Aufsatz | Körner - Ausschluss von Ausgleichsleistungen stellen ergangener Entscheidungen nicht in einem Umfang, 2. Die Ausgestaltung des Kostenrechts baut auf der Ausge- welcher über die anerkannten Folgen einer (offenen oder staltung des Verfahrensrechts auf, weshalb die Auslegung verdeckten) Teilklage hinausgeht. des Kostenrechts das Primat des Verfahrensrechts zu beach- ten hat. Als (vermeintlich) unangemessen empfundene Kos- tenfolgen rechtfertigen dagegen keine bestimmte Auslegung IV. Ergebnisse des Verfahrensrechts. 3. Sog. uneigentliche Hilfsanträge sind bei der Bemessung des 1. Sog. uneigentliche Hilfsanträge sind ohne Rücksicht auf Gebührenstreitwerts unabhängig davon zu berücksichtigen, das Vorliegen eines besonderen Klägerinteresses zulässig. ob über sie entschieden wird. Dies ergibt sich aus § 39 GKG. Abweichendes gilt auch für eine entsprechende Verbindung § 45 GKG trifft hierzu keine Aussage. Damit entfällt ein we- von denselben Anspruch betreffenden Teilklagen nicht. Eine sentlicher Anreiz, sog uneigentliche Hilfsanträge zu stellen. solche ist auch nicht in sich widersprüchlich.

Ausschluss von Ausgleichsleistungen – Aktuelle Rechtsprechung zum Unwürdigkeitstatbestand des § 1 Abs. 4 AusgLeistG

Regierungsdirektorin Gabriele Körner, *

Das Ende vergangenen Jahres verkündete, inzwischen Handeln der Unternehmensleitung selbst sondern auch das rechtskräftige Urteil des VG Dresden und das bereits 2016 Handeln der Personen im Unternehmen, die befugt und da- verkündete Urteil des VG Gera, das mit der Ablehnung der mit verantwortlich gewesen sind, für das Unternehmen zu Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluss des Bundesver- waltungsgerichts vom 9. Oktober 20171 rechtskräftig wur- de, befassen sich mit dem Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 4 AusglLeistG. Nach dieser Vorschrift werden Aus- gleichsleistungen nicht gewährt, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, oder das enteig- * Die Autorin ist Referatsleiterin im Bundesamt für zentrale Dienste nete Unternehmen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und offene Vermögensfragen (BADV), Berlin. Der Beitrag gibt aus- oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen, in schwerwiegendem schließlich die persönliche Auffassung der Autorin wieder und ist ins- besondere keine Stellungnahme des BADV. Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil 1 BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2017 – 8 B 1/17, NJ 2018, 300. anderer missbraucht oder dem nationalsozialistischen oder 2 Vgl. BT-Drs. 12/4887 vom 10. Juni 1993, S. 37. Das Gesetz über staatliche kommunistischen System in der sowjetisch besetzten Zone Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder in der Deutschen Demokratischen Republik erhebli- oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig ge- chen Vorschub geleistet hat. Nach der Begründung des Ge- macht werden können – Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG) trat als Artikel 2 des Enschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes – setzgebers soll die Vorschrift verhindern, dass diejenigen, die EALG – vom 27. September 1994 (BGBl. I 2624, 2628; Neufassung durch die Hauptverantwortung für die jetzt zu revidierenden Un- Bekanntmachung vom 13. Juli 2004, BGBl. I, 1665) am 1. Dezember 1994 rechtsmaßnahmen tragen, das Ausgleichsleistungsgesetz zu in Kraft. § 1 Abs. 4 AusglLeistG vergleichbare Ausschlussklauseln finden ihren Gunsten in Anspruch nehmen.2 sich bspw. im Gesetz zu Art. 131 GG (§ 3 Nr. 3 a G 131, BGBl. I 1957, 1297), Nach § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG erhalten eine Ausgleichs- Lastenausgleichsgesetz (§ 359 LAG idF v. 2. Juni 1993, BGBl. I, 845), Re- parationsschädengesetz (§ 16 RepG, BGBl. I 1969, 105), Bundesvertrie- leistung nur natürliche Personen, die Vermögenswerte im benengesetz (§ 5 BVFG, BGBl. I 1953, 201), Häftlingshilfegesetz (§ 2 HHG, Sinne des § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung offener Ver- BGBl. I 1993, 838) sowie im SED-Unrechtsbereinigungsgesetz (§ 2 mögensfragen (Vermögensgesetz – VermG) durch entschädi- Abs. 2 des 2. SED-UnBerG, BGBl. I 1994, 1311) und dem Gesetz über Ent- gungslose Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder be- schädigungen für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet satzungshoheitlicher Grundlage im Beitrittsgebiet verloren (§ 5 NSOEBGG, BGBl. I 1992, 906). Dass die Rechtsprechung zu diesen Ausschlussklauseln auch zur Auslegung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG her- haben, oder ihre Erben oder Erbeserben; bei der Enteignung angezogen werden kann, hat das BVerwG in seiner Grundsatzentschei- von Vermögen einer Gesellschaft oder einer Genossenschaft dung vom 17. März 2005 – BVerwG 3 C 20/04 – zur 3. Alternative des der einzelne Anteilsinhaber, wenn der Eingriff auf besat- § 1 Abs. 4 AusglLeistG bestätigt. Aus der Gesetzesbegründung ergibt zungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage zu sich dem BVerwG zufolge jedoch keine Beschränkung auf die in Nürn- einer Minderung seines Anteils geführt hat (§ 1 Abs. 2 S. 1 berg verurteilten Kriegsverbrecher. 3 Vgl. Löffler, in: Motsch/Rodenbach/Löffler/Schäfer/Zilch, Kommentar AusglLeistG). Dies liegt darin begründet, dass die Regelun- zum EALG, Grundwerk, Herne/Berlin 1995, § 1 AusglLeistG, Rn. 28. Nach gen des Ausgleichsleistungsgesetzes nicht vom Gebot des Ei- BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 – 1 BvR 2307/94 ua, mit dem ver- gentumsschutzes sondern vom Sozial- und Rechtsstaatsprin- schiedene Beschwerden gegen das EALG zurückgewiesen wurden, ver- zip bestimmt werden.3 stoßen diese Regelungen nicht gegen das Grundgesetz (vgl. VIZ 1/2001, Bei unternehmensbezogenen Ansprüchen ist das „Verhalten“ S. 16 ff., 24). Zur „Erstreckung“ des von einer Personengesellschaft ge- stellten vermögensrechtlichen Antrags auf die nach dem Ausgleichs- des Unternehmens zu prüfen. Zurechenbar ist dem BVerwG leistungsgesetz materiell Anspruchsberechtigten, vgl. BVerwG, Urteil zufolge dem Unternehmen dabei nicht nur ein unmittelbares vom 14. Februar 2008 – BVerwG 5 C 16/07; juris.

