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UvA-DARE (Digital Academic Repository) Hans Jürgen Syberberg und das Modell Nossendorf. Räume und Figuren ohne Ort und Zeit Nouwens, P. Publication date 2012 Link to publication Citation for published version (APA): Nouwens, P. (2012). Hans Jürgen Syberberg und das Modell Nossendorf. Räume und Figuren ohne Ort und Zeit. Eigen Beheer. General rights It is not permitted to download or to forward/distribute the text or part of it without the consent of the author(s) and/or copyright holder(s), other than for strictly personal, individual use, unless the work is under an open content license (like Creative Commons). Disclaimer/Complaints regulations If you believe that digital publication of certain material infringes any of your rights or (privacy) interests, please let the Library know, stating your reasons. In case of a legitimate complaint, the Library will make the material inaccessible and/or remove it from the website. 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Die Schlüsselfigur der Syberbergschen Ästhetik: Gemeinsam lassen Richard Wagner, Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Thomas Mann und Fritz Kortner 1977 Hitler erneut in Bayreuth erscheinen 58 1.2. Walter Benjamin und die Wahrnehmung auf eine andere Ebene als das Potenzial der Zukunft 76 1.2.1. Die heitere Prolongation der polaren Solidarität zwischen Benjamin und Adorno in Syberbergs frühen Kinofilmen (1965-1970) 78 Drei Moderne Phänomene: die Aura, der Faschismus und die Universalgeschichte 1.2.2. Der ″Verfall der Aura″? 91 1.2.2.1. Die auratische Repräsentation des kulturhistorischen Prozesses ″Verfall der Aura″ in den Filmen Ludwig (1972) und Karl May (1974) 100 1.2.3. Der Faschismus ein aktuelles Projekt zur Ästhetisierung des politischen Lebens 106 1.2.4. Die Universalgeschichte 115 1.2.5. Zwischen-Resümee Kapitel 1.2. Walter Benjamin und die Wahrnehmung auf eine andere Ebene als das Potenzial der Zukunft Die Hitlerfigur als Schnittstelle zwischen autonomem Mensch "Moderne" und "Gottmensch" 117 25 "Dem Zuschauer sollte kein Illusionstheater vorgespielt werden, es sollte nicht emotional einbezogen werden in die Geschehnisse auf der Bühne, sondern zuschauen, um sich Gedanken zu machen. Vielleicht erst auf dem Heimweg."72 1.1. Die Zusammenkunft zweierlei Idealisten: Richard Wagner und Bertolt Brecht und ihre Funktion für die Syberbergsche Ästhetik Wenn Syberberg 1953 wegen seiner Bekanntschaft mit Brechts Spielleiter Benno Besson eine Einladung vom Berliner Ensemble bekommt73, um seine Aufnahmen von Molières Don Juan zu präsentieren, ist Bertolt Brecht schon lange nicht mehr der Theaterregisseur der Arbeiterklasse sondern steuert unmittelbar auf seinen Dissidentenstatus in der DDR zu. Innerhalb der Möglichkeiten des Berliner Ensembles versucht er, die offiziellen Bilder der Deutschen, z.B. das eines Fausts oder eines Mephistos, trotz Kontrolle der DDR-Kulturpolitik, bewusst zu verändern.74 Dieser Aspekt ist für die ästhetische Entwicklung Syberbergs, die ab der Mitte der 1960er Jahre die deutsche Geschichte audiovisuell zu erfassen versucht, durchaus relevant: Hier lässt sich Brechts Verhältnis zu den Klassikern als ein wichtiges Bindeglied zum künftigen Modell erkennen. Seine Begegnung mit dem Theatermacher war zwar kurz aber doch so intensiv, um die Lehrjahre in Nossendorf und Rostock plötzlich mit Ideen einer Weltfigur zu bereichern. Trotz des völlig andern biographischen Hintergrunds ist der Theaterreformer des Berliner Ensembles für "den 16/17-jährigen theater- und filmfanatischen Oberschüler"75 vor allem als dialektischer Bildermacher eine Inspirationsquelle auf der Ebene des schöpferischen Denkens. Der "ideologische Unsicherheitsfaktor und formalistischer Abweichler" Bertolt Brecht (Walter Ulbricht)76 fügt sich quasi ein in den Raum von Syberbergs Vorbildern, der von Grundherrn und Fotograf Hans Helmuth Syberberg in Nossendorf geöffnet worden ist. Syberbergs Anwendung der Brechtschen Theaterästhetik ist, wie (deutsche) Kritiker die Bekanntschaft des Künstlers mit Brecht gerne einstufen, keine Koketterie eines Gutshofsprösslings mit marxistischen Tugenden. Viel zutreffender ist, dass der künftige Regisseur trotz anderer Zielsetzungen, über diese aus dem Brecht-Theater stammende Technik die Geschichte Deutschlands in neuen medialen Formen zu deuten versucht. Inspirator der 