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Macht, Mythos und Mensch: der Politiker, Diplomat und Jurist

Jens Ingebret Evensen

Berit Ruud Retzer

[email protected] – www.berit1.com

Vortrag im Peer Gynt-Club, Hamburg, Donnerstag, 5. April 2012

Meine Damen und Herren, liebe Freunde!

Zunächst möchte ich Ihnen danken, dass ich im Peer-Gynt-Club über meine Biographie von Jens Evensen sprechen darf.

Lassen Sie mich damit beginnen, was ein Tabu für Journalisten und Schriftsteller ist, nämlich zu erzählen, wie ich zu dieser Geschichte gekommen bin.

Es war so, dass Jens Evensen Norwegen verlassen hatte, nachdem sein Staatssekretär, , wegen Spionage verurteilt wurde. Er war Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, und ich war Journalist in Den Haag. Nach der Treholt-Affäre mied Jens Evensen die Presse. Er gab keine Interviews und wollte keine Journalisten sehen.

Eines Tages klingelte das Telefon bei mir. Es war der norwegische Generalkonsul in Rotterdam. Ob ich doch bitte Jens Evensen von dem Empfang in der Residenz nach Hause fahren könnte. Obwohl Evensen einen Dienstwagen mit Chauffeur hatte, sagte ich «Ja». Das war der Anfang von unserer Biographie.

Wir wurden Freunde. Evensen bekam Vertrauen zu mir, er erzählte, lachte und weinte, während ich schrieb und lernte. Wir hatten eine gute Zeit zusammen - bis ich das Kapitel über Arne Treholt geschrieben hatte.

Dann begannen seltsame Dinge zu passieren. Das Buch wurde gestoppt und William Nygaard, Direktor von Aschehoug, bot mir Geld, um das Manuskript zu kaufen, damit es nie veröffentlicht werden würde. Ich sagte nein.

Den Grund für Nygaards Verhalten habe ich nie erfahren, aber alles deutet darauf hin, dass es das Kapitel über Arne Treholt war.

Ich gab aber nicht auf und schrieb ein neues Manuskript, jetzt ohne Zusammenarbeit mit Jens Evensen. Das Buch - JENS EVENSEN: MAKTEN, MYTEN OG MENNESKET, EN UAUTORISERT BIOGRAFI - erschien 1999 im BBG Forlag, . Eine russische Übersetzung erschien 2004 im Impeto Verlag, Moskau.

Die Internet-Seite zum Buch findet man unter www.berit1.com.

Berit Ruud Retzer Peer Gynt-Club, 5. April 2012 2

BARNDOM

Wer war Jens Evensen?

Menschen aus Oslo werden sich an den Namen auf großen weißen Einkaufstüten mit roter Schrift erinnern: Jens Evensen.

Der Metzger Jens Evensen war der Vater vom Juristen Jens Evensen. Der Metzger und seine Frau Victoria hatten eine Wurstfabrik in Grönland, das in der zweiten Generation zur größten Lebensmittelkette Norwegens wuchs. Hier in Grönland, Oslos ärmste Gegend, unter den Ärmsten der Armen, wurde Jens Evensen geboren.

Die Wurstfabrik wuchs, und die Familie kaufte ein Sommerhaus in .

Der junge Jens lernte die Kontraste zwischen der Armut in Grönland und den feineren sozialen Schichten in Asker kennen. Diese Eindrücke prägten seine Persönlichkeit ein Leben lang. Er konnte sich gut verteidigen, sowohl mit Faust und Mund, ein harter Kämpfer.

So beginnt die Geschichte des Mannes, dem Norwegen sein Reichtum durch Öl, Gas und Fischerei verdankt.

KAST I KARRIEREN

Nach dem Studium wurde Evensen bald mit großen Aufgaben konfrontiert.

Nach dem Krieg half er, die Konzentrationslager zu öffnen, und im Landesverratsprozess (landssvikoppgjøret) Vidkun Quislings finanzielle Unregelmäßigkeiten zu untersuchen.

Im Jahr 1961 wurde Jens Evensen Leiter der Rechtsabteilung im Außenministerium. Es dauerte nicht lange, bis er die besten Leute um sich herum versammelt hatte. Unkonventionell, reich, gut gelaunt, gutaussehend, aber vor allem furchtlos, ehrgeizig und mit Visionen. Der Neid blühte um ihn herum.

