Benedikt Stampa

Konzerthäuser

LEBEN

In: Deutscher Musikrat / Deutsches Musikinformationszentrum (Hrsg.): MUSIK in Deutschland Musikleben in Deutschland, Bonn 2019, S. 274–299

Mit seinem reichen kulturellen Erbe und einer lebendigen Musikszene ist Deutschland ein Land der Musik. Millionen Menschen singen in Chören oder spielen ein Instrument; Musiktheater, Orchester, Ensembles und Bands sorgen für ein abwechslungsreiches musikalisches Angebot. Täglich erle- ben wir so die verschiedensten Genres, Stile und Musikkulturen. In 22 Fachbeiträgen bündelt das MUSIKLEBEN Deutsche Musikinformationszentrum ausgewählte Fakten zum Musikleben und beschreibt zentrale Bereiche in ihren Entwicklungen: von der musikalischen Bildung über das Amateurmusizieren und in Deutschland 2018 die professionelle Musikausübung bis hin zur Musikwirtschaft. 2019 Im Druck veröffentlicht: März 2019

Diese Publikation wurde gefördert durch: © Deutsches Musikinformationszentrum

ISBN 978-3-9820705-0-6 http://www.miz.org/musikleben-in-deutschland.html Final_RZ_Cover.indd 1 27.02.19 08:40 KonzerthäuserKapitel |

Kölner Philharmonie

Konzerthäuser

10 Deutschland als Land mit einer reichen und vielfältigen Musiktradition verfügt über eine hohe Dichte an Spielstätten und besonders seit jüngster Zeit über mehrere aufsehen­ erregende Neubauten. Zu den Entwicklungen der Konzert­ hauslandschaft in Deutschland informiert Benedikt Stampa.

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| Benedikt Stampa eines der deutlich benachteiligten Dortmunds – beigetragen. In unmit- telbarer Nachbarschaft konnte auch Bochum im Herbst 2016 mit dem Anneliese Brost Musikforum die Eröffnung eines Konzertsaalneubaus feiern. Im Früh- Konzerthäuser jahr 2017 folgte mit dem vollständig modernisierten . In Ber- lin eröffnete zudem nahezu zeitgleich mit dem neu errichteten Pierre Boulez Saal eine aufsehenerregende Spielstätte für Kammermusikaufführungen. Konzerthäuser gehören zu den großen Anziehungspunkten in der Kultur- landschaft. Weithin wahrnehmbar tragen sie als Zentren der klassischen Musik Deutschland als Land mit einer reichen und vielfältigen Musiktradition verfügt wesentlich zum Profil einer Stadt bei und verankern die Kultur inmitten der Ge- über eine hohe Dichte an Spielstätten. Beinahe jede mittelgroße Stadt hat min- sellschaft. Wie groß ihre Strahlkraft sein kann, zeigt sich deutlich am Beispiel der destens einen Saal für musikalische Aufführungen. Die Frage, welche Rahmenbe- Hamburger . Seit sie im Januar 2017 ihre Türen öffnete, ist sie dingungen für die adäquate Aufführung vor allem des sinfonischen Repertoires nicht nur ein von der Öffentlichkeit vielbeachteter Kulturbau, sondern auch ein von der Klassik bis zur Moderne vorliegen müssen, hat an vielen Orten zu einer Meilenstein in der deutschen Konzerthauslandschaft – unter anderem deshalb, regelrechten Konzertsaaldebatte geführt. Aktuell beschäftigt Saarbrücken, Stutt- weil sie die Diskussion darüber, welches musikalische Programm ein Konzerthaus gart, Nürnberg und München in diesem Zusammenhang die Frage, was ein Kon- anbieten soll, wie viel es kosten darf und wofür es steht, neu angeregt und in das zerthaus für ihre Stadt sein soll: ein Haus, in dem Musik aufgeführt wird, in dem öffentliche Bewusstsein transportiert hat. Auch das Konzerthaus Dortmund ist ein sich Menschen begegnen können, in dem Veranstaltungen zu Prestigezwecken Beleg dafür, wie stark eine solche Institution im städtischen Kontext wirken kann. ausgetragen werden? Besonders große mediale Aufmerksamkeit erlangte die Dis- Seit seiner Eröffnung im Jahr 2002 erfährt das Haus eine breite und weit über die kussion um den Münchner Konzertsaal. Mit zwei renommierten Orchestern (BR-­ Region hinausreichende Wahrnehmung und hat mit seiner Lage im Dortmunder Symphonieorchester und Münchner Philharmoniker), die einen Aufführungsort Stadtkern zu einer Aufwertung des Brückstraßenviertels – bis in die 1990er Jahre für ihre Konzerte benötigen, und der dringend notwendig gewordenen Restaurie- rung des Kulturzentrums ab 2020 wurde die Diskussion um einen Neu- bau immer dringlicher. Dabei wurde zwischen Verwaltung, Bürgern und künst- lerischen Sachverständigen insbesondere der Standort debattiert. Die Wahl fiel schließlich auf ein ehemaliges Produktionsgelände, das derzeit mit Wohnungen, Bildungseinrichtungen, Start-ups und Dienstleistern als neues Stadtquartier ent- wickelt wird und wo der neue Saal bis 2021 entstehen soll. Wie München hat auch die Stadt Nürnberg nach einem Architekturwettbewerb im Jahr 2017 ihren Sieger- entwurf für ein neues Konzerthaus gefunden. Dieses soll voraussichtlich ab 2021 direkt neben der Meistersingerhalle gebaut werden.

Wesensmerkmale: Was ist ein Konzerthaus?

