Mehrstaatig- Die F.D.P.-Fraktion begrüßt die jetzt im Innenaus- keit geben, zwingt man Menschen zu solchen Konflikten. schuss gefundene gemeinsame Beschlussvorlage aus- Soweit das derzeitige deutsche Recht. drücklich, hat doch noch im letzten Jahr die Bundesregie- Der Europarat hat am 6. November 1997 in Straßburg rung auf eine Anfrage unserer Fraktion erklärt, keinerlei das Europäische Übereinkommen über die Staatsan- Änderungsbedarf in dem von uns gewünschten Sinne zu gehörigkeit zur Unterzeichnung aufgelegt. Das Abkom- sehen. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie konstruktive men ist am 1. März 2000 in Kraft getreten. Deutschland Oppositionspolitik betrieben wird und auch aus der Min- gehört bisher zu den wenigen Mitgliedstaaten des Euro- derheitenposition heraus Verbesserungen erreicht werden. parates – und zu der kleinen Minderheit innerhalb der Eu- Unser weiterer Antrag, eine „Schlussoffensive“ für die ropäischen Union –, die dieses Abkommen nicht unter- Einbürgerung minderjähriger Kinder zu starten, hat sich zeichnet haben. damit derzeit erledigt Art. 14 des Vertrages sieht vor, dass ein Vertragsstaat Kindern, die bei der Geburt ohne weiteres verschiedene Ulla Jelpke (PDS): Das so genannte reformierte Staatsangehörigkeiten erworben haben, die Beibehaltung Staatsangehörigkeitsrecht war bisher eine einzige Enttäu- dieser Staatsangehörigkeiten gestattet, also Mehrstaatig- schung. Die Zahlen der tatsächlichen Einbürgerungen keit ausdrücklich und ohne jedes „Optionsmodell“ er- entsprechen bei weitem nicht den hoch gesteckten Erwar- möglicht. Nach Art. 17 Abs. 1 des Abkommens haben die tungen, die mit dem In-Kraft-Treten des neuen Staatsan- Staatsangehörigen eines Vertragsstaates, die eine weitere gehörigkeitsgesetzes verbunden waren. Die Bundesregie- Staatsangehörigkeit besitzen, im Hoheitsgebiet des Ver- rung hat damals von einer halben bis 1 Million potenzieller tragsstaates dieselben Rechte und Pflichten wie jeder an- Einbürgerungen gesprochen. Die Realität sieht anders aus: dere Staatsangehörige des Vertragsstaates auch. Im Februar 2001 wurde die Staatssekretärin Dr. Sonntag- Mehrstaatigkeit ist danach kein Problem mehr. Der Wolgast in der Presse mit der Aussage zitiert, es habe im Vertrag gibt der Bundesrepublik Deutschland somit die Jahre 2000 „etwa 200 000 Einbürgerungen“ gegeben. Ge- Möglichkeit an die Hand, ihre eigenen hausgemachten 16198 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Probleme zumindest zum Teil zu lösen. Daher der vom Gesetzgebers, auch den bis zu zehn Jahre alten Kindern (C) Innenausschuss übernommene Appell an die Bundesregie- die gleichen Startchancen zu bieten wie denjenigen, die rung: Unterzeichnen Sie endlich das Europäische Über- nach dem 1. Januar 2000 zur Welt gekommen sind. Wir einkommen über die Staatsangehörigkeit und legen Sie es gehen von rund 280 000 Kindern aus, die einen Anspruch dem Parlament zur Ratifikation vor! auf Einbürgerung hätten. Aber nur für 30 000 sind bis Jah- resende Anträge gestellt worden. Man mag über die Zugegeben: Nicht alle Probleme sind damit gelöst. Im Gründe rätseln. Eines aber ist mir in vielen Diskussionen Gegenteil: Es gibt noch viel zu tun. Wir müssen uns zum mit Migranten oft gesagt worden: Ein deutliches Hinder- Beispiel mit den in § 85 des Ausländergesetzes normier- nis war die Frist, innerhalb derer der Antrag gestellt wer- ten weiteren Anforderungen an den Einbürgerungsbewer- den musste. Hinzu kamen die Kosten von im Regelfall ber beschäftigen. Er muss erklären, dass er sich immer 500 DM. Diese Hemmnisse will die Bundesregierung be- brav und verfassungstreu verhalten wird. Zweifel an der seitigen. Wir haben seitens des Bundesinnenministeriums „Ernsthaftigkeit“ der Erklärung führen zur Verweigerung schon seit dem vergangenen Sommer – als sich die kärg- der Einbürgerung. Was soll das? Bestrebungen, die ernst- liche Resonanz auf diesen Teil des Gesetzes abzeichnete – haft die Werte des Grundgesetzes angreifen, bekämpft bei den Ländern gezielt und nachdrücklich für eine gene- man mit dem Strafrecht. Welcher Skinhead hat jemals relle Gebührenermäßigung auf 100 DM geworben. Einige seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren, weil er Mit- Länder folgten dieser Aufforderung, andere aber nicht. glied einer Nazibande war? Aber bei Ausländern soll die Wir wollen aber eine einheitliche Praxis und wir wollen, Staatsangehörigkeit an eine Gesinnungsprüfung geknüpft dass das Staatsangehörigkeitsrecht mit allen seinen Ange- sein. Viele gerade politisch engagierte Menschen, die für boten kräftig genutzt wird. Deshalb hat die Bundesregie- unser demokratisches Gemeinwesen eine Bereicherung rung am 24. Januar 2001 im Kabinett den Gesetzentwurf darstellen, weigern sich, diese entwürdigende Prozedur beschlossen, der heute zur Abstimmung steht. Er sieht über sich ergehen zu lassen. vor, die Antragsfrist für Einbürgerungen nach dem § 40 b Beim Staatsangehörigkeitsrecht geht es um Menschen, das Staatsangehörigkeitsrecht um zwei Jahre zu verlän- die seit Jahren, wenn nicht seit Generationen in Deutsch- gern und die Gebühr auf 100 DM herabzusetzen. Das ver- land leben. Sie haben sich hier integriert, haben zur Ent- schafft den Familien ausreichend Zeit und strapaziert das wicklung dieses Landes einen großen Beitrag geleistet. Portemonnaie nicht unangemessen. Sie zahlen Steuern, Versicherungsbeiträge; sie engagieren Ich weiß wohl, dass es in einigen Ländern noch Vorbe- sich in Vereinen und Organisationen; sie bereichern auf halte gibt und dass dabei auch finanzielle Gründe ange- vielfältige Weise das alltägliche Leben in unserem ge- führt werden. Allerdings: Auch wenn die Absenkung der meinsamen Land. Sie als deutsche Staatsangehörige an- Gebühren kurzfristig zu Mindereinnahmen führt – län- (B) zuerkennen mit allen Rechten und Pflichten ist somit ei- gerfristig kommt sie uns allen zugute. Denn eine frühe In- (D) gentlich nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit. Die tegration, die im Kindergarten und in der Grundschule künstlichen Hürden, die das Gesetz dagegen errichtet, einsetzt, erspart uns Kosten, die später aufgebracht wer- müssen endlich abgebaut werden. Das Staatsangehörig- den müssen, wenn sich Jugendliche von der deutschen keitsrecht wird somit heute nicht zum letzten Mal den Gesellschaft abgewendet haben und die negativen sozia- Deutschen Bundestag beschäftigen. len Folgen spürbar werden. Ich freue mich, dass alle Fraktionen – außer der Union – Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä- sich im Nutzen dieser Gesetzesinitiative einig wissen. rin beim Bundesminister des Innern: Es gibt Positives zu Und ich appelliere an die Freien Demokraten hier im melden. Zwar haben wir noch keine endgültigen statisti- Hause, ihren politischen Willen auch in den Ländern zu schen Ergebnisse darüber, in welchem Maße das neue verankern, in denen sie an der Regierung beteiligt sind. Staatsangehörigkeitsrecht im ersten Jahr seines Bestehens An der Verwaltungsgebühr und an Fristen, sollte die Inte- genutzt worden ist. Aber eines lässt sich schon jetzt sagen: grationsbereitschaft der Zuwanderer in unserem Land Die Kernpunkte der Reform greifen. In fast allen Ländern, nicht scheitern. die schon Daten und Erkenntnisse geliefert haben, sind die Einbürgerungsanträge im Jahr 2000 im Vergleich zu 1999 angestiegen – und zwar in einem Bereich zwischen Anlage 8 25 und 100 Prozent. Das Signal, das die Reform geben wollte, hat also gewirkt. Wir wollen die Einbürgerungen Zu Protokoll gegebene Reden erleichtern und wir wollen den ausländischen Familien, die lange in Deutschland leben, sagen: Ihr seid uns als zur Beratung der Anträge: gleichberechtigte Partner willkommen, ihr seid zur vollen – Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämpfung ille- politischen Teilhabe mit allen Rechten und Pflichten ein- galer Beschäftigung und Schwarzarbeit und geladen und die Kinder sollen vom ersten Lebenstag an zur deutschen Gesellschaft dazugehören. Deshalb ist das – Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Mit- teln eindämmen Jus soli, die Ergänzung des Abstammungsprinzips durch das Territorialprinzip in unserem Einbürgerungsrecht, das (Tagesordnungspunkt 22) Kernstück der Neuerung. Aber es gibt einen Punkt innerhalb der Reform, der bis- Leyla Onur (SPD): Wir reden heute abschließend über her absolut unbefriedigend ist. Er betrifft das Angebot des den SPD-Antrag „Eckpunkte zur Verbesserung der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16199

(A) Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzar- Beschäftigung und Schwarzarbeit“ verabschieden. Un- (C) beit“. Weil Sie, meine Damen und Herren von der Oppo- sere Maßnahmen wirken in drei Stoßrichtungen: sition, den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen ha- Erstens. Prävention verstärken: Die Bevölkerung soll ben, bringe ich es noch einmal auf den Punkt: besser aufgeklärt werden. Wir wollen die Vorbildfunktion Menschen, die schwarzarbeiten oder -arbeiten lassen, der öffentlichen Hand stärken und damit positiv auf die betrügen unseren Staat, unsere Gesellschaft um Steuern Bürgerinnen und Bürger einwirken. Die Unternehmen und Sozialabgaben. Sie vernichten ordentliche Arbeits- sollen ebenfalls in die Verantwortung genommen werden, plätze und treiben kleine Unternehmen und Handwerks- zum Beispiel durch eine Haftung für die Sozialversiche- betriebe in den Ruin. Rund 100 Milliarden Mark an Steu- rungsbeiträge der Nachunternehmer. Hierdurch kann eine ern und Sozialversicherungsabgaben werden dem Staat verstärkte vorbeugende Kontrolle der nachgeordneten vorenthalten. Auftragnehmer erreicht werden. Dahinter stecken in immer stärkerem Maße mafiose Zweitens. Effizienz der Arbeit der Verfolgungsbehör- Strukturen. Es gibt ganze Ketten von Subunternehmern. den verbessern: Informationen sollen rasch zwischen den Menschen und ihre Arbeitskraft werden gezielt ausgebeu- Behörden ausgetauscht werden. Durch besseren Informa- tet. 100 000 illegal Beschäftigte drängen 60 000 legal be- tionsaustausch sollen Sanktionen wie der Ausschluss von schäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus öffentlichen Aufträgen besser greifen. Gemeinsame Er- ihren Berufen. mittlungsgruppen sollen gebildet werden. Dieser geradezu menschenverachtenden Ausbeutung Drittens. Abschreckungswirkung erhöhen und Voll- hat diese Koalitionsregierung den Kampf angesagt. Die zugsdefizite ausräumen: Dazu gehören zum Beispiel die Maßnahmen, die von der Bundesregierung bisher ergrif- Forderung, dass Bußgeld- und Strafrahmen verschärft so- fen wurden, sprechen eine deutliche Sprache. Wir haben: wie neue Tatbestände eingeführt werden. Damit Schwarz- arbeiter und ihre Hintermänner nicht mehr ins Ausland erstens die Zahl der Zollbeamten, die die illegale Be- flüchten können, fordern wir transnationale Amtshilfe schäftigung bekämpfen, Erhöhung von 1100 auf 2 500 in und Vollstreckungsabkommen. Bei den