Beriker Chleeblätter 2018

Kulturverein Gruppe Dorfkultur 1

Grüss Gott, liebe Berikerinnen und Beriker

Ist sie nicht wunderschön, diese fein ge- Dass in Berikon auch Traktoren gebaut wur- stickte Trachtenhaube im Titelbild? Sie ge- den, lesen wir unter der Überschrift «Gewer- hört zur Freiämter Festtagstracht, die früher be im Dorf: Schmied Meier». Der Pionier im ganzen Freiamt verbreitet und sehr be- im Pneuwagenbau stellte 1930 den ersten liebt war. Und es gibt sie heute noch – auch Traktor her, der schliesslich bis 1950 als in Berikon! Darüber berichtet unser Artikel «Beriko-Traktor» verkauft wurde. «Freiämter Trachten». «Erinnerungen an eine Legende: de ­Gehrig Über früheres Brauchtum wird auch erzählt Sepp» ist eine dankbare Würdigung für in «Die gute Stube in unseren Bauernhäu- ­einen verstorbenen Mitbürger. Und in sern» und über kirchliche Bräuche im Bei- «Anno dazumal» berichten wir über ein trag zum Palmsonntag. Etwas aus unserer Dorffest von 1918. Zeit zeigt schliesslich der Beitrag «Advents- In den Chleeblätter 2018 sind die folgen- fenster in der Chörenmatt». den Beiträge abgedruckt: Wie gewohnt steht am Anfang unserer – Jahresrückblick 2018 ­Chleeblätter wieder ein Jahresrückblick. – Die Geschichte der ärztlichen Versor- Wichtige Ereignisse im Jahre 2018 sind gung auf dem Mutschellen hier in Wort und Bild festgehalten. Weiter – 40 Jahre Gewerbeverein Mutschellen zurück geht der Blick in «Die Geschichte – Freiämter Trachten der ärztlichen Versorgung auf dem Mut- – Die gute Stube in unsern Bauernhäusern schellen». Vom ersten «Dokter» auf dem – Der Rummelbach Mutschellen im Jahre 1954 wird berichtet – Erinnerungen an eine Legende: de Gehrig und von der raschen Entwicklung – bis hin Sepp zum Doktorzentrum Mutschellen. – Kirchliches Brauchtum: Palmsonntag Vom Handwerk und Gewerbe einst und – Gewerbe im Dorf: Schmied Meier jetzt handelt der Beitrag «40 Jahre Gewer- – Adventsfenster in der Chörenmatt beverein Mutschellen 1978–2018». Und – Anno dazumal … davon, wie dieser Verein schliesslich seit Auch für die Chleeblätter 2018 wünschen 1981 die «mega», die beliebte und gut be- wir Ihnen viel Vergnügen beim Lesen! suchte Gewerbeausstellung Mutschellen, in der Kreisschule Berikon organisiert hat. Berikon, im März 2019 «Der Rummelbach» erzählt Geschichten Christian Bühler, Edith Karpf, Leen Keesmaat, rund um den Dorfbach und wie dieser Max Welti, Nick Wettstein einst sogar für Trinkwasser, aber auch für die Waschhäuschen und zur gewerblichen Nutzung diente. Und wie er dann wegen Wir danken der Einwohner- und Ortsbürgergemeinde Überschwemmungen bei starkem Regen Berikon für die finanzielle Unterstützung. Besten Dank an alle, die in irgendeiner Weise zur Entstehung dieser saniert werden musste. «Beriker Chleeblätter» beigetragen haben.