Philharmonie und Tonhalle, Konzertsaal und Konzerthaus, Kultur- bzw. Musik- zentrum: Diese unterschiedlichen Begriffe beschreiben alle einen ähnlichen Sach- Der 2017 eröffnete Pierre Boulez Saal in : ein Konzertsaal für renommierte Künstler*innen, der als Teil der Barenboim-Said verhalt, nämlich ein Gebäude, das in erster Linie für die Aufführung klassischer Akademie auch dem internationalen Nachwuchs ein Forum bietet Musik gebaut wurde.1 Doch was tut ein Konzerthaus im Einzelnen und inwiefern 276 277 Konzerthäuser |

unterscheiden sich die Einrichtungen voneinander? Zu betrachten sind dabei Star unter den Konzerthäusern: eine ganze Reihe von Aspekten, etwa der Anteil des klassischen Repertoires und Die Elbphilharmonie, erbaut das Spektrum musikalischer Genres im Programm oder der Stellenwert von Gast­ auf einem alten Lagerhaus im spielen. Im Gegensatz zu einem Opernhaus, das sich als Aufführungs­stätte Hamburger Hafen, sorgte mit für musik­dramatische Werke beschreiben lässt, die in eigener Produktion mit ihrer spektakulären Architektur ­eigenem Personal und unter eigener Verwaltung programmiert werden, lässt sich für internationales Aufsehen. Im der Begriff „Konzerthaus“ letztlich nicht in eine allgemeingültige Definition fas- Jahr der Eröffnung 2017 besuchten sen. Konzerthäuser besitzen aber dennoch eigene Wesensmerkmale. Sie betreffen 850.000 Menschen die ausverkauf- bauliche Aspekte, Fragen der Nutzung und des Betriebs sowie des künstlerischen ten Konzerte und 4,5 Millionen die Profils, die zur Beschreibung und Abgrenzung gegenüber anderen Einrichtungen öffentlich zugängliche Plaza. herangezogen werden können.

Gebäude

Architektonische Grundvoraussetzung eines Konzerthauses ist ein bestuhlter Saal, der sich sowohl von seiner Größe her als auch akustisch für die Aufführung klassischer Musik eignet und mehrere Hundert Besucher*innen aufnehmen kann. Die meisten deutschen Konzerthäuser verfügen darüber hinaus über zusätzliche Säle, die vor allem der Aufführung von Kammermusik oder Solowerken dienen. Neben eigens für den Konzertbetrieb errichteten Bauwerken kommen dabei auch solche in Betracht, die ursprünglich anderen Zwecken vorbehalten waren. So ent- stand die Tonhalle Düsseldorf der 1920er Jahre zunächst als Planetarium und trat als neue, zentrale Spielstätte für klassische Musik erst Ende der 1970er Jahre die Nachfolge der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Tonhalle an.

Nutzung

Neben den architektonischen Gegebenheiten ist die Art der Nutzung entschei- dend, um ein Gebäude als Konzerthaus zu klassifizieren: Überwiegend wird hier klassische Musik aufgeführt, sodass die Außenwahrnehmung als Konzertbe- trieb nicht – wie etwa bei den meisten Stadthallen – durch breit gefächerte, auch ­außermusikalische Angebote beeinflusst wird. Allerdings gibt es in Häusern wie

Gegenüberliegende Seite: Impressionen der Elbphilharmonie , Luftaufnahme (oben), Plaza (Mitte) sowie Foyer (unten links) und Großer Saal (unten rechts) 278 279 Konzerthäuser |

Hier: Anneliese Brost Musikforum Ruhr (Bochum). Gegenüberliegende Seite: Konzertkirche Neubrandenburg

Musikalische Nutzung profanierter Kirchen: In Neubrandenburg wurde die Marienkirche zur Konzertkirche; im Anneliese Brost Musikforum Ruhr Künstlerisches Profil bildet die ehemalige St.-Marien-Kirche das Foyer für einen Konzert- und Das künstlerische Profil eines Konzerthauses bildet das wohl wichtigste Unter- einen Musikschulsaal. scheidungsmerkmal zu anderen Konzertspielstätten. Denn neben der Öffnung für einen möglichst großen und internationalen Künstlerkreis sollte idealerweise auch die gesamte Vielfalt des Repertoires berücksichtigt und entwickelt werden. der Liederhalle Stuttgart oder dem Münchner Gasteig neben dem musikalischen Das geschieht meist im Rahmen einer intendanzgeführten Organisationsstruk- Angebot auch zahlreiche andere Veranstaltungen (vor allem Kongresse); die Ab- tur, die das Programmprofil unverwechselbar bestimmt. In der Ausrichtung eines grenzungskriterien sind hier wie auch an anderer Stelle fließend. Hauses spiegelt sich auch das Rollenverständnis als Kulturbetrieb: Von einem Kon- zerthaus wird erwartet, dass es künstlerische Impulse gibt und durch eine kluge Gastspielbetrieb Programmzusammenstellung eine eigene Idee abbildet. Bestimmend dabei ist es, das Musikleben an einem jeweils individuellen Standort innerhalb einer Region Konzerthäuser verfügen über einen regelmäßigen Gastspielbetrieb. Sie stehen nicht aktiv zu gestalten. Es reicht nicht länger aus, berühmte Musiker*innen auf der nur überwiegend regionalen Klangkörpern als Spielstätte offen, sondern bieten Bühne zu zeigen; benötigt wird stattdessen eine durchdachte Dramaturgie, die von über das Jahr verteilt nationalen und internationalen Ensembles Auftrittsmöglich- sämtlichen Abteilungen des Hauses mitgetragen und selbstbewusst nach außen keiten. Einige Häuser haben allerdings eigene Ensembles, etwa das ­ kommuniziert wird. orchester und die Berliner Philharmoniker. In der Kölner Philharmonie wiederum sind mit dem Gürzenich-Orchester und dem WDR Sinfonieorchester gleich zwei Standorte und Entwicklung Klangkörper beheimatet, und mit seiner Umbenennung in NDR Elbphilharmonie Orchester Hamburg zur Spielzeit 2016/17 trägt das vormalige NDR Symphonie­ Das Deutsche Musikinformationszentrum verzeichnet 15 Institutionen in orchester die Verbindung zu seinem neuen Hauptspielort nun sogar im Namen. Deutschland, die diese Merkmale eines Konzerthauses besitzen. Sie sind über Entscheidend für die Konzerthäuser ist jedoch, dass Hausensembles trotz vielfäl- das gesamte Bundesgebiet verteilt und in verschiedensten Regionen wie dem tiger Vor- und Hausrechte die Spielplangestaltung nicht ausschließlich vorgeben. Rhein-Main-Gebiet ( ), in Süddeutschland (Gasteig München, 280 281 Konzerthäuser |

