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hätte sie „auf unglaublich schnelle Weise gelernt und bombensicher im Griff ge- habt“. Sie sei „wie Mozart und Mendelssohn ihrer Zeit voraus“, besang seinerzeit der Direktor des Royal College of Music in London das Wunderkind. Prompt durfte das zwölfjährige Mirakel die Violinkon- zerte von Beethoven und Tschaikowski, immerhin Tafelsilber der Zunft, auf Platte einspielen, die philharmonische Kund- schaft langte zu und war entzückt. Inzwischen wird Vanessa-Mae von den Prahlhanseln ihres heutigen Exklusivlabels EMI schon „mit Tschaikowski, Mahler und Puccini in einem Atemzug genannt“. Der Witz an dem Joke: Aus solch leerem Stroh spinnt die Branche Gold. Was Wunder, daß das Girl mitmacht. Je- denfalls legte die „exotische Elfe“ („Musik- express“) mit dem braven Bild der geigen- den Kleinen auch ihre Kleidchen ab. Für die Promotion ihrer CD „The Violin Player“ stellte sie sich hüfttief in eine blaue Lagune, ließ ihr nasses Hemd fest am Kör- per kleben, schob die weiße Acryl-Violine, auf der sie so gräßlich schrappen und schrubben kann, sexy unter den Schmoll- mund und tauchte als geigende Undine ins globale CD-Geschäft ein. PR-Star Vanessa-Mae: Vom Stardirigenten heruntergeputzt Fortan – Crossover war bald nicht mehr nur der Code für tönende Bastarde, son- dern auch für eine profitable Masche – MUSIK machte Vanessa-Mae zu allen Capriccios ihre Kapriolen. Vor drei Jahren, bei einem Auftritt am Undines dreiste Saitensprünge New Yorker Times Square, schwang sie sich auf das Dach eines Yellow Cab und führte Sie spielt Model, Disco-Girl und klassische Violine. Jetzt hat dort ihre Saitensprünge vor. Der Verkehr kam zum Erliegen und sie in die Yellow die exotische Geigerin Vanessa-Mae Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ Press – der einzige Zweck der Übung. umkomponiert – respektlos und deshalb hörenswert. In St. Moritz hat sie sich im vorletzten Winter mit einem Delta-Glider von der er CD-Markt läuft schon lange Die tänzelt rum, wackelt mit den Hüf- Corviglia auf den zugefrorenen See her- nicht mehr rund. Die Klassik siecht ten, wirbelt auf dem Schlagzeug, stöhnt abgelassen und dort eineinhalb Stunden Ddahin, und Pop kraucht auch. Das zum Gedröhn ihrer Band, tut verrucht im lang bei 20 Grad unter Null „Saiten ge- Geschäft lahmt im argen. Kreise der Boys, die sie beschmachten, und strichen, die zu eisigen Drähten erstarrt Welch ein Segen, daß wenigstens ein kreiselt im Flutlicht, das sie umflort. waren“ – ihr Holiday on Ice. paar Interpreten nicht an die Kunst, son- Die macht auf ihrer kratzbürstigen Elek- Eben erst, bei der Pariser „Fashion dern ans Geld denken und so die Bilanzen tro-Violine aus dem alten Thomaskantor Week“, ging Vanessa-Mae für den Mo- schöntönen. Diese opferwilligen Artisten, Bach einen poppigen Schrat, vergeigt Sa- deschöpfer Jean-Paul Gaultier mit künst- allen voran die drei Tenöre, sind heute die rasates „Zigeunerweisen“ zu kunterbun- lich gelängten Locken über den Laufsteg tragenden Säulen der Branche. ten Schmachtfetzen und tunkt ein zartes und stilisierte sich in den feinen Fum- Und wenn es die Pingel und Puristen in „Capriccio“ von Paganini den Philharmonien noch so schocken so lange in ihre „Techno- mag – auch jenes exotische „Geigen-Gir- Acoustic-Fusion“, bis das lie mit dem Klassik-Tick“, das abendlän- Solo in sämigem Sound dische Kunststücke oft „an den Rand versifft. des musikalischen Bankrotts“ („Süddeut- Richtig, mit dem Image sche Zeitung“) zu fiedeln pflegt, hilft, der feingeistigen Violinistin daß der Laden läuft. Vanessa-Mae Vana- stimmt was nicht. Diese korn Nicholson, 20, hat bislang rund 5 Mil- bildhübsche junge Frau hat lionen CDs abgesetzt und also den Bogen mit drei angefangen, im raus. klassischen Metier herum- Allein dieser Rekord machte den Teen- zustreichen.Alles, sagt sie, ager aus Singapur allerdings nicht nur für das feine Feuilleton verdächtig: Mit dieser * Live-Auftritt bei der Premiere

„Fidel-Lolita“ („Stern“) kann was nicht des Disney-Films „“ in der PRESS ACTION stimmen. Kölnarena am 7. November. Showstar Vanessa-Mae*: Nachsitzen lohnt nicht

264 der spiegel 47/1998 meln zum ersten Supermodel aus die Innereien des klassischen Reper- der Musiksparte. toires, ein verdammt dreister Gag. In dem neuen Disney-Film „Mu- Vanessa-Mae spielt Vivaldis immer- lan“, der diese Woche in Deutsch- grünes Quadrupel „Die vier Jahres- lands Kinos kommt, spielt sie im zeiten“, sie bietet, laut Cover, „The Nachspann ihre gut vier Minuten lan- Original Four Seasons“ – und tut ge- gen „Reflections“, ein geschwätziges nau das nicht. Statt dessen arrangiert, Nichts, das Nachsitzen im Kinosessel manipuliert und retuschiert sie die nicht lohnt. Und wenn schon – fast 300 Jahre alten Konzerte nach Hauptsache: Sie mischt mit. Herzens- und Virtuosenlust. Dabei brauchte sie sich mit sol- Sie macht daraus Vanessa-Vival- chem Kleinkram gar nicht mehr ab- di, und alle – die philologischen zugeben: Soeben hat sie ihr erstes ei- Kümmelspalter, die altbackenen Ca- genes Filmprojekt beendet. Das heißt pellas und Consortien, schließlich „Violin Fantasy“, wird als „der erste sämtliche Gläubigen der Barockge- Stummfilm aller Zeiten in Technico- meinde – werden aufjaulen, was sich lor und Dolby-Surround“ und zu- dieses junge Ding da herausnimmt: gleich als „wohl letzter Stummfilm ein Frevel, ein Skandal, wie die Dis- dieses Jahrhunderts“ angepriesen co-Diva den sakrosankten Noten und soll international, auch bei „Mu- den Hals verdreht. lan“, als „hübsche Ouvertüre“, wie M. HOFFMANN / FOTEX Wo ihr das Solo zu bedächtig da- die Macherin glaubt, in den Vorpro- Geigerin Vanessa-Mae: Ganz schön großspurig herträumt, peppt Vanessa-Mae es mit grammen laufen. kleinen Extras auf: hier eine ge- Reicht das? Hat sich die zarte Virtuosin Kopf ist sinnenfroh nach hinten geneigt, schmeidige Verzierung, dort eine flotte Ein- mit dem halbseidenen Appeal nun hinrei- das (seit kurzem frech gestutzte) Schwarz- lage.Wenn der Geigenpart sich brav in der chend als Schind-Luder des guten Ge- haar fällt noch in fülligen Schwüngen bis Mittellage hält, spielt sie ihn einfach eine schmacks entlarvt, „süß und unerträglich“, auf die Innenseiten des Booklets, ein paar Oktave höher. Aus einzelnen Notenwer- wie der Dirigent Kurt Masur sie kurz und Strähnen umschlingen den Hals, das Rouge ten macht sie effektvolle Doppelgriffe, bündig runtergeputzt hat? der aufgeworfenen Lippen glänzt, und die Stakkatos verschleift sie zu Arpeggios, ein Letzte Woche kam Vanessa-Maes neue Lidschatten sind so blau wie die Nacht. nobles Cantabile verfremdet sie durch CD heraus, wieder so ein Ding, auf dessen Wenn das mal gutgeht: Vivaldi und Sex. Flageolett-Technik. Vieles klingt verwege- Cover sie lasziv posiert und barocken Anti- Es geht. Es ist sogar spannend. Es ist ein ner als Vivaldis O-Töne oder ist zumindest quitäten ein sündiges Make-up aufträgt. Ihr hörenswertes Ärgernis und, als Eingriff in kniffliger. Kultur