Landgerichten zwei Jahren mehr als verdoppelt. Zweitens wurden in al- sollen Schwerpunktstaatsanwaltschaften für illegale Be- len Arbeitsämtern einheitlich zuständige Organisations- schäftigung, Schwarzarbeit und damit verbundene Steu- einheiten geschaffen und der Informationsaustausch in- erstraftaten eingerichtet werden. tensiviert. Die hohe Zahl von 2 800 Mitarbeitern in diesem Bereich wird auch weiterhin gehalten. Auch die Länder ziehen mit uns an einem Strang, wie der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Eindämmung ille- Die Bundesregierung hat drittens das Arbeitnehmer- galer Betätigung im Baugewerbe zeigt. (B) Entsendegesetz geändert. (D) Ganz aktuell: Bei dem „Bündnisgespräch Bau“ hat Viertens wurde das Arbeitserlaubnisrecht stark verein- Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern zugesagt, das facht. Die Wartefristen bis zur Erteilung der Arbeitser- geplante Steuerabzugsverfahren zur Bekämpfung der ille- laubnis wurden vereinheitlicht und auf ein Jahr verkürzt. galen Beschäftigung zügig umzusetzen. Wie sich diese Maßnahmen konkret vor Ort auswirken, Sogar die CDU/CSU unterstützt uns; eigentlich jeden- sehe ich selbst in meinem Wahlkreis Braunschweig. Dort falls, denn so genau scheinen sie das selbst noch nicht zu wurde übrigens die Zahl der Mitarbeiter der Fahndungs- wissen. Ich zitiere aus der Rede von Frau Kollegin gruppe des Zolls zur Bekämpfung der illegalen Beschäf- Schnieber-Jastram vom 9. März: „Zum Abschluss möchte tigung von 10 auf 21 erhöht und damit mehr als verdop- ich noch etwas zu Ihrem Antrag ,Eckpunkte zur Verbes- pelt. serung der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Diese Ermittlungsgruppe des Hauptzollamtes Braun- Schwarzarbeit‘ sagen. Wir stimmen zwar der darin zum schweig hat im Sommer letzten Jahres in einem privaten Ausdruck kommenden Grundintention durchaus zu. Aber Neubaugebiet eine sechs Mann starke Truppe von wir sind natürlich mit der dort enthaltenen Passage über Schwarzarbeitern dingfest gemacht. Zwei weitere Män- die erfolgreiche Wirtschafts- und Steuerpolitik der ner waren nur damit beschäftigt, den optimalen Einsatz rot-grünen Regierungskoalition überhaupt nicht einver- dieser Schwarzarbeiter zu organisieren. Diese Truppe hat standen. An dieser Stelle können wir den Antrag nicht das seit zehn Jahren so gemacht, bis sie letztes Jahr end- mehr mittragen“. lich geschnappt wurde. Wenn Sie keine Argumente und kein Programm zur Allein durch diesen Trupp sind der Renten-, Kranken-, Bekämpfung der Schwarzarbeit haben, liebe Kolleginnen Pflege- und Arbeitslosenversicherung 600 000 Mark an und Kollegen von der CDU/CSU, dann verwundert es Beiträgen entgangen; 600 000 Mark, die von anderen Ar- nicht, dass Kollegin Schnieber-Jastram, als wir unseren beitgebern und Arbeitnehmer zusätzlich aufgebracht wer- Antrag in erster Lesung debattiert haben, in ihrer zehn- den müssen. minütigen Rede nur ganze vier Sätze für das eigentliche Thema übrig hatte. Es gibt also Erfolge. Aber es muss noch mehr getan werden, das gebe ich offen zu. Damit noch wirksamer ge- Auch das Problembewusstsein der F.D.P. ist offen- gen solche betrügerischen Machenschaften vorgegangen sichtlich hoffnungslos unterentwickelt. Glauben Sie werden kann, wollen wir heute unseren Antrag „Eck- ernsthaft, Sie könnten mit den von Ihnen geforderten punkte zur Verbesserung der Bekämpfung von illegaler „marktwirtschaftlichen Mitteln“ etwas gegen die mafiose 16200 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Struktur der illegalen Beschäftigung ausrichten? Ich will Anreiz zur Schwarzarbeit deutlich erhöht. Stagnierender (C) nur mal einige der „knallharten Forderungen“ ihres An- Nettoverdienst, vermehrte Freizeit, hohe Abgaben bei Ge- trages nennen. Sie wollen vier Berichte zu unterschiedli- ringverdienenden führen zwangsläufig zum Ausweichen chen Teilaspekten, ein Sondergutachten und eine neue in die Schwarzarbeit. Hier muss die Regierung Verände- Statistik. rungen herbeiführen. Sie darf es nicht dabei belassen, ein- seitig über die Erhöhung von Strafen nachzudenken. Als ganz schweres Geschütz fahren sie die Forderung auf, die Verknüpfung von Rentenversicherung und Öko- Warum findet Schwarzarbeit bei vielen Bürgerinnen steuern – ich zitiere – „im Lichte der Effizienzvorteile des und Bürgern eine so hohe Akzeptanz? Handwerkliche Ar- Äquivalenzprinzips erneut zu überprüfen“. Eines weiß ich beiten sind vielen Menschen in unserem Land zu teuer. Ob auch ohne Sondergutachten: Mit diesen Maßnahmen wird der Garten gepflegt oder die Wohnung tapeziert werden nicht ein einziges illegales Beschäftigungsverhältnis ver- muss, es sind immer weniger Bürger bereit oder in der hindert. Lage, die gegenwärtigen Kosten für diese Arbeiten zu be- zahlen. Einen Grund hierfür sehen wir in der unvertretbar Lassen Sie mich noch einmal festhalten: Wir haben ei- hohen Belastung der Bruttolöhne mit Steuern und Abga- niges getan, es zeigt bereits Wirkung, aber wir müssen ben. Wer schon einmal seine Waschmaschine reparieren deutlich mehr tun. Vor allem müssen die Bürgerinnen und lassen musste, weiß, dass selbst eine kleine Reparatur in Bürger aufgeklärt werden, welche Schäden Schwarzarbeit aller Regel um die 100 DM kostet. Der Handwerker erhält und illegale Beschäftigung anrichten und wer die Zeche hiervon netto circa 15 DM. Diese Spanne, die sich zwi- für diesen Betrug letztendlich zahlt. Wir müssen dagegen schen Auftraggeber und Auftragnehmer schiebt, verlockt angehen, dass Schwarzarbeit in unserer Gesellschaft zur beide Seiten geradezu zur Schwarzarbeit. akzeptierten Normalität geworden ist. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben leider in den Zwar hatte sich die Bundesregierung selbst bereits in 16 Jahren, in denen Sie verantwortlich waren, dazu bei- der Koalitionsvereinbarung eine Senkung der Sozialabga- getragen, dass das Unrechtsbewusstsein bezüglich ben auf 40 Prozent zum Ziel gesetzt. Im Jahr 2001 führen Schwarzarbeit in Wirtschaft und Gesellschaft gegen Null Beschäftigte und Betriebe jedoch immer noch eine Quote gegangen ist. Wir fordern Sie auf, mit uns gemeinsam als von 40,8 Prozent im Westen und von 41,1 Prozent im Vorbilder in Wort und Tat dieser Entwicklung entgegen zu Osten an die Sozialversicherungen ab. Zum Vergleich: In wirken. Nur so können wir Schwarzarbeit und illegale Be- den Jahren 1997 und 1998 lag die Sozialabgabenquote bei schäftigung zurückdrängen. knapp 42 Prozent. Diese geringfügige Senkung der Lohnnebenkosten Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Schwarzarbeit und konnte nur durch eine Kostenverschiebung von den Bei- (B) illegale Beschäftigung sind eine Bedrohung für den re- tragszahlern auf die Steuerzahler realisiert werden – also (D) gulären Arbeitsmarkt. Darin sind wir uns alle einig. Über durch Steuererhöhungen. Hier ist die Ökosteuer ein gutes das Ausmaß von Schwarzarbeit und illegaler Beschäfti- Beispiel: Wenn ich einmal die Einnahmen aus der Öko- gung gibt es keine exakten Angaben. Schätzungen gehen steuer einrechne und dann auch noch die Einnahmen der davon aus, dass der Anteil der Schattenwirtschaft am Rentenversicherung aus der Erhöhung der Mehrwert- Bruttoinlandsprodukt mehr als 16 Prozent beträgt. Der steuer seit dem 1. April 1998 berücksichtige, ergibt sich Schaden für Volkswirtschaft und Arbeitsmarkt ist im- eine tatsächliche Belastung in Höhe von 42,4 Prozent im mens. Westen und 41,1 Prozent im Osten. Von einer realen Sen- kung kann also keine Rede sein. Die von SPD und Grünen vorgelegten „Eckpunkte“ versuchen uns vorzumachen, dass die Koalition eine Lö- Eine weitere Ursache für die starke Zunahme der sung zur Bekämpfung der Schwarzarbeit gefunden hat. Schwarzarbeit in Deutschland in den vergangen Jahren ist Dabei setzt Rot-Grün einseitig auf vermehrte Sanktionen die zum 1. April 1999 in Kraft getretene Regelung zu den und die Erhöhung des Strafmaßnahmen-Katalogs. Das 630-Mark-Jobs. So sind beispielsweise für geringfügig greift aber viel zu kurz. SPD und Grüne wollen die Symp- Nebenbeschäftigte deutliche Mehrbelastungen entstan- tome bekämpfen, lassen die Ursachen jedoch völlig außer den: Während diese zuvor mit einem Pauschalsteuersatz Acht. von 20 Prozent zuzüglich Solidaritätsbeitrag und Kir- chensteuer alle Abgaben erfüllt haben, sind seit der Neu- Doch haben stärkere Kontrollen und härtere Sanktio- regelung auch noch Beiträge für Kranken-, Pflege- und nen so lange wenig Erfolg, solange die Ursachen der Rentenversicherung zu bezahlen. So betrachtet ist die Schwarzarbeit bestehen bleiben. Deregulierung des Ar- Neuregelung der 630-Mark-Jobs für viele ein Anreiz, die beitsmarktes und Senkung von Steuern und Abgaben sind eigene Arbeit schwarz anzubieten. das Gebot der Stunde. Dies wird auch bei der Einschät- zung der augenblicklichen wirtschaftlichen Lage deut- Um diese Fehlsteuerungen der neuen Regelungen zu lich. den 630-Mark-Jobs zu stoppen und gleichzeitig die An- reize zur Schwarzarbeit zu mindern, wäre die einzig kon- Die Steuermoral der Bundesbürger war noch in den sequente Lösung, das ganze Gesetz rückgängig zu ma- 60er-Jahren im Vergleich zu unseren Nachbarländern her- chen. Dies wäre eine wirklich präventive Maßnahme vorragend. Heute haben die komplizierte und komplexe gegen Schwarzarbeit. Steuergesetzgebung, die geringe Entlastung der Steuerre- form, das Gesetz zur Teilzeitarbeit, die Veränderung der Außerdem kritisiert die CDU/CSU-Fraktion, dass die 630-Mark-Jobs und die Frühverrentungsprogramme den Regierung den Gewerkschaften bei ihren Forderungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16201

