Land & LEUTE

w w w „Es wird schlimmer. Der Hass zwischen ich da auf so einem blöden Blatt Papier an- geboren wurde und als letzter Teamchef ei- den einzelnen Volksgruppen wird immer kreuzen, ob ich eine Kroatin, eine Serbin nes gesamtjugoslawischen Fußballnational- stärker.“ Es sind Worte, die Gordana Andje- oder eine Muslima bin?“ teams Sportgeschichte schrieb. Doch Ivica lic-Galic sichtbar Überwindung kosten. Die Auf der Suche nach dem zweiten Exilanten Osim ist mehr als bloß ein Fußballtrainer. Er selbstbewusste Frau zieht mit ihrem forschen fährt man knappe zehn Taximinuten vom ist Philosoph, Ehrenbürger der Stadt Saraje- Auftreten und ihren knalligen, roten Haaren Café Imperial im Zentrum von in vo, Idol einer ganzen Nation und bekennen- alle Aufmerksamkeit auf sich. Auch hier, im den Stadtteil Grbavica. Hier findet man we- der Pessimist. weiten Oval des Café Imperial in Sarajevo. der die engen Gassen mit den vielen Pfla- Umso bemerkenswerter sind deswegen die 1991, als in der Hauptstadt Bosnien-Herze- stersteinen noch das umtriebige Klopfen der ersten Sätze, die er, körperlich gezeichnet gowinas bereits vieles auf den schrecklichen Menschen in den Handwerksläden, das man nach einem Schlaganfall, langsam aber deut- Bürgerkrieg hindeutete, ging Andjelic-Galic aus der Altstadt kennt. Grbavica ist jener lich formuliert: „Sarajevo ist nicht mehr die nach Deutschland. Im Gegensatz zu vielen Ortsteil, der im Krieg am brutalsten verwüs- Stadt, die es einmal war. Es gibt politische ihrer Landsleute kehrte sie aber nach Kriegs- tet wurde, die zahlreichen Einschusslöcher Probleme und es gibt ökonomische Proble- ende 1995 nach Sa- me. Aber es muss rajevo zurück. „Die doch irgendwer Stadt hat einfach et- auch einmal posi- was Außergewöhn- tiv denken. Sonst liches. Viele Leute geht hier nie was fragen mich, was es weiter.“ Als Ivica denn sei, und ich Osim seine Jugend kann es ihnen nicht in Sarajevo ver- wirklich sagen. Viel- brachte, war es tat- leicht ist es der star- sächlich noch eine ke Smog.“ andere Stadt. Eine Das Lächeln hat An- Stadt, in der Mul- djelic-Galic nicht tikulturalität gelebt verloren. Obwohl wurde. So feierte sie nach ihrer Rück- der kleine Ivica das kehr aus der eigenen Weihnachtsfest zu- Wohnung geschmis- nächst am 24. De- sen wurde und zu- zember mit den nächst vier Jahre bei Christen, am 7. Freunden nächtigen Jänner bekam er musste, bevor sie in kleine Geschenke ihre völlig ausge- von den Familien plünderte Wohnung seiner serbisch-or- zurückkehren durfte. Offiziell war der Krieg thodoxen Freunde, und auch die Feste der zu diesem Zeitpunkt bereits beendet, das „Ich bin Künstlerin. Muslime wusste der schelmische Sohn einer Abkommen von Dayton, das für ein friedli- überzeugten Sozialistin auszunützen. ches Nachkriegs-Bosnien sorgen sollte, be- Warum muss ich da auf Doch dann kam der Krieg und Sarajevo schlossene Sache. Der über Jahre entstande- so einem blöden Blatt wurde ab April 1992 vier Jahre lang belagert, ne Hass in den Nachfolgestaaten des der Kessel von Sarajevo verwandelte sich in ehemaligen Vielvölkerstaates Jugoslawien Papier ankreuzen, ob ich ein Synonym für Verachtung und Totschlag. Smog über Sarajevo hingegen manifestierte sich. Andjelic-Galic Kroatin, Serbin oder Die Multikulturalität wurde im wahrsten ist Kroatin, ihr Mann Serbe. Die beiden füh- Sinne des Wortes aus der Stadt vertrieben. Unser Autor Markus Zottler reiste einmal nach Sarajevo und wieder zurück. Gordana ren eine Mischehe – etwas, das in Sarajevo Muslima bin? “ Ivica Osim musste in den Anfangstagen der lange Zeit keine Ausnahme darstellte und Belagerung die „einsamste Entscheidung“ Andjelic-Galic und Ivica Osim gingen den umgekehrten Weg. Beide sind sie in Sarajevo plötzlich auf selbigem Territorium zu einem seines Lebens treffen. Mit Sohn Zelimir ging geboren und beide sind sie aus der Stadt geflüchtet. Eine Künstlerin und ein Fußball- der größten menschlichen Verbrechen über- in den Mauern der Wohnhäuser wirken wie er nach Griechenland, Frau Asima und Toch- haupt