Barockomanen, die verstört zur Parti- ganzen Zyklus gehört. Sie komponieren Für ihre respektlose Freizügigkeit sucht tur der „Jahreszeiten“ greifen, werden ihn um – herauskommt Neo-Vivaldi. Vanessa-Mae nicht lange nach Ausreden: noch mehr blaue Wunder erleben: Auch Ohne Skrupel intonieren sie eine gänz- Vivaldi im New Look habe ihr „einfach im Orchesterpart haben Vanessa-Mae und lich neue Melodie, modulieren sie süffig in Spaß“ gemacht. Schließlich sei die Ori- ihre Mutter, die Koproduzentin Pamela spätromantischem Stil und wagen sich ginalpartitur dieses Opus 8 bis heute ver- Nicholson, munter herumgefummelt. beim Wechsel von Dur und Moll in beina- schollen, auf die überkommenen Kopien Wo sich Vivaldi wörtlich wiederholt, wird he zeitgenössisch changierende Grauzo- kein Verlaß und – recht hat sie auch da – das Da capo dezent variiert.Wenn das Tut- nen der Tonalität vor. die sogenannte Werktreue ein selbst unter ti mal pausiert, legen ihm die Damen rasch Experten umstrittenes Evangelium. ein paar Takte als Füllsel aufs Pult. Und Gerade bei einem so maßlos oft einge- auch im Part des Cembalos, das Frau Mama spielten Zyklus wie den „Jahreszeiten“ Nicholson höchstselbst traktiert, ist mehr habe sie „eine moderne Wiedergabe“ ver- los als in der überlieferten Notation. sucht, die diese alte Musik um eine „auf- Aber eins ist nun wirklich die Höhe: Vi- regende und interessante Version“ berei- valdi als Vivaldi-Imitat. Vanessa-Mae und chere, vielleicht sogar um eine „Vision“. ihre begleitenden Kammermusiker (sämt- Ihre Neufassung befriedige jedenfalls „alle lich Preisträger internationaler Wettbe- Erwartungen heutiger Interpreten“ und werbe) spielen nämlich ganze Passagen, fordere „die höchsten technischen Stan- die der venezianische Komponist so nicht dards des modernen Geigenspiels“ heraus. oder gar nicht notiert hat. Klingt ganz schön großspurig und hat Den glasigen Auftakt im Kopfsatz des doch was: Unter den mehr als 80 Konkur- „Sommer“-Konzerts beispielsweise – 30 renzaufnahmen des Vivaldi-Opus bietet Takte in verhuschtem Pianissimo – haben Vanessa-Maes CD jedenfalls ein verblüf- die Musiker selbstherrlich umgekrempelt: fendes Crossover von schöpferischer Chuz- Die Solistin geistert, anders als üblich, pe und interpretatorischem Eigensinn – durch extreme Gipfellagen ihres Instru- und spielt damit selbst ihre prominenteste ments, das Orchester legt dazu tönenden Kollegin aus. Velours aus. Denn während die Geigen-Dame Anne- Den riskantesten Eingriff erlauben sich Sophie Mutter und ihr Mentor Karajan die Frevler ausgerechnet im langsamen seinerzeit Vivaldi zu tönender Panna cot-

Satz von „Herbst“, dessen Adagio molto / GAMMA STUDIO X MAG F. ta eingedickt haben, belebt Vanessa-Mae mit seinen chromatisch schleifenden Har- Star-Geigerin Mutter ihn mit einem Schuß Spumante. monien zu den betörendsten Teilen des Süßspeise für Puristen KLAUS UMBACH