(A) nach Frühverrentungen und Kürzungen der Arbeitszeiten So richtig und begrüßenswert es ist, auch die fiskali- (C) entgegengekommen ist. Denn was zunächst gut klingt schen Anreizstrukturen für die Schwarzarbeit in das Visier – mehr Freizeit –, wirkt sich im Ergebnis negativ auf ver- zu nehmen, so wenig reicht es aus. Es ist auch notwendig, schiedene Bereiche des Arbeitsmarktes aus. Schnell ist in einer ordnungspolitisch eindeutigen Weise die rechtli- ein handwerklich begabter Vorruheständler bereit, seine chen, administrativen Möglichkeiten zur Bekämpfung von Fähigkeiten einzusetzen. illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit zu verbessern. Ich nenne das Beispiel VW: Hier wurde die Arbeitszeit Wenn sich aber alle über die negativen Folgen einig seinerzeit auf 28,8 Stunden heruntergefahren und der sind, gilt es mehr als bisher zu handeln. Die Regierungs- Bruttolohn auf 85,5 Prozent gesenkt. Im Klartext: Bei ei- fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben ner monatlichen Bezahlung von 4000 Mark hat ein VW- deshalb einen gemeinsamen Antrag eingebracht, um mit Mitarbeiter nach Einführung dieser Regelung 600 Mark verschiedenen Maßnahmen die Schattenwirtschaft einzu- weniger Verdienst und vier freie Tage mehr im Monat. dämmen. Wie er diese finanziellen Verluste kompensieren kann, liegt auf der Hand. Das grundsätzliche Problem, das wir Dies ist ein schwieriges Unterfangen, denn Schwarzar- in Deutschland haben, ist, dass der Arbeitsmarkt für ein- beit ist überall und besitzt eine vielfältige Gestalt. Es ist fache und geringer qualifizierte Arbeiten nach wie vor nur nicht nur die organisierte Kriminalität, nicht nur die ille- unzureichend erschlossen ist. gale Beschäftigung – und dabei in besonders ausbeuteri- scher Weise von Ausländern – auf dem Bau, sondern sie Ziel muss es sein, Anreize zur Aufnahme einfacher findet auch in vielen deutschen Haushalten statt. Wer Tätigkeiten in reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu kennt nicht die Praxis bei Putzhilfen und anderen häusli- verbessern. Solange für viele die Aufbesserung ihrer So- chen Tätigkeiten oder die Nachbarschaftshilfe beim zialhilfe und ihres Arbeitslosengeldes durch Schwarzar- „Häuslebau“. Hierher gehört auch die Leistungserbrin- beit lukrativer ist als die Aufnahme einer regulären, aber gung, zum Beispiel in Handwerksbetrieben gegen Zah- insgesamt niedriger entlohnten Beschäftigung, solange ist lung, aber ohne Rechnung. das System falsch: Verstärkte Kontrollen und höhere Stra- fen helfen nicht weiter. Weil die Beauftragung von Schwarzarbeitenden immer mehr zur gesellschaftlich akzeptierten Normalität gewor- Ziel muss auch ein einfaches und transparentes Steuer- den ist, gilt es auf verschiedenen Ebenen anzusetzen. system sein, das geringe Grenzsteuersätze aufweist. Denn Denn es sind nicht nur Unternehmen, die profitieren, son- nur ein Steuersystem, das der Bürger versteht und das er dern alle Beteiligten. Das macht es so schwierig, die auch für sinnvoll hält, wird von ihm beachtet und führt zu Schwarzarbeit effektiv zu bekämpfen. Die verschieden- unserem gemeinsamen Ziel: zu einer höheren Steuermoral. artigen Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Be- (B) Ziel muss eine deutliche Absenkung der Sozialabgaben schäftigung und Schwarzarbeit sind: (D) sein. Denn nur so kann die enorme Spanne zwischen den Erstens. Die Abschreckungswirkung erhöhen und Voll- Kosten für den Auftraggeber und dem Nettoverdienst für zugsdefizite ausräumen. Hier haben uns die Sachverstän- den Auftragnehmer verringert werden. digen der Bundesanstalt für Arbeit, der Zollämter und der Auf diese Weise wächst die Bereitschaft der Kunden, Zusammenarbeitsbehörden wichtige Hinweise gegeben. reguläre Arbeitnehmer zu beschäftigen, anstatt auf Sinnvoll sind etwa die Anpassung der Strafvorschriften an Schwarzarbeiter auszuweichen. Wenn wir die Schwarzar- gesetzliche Änderungen im Sozialversicherungsrecht hin- beit bekämpfen wollen, dürfen wir uns nicht auf die sichtlich der Neuregelung der Kassenwahlfreiheit und der Bekämpfung der Symptome beschränken. SPD und geringfügigen Beschäftigung. Durch die Einbeziehung Grüne verfolgen mit ihrem Antrag einen falschen Ansatz. des Arbeitgeberanteils in den § 266 a StGB sollte erreicht Wir müssen die Ursachen im Kern bekämpfen. werden, dass sich der Schaden grundsätzlich aus dem Ge- samtsozialversicherungsbeitrag bemisst. So kann ohne Verschärfung die Abschreckung erhöht werden, denn die Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Il- Schadenshöhe ist ein wesentliches Kriterium für die Straf- legale Beschäftigung und Schwarzarbeit können nicht zumessung der Gerichte. Denn eigentlich sind die ver- hingenommen werden. Ihr dramatischer Anstieg in den schiedenen Straf- und Bußgeldvorschriften ausreichend, letzten Jahren belastet nicht nur den Arbeitsmarkt und die sie müssen aber praktisch durchgesetzt werden. sozialen Sicherungssysteme. Es kommt auch zu erhebli- chen Steuerausfällen und Wettbewerbsverzerrungen, ins- Zweitens. Effizienz der Arbeit der Verfolgungsbehör- besondere in Branchen wie der Bauwirtschaft und im Be- den verbessern. Auch hier hat die Anhörung eindrucks- reich der privaten Haushalte. Immer mehr reguläre Arbeit voll gezeigt, dass die Zusammenarbeit der Behörden in von Selbstständigen, immer mehr abhängige Beschäfti- den letzten Jahren immer enger und effektiver geworden gung wird verdrängt. ist – und dies auf „untergesetzlichem Wege“. In unserem Antrag haben wir deshalb die Überprüfung angeregt, ob Durch die konsequente Senkung der Steuern und der in mittlerer Frist durch Zusammenfassung der Kompe- Sozialbeiträge hat die rot-grüne Bundesregierung die tenzen der Bundes- und Landesbehörden weitere Effi- Bürger und Arbeitgeber bereits entlastet und die Anreize zienzvorteile erzielt werden können. zur Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung gesenkt. Das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Wir wer- Und drittens ist die Verstärkung von präventiven Maß- den diesen Weg der Steuer- und Beitragssenkung weiter nahmen besonders wichtig. Angesichts der weit verbrei- gehen. teten Akzeptanz derartiger Beschäftigungsformen in der 16202 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Bevölkerung ist eine verbesserte Aufklärung über die ein- Also: Schaffen Sie die Neuregelung für die geringfü- (C) schneidenden Folgen für unseren Sozialstaat notwendig. gige Beschäftigung ab! Kehren Sie zur alten Regelung Schwarzarbeit, das Unterlaufen der Sozialversicherungs- zurück! Die Erfolge, die Sie vor kurzem bekannt- pflicht und Steuerhinterziehung sind strafwürdige Akti- gegeben haben, sind nur Scheinerfolge für die Senkung vitäten, in vielen Fällen mit erheblicher krimineller Ener- der Arbeitslosigkeit, ein statistischer Taschenspielertrick. gie verbunden. Sie verringern die Finanzgrundlagen des Bei Sozialhilfebezug müssen die Anreize zur Arbeits- Staates und zerstören vor allem den solidarischen Zusam- aufnahme verbessert werden. Der nicht anrechenbare menhalt unserer Gesellschaft. Deshalb kommt der öffent- Hinzuverdienst muss angehoben werden. Als weiter- lichen Hand, zum Beispiel in ihrer Funktion als Bauträ- führender Schritt beseitigt die Zusammenlegung der So- ger, eine besondere Vorbildfunktion zu. zialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe als Grundsicherung in Richtung Bürgergeld einen hohen bürokratischen Auf- Dirk Niebel (F.D.P.): Illegale Beschäftigung, Dum- wand und setzt für die Arbeitsvermittlung Ressourcen pinglöhne und die Unterschlagung von Sozialversiche- frei. Dadurch können Hilfeempfänger individuell betreut rungsabgaben verzerren den Wettbewerb und vernichten und integriert werden. reguläre Arbeitsplätze. Die Rekordeinnahmen des Fi- Die F.D.P. ist auch deshalb die Partei der sozialen Ver- nanzministeriums von 325 Millionen DM für das Jahr antwortung, weil wir dafür sorgen wollen, dass jeder Aus- 2000 bei den Geldbußen gegen illegale Beschäftigung länder für die Dauer seines erlaubten Aufenthalts in und Leistungsmissbrauch zeigen, dass die Schattenwirt- Deutschland für seinen eigenen Lebensunterhalt arbeiten schaft boomt. Diese Konjunktur wünschen wir uns für die darf. Das Arbeitsgenehmigungsrecht muss grundlegend reguläre Wirtschaft, deren Wachstumsprognosen jetzt ge- reformiert werden. Wenn die Restriktionen bei Flüchtlin- rade wieder von den Forschungsinstituten nach unten kor- gen und Asylbewerbern weiter gelockert werden, könnten rigiert wurden. Arbeitsverhältnisse legalisiert werden und die illegale Die Ursachen sind vielfältig: Es ist bekannt, dass Ausländerbeschäftigung würde sinken. Das bedeutet Schwarzarbeit für die Beteiligten finanziell günstiger ist mehr Einnahmen an Steuern und Sozialabgaben für die als ein reguläres Arbeitsverhältnis. Der Faktor Arbeit ist öffentlichen Hände, weniger Transferzahlungen und mehr mit Steuern und Abgaben zu hoch belastet. Und es gibt Sicherheit für die Arbeitskräfte gegen menschenunwür- immer mehr Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt, die die dige Bedingungen und Lohndumping. Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen Die Änderung der Arbeitsgenehmigungsverordnung erschweren. für Kriegsflüchtlinge war ein Schritt in die richtige Rich- Faktoren, die zur Schwarzarbeit verleiten, müssen ab- tung. Die Wartefrist für Asylbewerber ist ein Arbeitsver- (B) geschafft werden. Wir brauchen eine vernünftige Steuer- bot und Arbeitsverbote schaden den Betroffenen und der (D) reform, die Arbeit für den Arbeitgeber billiger und für den deutschen Wirtschaft. Sie fördern Schwarzarbeit. Arbeitnehmer attraktiver macht, weil ihm mehr Geld in Es gibt keine Konkurrenz um die infrage kommenden der Tasche bleibt. Hohe Steuern und Abgaben machen Arbeitsplätze. Einerseits werden zu hohen Kosten auslän- einfache Arbeit für Unternehmen unrentabel und unbe- dische Arbeitskräfte eingeflogen, auf der anderen Seite zahlbar. Die Lohnnebenkosten sind zu hoch. verbietet man ihnen die Arbeit, obwohl sie sich in Ihre Steuerreform darf nur ein erster Schritt sein! Bun- Deutschland aufhalten dürfen. desfinanzminister Eichel will keine weitere Reform bis Es kann nur Spekulationen geben, wie viele Arbeits- 2006. Wir fordern Sie auf, die nächste Stufe der Steuerre- plätze durch Abschaffung der Schwarzarbeit legal entste- form mit dem von uns vorgeschlagenen einheitlichen und hen. Viele Jobs würde es dann nämlich gar nicht geben. Es gerechten Tarif von 15, 25 und 35 Prozent anzugehen. wurden schon von der christlich-liberalen Regierung Mindestbeiträge für Krankenkassen, wie die Regie- viele Versuche gemacht, Arbeitsstellen in Haushalten zu rung sie fordert, sind exakt das Gegenteil dessen, was wir legalisieren, was aber von den jetzt Regierenden als brauchen. „Dienstmädchenprivileg“ abgekanzelt wurde. Eine Rege- lung ist dringend notwendig, damit Frauen der Weg in ein Die Regierung hätte übrigens schon längst die Beiträge reguläres Arbeitsverhältnis ermöglicht wird. zur Arbeitslosenversicherung senken können. Auch das hätte die Lohnnebenkosten verringert. Das kommt aber In den vier Millionen deutschen Haushalten, in denen erst im Wahljahr! regelmäßig oder gelegentlich Haushaltshilfen beschäftigt sind, sind nur 38 000 sozialversicherungspflichtige Ar- Das Lohnabstandsgebot muss eingehalten werden. beitsverhältnisse erfasst. Schwarzarbeit dominiert, weil Dem Arbeitnehmer muss mehr von seinem Lohn in der sich für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen eine Tasche bleiben. Umfragen bei der Neuregelung der 630- Anstellung nicht lohnt, da die Höhe der Sozialversiche- Mark-Jobs haben ergeben, dass dieses Geld für den Le- rungsabgaben eine mögliche Steuereinsparung überwiegt. bensunterhalt dringend gebraucht wurde. Viele können Nicht ohne Grund konnte Herr Momper in Berlin keine sich ohne Schwarzarbeit ihren Lebensstandard nicht mehr Haushaltshilfe zu bezahlbaren Konditionen für ein lega- leisten. Hier liegt die Schlussfolgerung nahe, dass ein les Arbeitverhältnis finden. grosser Teil der geringfügigen Beschäftigungen in die Schattenwirtschaft abgewandert ist. Einzig positiv zu ver- Eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeiten kann merken ist, dass dieses Geld sofort wieder ausgegeben zum Abbau der Schwarzarbeit beitragen, während eine wird. generelle Arbeitszeitverkürzung und ein Überstundenver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16203

