Situation zum Ende des Alten Reiches 1794

Die politische, gesellschaftliche, wirtschaft- Stand hinaus zu erheben, war jedenfalls gering. liche und soziale Situation zur Zeit des Alten Befreiend wirkte das kirchliche Amt. Reiches war gekennzeichnet durch eine starke Über allem stand der Adel als Grundbesitzer. territoriale Zersplitterung, ein kompliziertes Der Grundbesitzer - Adel sowie Kirchen und Rechtswesen, eine rechtliche Ungleichheit zwi- Klöster - empfing an den Grundbesitz gebun- schen Stadt und Land, die enge Bindung und dene Abgaben und Arbeitsleistungen und übte Einengung durch Zünfte, Privilegien von Adel die niedere Gerichtsbarkeit aus. Adel und Geist- und Kirche, die weitgehend von Abgaben be- liche waren steuerfrei. freit waren. Der ständische Aufbau der Gesell- In den Städten besaß die Bürgerschaft die schaft mit Freien und Unfreien in der feudalen Selbstverwaltung. Der Bürger war jedoch nicht Ordnung wies jedem Menschen seinen festen vollkommen frei. So war die Zugehörigkeit zu Platz zu. einem Berufszweig durch Zünfte und stadtwirt- Die Lebensverhältnisse in dieser vorwiegend schaftliche Satzungen geregelt. Man lebte auch agrarischen Gesellschaft mit ihren zahlreichen in den Städten meist in beengten Wohnver- Zwängen waren äußerst dürftig. Sie wurden aber hältnissen und hatte Abgaben und Dienstlei- durch den großen Einfluss der Kirche von den stungen zu erbringen. Untertanen als „gottgegeben“ hingenommen. Der Bauer war zunächst an den Grundherren, „Die ständische Gesellschaftsordnung teilte je- aber auch an die Herrschaft, in der er lebte ge- dem seinen Platz zu, man war Adeliger, Bür- bunden. Es war nicht leicht, aus dieser Bindung ger oder Bauer. Die soziale Stufe, in die man entlassen zu werden. Es waren Abgaben und hineingeboren war, konnte man grundsätzlich Dienste zu leisten an den Grundherren, ebenso nicht wechseln. Die Chance, sich über seinen an die Landesherren und die Kirche.

Unsere Region im 17. Jahrhundert auf einer Karte (Ausschnitt) des Erzbistums Köln