1970er Jahre und Gegenpol Richard Wagner zum Trotz, sieht er den Theaterreformer Bertolt Brecht, im Nachhinein, als eine prägende Figur. "So war ich mit dem Verlust des Landes, des Dorfes der Kindheit in eine neue, nicht bürgerliche Welt der Kunst gekommen, habe den Weg von der Provinz nach Berlin zu einem Meister [Brecht] gefunden auf der Flucht vor allem, was vorher galt, gleich auch ihn wieder mir entzogen, bis ich ihn oder vielmehr seinen Geist auf eigener Ebene mühsam wieder erwarb durch Studien auf andre Weise. [...] Und je mehr sie mir entfernt sind durch neue und eigene Ästhetik in den eigenen Arbeiten am Theater und Film oder in Texten, um so interessanter werden diese Urbilder [Syberbergs 8-mm Aufnahmen des Berliner Ensembles während der Vorstellungen Puntila, Die Mutter von Gorki Mutter Courage und dem Urfaust im April 1953] zur Ursprungserfahrung unserer Anfänge von den Gefühlen und des Denkens, auch der Dinge von heute, gerade in diesem ersten Vorschein tastender Versuche von Weltaneignung und Wiedergabe."77 Auch wenn Syberberg in seiner unabänderlichen Suche, deren spannungsreiche Koordinaten zusammen die Wiedergabe einer unvereinbaren Wirklichkeit gleichkommen, gerade jeglichen Realitätsbesuch ablehnt und immer weiter forscht wurde seine Ästhetik in Westdeutschland 72 Hans Mayer, Brecht, 1996, S. 479. 73 Vgl. hierzu Hans Jürgen Syberberg, "Film" (ein Link auf der Hauptseite) "Biographie", "Rostock" (Link), "Brecht" (link), www.syberberg.de/Syberberg2/BE_%20Berlin_1953_1.html. 74 "Sowohl die Düsseldorfer Gründgens-Inszenierung als auch die parteioffizielle Darbietung beider Faust-Teile durch Wolfgang Langhoff in Ostberlin." Vgl. dazu Willi Jasper, Faust und die Deutschen, 1998, S. 236. 75 Kommentar von Hans Jürgen Syberberg 1971 zu seinem Film aus dem Jahr 1953 Nach meinem letzten Umzug oder Syberberg filmt bei Brecht - Herr Puntila und sein Knecht Matti -Urfaust - Die Mutter, 1993 definitive Fassung, 72 Min. 76 Peter von Becker, "Erich Mielke und des Dichters Herzschlag. Hatte Brecht vor, Strafantrag gegen Stasi-Spitzen zu stellen? Musste er deshalb sterben? Auf den Spuren eines seltsamen Tondokuments" in: Der Tagesspiegel, Die Dritte Seite, 14. August 2006, Nr. 19280, S. 3. 77 Hans Jürgen Syberberg, SB, S. 109-110. 26 schlichtweg als eine Pose des Wagnerianers Syberberg demaskiert.78 Die Vehemenz solcher Kritik verringert die notwendige kritische Distanz auf die scheinbar probaten Bewältigungsmechanismen der deutschen Vergangenheit. Diese Perspektive verlangt eine andere Fragestellung, da sie bloß das hartnäckige Missverständnis, dass Syberberg ein Anti-Rationalist par excellence sei, weiterhin fortschreibt. So ist es z.B. notwendig zu fragen, welche Ästhetik für Syberberg in der Gestaltung seiner Figuren von vorherrschender Bedeutung ist – also die von Richard Wagner oder die von Bertolt Brecht? ″Was mich [Syberberg] an den beiden [Wagner und Brecht] interessiert, ist der Sinn für die große Konzeption. Es ging darum, Imperien aufzubauen, um große Weltsysteme des theatralischen Gedankens – einerseits in Verbindung mit dem Schreiben, dem schriftlichen Entwurf, und andererseits mit der praktischen Theaterarbeit – zu behaupten. Brecht ohne das Berliner Ensemble wäre nur der halbe Brecht, wie auch Wagner ohne Bayreuth unvollständig wäre. Wagner wäre Gast auf allen Bühnen, aber durch Bayreuth existiert ein Kern, von dem etwas ausgeht. Selbst wenn jeweiligen Chefs dort nicht immer die Garanten für Erneuerung sind. Der Gedanke Bayreuth ist von Wagner, die wenigen Jahre im Berliner Ensemble sind von Brecht nicht mehr zu trennen. Da[s] finde ich schon markant, wie solche Weltsysteme entstehen. Richtig großes Welttheater von Autoren, die ihre eigenen Imperien gründen.″79 Brechts destabilisierendes und konsensfeindliches Ziel einer geistigen Aktivierung des Rezipienten ist beinahe prädestiniert dazu, auf die "Bühne" von Hans Jürgen Syberberg Eingang zu finden. Die aus dem Brecht-Theater stammenden Techniken der Verfremdung80, Erziehung81 und Aufklärung82 könnten – eingesetzt im Spannungsfeld Nossendorf – auch der Reproduktionstechnik und ihrer gewünschten Funktion der Disfunktionalität der Logik entgegenkommen. Abgesehen davon, dass die Reproduktionstechnik für die Darstellung der Wagnerschen Kunst große Herausforderungen bietet, ist die Brechtsche damit atypische Aktualisierung der Wagnerschen Ästhetik im Modell