(A) bot das Schwarzarbeitspotenzial eher erhöhen. So inves- dieser Weg als wenig erfolgreich erwiesen hat. Das ist für (C) tieren Frührentner einen Teil ihrer Freizeit in Schwarzar- uns schwer nachvollziehbar. Zusätzlich soll die Bundes- beit. Der neueste Vorstoß von DGB-Chef Schulte, dass anstalt für Arbeit Strafverfolgungskompetenzen erhalten. auch eine Arbeitszeit von 48 Stunden vorstellbar sein Das scheint rechtlich bedenklich. Andererseits verfügt die muss, ist eine ausgesprochen gewagter Gedanke für einen Bundesanstalt weder über ausreichendes Personal noch Gewerkschaftler. Er zeigt aber ein bisher nicht gekanntes über die fachlichen Kapazitäten. Für uns ist die Sicher- Maß an Einsichtsfähigkeit. stellung der Hauptaufgabe der Bundesanstalt, die Vermitt- Fazit: Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt. Das Ge- lung der Arbeitslosen in Arbeit, ihre Betreuung und Be- schäft blüht und die Tricks werden immer raffinierter. Bei gleitung zu wichtig, dass wir der Zuteilung von neuen dem Geschäft mit billigen Arbeitskräften mischen mehr Aufgaben an die Bundesanstalt eher skeptisch gegenüber und mehr kriminelle und international operierende Ban- stehen. den mit. Dies betrifft besonders die Bauwirtschaft, dort Für sinnvoll halten wir, die Möglichkeiten der beste- liegt der Anteil mit 45 Prozent am höchsten. Nach Anga- henden rechtlichen Regelungen besser auszuschöpfen ben des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes und die bestehenden Rechtsinstitutionen zu entlasten. Re- sind schätzungsweise 250 000 Illegale dort beschäftigt. alisierung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung Oft arbeiten sie unter unzumutbaren Bedingungen bei funktioniert nur über das Zusammenspiel von anbie- ausländischen Subunternehmern, die durch mögliche tendem Arbeitgeber und annehmendem Arbeitnehmer. Bußgelder nicht genügend abgeschreckt werden. Die größere Verantwortung liegt unseres Erachtens bei Der Bundesrat hat einen Gesetzentwurf zur Eindäm- den Anbietern: ohne Angebot keine Schwarzarbeit. Fol- mung illegaler Beschäftigung im Baugewerbe einge- gerichtig sollte an dieser Stelle bei der Bekämpfung ange- bracht. Wir bezweifeln, dass damit nur die „schwarzen setzt werden. Dazu könnten Maßnahmen dienen, die Schafe“ aussortiert werden. Durch eine neue Abzugs- durch eine Bewertung von Auftragsangeboten bereits steuer werden redliche Unternehmen zusätzlich belastet, deren Unterkalkulation feststellen. Aus der Praxis kom- während illegale Tätigkeiten im Baugewerbe auch durch men immer wieder Hinweise, dass Angebote unterbreitet die geplanten Regelungen nicht oder nur unzureichend werden, die nur durch die aus dem Bereich der Schwarz- unterbunden werden. arbeit und der illegalen Beschäftigung bekannten Nied- Mit staatlichen Kontrollen und Prüfverfahren lassen riglöhne abgedeckt sind. Damit werden seriöse Anbieter sich nur begrenzte Erfolge gegen Schwarzarbeit erzielen. im Wettbewerb ausgebremst und zum Teil in den Konkurs Viele Strafen werden aus der Portokasse bezahlt. Die getrieben. Eine wirksame Kontrolle der Aufträge durch Sanktionen müssen verschärft und das persönliche Risiko die Auftraggeber wäre erfolgversprechender als eine wei- (B) der Täter erhöht werden. Vor allem aber muss der Anreiz, tere Verschärfung der Bußgelder und die Erhöhung der (D) illegal zu arbeiten und illegal zu beschäftigen, verringert schwierigen Kontrollen im Produktionsprozess. Damit werden. würde die Bekämpfung an der wahren Ursache, dem ego- istischen Gewinnstreben auf einem ungeregelten Markt, ansetzen. Klaus Grehn (PDS): Vor wenigen Wochen hat dem Parlament der 9. Bericht der Bundesregierung über die Dem Antrag der F.D.P. können wir nicht zustimmen. Er Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der ille- wird dem Anliegen der Thematik insofern nicht gerecht, galen Beschäftigung vorgelegen. Er hat deutlich gemacht, als er mehr auf die Aufhebung des 630-Mark-Gesetzes welche Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Beschäfti- und die Rücknahme von Arbeitszeitverkürzungen sowie gung und Schwarzarbeit eingeleitet wurden. Offen- auf Steuersenkungen abzielt. Themen, die von der F.D.P. sichtlich fußt der Antrag der Regierungskoalition auf den immer wieder aufgewärmt werden, auch bei nicht pas- Ergebnissen des Berichts der Bundesregierung. senden Anlässen. Bei der Abstimmung über den Antrag der Regierungskoalition werden wir uns trotz Anerken- Wir stimmen mit den Antragstellern überein, dass allen nung von richtigen Ansätzen wegen der genannten Män- Formen der illegalen Beschäftigung und der Schwarz- gel enthalten. arbeit begegnet werden muss, und das möglichst wirk- sam. Das ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit; denn durch sie wird auch die soziale Sicherheit der übrigen Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gefährdet. Aus- nister für Arbeit und Sozialordnung: Schwarzarbeit und stieg aus Tarifverträgen, ruinöses Lohndumping und unter- illegale Beschäftigung schaden uns allen. Sie verhindern tarifliche Bezahlung sind unter anderem Folgen zuneh- das Entstehen neuer Arbeitsplätze und zerstören legale mender Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung. Der Arbeitsplätze. Es ist unerträglich, dass seriöse Unterneh- Antrag fordert in drei Schwerpunkten die Bundes- men im Baubereich in finanzielle Schwierigkeiten gera- regierung auf, organisatorische und rechtliche Gegen- ten, weil sie mit den Dumpinglöhnen der illegalen Kon- maßnahmen einzuleiten. Die dafür gegebenen Vorgaben kurrenz nicht mithalten können. werden dem Ziel nur teilweise gerecht. Die Bundesregierung begrüßt deshalb den Entschlie- Bereits im vergangenen Zeitraum wurden die Kon- ßungsantrag. Er ist ein wichtiger Schritt in die richtige trollen verschärft und die Zahl der Folgemaßnahmen wie Richtung und unterstützt uns bei unseren Bemühungen, Ermittlungsverfahren und Bußgelder deutlich erhöht. gerade im Bausektor wieder faire Chancen für diese se- Nun soll eine weitere Verschärfung erfolgen, obwohl sich riösen Marktteilnehmer zu schaffen. 16204 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Die Bundesregierung hat seit ihrem Amtsantritt bereits schaften zügig einen Gesetzentwurf zur Erleichterung der (C) wichtige Schritte zur Verbesserung der Bekämpfung ille- Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzar- galer Beschäftigung unternommen. Ich erinnere an beit vorlegen. die Änderung des Arbeitnehmerentsendegesetzes vom 19. Dezember 1998, das Dumpinglöhne im Baubereich für illegal erklärt hat. Anlage 9 Ich weise darauf hin, dass die Zahl der Beamten der Zu Protokoll gegebene Reden Hauptzollämter, die sich der Bekämpfung illegaler Be- schäftigung widmen, von 1100 auf 2 500 bis Ende dieses zur Beratung der Anträge: Jahres erhöht wird. Der Zoll kann die Arbeitsverwaltung – Für ein effizientes und transparentes Ausfuhrge- bei dieser wichtigen Aufgabe tatkräftig unterstützen. Die währleistungssystem Arbeitsverwaltung setzt rund 2 800 Mitarbeiter zur Ver- folgung von illegaler Beschäftigung und Leistungsmiss- – Für ein modernes Ausfuhrsystem brauch ein. Sie vereinheitlicht die Organisation und – Für den Erhalt von Hermes als Instrument der richtet „Mitarbeiterteams zur Bekämpfung illegaler Be- Außenwirtschaftsförderung und eine Reform des schäftigung“ in den Arbeitsämtern 2000 ein – neudeutsch: Hermes-Instruments im internationalen Rahmen „task forces“. (Tagesordnungspunkt 23 und Zusatztagesordnungs- Die Erfolge brauchen sich schon heute nicht zu ver- punkte 14 und 15) stecken. Im Jahre 1999 wurden 436 626 Fälle von illega- ler Beschäftigung und Leistungsmissbrauch allein von den Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit aufgegrif- Rolf Hempelmann (SPD): Der Export ist ein wichti- fen und über 162 Millionen DM Bußgelder verhängt. ger Motor für unsere Wirtschaft. Im Jahr 1999 exportier- ten deutsche Unternehmen Waren im Wert von rund 1 Bil- Die Bekämpfungsmöglichkeiten können und müssen lion DM. Damit tragen Exportgeschäfte wesentlich zur jedoch verbessert werden. Das Ergebnis der öffentlichen Schaffung und Sicherung von heimischen Arbeitplätzen Anhörung von Sachverständigen vor dem Ausschuss für bei. Ein Ziel, das bei der rot-grünen Koalition ganz oben Arbeit und Sozialordnung am 28. März 2001 ist eindeu- auf der Agenda steht. tig: Es sind weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von il- legaler Beschäftigung und Schwarzarbeit erforderlich. Besondere Bedeutung bekommt in diesem Zusammen- hang die Exportförderung, deren wichtigstes Instrument Vor allem haben wir es nicht mit einem allein auf na- die Hermesbürgschaften sind. Diese Ausfuhrgewährleis- tionaler Ebene zu lösenden Problem zu tun. Die Bundes- tungen des Bundes leisten einen wesentlichen Beitrag zur (B) regierung ist deshalb auch auf EU-Ebene aktiv geworden. (D) Unterstützung deutscher Unternehmen im internationalen Während unserer Präsidentschaft wurde vom Rat der Eu- Wettbewerb. Im Jahr 1999 konnten durch Hermesbürg- ropäischen Union ein Verhaltenskodex zur Bekämpfung schaften Exportgeschäfte mit Auftragswerten in Höhe der grenzüberschreitenden illegalen Beschäftigung, des von 26,7 Milliarden DM realisiert werden. Im ersten Leistungsmissbrauchs und der Schwarzarbeit verabschie- Halbjahr 2000 waren es 17 Milliarden DM. Durch Ex- det. Diesen müssen wir in bilaterale Abkommen umset- portkredite wird Chancengleichheit für deutsche Unter- zen. Mit Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und nehmen im intensiven internationalen Wettbewerb bei der außerhalb der Europäischen Union mit der Tschechischen Erschließung neuer oder dem Erhalt und Ausbau traditio- Republik wird intensiv verhandelt. neller Märkte geschaffen. Besonders bei Exporten in die Innerhalb Deutschlands sind die gegenseitigen Infor- Entwicklungs- und Schwellenländer sowie in die Staaten mations- und Zusammenarbeitspflichten der verschiede- Mittel- und Osteuropas ist das von herausragender Be- nen Behörden auszubauen. Erkenntnisse über illegale Be- deutung. Denn gerade diese Märkte wären besonders für schäftigung und Schwarzarbeit müssen leichter und mittelständische Unternehmen ohne eine Exportbürg- häufiger als bisher ausgetauscht werden. schaft des Bundes kaum zu erschließen. Wir setzen uns auch dafür ein, dass die öffentliche Gleichzeitig werden durch Hermesbürgschaften die Hand bei der Bekämpfung illegaler Beschäftigung noch partnerschaftlichen Beziehungen insbesondere zu diesen stärker aktiv wird und Missbräuchen konsequent entge- Staaten gefördert. Dort tragen die so ermöglichten Inves- gentritt. Die Entschließung greift die Forderungen der titionen zum Aufbau von Infrastruktur und Industrie bei Koalitionsvereinbarung nach fairen Bedingungen auf und stellen damit einen unerlässlichen Beitrag zur Inte- dem Arbeitsmarkt auf, zum Beispiel bei der Haftung des gration dieser Länder in die Weltwirtschaft dar. Hauptunternehmers für die Sozialversicherungsbeiträge Trotz dieser Erfolge stand das Instrument in den letz- der Subunternehmer. Ich halte das für einen der wesentli- ten Jahren immer wieder in der Kritik. In zwei entspre- chen Punkte, den wir auch in eine künftige gesetzliche chenden Anträgen haben sich auch die heutigen Koaliti- Regelung einbeziehen müssen. onsfraktionen in der vorigen Legislaturperiode für eine Die Umsetzung der Entschließung wird zahlreiche ge- Modernisierung dieses wichtigen außenwirtschaftspoliti- setzliche Änderungen erfordern. Entsprechende Vor- schen Instruments ausgesprochen. Die wichtigste Forde- schläge werden vom Bundesministerium für Arbeit und rung dieser Anträge war, neben wirtschaftlichen und fi- Sozialordnung erarbeitet. Ich kann Ihnen versprechen: nanzpolitischen Gesichtspunkten künftig auch stärker Die Bundesregierung wird den gesetzgebenden Körper- umweltpolitische, soziale und entwicklungspolitische Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16205