Heimatjahrbuch Kreis 2016 u 9 Dabei empfanden die Menschen in den we- Herrschaft Lind nigsten Fällen die feste gesellschaftliche Ein- Herrschaft Vischel: Berg, Häselingen, Ober- und bindung als Zwang, zumal das Eingebun- Unterkrälingen, Vellen, Vischel, Höfe Spring, densein in die Gemeinschaft auch in Not und Tungenbrug, Weißerath Krankheit trug. Die ständische Ordnung galt Herrschaft Wensberg: Ruine Wensberg, Plit- als eine unveränderliche, die über Generati- tersdorf, Herschbach, Halbacher Hof onen von Bestand war und bleiben würde. In Amt Hardt den Rechten und Pflichten, der Arbeitsweise, Dingstuhl Mutscheid: Obliers im alltäglichen und religiösen Leben wie im Brauchtum war die Überlieferung der Vorfah- Amt Mehlem ren entscheidend.“1) Das kann hier nur ange- Kloster Nonnenwerth, Rolandswerth deutet werden. Amt Nürburg Herrschaftsverhältnisse um 1789 Schulheißenamt : Adenau, Breidscheid, Im Hinblick auf die weitere politische Entwick- Gilgenbach, , , Leim- lung unseres Gebietes soll darum lediglich die bach, , territoriale Gliederung um 1789 des heutigen Schulheißenamt u. Vogtei Bar- Kreisgebietes vorgestellt werden. Die damalige weiler: Barweiler, Bauler, , Kirmut- Geschichtskarte mit den Herrschaftsverhältnis- scheid, Reifferscheid, Müsch, , , sen zeigt schon die für den rheinischen Raum , Dreimüllerhof typische territoriale Zersplitterung. Schultheißenamt der vier Honschaften auf der Im Jahre 1789 waren folgende 16 Territorien : Dümpelfeld, , , Lücken- bzw. Herrschaften im heutigen Kreisgebiet bach, Niederadenau, Schuld, , Win- vertreten:2) nerath Schultheißenamt Welcherath: , Kurköln Krebsbacher Hof, Nürburg, Unterherrschaft Amt Andernach Herrschaft Buchholz mit Beunerhof und Buch- holz Kurpfalz Herzogtum Jülich Herrschaft Waldorf Amt Münstereifel Herrschaft Wehr mit Steinbergerhof Gericht Tondorf: Blindert mit Brölingen und Stadt und Vogtei Ahrweiler Marthel, Hümmel mit Falkenberg, Pitscheid Stadt Ahrweiler mit Bachem, Kloster Calvarien- und Heister berg, Marienthal (teilw.), Walporzheim Herrschaft Vettelhoven Amt Neuenahr Dingstuhl Bengen Amt Dingstuhl Holzweiler: Nieder- und Oberesch, Dingstuhl Kirchspiel Altenahr: Altenahr, Al- Nieder- und Oberholzweiler tenburg, Kreuzberg, Reimerzhoven, Höfe Dingstuhl Karweiler Burtscheid, Entelburg, Hengsberg, Imgen- Dingstuhl Leimersdorf: Birresdorf, Leimersdorf, hausen Niederich, Oeverich Dingstuhl Brück: Brück, Denn, Pützfeld Dingstuhl Ramersbach Vogtei Hönningen Dingstuhl Ringen: Beller, Bölingen, Ringen Vogtei : Kesseling, Staffel, Weidenbach Dingstuhl Wadenheim: Beul, Hemmessen, Wa- Dingstuhl Liers denheim Herrschaft Burgsahr: Burgsahr, Binzenbach (teilw.), Freisheim, Hürnig Amt und Herrschaft : Kirchsahr, Winnen, Dingstuhl Gimmigen (Gemeinsam mit Lands- Binzenbach (teilw.) kron)

10 u Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2016 Das Bürgerhaus auf dem Markt in Remagen im ausgehenden 18. Jahrhundert: Es wurde 1808 abgerissen. In ihm tagten zur Zeit des Alten Reiches auch die Schöffen und Räte.

Dingstuhl Heimersheim: Ehlingen, Heimers- Herzogtum Arenberg heim, Heppingen Schloß und Tal , , Dorsel Dingstuhl Kirchdaun (gemeinsam mit Lands- mit Stahlhütte, mit Frohnhofen, kron) , mit Laufenbacher Hof Herrschaft Oberwinter: Bandorf, Birgel, Ober- winter Herrschaft Adendorf Dingstuhl Remagen: Kripp, Kalmuth, Kloster Eckendorf Apollinarisberg Stadt Remagen Herrschaft Ahrental Dingstuhl Sinzig: Koisdorf, Löhndorf, Vehn, Schloß Ahrenthal, Franken, Kalenborn Stadt Sinzig, Godenhaus, Hombüchel, Westum Dingstuhl Unkelbach Herrschaft Burgbrohl, Kurtrier Herrschaft Eltz/Kurtrier Amt Daun Blasweiler, Beilstein, Burg Gericht Kelberg, Zenterei Kelberg: Müllenbach Herrschaft Gelsdorf Gericht Nohn: , , Trier- scheid Herrschaft Königsfeld Oberamt Mayen Königsfeld mit Leyerhof, Amt Herrschaft Kempenich: Engeln, Hohen- Gericht : Cassel, Fronrath, Lang- leimbach, Kempenich mit Nette- und Heidener- hardt, Nieder- und Oberheckenbach, Watzel Höfe, Lederbach, Spessart, Wabern, , Gericht Herresbach: Jammelshofen strittigt mit Eltz, Beilstein, Blasweiler Die Pellenz: Abtei Laach Herrschaft Landskron Bodendorf, Gimmingen (anteilig mit Jülich); Kirchdaun (anteilig mit Jülich), Burg Lands- Reichsstift Fürstentum Essen/Kurpfalz kron, Lohrsdorf, Green, Nieder- und Obernie- Herrschaft Breisig: Brohl, Gönnersdorf, Nieder- rendorf, Oedingen, mit Schir- und Oberbreisig, Nieder- und Oberlützingen merhof, Vinxt

Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2016 u 11 Ganherrschaft Lantershofen Burgherrschaft Rheineck Herrschaft Olbrück Schloß und Tal Rheineck , Büschhöfe, Fußhölle, , Hain, Hannebach, Nieder- und Oberdürenbach, Nie- Schon allein diese Auflistung vermittelt einen der- und , Oberweiler, Ruine Ol- Eindruck von der Zersplitterung des Territo- brück, Rodder, Schelborn, Wollscheid riums und dessen komplizierter und höchst unterschiedlicher Verwaltung, die kaum Spiel- Herrschaft Saffenburg raum für Entfaltung des Einzelnen ließ. , Mayschoß mit Bongard, Laach, Mari- enthal (teilw.), Ruine Saffenburg, Rech

Französische Zeit 1794 - 1814

„Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ wa- weil sonst der ohnehin hart mitgenommene ren Maximen der Aufklärung und die zentralen Bürgerstand nicht mehr bestehen kann, da die- Forderungen der Französischen Revolution von sem alle Lasten anheimfallen, indem die freien 1789. Sie veränderten ganz Europa. Güter (nämlich die der Kirche und des Adels) Dass das revolutionäre Gedankengut nicht an eine völlige Immunität besitzen und der Arme den Grenzen Halt machte, zeigt die Reaktion nichts geben kann, folglich der Mittelstand die der Remagener Gemeindevertretung auf die Bürde ganz allein tragen muß.“4) Das Ende der Verordnung der jülich-bergischen Landesregie- Adelsherrschaft und der ständestaatlichen Ord- rung vom 16. August 1794, also noch bevor nung klingen hier deutlich an. französische Revolutionstruppen im Oktober Die grundlegenden 1794 das linke Rheinufer besetzten und auch Veränderungen in der Ahrgegend Freiheitsbäume als Symbole waren nicht mehr der neuen Freiheit errichteten.3) aufzuhalten. Der Eine Aufstellung von Volksmilizen gegen die Untergang des Al- französischen Revolutionsheere lehnten die ten Reiches wurde Gemeindevertreter von Remagen in ihrer äu- nach der Beset- ßerst geschickt formulierten Stellungnahme zung der linksrhei- rundweg ab. Ein solches Unternehmen sahen nischen Rheinlande sie nämlich als zwecklos an und zählten die durch französische Nachteile des militärischen Widerstandes für Revolutionstrup- die Bevölkerung auf. pen im Herbst 1794 Sie versicherten ihrem Landesherrn „getreue eingeläutet. Die al- Untertanen zu sein“, die die französische Re- te Ordnung wurde volution ablehnten. Allerdings schließt die zerstört und ein Denkschrift bezeichnenderweise mit der ent- grundlegender schiedenen Forderung nach „Gleichheit“, wo- struktureller Wan- mit ein zentraler Programmpunkt der Franzö- del der Gesellschaft sischen Revolution aufgegriffen wird. In der eingeleitet. Denkschrift, die Klaus Flink im Hauptstaatsar- Ab 1802 war das chiv Düsseldorf aufgefunden, ausgewertet und linke Rheinufer gedeutet hat, heißt es: „Zu wünschen wäre aber, dann auch völker- daß dem lasttragenden Bürger durch Einfüh- rechtlich franzö- Freiheitsbaum, der so nach rung der Gleichheit in den Beschwerden und sisches Staatsge- 1794 auch in unserer Re- Abgaben eine Erleichterung verschafft würde, biet, in dem die gion aufgestellt wurde.