OLJE NORGES FAR

Als das Interesse an Gas und Öl in Norwegen geweckt wurden, war Evensen bereits ein Schwergewicht im internationalen Seerecht.

Mit Freude konnte Staatsminister Einar Gerhardsen Evensen als Vorsitzenden des Kontinentalsokkelutvalgets ernennen.

Die großen internationalen Ölkonzerne hatten ein Auge auf die „schlafende Schönheit", wie sie Norwegen nannten, geworfen.

Nun war Norwegen an der Reihe. Berit Ruud Retzer Peer Gynt-Club, 5. April 2012 3

Norwegen hatte die vier-Meilen-Zone, die Besitzverhältnisse an dem Festlandsockel waren jedoch unsicher.

"Die Seegebiete außerhalb der Hoheitsgewässer Norwegens sind freies Meer, und wir werden hier bohren", so die Unternehmen.

Nun musste Norwegen reagieren.

Die norwegische Industrie glänzte durch Abwesenheit. Die Regierung hatte keine politische Vertretung. Die Ölfirmen standen Schlange. "Wir möchten seismische Untersuchungen in den norwegischen Gebieten führen", sagten sie.

Evensen und seinen Mitarbeitern, die kaum wussten was seismische Untersuchungen waren, antworteten „Ja“.

Durch ihre Anfragen hatten die Ölgesellschaften in gewisser Weise Norwegen als Herr der Gebiete akzeptiert.

Die Rechtsabteilung arbeitete Tag und Nacht. Im Jahr 1963 erhob Norwegen Anspruch auf Teile der Nordsee nach dem sogenannten Mittellinienprinzip. Es ging um ein Gebiet so groß wie das norwegische Festland.

Verhandeln, Verhandeln, Verhandeln.

Norwegen wollte zunächst mit Dänemark verhandeln.

Falls Norwegen ein Abkommen mit Dänemark erreichen würde, würde es den norwegischen Anspruch gegenüber England stärken, aber Dänemark sagte nein. Die Angelegenheit war dringend.

Dann waren es die Engländer, die Norwegen zu Hilfe kamen. Norwegen erhielt einen Brief aus Großbritannien. Der Brief war ein Segen.

England wollte Verhandlungen mit Norwegen, basiert auf dem Mittellinienprinzip, genauso wie es Norwegen wollte.

Im Jahr 1965 wurde das Abkommen mit Großbritannien unterzeichnet, mit sehr günstigem Ergebnis für Norwegen.

Auch die Dänen waren schließlich bereit, eine Vereinbarung nach dem Mittellinienprinzip zu signieren.

Aber mit einer Bedingung. Sie wollten eine zusätzliche Vereinbarung aufgrund der laufenden Verhandlungen mit Deutschland, das sogenannte hysj- hysj avtalen, das Evensen akzeptierte, später aber zurückziehen musste.

Evensen und seine Leute mussten lernen. Evensen wollte die Ölkonzerne, die großen, schweren wohlgemerkt, als Lehrmeister haben. "Je schneller Sie helfen, uns in Erdöl-Gesetzen auszubilden, desto schneller können wir die norwegische Gesetze schreiben", erklärte der Chef. Berit Ruud Retzer Peer Gynt-Club, 5. April 2012 4

Shell, Esso, BP und Caltex wollten exklusive Rechte, aber Evensen verweigerte diese.

Öl und Gas, falls sie überhaupt im nennenswerten Ausmaß geben sollte, wären ein Reichtum, das der ganzen Nation gehörte, ein norwegisches Gemeinschaftsgut.

Auch ohne exklusive Rechte standen die Ölkonzerne Schlange, als die Bohrkonzessionen für die Nordsee vergeben wurden.

Damit hatten Evensen und seine Kollegen die Grundlage für Norwegens Öl- und Gasreichtum gelegt.

Man könnte Jens Evensen als Vater des norwegischen Reichtums bezeichnen.

MOT JUNTAEN I HELLAS

Was hätte Evensen gewollt, dass ich Ihnen erzähle, wenn ich ihn hätte fragen können? Über den Kampf gegen die Junta in Griechenland.