Architektonisch prägen zwei Liederhalle Stuttgart, Festspielhaus Baden-Baden), in Sachsen (Leipziger Gewand- Grundrisstypen die Konzertsäle: haus, Dresdner Kulturpalast) oder in Norddeutschland (Glocke in , Elb- der Rechteckraum mit einem philharmonie und Hamburg, Musik- und Kongresshalle Lübeck) Podium an der Stirnseite („Schuh- angesiedelt. In Nordrhein-Westfalen herrscht dabei mit der Philharmonie Essen, karton“) und der Polygonal- bzw. dem Konzerthaus Dortmund sowie der Philharmonie in Köln und der Tonhalle Rundraum, bei dem sich die Sitz- Düsseldorf in einem Gesamtumkreis von nur rund 100 Kilometern eine besondere reihen um ein zentrales Podium Dichte. Auch Berlin ist mit zwei Häusern vertreten (, Kon- gruppieren („Arena“, „Weinberg“). zerthaus Berlin). Insgesamt 13 dieser Konzerthäuser, ergänzt durch vier weitere Einrichtungen aus Österreich, Luxemburg, der Schweiz und den Niederlanden, sind derzeit in der 2001 gegründeten Deutschen Konzerthauskonferenz zusammenge- schlossen. Ziel dieser Vereinigung ist es, gemeinsam für den Erhalt, den Ausbau und die Weiterentwicklung des Konzertlebens einzutreten. Über diese Konzert- häuser hinaus gibt es in Deutschland zahlreiche weitere Konzertsäle, die oft den lo- kal und regional beheimateten Klangkörpern als Spielstätte dienen, des Weiteren aber auch für Gastspiele und Festivals genutzt werden und nach ganz ähnlichen Prinzipien funktionieren wie die Konzerthäuser. Beispiele sind das BASF-Feier- abendhaus in Ludwigshafen, der Nikolaisaal in Potsdam oder die Rudolf-­Oetker- Halle in Bielefeld. Auch Konzertkirchen wie die Konzerthalle Carl Philipp Emanuel Bach Frankfurt (Oder) zählen dazu.

Gegenüberliegende Seite: (oben), Philharmonie Essen (Mitte), Gewandhaus (unten). Hier: Kulturpalast Dresden (links), Konzerthaus Dortmund (rechts)

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Neben den etablierten Konzerthäusern sind insbesondere in den letzten Jahren Aufführungsorte entstanden, an denen neue Konzertformate präsentiert werden. Spielstätten wie das Radialsystem V am Berliner Ostbahnhof (das als privat ge- gründete Einrichtung 2018 durch das Land Berlin erworben wurde) bieten nicht zuletzt freien Ensembles ein Podium und ziehen – mit anderen Zielen als die Kon- zerthäuser – ein interessiertes, oft bunt gemischtes Publikum an.

Entwicklung der Konzerthauslandschaft in Deutschland

Die Unverwechselbarkeit der Konzerthäuser und die mit ihnen verbundenen gesellschaftlichen oder kulturpolitischen Forderungen finden ihren Ausdruck oft schon im architektonischen Konzept. Bereits im 19. Jahrhundert wurde ein Konzert- saal zu einem repräsentativen Ort, der dem Wunsch der gebildeten Bürger, einen gewählten, nicht allen zugänglichen Kulturraum zu haben, entgegenkam. Zen- trale Maßstäbe hierfür setzte der Bau des Wiener Musikvereinssaals im Jahr 1870; Außenansicht der Berliner Philharmonie

Abb.Abb. 1 || SSpielstätten,pielstätten, T rägerTräger und und Betreiber Betreiber der der Konzerthäuser Konzerthäuser und ganz allgemein lässt sich für Europa wie für die USA in der zweiten Hälfte Kapazität Träger Betreiber des 19. Jahrhunderts ein regelrechter Bauboom von Konzertsälen festhalten – eine Hauptsaal Kammermusik- Konzerthaus saal / weitere Säle erste intensive Etappe, auf die eine lange Pause folgte.

Festspielhaus Baden-Baden 2.500 – priv. Stiftung gGmbH Konzerthaus Berlin* 1.410 390, 250, 80 Land Land 1963 eröffnete mit der Berliner Philharmonie der einflussreichste Konzerthaus- Berliner Philharmonie* 2.400 1.200 Land Stiftung Neubau nach dem Zweiten Weltkrieg – ein Solitär, der mit seiner „Weinberg“-­ , Bremen* 1.390 390 Stadt städt. GmbH Architektur auch andere Konzerthäuser, wie jüngst die Elbphilharmonie in Ham- Konzerthaus Dortmund* 1.550 – Stadt städt. GmbH Dresdner Philharmonie* 1.760 120 Stadt Stadt burg, beeinflusste. Dabei drückt der von Hans Scharoun entworfene Bau in seinem Tonhalle Düsseldorf* 1.850 300, 200-400 Stadt Stadt Gebäudekonzept Ansprüche und Wünsche der damaligen Zeit aus: Klassische Philharmonie Essen* 1.900 350 Stadt städt. GmbH Musik sollte nach dem Krieg wieder in einem repräsentativen Kontext aufgeführt Alte * 2.430 720, 270 Stadt städt. GmbH werden und (West-)Deutschland als Wirtschafts- und Kulturstandort wiederbele- Elbphilharmonie Hamburg / Laeiszhalle* 2.100 / 2.020 550, 170 / 640, 150 Stadt städt. GmbH Kölner Philharmonie* 2.000 – Stadt, WDR priv. GmbH ben. Das Statement war umso markanter, als Berlin (West) in den 1960er Jahren Gewandhaus zu Leipzig* 1.900 500 Stadt städt. Eigenbetrieb gar keine herausragende Stellung als Kulturstadt besaß – Köln dagegen als führen- Musik- und Kongresshalle Lübeck* 2.000 1.020, 210 Stadt, NDR städt. GmbH de Museums-, Kultur- und Theaterstadt schon. Philharmonie im Gasteig, München* 2.400 610, 240, 190 Stadt städt. GmbH Liederhalle, Stuttgart 2.100 1.800, 750, 400, 320 Stadt städt. GmbH Als 1986 hier die Kölner Philharmonie eröffnet wurde, war dies eine Sensation. * Mitglied der Deutschen Konzerthauskonferenz. Quelle: Zusammengestellt vom Deutschen Musikinformationszentrum nach Angaben der Deutschen Konzerthauskonferenz Unterirdisch angelegt, vereinte der Kulturbau den Anspruch, einerseits ein durch- sowie weiterer Konzerthäuser. dachtes künstlerisches Programm anzubieten und andererseits den neuen, dem

