Moral Als Staatsräson. Zur Politik Konrad Adenauers Gegenüber Israel Und Den Juden

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Moral Als Staatsräson. Zur Politik Konrad Adenauers Gegenüber Israel Und Den Juden Die politische Nr. 373/Dezember 2000 Meinung Zur Politik Konrad Adenauers gegenüber Israel und den Juden Moral als Staatsräson Niels Hansen „Israelabkommen 1952 – Sühne an den Ju- mit dem so genannten Entschädigungs- den. Eine innere Verpflichtung, wiedergut- schlussgesetz vom September 1965 dann zumachen, soweit das überhaupt möglich substanziell abzuschließen gelang, konnte war. Das Israelabkommen ausschlagge- in Durchführung des Protokolls Nummer 1 bend für das Ansehen der Deutschen in der zum Luxemburger Vertrag unter der Ägide Welt.“ Die erste Inhaltsskizze zu Adenauers des Kanzlers ausgebaut werden. Sie kommt Erinnerungen bringt – über den entschei- in der Tat ganz überwiegend Juden und denden Vertrag und die ihm zugrunde lie- zu mehr als vierzig Prozent Israelis zugute. gende Motivation hinaus – das Wesen der Bei der Formalisierung der gegenseitigen Politik des ersten Bundeskanzlers gegen- Beziehungen ergab sich bald ein Para- über Israel und allgemein den Juden sinn- digmenwechsel: Deutscherseits 1952 er- fällig zum Ausdruck. Wenn es schon früh ge- wünscht, erschien sie der israelischen Re- lang, nach der Katastrophe Stege und gierung zu diesem Zeitpunkt zu früh, und als Brücken über den Abgrund zu schlagen, so Jerusalem Anfang 1956 darauf zu drängen war das deutscherseits vor allem das per- begann, winkte Bonn angesichts der arabi- sönliche Verdienst Konrad Adenauers. Er schen Drohung mit der Anerkennung der hat diese seine Politik, deren Bedeutung DDR und allgemein des Vordringens der nicht hoch genug eingeschätzt werden Sowjets in der Region ab. Der Bundeskanz- kann, bald nach dem Regierungsantritt ein- ler unternahm 1963 zweimal den – indes geleitet, die Aufnahme der im März 1952 bei vergeblichen – Versuch, noch vor seinem Den Haag beginnenden Vertragsverhand- Rücktritt einen Botschafteraustausch her- lungen wagemutig ermöglicht, diese bis zu beizuführen, welcher schließlich im Mai der in Luxemburg am 10. September 1952 1965 unter Inkaufnahme des Beziehungs- erfolgten Unterzeichnung taktisch klug ge- abbruchs von Seiten Ägyptens und neun steuert und die Ratifizierung gegen erbit- weiterer arabischer Staaten vereinbart terte arabische Gegenwehr ein halbes Jahr wurde. später unter Dach und Fach gebracht – mit Adenauer hat Israel für die so lange hinaus- zähem Engagement und beträchtlichen in- gezögerte Aufnahme der diplomatischen neren und äußeren Widerständen zum Beziehungen zu entschädigen versucht Trotz. durch die bilaterale Rüstungszusammenar- Die komplexe individuelle Entschädigungs- beit, die Franz Josef Strauß und Shimon Pe- und Rückerstattungsgesetzgebung, die es res 1957 auf den Weg brachten, durch die 25 Die politische Meinung Niels Hansen 1959 – unter Vermittlung seines lebenslan- tisch und unreflektiert allgemein Wieder- gen jüdischen Freundes Dannie Heineman gutmachung nannte. Als Oberbürgermeis- – eingeleitete wissenschaftliche Koopera- ter von Köln hatte er gute Beziehungen zu tion zwischen Max-Planck-Gesellschaft und zahlreichen Juden gepflegt, deren Erfolge Weizmann-Institut sowie durch die 1960 