Skandinavien hatte rechtliche Schritte gegen die Junta am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingeleitet. Evensen war Norwegens Vertreter.

Ich lese aus meinem Buch, Seite 117 und 118:

Det var i Sveits. Evensen hadde nettopp kommet tilbake til hotellet. Han sto på badet og stelte seg da han i speilet fikk øye på en stor brun konvolutt som ble skjøvet langsomt under dørsprekken. I konvolutten lå en beskjed og en adresse.

Dersom han var interessert i å få avgjørende bevis for torturen av fanger i Hellas, skulle han reise til den oppførte adressen i Paris, sto det på en lapp.

Ekspedisjonssjef Jens Evensen fra Det Kgl. Norske Utenriksdepartement, på reise rundt i Europa for å undersøke påstanden om mishandling av greske fanger, var nettopp kommet fra et møte med to medlemmer av Amnesty International – det amerikanske ekteparet Maria og Jimmy Beckett. Beckett hadde vist Evensen erklæringer som overbeviste ham. 30 til 40 erklæringer som fortalte om den torturen folk var blitt utsatt for. Men ekteparet Beckett var annenhånds vitner. Det var ikke godt nok.

Adressen i den brune konvolutten kunne være en felle. Evensen tok allikevel sjansen og reiste til Paris. Der kom han til et gammelt, falleferdig hus. En butler åpnet døren, og ned trappen kom en elegant kvinne som presenterte seg som Amalia Fleming, enken etter nobelprisvinneren Alexander Fleming, mannen som oppdaget penicillin-muggsoppens bakteriedrepende virkning.

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Det var fru Fleming som ga Evensen hans første vitne. Hun var lege i Hellas og hadde behandlet torturofre.

I detalj kunne hun beskrive de grusomste torturme-toder. Fru Fleming sa seg villig til a vitne. Av henne fikk han navnet på den greske skuespillerinnen Kitty Arseni, som var lykkes i å komme seg til London.

I London fant han en pengelens og nedbrutt Kitty Arseni. Mishandlingen hadde knust henne, og torturistene var ikke ferdige med sine trusler med det. De ville finne henne, hadde de sagt. Sto hun frem som vitne og fortalte om det hun hadde opplevd, ville de alltids finne henne. Å vitne skulle koste henne livet. Men Evensen visste at Kitty Arseni var vitnet som kunne vinne saken for dem i Strasbourg mot juntaen og de greske oberstene.

Journalisten Arne Strand fikk Evensen til å forteIle om sitt første møte med Kitty Arseni:

«Da jeg traff denne kvinnen i London, var det første gang jeg ble overbevist om at jeg hadde et torturoffer foran meg. Hun var 31 år, men så ut som en 70-åring, Bena ville ikke lenger bære henne. Hun ble støttet av en annen gresk kvinne. Så begynte hun å fortelle.

'De hentet meg klokka to om natten'.

Mer fikk hun ikke sagt. Svetten sprang frem i ansiktet. Det var som om jeg hadde kastet et glass vann på henne. Tanken på den tortur hun hadde vært utsatt for fikk henne til å bryte sammen. Hun skrek.»

1970 ist der Kampf zu Ende mit einem vernichtenden Urteil gegen die Junta. Es war in dieser Angelegenheit, dass Evensen seinen späteren Staatssekretär, Arne Treholt, zu schätzen lernte.

HAVRETTENS ARKITEKT

Endlich. Norwegens erster Minister für Fischerei- und Seerecht freute sich auf die Arbeit.

Das war perfekt. Jetzt sollte er internationalen Verhandlungen und Aufgaben im Rahmen der UNO leiten. Arne Treholt war dabei, erst als politischer Sekretär, später als Staatssekretär.

Evensen suchte seine Mitarbeiter persönlich aus, wie er es immer getan hat. Im Seerecht fühlte er sich zuhause. Die Sache war dringlich, aber nichts geschah.

"Findet ihr Fischer, dass ich nicht gut genug bin, könnt ihr mich ins Meer zu werfen, aber nicht jetzt", sagte Evensen und erhielt Beifall für seine Replik von den anwesenden Fischern auf den Lofoten.