3 Jahresrückblick Berikon 2018

Januar Die Einwohnerzahl unserer Gemeinde ist im letzten Jahr von 4675 auf 4730 gestiegen. Das Sturmtief «Burglind» hinterlässt im Frei- amt eine Spur der Zerstörung. Im Beriker Wald gibt es aber nur leichte Schäden. Beim Gemeindehaus und beim Restaurant Stalden werden zwei Stromtankstellen in- stalliert. Maximal zwei Fahrzeugen können pro Zapfsäule aufgeladen worden. Unerwartet stehen Patientinnen und Pati- Schlüsselübergabe an der Fasnacht. enten des Ärztezentrums Mutschellen eines areal dabei und wirkte in zwei Schulhaus- Morgens vor verschlossener Tür. Über die Baukommissionen mit. Schliessung wurden sie nicht informiert. Die Hübelhäxe übernehmen die (Fas- Der Betrieb wurde ungeachtet der Kün- nachts-)Macht im Dorf. Darth Vader ­alias digung des Mietvertrags auf Ende 2017 Ammann Stefan Bossard übergibt die wegen Mietschulden weitergeführt. Der Schlüsselgewalt an Ehrenhexenmeister An- Mieter Dr. Malm kommt wegen angeb- dré II. Dies verbunden mit vielen Aufgaben, lichem Betrug und Urkundenfälschung in die der Ehrenhexenmeister in seiner kurzen Untersuchungshaft. Regentschaft zu lösen hat. Das Doktorzentrum am Corneliaweg erhält Februar ein zusätzliches Stockwerk. Im neuen zwei- Nach 29 Jahren geht Kurt Döring, Leiter ten Obergeschoss sind acht Sprechzimmer technischer Dienst der Kreisschule Mut- und ein Empfangsbereich geplant. Einzie- schellen, in Pension. Er war bei fünf Ge- hen werden zwei Hautärzte, eine Augenärz- werbeausstellungen auf dem Kreisschul- tin und weitere Spezialärzte.

März Seit einem Jahr gibt es die Ludothek Mut- schellen in . Weil das alte Postge- bäude, in dem sie untergebracht ist, einer Überbauung weichen muss, zieht die Ludo­ thek um. Jetzt wird sie in Berikon an der Schulstrasse 10 geführt, im ersten Stock des ehemaligen Unterberiker Schulhauses. Die Beriker Skifahrerin Giola Zeindler er- Kurt Döring geht in Pension. reicht beim Grand Prix Migros in Airo-

4 Skifahrerin Giola Zeindler. Knaben U10 mit einer Silbermedaille. lo in der Kategorie Jahrgang 2002 den köpfe, Sonne, Mond und Blumenzweig am dritten Platz. Neben der Bronzemedaille Kreuzbalken in neuem Glanz. gibt es eine Einladung an den grossen Jah- Die LA Mutschellen (Leichtathletik Mut- resfinal. schellen) ist mit drei Teams am Schweizer Fi- Die Fachhochschule Nordwestschweiz nal des Kids Cup vertreten. Die Knaben U10 nimmt die Primarschule Berikon unter die kommen mit einer Silbermedaille heim. Die Lupe. Bei dieser Evaluation schneidet die Mädchen U10 und U12 erkämpfen sich den Schule in allen Bereichen erneut sehr gut ab. fünften resp. vierten Platz. Die Erfolgsrechnung 2017 der Gemeinde Die Kreisschule wird auf ihre Funktions- schliesst mit einem Ertragsüberschuss von tüchtigkeit und auf die Wirksamkeit ihres 816’000 Franken ab. Budgetiert war ein Qualitätsmanagements überprüft. In fünf Minus von 200’000 Franken. Höhere Steu- der sechs Bereiche schneidet die Schule ereinnahmen und tiefere Ausgaben tragen positiv ab. Mangelhaft ist nur der Umgang zu diesem erfreulichen Ergebnis bei. mit Rückmeldungen von Schülern(innen) Der Natur- und Vogelschutzverein gestal- und deren Eltern. tet das Spycherareal im Feld um. Neben Wegen eines verdächtigen Gegenstandes einer artenreichen Ruderalfläche wird eine muss die Kantonspolizei am Abend Trockenmauer als Sitzgelegenheit im Wei- des 9. April die Gegend rund um den Beri- denhaus erstellt. Für die Umgestaltung er- märt und den Bahnhofplatz für drei Stun- hält der Verein von Birdlife Aargau eine Auszeichnung.

April Innerhalb von zwei Wochen wird die ge- plante Photovoltaikanlage auf dem Dach der Sporthalle Burkertsmatt installiert und in Betrieb genommen. Beim Kreisel Mattenhof steht das Pestkreuz mit der Jahreszahl 1628. Es ist das älteste Kulturdenkmal in Berikon. Auf Antrag und zulasten der Ortsbürgergemeinde wird das Kreuz restauriert. Nun erstrahlen die Engels- Das Pestkreuz beim Kreisel Mattenhof.