wurde. Mahnmäler. Bunt ist hier einzig ein hell- ter Irma aber blieben in Sarajevo. Drei Jahre trainer. Heute leben beide wieder in Sarajevo. Katholische Kroaten hatten seit Ewigkeiten blaues Minarett, das neben einer der zahlrei- lang sieht er die beiden nicht, jeder einzelne Tür an Tür mit orthodoxen Serben und chen Moscheen weit in den Himmel ragt. Tag wird von der Angst bestimmt, seine Frau Bosniaken gelebt, die den Lehren des Islam Mittendrin in diesem tristen Teil oder seine Tochter könnten unter den folgen. Vor dem Krieg war es egal, welcher befindet sich das in die Jahre gekommene 11.000 Toten in Sarajevo sein. ethnischen Gruppe man angehörte, nach Stadion von Zeljeznicar Sarajevo, einem der Im Jahr 1994 kommt Ivica Osim nach dem Krieg musste man sich schriftlich de- beiden prominentesten Fußballklubs der und wird Trainer bei Sturm Graz. Die klarieren. Etwas, das Andjelic-Galic immer Stadt. Das Café Macchiato liegt direkt davor schwarz-weiße Traditionsmannschaft führt wieder in Rage versetzt: „Ich bin Künstlerin und ist der ideale Ort, um Ivica Osim zu er zu deren größten Erfolgen. Die Reaktion und Einwohnerin von Sarajevo. Warum muss treffen. Jenen Mann, der 1941 in Sarajevo des Trainers aus Bosnien auf den ersten

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Meistertitel der Vereinsgeschichte: „Ich kann mich nicht freuen darüber. Freude gibt es nach all dem, was in meiner Heimat pas- Piefke versus Ösi siert ist, nicht mehr.“ Auch heute noch wirkt der Mann mit den stechend blauen Augen Kleine Länder schimpfen mit Vorliebe über ihre großen Nach- und dem mittlerweile feinen weißen Haar barn. Wie Österreicher ihre Minderwertigkeitskomplexe ausleben zutiefst betroffen und verärgert, wenn er an die Gräuel der Kriegszeit denkt: „Keiner hat und was Neuseeländer von Australiern halten. Sarajevo geholfen. Kein Deutscher, kein Ös- terreicher, kein Europäer. Sarajevo wurde zerstört und alle haben sie zugesehen.“ Der rechte Arm, der zu Trainerzeiten immer weit oben an der Trainerbank zu finden war, hängt während des Gespräches schlapp und kraftlos nach unten. Doch plötzlich hebt Osim den Arm, formt mit seiner Hand eine Faust und schlägt auf den Glastisch. „Wir alle wollen in einem ge- meinsamen Europa leben. Aber es geht nicht. „Das Bosnien-Problem kann nicht in Bosnien gelöst werden. Das ist unmöglich. Zu viel ist in diesem Land passiert. “

Solange keine Ehrlichkeit Einzug hält, geht w w w Sie sind gründlich, fleißig und stets Deutschen. Wahrscheinlich lebt gerade des- zwinkern mitgeteilt: „Übersteigen Sie die es nicht.“ Schimpfend weist er auf das pünktlich – so will es zumindest das Kli- halb der Mythos um Córdoba 1978 in den Abgrenzungen und erkunden Sie das Ge- Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hin. schee. Wer liebt sie nicht, unsere deutschen Herzen der Österreicher weiter. Im letzten lände auf eigene Faust!“ Als „Farce“ bezeichnet er es. Einem „Zir- Freunde? Doch trotz all ihrer Vorzüge lässt Spiel Österreichs bei dieser WM stand das Solcherlei Scherze gibt es auch auf höchster kus“ komme es gleich, wenn sich Kriegsver- sich eine gewisse Abneigung gegenüber dem Ausscheiden der Mannschaft schon fest. Staatsebene. In den Achtzigern wurde der brecher wie Vojislav Šešelj oder Radovan großen Nachbarn nicht abstreiten. Die Überraschend schlug das Team in dieser Par- damalige neuseeländische Premierminister Karadžic selbst verteidigen und so die Rich- Deutschen sind hierzulande weithin als tie den vermeintlich übermächtigen Gegner Robert Muldoon zur zunehmenden Aus- ter zum Narren hielten. „Die Menschen in „Piefke“ bekannt, ein Begriff, der durchaus Deutschland mit 3:2. Deutschland schied wanderung der Neuseeländer nach Austra- Bosnien werden von Europa nicht ernst ge- abwertend verstanden werden kann. Witze durch die Niederlage ebenfalls aus der WM lien befragt. Seine Erklärung: Durch diese nommen. Dabei wäre es so wichtig. Das sowie sarkastische Bemerkungen über aus. Seitdem sind mehr als 30 Jahre vergan- Auswanderung steige der Durchschnitts-IQ Bosnien-Problem kann nicht in Bosnien ge- Deutschland sind an jedem österreichischen gen, aber der damalige Sieg dient den Ös- beider Länder an. löst werden. Das ist unmöglich. Zu viel ist Stammtisch zu hören. terreichern noch immer als Quell hämischer Wie sieht ein „großes“ Land diese Rivalität? in diesem Land passiert.