auf wirtschaftlichem Gebiet ihn beein- Ben Gurion beim New Yorker Treffen in Aus- druckten und deren Leistungen in Kultur sicht gestellte Gewährung attraktiver Auf- und Wissenschaft er schätzte. Von Belang baudarlehen („Aktion Geschäftsfreund“). für sein späteres Verhältnis zum Staat Israel Diese zusätzliche Unterstützung, die man war die Mitgliedschaft beim Juden und sich der Araber wegen, letztlich jedoch ver- Christen umfassenden zionistischen Pro gebens, geheim zu halten bemühte, ließ ge- Palästina-Komitee, zu dessen Kölner Ta- wichtigen israelischen Politikern durchaus gung 1927 er mit einem ausführlichen ein Zuwarten lohnend erscheinen, was die Grußwort beitrug. In ihrem systematischen, Bemerkung von Peres belegt, er ziehe den infamen Kesseltreiben gegen ihn beriefen Motorzylinder eines Panzers dem Zylinder sich die Nationalsozialisten weitgehend auf des Diplomaten vor. Im Sinai-Krieg 1956 war diese Sympathien. Heineman, fünf Jahr- die Bundesrepublik – neben den Verbün- zehnte an der Spitze des Weltkonzerns deten Großbritannien und Frankreich – das SOFINA, hielt den aus Amt und Würden einzige Land, das dem Judenstaat hilfreich Gejagten nach 1933 von Brüssel aus drei war. Der deutsche Regierungschef lehnte es Jahre lang finanziell über Wasser, während ab, die vereinbarten globalen Entschädi- dieser die Unterstützung aus den Erspar- gungsleistungen auszusetzen. Wenn die nissen des Vaters einer jüdischen Stadt- nachfolgende Krise um den Golf von Ak- direktorin nicht annahm. In den Memoiren kaba mit einem diplomatischen Sieg Israels heißt es dazu: „Ich hatte als Oberbürger- endete, so war das nicht zuletzt eine Folge meister von Köln viele Freunde. Heineman dieser Politik, welche wirtschaftliche Sank- und Professor Kraus waren die einzigen, tionen seitens anderer Länder aussichtslos die mir nach meiner Absetzung ihre Hilfe erscheinen ließ. In die Zeit Adenauers fällt anboten. Ihre Handlungsweise mir gegen- auch die Förderung des von Israel seit 1958 über hat mich daran erinnert, dass ,Du sollst verfolgten Anliegens einer möglichst engen Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst’ im Anbindung an die EWG, wobei Deutsch- Alten Testament steht.“ Im Verlauf des kur- land stets den Vorreiter spielte und es Bun- zen Intermezzos als Stadtoberhaupt im deskanzler Helmut Kohl 1994 in sehr per- Sommer 1945 bemühte er sich intensiv und sönlichen Bemühungen sogar gelang, dem erfolgreich um die Heimkehr von An- Land einen „privilegierten Status“ bei der gehörigen der Kölner jüdischen Gemeinde Europäischen Union zu sichern. aus Theresienstadt, und er setzte sich allge- mein für die Rückwanderung von Juden ein. Die deutschen Akteure Adenauer hatte engagierte Mithelfer, wobei Es erwies sich als Glücksfall, dass der erste in der Dienststelle für die Auswärtigen An- Bundeskanzler so energisch und so wirk- gelegenheiten und dann im Auswärtigen sam das verfochten hat, was man damals – Amt in erster Linie Walter Hallstein und Her- vielfach auch jüdischerseits – euphemis- bert Blankenhorn zu nennen sind. Beson- 26 Die politische Moral als Staatsräson Meinung dere Verdienste kommen dem Delegati- tionale über eigene Kontakte zur in Jerusa- onsleiter bei den Haager Verhandlungen, lem regierenden MAPAI-Partei verfügte, un- Franz Böhm, zu; als diese