12 u Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2016 Briefkopf aus Französischer Zeit von der Verwaltung des „Canton d‘Ahrweiler“

französische Verfassung galt. Die französische tone unterteilt, die sich aus Mairien (Bürger- Zeit war mehr als eine Episode und kann nicht meistereien) als unterste Verwaltungseinheiten auf das Etikett „Fremdherrschaft“ reduziert zusammensetzten. Hierauf baute dann in preu- wurden, das ihr vormals oft pauschal angehef- ßischer Zeit auch die Kreiseinteilung auf. tet wurde. Die kantonale Gliederung und die Zuordnung Diese Epoche von gerade 20 Jahren gehört der Gemeinden sahen in unserem Gebiet fol- „zu den einschneidendsten unserer Geschichte gendermaßen aus: überhaupt. Gesellschaftliche Ordnung, Verwal- tung, Verkehr, Handel, Maße haben ihre Wurzel Département de Rhin et Moselle in jenen wenigen Jahren.“5) Dabei soll der Besatzungsalltag, vor allem der Arrondissement Bonn frühen Zeit, mit zahlreichen Bedrückungen Kanton Adenau Kontributionen, Einquartierungen, Beschlag- Mairie Adenau mit den Gemeinden Adenau, nahmen etc. nicht ausgeblendet werden. Niederadenau, Herschbach, Insul, Kalenborn, Zudem arbeiteten in den Anfangsjahren auch Reifferscheid, Schuld, Leimbach, Müllenbach die alten Verwaltungen neben den neuen mili- tärischen und zivilen Stellen fort, was mitun- Mairie Aremberg mit den Gemeinden Arem- ter verwirrend war. Auch personell gab es eine berg, Antweiler, Dorsel, Hümmel, Wershofen Kontinuität von Verwaltungsfachmännern bis hinab auf die Kommunalbehörde.6) Mairie Barweiler mit den Gemeinden Barweiler, Bodenbach, Drees, Hoffeld, Nürburg Im zuvor territorial stark zersplitterten Rhein- land schuf die französische Territorial- und Kanton Ahrweiler Verwaltungsreform ab 1798 einen modernen Mairie Ahrweiler mit der Stadt Ahrweiler und Verwaltungsstaat, der die weitere Entwicklung den zugehörenden Orten unseres Raumes entscheidend prägte. Mairie Brück mit den Gemeinden Brück, Berg, Nach der französischen Territorialreform wur- Hönningen, Kesseling, Kreuzberg, Liers, Lind den die linksrheinischen Rheinlande in vier Départements aufgeteilt. Mairie Gelsdorf mit den Gemeinden Gelsdorf, Das heutige Kreisgebiet gehörte innerhalb des Eckendorf, Holzweiler, Vettelhoven Départements Rhein und Mosel (de Rhin et Mo- selle) zu den Arrondissements (Bezirken) Bonn Mairie Mayschoß mit den Gemeinden May- und Koblenz. Diese waren wiederum in Kan- schoß, Altenahr, Kalenborn, Dernau, Rech

Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2016 u 13 Gebührenstempel Siegel der Siegel der der Franz. Republik Mairie Aremberg Mairie Brück

Kanton Remagen Mairie Niederbreisig mit den Gemeinden Nie- Mairie Remagen mit den Gemeinden Rema- derbreisig, Gönnersdorf, Oberbreisig, Rheineck, gen, Bodendorf, Oberwinter, Unkelbach und Waldorf Rolandswerth Außerdem kamen in der Mairie Andernach die Gemeinde Brohl hinzu. Mairie Heimersheim mit den Gemeinden Hei- In den Kanton Virneburg gehörten in die Mairie mersheim, Bengen, Gimmingen, Kirchdaun, Virneburg Blasweiler und Niederheckenbach. Leimersdorf, Lohrsdorf, Nierendorf, Oedingen 1801 erfolgte auch eine Neuumschreibung der Mairie Ringen mit den Gemeinden Ringen, Kar- Bistümer und Pfarreien, die sich der neuen weiler, Lantershofen, Wadenheim, Hemmessen Verwaltungsgliederung anpasste. Das gesamte und Beul heutige Kreisgebiet wurde 1802 dem neu ein- gerichteten Bistum Aachen zugeschlagen. In- Mairie Sinzig mit den Gemeinden Sinzig, Fran- nerhalb eines Kantons wurde eine Hauptpfarrei ken, Koisdorf, Löhndorf, Westum eingerichtet, der je nach Größe mehrere Hilfs- pfarrer unterstanden. Kantonspfarreien waren Kanton Wehr in Adenau, Ahrweiler, Remagen und Nieder- Mairie Wehr mit den Gemeinden Wehr, Brenk, zissen (für den Kanton Wehr). Das Bistum Aa- Glees, , Oberzissen chen wurde 1821 aufgelöst. Alle Pfarreien des heutigen Kreisgebietes gehörten nach der Neu- Mairie Kempenich mit den Gemeinden Kempe- umschreibung der Bistümer zum Bistum Trier.7) nich, Hannebach, Lederbach, (Hohen-) Leim- bach, Rieden, Weibern Verwaltung und Justiz An der Spitze der Départements stand der Mairie Königsfeld mit den Gemeinden Königs- Präfekt, Unterpräfekten leiteten die Arrondis- feld, Niederdürenbach, Oberdürenbach, Ra- sements. Der Mairie, die oft aus mehreren Ge- mersbach, Schalkenbach meinden gebildet wurde, stand der Maire (Bür- germeister) vor. Auf allen Ebenen dieser streng Arrondissement Koblenz hierarchisch aufgebauten Verwaltung hatten Kanton Andernach Notablenversammlungen (Männer mit Anse- Mairie Burgbrohl mit den Gemeinden Burg- hen, Vermögen, Bildung) beratende Funktion, brohl, Kell, Niederlützingen, Niederweiler, vor allem in der Steuerverwaltung. Verwaltung und Justiz waren von einander getrennt.