314 NJ 8/2018 Ausschluss von Ausgleichsleistungen - Körner | Aufsatz handeln.4 Ein im Unternehmen verwirklichter Ausschlusstat- „an sich“18 noch nicht erfüllt, weil deren Einsatz während bestand kann dabei auch Ansprüche auf Ausgleichsleistung des zweiten Weltkrieges eine erhebliche Bandbreite heteroge- wegen der Enteignung von Privatvermögen erfassen.5 ner Fälle erfasse.19 So lägen etwa zwischen den Lebens- und Arbeitsbedingungen eines französischen Zivilarbeiters und denen eines sog Ostarbeiters Welten.20 Bereits in den damals I. Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit für die polnischen Zwangsarbeiter sowie die sog Ostarbeiter geltenden rechtlichen Regelungen war eine Ungleichbehand- Das Urteil des VG Dresden vom 6. Dezember 20176 betraf lung und bewusste Diskriminierung und Schlechtbehandlung den Streit um die Gewährung von Ausgleichsleistungen we- gegenüber anderen Personengruppen vorgesehen. Die Unter- gen der besatzungshoheitlichen Enteignung eines Steinbruch- nehmen hätten jedoch bei der Behandlung der bei ihnen ein- und Steinverarbeitungsunternehmens. Das betreffende Un- ternehmen hatte nach den tatsächlichen Feststellungen wäh- rend der NS-Zeit u. a. polnische Zwangsarbeiter beschäftigt 4 Vgl. bspw. die Entscheidungen des BVerwG 5 C 5.06 vom 3. Mai 2007 = NJW 2008, 95-96 = juris zu Meldungen von Zwangsarbeitern an die und drei sog Polenlager sowie zwei Kriegsgefangenen- und Gestapo wegen „Arbeitsverweigerung“ durch das Unternehmen oder zwei Gefangenenlager betrieben. Der Ausschlusstatbestand das Urteil vom 23. April 2015 – BVerwG 5 C 10.14 = ZOV 2015, 206 = juris des Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder zur Förderung der nationalsozialistischen Politik durch Leitartikel Rechtsstaatlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 4 Alt. 1 Ausgl- einer von einem Unternehmen herausgegebenen Tageszeitung. LeistG war nach Auffassung der entscheidenden Behörde er- 5 So die Urteile vom 28. Februar 2007, BVerwG 3 C 38.05 und BVerwG 3 C 13.06 = juris Rn. 17 bzw. 24. füllt, da die umfangreichen Ermittlungen nicht ergeben hät- 6 Bisher unveröffentlicht. ten, dass das Unternehmen bei der Beschäftigung der polni- 7 Vgl. nur Polizeiverordnung des Reichsminister des Innern über die schen Zwangsarbeiter die sich aus den sog Polenerlassen7 er- Kenntlichmachung im Reich eingesetzter Zivilarbeiter und –arbeite- gebenden Spielräume genutzt habe. Vielmehr sei mit den Ar- rinnen polnischen Volkstums vom 8. März 1940 (RGBl. I 1940, S. 555-556); Zusammenfassung aller Bestimmungen in: Runderlass beitern in der in diesen Erlassen angelegten menschenunwür- des RFSS u. Chef der Deutschen Polizei im RMdI vom 19.9.1943, „Be- digen Art und Weise umgegangen und diese sogar zu deren handlung der im Reichsgebiet befindlichen Arbeitskräfte polnischen Nachteil überschritten worden. Die Beklagte stützte sich da- Volkstums“, abgedruckt in: Der Chef der Sicherheitspolizei und des bei v. a. auf die vom Internationalen Suchdienst (ITS)8 über- SD, Allgemeine Erlaß-Sammlung, Teil 2 (1944); Hans Küppers/Rudolf sandten Lohnkarten aus dem Jahr 1942, die Wochenarbeits- Bannier, Arbeitsrecht der Polen im Deutschen Reich, Berlin ua, 1942. 8 Der Internationale Suchdienst / International Tracing Service wurde zeiten von zum Teil mehr als 70 Stunden unter schwersten nach dem 2. Weltkrieg in Bad Arolsen zur Suche nach Überlebenden Bedingungen belegten. Dem schloss sich das VG an. der NS-Verfolgung eingerichtet. Dort befinden sich ua firmen- und Zur Bestimmung der Grundsätze der Menschlichkeit oder personenbezogene Unterlagen zu Zwangsarbeit, siehe: www.its- Rechtsstaatlichkeit folgt das VG dem Grundsatzurteil des arolsen.org/. 