Der Vinschgau Im Altertum Und Im Frühmittelalter. Von Richard Heuberger
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132 Der Vinschgau im Altertum und im Frühmittelalter. Von Richard Heuberger. Unter den Tälern, denen die Ötztaler, Kurz vor dem Beginn unserer Zeitrechnung Stubaier und Iillertaler Hochalpen ihre trat das oberste Stück des Etschtals infolge Bäche zusenden, zieht besonders der Vinsch- des Vorrückens der Römer in die mittleren gau die Augen des Geschichtsfreundes auf sich. Alpen und in deren nördliches Vorland in Denn diese Talschaft, zu der man im Mittel- die eigentliche Geschichte ein. Damals saßen alter auch die Gegend zwischen dem Schnalser« im Vinschgau die Venostes. deren Name bis dach und der Passer rechnete, ging in ihrer zum heutigen Tag an der einst von ihnen be- geschichtlichen Entwicklung eigenartige Wege, wohnten Talschaft haften geblieben ist. Diese wie schon der Umstand erkennen läßt, daß sie Völkerschaft zählte zu jenen in den mittleren noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts in kirch- Teilen des Alpengebirges hausenden Stäm- licher Beziehung zum Hochstift Chur gehörte. men, die ohne Rücksicht auf ihre Herkunft von Es hat daher einen eigenen Reiz, in großen Griechen und Römern als Räter bezeichnet Zügen die Frühgeschichte des obersten Stückes wurden. In Sprache und Gesittung gehörte des alpinen Etschtals zu verfolgen ^). sie, wir ihr Name und die in ihrem Heimat- tal gemachten Funde beweisen, zu den Veneto- Der Mensch drang mit seinen Siedlungen Illyrern. Der Name der Finstermünz hat bereits in der jüngeren Steinzeit von Süden mit dem der Venosten gewiß nichts zu schaffen. her bis ins Mündungsgebiet der Passer vor. Wohl aber erinnert an diesen Stamm die Er dürfte schon damals auch das Reschen- Bezeichnung Vinestana silva, die noch im scheideck überschritten und damit jenen Ver- 12. Jahrhundert für einen bei Finstermünz kehrsweg entdeckt haben, der in der Folge die gelegenen Wald gebraucht wurde. Dieser Schicksale des obersten alpinen Etschtals Forst war zweifellos nur der letzte Rest eines wesentlich mitbestimmt hat. Während der mächtigen Waldes, der einst Höhe und Flan- Bronzezeit wurde der größte Teil dieser Tal- ken des Reschenscheidecks bedeckt und jeden- schaft in den Bereich des besiedelten Raumes falls die Landmart des urzeitlichen Venosten- einbezogen, innerhalb dessen sich die Zahl der gaues gegen das Gebiet der im Oberinntal Wohnplätze zusehends vermehrte. Der Fund ansässigen Veneto-Illyrer gebildet hatte. des Bruchstücks eines Götterbildes und eines Gegen das Engadin zu, in dem in vor- mit Einritzungen versehenen Marmorblockes geschichtlicher Zeit die vielleicht zu den nicht scheint darauf hinzudeuten, daß in diesem indogermanischen Ligurern gehörigen Ru- Zeitalter in der Algunder Gegend ein Heilig- dusken wohnten, begrenzte die Wildnis, die tum und eine Grabanlage bestanden. In der sich in der weiteren Umgebung des sicher schon hallstattzeit drangen dann die indogerma- seit der Bronzezeit begangenen Ofenpasses nischen Veneto-Illyrer von Osten her in die ausdehnte, den venostischen Stammesbereich. Alpen vor. Sie setzten sich nicht bloß im Ob dieser gegen Osten zu bis ins Mündungs- Eisacktal und im tirolischen Inntal, sondern gebiet der Passer oder nur bis an den oberen auch im Vinschgau fest, wie sie denn auch im Rand der Talstufe reichte, die im Westen des Flußgebiet des Alpenrheins Fuß faßten. Meraner Beckens aufsteigt, läßt sich nicht Damit war der Vinschgau, der bisher Siedler sagen. Es muß demnach dahingestellt bleiben, und kulturelle Anregungen von Süden her ob die Opferstätte auf dem Hoch- oder Segen- empfangen hatte, in engere Beziehungen zu büchel und die Wallburgen auf dem Sinnich- seinen östlichen und nördlichen Nachbartal- kopf und auf dem Grumserbüchel noch mit schaften gesetzt. den Venosten in Verbindung gebracht werden dürfen oder nicht. 1) Die nähere Begründung für die folgenden Ausführungen findet sich im 1. Nand meiner Gleich ihren Nachbarn hausten auch die „Rätischen Forschungen^ dei demnächst in den „Cchleinschriften" erscheinen wild. In diesem Venosten in wehrhaften Siedlungen. Eine Vuch ist auf das weitere einschlägige Schrifttum von diesen befand sich z. B. auf dem Tartscher« verwiesen. büchel. Im uizeitlichen Vinlcha.au betrieb 133 man, ebenso wie in anderen damaligen dem Boden der schwäbisch-bayerischen Hoch- Alpentälern, neben Jagd und Viehzucht ebene hausten. Dadurch sollte die Nordgrenze zweifellos auch Ackerbau. Der Handel brachte Italiens dauernd gesichert und die von dem die Venosten in Verbindung mit den Städten Kaiser geplante Eroberung des freien Ger- des Po-Tieflands, das längst zum römischen manien vorbereitet werden. Der erste Schlag Reich gehörte. Aber nicht bloß friedlicher traf die in der Val Camonica sitzenden Art waren die Beziehungen, die zwischen den Kamunner und die