Stand: 2015 300 Jahre Höhendörfer am Rothaarkamm – Hoheleye, Langewiese, Mollseifen und

818 „Jubiläumsjahr“, so lautete 2013 alt, die Regentschaft in seiner – im Hunau WINTER- 480 das Motto der „Grenzleute“ der vier europäischen Vergleich wirtschaftlich Alt- BERG SCHMALLEN- astenberg Ortschaften Hoheleye, Langewiese, zurückgebliebenen – Grafschaft. BERG 841 Mollseifen und Neuastenberg im Insbesondere hatten die Streitig- 236 Lenneplätze Grenzgebiet zwischen Hochsauerland keiten mit den westfälischen Grenz- Neuastenberg 236 Mollseifen und Wittgenstein. Am ersten Wo- städten und Hallenberg Ober- Lange- kirchen wiese Züschen chenende im August 2013 feierten aus der Sicht Casimirs eine moder- Hoheleye kreis Al- die „Höhendörfer“ des Rothaar- nere Entwicklung seines Herrschafts- brechts- platz BAD kamms auf der Winterberger Hoch- gebietes erheblich behindert. Damit BERLEBURG 816 480 HALLEN- Girk- fläche ihr 300-jähriges Gründungs- nun sein kleines Territorium ökono- Hochsauerland-Kr. Siegen- 2 km BERG Wittgennst. hausen jubiläum mit einem großen Fest. misch mehr Nutzen als bisher einbrin- Die vier Dörfer wurden im Zuge gen sollte, begann der junge Regent, Abb. 2: Ortsteile der Stadt der kommunalen Neugliederung neue Siedlungen und Kanonhöfe zu Winterberg (Quelle: Stadt Winterberg) im Jahr 1975 der Stadt Winterberg errichten. In diese Periode fiel auch angegliedert. Vor diesem Zeitpunkt die Gründung der heutigen vier Hö- Einw. am Einw. am waren sie selbstständig und gehörten hendörfer – mit dem heutigen Neu- Haupt- Neben- dem damaligen Kreis Wittgenstein astenberg als ersten Ort „oberhalb wohnsitz wohnsitz Neuastenberg 389 71 an. von Girkhausen auf dem sogenann- Langewiese 416 30 ten Astenberg“, so der Wortlaut der Mollseifen 54 2 Gründungsurkunde vom 30.07.1713. Hohenleye 18 6 Casimir wollte durch „Peuplierung“ 338 85 (Ansiedlung durch Menschen) wirt- Winterberg 4253 825 schaftliche Aktivitäten in den höher Gesamtstadt gelegenen Gebieten des Rothaar- Winterberg 13424 1763 kamms entfalten. Zugleich bedeutete Tab. 1: Einwohnerzahlen in dies eine stärkere politische Kontrolle Winterberg (Haupt- und Neben-

Siedlung in dem leeren Grenzraum. wohnsitz) am 30.06.2012 Es spricht für seine Toleranz, dass (Quelle: Stadt Winterberg) Abb. 1: Banner der Höhendörfer Casimir Menschen – ohne Relevanz auf dem Albrechtsplatz (B236/ einer konfessionellen oder territoria- einen relativ geringen Pachtzins über- B 480) (Foto: M. Rohleder 2013) len Herkunft – zur Ansiedlung in das lassen erhielt ohne die Verpflichtung bevölkerungsarme Wittgensteiner zu weiteren Abgaben an Naturalien Die Einwohner der vier Höhen- Land ermunterte. So warb er auch oder Steuern, jedenfalls nicht in dörfer wiesen mit dem Jubiläumsfest katholische Siedler aus dem Sauer- den ersten Jahren seiner Siedlungs- eindrucksvoll auf die Gründung land an, die sich fast ausschließlich in tätgkeit. Allerdings mussten sich ihrer Ortschaften durch den Grafen Neuastenberg niederließen. die Kanonisten in der Regel damit Casimir von Wittgenstein-Berleburg Die Gründung der Höhendör- abfinden, dass ihnen unkultivierte (1687–1741) im Jahr 1713 hin. fer (Mollseifen, Langewiese und Landflächen mit schlechten Böden 65 Jahre war der Westfälische Hoheleye folgten dann vermutlich zugewiesen wurden, die sie urbar Friede alt, als Graf Kasimir den Ent- schrittweise in den folgenden Jah- machen mussten. Dazu kamen die schluss