9 9 BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2007 – BVerwG 3 C 13.06, ZOV 2007, Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2007. Sie er- 69 ff. geben sich dem Bundesverwaltungsgericht zufolge aus dem 10 Vgl. aaO, juris, Rn. 28. Das BVerwG bezieht sich hier auf die Recht- Sittengesetz und den jeder Rechtsordnung vorgegebenen na- sprechung zu früheren Kriegsfolgen- und Wiedergutmachungsrege- türlichen Rechten der Einzelperson, die auch in der Zeit der lungen, die zur Konkretisierung den Katalog der Menschenrechte in nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Geltung geblie- der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und 10 Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950 heranziehen, die ben seien. Anhaltspunkte für die rückschauende Betrach- durch das Gesetz vom 7. August 1952 (BGBl. II 1952, 658, 953) Bun- tung, ob ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlich- desrecht geworden ist, wie bspw. das Urteil vom 23. September 1957 keit oder Rechtsstaatlichkeit anzunehmen ist, gibt dem (BVerwG 5 C 488.56) zu §§ 3 Abs. 1 und 11 Ziff. 2 BVFG, das den gegen BVerwG zufolge auch Art. 1 Abs. 2 GG. Dort werde auf die einen sog. sowjetzonalen Flüchtling erhobenen Vorwurf der Denun- ziation betraf (NJW 1958, 35). unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als 11 Vgl. zum „Einfluss der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens auf die Grundrechtsberatungen des Grundgesetzes im Parlamenta- und der Gerechtigkeit in der Welt verwiesen.11 Hierzu zähle rischen Rat“ Daniel Eberhardt, MRM – MenschenRechtsMagazin, allerdings nicht jedes, etwa in internationalen Konventionen Heft 2/2009, S. 162 ff., 171. Insbesondere in Art. 1 GG kommt – vor niedergelegte Menschenrecht, sondern nur ein unverzichtba- dem Hintergrund der Negativerfahrungen mit dem NS-Regime – „ein gemeinsames naturrechtliches, dh vorstaatliches Verständnis rer Kern, also vor allem das Recht jedes Menschen auf Le- der niedergeschriebenen Rechte klar zum Ausdruck“, ebd., S. 163. Die ben und körperliche Unversehrtheit und auf eine menschen- Präambel der EMRK nimmt wiederum Bezug auf die AEMR, die am würdige Behandlung.12 Davon ausgehend erfülle nur eine er- 10. Dezember 1948 verkündet wurde. hebliche Zuwiderhandlung gegen diese Grundsätze den Aus- 12 A. a. O. mwN. 13 13 Vgl. aaO, Rn. 29. Soweit die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 4 Ausgl- schlusstatbestand. Dass das Verhalten unter der Herrschaft LeistG auf „in den westlichen Besatzungszonen geltende Maßstä- des Nationalsozialismus formal erlaubt oder von der Straf- be“ verweist, nimmt das BVerwG Bezug auf Art. II Nr. 1 des Gesetzes verfolgung ausgeschlossen war, schließe den Tatbestand Nr. 10 des Alliierten Kontrollrats über die Bestrafung von Personen, nicht aus.14 Es komme auch nicht auf die formale Gesetzmä- die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder ge- ßigkeit, sondern auf den materiellen Unrechtscharakter an.15 gen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben vom 20. Dezember 1945 (Amtsblatt 1946, S. 50). Die Definition der Verbrechen gegen die Der Ausschlusstatbestand setze zudem subjektiv ein zure- Menschlichkeit in Art. II Nr. 1 Buchst. c KRG Nr. 10 entspricht weitge- chenbares, vorwerfbares Verhalten voraus.16 Dabei handele hend derjenigen in Art. 6 Buchst. c des Statuts für den Internationa- es sich nicht um den strafrechtlichen oder zivilrechtlichen len Militärgerichtshof. Verschuldensbegriff; ausreichend sei eine wissentliche und 14 Vgl. aaO, Rn. 30; BVerwG, Urteil vom 19. März 1969 – BVerwG 6 C 115.63 = BVerwGE 31, 337, 341. willentliche Mitwirkung an Verstößen gegen die genannten 15 Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 1964 – BVerwG 8 C 60.62 = BVer- 17 Grundsätze. Im Hinblick auf den geforderten Systembezug wGE 19, 1, 4 = NJW 1964, 2220 ff. genüge ein allgemeiner Zusammenhang mit dem nationalso- 16 Vgl. aaO, Rn. 31; BVerfG, Beschluss vom 15. März 1961 – 2 Bvl 8/60 = zialistischen Staats- und Gesellschaftssystem, d. h. das Han- BVerfGE 12, 264, 270, zu § 3 Nr. 3 a G 131; BVerwG, Urteil vom 28. Fe- deln in einem öffentlichen Kontext. Danach sei der Aus- bruar 1963 – BVerwG 8 C 67.62 = BVerwGE 15,336, 339, zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG. schlusstatbestand des § 1 Abs. 4 Alt. 1 AusglLeistG bei der 17 BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1966 – BVerwG 6 C 80.63 = Beschäftigung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern BVerwGE 25, 128, 135, zu § 3 Satz 1 Nr. 3 a G 131.