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Nein, Jens war nicht mehr zu verstehen.

Die Regierung sollte sich nicht mit einer Erweiterung auf 50 Seemeilen aufhalten, wenn Norwegen 200 Seemeilen erreichen könnte, hatte ihr Minister gesagt. 200 Seemeilen, hatte er das wirklich gesagt? Ein Blender, sagten die Leute.

In der norwegischen Regierung lösten Evensens Ansichten über die Seerechtspolitik keine Begeisterung aus. Nicht viele verstanden seine Vision, in vorderster Front für ein neues Völkerrecht zu kämpfen.

Der Druck wurde unerträglich, und er brauchte eine Pause. Er entschloss sich, einen Traum zu realisieren, den er schon lange hatte.

Er wollte auf einem Schiff segeln und musterte auf der "Christian Radich" an. Sechs Wochen wollte er als Schiffsjunge segeln, und die junge Mannschaft in Seerecht ausbilden und in Jiu-Jitsu trainieren. Dies machte dem 58-Jährigen durchtrainierten Evensen wirklich Spaß.

1973 wurde die Dritte UN-Seerechtskonferenz einberufen. Es handelte sich um einen gigantischen Versuch, eine moderne Verfassung für die Meere zu schaffen. Es war die umfangreichste Aufgabe, die die Vereinten Nationen je auf sich genommen hatte.

Jens Evensen wurde als Vize-Präsident der Konferenz gewählt.

Es wurde eine Gruppe von zentralen Delegationsleitern gebildet, die Fragen in einer mehr informellen Umgebung erörtern konnten. Evensen wurde gefragt, ob er die Gruppe leiten könnte. So wurde die Evensen-Gruppe oder pannekakegjengen, wie Evensen sie nannte, geboren.

In New York fand er ein Pfannkuchen-Haus, das bereit war, früh am Morgen zu öffnen.

Evensen lud ein auf Pfannkuchen mit Ahornsirup und Kaffee. Er nannte es eine milde Form der Bestechung. So saßen sie da und diskutierten Morgen für Morgen, 12 bis 20 Seerechtspezialisten von UN-Mitgliedsstaaten, Männer aus den verschiedensten Teilen der Welt.

Eine wunderbare Zeit, fand Evensen. Die Ergebnisse wurden zur Konferenz weitergeleitet, als Vorschläge von "Friends of the President."

Man musste einen Kompromiss finden. Eine Lösung, die Zustimmung bei größten Teilen der Welt finden würde.

Ein Seerecht, das die Situation beruhigen und den Frieden sichern würde. Gleichzeitig sollte die Freiheit der Meere gewährleistet sein, und die Ressourcen, die Fischbestände, Öl, Gas und andere Reichtümer erhalten bleiben.

Die lateinamerikanischen Länder hatten 200-Seemeilen Hoheitsgewässer gefordert. Die Forderung konnte nicht gebraucht werden, weil es die freie Schifffahrt blockieren

Berit Ruud Retzer Peer Gynt-Club, 5. April 2012 7 würde. Aber die Forderung brachte die Evensen-Gruppe auf eine Idee: Die sogenannte 200-Seemeilen-Wirtschaftszone war geboren. Auf diese Art und Weise könnte man die freie Schifffahrt auf den Meeren erhalten, während die Staaten gleichzeitig größere nationale Kontrolle über Ressourcen erhielten. Die heutigen Wirtschaftszonen sind damit ein direktes Ergebnis von Evensens Arbeit in der UNO.

Inzwischen verging die Zeit. Die norwegische Delegation machte sich Sorgen über den langsamen Fortschritt. Wie viele Jahre würde die Konferenz noch dauern? In der Zwischenzeit durfte Norwegen keine einseitigen Maßnahmen ergreifen. Der Seerecht-Marathon dauerte insgesamt 27 Jahre. Erst 1994 trat das neue Internationale Seerecht in Kraft.

Ich rief Evensen an um zu gratulieren. Er lachte und hatte die Sache längst hinter sich gelassen.

Evensen Strategie, auf der internationaler Ebene anzufangen und dann warten, bis die Zeit reif war für Norwegen, erwies sich als richtig.