fasste, die höher gelegenen ren) belegt einen quasi einmaligen für landwirtschaftliche Tätigkeiten Grenzräume Wittgensteins – mit dem Gründungsakt dörflicher Siedlungen äußerst ungünstigen klimatischen Kurfürstentum Köln im Nordwesten – in der westfälischen Geschichte der Bedingungen in den Höhenlagen zu besiedeln. Damit verfolgte der pi- Neuzeit. Der „Winterberger Streit“ des Rothaarkamms. Die Bezeichnung etistisch gesinnte und für seine Zeit konnte allerdings erst einige Jahr- „Höhendörfer“ ist bei einer Höhenla- bemerkenswert weltoffene und to- zehnte später im Jahr 1783 durch ge von über 700 m wahrlich zutref- lerante Graf Casimir die Umsetzung Verhandlungen der Grafschaft mit fend. gleich mehrere Zielvorstellungen. dem Herzogtum Westfalen abschlie- Für Neuastenberg sind die Namen Beim Studium in Halle/Saale lernte ßend beigelegt werden. der ersten 14 Siedler aus der Grün- er Hermann August Francke kennen, dungsurkunde und den Salbuch- der zu dieser Zeit eine neue, innova- Kanonisten als erste Siedler Eintragungen bekannt, ebenso die tive sozialpädagogische Einrichtung Graf Casimir richtete für die ange- Größe der ihnen zugeteilten Wie- aufbaute. Danach begab er sich auf worbenen Neusiedler sog. Kanon- sen und Äcker. Die Ackerparzellen eine Kavalierstour in die Niederlan- höfe ein. Das für die damalige Zeit schwankten zwischen 150 und 715 de und nach England. Im Jahr 1712 „moderne“ Kanonrecht bedeutete, Ar (1 Ar (a) = 100 m2), die Flächen übernahm er, gerade einmal 25 Jahre dass ein Siedler seine Hofstelle gegen der Wiesen waren erheblich kleiner. Höhendörfer Meinolf Rohleder

Holzkohle und Holzlöffel agierende Hausiererhandel. Dieser Die neugegründeten Kanondörfer war für die Höhendörfer am Ende (in Hoheleye blieb es bei drei Höfen) des 19. Jh.s die bedeutendste Ein- waren fast ausschließlich Köhler-Sied- kommensquelle. Man schätzt, dass lungen. Die Köhler produzierten aus damals etwa die Hälfte der männli- den umliegenden reichlich vorhan- chen Erwerbstätigen im Hausierer- denen Rotbuchenwäldern Holzkohle, handel tätig war. Die Hausierer waren die für das wachsende Eisengewerbe in vielen Teilen Deutschlands, aber in großen Mengen benötigt wurde. auch im europäischen Ausland (Nie- Manche der Köhlerplätze, die sog. derlande, Schweiz) unterwegs. Mit Meilerplatten, sind noch heute in den der industriellen Massenproduktion Abb. 3: Leinwand mit historischem Wäldern zu finden. In den langen sowie dem Ausbau moderner Trans- Foto an der alten Bürstenfabrik in kalten Wintermonaten wurden – vor- portwege erlebte auch diese wirt- Neuastenberg wiegend in Heimarbeit – aus Ahorn- schaftliche Tätigkeit in den 1920er (Foto: M. Rohleder 2015) holz Holzlöffel, -schüsseln und an- Jahren ihr Ende. dere Holzwaren hergestellt. Einzelne Bereits 1884 bekam der „kahle Jahr 1961 auf inzwischen weit über Schmieden stellten Sensen her. Dies Astenberg“ einen Aussichtsturm. 100000 (Verkehrsverein Neuasten- konnte zwar die verbreitete Armut Dessen Bau kennzeichnet den An- berg 2015) – insbesondere durch den nicht grundlegend ändern, führte fang einer neuen Phase in der Ent- Bau eines Ferienparks im Jahr 1982 langfristig jedoch zu einer gewissen wicklung der Höhendörfer. Wanderer mit einer Kapazität von 600 Betten. Belebung von Handwerk und Handel. und „Sommerfrischler“ entdeckten Dieses Vorhaben war keinesfalls Die Bevölkerungszahl von Neuas- das Hochsauerland – nicht nur den unumstritten, bedeutete doch die tenberg und Langewiese wuchs im Hauptort Winterberg, sondern auch Zahl der Betten fast das Doppelte der ersten Jahrhundert nach dem Beginn dessen Nachbarorte. Vor dem Ersten Einwohnerzahl. Das Bild des ältesten der Siedlungstätigkeit bis zum Jahr Weltkrieg existierten bereits sechs der vier Höhendörfer veränderte sich 1818 auf 318 bzw. 235 Einwohner. Beherbergungsbetriebe mit 84 Gäste- entscheidend, gleichwohl hat sich