NJ 8/2018 315 Aufsatz | Körner - Ausschluss von Ausgleichsleistungen gesetzten Zwangsarbeiter Spielräume gehabt, die sich zu de- dere der polnischen Zwangsarbeiter. Soweit in diesem Zu- ren Gunsten oder Ungunsten nutzen ließen und die durchaus sammenhang auf eine Niederschrift über eine Betriebsratsbe- unterschiedlich ausgefüllt worden seien.21 sprechung vom Februar 1947 verwiesen wurde, wonach sich In seiner ersten, die Grundsätze des Bundesverwaltungsge- die Betriebsführung bemüht habe, für die ausländischen Ar- richts konsequent anwendenden Entscheidung vom 24. Fe- beiter und Kriegsgefangenen zusätzliche Nahrungsmittel zu bruar 2009 zum Verstoß gegen die Grundsätze der Mensch- lichkeit oder Rechtsstaatlichkeit bei der Beschäftigung von „Ostarbeitern“22 in einem Unternehmen hatte das VG Dres- den ausgeführt: „Durch den ‚Ostarbeitererlass‘ vom 20.2.1942 (RGBl. I S. 419) war dieser Personenkreis bereits normativ in beson- 18 So die Äußerung des BVerwG in 3 C 38/05, juris Rn. 42. In der Ent- scheidung 3 C 13/06 formuliert das BVerwG, „dass nicht bereits im derer Weise rechtlos gestellt und wurde praktisch weitestge- Einsatz ausländischer Arbeiter und Kriegsgefangener als solchem hend gedemütigt. Ihm war Besitz weitestgehend untersagt, ein den Anspruch auf Ausgleichsleistung ausschließender Verstoß der Kontakt mit Deutschen und selbst der Kirchenbesuch gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit war verboten. ‚Blutschande‘ und selbst das Verlassen des Ar- gesehen werden kann“, aaO, juris Rn. 26. 19 Die Revision gegen das Urteil des VG Berlin vom 12. August 2005 (31 beitsplatzes wurde regelmäßig mit dem Tode bestraft. Sie A 347.04) wurde als unbegründet zurückgewiesen, weil weder die unterlagen einem Züchtigungsrecht der ‚Betriebsführer‘, wa- Rekrutierung noch die Anforderung selbst von unter menschenver- ren verpflichtet, Kennzeichen zu tragen und erhielten niedri- achtenden Umständen ins Deutsche Reich verschleppten ausländi- gere Essensrationen als andere Fremdarbeiter. Bei Nichtbe- schen Arbeitskräften dem Beschäftigungsunternehmen zurechen- bar sei noch sich im konkreten Fall Anhaltspunkte für ihre men- folgung von Arbeitsanweisungen und Widersetzlichkeiten schenrechtswidrige und menschenunwürdige Behandlung dort er- drohte die Einweisung in ‚Arbeitserziehungslager‘. Medizini- geben hätten. Mit dem am gleichen Tag verkündeten Urteil BVerwG sche Versorgung wurde weitgehend verweigert. ‚Löhne‘ wur- 3 C 38.05 wurde die Revision gegen das Urteil des VG Dresden vom den an die Arbeitsverwaltung abgeführt. Der Antrieb zum 25.1.2004 (2 K 202/03) ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen. Arbeiten bestand ausschließlich aus Hunger und Todesangst Das BVerwG hob in dieser Entscheidung hervor, dass es als Revisi- onsgericht an die in dem angefochtenen Urteil vom VG getroffenen (…). Die ‚Ostarbeiter‘ traf die massenhafte Verelendung zu- tatsächlichen Feststellungen gebunden sei. Die im Revisionsverfah- erst (…). Die Lage von Kriegsgefangenen und Ostarbeitern ren vorgetragenen Hinweise auf die mögliche Beschäftigung von verbesserte sich allenfalls dadurch geringfügig, dass – vor al- KZ-Häftlingen im Unternehmen waren nach Auffassung des lem nach der Niederlage in Stalingrad – im Zuge einer um- BVerwG insoweit nicht zu berücksichtigen, da sie keine allgemein- kundigen geschichtlichen Tatsachen darstellten. Die Reaktionen auf fassenden Leistungssteigerungskampagne ua Lebensmittelra- diese Entscheidung, insbesondere die Feststellung, dass die unter tionen an die Höhe der Arbeitsleistung gebunden wurden menschenverachtenden Umständen stattgefundene Rekrutierung und gewisse Qualifizierungsmaßnahmen erfolgten“ (…).23 v. a. der Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion den Beschäftigungs- unternehmen nicht zurechenbar sei, waren gespalten (vgl. Albert Der vom BVerwG geforderten differenzierenden Betrachtung Jaekel, IFLA 9/2007, S. 97 ff.). und umfassenden Würdigung aller bedeutsamen Umstände 20 Das BVerwG verweist hier auf die grundlegende Studie von Ulrich des Einzelfalls folgend,24 bekräftigt das VG Dresden im Ur- Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ teil vom 6. Dezember 2017 die in seiner Entscheidung vom in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1999, S. 409 ff. 21 Hier beruft sich das BVerwG auf die Gesamtdarstellung von Mark 24. Februar 2009 daraus gezogenen Schlussfolgerungen: Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, Stuttgart/München „Bei der danach gebotenen Würdigung der individuellen 2001, S. 233 ff. und Herbert (Fn. 20), S. 420 ff. Umstände ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwal- 22 „Ostarbeiter sind Arbeitskräfte, die nichtdeutscher Volkszugehörig- keit sind, aus dem Reichskommissariat Ukraine, dem Generalbezirk tungsgerichts zu berücksichtigen, dass gerade nicht bereits Weißruthenien oder den daran oder an Lettland und Estland östlich die ‚bloße Befolgung‘ der Polen- und Ostarbeitererlasse zu angrenzenden Gebieten stammen und nach der Besetzung durch einer Entlastung im Hinblick auf den Vorwurf der Verlet- die deutsche Wehrmacht im Reich eingesetzt werden“ (§ 1 Verord- zung der Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaat- nung über die Einsatzbedingungen der Ostarbeiter vom 25. März lichkeit führen kann, sondern dass es vielmehr der tatrichter- 1944, RGBl. I, S. 68). 23 UA, S. 8 f. Die Entscheidung zum Az. 7 K 1196/06 ist, soweit ersicht- lichen Überprüfung bedarf, ob das Unternehmen die ihm bei lich, ebenfalls nicht veröffentlicht. Die sog. Polenerlasse stellten das Anwendung der Erlasse zur Verfügung stehenden Spielräume Modell für die fast genau zwei Jahre später beschlossenen Ostarbei- zu einer menschenwürdigen Behandlung der ausländischen tererlasse dar (vgl. Spoerer (Fn. 21), S. 94). Zwangsarbeiter genutzt hat. Allerdings führt der Umstand, 24 So BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2012 – 5 C 2.11; juris. Das BVerwG lehnte in dieser Entscheidung die Annahme einer tatsächlichen Ver- dass bereits aufgrund der damals geltenden rechtlichen Re- mutung (Indizwirkung) für das Vorliegen des Ausschlusstatbestan- gelungen für die Behandlung von polnischen Zwangsarbei- des im Hinblick auf die Tätigkeit eines Kriegs-/Oberkriegsgerichts- tern, etwa den Polen- und Ostarbeitererlassen, grundsätzlich rats ab. Vgl. hierzu die kritische Anmerkung von RiBVerwG a. D. Dr. von deren Diskriminierung und Schlechterbehandlung aus- Bernd Brunn, LKV 12/2012, 543 ff. zugehen ist, dazu, dass die positive Feststellung besonders 25 Vgl. UA S. 10. Das VG Dresden stützt sich hier auf die beiden Be- schlüsse des BVerwG vom 12. März 2014 (5 B 48.13) und 21. Juli 2009 negativer Bedingungen nicht Voraussetzung für die Annah- (BVerwG 5 B 42.09; juris), mit denen die Nichtzulassungsbeschwer- me einer Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit oder den gegen seine Urteile vom 23. Januar 2013 (6 K 1811/11) und vom Rechtsstaatlichkeit ist.“25 24. Februar 2009 (7 K 1196/06) zurückgewiesen wurden. Dem Im jetzt entschiedenen Fall war nach Auffassung des VG BVerwG in 5 B 42.09 zufolge hat das VG Dresden der aus dem Urteil vom 28. Februar 2007 abzuleitenden Verpflichtung zu einer diffe- Dresden nicht festzustellen, dass das Unternehmen die ihm renzierenden Betrachtungsweise genügt, indem es ausgehend von nach den sog Polenerlassen gegebenen Spielräume genutzt einem „Gesamtbefund“ einer „menschenverachtenden Lage“ der hat, um seinen polnischen Zwangsarbeitern im Vergleich zur speziellen Zwangsarbeitergruppe der Ostarbeiter Anhaltspunkte vorgezeichneten Erlasslage bessere Arbeits- und Lebensbe- ausfindig zu machen gesucht hat, die auf eine bessere (nicht men- dingungen zu bieten. Darüber hinaus belegten die im Ver- schenverachtende) Lage der in dem Unternehmen beschäftigten Zwangsarbeiter hindeuten könnten. Insoweit habe sich das VG waltungsvorgang enthaltenen Dokumente auch konkrete Dresden gerade nicht in einen rechtsgrundsätzlichen Widerspruch Ausformungen menschenunwürdiger Behandlung insbeson- zu dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 3 C 38/05 gesetzt.