14 u Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2016 Einen rechtlichen Unterschied zwischen Stadt der Sonderrechte von Adel und Klerus herbei- und Land gab es nach französischem Recht geführt. Die Kirchengüter wurden säkularisiert, nicht mehr. Prozesse wurden mündlich geführt. der Besitz der geistlichen und weltlichen Lan- In jedem Kanton amtierte ein Friedensrichter desherren sowie Teile des Adelsbesitzes gingen mit zwei Beisitzern. Sie waren für Zivilstraf- in Staatsbesitz über und wurden nach der 1802 recht zuständig. erfolgten Aufhebung der Klöster in den Jahren 1803 - 1813 versteigert, sofern sie nicht staat- Errungenschaften lich genutzt wurden. Was waren nun die Errungenschaften dieser Aus den Veräußerungen dieses Besitzes erga- bewegten Zeit, die einen Modernitätsschub ben sich Veränderungen in den Eigentumsver- ungeheuren Ausmaßes mit sich brachte? hältnissen. Der bäuerliche Grundbesitz, aber Im Rheinland wurden schon 1798 die Perso- auch der des Besitz- und Finanzbürgertums nenstandsregister eingeführt. Die Standesämter wurden gestärkt. Die Einnahmen aus den Ver- haben hier ihren Ursprung. Geburten, Heiraten, steigerungen der „Nationalgüter“ dienten der Sterbefälle wurden nunmehr - im Gegensatz zu Schuldentilgung und zur Deckung der hohen früher - staatlicherseits beurkundet und nicht Kriegskosten.11) mehr von den Kirchen. Kirche und Staat waren streng geschieden. Religion wurde zur Privatsa- Wirtschaft che. Die kirchliche Schulaufsicht wurde durch Aus den Handbüchern „für die Landleute vom die staatliche ersetzt. Rhein- und Mosel-Departement“ erfahren wir Die Rechte der Juden wurden gestärkt. 1808 viele Daten und Fakten über die damalige wirt- mussten sie aber zwangsweise Familiennamen schaftliche Situation in den einzelnen Mairien, annehmen.8) wenn auch manche Angaben wohl aufgrund Das Rechtswesen unterzog man einer gründ- von Schätzungen mit Vorbehalt zu betrachten lichen Reform. Sie brachte die Gleichheit der sind.12) Bürger vor dem Gesetz. Gerichtsverfahren Im Handbuch für das Jahr 1808 werden auch waren im Gegensatz zu früher öffentlich und die Kantone kurz beschrieben. Vom Kanton mündlich, jedoch in französischer Sprache. Adenau heißt es, dass in den zugehörenden Der Code Napoléon von 1804 behielt über die 64 Ortschaften mit 9036 Einwohnern „der Ge- französische Zeit im Rheinland Gültigkeit. Als treideanbau nicht die Hauptsache ist. Auch der rheinisches Recht, das den rheinischen Institu- Futterkräuteranbau hat noch lange nicht die tionen in preußischer Zeit eine Sonderstellung sicherte, bestand er bis 1900 und wurde erst durch das Bürgerliche Gesetzbuch abgelöst. Er- rungenschaften der napoleonischen Reformen wurden vielfach erst nach der französischen Zeit erkannt. Sie wirkten aber fort und waren auch für die Mentalität der Bürger und das Selbstbewusstsein der Rheinländer in preu- ßischer Zeit von großer Bedeutung.9) Wirtschaft und Handel hatten Vorteile durch die Aufhebung des Zunftzwanges, Gewebefreiheit, Freizügigkeit, einheitliche Maße, Münzen, Ge- wichte. Französische Schutzzölle kamen auch dem Weinhandel zugute. Der Straßenbau wurde gefördert, so u. a. auf der Rheinstrecke, wo auch eine neue Brücke über den Vinxtbach errichtet wurde.10) Eine grundlegende gesellschaftliche Assignat: Das französische Papiergeld war viel- Umgestaltung wurde durch die Abschaffung fach ohne Wert.

Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2016 u 15 fenerde und Mineral- (Tönnissteiner) Wasser, nebst einer ansehnlichen Viehzucht“.

Im Handbuch für 1809 finden wir Informati- onen über Erze, so über Kupfer-, Eisen- und Bleierze in der Eifelregion, aber auch über Sauerbrunnen bei Heppingen, in Nieder- und Oberzissen. Tonabbau bei Ringen und der Ba- saltabbau zwischen Unkelbach und Oberwinter werden ebenfalls genannt. Napoleonische Kriege und Ende der französischen Herrschaft Auch aus unserer Region mussten zahlreiche Selbstbildnis des napoleonischen Soldaten Do- junge Männer in der Armee Napoleons Dienst derer Schmul aus Niederzissen aus dem Jahre tun und bezahlten mit ihrem Leben auf den 1807 in einem Brief an seine jüdische Familie Schlachtfeldern fern der Heimat dafür. Das Kriegstagebuch von Johann Bender (1791 Höhe erreicht, die er erreichen sollte; die Vieh- - 1865) aus Lantershofen, das Ottmar Proth- zucht ist daher, die Schafzucht ausgenommen, mann ausgewertet hat, liefert einen Eindruck aus Mangel an hinlänglichem Futter, unerheb- vom Schicksal einfacher Soldaten, die an vielen lich; aber die Waldungen sind sehr ansehnlich.“ Kriegszügen teilnehmen mussten und dabei un- Über den Kanton Ahrweiler wird berichtet, dass geheueren Strapazen ausgesetzt waren.13) er mit seinen 53 Ortschaften und 8956 Ein- Die französische Herrschaft wurde im Laufe der wohnern „in einer der fruchtbarsten und ange- Zeit mehr und mehr als Unterdrückung angese- nehmsten Gegenden des Départements, die alle hen. Die französische Amtssprache blieb vielen Bedürfnisse im Überfluss hervorbringt,“ liegt. fremd, Einheimische waren von Spitzenpositi- Unter den landwirtschaftlichen Produkten onen weitgehend ausgeschlossen. Kriegskosten, wird der „Wein, der zu den vorzüglichsten Ge- Steuern und Abgaben lasteten schwer auf den wächsen des Départements gehört,“ mit einem Bürgern. Der zunächst eingeführte Revoluti- Jahresertrag von 1900 hl genannt. „Der Obst- onskalender, der ohne jeden Bezug zur christ- gewinn ist bedeutend, den Mangel natürlicher lichen Zeitrechnung war, wurde zum 1. Januar Wiesen ersetzt man durch fleißigen Anbau der 1806 wieder abgeschafft. Futterkräuter.“ Der Untergang der französischen Armee in Russ- land 1812/13 ließ Napoleons Stern sinken. In Der Kanton Remagen mit 54 Ortschaften und der Völkerschlacht bei Leipzig wurde die fran- 10165 Einwohner „erzeugt im Ganzen alle sei- zösische Armee vernichtend geschlagen. Seine ne Bedürfnisse selbst, und auch die Viehzucht Herrschaft zerbrach in den Befreiungskriegen, ist, mittels des starken Kleebaues, in erträg- in denen dann 1814 auch das linke Rhein- lichem Stande“. ufer von alliierten Truppen eingenommen wur- Im Kanton Wehr mit 41 Ortschaften und 4877 de, die der französischen Herrschaft ein Ende Einwohnern „ist Getreideanbau ergiebiger; mit setzten. dem Bau der Futterkräuter ist mehr als ein Beim Abzug der Franzosen und der Einnahme Anfang gemacht, die Vieh- und Waldnutzung des linken Rheinufers durch russische Kosaken, erheblich; selbst der Weinbau ist dem Kanton kam es Anfang Januar zu kleinen Scharmützeln nicht fremd“. am Rhein bei Sinzig und Remagen und auch zu Für den Kanton Andernach wird Getreideanbau einem Gefecht zwischen Franzosen und Russen als Hauptprodukt genannt. Wein, gut und viel; bei Remagen. Mitte Januar 1814 war das ge- nur in der Mairie Niederbreisig Tuffstein, Pfei- samte Gebiet von französischen Truppen frei.