Der geniale Gedanke ist oft einfach. Im Jahr 1976 erklärte Norwegen seine Wirtschaftszone per Gesetz. Königreich Norwegen war größer geworden. Das Land bekam die Souveränität über ein Gebiet, das viermal so groß war wie das norwegische Festland.

"Es wäre nicht gut, 50 Seemeilen zu verlangen, wenn wir 200 Seemeilen bekommen konnten", sagte er dann. Jens Evensen hatte allen Grund, mit dem Ergebnis zufrieden zu sein. Welches er auch war.

VINDUET MOT ØST

Oslo-Moskau-Oslo, immer wieder. Trepp´ auf, Trepp´ ab, in und aus dem Flugzeug. Die Welt war im Kalten Krieg. Die Lage schien bedrohlich. Nord-Norwegen mit der Grenze an die Sowjetunion beeinflusste Norwegens Außen- und Sicherheitspolitik. Angst vor Kommunisten und Russenhass war comme il faut.

Aber Evensen mochte Russen und Russen mochten ihn. Er hatte nichts dagegen, «Norwegens Fenster zum Osten» genannt zu werden. Sollten die Russen mit ihren kleinen Nachbarland verhandeln, war es Jens Evensen, den sie wollten.

Fischereiminister Alexander Isjkov kam früh ins Bild. Ein hoch gebildeter Mann, meinte Evensen. Sympathie und Respekt beruhten auf Gegenseitigkeit. Beide hartnäckig in Verhandlungen.

Vom Botschafter Jørstad hatte Evensen einen guten Rat bekommen. Würde er zum Essen eingeladen, sollte er vorher eine Tafel Freia-Schokolade essen.

"Weil die Russen prosten mit Wodka. Große Mengen Wodka. Sitzt Du als Gast an einem langen Tisch, werden sie Reden für dich halten. Und jeder wird sein Glas mit Berit Ruud Retzer Peer Gynt-Club, 5. April 2012 8

Dir aus trinken. Sie trinken einen Toast auf Freundschaft und Partnerschaft mit der Sowjetunion und leeren jedes Mal das Glas. Du musst auch Dein Glas leeren, sonst würdest Du sie und die Sowjetunion beleidigen. So sind die Regeln. "

Die Norweger fühlten sich nie sicher: Wurden sie abgehört oder nicht?

Die norwegische Delegation musste gut vorbereitet sein, bevor sie Norwegen verließen. In Moskau, gingen sie hinaus auf die Straße um den nächsten Schritt zu besprechen. Andere Länder, andere Sitten, sagte Evensen, und ließ sich nicht irritieren.

Kamen die Russen auf Gegenbesuch nach Norwegen, lud Evensen sie zum Abendessen zusammen mit seiner Frau Sylvei in ihrem schönen Haus in Asker ein.

Aber es galt, immer geradlinig zu sein. Keine Gespräche mit den Russen, ohne die Anwesenheit von anderen offiziellen Norwegern.

Es gab aber keinen Fortschritt in der ungelösten Frage der permanenten Grenze in der Barentssee.

In der Zwischenzeit drohten die Fische zu verschwinden. Es galt den Fisch in der Barentssee zu retten, eine gemeinsame russisch-norwegischen Verantwortung, wie Evensen es nannte.

Das Problem wurde akut, als Norwegen im Jahr 1976 seine Wirtschaftszone errichtete. Die Sowjetunion hatte ihre Sektorlinie schon zur Zarenzeit gezogen. Norwegen wollte eine Teilung nach der Mittellinie, was für Norwegen weitaus günstiger wäre. Beide Parteien beharrten auf ihren Standpunkten.

Grauzone - Gråsonen. Der Begriff Grauzone wurde von Jens Evensen eingeführt. Der Kampf um die Grauzone wurde eine schwierige Aufgabe.

Drei oder vier Tage bevor Evensen nach Moskau fuhr, um mit Isjkov zu verhandeln, lud Außenminister Evensen zu einem Treffen in seinem Garten ein.

Evensen legte eine Reihe von alternativen Lösungen vor. Das Abkommen mit der Sowjetunion muss gleichwertig für beide Seiten sein, falls nicht, gibt es kein Abkommen, sagte Evensen.