(A) Aspekte in die Entscheidungen über die Vergabe von Her- gemäß weiterentwickelt und gerade damit entscheidend (C) meskrediten einzubeziehen. Außerdem soll das Instru- stabilisiert. ment effektiv und für deutsche Unternehmen attraktiv bleiben. Das ist nur dann möglich, wenn die Vergabepra- Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der IMA sich diese xis so schnell und unbürokratisch wie möglich verlaufen Leitlinien geben wird. Jetzt wird es darauf ankommen, die kann; nicht umsonst sind die Bürgschaften nach Hermes, Leitlinien in der Vergabepraxis besonders bei hochsensi- dem Götterboten mit den Flügelschuhen, benannt. blen Projekten wie Kernkraftwerken, Rüstungsexporten, Exporten gefährlicher Chemikalien und bei großen Stau- Aus diesen Gründen haben SPD und Bündnis 90/Die dammprojekten konsequent anzuwenden. Außerdem er- Grünen in ihrer Koalitionsvereinbarung 1998 beschlossen, warten wir, dass sich die Bundesregierung aktiv an den eine Reform der Außenwirtschaftsförderung nach ökolo- Beratungen im Rahmen der OECD beteiligt und die Erar- gischen, sozialen und entwicklungsverträglichen Gesichts- beitung international verbindlicher Leitlinien zur Vergabe punkten in die Wege zu leiten. Dies ist auch geschehen: Vor von Exportkreditversicherungen intensiv vorantreibt. rund einem Jahr hat eine Koalitionsarbeitsgruppe damit be- gonnen, vor dem Hintergrund der Diskussionen in NGOs, Um auch das Parlament in angemessenem Maße an den Wirtschaftsverbänden und Institutionen in Deutschland Vergabeverfahren zu beteiligen, soll künftig neben dem wie auf OECD-Ebene die nationale wie die internationale Haushaltsausschuss auch der für Hermesbürgschaften fe- Vergabepraxis zu analysieren. Dabei wurde deutlich, dass derführende Wirtschaftsausschuss über die Übernahme allein die Diskussion um die Einbeziehung ökologischer, von Ausfuhrgewährleistungen von hochsensiblen Ge- sozialer und entwicklungspolitischer Aspekte bei der Ver- schäften und Großprojekten unterrichtet werden. gabe von Hermesbürgschaften zu einer Veränderung der Praxis geführt hat. So wurde beispielsweise bei größeren Zusätzlich ist uns ein weiterer Punkt wichtig: Da deut- Projekten oder bei Lieferungen von Anlagen oder Teilan- sche Exporteure zukünftig immer häufiger auch die Rolle lagen ein Screening-Verfahren eingeführt. Auf diese Weise des Investors und Betreibers eines Projektes übernehmen werden genau die Anträge identifiziert, bei denen ökologi- werden, um international wettbewerbsfähig bleiben zu sche, soziale oder entwicklungspolitische Gesichtspunkte können, sollte die Bundesregierung Möglichkeiten für eine Rolle spielen könnten. Wenn die negativen Effekte bei eine bessere Koordinierung der Ausfuhrgewährleistungen der Abwägung der unterschiedlichen Kriterien dominie- mit der Investitionsabsicherung prüfen. Auf diese Weise ren, hat der IMA die Möglichkeit, die Übernahme einer könnte ein entscheidender Beitrag zu einer besseren Ausfuhrgewährleistung abzulehnen oder an Bedingungen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen geleistet bzw. Auflagen zu knüpfen. werden. (B) Auch auf internationaler Ebene werden Umweltbe- Es ist uns gelungen, das Instrument der Exportkredit- (D) lange berücksichtigt: Seit 1994 tagt regelmäßig eine versicherung zu modernisieren, ohne aus dem Auge zu OECD-Exportkreditgruppe, um international gültige Re- verlieren, dass es sich primär um ein außenwirtschaftspo- gelungen für Ausfuhrgewährleistungen zu erarbeiten, um litisches Instrument handelt, das es auch bleiben muss. die genannten Aspekte stärker zu berücksichtigen. An die- sem Diskurs beteiligt sich auch die Bundesregierung. Zu den Anträgen der Opposition: Den Damen und Her- Daneben hat die Koalitionsarbeitsgruppe mit dem fe- ren von der CDU/CSU Fraktion kann ich sagen: Schon derführenden Bundeswirtschaftsministerium im letzten der Titel Ihres Antrags „Für den Erhalt von Hermes als In- Jahr einen intensiven und fruchtbaren Dialog über Moder- strument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform nisierungsansätze für das deutsche Ausfuhrgewährleis- des Hermes-Instruments im internationalen Rahmen“ ist tungssystem geführt. Als Ergebnis hat der IMA Leitlinien irreführend. Meine Ausführungen haben, denke ich, deut- für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und lich gemacht, dass der Erhalt dieses wichtigen außenwirt- entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Über- schaftspolitischen Instruments bei uns nie infrage gestellt nahme von Ausfuhrgewährleistungen des Bundes ent- wurde. Ganz im Gegenteil: Erst durch die Modernisierung wickelt. Danach sind Exporte grundsätzlich als förde- von Hermes haben wir seinen Erhalt auf lange Jahre gesi- rungswürdig zu betrachten, wenn sie den gesetzlichen chert. Ein Instrument, das an veränderte Bedingungen Vorschriften des Außenwirtschaftsrechts, den allgemeinen nicht angepasst wird, ist dagegen nicht überlebensfähig. Gesetzen, den Rechtsvorschriften zwischenstaatlicher Einrichtungen und relevanten internationalen Vereinba- Zum F.D.P.-Antrag: Es steht ja viel Richtiges drin; aber rungen nicht widersprechen. Zusätzlich haben ökologi- er ist an einigen Stellen leider obsolet geworden. Es geht sche, soziale und entwicklungspolitische Auswirkungen eben nicht mehr um den „Hermes-Umweltleitfaden“, von Einfluss auf die Förderungswürdigkeit eines Projektes. dem Sie sprechen. Es geht vielmehr um umfassendere Diese Leitlinien wird der IMA offiziell beschließen, damit Leitlinien, die bei diesem primär wirtschaftspolitischen die veränderte Praxis festschreiben und in einigen Berei- Instrument in angemessener Form auch ökologische, so- chen auch darüber hinausgehen. Gleichzeitig enthalten die ziale und entwicklungspolitische Gesichtpunkte zeit- Leitlinien eine „Anpassungsklausel“, um das Vergabever- gemäß berücksichtigen. fahren zeitnah an die internationale Entwicklung – insbe- Im Übrigen: Wie man ja weiß, ist das Bessere der Feind sondere im Rahmen der OECD – anzugleichen. des Guten. Deshalb lehnen wir den F.D.P.-Antrag ab und Durch die konsequente Anwendung dieser Leitlinien stimmen dem weitaus umfassenderen und konkreteren ei- wird das Instrument der Ausfuhrgewährleistung zeit- genen Antrag zu. 16206 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Die Außenwirtschafts- staaten entspricht. Dabei kann das Instrument nur gewin- (C) politik war in der Vergangenheit von großer Gemeinsam- nen, wenn an den Entscheidungen sichtbar wird, dass Prin- keit der Fraktionen des Deutschen Bundestages getragen. zipien, die in der sozialen Marktwirtschaft gemeinsame Ich erinnere an den von allen Fraktionen beschlossenen Grundlage und einer nachhaltigen und kohärenten Politik Antrag aus dem Jahre 1996. Ausfuhrgewährleistungen, verpflichtet sind, natürlich nicht bestimmte Bereiche aus- Auslandshandelskammern, Bundesstelle für Außenhan- klammern können. Die Abwägung muss aber verantwort- delsinformation und Messeförderung bleiben die wich- lich von den beteiligten Entscheidern im Bewusstsein der tigsten Instrumente der deutschen Außenwirtschaftspoli- Verantwortung ihres Handelns geschehen, von diesen in tik. Leider legt die Bundesregierung wenig Wert auf die Zweifelsfällen öffentlich begründet und müssen nicht un- Pflege dieser Instrumente: Bei der BfAI wird gekürzt, das bedingt in formale und bürokratische Verfahren gepresst Informationsnetz wird ausgedünnt, das Netz der Aus- werden. In der Regel umstrittene Ausfuhren für sozial-, landshandelskammern wird trotz mittlerweile guter umwelt- oder entwicklungsrelevante Großprojekte kom- Selbstfinanzierungsanteile von bis zu 75 Prozent nicht in men mit oder ohne festgelegte Grundsätze in die öffent- der Weise entwickelt, wie das nötig wäre. Die Messeför- liche Diskussion und erfordern schon deshalb eine parla- derung bleibt hinter den interfraktionell vereinbarten Zie- mentarische Diskussion, die sich bisher kein Bundestag len zurück und die Hermes-Reform-Debatte findet hinter entgehen ließ. verschlossenen Türen als Koalitionshickhack statt. Weder gibt es über die Diskussion in der Regierung Berichte im Das Hauptproblem beim Vorgehen der Koalition mit Wirtschaftsausschuss, noch wollten die Koalitionspar- ihren Grundsätzen oder Leitsätzen für die Hermes-Ent- teien die Debatte im Plenum des Deutschen Bundestages. scheidungen ist, dass aus diesen schriftlich fixierten Kri- Erst im letzten Augenblick kommt die Koalition mit ei- terien die Forderung nach exekutiver Perfektionierung nem Antrag. und nach jedem Streitfall die Erweiterung des Regelungs- bedarfs entstehen wird. Wir kennen doch die Neigung der Dass die Debatte über die Reform von Hermesbürg- beteiligten Parteien. Hermes muss aber vor allem ein schaften an einem Freitagnachmittag stattfindet, zeigt, handhabbares und flexibles, vor allem schnelles Instru- welch geringe Bedeutung die rot-grüne Mehrheit diesem ment bleiben. Die vom amerikanischen Kongress per Ge- seit mehr als 50 Jahren bestehenden und effizienten Mit- setz festgelegten Regelungen zeigen, dass man innerhalb tel der Exportförderung beimisst. Dies darf angesichts der eines weiten Rahmens verantwortlich handeln kann. aktuellen politischen Diskussion um eine Reform der Ausfuhrgewährleistungen des Bundes verwundern. Dies Das Hermes-Instrument sollte daher nicht durch die in verwundert auch besonders deshalb, weil es gerade von- den neuen Umweltleitlinien der rot-grünen Bundesregie- seiten der rot-grünen Regierung seit geraumer Zeit rung aufgestellte Forderung, bei Hermes-Anträgen ver- (B) Bestrebungen gibt, entwicklungspolitische, soziale und stärkt umwelt-, sozial- und entwicklungspolitische Krite- (D) ökologische Aspekte im Rahmen des Hermes-Vergabe- rien zu berücksichtigen, überfordert werden. Hermes verfahrens stärker zu berücksichtigen. muss vielmehr auch in Zukunft ein Instrument der Wirt- schafts- und Exportförderung bleiben. Nur so kann Her- Mit dem jüngst von Rot-Grün gefundenen Kompro- mes den Zugang der deutschen Industrie zu den Märkten miss, bei der Vergabe staatlicher Bürgschaften für Exporte der Schwellen- und Entwicklungsländer ermöglichen, die Folgen für Umwelt, Soziales und Entwicklungspolitik dem deutschen Mittelstand eine effiziente Form der Ex- zu berücksichtigen, ändert sich zunächst nach Aussagen portförderung bieten und dem Ziel der staatlichen Aus- des Wirtschaftsministers nichts. Mit Recht stellte daher fuhrgewährleistung gerecht werden, den Export zu för- ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums gegenüber der dern und damit weiterhin Arbeitsplätze in Deutschland zu „taz“ fest, dass man den Leitfaden gar nicht gebraucht sichern. hätte. Denn der Leitfaden sieht Regelungen vor, die oh- nehin bereits gängige Praxis sind. Die Bundesregierung Dass Hermes für deutsche Unternehmen als Instrument wäre bereits heute in der Lage gewesen, bei Großprojek- zur Absicherung ihrer Exporte gegen politische und wirt- ten Umweltprüfungen von den Antragstellern zu verlan- schaftliche Risiken in unterentwickelten und risikorei- gen. Ökologische, soziale und entwicklungspolitische chen Regionen der Welt unverzichtbar geworden ist, be- Gesichtspunkte werden schon jetzt im Rahmen der För- weisen die Zahlen aus dem Jahr 2000: Danach konnte im derungswürdigkeit und der risikomäßigen Vertretbarkeit Geschäft mit Hermesbürgschaften ein Überschuss von berücksichtigt. 