316 NJ 8/2018 Ausschluss von Ausgleichsleistungen - Körner | Aufsatz beschaffen, sei dem VG zufolge hieraus weder erkennbar, in- Die Mitgliedschaft setzte sich 1932 zu etwa 59 % aus Adeli- wieweit dieses Bemühen tatsächlich umgesetzt wurde, noch gen, darunter zahlreichen ostelbischen Großagrariern, aus welchem Personenkreis dies ggf. zugute kommen sollte, da Großindustriellen wie bspw. Fritz Thyssen und Edmund ersichtlich bei der Verpflegung der Beschäftigten nach Natio- Stinnes, namhaften konservativen Politikern wie Franz von nalitäten differenziert wurde.26 Papen, , , und Im Ergebnis ist dem VG zufolge aufgrund der nicht feststell- Reichspräsident von Hindenburg zusammen.34 baren Nutzung der Spielräume aus den sog. Polenerlassen In seinen im „Ring“ publizierten Artikeln wandte sich der zugunsten der polnischen Zwangsarbeiter der Tatbestand Herausgeber als Autor oder Mitglied der Schriftleitung ge- des § 1 Abs. 4 AusglLeistG in Form eines Verstoßes gegen gen das „System von Weimar“, plädierte für eine Führerper- die Grundsätze der Menschlichkeit der Rechtsstaatlichkeit sönlichkeit und einen autoritären Staat. 1931 veröffentlichte bereits erfüllt.27 Denn nach der dargestellten Rechtspre- er im Ring einen „Offenen Brief an Hitler“, in dem er auf chung des Bundesverwaltungsgerichts bedürfe es keiner po- die gemeinsame „entschiedene Opposition gegen das Sys- sitiven Feststellung besonders negativer Bedingungen für tem“ verweist, gleichzeitig an Hitler appelliert, „Verantwor- eine Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit oder tung zu übernehmen“ und nicht „Parteipropaganda (zu) be- Rechtsstaatlichkeit.28 Im Folgenden befasst sich das VG mit treiben“.35 den vorliegenden Archivdokumenten, anhand derer sich er- Leitmotive der „Ring-Bewegung“ waren die Sammlung einer gänzend jedoch auch eine solche positive Feststellung treffen „neuen Front“ oder „nationalen Opposition“ (gegen die ließe. parlamentarische Regierung), die Forderung nach einer Man kann hier mittlerweile von einer gefestigten ständigen „konservativen Revolution“, die Schaffung eines überpartei- 36 Rechtsprechung des VG Dresden zum Ausschlusstatbestand lich-autoritären „Neuen Staates“ bzw. „Dritten Reiches“. des § 1 Abs. 4 Alt. 1 AusglLeistG in Bezug auf die Beschäfti- gung von Zwangsarbeitern sprechen,29 die inzwischen auch von anderen Verwaltungsgerichten vertreten wird.30