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Kölner Philharmonie: Der stützenfreie Innenraum wurde einem Amphitheater Betriebsform, Organisation und Finanzierung nachempfunden und bietet bis zu 2.000 Besucher*innen Platz. Trotz der wegweisenden Rolle, die das Intendanz-Modell der Kölner Philhar- monie einnahm, ergibt sich mit Blick auf die Betriebsmodelle der Konzerthäuser in Deutschland kein einheitliches Bild. Vielmehr schälten sich bereits seit 1850 drei bis heute gültige Betriebsformen heraus:

1. Nach dem Vorbild des Wiener wird eine meist private, gemein- nützige Organisation mit dem Betrieb des Hauses und der Veranstaltung von Konzerten betraut. Beispiele hierfür sind das Festspielhaus Baden-Baden, das von einer gemeinnützigen GmbH betrieben wird, sowie die Kölner Philhar- monie, geführt durch eine private GmbH. 2. Eine weitere Gruppe von Konzerthäusern ist eng mit einem Ensemble ver- bunden. In diesen Fällen wurde ein Haus speziell für ein Orchester errichtet bzw. entstand in derselben Zeit, in der das Orchester gegründet wurde, häu- Zeitgeist ihres Eröffnungsjahrzehnts verpflichteten Ansätzen der Teilhabe für alle fig zu sehen in der Kongruenz der Namen. Beispiele sind das Gewandhaus Menschen, versinnbildlicht in der architektonischen Einheit mit dem benachbar- in Leipzig, die Berliner Philharmonie sowie die Tonhalle Düsseldorf und das ten Museum Ludwig, Rechnung zu tragen. Mit der Entscheidung für ein intendanz- in Amsterdam. Ob nun Haus und Orchester unter einer ge- geführtes Haus und mit einem eigenständigen Programm grenzte sich die Kölner meinsamen Verwaltung stehen (wie in Leipzig und Berlin) oder sich die Wege Philharmonie stark von den Häusern ab, die im Kontext des von Hilmar Hoffmann (wie in Amsterdam) bald trennten: Die Orchester der jeweiligen Häuser sind geprägten kulturpolitischen Schlagworts „Kultur für alle!“ in den 1970er Jahren programmbestimmend geblieben. So werden 80 Prozent der Konzertveran- entstanden waren. staltungen in Leipzig vom Gewandhausorchester bestritten, und die Berliner Philharmoniker sind gewissermaßen „Aushängeschild“ der Philharmonie in Die Forderung, Kultur, in diesem Fall klassische Musik, möglichst vielen Menschen der Bundeshauptstadt. zugänglich zu machen, fand in der Mehrfachnutzung von Kulturgebäuden ihren 3. Schließlich entstanden neue Konzertsäle, die durch die öffentliche Hand er- realpolitischen Ausdruck. So steht der 1985 fertiggestellte Münchner Gasteig mit richtet und durch private Spenden finanziert wurden. Ein Beispiel hierfür ist seinem breit gefächerten Angebot und den unterschiedlichen Nutzungsarten ge- die Laeiszhalle Hamburg, die im Wesentlichen allen Hamburger Orchestern, radezu paradigmatisch für diesen Diskurs. Weitere Beispiele für solche Gebäude Chören, Kammermusikvereinigungen und Veranstaltern zur eigenen Nut- sind die Stuttgarter Liederhalle (eröffnet 1994) oder die Musik- und Kongresshalle zung offensteht. Weitere Beispiele für solche Mietbetriebe sind das Münchner Lübeck (1956 eröffnet, erweitert zum Kultur- und Kongresszentrum 1991). Kulturzentrum Gasteig sowie Die Glocke in Bremen.

Durch ihr auch programmatisch außergewöhnliches Grundkonzept erhielt die Köl- Allerdings gibt es Variationen dieser drei Betriebsformen; nicht alle Konzerthäuser ner Philharmonie weltweit positive Resonanz. Erstmals nach zwei Weltkriegen ließ Deutschlands lassen sich eindeutig einem Modell zuordnen, sondern hauseigene der Bau die im Modell des Wiener Musikvereins verwirklichte Konzerthausidee Unterschiede führen letztlich zu hybriden Formen dieser Typen. wieder aufleben, indem hier ein Programm generiert wurde, das eine „Handschrift“ erkennen ließ. Sie wurde zum Ausgangspunkt für weitere moderne Konzerthäuser. 286 287 Konzerthäuser |

Gewandhaus zu Leipzig (links), Konzerthaus Berlin (rechts). Gegenüberliegende Seite: Kulturpalast Dresden (links), Konzerthaus Dortmund (rechts)

Vom „Kulturtempel“ für eine bür- gerliche Elite im 19. Jahrhundert bis zu transparenten „demokra- tischen“ künstlerischen Formen – die Architektur der Konzerthäuser ist immer auch ein Spiegel gesell- schaftlicher Entwicklungen.

Die unterschiedlichen Betriebsformen (vgl. Abbildung 1) haben erheblichen Ein- Technik arbeiten gemeinsam für das erfolgreiche Gelingen einer Konzertveran- fluss auf die Ausgestaltung des Programms sowie auf die gesamte Organisation. staltung. So steht beispielsweise das Künstlerische Betriebsbüro, das die Dispo- Es ist entscheidend, ob einem Haus eine Geschäftsführung vorsteht, die in der sition und Organisation von Künstlertransport und -aufenthalt koordiniert, in Regel wenig Auswirkung auf die künstlerische Ausrichtung hat, ob ein Orchester ständigem Austausch mit der technischen Abteilung, um die Probenpläne erstellen als oberste Instanz Entscheidungen trifft, die das gesamte Haus betreffen, oder zu können. Die Presseabteilung möchte mit dem Künstler noch ein Interview für ob die künstlerische und betriebswirtschaftliche Leitung von einer Intendanz die hauseigene Publikationsreihe führen und spricht daher ebenfalls mit beiden ausgeübt wird, die wie beispielsweise in der Kölner Philharmonie gleichzeitig als Abteilungen, der Intendant oder die Intendantin begrüßt die Künstler und muss Geschäfts­führung der GmbH fungiert. Der Münchner Gasteig wiederum wird von dafür deren Ankunftszeit kennen. Während die technische Abteilung die Saal- und einer Geschäftsführung betrieben, die auf das aufgeführte musikalische Reper­ Haustechnik überwacht und für den problemlosen technischen Ablauf der Kon- toire wenig Einfluss hat, dagegen aber die wirtschaftlichen Faktoren im Blick zerte Sorge trägt, kümmert sich das Gebäudemanagement um die Koordination ­haben muss, für diese verantwortlich ist und mit Blick auf die Kosten der Konzerte der Foyerkräfte und um all jene Dinge, für die vor und nach dem Konzert gesorgt eng mit der Generalmusikdirektion zusammenarbeitet. sein muss. Dazu gehört auch das Einweisen des Publikums, mit dem wiederum das Ticketing intensiv in Kontakt steht. Binnenorganisation und Personal Der Kontakt zum Publikum wird in Zeiten sozialer Netzwerke und der damit ver- Die enge Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Abteilungen eines Kon- bundenen sekundenschnellen Weitergabe positiver wie negativer Erlebnisse im- zerthauses ist nicht nur für dessen Leitungsebene von immenser Bedeutung. An- mer wichtiger. Gelingende Kommunikation nach innen wie nach außen ist un- gestellte mit unterschiedlichen Berufsbiografien aus Management, Marketing, erlässlich für ein zeitgemäß geführtes Konzerthaus, das erfolgreich wirtschaften kaufmännischer oder betriebswirtschaftlicher Ausbildung sowie Verwaltung und möchte, unabhängig von den internen Abteilungs- und Betriebsstrukturen.