67 Millionen DM erzielt werden. Insgesamt übernahm der Bund im vergangenen Jahr Bürgschaften in Höhe von Die Praxis, bei der Vergabe staatlicher Bürgschaften 38,1 Milliarden DM, was rund 3,3 Prozent des gesamten für Exporte auch umwelt-, sozial- und entwicklungspoli- deutschen Exports entspricht. Etwa 97 Prozent der vom tische Folgen zu prüfen, hat sich also bereits bewährt. Bund übernommenen Deckungen entfielen dabei auf Ex- Dass dabei immer wieder der Eindruck von undurch- porte in Entwicklungsländer bzw. die Staaten Mittel- und schaubaren Verfahren und Geheimniskrämerei entstanden Osteuropas. Gegenüber 1999 sind die neu übernommenen ist, der vor allem bei kritischen NGOs den Eindruck er- Hermes-Deckungen um 43 Prozent gestiegen – ein An- weckte, der IMA sei ein Ausschuss zur Durchsetzung von stieg, der auf eindrucksvolle Weise die Bedeutung von Wirtschaftsinteressen gegen Umwelt- und Entwicklungs- Hermes für die deutsche Exportwirtschaft bestätigt. Nicht erfordernisse, liegt an einer eher altertümlich anmutenden zu vergessen sind die 140 000 bis 260 000 Arbeitsplätze in Verwaltungsarbeit, die wenig transparent und kommuni- Deutschland, die laut einer Studie der Prognos AG vom kativ ist und nicht mehr dem Standard großer Industrie- Dezember 2000 allein durch Hermes gesichert werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16207

(A) Damit dies so bleibt, sollte das Hermes-Instrument Wettbewerbsfähigkeit vor allem mittelständischer Ex- (C) kontinuierlich weiterentwickelt werden, und zwar ausge- portunternehmen, weil Projektprüfungszeiträume, die richtet am Bedarf der Exportwirtschaft. Dabei kommt in sich in Deutschland bereits heute sehr langwierig gestal- einer immer stärker verflochtenen Wirtschaft zwischen ten, weiter in die Länge gezogen werden. den großen Wirtschaftsregionen der Vermeidung von Es soll auf internationaler Ebene mehr Transparenz Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Ge- durch die Erstellung einer im Internet veröffentlichten währleistungspolitiken eine große Bedeutung zu. Es kann Liste über Großprojekte durch die OECD-Mitglieder in nicht richtig sein, dass deutsche Unternehmen nach deut- freiwilliger und anonymisierter Form geschaffen werden schen Richtlinien keine Gewährleistung bekommen kön- sowie auf nationaler Ebene die Transparenz durch die nen, sie aber in anderen Ländern durch dortige Export- zeitnahe Veröffentlichung von Entscheidungen des Inter- kreditversicherer sehr wohl erhalten. Deshalb hat eine ministeriellen Ausschusses, IMA, durch das Bundeswirt- Reform des Hermes-Instruments nur international mit den schaftsministerium und durch eine frühzeitige und um- Partnerländern in der OECD koordiniert einen wirklichen fassende Information der Bundestagsausschüsse, deren Sinn. Ressorts im IMA vertreten sind, erhöht werden. Zur Er- Deshalb fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die höhung der Transparenz von Hermes-Entscheidungen Bundesregierung auf, für den Erhalt von Hermes als ei- sagt der Umweltleitfaden bisher leider nur sehr wenig. nem praktikablen Instrument der Außenwirtschaftsförde- Auf nationaler Ebene wird die Debatte, inwieweit Her- rung einzutreten und vor dem Hintergrund der zuneh- mes nicht nur als Instrument der Exportsicherung, son- menden Globalisierung und der damit einhergehenden dern auch als ein Instrument der Umweltpolitik taugt, Verschärfung des internationalen Wettbewerbs jegliche trotz der absehbaren Einigung der Regierungsparteien Reform des Hermes-Instruments im internationalen Rah- kaum beendet sein. Vielmehr wird die politische Praxis men durchzuführen. Nationale Alleingänge verbieten sich sehr schnell zeigen, dass der Grundsatzstreit über die Re- aufgrund der bereits vorhandenen hohen Standards, die form der Hermes-Exportgarantien angesichts der weit erhebliche Wettbewerbsnachteile für die deutsche Export- hinter den von Bündnis 90/Die Grünen zurückgebliebe- wirtschaft mit sich bringen würden. nen Forderungen nur vertagt worden ist. Rot-grüner Streit Wir fordern ferner, angesichts der hohen deutschen wird spätestens dann wieder aufbrechen, wenn über die Umweltstandards im internationalen Vergabeverfahren Vergabe von Hermesbürgschaften für Nuklearanlagen, auf eine Harmonisierung der staatlichen Exportkreditver- Rüstungslieferungen und gefährliche Chemieexporte ent- sicherung zu drängen. Hinsichtlich verschärfter Umwelt- schieden werden soll. standards muss Harmonisierung unser vorderstes Inte- Zunächst dürfen wir jedoch gespannt sein, wann der resse sein. (B) „Umweitleitfaden“, der nach Informationen aus dem (D) Außerdem mahnen wir an, auf OECD-Ebene für eine Bundeswirtschaftsministerium in „Umweltleitlinien“ um- Beschleunigung der Verhandlungen über die Entwicklung benannt werden soll, auch tatsächlich der Öffentlichkeit gemeinsamer Umweltleitlinien einzutreten sowie aktiv an zugänglich gemacht wird. Die Einigung im Interministe- den Verhandlungen und der Arbeit der OECD-Working riellen Ausschuss jedenfalls lässt noch immer auf sich Party on Export Credits and Export Credit Guarantees warten. mitzuwirken. Ziel muss die beim Kölner G-8-Gipfel ver- Für die CDU/CSU ist der Weg eindeutig: Am sinn- einbarte Erarbeitung gemeinsamer Umweltrichtlinien für vollsten bleibt unsere Forderung, dass jegliche Reform die Exportkredit-Agenturen bis zum G-8-Gipfel 2001 in des Hermes-Instruments im internationalen Rahmen er- Rom sein. Dieser klare politische Auftrag zur Konsens- folgen muss, weil nationale Alleingänge aufgrund der bildung muss von den OECD-Staaten erfüllt werden. bereits existierenden hohen Standards erhebliche Wettbe- Wir fordern, bei den Verhandlungen über die Entwick- werbsnachteile für die deutschen Exporteure im interna- lung von Umweltleitlinien auch die Erfahrungen der US tionalen Vergabeverfahren mit sich bringen würden. Inso- Export-Import-Bank, Ex-Im-Bank, zu berücksichtigen, fern müssen OECD-Regeln Vorrang vor den von die in ihren Richtlinien vom April 1998 Umweltkriterien Rot-Grün eingeschlagenen Sonderegelungen haben. Es vorsieht, sich für den Erhalt einer flexiblen und unbüro- gibt angesichts der weit fortgeschrittenen Verhandlungen kratischen Handhabung bei der Vergabe von Hermesbürg- keinen vernünftigen Grund für nationale Alleingänge. schaften einzusetzen, damit sich die deutschen Unterneh- men mit ihren Produkten und hohen technologischen Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Standards auf den Weltmärkten behaupten können, sowie NEN): Wie Sie wissen, hat sich die rot-grüne Regierungs- darauf hinzuwirken, dass das Hermes-Instrument einfach koalition eine Reform der Hermesbürgschaften nach und bürokratisch handhabbar bleibt. Schnelligkeit und ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Ge- Flexibilität der Entscheidungsprozesse sind für die deut- sichtspunkten vorgenommen. sche Exportwirtschaft oft entscheidende Elemente im in- ternationalen Wettbewerb. Bei dem von Rot-Grün vorge- Damit wollen wir der Tatsache Rechnung tragen, dass sehenen Umweltleitfaden steckt der Teufel allerdings im die Vergabe von Hermesbürgschaften nicht nur ein be- Detail, wenn es künftig bei Umweltprüfungen um Ab- währtes Instrument der Außenwirtschaftsförderung bleibt, grenzungsfragen zwischen den Sektoren geht, die prü- sondern auch dafür sorgen, dass bei solchen durch den Fis- fungsfrei sind oder einer zusätzlichen Prüfung unterlie- kus gedeckten Lieferungen und Investitionen keine nega- gen. Rot-Grün beeinträchtigt damit die internationale tiven Auswirkungen auf die Umwelt und Bewohner im 16208 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Bestellerland eintreten. Denn leider hat es in der Vergan- sondern auch an dem Leitbild einer nachhaltigen Ent- (C) genheit immer wieder Beispiele gegeben, dass auch deut- wicklung aus. Das wird sich insbesondere auf den Export sche Exportfirmen an der irreversiblen Zerstörung und von Umwelttechnik und regenerativen Energietechnolo- Belastung unserer natürlichen Umwelt beteiligt waren. gien auswirken. Zwei Wirtschaftszweige, die weltweite Traurige Fälle, welche die ansonsten erfolgreiche Bilanz Verbreitung verdienen. der letzten 52 Jahre trüben. Doch der Wettbewerb einer Drittens. Von einer Förderung ausgeschlossen sind Nu- global agierenden Wirtschaft darf sich nicht nur um lukra- tive Aufträge und profitable Geschäfte drehen, sondern kleartechnologien. Sowohl für Neubauten als auch für muss sich auch an dem Leitbild einer nachhaltigen Ent- Nachrüstungen bei bestehenden AKWs. Damit wollen wir wicklung messen lassen. einen national beschrittenen Ausstiegsweg auch interna- tional fortsetzen. Wer die Bedeutung der Hermes-Reform richtig verste- hen will, muss sich den Umfang der Ausfuhrgewährleis- Viertens. Die Leitlinien enthalten, was für ähnliche tungen vor Augen führen. Im letzten Jahr hat der Bund Richtlinien ungewöhnlich und neu ist, eine Anpassungs- Bürgschaften in Höhe von 38,1 Milliarden DM übernom- und Änderungsklausel. Damit soll eine zeitnahe Anpas- men – ein Zuwachs von fast 50 Prozent gegenüber 1999. sung an die internationale Entwicklung und eine ständige Das entspricht einem Anteil von circa 3,3 Prozent am Ge- Verbesserung aufgrund der gewonnenen Erfahrungen ge- samtexport. Das hört sich gering an. Doch klingt es an- schehen. Hier sind vor allem die Kritiker aufgerufen mit- ders, wenn man weiß, dass 97 Prozent aller verbürgten zuwirken. Nicht das Papier, sondern die Praxis wird die