in die Krise ge- befangener als die Bonner Koalition, ob- rieten, erklärte er in spektakulärer Form zwar ihr Fraktionsvorsitzender Fritz Erler de- öffentlich seinen Rücktritt, wurde aber ren deutschlandpolitisch motivierten Vor- vom Regierungschef zum Bleiben bewo- behalte weitgehend teilte. – Die FDP muss gen. Böhm gehörte ab 1953 für drei Legis- im Lager der demokratischen Parteien in laturperioden als Mitglied der CDU/CSU- diesen Jahren als die zurückhaltendste be- Fraktion dem Bundestag an, und er war zeichnet werden, was jedoch nicht für als stellvertretender Vorsitzender des Wie- Theodor Heuss galt – im Gegenteil. dergutmachungsausschusses die treiben- de Kraft bei der befriedigenden Regelung Gleichgesinnte Partner dieser sowohl emotional wie finanziell der- art befrachteten Materie. Eugen Gersten- Und israelischerseits? Wenn die tiefe maier hat im Dialog mit Israel, vorwiegend Sprachlosigkeit vergleichsweise früh über- als Bundestagspräsident, ebenfalls viel be- wunden werden konnte, so ist das in erster wirkt. Linie David Ben Gurion zu verdanken. Auch sind die Sozialdemokraten nicht zu Der große Staatsgründer Israels glaubte zu- vergessen, deren Rolle indes, da sie bis 1967 nehmend an ein „anderes Deutschland“, keine Regierungsverantwortung trugen, be- wenn er in den ersten Jahren die praktische schränkt blieb. Sie plädierten früher als die Arbeit beim Forträumen der Trümmer auf anderen für eine umfassende Entschädi- dem mühseligen Weg auch seinem bedeu- gung. Kurt Schumacher mahnte sie mehr- tenden Außenminister Moshe Sharett über- fach an, und er schrieb kurz vor seinem ließ, der von 1953 bis 1955 fast zwei Jahre Tod dem Kanzler im Mai 1952 einen drän- lang vorübergehend zusätzlich das Amt des genden Brief. Als Vorsitzender des Auswär- Ministerpräsidenten innehatte. Selbst eine tigen Bundestagsausschusses leistete Carlo behutsame Annäherung an die „Täterna- Schmid erhebliche Hilfe, und er hat auch tion“ war für die Regierung damals äußerst später, etwa als einer der ersten deutschen schwierig, denn die weit überwiegende Besucher in Israel, zum so unendlich Mehrheit der öffentlichen Meinung lehnte schwierigen Brückenschlag wesentlich bei- jedwede Kontakte scharf ab. Ben Gurion getragen. Bei der Ratifizierung des Luxem- war es, der in der gefühlsbeladenen, stür- burger Vertrages, in dessen Vorbereitung mischen Knessetdebatte im Januar 1952 die verschiedentlich auch der jüdische SPD- Zustimmung zu unmittelbaren Verhand- Bundestagsabgeordnete Jakob Altmaier lungen mit Bonn durchsetzte – gegen den eingeschaltet war, stimmte die SPD ge- leidenschaftlichen Protest seines Erzwider- schlossen dafür, wohingegen sich immer- sachers Menachem Begin, der insoweit hin 58 Angehörige der CDU/CSU-Fraktion nicht zum letzten Mal sämtliche Register sei- der Stimme enthielten oder abwesend wa- ner populistischen Rhetorik zog: „Es gibt ren und fünf CSU-Abgeordnete sogar ab- nicht einen Deutschen, der an der Ermor- lehnten. Im Hinblick auf die Formalisierung dung unserer Väter unbeteiligt war. Jeder der Beziehungen zu Israel gab sich die SPD, Deutsche ist ein Mörder. Adenauer ist ein die im Rahmen der Sozialistischen Interna- Mörder [. .] Alle seine Helfershelfer sind 27 Die politische Meinung Niels
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