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Abb.Abb. 2 || EEigen-igen- und und F Fremdveranstaltungenremdveranstaltungen der der Konzerthäuser Konzerthäuser 2016/17 2016/17 working sowie die Einnahme von Sponsorengeldern, die Kooperation mit lokalen oder regionalen Unternehmen und die Akquise im direkten Gespräch gehören zum Liederhalle, Stuttgart unerlässlichen Handwerk der Fundraising-Abteilungen eines Konzerthauses. So Philharmonie im Gasteig, München* 1 erhält das Festspielhaus Baden-Baden keine von einem öffentlichen Träger geleis- Musik- und Kongresshalle Lübeck* teten Gelder; das Gebäude gehört zwar der Stadt und dem Land, allerdings hat eine Die Glocke, Bremen* private Stiftung eine Betriebsgesellschaft gegründet, die das Festspielhaus durch Berliner Philharmonie*

Elbphilharmonie Hamburg / Laeiszhalle* Kartenverkauf und Spenden finanziert. Die Glocke in Bremen wiederum verdient

Alte Oper Frankfurt* einen erheblichen Anteil des Etats mit der Fremdvermietung der Räumlichkeiten. Konzerthaus Dortmund* Dabei werden die rund 300 Veranstaltungen, die das Bremer Konzerthaus pro Jahr Konzerthaus Berlin* anbietet, vom Betreiber und Vermieter, der Glocke Veranstaltungs-GmbH, koor- Tonhalle Düsseldorf* diniert. Am Leipziger Gewandhaus wiederum werden die städtischen Zuschüsse Gewandhaus zu Leipzig*

Kölner Philharmonie* ergänzt durch einen Freundeskreis und den Sponsors Club, der durch seine Mitglie- 2 % 0 20 40 60 80 100 der zusätzliche Einnahmen erwirtschaftet. Eigenveranstaltungen Fremdveranstaltungen

Hinweis: Die vorliegende Darstellung beruht auf einer Mitgliederumfrage der Deutschen Konzerthauskonferenz zur Saison Programm 2016/17 sowie auf Angaben weiterer Konzerthäuser. Berücksichtigt werden ausschließlich Musik- und Konzertveranstaltun- gen, jedoch keine Education-Projekte, Kongresse und Tagungen, Messen, Tanz- und Theaterveranstaltungen etc. Aufgrund fehlender oder unvollständiger Daten können die Philharmonie Essen, das Festspielhaus Baden-Baden sowie die erst 2017 Unabhängig von der Art und Struktur des Hauses, nimmt das Programm einen wieder eröffnete Dresdner Philharmonie nicht ausgewiesen werden. * Mitglied der Deutschen Konzerthauskonferenz. zentralen Stellenwert ein. Dabei unterscheidet sich die Ausgestaltung der Veranstal- 1 Eigenveranstaltungen einschl. Ausstellungen. tungen ebenso, wie sich die jeweiligen Häuser in ihrem „Stil-Mix“ der Musikspar- Quelle: Zusammengestellt vom Deutschen Musikinformationszentrum nach Angaben der Deutschen Konzerthauskonferenz sowie weiterer Konzerthäuser. ten voneinander abgrenzen. Entscheidender Einflussfaktor für das Programm ist der Anteil der Gastspielveranstaltungen, je nach Haus zwischen 40 und mehr als 80 Prozent, wobei auch die Internationalisierung der Musik eine große Rolle spielt. Finanzierung Orchester und Solist*innen sind in der Regel Jahre im Voraus ausgebucht und wis- sen, wo sie in drei oder sogar fünf Jahren auf der Bühne stehen werden, mit wel- Unterschiede lassen sich auch bei der Finanzierung der einzelnen Häuser fest- chem Programm und unter wessen Dirigat. Das macht die Programmgestaltung zu stellen. Während einige Häuser durch städtische Träger finanziell gestützt wer- einem Balanceakt zwischen thematischer Schwerpunktsetzung und Verfügbar- den, sind andere besonders auf Förderer verschiedener Art sowie ein intensives keit. In enger Abstimmung mit Agenturen und Künstlerischen Betriebsbüros erar- Sponsoring und Marketing angewiesen. Doch auch die (z. T.) öffentlich finanzier- beitet die Intendanz das Saisonprogramm, wobei nicht nur unter den Veranstaltern ten Häuser beschäftigt die Aufgabe, sich nicht nur auf die öffentlichen Mittel als auf nationaler Ebene Konkurrenz entsteht, sondern auch unter verschiedensten einzige Förderung zu verlassen, sondern einen Teil der Kosten für Konzerte selbst Häusern weltweit. Dabei werden der Einfluss und die besondere Bedeutung eines zu erwirtschaften. Intendanzbetriebs auch in diesem Kontext offenbar: Denn die Bündelung aller Ver- anstaltungen, ob nun von einem Fremdveranstalter konzipiert oder Ideenkind der Mögliche nicht öffentliche Finanzierungsmodelle sind Fundraising und Sponso- eigenen Programmgestaltung, muss in das Gesamtkonzept eines Hauses passen ring – das Anliegen also, mit potenziellen Förderern ins Gespräch zu kommen und und auch als solches kommuniziert werden. Das Publikum sollte die Handschrift eine für beide Seiten fruchtbare Geschäftsbeziehung aufzubauen. Engagiertes Net- eines Hauses erkennen und als eigenständig wahrnehmen können.