Die Nachrichten aus der norwegischen Delegation in Moskau war eine große Überraschung. Während Evensen Staatsminister und Außenminister telefonisch informierte, wurde Arne Treholt nach Oslo geschickt, um die Regierung zu unterrichten. Auf einer Pressekonferenz sagte Evensen: "Dies ist das beste Ergebnis, das wir erreichen könnten." Aber war es dies, worüber man sich auf der Gartenparty geeinigt hatte? Nein, das war nicht.

Isjkov und Evensen hatten sich zu einem Kompromiss durchgerungen. Ein bisschen geben, ein bisschen nehmen. Alles in allem war Evensen zufrieden.

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Das Abkommen sollte jeweils nur für ein Jahr gelten. Nur schade, dass die Menschen nicht verstanden, dass es sich nur um Fische handelte.

In späteren Jahren sagte Evensen, dass dieses Abkommen, in seinen Augen, eines der smartesten war, die er abgeschlossen hatte. Übrigens wurde erst 2011 eine endgültige Lösung in der Barentssee vereinbart und damit das Grauzonen- Abkommen überflüssig.

TREHOLTSAKEN

"Arne Treholt ist tot, weil den Arne den ich kannte, hat nie existiert", sagte Jens Evensen. Der Blitz hatte den Mann getroffen, er musste erkennen, dass all das Grausame wahr war. Die tiefe Vertrautheit, die unerschütterliche Zuversicht zwischen Arne und ihm, ist es alles nur eine scheinheilige Vorstellung gewesen?

Evensen sackte in sich zusammen. Seine Persönlichkeit veränderte sich, seine absolute Sicherheit und sein Optimismus verschwanden, er war ein gebrochener, zögerlicher und zurückhaltender Mann.

Der damals 67-jährige Botschafter Jens Evensen war in Afrika, um für seine Kandidatur als Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu propagieren und schlief, als jemand kam und ihn weckte. Zögernd kam Evensen ans Telefon.

"Arne Treholt wurden verhaftet, wegen Spionageverdacht. Er wurde auf dem Weg zu Fornebu verhaftet, zu einem Treffen mit dem KGB im Ausland", sagte der Journalist.

Es herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Der Journalist wiederholte. Plötzlich wurde er unterbrochen. Evensen war wütend und verärgert. "Das ist doch Unsinn! Halten Sie mich für dumm? Wenn das wahr ist, dann steht mein Verstand still, rief Evensen. "Wenn das wirklich wahr ist, ist es so schrecklich, dass ich nicht darüber sprechen will. Für mich ist es einfach Unsinn. Treholt ist wie ein Sohn für mich."

In der Nacht kam der grausame Traum immer und immer wieder. Viele Jahre träumte er, dass er in einem dunklen Tunnel lief. Plötzlich kam ein Licht auf ihn zu, langsam, langsam, weil er nicht gewusst hatte. Er war tropfnass und in Panik und musste aufstehen, um einem anderen Pyjama anzuziehen.

Jens Evensen wusste nichts über den Spionageverdacht bis zum Tag Treholts Verhaftung. Er wurde nicht unterrichtet oder bekam keinen Hinweis von irgendeiner Seite. Man hat gewählt, ihn nicht einzuweihen. Er musste für die Sache geopfert werden. Seine eigenen Kollegen, sogar die aus der eigenen Partei hatten gewählt, ihn nicht einzuweihen.

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Nicht genug damit. Könnte es wirklich wahr sein, dass der Spionage-Verdacht seit vielen Jahren bestand, schon zu der Zeit als Evensen mit Arne Treholt Verhandlungen mit der Sowjetunion führte, einschließlich über die Grauzone?

Man hat ihn hintergangen, keine Erklärungen halfen. Davon hat er sich nie erholt.

Evensen nahm an, dass die Regierung überlegt hatte, was seine Reaktion gewesen wäre, wenn sie ihn in der Angelegenheit informiert hätten. Wahrscheinlich hatten sie Angst, dass er große Schwierigkeiten machen würde. In dieser Hinsicht waren ihre Vermutungen richtig. Evensen wäre am selben Tag zurückgetreten. Das Spiel wäre vorbei gewesen.