II. Erhebliches Vorschubleisten des NS-Regimes

Das Urteil des VG Gera vom 11. Oktober 201631 befasste sich mit einer ganz anderen Thematik im Rahmen der 3.Tat- bestandsalternative des § 1 Abs. 4 AusglLeistG, dem erhebli- chen Vorschubleisten dem NS-System. Der frühere Eigentümer des nach dem Gesetz über die Bo- denreform im Lande Thüringen vom 10. September 194532 entschädigungslos enteigneten Rittergutes, um dessen Aus- 26 UA, S. 11 f.. gleichsleistung gestritten wurde, war geschäftsführender 27 Bei einem Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Vorstand des von ihm 1924 mitgegründeten „Herrenklubs“, Rechtsstaatlichkeit iSd § 1 Abs. 4 Alt. 1 AusglLeistG ist – im Gegen- der später in Deutscher Herrenklub umbenannt wurde. Da- satz zur 3. Alt. – eine „Relativierung“ durch regimeschädliche Hand- lungen, die hier auch nicht vorgetragen wurden, grundsätzlich nicht neben war er Herausgeber und zugleich verantwortlicher möglich, vgl. VG Gera, Urteil vom 7. Januar 2010 – Az.: 5 K 757/08, Redakteur der 1928 gegründeten und wöchentlich erschei- und BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2015 – BVerwG 5 B 43/14, juris nenden Herrenklubzeitung „Der Ring. Konservative Wo- Rn. 60 bzw. Rn. 7. chenschrift“ (ab Oktober 1934: „Der Wirtschafts-Ring“), 28 UA, S. 13. deren Auflage zwischen 3.600 und 5000 Exemplare betrug. 29 So im Urteil der 6. Kammer vom 12. März 2014 – 6 K 1063/12, juris; ebenso das Urteil vom 21. Mai 2014 – 6 K 1247/11, UA, S. 9, dort auch Der „Herrenklub“ verstand sich nach zeitgenössischer Be- zur Beschäftigung von KZ-Häftlingen. schreibung als „eine Auslese am Staatsleben interessierter 30 Ähnlich bspw. VG Greifswald, Urteile vom 20. Februar 2013 (6 A und nationalpolitisch sich weiterbildender Männer (…) Er 831/10), vom 23. Mai 2013 (6 A 739/11) und vom 27. Mai 2014 (2 A hat seinen Hauptsitz in Berlin, ist aber auch im ganzen Rei- 36/12); VG Chemnitz, Urteil vom 13. November 2013 – 1 K 802/10; VG Gera, Urteil vom 26. März 2015 – 5 K 231/13. che mit etwa 5000 Mitgliedern verbreitet. (…) Er ist ein aus- 31 VG Gera, Urteil vom 11. Oktober 2016 – 6 K 1372/14 Ge, juris. Das erwählter, aber durchaus nicht streng geschlossener Kreis, in BVerwG hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision dem sich bereits zu einer Zeit, als der Parlamentarismus durch das VG Gera mit Beschluss vom 9. Oktober 2017, Az. 8 B 1/17, noch in voller Scheinblüte stand, nationale Männer über den zurückgewiesen (NJ 2018, 304 ff.). Parteien, dh Persönlichkeiten mit einer freien Meinung und 32 RBl. für das Land Thüringen vom 22. Sepember 1945, Teil I, 1945 Nr. 5. 33 Wilhelm von Schramm, „Was ist der Herrenklub / Die Wirkung einer wirklichem Urteil zusammenfinden konnten. (…) Nicht von nationalen Gesellschaft“, Münchner Neueste Nachrichten, Nr. 325 ungefähr ist also ein deutscher Reichskanzler aus dieser vom 29. November 1932, Abdruck im „Ring“, 50/1932, S. 852-853, zit. überparteilichen Auslese hervorgegangen (…) er stand im nach VG Gera, UA, S. 3. Zusammenhang mit dem Gedanken Moeller van den 34 Vgl. Olaf Grewe, Der Deutsche Herrenklub und der Sturz der Regie- Brucks, der ja zu den geistigen Urhebern des Herren-Clubs rung Brüning, Magisterarbeit Univ. Bamberg 2000, S. 34 ff.. 35 Vgl. Der Ring 45/1931, S. 835 f., VG Gera UA, S. 4, juris Rn. 12 ff.. gehörte, und wusste also von der Parole des Dritten Reiches, 36 Vgl. Der Ring 33/1928, S. 613 f.: „Die neue Front!“; 37/1928, S. 693 ff.: lange bevor es ein Schlagwort geworden war; er stand mit „Konservative Tatkik“; Artikelserie „Staat, Opposition und Nation“: den Mitarbeitern des ‚Ring‘, der konservativen Zeitschrift in 46/1928, S. 873 ff.; 47/1928, S. 893 ff.; 48/1928, S. 913 ff.; 49/1928, festem Kontakt (…) und erfuhr schließlich den Einfluss jener S. 933 ff.; 50/1928, S. 955 ff.; „Konservative Opposition“: 38/1929, großartigen nationalpolitischen Entscheidung, die der Berli- S. 721 f. und 40/1929, 769 f. (Briefwechsel mit v.Papen). Arthur Moel- ler van den Bruck war mit seinem Werk „Das Dritte Reich“ (Berlin, ner Staatsrechtler und seine eben emporkom- 1923) einer der führenden Ideengeber des Jungkonservatismus und mende Schule repräsentierte…“.33 des„Ring-Kreises“, vgl. Grewe (Fn. 35), S. 12.