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Das Angebotsspektrum der Konzerthäuser reicht von Alter Musik über das klas- ponist*innen über einen Zeitraum von drei oder vier Tagen vorstellt, sowie das sische und romantische Repertoire bis hin zu zeitgenössischen und weniger be- Kammermusikformat „Junge Wilde“, das Nachwuchstalente auf ihrem Weg zum kannten Werken. Dabei werden sowohl sinfonische Stücke neben jene der Kam- Klassikstar begleitet. Rein programmatische Schwerpunkte loten in jüngerer Zeit mermusik gestellt wie auch Soloabende mit verschiedenen Instrumenten bzw. ebenfalls immer wieder die Grenzen des etablierten Konzerthausprogramms aus Stimmfächern veranstaltet. Hinzu kommen ergänzende Veranstaltungen aus den und schaffen so neue, ansprechende Formate. Hierzu zählen konzertante Opern­ Bereichen Kabarett, Show und Event. Insgesamt überwiegt in den meisten Häu- darbietungen, Uraufführungen eigens in Auftrag gegebener Werke, Residenzen sern der Anteil klassischer Konzerte. berühmter Interpret*innen und Porträtkonzerte. Die Bindung besonderer Künst- ler*innen schließlich kann einem Konzerthaus darüber hinaus auch einen Wie- Neben dem Gastspielbetrieb, den alle Konzerthäuser in unterschiedlicher Ausprä- dererkennungswert verleihen. Mit Einstands- oder Abschiedskonzerten wird dieser gung und unterschiedlichem Anteil gemeinsam haben, ist der ganzjährige Spiel- Gedanke eines „Ensembles“, einer relativ fest installierten Gruppe von Künstlern, betrieb ein weiterer wesentlicher Aspekt, der ein Konzerthaus ausmacht. Über verfestigt. So soll dem Publikum die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst als das gesamte Jahr hinweg werden Veranstaltungen angeboten, sodass die Vor- „Kenner“ des Hauses zu verstehen, sich mit dem Haus zu identifizieren und den bereitung der Konzerttermine einer Saison niemals abgeschlossen ist. In diesem Künstler idealerweise als Wahrzeichen einer Stadt oder einer Region zu erleben. Zusammenhang ist auch ein Trend zur Qualitätssteigerung und Profilbildung der einzelnen Häuser zu erwähnen. Selbst kleinere Häuser bemühen sich darum, Welt- In diesem Kontext sind auch die Außenpräsentation und die Vermarktung der ver- klasseinterpret*innen einzuladen und damit ihr künstlerisches Profil national und schiedenen Konzertangebote von Bedeutung, darunter die zielgruppengerechte international zu schärfen. Ein hohes künstlerisches Niveau der auftretenden Mu- und zeitgemäße Ansprache des Publikums. Dies betrifft nicht nur die sozialen Me- siker*innen und die damit einhergehende hohe Qualität der dargebotenen Werke dien, sondern auch tradierte Formen wie Programmhefte und Anzeigen in (über-) sind nicht länger Merkmale nur der großen Traditionshäuser. Vor allem während regionalen Publikationen, Mailings zu Programmschwerpunkten, Künstlerresi- der letzten 25 Jahre hat sich zudem eine immer größere Spezialisierung auf eigene denzen sowie die Kundennähe und -pflege, die beispielsweise durch überlegtes Programmfelder wie zeitgenössische oder Alte Musik bzw. historisch informierte und nachhaltiges Datenmanagement umgesetzt werden kann. Onlineangebote Aufführungspraxis entwickelt. Dabei orientieren sich die Konzerthäuser nicht zu- letzt an Festivals, die gewöhnlich außerhalb von Konzertinstitutionen stattfinden und in einem zeitlich (enger) definierten Rahmen einen regen Publikumszustrom genießen. In jüngerer Zeit geht daher der Trend zu Festivals an den Häusern selbst.

Auch Wahlabonnements, die Interessierten die Möglichkeit geben, aus dem Saison- programm des jeweiligen Hauses ihre persönliche Auswahl zu treffen, sind zum Erfolgskonzept geworden. Hiermit ergibt sich für die Konzerthäuser die Möglich- keit, Trends im Publikumsgeschmack abzulesen: Welche Konzerte werden häu- fig in die Abonnements gewählt? Welche Programmkonzepte gehen auf, welche werden weniger wahrgenommen? Die Erkenntnisse können anschließend in die Programmgestaltung eingebunden werden. Viele Konzerthäuser konzipieren auch neue Veranstaltungsreihen, um ihr Programm von dem anderer Häuser

unterscheidbar und damit einzigartig zu machen. Beispiele hierfür sind etwa am Potsdamer Nikolaisaal: Potsdamer Crossover Konzert (links), Konzerthaus Dortmund das Format „Zeitinseln“, das Künstler*innen oder Kom- Klavierabend im Großen Saal (rechts) 292 293 Konzerthäuser |

