Konzerthäuser
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Benedikt Stampa KONZERTHÄUSER LEBEN In: Deutscher Musikrat / Deutsches Musikinformationszentrum (Hrsg.): MUSIK in Deutschland Musikleben in Deutschland, Bonn 2019, S. 274–299 Mit seinem reichen kulturellen Erbe und einer lebendigen Musikszene ist Deutschland ein Land der Musik. Millionen Menschen singen in Chören oder spielen ein Instrument; Musiktheater, Orchester, Ensembles und Bands sorgen für ein abwechslungsreiches musikalisches Angebot. Täglich erle- ben wir so die verschiedensten Genres, Stile und Musikkulturen. In 22 Fachbeiträgen bündelt das MUSIKLEBEN Deutsche Musikinformationszentrum ausgewählte Fakten zum Musikleben und beschreibt zentrale Bereiche in ihren Entwicklungen: von der musikalischen Bildung über das Amateurmusizieren und in Deutschland 2018 die professionelle Musikausübung bis hin zur Musikwirtschaft. 2019 Im Druck veröffentlicht: März 2019 Diese Publikation wurde gefördert durch: © Deutsches Musikinformationszentrum ISBN 978-3-9820705-0-6 http://www.miz.org/musikleben-in-deutschland.html Final_RZ_Cover.indd 1 27.02.19 08:40 KonzerthäuserKapitel | Kölner Philharmonie KONZERTHÄUSER 10 Deutschland als Land mit einer reichen und vielfältigen Musiktradition verfügt über eine hohe Dichte an Spielstätten und besonders seit jüngster Zeit über mehrere aufsehen- erregende Neubauten. Zu den Entwicklungen der Konzert- hauslandschaft in Deutschland informiert Benedikt Stampa. 274 275 Konzerthäuser | | Benedikt Stampa eines der deutlich benachteiligten Viertel Dortmunds – beigetragen. In unmit- telbarer Nachbarschaft konnte auch Bochum im Herbst 2016 mit dem Anneliese Brost Musikforum Ruhr die Eröffnung eines Konzertsaalneubaus feiern. Im Früh- KONZERTHÄUSER jahr 2017 folgte Dresden mit dem vollständig modernisierten Kulturpalast. In Ber- lin eröffnete zudem nahezu zeitgleich mit dem neu errichteten Pierre Boulez Saal eine aufsehenerregende Spielstätte für Kammermusikaufführungen. Konzerthäuser gehören zu den großen Anziehungspunkten in der Kultur- landschaft. Weithin wahrnehmbar tragen sie als Zentren der klassischen Musik Deutschland als Land mit einer reichen und vielfältigen Musiktradition verfügt wesentlich zum Profil einer Stadt bei und verankern die Kultur inmitten der Ge- über eine hohe Dichte an Spielstätten. Beinahe jede mittelgroße Stadt hat min- sellschaft. Wie groß ihre Strahlkraft sein kann, zeigt sich deutlich am Beispiel der destens einen Saal für musikalische Aufführungen. Die Frage, welche Rahmenbe- Hamburger Elbphilharmonie. Seit sie im Januar 2017 ihre Türen öffnete, ist sie dingungen für die adäquate Aufführung vor allem des sinfonischen Repertoires nicht nur ein von der Öffentlichkeit vielbeachteter Kulturbau, sondern auch ein von der Klassik bis zur Moderne vorliegen müssen, hat an vielen Orten zu einer Meilenstein in der deutschen Konzerthauslandschaft – unter anderem deshalb, regelrechten Konzertsaaldebatte geführt. Aktuell beschäftigt Saarbrücken, Stutt- weil sie die Diskussion darüber, welches musikalische Programm ein Konzerthaus gart, Nürnberg und München in diesem Zusammenhang die Frage, was ein Kon- anbieten soll, wie viel es kosten darf und wofür es steht, neu angeregt und in das zerthaus für ihre Stadt sein soll: ein Haus, in dem Musik aufgeführt wird, in dem öffentliche Bewusstsein transportiert hat. Auch das Konzerthaus Dortmund ist ein sich Menschen begegnen können, in dem Veranstaltungen zu Prestigezwecken Beleg dafür, wie stark eine solche Institution im städtischen Kontext wirken kann. ausgetragen werden? Besonders große mediale Aufmerksamkeit erlangte die Dis- Seit seiner Eröffnung im Jahr 2002 erfährt das Haus eine breite und weit über die kussion um den Münchner Konzertsaal. Mit zwei renommierten Orchestern (BR- Region hinausreichende Wahrnehmung und hat mit seiner Lage im Dortmunder Symphonieorchester und Münchner Philharmoniker), die einen Aufführungsort Stadtkern zu einer Aufwertung des Brückstraßenviertels – bis in die 1990er Jahre für ihre Konzerte benötigen, und der dringend notwendig gewordenen Restaurie- rung des Kulturzentrums Gasteig ab 2020 wurde die Diskussion um einen Neu- bau immer dringlicher. Dabei wurde zwischen Verwaltung, Bürgern und künst- lerischen Sachverständigen insbesondere der Standort debattiert. Die Wahl fiel schließlich auf ein ehemaliges Produktionsgelände, das derzeit mit Wohnungen, Bildungseinrichtungen, Start-ups und Dienstleistern als neues Stadtquartier ent- wickelt wird und wo der neue Saal bis 2021 entstehen soll. Wie München hat auch die Stadt Nürnberg nach einem Architekturwettbewerb im Jahr 2017 ihren Sieger- entwurf für ein neues Konzerthaus gefunden. Dieses soll voraussichtlich ab 2021 direkt neben der Meistersingerhalle gebaut werden. WESENSMERKMALE: WAS IST EIN KONZERTHAUS? Philharmonie und