Texte Zur Dorfgeschichte Von Untervaz
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Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 2008 Churrätien im frühen Mittelalter Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini. - 2 - 2008 Churrätien im frühen Mittelalter Reinhold Kaiser Kaiser Reinhold: Churrätien im frühen Mittelalter. Ende 5. bis Mitte 10. Jahrhundert. Herausgegeben vom Institut für Kulturforschung Graubünden, Chur, in Verbindung mit dem Südtiroler Kulturinstitut, Bozen 2., überarbeitete und ergänzte Auflage Schwabe Verlag Basel 2008 - 3 - S. 229: Nachwort zur 2., überarbeiteten und ergänzten Auflage Was rechtfertigt es, ein Buch über «Churrätien im frühen Mittelalter» in einer verbesserten, zweiten Auflage herauszugeben und mit einem umfangreichen Nachwort zu versehen? Drei Gründe sprechen dafür: 1. Die erste Auflage von 1998 ist schon nach sechs Jahren vergriffen gewesen. Die seit 2004 andauernde stetige Nachfrage sowie die zahlreichen Rezensionen bestätigen die positive Aufnahme des Buches. Die Neuauflage erlaubt es, kleinere störende Fehler im Text und in den Legenden zu den Abbildungen und Karten zu verbessern, einige Karten neu zu gestalten und im Nachwort dem Forschungsfortschritt der letzten zehn Jahre Rechnung zu tragen. 2. Die Forschungen zum frühen Mittelalter - nicht nur die allgemein- historischen, sondern auch die regionalgeschichtlich orientierten - sind in den letzten Jahren zunehmend in den grösseren interdisziplinären Verbund der Forschungen zum Übergang von der Antike zum Mittelalter integriert. Als globales Phänomen des Kulturwandels stehen die Verwandlung der Mittelmeerwelt und die Herausbildung der drei mittelalterlichen Kulturkreise, des arabisch-islamischen, des griechisch-byzantinischen und des lateinisch okzidentalen, im Mittelpunkt des althistorischen, des mediävistischen und des universalhistorischen Interesses. Zeugen dafür sind die stattlichen Bände, die im Rahmen des wissenschaftlichen Grossprojektes der «European Science Foundation» in der Reihe «Transformation of the Roman World» seit 1997 veröffentlicht worden sind Grundlegende Fragen der Kulturkontinuität und des Kulturbruches, der historischen Periodenbildung, des Verhältnisses von Zentrum und Peripherie, der Rolle der «neuen» Völker, der Ethnogenese, der «Regionalisierung der Volkstümer» oder der Identitätsbildung werden darin mit neuem methodischem Instrumentarium an gegangen. Das ist der forschungsgeschichtliche Hintergrund für 3. die paradigmatische Bedeutung der frühmittelalterlichen Geschichte Churrätiens. Als alpines Randgebiet des Imperium Romanum, des merowingischen und karolingischen Frankenreiches und des ostfränkisch- - 4 - deutschen Reiches liegt Rätien in einer politischen, kulturellen, sprachlich- ethnischen und wirtschaftlichen Interferenzzone. Diese Rand- und Zwischenlage S. 230: erklärt das Wechselspiel von Eigenständigkeit und Beeinflussung, die verschiedenen Grade von Autonomie und Integration mit ihren Zwischenstufen, sie erklärt auch die lange Dauer des Wandlungsprozesses zwischen Antike und Mittelalter, eines Prozesses der Umorientierung, in welchem die Kontinuitäten lange verfolgbar sind, teilweise bis ins Hochmittelalter. Der Prozess der langen Dauer vollzieht sich in dem überschaubaren Rahmen einer provincia mittlerer Ausdehnung. Von Bregenz nach Chiavenna sind es in der Luftlinie 130 km, von Disentis bis Müstair 120 km bzw. bis Meran 175 km. Das «regional begrenzte Versuchsfeld» der Raetia Ia, von dem J. Werner 1979 in der Einleitung zum Sammelband «Von der Spätantike zum frühen Mittelalter» gesprochen hatte, ist ein überschaubares Untersuchungsfeld, so überschaubar, dass man eine Synthese wagen kann. Über schaubar ist auch die Quellenlage. Sie ist relativ gut und bietet eine Reihe von Inschriften aus dem frühen Mittelalter - nur wenige dagegen aus antiker Zeit - sowie Rechtstexte, Urkunden und hagiographische Werke - historiographische im engeren Sinne fehlen demgegenüber -‚ ferner liturgische Texte. Der hohe Grad der frühmittelalterlichen Schriftlichkeit hat zur Ausbildung einer eigenen Schriftprovinz, jener der rätischen Minuskel, geführt. Ständig erweitert wird die Quellenbasis der zentralen Nachbarwissenschaften, der Archäologie und Sprachwissenschaft, durch neue Bodenfunde und durch Sichtung und Sammlung der Orts-, Flur- und Personennamen. Die neuen Fragen und Methoden, die neuen Perspektiven und die Ergebnisse der archäologisch-baugeschichtlichen Forschung berühren die drei in den Grosskapiteln des Buches behandelten Themen in gleicher Weise, weshalb die neuen Forschungsbeiträge dem Aufbau des Textes folgend vorgestellt und kommentiert werden sollen. So lässt sich am ehesten der Gang der Forschung auf den