AAbb.bb. 3 || BesuchszahlenBesuche in Konzerthäusern der Konzerthäuser 2016/17 2016/17 Ballettaufführung).3 Altersstruktur, Bildung und Milieuzugehörigkeit der Men- schen, die in (klassische) Konzerte gehen, werden regelmäßig untersucht. Die er- Konzerthaus Besuche insgesamt hobenen Daten können Aufschluss über Publikumsentwicklung und Erwartungen Festspielhaus Baden-Baden k. A. eines Kulturbesuchs, wie z. B. eines klassischen Konzerts, geben – trotzdem bleibt Konzerthaus Berlin* 326.000 Berliner Philharmonie* 384.000 es eine komplexe und aufwändige Arbeit, das Publikum zu erreichen und für ein Die Glocke, Bremen* 201.000 Haus und dessen Programm zu interessieren. Statistisch gesehen häufen sich mit Konzerthaus Dortmund* 166.000 zunehmendem Alter die Besuche klassischer Konzerte. Individuell hängt dies auch Dresdner Philharmonie* k. A. 1 davon ab, in welchem Ausmaß in der früheren familiären Sozialisation Kontakte Tonhalle Düsseldorf* 258.000 Philharmonie Essen* 109.000 2 mit klassischer Musik stattgefunden haben. Nachrückende Generationen kommen Alte Oper Frankfurt* 478.000 also nicht mit zunehmendem Alter ganz automatisch in die Konzerthäuser. Eine Elbphilharmonie Hamburg / Laeiszhalle* 391.000 altersgemäße Ansprache des Publikums müssen die Konzerthäuser demnach für Kölner Philharmonie* 570.000 ältere Konzertbesucher ebenso finden wie für die Elterngeneration der 30- bis Gewandhaus zu Leipzig* 266.000 Musik- und Kongresshalle Lübeck* 139.000 49-Jährigen und die der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Philharmonie im Gasteig, München* 700.000 3 Liederhalle, Stuttgart 440.000 4 Bei der Frage nach dem Zielgruppenpublikum ist zugleich das Einzugsgebiet der Hinweis: Die vorliegenden Daten beruhen auf einer Mitgliederumfrage der Deutschen Konzerthauskonferenz zur Saison verschiedenen Konzerthäuser von Bedeutung: In Regionen mit hoher Dichte von 2016/17 sowie auf Angaben weiterer Konzerthäuser. Berücksichtigt werden Musik- und Konzertveranstaltungen sowie Education-Projekte, jedoch keine Kongresse und Tagungen, Messen, Tanz- und Theaterveranstaltungen etc. Konzerthäusern wie Nordrhein-Westfalen besteht aufgrund einer möglicherweise * Mitglied der Deutschen Konzerthauskonferenz. 1 Die Dresdner Philharmonie wurde 2017 wiedereröffnet; Angaben zu Besuchen in der Saison 16/17 liegen daher nicht vor. größeren Konkurrenz der Häuser untereinander die Notwendigkeit, das Publikum 2 Ohne Besuche von Fremdveranstaltungen. 3 Berücksichtigt werden Besuche der Philharmonie, des Carl-Orff-Saals, der Black-Box und des Kleinen Konzertsaals. auch in Bezug auf die Reichweite der Informationen zu kennen und anzusprechen. 4 Die Besuchszahlen beziehen sich auf Musik- und Konzertveranstaltungen des Kalenderjahrs 2017. So muss die Tonhalle Düsseldorf, die sich in direkter Nachbarschaft zu Essen, Dort- Quelle: Zusammengestellt vom Deutschen Musikinformationszentrum nach Angaben der Deutschen Konzerthauskonferenz sowie weiterer Konzerthäuser. mund und Köln befindet, eine andere Form der Ansprache und Publikumsbindung finden als beispielsweise die Alte Oper in Frankfurt, die in ihrer Region mit we- niger Wettbewerb umgehen muss. Die Elbphilharmonie Hamburg wiederum hat wie die der Berliner Philharmoniker oder das Online-Fernse- ebenso wie die Berliner Philharmonie mit ihrem großen Anteil an Kulturtouristen, hen Kölner Philharmonie.tv können die Marketing-Bemühungen eines Hauses die die Metropolen besuchen, eine größere Reichweite. Sie entscheidet sich damit sinnvoll ergänzen. vielleicht für eine offener gehaltene Kommunikation.

Publikum Für die Gewinnung neuer Konzertpublika muss nicht nur wegen der altersmäßig unterschiedlichen Zielgruppen differenziert kommuniziert werden. Ebenso chan- Die Musik ändert sich nicht, aber das Publikum, das sie hört. Diese Kernaus- gieren Milieu, Bildung oder Vorlieben innerhalb der Altersgruppen und machen sage beinhaltet die Schwierigkeit, das heutige Publikum anzusprechen, denn ein eine Vielzahl von Angeboten notwendig. Um Menschen für sich zu gewinnen und großer Teil der Bevölkerung gehört zu den „Nichthörern“. Daten aus verschiedenen in die Häuser zu bekommen, sind in den letzten Jahren Angebote der Musikver- Umfragen legen nahe, dass der Anteil der Konzertbesucher*innen an der Gesamt- mittlung bzw. Education immer wichtiger geworden. Nahezu jedes Konzerthaus bevölkerung bei rund 28 Prozent liegt. Rund 44 Prozent der Bürger*innen besuchen und Orchester ist darum bemüht, einen Zugang zu den Werken klassischer Musik im Lauf eines Jahres ein- oder mehrmals eine Veranstaltung mit (primär) klassi- zu ermöglichen. Dazu werden neue Wege der Begegnung gesucht und verschiede- scher Musik (Oper, klassisches Konzert, Orgel- oder Chorkonzert, Musical, Tanz/ ne, alternative Konzertformate erprobt.4 294 295 Konzerthäuser |

Blaibach im Bayerischen Wald: Seit 2014 belebt ein preisgekröntes Konzerthaus die Ortsmitte der kleinen Gemeinde.