Tonhalle, Konzertsaal und Konzerthaus, Kultur- bzw. Musik- zentrum: Diese unterschiedlichen Begriffe beschreiben alle einen ähnlichen Sach- Der 2017 eröffnete Pierre Boulez Saal in Berlin: ein Konzertsaal für renommierte Künstler*innen, der als Teil der Barenboim-Said verhalt, nämlich ein Gebäude, das in erster Linie für die Aufführung klassischer Akademie auch dem internationalen Nachwuchs ein Forum bietet Musik gebaut wurde.1 Doch was tut ein Konzerthaus im Einzelnen und inwiefern 276 277 Konzerthäuser | unterscheiden sich die Einrichtungen voneinander? Zu betrachten sind dabei Star unter den Konzerthäusern: eine ganze Reihe von Aspekten, etwa der Anteil des klassischen Repertoires und Die Elbphilharmonie, erbaut das Spektrum musikalischer Genres im Programm oder der Stellenwert von Gast- auf einem alten Lagerhaus im spielen. Im Gegensatz zu einem Opernhaus, das sich als Aufführungs stätte Hamburger Hafen, sorgte mit für musik dramatische Werke beschreiben lässt, die in eigener Produktion mit ihrer spektakulären Architektur eigenem Personal und unter eigener Verwaltung programmiert werden, lässt sich für internationales Aufsehen. Im der Begriff „Konzerthaus“ letztlich nicht in eine allgemeingültige Definition fas- Jahr der Eröffnung 2017 besuchten sen. Konzerthäuser besitzen aber dennoch eigene Wesensmerkmale. Sie betreffen 850.000 Menschen die ausverkauf- bauliche Aspekte, Fragen der Nutzung und des Betriebs sowie des künstlerischen ten Konzerte und 4,5 Millionen die Profils, die zur Beschreibung und Abgrenzung gegenüber anderen Einrichtungen öffentlich zugängliche Plaza. herangezogen werden können. Gebäude Architektonische Grundvoraussetzung eines Konzerthauses ist ein bestuhlter Saal, der sich sowohl von seiner Größe her als auch akustisch für die Aufführung klassischer Musik eignet und mehrere Hundert Besucher*innen aufnehmen kann. Die meisten deutschen Konzerthäuser verfügen darüber hinaus über zusätzliche Säle, die vor allem der Aufführung von Kammermusik oder Solowerken dienen. Neben eigens für den Konzertbetrieb errichteten Bauwerken kommen dabei auch solche in Betracht, die ursprünglich anderen Zwecken vorbehalten waren. So ent- stand die Tonhalle Düsseldorf Mitte der 1920er Jahre zunächst als Planetarium und trat als neue, zentrale Spielstätte für klassische Musik erst Ende der 1970er Jahre die Nachfolge der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Tonhalle an. Nutzung Neben den architektonischen Gegebenheiten ist die Art der Nutzung entschei- dend, um ein Gebäude als Konzerthaus zu klassifizieren: Überwiegend wird hier klassische Musik aufgeführt, sodass die Außenwahrnehmung als Konzertbe- trieb nicht – wie etwa bei den meisten Stadthallen – durch breit gefächerte, auch außermusikalische Angebote beeinflusst wird. Allerdings gibt es in Häusern wie Gegenüberliegende Seite: Impressionen der Elbphilharmonie Hamburg, Luftaufnahme (oben), Plaza (Mitte) sowie Foyer (unten links) und Großer Saal (unten rechts) 278 279 Konzerthäuser | Hier: Anneliese Brost Musikforum Ruhr (Bochum). Gegenüberliegende Seite: Konzertkirche Neubrandenburg Musikalische Nutzung profanierter Kirchen: In Neubrandenburg wurde die Marienkirche zur Konzertkirche; im Anneliese Brost Musikforum Ruhr Künstlerisches Profil bildet die ehemalige St.-Marien-Kirche das Foyer für einen Konzert- und Das künstlerische Profil eines Konzerthauses bildet das wohl wichtigste Unter- einen Musikschulsaal. scheidungsmerkmal zu anderen Konzertspielstätten. Denn neben der Öffnung für einen möglichst großen und internationalen Künstlerkreis sollte idealerweise auch die gesamte Vielfalt des Repertoires berücksichtigt und entwickelt werden. der Liederhalle Stuttgart oder dem Münchner Gasteig neben dem musikalischen Das geschieht meist im Rahmen einer intendanzgeführten Organisationsstruk- Angebot auch zahlreiche andere Veranstaltungen (vor allem Kongresse); die Ab- tur, die das Programmprofil unverwechselbar bestimmt. In der Ausrichtung eines grenzungskriterien sind hier wie auch an anderer Stelle fließend. Hauses spiegelt sich auch das Rollenverständnis als Kulturbetrieb: Von einem Kon- zerthaus wird erwartet, dass es künstlerische Impulse gibt und durch eine kluge Gastspielbetrieb Programmzusammenstellung eine eigene Idee abbildet. Bestimmend dabei ist es, das Musikleben an einem jeweils individuellen Standort innerhalb einer Region Konzerthäuser verfügen über einen regelmäßigen Gastspielbetrieb. Sie stehen nicht aktiv zu gestalten. Es reicht nicht länger aus, berühmte Musiker*innen auf der nur überwiegend regionalen Klangkörpern als Spielstätte offen, sondern bieten Bühne zu zeigen; benötigt wird stattdessen eine durchdachte Dramaturgie, die von über das Jahr verteilt nationalen und internationalen Ensembles Auftrittsmöglich- sämtlichen Abteilungen des Hauses mitgetragen und selbstbewusst