NJ 8/2018 317 Aufsatz | Körner - Ausschluss von Ausgleichsleistungen

Auch der von Reichspräsident Hindenburg erstmals im Juni schaftlich exponierten Stellungen als ‚Multiplikatoren‘ für 1932 als Reichskanzler berufene ,37 der vor die Weiterverbreitung der Botschaft im Deutschen Reich so- allem in den letzten Monaten der Weimarer Republik als wie im Ausland unschwer sorgen konnten. 38 „Steigbügelhalter“ Hitlers eine unheilvolle Rolle spielte, Vor allem hat A seine hervorgehobene Stellung als Heraus- 39 publizierte Aufsätze und Reden im „Ring“, die der Her- geber und verantwortlicher Redakteur des ‚Ring‘ dazu ge- ausgeber zustimmend kommentierte. Auf dem Jahrestreffen nutzt, nach dem 30. Januar 1933 die Regierung Hitler-Pa- des „Herrenklub“ am 16. Dezember 1932 warb von Papen pen-Hugenberg darin zu bestärken, die Weimarer Reichsver- offen für den Eintritt der NSDAP in eine autoritäre Reichsre- fassung zu eliminieren.“47 gierung.40 Seine Ansprache wurde ebenfalls im Ring abge- druckt.41 Im Hinblick auf die vom Bundesverwaltungsgericht ent- wickelten subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen,48 das In der Ausgabe des „Ring“ vom 3. Februar 1933 wurde die Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung, führt Bildung der Regierung Hitler-Papen-Hugenberg als „eine das VG Gera aus: Kombination von Traum und Wirklichkeit, aus Realpolitik und Idealismus wie keines vor ihm“ begrüßt.42 Weitere Ver- „Zweifellos kam es A darauf an, vor allem durch seine di- öffentlichungen im „Ring“ befassen sich zustimmend mit versen Zeitungsbeiträge im ‚Ring‘ und seine Veröffentli- der Zusammenarbeit Papens mit Hitler in einer „nationalen chungs- und Herausgeberpraxis aus der Zeit zwischen 1928 Regierung“.43 und 1933 dazu beizutragen, dass das parlamentarische Re- Neben den Schriftstellern Gottfried Benn, Rudolf G. Binding und Otto Flake gehörte der Herausgeber des Ring im Okto- 37 Franz von Papen (1879 – 1969), von 1921-28 und 1930-32 Mitglied des ber 1933 zu den 88 Unterzeichnern des sog „Treuegelöb- Landtags für den rechten Flügel der Zentrumspartei in Preußen, aus der er nach der Bildung des „Kabinetts der Barone“ am 3. Juni 1932 44 nis“. Im Übrigen gab er in einem Fragebogen für Mitglie- austrat; vom 1. Juni 1932 bis November 1932 Reichskanzler; als der des Reichsverbandes deutscher Schriftsteller an, fördern- für Preußen verfügte er die Absetzung der amtie- des Mitglied der SS zu sein. renden preußischen Regierung am 20. Juli 1932 („Preußenschlag“); Die Ablehnung der begehrten Ausgleichsleistung wegen er- von Januar 1933 bis Juli 1934 Vizekanzler im Kabinett Hitler; 1934-1938 Gesandter, später Botschafter in Österreich und von heblichen Vorschubleistens dem NS-System bestätigte des 1939-44 in der Türkei, vgl. Klaus A. Lankheit, in: Hermann Weiß VG Gera im Wesentlichen unter Berufung auf die Grund- (Hrsg.), Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt/Main satzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 1998, S. 346 f.. 17. März 2015, die zu Alfred Hugenberg45 ergangen ist: 38 So die Beschreibung des amerikanischen Chefanklägers im Nürnber- ger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher beschrieben, vgl. Inter- „Ein erhebliches Vorschubleisten im Sinne des § 1 Abs. 4 national Military Tribunal Nuremberg (IMT), Volume XIX, Procee- AusglLeistG ist bereits in der Phase der Errichtung des na- dings 19 July 1946 – 29 July 1946, Nürnberg 1948, S. 416 f.; vgl. auch tionalsozialistischen Systems möglich und nicht erst nach Joe J. Heydecker/J. Leeb, Der Nürnberger Prozess, Köln 2015, S. 53. In dessen Etablierung. Die Hauptverantwortung für die unter Nürnberg freigesprochen, wurde v. Papen 1947 im Spruchkammer- der jeweiligen Diktatur ergangenen Unrechtsmaßnahmen verfahren in Nürnberg als „Hauptschuldiger“ eingestuft und zu 8 Jahren Arbeitslager verurteilt; 1949 entlassen (vgl. ebd., 606, 628, trägt in nicht minderem Maße derjenige, der zur Errichtung 650). des Systems wesentlich beigetragen hat, der der Diktatur den 39 Vgl. bspw. „Konservative Opposition“, Der Ring 40/1929, S. 769 f.; UA, Weg bereitet und dadurch einen Beitrag dazu geleistet hat, S. 6. dass deren Unrechtsmaßnahmen erst möglich wurden. 40 Vgl. VG Gera, aaO, juris, Rn. 34 ff., unter Verweis auf Theodor Eschen- burg, Lebenserinnerungen, Band 1, „Also hören Sie mal zu“, Ge- In objektiver Hinsicht setzt das erhebliche Vorschubleisten schichte und Geschichten 1904 bis 1933, 2. Auflage, Berlin 2000, voraus, dass nicht nur gelegentlich oder belläufig, sondern S. 311-313; ders. VfZ 2/1953, S. 165; zur Diskussion Eschenburgs eige- mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen ner Rolle vgl. Hans Woller/Jürgen Zarusky, in: VfZ 4/2013, S. 551 ff.. werden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen für die 41 Der Ring 52/1932, S. 894 ff.. Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des natio- 42 Der Ring 5/1933, S. 75; VG Gera, aaO, juris Rn. 48. 43 Der Ring 6/1933, S. 91; 9/1933, S. 149 f.; 11/1933, S. 171, 173 f.; vgl. VG nalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand zu Gera, aaO, juris Rn. 49 ff.. unterdrücken und dies auch zum Ergebnis hatten. Erforder- 44 In der Vossischen Zeitung vom 26. Oktober 1933 wurde das sog. lich ist eine höhere Intensität und Wirkung der Unterstüt- Treuegelöbnis unter dem Titel veröffentlich: „88 deutsche Schrift- zung. Das Vorschubleisten muss sich auf das ‚nationalsozia- steller haben durch ihre Unterschrift dem Reichskanzler listische System‘ gerichtet haben. Die unterstützende Tätig- das folgende Treuegelöbnis abgelegt“; in der Frankfurter Zeitung vom 28. Oktober 1933, Abendblatt/Erstes Morgenblatt 78. Jg. Nr. 780 keit muss sich auf spezifische Ziele des nationalsozialisti- lautete der Titel: „Kundgebung deutscher Schriftsteller. ‚Gelöbnis schen Systems bezogen haben. Eine Unterstützung nicht spe- treuester Gefolgschaft‘“ (jeweils auf der Seite 2). zifisch von der nationalsozialistischen Ideologie geprägter 45 (1865-1951); vor allem bekannt als Gründer des sog. Hugenberg-Kon- Bestrebungen, wie etwa des Ziels, den Zweiten Weltkrieg zu zerns, zu dem ua auch die UfA gehörte; von 1928-33 Parteivorsitzen- gewinnen, genügt nicht. Den Nutzen, den das Regime aus der der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP);1931 maßgeblicher Initiator der „Harzburger Front“, einem Bündnis der „Nationalen dem Handeln gezogen hat, darf nicht nur ganz unbedeutend Opposition“ unter Einbeziehung Hitlers; im ersten Kabinett Hitler 46 gewesen sein“. von Januar bis Juni 1933 Reichsminister für Wirtschaft, Ernährung Nach diesen Maßstäben bewertet das VG Gera das Handeln und Landwirtschaft; von 1946 bis 1951 in britischer Internierung; im des geschäftsführenden Vorstands des Herrenklubs und Her- Entnazifizierungsverfahren 1950 als „entlastet“ eingestuft; vgl. ausgeber sowie verantwortlichen Redakteurs des „Ring“ als Lankheit (Fn. 37), S. 236; BVerwG, Urteil vom 17. März 2005 – 3 C 20/04, juris. „Papens Unterstützer und Sprachrohr“ als erhebliches Vor- 46 VG Gera, aaO, juris, Rn. 101 f.; vgl. BVerwG (Az. 3 C 20/04), juris Rn. 13, schubleisten dem NS-System i. S. d. § 1 Abs. 4 AusglLeistG: 16 ff.. „Er hat die besagte Rede Papens durch die Veröffentlichung 47 VG Gera, aaO, juris Rn. 109 f., unter Verweis auf Stefan Malinowski, im ‚Ring‘ (…) dem erheblichen Adressatenkreis von 3.000 Vom König zum Führer: Sozialer Niedergang und politische Radikali- sierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, Ber- bis 5.000 Personen zugänglich gemacht. Hierbei handelte es lin 2003, S. 430 f.. sich um Personen, die wegen ihrer beruflichen und gesell- 48 Vgl. VG Gera, aaO, juris, Rn. 21 f..