In diesem Zusammenhang ist die Sensibilisierung für die Bedürfnisse der Kon- zertbesucher*innen eine dauerhafte Aufgabe für alle Musikinstitutionen. In den vergangenen Jahren wurden auf der ganzen Welt neue, teils spektakuläre Bauten eröffnet, die die Außenwirkung eines Konzerthauses stark gewichten, darunter die Ausblick Konzerthäuser in Kopenhagen und Helsinki, die Philharmonien in Paris, Krakau und Budapest oder die Philharmonie Luxembourg. Auch in Deutschland sind in Konzerthäuser sind relevante Akteure in musikpolitischen und kulturell-­ den letzten zwei Dekaden innovative Neubauten entstanden, die mit einer außer- wirtschaftlichen Zusammenhängen. Ihre Expertise ist gerade in der pluralisti- gewöhnlichen Architektur zum Profil ihrer Städte beitragen und helfen, klassische schen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts mit ihren vielen gleichwertig nebenein- Musik im Leben der Menschen präsent zu halten; zuletzt die Elbphilharmonie in ander bestehenden Normen und Werten ein wertvolles Gut. Beispielsweise ist es Hamburg, das Annliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum, der Pierre Boulez Saal gegenwärtig besonders wichtig geworden, gesellschaftliche und kulturelle Inter- in Berlin, der Kulturpalast in Dresden. Langfristig bedarf es jedoch nicht nur der kulturalität nicht nur zu registrieren, sondern aktiv mitzugestalten und Menschen äußerlichen Wahrnehmung, sondern auch durchdachter Strategien der Musik- wie Musik aus anderen Kulturkreisen mit Neugier und Respekt zu begegnen. In vermittlung sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene. Welche dieser Zeit, die uns immer wieder vor neue Herausforderungen stellt, ist die Be- Chancen gerade ein neues Konzerthaus hierfür bietet, hat Hamburgs Elbphilhar- ständigkeit der Konzerthäuser hilfreich: Als Kulturinstitutionen verfügen sie über monie mehr als deutlich gezeigt: Drohte die Stadt noch vor zehn Jahren den An- eine mehr als 150-jährige Erfahrung, mit komplexen Sachverhalten umzugehen schluss an das internationale Musikleben zu verlieren, hat das geniale Gebäude und gesellschaftliche Gegebenheiten, die sich in ständigem Wandel befinden, zu mit seiner städtebaulichen wie künstlerischen Vision für einen neuen Aufbruch verhandeln. gesorgt und wirkt dabei nicht nur kulturell stimulierend, sondern auch im Hin- blick auf die gezielte Entwicklung eines einst wenig attraktiven und nur unzurei- chend an den Nahverkehr angebundenen Quartiers. Eine ähnliche Konstellation 296 297 Konzerthäuser |

zeigt sich mit dem Anneliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum, dessen Bau und tert so letztlich die Möglichkeiten, klassische Musik zu erfahren. Es ist eine Gleich- Eröffnung seit 2016 für eine neue Anziehungskraft des gesamten Stadtviertels zeitigkeit, die nicht als „notwendiges Übel“ des 21. Jahrhunderts zu bewerten ist, gesorgt haben – und zwar, indem die neugotische Marienkirche in den Bau inte- sondern als Win-win-Situation für beide Seiten. griert wurde, unter Berücksichtigung der Bochumer Stadtgeschichte und damit einem Stück lokaler Identität. Typisch für die Ausrichtung der neuen Spielstätten In der nicht wiederholbaren und einzigartigen Erfahrung eines Konzertbesuchs ist zudem ein Anliegen, das die Planer für das Bochumer Haus so formulierten: liegt die Stärke der Konzerthäuser, und ihre Relevanz ist ungebrochen. Die Verän- den Menschen „ein musikalisches Zuhause“ zu geben, „ungeachtet ihrer sozialen derungen, denen der Konzertbetrieb unterworfen sein wird, lassen sich zwar nicht Herkunft, ihrer formalen Bildungsabschlüsse, offen für alle Musikrichtungen mit voraussagen; mit der Singularität seines Angebots kann sich das Konzerthaus als einem breiten Spektrum von der kulturellen Basisarbeit bis hin zur künstlerischen wandlungsfähige Kulturform jedoch auch weiterhin behaupten. Spitzenleistung.“ 5 Ziel ist es, Musik für alle anzubieten und so als Konzertstätte auch ein sozialer Ort zu werden, dessen Besucher*innen hier langfristig eine klin- gende Heimat finden. Benedikt Stampa war von 2005 bis 2018 Intendant und Geschäfts- führer des Konzerthauses Dortmund. Mit der Spielzeit 2019/20 Im Kontext einer zeitgemäßen Ansprache verschiedener Publika sind schließlich wird er Intendant des Festspielhauses Baden-Baden. Er ist auch die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nennen, die für die klassische Musik­ Vorsitzender der Deutschen Konzerthauskonferenz. und den Stellenwert der Konzerthäuser große Chancen bergen. Ansprechende Webinhalte, die klassische Musik ständig verfügbar und allgemein zugänglich machen, und Konzerthäuser, die mit ihrer ausgezeichneten Akustik Liveerlebnisse ermöglichen, die in der digitalen Welt nicht erfahrbar sind, lassen sich aussichts- reich vereinbaren. Die Palette der Onlineangebote für klassische Musik reicht weit über die zufällig gefundene Tschaikowski-Sinfonie bei Streaming-Diensten hinaus – zahlreiche Blogs und Plattformen, die speziell für klassische Musik entwickelt werden, beleben den Markt, und die vielfältigen Angebote machen einen regen Austausch von Wissen, Meinungen und Konzerthäuser und Aufführungs- Inhalten möglich. Onlineangebote geben stätten für klassische Musik ver- den Konzerthäusern daher viele Möglich- zeichnet das MIZ u. a. mit Saalkapa- keiten zu mehr öffentlicher Aufmerksam- zitäten und Leitungsfunktionen. keit und internationaler Sichtbarkeit, die zunehmend gezielt genutzt werden. Das Privileg der Konzerthäuser bleibt bei aller medialen Reproduktion dennoch erhal- 1 Vgl. dazu auch Julia Regine Rusch: Konzerthäuser in Deutschland nach 1945. ten: Sie ermöglichen es, sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort Vergleichende Untersuchung zu Planung, Architektur, Akustik und Nutzung zusammen mit anderen Menschen ganz auf ein musikalisches Werk zu konzen- von Aufführungsstätten konzertanter Musik, Köln 2016, S. 16 f. trieren. Nur hier wird Musik in hochwertiger Besetzung, bester Akustik und auf 2 Vgl. https://www.gewandhausorchester.de/haus/partner/ (Zugriff: 30. Mai 2018). einem hohen künstlerischen Niveau als unmittelbares Liveerlebnis angeboten. Die 3 Vgl. dazu den Beitrag „Musikpräferenzen“ im vorliegenden Band. Kopplung von Livestream und Liveerlebnis, von ständig verfügbarem Online­ 4 Vgl. dazu auch den Beitrag „Musikvermittlung“ im vorliegenden Band. angebot und terminlich festgelegter Musikveranstaltung im Konzerthaus, erwei­ 5 Vgl. Benedikt Stampa: Musik für alle?, in: Musikforum 3/2017, S. 14 – 18, hier S. 16. 298 299 Bildnachweis

Wir danken allen Personen und Institutionen sehr herzlich für die Bereitstellung umfangreichen Bildmaterials. Ohne diese Unterstützung wäre der vielseitige Einblick in das „Musikleben in Deutschland“ nicht möglich gewesen.

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