Venosten. Cammunni und Bewohnern der riitischen Alpen und denen Venostes erscheinen auf dem Tropaeum der oberitalienischen Ebene bestanden. Mit AIpium, dem in den Jahren 7/6 v. Chr. an einer gewissen Regelmäßigkeit unternahmen der ligurischen Küste bei La Turbia errich- die Aufgebote der kriegerischen Vergstiimme teten Siegesdenkmal, das die unter der Plünderungszüge in das reiche Kulturland, Regierung des Augustus unterjochten Alpen- das im Süden ihrer Heimat lag und ihre stämme aufzählt'), und Cassius Dio erzählt Raublust reizen mußte. An diesen einträg- in seinem Geschichtswerk (54, 2N), daß die lichen Heerfahrten haben sich gewiß auch die Cammunioi (d. h. die Kamunner) und die venostischen Krieger häufig beteiligt. Die Uennioi, unter denen die Venosten und Maßnahmen, die die Regierung des römischen nicht die im alpinen Rheintal ansässigen Freistaates traf, um die von diesen Brand- Vennoneten zu verstehen sind, im Jahre 16 schatzungen betroffene Provinz Gallia trans- v. Chr. zu den Waffen gegriffen hätten und padana, vor den Einfällen ihrer unruhigen von Publius Silius unterworfen morden Nachbarn zu schützen, waren durchaus unzu- seien. Dieser Feldzug der Römer wird sich reichend. Gelegentliche Strafunternehmungen in der Weise abgespielt haben, daß Publius römischer Heere gegen einzelne alpine Völker- Silius Nerva, der damals Prokonsul und schaften blieben ohne nachhaltigen Erfolg, Statthalter von Illyricum war, die eine hiefür ist unter anderm die Tatsache bezeich- Hälfte seiner Truppen von Brixia (Brescia) nend, daß die Räter einen im Jahre 95 aus in die Val Camonica vorrücken ließ, nach- v. Chr. ausgeführten Vorstoß des Konsuls dem sie vielleicht vorher die von den Trum- Lucius Licinius Crassus in die südlichen pilinern bewohnte Val Trompia besetzt Alpentiiler mit der Zerstörung von Comum hatten, und daß er seine übrigen Streitkräfte (Como) beantworten konnten. Auch die ver- von Tridentum aus, in dem wahrscheinlich mutlich schrittweise von den Römern bewerk- schon seit geraumer Zeit eine Legion lag, nach stelligte Unterwerfung der Stämme, die im dem Vinschgau zu in Marsch setzte. Die Vergell, im Veltlin, im Tarcatal, im Nons- niedergebrannten Wallburgen dieser Tal- berg, in der Vozner Gegend und in der Süd- schaft bezeugen noch heute, daß sich die Hälfte des alpinen Etschtales wohnten, ver- Venosten nicht widerstandslos den Römern mochte anscheinend nicht, die unbedingte Be- ergeben haben. friedung des Po-Tieflandes zu gewährleisten. Was durch den Vorstoß Nervas begonnen worden war, wurde im folgenden Jahre So konnten denn die Venosten gleich ihren (15 v. Chr.) durch den Feldzug der kaiserlichen inneralpinen Nachbarstämmen ihre Unab- Prinzen Nero Claudius Drusus und Tiberius hängigkeit bis zur Zeit des Augustus be- Claudius Nero vollendet, der zur Unter- wahren. Dieser Herrscher, dessen Großoheim, werfung aller rätisch-vindelilischen Stämme der Diktator Gaius Julius Caesar, den führte. Damit war der Vinschgau einem römischen Machtbereich bis an den Ärmel- römischen Verwaltungsgebiet eingefügt, das kanal und an den Rhein ausgedehnt hatte, in der Folge unter dem Namen Raetia als ging, nachdem er im Jahre 25 v. Chr. die Provinz eingerichtet wurde. Dieses Unter- im Aostatal ansässigen Salasser vernichtet tanenland, als dessen Hauptstadt am Lech und vermutlich die Bewohner des Wallis und Augusta Vindelicum (Augsburg) entstand, des alpinen Flußgebietes des Tessin zur An- erstreckte sich vom Gottharostock, vom West- erkennung der römischen Oberhoheit ge- ende des Bodensees und vom Quellgebiet der zwungen hatte, daran, die inneralpinen Donau bis an die Mühlbacher Klause, die Räter und deren nördliche Nachbarn, die keltischen Ninoeliker, zu unterwerfen, die auf 2> pliniu«, Niztoli» 3, 136—3». 134 zwischen dem Zillertal und dem Pinzgau auf- deutung für die römische Staats- und ragenden Verge und den Inn und von den Militärverwaltung von dem Brennerweg Campi Canini (bei Bellinzona), den Bünd- überflügelt und seit dieser Zeit nicht mehr ner- und Ortleralpen, der Meraner Gegend instandgehalten. Für den Handelsverkehr und dem Kuntersweg bis an die Donau, seit blieb sie aber auch weiterhin wichtig genug. Vespasian und Domitian sogar bis in den An ihr wurde nahe der rätisch-italischen Bereich der schwäbischen Alb und darüber Grenze ein Zollamt errichtet. Dies bezeugt hinaus. Unter Diokletian wurde dann diese die Inschrift des bekannten, im Jahre 217 Provinz, deren Nordgrenze um 26N n. Chr. oder 246 errichteten, im Zieltal zutage ge- infolge des Vorrückens der Alamannen auf kommenen Diana-Altars'), die als dessen die Linie Bodensee—Argen—Iller-Donau Stifter den kaiserlichen Freigelassenen Aete- zurückgenommen morden war, in die beiden tus, praepositus stationi Maiensi XXXX. Verwaltungssprengel Raetia prima und Galliaraum nennt. Die quadragesima Gal- Raetia secunda mit den Hauptstädten war die mit 2,5%