Exporte in Entwicklungs- und Schwellenländer gehen Tauglichkeit der Leitlinien beweisen. und damit Geschäfte abdecken, die in ihrem Wertumfang Fünftens. Die Leitlinien schreiben ein verbindliches, weit über die internationale Entwicklungshilfe hinaus- zweistufiges Prüfungsverfahren vor: gehen. Erste Stufe Vorprüfung/Screening: Alle Projekte ab ei- Damit werden Arbeitsplätze in Deutschland gesichert. nem Auftragswert von 15 Millionen Euro und relevantem Wie aus einer Studie des Basler Prognos-Institutes hervor- deutschen Lieferanteil werden künftig eine Vorprüfung, geht, etwa 216 000. Das Gros der Anträge, circa 72 Pro- ein Screening durchlaufen. Bei konkreten Anhaltspunkten zent, kommt aus mittelständischen Unternehmen, für die für die Umweltrelevanz eines Projektes wird die Vorprü- bei oftmals geringer Kapitaldecke eine finanzielle Absi- fung auch auf Anträge mit niedrigerem Auftragswert aus- cherung außerordentlich wichtig ist. Zudem gehören geweitet. Hier ist vor allem das Projektumfeld entschei- staatliche Ausfallbürgschaften zum Garantiebestand in- dend. Also die Einbeziehung solcher sensiblen Punkte wie ternationaler Geschäfte und sind damit ausschlaggebend Primärwälder, Bioreservate, Siedlungsgebiete indigener für die Wettbewerbssituation deutscher Firmen. Was bis- (B) Völker, anerkannte Kulturgüter, Dimension der Umsied- (D) her zu wenig beachtet wurde, ist die nachhaltige Ent- lung usw. wicklung im Bestellerland. Eine sicherlich sensible An- gelegenheit, weil sich die Besteller ungern Vorschriften Zweite Stufe Tiefenprüfung/Review: Wenn sich aus machen lassen, die über die in ihrem Land geltenden Stan- dem Screening ein weiterer Prüfungsbedarf ergibt, dards hinausgehen. Gerade bei den kontroversen Diskus- schließt sich eine sektorenunabhängige und sektorenspe- sionen im Rahmen der WTO ist der Vorwurf der Protek- zifische Überprüfung an, die in der Regel einzelfall- und tion an die industriellen Erzeugerländer erhoben worden, projektbezogen erfolgt. Hierzu können ergänzende und die angeblich mit ihren hohen Qualitätsanforderungen die vertiefende Umweltgutachten angefordert werden. Wich- Beteiligung und Zulieferung von einheimischen Unter- tig ist, dass die Umweltstandards des Bestellerlandes nehmen verhindern wollen. Darum sollte die Hermes-Re- mit international anerkannten und üblichen Umweltvor- form keine restriktiven, starren Vorgaben machen, son- schriften – WCD, Weltbank, EBRD – verglichen werden dern eine flexible Herangehensweise mit Anpassung an – Benchmarking – und entsprechende Übereinstimmung internationale Standards ermöglichen. erzielt werden soll. Doch nun im Einzelnen, was wir bisher in anstrengen- Einordnung in Kategorien: Wie bei den Weltbankkrite- der Arbeit und zähen Verhandlungen – ich will das gar rien vorgesehen, erfolgt dann eine Einordnung der ge- nicht verschweigen – mit dem federführenden Bundes- prüften Projekte in die drei Kategorien A, B und C. Wo- wirtschaftsministerium erreicht haben: bei die Kategorie A darauf hinweist, dass starke ökologische, soziale und entwicklungspolitische Auswir- Erstens. Dem IMA – Interministeriellen Ausschuss – kungen zu erwarten sind, die nicht lokal begrenzt liegt ein Entwurf vor, der die „Leitlinien für die Berück- und/oder irreversibel erscheinen. Also Projekte, bei denen sichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungs- ein hohes Risiko bzw. Gefahren für Umwelt und Men- politischen Gesichtspunkten bei der Übernahme von Aus- schen und dementsprechende Konflikte absehbar sind. fuhrgewährleistungen des Bundes“ beschreibt. Keine folgenlose Prosa oder Sammlung von unverbindlichen Sechstens. Sofern die Prüfung Verbesserungsbedarf er- Absichtserklärungen – wie von Kritikerinnen gesagt gibt, kann die Deckungsentscheidung mit konkreten Um- wird –, sondern erstmalig ein Prüfungs- und Entschei- weltauflagen verbunden werden. In solchen Fällen erfolgt dungsleitfaden, der das bisher praktizierte Freihand-Ver- eine spezielle Überwachung und Kontrolle durch „Moni- gabeverfahren auf empirischer Grundlage ablöst. toring Reports“. Zweitens. Damit richtet sich die Exportförderwürdig- Siebtens. Ein wichtiges Kapitel ist die Einbeziehung keit künftig nicht nur an wirtschaftlichen Erwägungen, von verfügbaren Informationsquellen. Hier sind aus- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16209

(A) drücklich die Nichtregierungsorganisationen genannt, Unternehmen mit ihren innovativen Produkten und ihren (C) von denen in der Vergangenheit oft wichtige Hinweise ka- hohen technischen Standards auch in Zukunft auf den men. Aber auch Informationen aus den Botschaften und Weltmärkten durchsetzen können. Der geltende Umwelt- der Bevölkerung im Bestellerland werden künftig stärker leitfaden für Hermesbürgschaften ist ausreichend und darf zur Beurteilung der Projekte herangezogen. Der Bund nicht mit noch mehr Auflagen für den exportierenden Mit- wird diesbezüglich eine fachkompetente Bewertung der telstand befrachtet werden. Umweltinformationen sicherstellen. Die F.D.P. unterstützt die entsprechende Position des Achtens. Die Wirksamkeit der Leitlinien wird sehr da- Bundeswirtschaftsministers und stellt mit ihrem Antrag von abhängen, inwieweit es gelingt, die Vorhaben und sieben Forderungen an die Bundesregierung: Entscheidungen öffentlich und nachvollziehbar zu ma- Erstens. Keine Abweichungen von den vereinbarten chen. Deswegen sollen künftig Projekte der Kategorie A OECD-Umweltleitlinien für Ausfuhrgewährleistungen. in Deutschland frühzeitig transparent gemacht werden. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich im Zweitens. Unterstützung des Hermes-Umweltleitfa- Rahmen der laufenden OECD-Verhandlungen aktiv dafür dens des BMWi, verbunden mit der Entwicklung von ef- einsetzt, dass demnächst ein abgestimmtes Verfahren zur fizienteren, flexibleren Instrumentarien. Veröffentlichung von Projektort und Projektart bereits im Drittens. Die vorgesehenen Schwellenwerte für das Prüfstadium realisiert wird. Hinsichtlich Parlament soll- Screening-Verfahren sind hinreichend. ten nicht nur der Haushaltsausschuss, sondern sämtliche Ausschüsse der im IMA vertretenen Ressorts informiert Viertens. Ablehnung einer Ausschlussliste für Hermes- werden. bürgschaften. Die Hermes-Reform ist ein wichtiger Schritt in die Fünftens. Unterstützung für einheitliche Kriterien ei- richtige Richtung. Vielleicht kein Meilenstein. Aber das ner Präsentation im Internet im Rahmen der OECD. wird sich zeigen. Meine Fraktion – ich will das nicht ver- Sechstens. Einzelfallentscheidungen durch den Inter- hehlen – ist nicht vollauf zufrieden damit. An unseren ministeriellen Ausschuss. Ausgangsvorstellungen und den jahrelangen Bemühun- gen und Erfahrungen gemessen, gibt es etliche Punkte, die Siebtens. Über besondere Charakteristika zu anstehen- wir als neuralgisch ansehen. Nicht das Papier, sondern die den Projekten informiert der IMA die zuständigen Res- Praxis wird den Gebrauchswert dieser Leitlinien bestim- sorts und Ausschüsse. men. Wir werden deswegen die Bürgschaftsvergabe auch Zu dem von den Regierungsfraktionen vorgelegten in Zukunft kritisch begleiten, um sicherzustellen, dass die Antrag ist die Frage zu klären, in welchem Zusammen- (B) Leitlinien dazu beitragen, deutsche Exporte zu fördern, hang der IMA bei der Bearbeitung von Hermesbürgschaf- (D) ohne in Konflikt mit Umwelt und Menschen in der Zwei- ten menschenrechtliche Aspekte einbeziehen soll. Er- drittelwelt zu geraten. Wir verstehen die Leitlinien als dy- klärungsbedürftig ist außerdem, in welcher Form in den namische Vorgaben mit zeitnaher Anpassung, welche die Leitlinien eine eingeschränkte Exportförderfähigkeit bei Möglichkeit geben, neue Erfahrungen und Veränderun- hoch sensiblen Projekten wie Kernkraftwerken, Rüs- gen auf internationaler Ebene konstruktiv aufzugreifen. tungsexporten oder gefährlichen Chemikalien festgelegt werden soll. Darauf geben SPD und Grüne keine Ant- Gudrun Kopp (F.D.P.): Die Hermes-Exportbürg- worten. schaften sind ein zuverlässiges und flexibles Instrument Wichtig ist uns Liberalen, dass die politischen Ent- der Außenwirtschaftsförderung. Insgesamt übernahm der scheidungen über die Exportfähigkeit von Produkten dem Bund im Jahr 2000 Bürgschaften in Höhe von 38 Milliar- Bundessicherheitsrat vorbehalten bleiben und die Export- den DM und erwirtschaftete sogar zum wiederholten kontrollen dem Bundesausfuhramt vorbehalten bleiben. Male einen Überschuss von 67 Millionen DM. Das Parlament ist rechtzeitig über solche Entscheidungen Hermes-Exportgarantien sichern inzwischen – laut ei- zu informieren und alle Instrumente müssen unter beson- ner Studie – circa 200 000 Arbeitsplätze in Deutschland, derer Berücksichtigung des Mittelstandes gehandhabt und zwar überwiegend in der mittelständischen Export- werden. industrie, auf die 80 Prozent der Einzeldeckungen entfal- len. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass dieser er- Ursula Lötzer (PDS): Was Sie heute in Ihrem Antrag folgreiche Förderbereich nicht immer wieder mit an Neuerungen hinsichtlich des Ausfuhrgewährleistungs- Förderinteressen von SPD und vor allem Grünen über- systems vorlegen, hat nichts mit der Reform zu tun, die frachtet wird. Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen hatten. Es ist unverantwortlich, die Vergabe von Hermesbürg- Es handelt sich um eine Ansammlung unverbindlicher schaften auch noch an Forderungen zu Frauenförderung, Absichtserklärungen. Damit hat sich das Wirtschaftsmi- Entwicklungshilfe und Beteiligungen von Nichtregie- nisterium mit seiner eindeutigen Orientierung an den Ex- rungsorganisationen zu knüpfen. Die F.D.P. setzt sich des- portinteressen durchgesetzt. halb mit ihrem Antrag gezielt ein für ein effizientes und Die Kernforderung der Hermes-Kampagne, verbind- transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem. liche Standards für Exportbürgschaften und unabhängige Hermes-Deckungen müssen mit so wenig Bürokratie Umwelt- und Sozialprüfungen, wären die Voraussetzung wie möglich gehandhabt werden, damit sich deutsche für eine glaubwürdige Reform. Außer dem Ausschluss 16210 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) der weiteren Exportförderung von Nukleartechnologie für Exporte in Entwicklungsländer gehen, soll nicht einmal (C) den Neubau und die Umrüstung von Atomanlagen findet der Entwicklungsausschuss bei besonders problemati- sich in ihrem Entwurf nichts davon. Dabei wäre in diesem schen Projekten einbezogen werden. Zusammenhang eine Festlegung auf die Weltbankstan- Die G-8-Staaten haben sich verpflichtet, ihre jeweili- dards eine mögliche Mindestfestlegung gewesen, da sie gen Exportkreditagenturen und deren politische Ziele an bereits international gültiges Regelwerk darstellen. die Förderung einer wirtschaftlichen und sozialen Ent- Nicht ohne Grund sind große Staudammprojekte einer wicklung anzupassen und zentrale Forderungen nach der Hauptauseinandersetzungspunkte um die Hermes- Transparenz und demokratischen Entscheidungen in den Reform gewesen. In vielerlei Hinsicht verkörpern sie die G-8-Staaten selbst umzusetzen. Diskussion über den Stellenwert von Menschenrechten, der Absicherung der Lebensumstände von Menschen ge- Gestern wurde hier das Programm zur Armutsbekämp- genüber Zwangsumsiedlungen sowie des Schutzes vor fung vorgestellt. Die Bundesregierung wolle bei der ökologischem Raubbau. Die World Commission of Bekämpfung der Armut und der Wahrung der Interessen Dams hat zweieinhalb Jahre lang die erste unabhängige der Entwicklungsländer eine Vorreiterrolle spielen. Mit Untersuchung großer Dammprojekte durchgeführt. Ex- diesem vorgelegten Entwurf spielen Sie nicht nur keine perten, Vertreter von Regierungen, Nichtregierungsorga- Vorreiterrolle, sie fallen hinter internationale Regelungen nisationen und Industrie haben sich auf gemeinsame und die Regelungen anderer Staaten zurück und werden Empfehlungen für einen internationalen Standard in der zum Bremser in der OECD. Bewertung großer Dammprojekte geeinigt. Die Bun- Das hier gestern vorgestellte Programm zur Armuts- desregierung hat die Arbeit mitfinanziert, das BMZ hat bekämpfung verkommt zum Lippenbekenntnis. Initiativen zur Umsetzung ergriffen. Dass nicht einmal die als Standard für Hermesbürgschaften aufgenommen wur- den, ist nicht akzeptabel. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Uns liegen drei Dabei vergab die Bundesregierung bereits zweimal Anträge zum Ausfuhrgewährleistungssystem vor. Die Hermesbürgschaften – einmal 1997 in Höhe von 270 Mil- F.D.P.-Fraktion hat den Antrag „Für ein effizientes und lionen US-Dollar und einmal 1999 53 Millionen US- transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem“ vorgelegt. Dollar – für das „Tschernobyl der Wasserkraft“, den Drei- Sie unterstützt darin das Umweltverfahren des Interminis- Schluchten-Staudamm. Und mit 75 Millionen DM und teriellen Ausschusses für Ausfuhrgarantien und Ausfuhr- einer Grundzusage von 50 Millionen beteiligen Sie sich bürgschaften, IMA, sowie die Verhandlungen der Bun- an weiteren Ausbaustufen der Zellstoffproduktion in India desregierung in der OECD über gemeinsame Umwelt- (B) Kiat. Insgesamt wurden dafür über 500 Millionen DM ge- leitlinien für Exportkreditagenturen. (D) währt. Geliefert wurden veraltete Technologien, die er- wiesenermaßen hohe Gesundheitsrisiken für die Bevölke- 1997, als die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die rung mit sich brachten. Der Urwald wird illegal gerodet, Grünen für Hermes ein Umweltprüfverfahren forderten, bisher 855 000 Hektar. Jährlich hat der seit mehr als zehn stufte der frühere Bundeswirtschaftsminister Dr. Günter Jahren anhaltende Zellstoffboom 1 Prozent des Regen- Rexrodt Umweltaspekte noch als „sachfremd“ ein. Das waldes zerstört. Das dringend benötigte Trinkwasser wird Umdenken der F.D.P. in Richtung Umweltprüfung – und durch den Chlorausstoß verseucht. Haut- und Atemwegs- die CDU/CSU folgt in ihrem Entschließungsantrag die- erkrankungen, verursacht durch illegale Fabrikabwässer, sem Kurs – macht es heute möglich, Gemeinsamkeiten breiten sich weiter aus. Bereits 1999 standen die auf sol- herauszuarbeiten. Dies ist umso wichtiger, als die deut- chen Pump gebauten indonesischen Zellstofffabriken mit sche Exportwirtschaft im internationalen Wettbewerb die 13 Milliarden US-Dollar in der Kreide. Solche Hermes- nachdrückliche Unterstützung von Bundesregierung und bürgschaften treiben die Verschuldung in die Höhe. Bundestag braucht, um Chancengleichheit zu erhalten. Hermesbürgschaften sind ein staatliches Instrument, Unser Land muss ein zuverlässiger Partner sein, damit entsprechend sind auch öffentliche und parlamentarische unsere Unternehmen ihre innovativen Produkte mit hohen Kontrolle notwendig. Bisher wurde das geheime Proze- technologischen und Umweltstandards weltweit absetzen dere der Bearbeitung von 30 000 bis 50 000 Anträgen und zugleich zur Verbesserung der wirtschaftlichen Ent- jährlich nur in wenigen Fällen und nur auf Druck von wicklung in den Bestellerländern beitragen können. Die Nichtregierungsorganisationen und Betroffenen bei be- Zuverlässigkeit muss sowohl für die vertraglichen Ver- sonders umstrittenen Projekten aufgehoben. Selbst bei pflichtungen zur Produktqualität als auch für die Finan- diesen wurden relevante Umwelt- und Sozialverträglich- zierung und, soweit erforderlich, die Begleitung mit den keitsprüfungen nicht öffentlich zugänglich. Das Parla- Ausfuhrgewährleistungen des Bundes gelten. Zur Er- ment hatte keinen Einfluss auf die Entscheidungspro- schließung schwieriger, aber dynamischer Märkte ist eine zesse. Hermes-Absicherung häufig unverzichtbar. Doch auch hinsichtlich der Transparenz und der Ein- Zur Förderung der partnerschaftlichen Zusammenar- beziehung der Zivilgesellschaft und der Betroffenen ist beit mit den Bestellerländern und in Verantwortung für die die vorgelegte Regelung keine Verbesserung. Weder wird Umwelt hat der IMA ein Verfahren zur Berücksichtigung die Öffentlichkeit informiert, noch ist ein Dialog mit von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen NGOs vorgesehen. Obwohl 97 Prozent aller verbürgten Gesichtspunkten bei der Vergabe von Ausfuhrgewährleis- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001 16211

(A) tungen entwickelt. Das neue Verfahren stellt sicher, dass Anlage 10 (C) ökologische, soziale und entwicklungspolitische Auswir- kungen von Exportgeschäften erkannt und im Entschei- Amtliche Mitteilungen dungsverfahren verantwortungsbewusst berücksichtigt Der Bundesrat hat in seiner 761. Sitzung am 30. März werden. 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- Insgesamt bleibt das Verfahren unbürokratisch, effizi- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 ent und mittelstandsfreundlich. Nach einem Screening- Grundgesetz nicht zu stellen: Verfahren wird bei kritischen Einzelfällen im Rahmen ei- – Gesetz zur Neuordnung des Gerichtsvollzieher- nes Benchmarkings projektbezogen ein Abgleich mit kostenrechts – GvKostRNeuOG – international anerkannten Standards, wie zum Beispiel denen der Weltbank, durchgeführt. Können Umweltbe- – Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über denken nicht ausgeräumt werden, wird versucht, in Kon- die Verarbeitung und Nutzung der zur Durch- takten mit dem Exporteur zu einer Verbesserung des Pro- führung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des jekts zu kommen. Rates erhobenen Daten Die Transparenz nach außen wird erhöht, ohne die Ver- – Gesetz zu dem Abkommen vom 15. September traulichkeit von Geschäftsgeheimnissen zu gefährden. 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- Zur Erhöhung der Transparenz gegenüber dem Parlament land und der Gabunischen Republik über die wird der für Hermes federführende Wirtschaftsausschuss gegenseitige Förderung und den gegenseitigen in Zukunft neben dem Haushaltsauschuss über die Über- Schutz von Kapitalanlagen nahme von Ausfuhrgewährleistungen von grundsätzlicher – Gesetz zu dem Abkommen vom 15. Februar Bedeutung, das heißt von sensiblen und Großprojekten 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland unterrichtet. und dem Königreich Kambodscha über die För- Der IMAwird das von ihm entwickelte und praktizierte derung und den gegenseitigen Schutz von Kapi- talanlagen Verfahren in „Leitlinien“ festhalten. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen unterstützen – Gesetz zur Änderung des Übereinkommens mit ihrem Entschließungsantrag ausdrücklich dieses Ver- zum Schutz der Meeresumwelt des Nordost- fahren. atlantiks (OSPAR-Übereinkommen) Die Bundesregierung befolgt und unterstützt mit ihrem – Gesetz zu dem Internationalen Übereinkom- (B) Vorgehen das im „Action Statement“ der OECD im Fe- men von 1989 über Bergung (D) bruar 2000 gemeinsam beschlossene parallele Vorgehen: – Gesetz zur Neuregelung des Bergungsrechts in der Die OECD-Mitglieder entwickeln ihre nationalen Verfah- See- und Binnenschifffahrt (Drittes Seerechtsän- ren und Methoden zur Identifizierung und Prüfung von derungsgesetz) Umwelteinflüssen. Gleichzeitig tauschen sie unterei- nander ihre Erfahrungen zu den von ihnen entwickelten – Gesetz zur Neuordnung des Bundesdisziplinar- Verfahren aus. So verfahren auch die anderen OECD- rechts Länder. – Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Ver- Ziel ist es, den Auftrag des Kölner Weltwirtschaftsgip- sorgungsbezügen in Bund und Ländern 2000 fels vom Juni 1999 auszuführen, bis zum G-8-Gipfel im (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpas- Juli 2001 auf gemeinsame Umweltleitlinien in der OECD sungsgesetz 2000 – BBVAnpG 2000) hinzuarbeiten. Die Bundesregierung setzt sich nach- – Gesetz zur Änderung des Krankenhausfinanzie- drücklich dafür ein, dass bereits der OECD-Ministerrat im rungsgesetzes und der Bundespflegesatzverord- Mai gemeinsame Umweltleitlinien verabschieden kann. nung (DRG-Systemzuschlags-Gesetz) Der Entwurf für gemeinsame Leitlinien ist so weit fortge- schritten, dass eine Einigung bis dahin möglich erscheint. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Alle Teilnehmer der OECD-Exportkreditgruppe ein- Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den schließlich der G-8-Mitglieder anerkennen die konstruk- nachstehenden Vorlagen absieht: tive Unterstützung der deutschen Delegation für einen gemeinsamen Ansatz zur verantwortungsvollen Berück- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sichtigung von Umweltbelangen bei den Exportkredit- – Unterrichtung durch die Bundesregierung agenturen. Mit diesen Verhandlungen über ein gemein- Neunundzwanzigster Rahmenplan der Gemeinschaftsauf- sames Vorgehen sichern wir zugleich die internationale gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit für den Zeitraum 2000 bis 2003 (2004) Arbeitsplätze bei uns. – Drucksache 14/3250 – Die jetzt anstehenden Beratungen in den Ausschüssen geben Gelegenheit, auf alle Fragen im Einzelnen vertieft Ausschuss für Kultur und Medien einzugehen. – Unterrichtung durch die Bundesregierung 16212 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. April 2001

(A) Konzeption zur Erforschung und Präsentation deutscher Haushaltsausschuss (C) Kultur und Geschichte im östlichen Europa Drucksache 14/5503 Nr. 2.1

– Drucksachen 14/4586, 14/4992 Nr. 1 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- Drucksache 14/5363 Nr. 1.3 geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- Drucksache 14/5363 Nr. 2.14 gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- Drucksache 14/5363 Nr. 2.15 ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung Drucksache 14/5363 Nr. 2.18 abgesehen hat. Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Innenausschuss Drucksache 14/5172 Nr. 2.13 Drucksache 14/5172 Nr. 2.63 Drucksache 14/5363 Nr. 2.19 Drucksache 14/5172 Nr. 2.94 Drucksache 14/5503 Nr. 2.3

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