318 NJ 8/2018 Probleme des Personalstatuts der aufgenommenen jüdischen Kontingentflüchtlinge - Robbert | Aufsatz gierungssystem und wesentliche Grundfreiheiten der Weima- aussagekräftige, vor allem erstinstanzliche Entscheidungen rer Reichsverfassung beseitigt werden. Dass er dabei nicht vorliegen.50 das Hauptziel verfolgte, den nationalsozialistischen Herr- schaftsanspruch durchzusetzen, sondern es ihm um die 49 Vgl.VG Gera, aaO, juris, Rn. 124, unter Verweis auf Karl Dietrich Bra- Schaffung eines restaurativen Ständestaates und er damit cher, Die Auflösung der Weimarer Republik, Villingen 1960, S. 544 f.; einen ‚dritten Weg‘ zwischen Demokratie und Diktatur ge- Erich Nolte, Der Europäische Bürgerkrieg 1917-1945, München 2000, S. 210. gangen sein will (…), ist in diesem Zusammenhang unerheb- 50 Vgl. bspw. VG Dresden, Urteil vom 23. Juli 2008 (Az. 6 K 2663/05) lich. Das Zwischenziel von NSDAP und Vertretern des ‚Neu- iVm d. Beschluss des BVerwG vom 12. Dezember 2008 (BVerwG 5 B en Staates‘, nämlich das ‚System von Weimar‘ zu überwin- 104/08 – juris) zum Gesellschafter eines Unternehmens, das eine den, war dasselbe“.49 Zeitung, herausgab, die das NS-System und seine Rassenideologie befürwortende Artikel veröffentlichte; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 16. Oktober 2008 (Az. 4 K 1114/06, juris) zum Herausgeber einer Schrift, die „wesentliche Grundgedanken der nationalsozialistischen Weltanschauung“ enthielt und an alle NS-Formationen verteilt wur- III. Fazit de; VG Berlin, Urteil vom 24. Mai 2012 (Az. 29 K 121/09, juris) zur Ver- breitung der NS-Ideologie durch Schriften und Reden; VG , Die Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht in der Urteil vom 14. März 2013 (Az. 1 K 561/12) zu einem Redakteur und Hugenberg-Entscheidung entwickelten Rechtsprechungs- Hauptschriftleiter sowie Herausgeber eines Anzeigers, in dem „dis- grundsätze auf Unterstützungshandlungen für Franz von Pa- tanzlos das NS-Gedankengut befürwortet“ wurde; VG Dresden, Ur- teil vom 14. August 2013 (Az. 6 K 1099/10) zur Unternehmensunwür- pen vor und im Verlauf der NS-Machtübernahme ist folge- digkeit durch Herausgabe einer Zeitung, die „kompromisslos die richtig, gehören doch beide Politiker zu den „Steigbügelhal- vorgegebene Meinung der NSDAP verbreitete“ sowie die Revisions- tern“ Hitlers und haben der Machtübernahme Hitlers den entscheidung des BVerwG hierzu vom 23. April 2015 (BVerwG 5 C Weg geebnet. 10/14 = ZOV 2015, 206 = juris); VG Leipzig, Urteil vom 12. Februar 2014 (Az. 1 K 1091/11) zu einem stelllvertr. bzw. ehrenamtlichen Kreis- Bedeutsam ist diese durch das Bundesverwaltungsgericht be- propagandaleiter der NSDAP und Herausgeber sog Heimatbriefe für stätigte Entscheidung auch für die Beurteilung einer im Rah- Soldaten; VG Magdeburg, Urteil vom 6. Juli 2016 (Az. 8 A 54/16, juris) men des Ausschlusstatbestandes zurechenbaren publizis- zu einem Herausgeber und stellvertretenden Schriftleiter einer Ta- tischen Verantwortlichkeit, zu der ebenfalls bereits einige geszeitung, in der antijüdische Propaganda und den NS verherrli- chende Artikel, teilsweise vom Unternehmensinhaber selbst ver- fasst, veröffentlicht wurden.

Probleme des Personalstatuts der bis zum 31. Dezember 2004 in Deutschland aufgenommenen jüdischen Kontingentflüchtlinge

Rechtsanwalt Dr. Jens Robbert, Potsdam

Eine aktuelle Entscheidung des Kammergerichts Berlin1 den begangene Unrecht herausgestellt und ein Beitrag zur macht es erforderlich, das Personalstatut der bis zum Wiedergutmachung dieses Unrechts geleistet werden. Dane- 31. Dezember 2004 in Deutschland aufgenommenen jüdi- ben sollten die überalterten und winzigen jüdischen Gemein- schen Kontingentflüchtlinge näher zu untersuchen. den in Deutschland erhalten und gestärkt werden. Schließ- 1. Anläßlich des politischen Systemwechsels und der Beseiti- lich bezweckten die erwähnten staatlichen Regierungsstellen gung des „eisernen Vorhangs“ entschieden sich zahlreiche eine Wiederbelebung des jüdischen Elements im deutschen Bürger der ehemaligen Sowjetunion mit jüdischer Nationali- gesellschaftlichen Leben. Dagegen spielte – im Gegensatz zu tät (die bundesdeutschen Stellen sprechen in diesem Zusam- der Entscheidung der DDR – eine irgendwie geartete Verfol- 3 menhang lieber von „Bürgern jüdischen Glaubens“) nach gungssituation in der ehemaligen Sowjetunion keine Rolle. Deutschland überzusiedeln. Schon im Juli 1990 beschloß Der Beschluß der Regierungschefs vom 9. Januar 1991 be- deshalb der Ministerrat der DDR, „ausländischen jüdischen ruht auf diesen Weichenstellungen. Der besondere aufent- Bürgern, denen Verfolgung oder Diskriminierung droht, aus haltsrechtliche Status des betroffenen Personenkreises ergibt humanitären Gründen Aufenthalt in Deutschland“ zu ge- sich ebenfalls aus dem Wortlaut dieses Beschlusses vom währen.2 Dem gegenüber verhielt sich die Bundesrepublik 9. Januar 1991, in dem es heißt, „die Einreise von Juden aus diesem Personenkreis gegenüber zunächst sehr zurückhal- der Sowjetunion – ohne zahlenmäßige Begrenzung – werde tend. Nach heftigen politischen Auseinandersetzungen im aufgrund von Einzelfallentscheidungen in entsprechender Bundestag einigten sich Ende des Jahres 1990 Bundesregie- Anwendung des „Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen rung, Zentralrat der Juden in Deutschland und die Länder- regierungen auf eine Fortführung der Aufnahme dieses Per- sonenkreises, allerdings mit einer deutlich anderen Begrün- 1 KG Berlin, Beschluss vom 2. Oktober 2017 – 3 WF 140/17, NJ 2018, 245. 2 BT-Drs. 11/8439 vom 14. November1990. dung. Danach sollte mit der Aufnahme jüdischer Zuwande- 3 BT-Drs. 11/8439 vom 14. November 1990, Seite 2 ff.; siehe auch: Hoch- rer die Verantwortung Deutschlands für das gegenüber Ju- reuther, Zuwanderung als Wiedergutmachung?, NVwZ 2000, 1376.

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