16 u Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2016 Übergangszeit Rhein-Mosel-Département geschlagen wurde, Die neue politische Situation führte zu keinem mit Sitz in Aachen eingerichtet. Unter- und Machtvakuum. Wie schon beim Einmarsch der Mittelinstanzen blieben mit deutschen Bezeich- französischen Revolutionstruppen 1794 ar- nungen zunächst erhalten. Die Mairien wurden beiteten die Verwaltungseinrichtungen unter zu Bürgermeistereien. Das Rhein-Mosel-De- neuen Vorzeichen und weitgehend mit dem partement war zunächst in die Kreise Koblenz, vorhandenen Personal weiter. Bonn und Prüm eingeteilt.14) Die besetzten Gebiete wurden nach dem Be- Im Namen der Verbündeten übernahm Preußen schluss der Alliierten einer zentralen Verwal- damals bereits in den linksrheinischen Gebie- tung unterstellt. ten nördlich der Mosel rechtlich die Verwal- Am 2. Februar 1814 wurden das Generalgou- tung. Damit war, wenn auch provisorisch, der vernement Mittelrhein mit Sitz in Trier und das Beginn der preußischen Herrschaft am Rhein Generalgouvernement Niederrhein, zu dem das eingeleitet.

Wiener Kongress 1814/15 Auf dem Wiener Kongress, der im Zeichen der In einem weiteren Aufruf „An die Einwohner Restauration antrat, kamen die Rheinlande im der mit der preußischen Monarchie vereinig- Zuge der territorialen und politischen Neuord- ten Rheinländer“ vom selben Tag unterstrich nung Mitteleuropas in nach-napoleonischer Friedrich Wilhelm III. dann noch die im Patent Zeit an Preußen. Die Beschlüsse sicherten für gegebenen Zusagen: rund 50 Jahre den Frieden. Die Rheinlande wurden dem Königreich Preu- ßen zwar erst in der abschließenden Kongress- akte vom 6. Juni 1815 endgültig zugesprochen, jedoch nahm König Friedrich Wilhelm III. mit dem „Patent wegen Inbesitznahme des Groß- herzogtums Niederrhein“ vom 5. April 1815 die neuen Gebiete bereits in Besitz. Preußen wäre allerdings mehr an einer Ab- rundung seines Territoriums durch sächsisches Gebiet interessiert gewesen, jedoch lehnte der König von Sachsen dieses Ansinnen ab, so dass Preußen die Lande am Rhein erhielt.15) Im „Besitzergreifungspatent“ von König Friedrich Wilhelm III. vom 5. April 1815 versprach der Monarch seinen neuen Untertanen am Rhein „würksamsten Schutz ihrer Personen, ihres Eigenthums, und ihren Glaubens, sowohl ge- gen äußeren feindlichen Angriff, als im Innern durch eine schnelle und gerechte Justizpflege und durch eine regelmäßige Verwaltung der Landes-, Polizei- und Finanzbehörden. Wir werden sie gleich allen Unseren übrigen Un- tertanen regieren, die Bildung einer Reprä- sentation anordnen, und Unsere Sorge auf die Wohlfahrt des Landes und seiner Einwohner gerichtet seyn lassen.“ König Friedrich Wilhelm III. von Preußen

Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2016 u 17