Evensen zweifelte nicht daran, dass auch er überwacht wurde. Er musste erkennen, dass man ihn als solch zweifelhafte Figur ansah, dass er überwacht werden musste. Das war traurig. Eines Tages kam ein kleiner Junge, der in der Nähe wohnte, und ging auf ihn zu.

"Jens, die Polizei passt auf dich auf."

"Ja, das ist ja gut", sagte Evensen.

Arne Treholt wurde zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. In der Urteilsbegründung wog die Zeit an der norwegischen Verteidigungshochschule am schwersten. Laut Urteil hatte Treholt hier Zugang zu den meist sensitiven Dokumenten.

Es ist ungeheuerlich, dass Treholt im Jahr 1982 die Verteidigungshochschule besuchte, zu einer Zeit, als sowohl Staatsminister Kåre Willoch und als auch mehrere seiner Minister von dem schweren Spionageverdacht wussten. Warum in aller Welt konnte die Regierung beschließen, Treholt auf die Verteidigungshochschule zu schicken? Treholt selbst wollte doch eigentlich gar nicht.

Im Januar 1992 wurde er begnadigt. Nun ist er wieder sein eigener Herr mit internationalen Geschäften. Nur in Norwegen kann er nicht auf die Straße gehen, ohne erkannt zu werden: War es nicht der Spion Treholt?

„Nein“, sagte Treholt, „ein Spion, bin ich nie gewesen“. Er war ein Opfer von Intrigen. Dass meinte er damals, und das meint er heute. Arne Treholt, nicht schuldig zu allen Anklagepunkten. Seine Meinung ist immer dieselbe geblieben:

"Es war zum Ende des Kalten Krieges. Das norwegische Establishment benötigte einen politischen Skandal, um Jens Evensen zu treffen.“

Treholt ist heute kein verbitterter Mensch. Das Leben hat ihm eine zweite Chance gegeben.

ENSOMME ÅR I HAAG

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Nun hatte Jens Evensen nur noch einen Wunsch: Er wollte Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag werden und Norwegen den Rücken kehren.

In Norwegen ging man davon aus, das der Treholt-Fall seine Chancen gewählt zu werden zunichte gemacht hatten. Aber seine Position in Norwegen war eine Sache, seine Stellung in der Welt eine ganz andere. Die UN-Wahl war ein Pflaster auf die Wunde nach dem Treholt-Skandal.

Jens Evensen entschied sich, Norwegen auf Wiedersehen zu sagen, und nach Den Haag umzuziehen. Es wurden neun Jahre, in seinem selbst gewählten Exil. In der Zeilstraat, einen Steinwurf entfernt von der Nordsee, lebte er in einem bescheidenen kleinen Fischerhaus. Fernsehen hatte nicht, norwegische Zeitungen las er nicht, aber das Radio stand eingestellt auf einen norwegischen Sender. Evensen lebte inkognito, ein Mann, von dem niemand den Hintergrund wirklich kannte.

Am 4. Februar 1994 war sein letzter Tag in Den Haag.

Zum Schluss lese Ich aus meinem Buch Seite 346

Mørket har lagt seg over byen. Regnet faller i tunge dråper fra gatelyktene i Zeilstraat. En mann i losjakke kommer gående sakte i egne tanker. Jakken henger løst. Han er blitt smal over skuldrene og langsom i gangen i det siste, Jens Evensen. Nå er han på vei for å ta farvel med sitt Iille fiskerhus, ta farvel med fortiden.

Han har gruet seg lenge til dette. I det lille huset, som han har slike vanskeligheter med å gi fra seg, gaper tomheten fra veggene. Han ser seg om et minutt eller to, snur, går ut kjøkkeninngangen, låser døren omstendelig bak seg, og rusler ut i regnet tilbake til hotellet.

Her er intet mer å si. Denne mannen, som har satt større spor etter seg i norgeshistorien enn nordmenn flest aner, er fattet og rolig i aften. Han er alene, men klager ikke.

Jens Evensen er en tapper mann.

Am 15. Februar 2004 starb Jens Evensen im Alter von 86 Jahren.

Takk for oppmerksomheten - Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.

Berit Ruud Retzer Peer Gynt-Club, 5. April 2012