Neuastenberg hatte damit zu Beginn betten in Neuastenberg, zu jener Zeit aus touristischem Blickwinkel die Siedlung des 19. Jh.s bereits mehr Einwohner mehr als im upländischen Hauptort Ansiedlung des Ferienparks bislang als das sehr viel früher (um 1540) Willingen. Spätestens in den 1920er als erfolgreicher Impulsgeber für gegründete Altastenberg (272 Ew.). Jahren entwickelten sich zwei die wirtschaftliche Entwicklung der Das ist bis heute so geblieben. 1871 unterschiedliche Saisonzeiten: eine gesamten Stadt erwiesen. überrundete dann Langewiese mit Sommersaison mit einer Aufenthalts- 242 Einwohnern den Pionierort (240 dauer von zwei Wochen und mehr Fazit Ew.). Mollseifen hingegen erreichte sowie eine Wintersaison um Neujahr, Als Nachfahre von Graf Casimir be- nie eine stabile Bevölkerungszahl von abhängig natürlich von den vorhan- wertete Gustav, Prinz zu Sayn-Witt- 100, Hoheleye kam kaum über 30 denen Schneeverhältnissen. Erste genstein-Berleburg, die Gründung Einwohner (Statistisches Landesamt Werbeprospekte wurden verteilt. der Höhendörfer in seinem Grußwort NRW 1966, S. 228 u. 265). Im Februar 1908 wurde bereits zum 300-jährigen Jubiläum wie folgt: ein Skiclub gegründet, die Keimzelle „Heute würde man sagen, dass Graf Von Hausierer- zu Skidörfern des heutigen Skiclubs Neuastenberg/ Casimir bemüht war, mehr Wert- Seit Beginn des 20. Jh.s fand eine Langewiese. In den 1950er Jahren schöpfung im Lande zu belassen und wirtschaftliche Neuorientierung der begann der eigentliche Aufschwung Kreativität zu fördern. Tatsächlich Höhendörfer statt: Die Produktion des Fremdenverkehrs mit der Grün- widmeten sich die Kanonisten immer von Holzkohle war mit dem Einsatz dung eines Fremdenverkehrsvereins. auch anderen Handwerksbereichen der Steinkohle in der Montanindus- Zugleich begann der schrittweise und förderten somit die Entwicklung trie beendet. Von der Produktion Ausbau zu einem modernen Ski- des Landes“ (Schützenverein Neuas- von Holzwaren blieb der Standort dorf mit dem Skigelände „Postwie- tenberg/Dorfgemeinschaft Neuasten- einer Bürstenfabrik („Lorenz Sander“, se“ östlich des Dorfes. Heute sind berg 2013, S. 5). 20–25 Beschäftigte) in Neuastenberg Neuastenberg (mit seinen Liften eher Es ist den „Grenzleuten“ der mit einer Blütezeit in der ersten Hälf- alpin orientiert) und Langewiese Höhendörfer zu wünschen, dass sie te des 20. Jh.s (Abb. 3). Die Vermark- (mit seinen Loipen eher nordisch sich ihre Kreativität in umsichtiger tung der Holzwaren, später auch von ausgerichtet) fester Bestandteil der und nachhaltiger Weise erhalten und Sensen, Sicheln sowie auch Nägeln, „Ferienwelt Winterberg“. Die Über- entsprechend zukunftsorientiert im Ketten und Schrauben übernahm nachtungszahlen, nicht zuletzt durch Einklang mit der Natur in einem ein- der auf der Winterberger Hochfläche die zahlreichen niederländischen maligen Mittelgebirgsraum einsetzen. weit verbreitete und transnational Gäste, stiegen von etwa 45000 im