Gebieten der politischen Organisationsformen (1), von Kult und Kirche, Kunst und Kultur (II) und der Siedlungs-, Sozial- und Wirtschaftsstruktur (III) nachvollziehen. Die Seitenverweise erleichtern das - 5 - Auffinden im Text der 1. Auflage (S. 15-228). Der Überblick über den Forschungsstand wird durch eine Zusammenfassung der Ergebnisse und ihre Einordnung in den grösseren Rahmen der Frühmittelalterforschung abgeschlossen. Diese Conclusio soll das Fehlen einer Zusammenfassung in der ersten Ausgabe des Buches, die mit Recht in manchen Rezensionen moniert worden ist, wettmachen. S. 231: 1. Das frühmittelalterliche Churrätien im Spiegel der allgemeinhistorischen Literatur Die Eigenheiten der Geschichte Churrätiens im frühen Mittelalter, die besondere Weise des Übergangs von der Spätantike zum Mittelalter, die sich in Rätien beobachten lässt, finden in den universalhistorischen Werken, in den Darstellungen zur europäischen Geschichte und in den National- und Landesgeschichten je unterschiedliche Berücksichtigung. In den schon erwähnten Bänden der «Transformation of the Roman World» und dem ersten Band der «Cambridge Medieval History» von 2005, der sich wie ein Handbuch dazu liest, wird die frühmittelalterliche Geschichte Churrätiens gar nicht thematisiert, Rätien allenfalls als Teil des römischen, ostgotischen oder fränkischen Reiches erwähnt Ähnliches gilt für die «Cambridge Ancient History» oder für das «Handbuch der Geschichte Europas» Mehr Beachtung findet Rätien in den «deutschen Geschichten». In der Neubearbeitung des «Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte» S. 232: behandelt Friedrich Prinz im ersten Band die «Europäischen Grundlagen deutscher Geschichte (4.-8. Jahrhundert)» und greift dazu weit aus auf die Vor- und Frühgeschichte Mitteleuropas und die Römerzeit. Rätien wird in das Panorama einbezogen und die Eroberung zur Zeit des Augustus, die Erhebung Churs zur Hauptstadt der Raetia Prima unter Diokletian, die vertragliche Abtretung der Provinz an die Franken durch den Ostgotenherrscher Witigis (536-540) und die Abgrenzung der Bistümer Chur und Konstanz unter König Dagobert 1. (623/29-639) erwähnt. Nach Prinz lassen sich «im deutschen Südwesten durch die politische Existenz Churrätiens bis ins 8. Jahrhundert hinein Rätoromanen und Alamannen relativ deutlich gegeneinander abgrenzen» im Gegensatz zur frühen Integration der Romanen in Bayern Als Signum der frühmittelalterlichen Geschichte Churrätiens betrachtet er die - 6 - kirchliche Umorientierung Churs von Mailand nach Mainz, die weltlich- kirchliche Doppelherrschaft der Victoriden und wertet «die Sonderentwicklung Churrätiens» als «ein Ergebnis der starken - archäologisch nachweisbaren - Siedlungskontinuität, deren Pendant die weitgehende Bewahrung der kirchlichen Substanz und Organisation gewesen ist» Im Hinblick auf die als Palimpseste in Churrätien überlieferten antiken Texte spricht Prinz von «ein(em) relativ intakt gebliebene(n) Rückzugsgebiet der Romania» Für die Merowingerzeit spricht Rudolf Schieffer im zweiten Band der Neubearbeitung des «Gebhardt» ähnlich von einem «romanischen Reliktgebiet in Churrätien, das unter der Herrschaft einheimischer Präsiden stand», er erwähnt die doppelte «politische Führungsrolle der Viktoriden als Präsiden» und als Bischöfe, die «spezielle Modifizierung spätrömischen Vulgarrechts als Lex Romana Curiensis» um die Mitte des 8. Jahrhunderts, die Unterstellung unter den Schutz Karls des Grossen gegen ein Treueversprechen des rätischen Volkes um 773, schliesslich die divisio inter episcopatum et comitatum von ca. 806 und die Eingliederung in die Mainzer Kirchenprovinz spätestens 843. Wesentliche Etappen der Integration Churrätiens in das Frankenreich sind damit in diesen beiden Bänden der «deutschen Geschichte» wenigstens angedeutet. In seiner zusammenfassenden, in 4., ergänzter Auflage 2001 erschienenen Darstellung «Die Merowinger und das Frankenreich» misst Eugen Ewig S. 233: Churrätien, das als romanisches Land im 6. Jahrhundert kulturell noch mit Italien verbunden ist, als Passlandschaft eine wichtige Rolle für Theudeberts I. Italienpolitik zu. Die Randlage, in die es «nach 570, spätestens nach 590» geraten sei, habe «eine autonome Entwicklung begünstigt». Für die Mission in Alemannien um 600 verweist Ewig auch auf Kräfte aus Churrätien und Norditalien, für die Grenzziehung zwischen den Bistümern Konstanz und Chur auf König Dagobert 1. und die Zeit «bald nach 623». Schliesslich zählt er Churrätien neben Elsass, Alemannien, Bayern, Mainthüringen und Thüringen zu den Ländern ausserhalb der Francia, die als erbliche Herzogtümer «seit der Mitte des 7. Jahrhunderts eine autonome Entwicklung genommen hatten», ohne eigens die typisch geistlich-weltliche