“ „Deutschland ist ein Land, an dem die Ös- Schadenfreude. Man könnte meinen, wir Österreicher seien Wenn Ivica Osim von einem Bosnien-Pro- terreicher nach wie vor ihre gut gepflegten Doch Konkurrenz zwischen einem kleinen den Deutschen schlichtweg egal und diese blem spricht, meint er zahlreiche Probleme. Komplexe abarbeiten“, konstatiert die FAZ Land und seinem großen Nachbarn gibt es arroganten Piefke würden unsere Existenz Viele Einwohner Sarajevos bezeichnen sich im Juni 2008. Aber ist es denn ein Wunder, nicht nur bei uns, sondern auch am anderen ohnehin nur belächeln. Doch auch die selbst als Freelancer, um zynisch auf das Pro- nicht. „Die Politiker leben doch von den ten sie dank ihrer Doppelstaatsbürgerschaft dass die Österreicher unter Minderwertig- Ende der Welt. Zwischen Neuseeland und Deutschen scherzen gerne über ihren klei- blem der 50-prozentigen Arbeitslosenquote Problemen, die das Volk hat“, meint der jederzeit ohne Visum aus Bosnien ausreisen. keitskomplexen leiden? Die meisten Nicht- Australien herrscht die sogenannte „Trans- nen Nachbarn und bezeichnen uns liebevoll hinzuweisen. Im Vergleich zu anderen Re- Fußballtrainer. Beide hätten sie die Möglichkeit, vor den Österreicher aus anderen Kontinenten sind Tasman rivalry“. Die Bezeichnung bezieht als „Ösis“ oder „Schluchtenscheißer“. Sich gionen in Bosnien liegt die Stadt mit dieser An diesem Punkt treffen sich die Gedanken vielen Problemen zu flüchten. Beide aber der Ansicht, unsere berühmteste Touristen- sich auf die Tasmanische See, die die beiden übereinander lustig zu machen, beruht also Quote noch sehr gut. Ein weiteres großes von Ivica Osim und Gordana Andjelic-Galic. bleiben sie. Die Stadt hat halt doch etwas attraktion seien Kängurus. Der Rest fragt Länder voneinander trennt. auf Gegenseitigkeit. Problem ist der aufgeblähte Verwaltungsap- Die Künstlerin formuliert es allerdings dras- Außergewöhnliches. Abgesehen vom Smog, sich: „Where’s ?“ Früher war Öster- Auch dort erfreut sich Humor auf Kosten Wie man diese Rivalität kreativ und ge- parat, für den das Land ganze 60 Prozent des tischer: „Ich glaube nicht an die Freiheit in der die Stadt an diesem Tag in einen bedroh- reich eine Großmacht, heute bestenfalls eine der jeweils anderen Nation großer Beliebt- schäftlich nutzen kann, zeigte die (mittler- Bruttoinlandsproduktes aufwendet. Jede Po- Bosnien. Ich bin mir ja nicht einmal sicher, lichen Schleier hüllt. v unbekannte Größe. Deutschland hingegen heit. So werden die Besucher eines geother- weile pleite gegangene) Billigfluglinie sition, die etwa in Österreich mit einer Per- ob die Politiker das wollen.“ Und noch et- kennt die ganze Welt. mischen Parks in Rotorua, Neuseeland, von SkyEurope. Eines ihrer Werbesujets in Ös- son besetzt ist, muss in Bosnien dreifach be- was haben die schrille Künstlerin und der Auch im Sport ist die Rivalität spürbar. Guides gewarnt: „Bleiben Sie bitte auf den terreich warb provokant für die Destination setzt werden. Ein Serbe, ein Kroate und ein zurückgezogene Denker gemeinsam: Im Markus Zottler hat dem Nach einem Zitat des ehemaligen engli- Wegen, der Bereich hinter den Absperrun- Holland: „Besuchen Sie ein Land, wo Deut- Bosniake sollen im besten Fall einen Kon- Gegensatz zu vielen Bosniern, die nur die Muezzin gerne zugehört. schen Fußballnationalspielers Gary Lineker gen kann gefährlich sein.“ Den australischen sche noch unbeliebter sind als hier.“ Für uns v sens erzielen. Oftmals wollen sie das aber gar bosnische Staatsbürgerschaft besitzen, könn- Fotos:Clemens Ticar Draschl Manuel ILLUSTRATION: gewinnen im Fußball am Ende immer die Touristen jedoch wird mit einem Augen- Österreicher ein Paradies.

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