5 «Bombenalarm» um den Berimärt. Peter Wild: historische Alltagsgegenstände. den weiträumig sperren. Die Rede ist von Juni einem «Bombenalarm», doch der Inhalt Funkstille auf der Gemeinde. Am 4. Juni fällt einer verdächtigen Tasche erweist sich als im Gemeindehaus die gesamte IT aus. Die harmlos. telefonische Erreichbarkeit kann im Verlauf des Morgens wieder hergestellt werden. Mai Doch die elektronische Datenverarbeitung Im Einzugsgebiet der Spitex Mutschellen ist während des ganzen Tages ausser Be- leben 18’000 Menschen. Die Spitex-Mitar- trieb. beiterinnen haben (2017) für ihre Klienten Anthony Paine fotografiert und kartogra- pro Tag durchschnittlich 70 Pflege- und phiert über 250 Brunnen in der Region, Unterstützungseinsätze erbracht. Dank kos­ darunter auch die öffentlichen Brunnen der tenbewusstem Wirtschaften kann die Spi- Gemeinde Berikon. Das Ziel des Brunnen- tex, trotz grossem Aufwand, rund 155’000 Projekts ist, dass diese Brunnen wieder mehr Franken an die angeschlossenen Gemein- Beachtung finden und Wertschätzung er- den rückvergüten. halten. Die reformierte Kirche Mutschellen wur- Vor 42 Jahren hat die «Gmeind» dem de vor 50 Jahren erbaut. Mit einem Fest- Natur- und Vogelschutzverein für einen gottesdienst, einer Ausstellung über die Zeitraum von 50 Jahren ein unentgelt- Baugeschichte und vielen Attraktionen für liches Baurecht für den Holzspycher ein- Familien wird das Jubiläum gefeiert. geräumt. Dieses Baurecht wurde damals aber Die Arealüberbauung hinter dem Berimärt nicht beurkundet. An der Sommergemein- mit dem Doktorzentrum, der Seniorenre- de wird dem Dienstbarkeitsvertrag auf sidenz Belano und der Bahnhofgarage ist Begründung eines unselbständigen Bau- abgeschlossen. Mit einem dreitägigen Fest rechtes für den Holzspycher erneut zuge- wird die Fertigstellung des Neubaus der stimmt. Hügli Bahnhofgarage AG gefeiert. In Berikon gibt es kein öffentliches Mu- Der Verein Kinderbetreuung Mutschellen seum, aber mehrere Privatsammlungen. hat letztes Jahr für die Kindermittagstische Die Gruppe Dorfkultur des Kulturvereins in den Mutschellen-Gemeinden 25’669 organisiert einen Museumstag. Dabei wird Mittagessen gekocht. Im Vergleich zum Einblick in die Sammlungen von Markus Vorjahr ist das eine Zunahme um fast 15%, Hüsser, Kantonspolizei, Urs Hoppler, Jagd, in Berikon sogar um 25%. Kurt Berger, technisches Handwerk, und

6 von Peter und Asella Wild, historische All- Jahrzehntelang hatten sie Vortritt, wenn sie tagsgegenstände, gewährt. von der Chörenmattstrasse nach links zum Coop abgebogen sind. Damit ist Schluss. Juli Die Gemeinde versetzt die Tempo-30-Tafel Die definitive Abrechnung des Dorffestes an den Berimärtkreisel, so dass nun auf der 2017 liegt vor. Volle Beizli und Plätze am ganzen Chörenmattstrasse der Rechtsvor- Freitag und Sonntag, Regen ohne Unterlass tritt gilt. am Samstag. Das schlägt sich auch in der Die Arbeiten an der Zopfstrasse sind wohl Abrechnung nieder: die Defizitgarantie der erst Ende August fertig. Dies, weil es einen Gemeinde muss in Anspruch genommen mehrwöchigen Marschhalt gegeben hat. werden, um das Minus in der Kasse zu Nun entscheidet der Gemeinderat, dass der decken. Belag auf einem Abschnitt komplett erneu- Ein Polizist in Zivil führt in Oberwil-Lieli und ert wird. Dabei wird der bewilligte Kredit auf der Sädelstrasse in Berikon Verkehrskon- vermutlich überschritten. trollen durch. Dazu ist er nicht berechtigt, weil er in einem Polizeikorps eines anderen August Kantons tätig ist. Zum dritten Mal wird die Bundesfeier mit Liegenschaften der Einwohner- und der einem Brunch im Berikerhus durchgeführt. Ortsbürgergemeinde mittels einer zentra- Der Redner Roland Speck, kürzlich in Beri- len Holzschnitzelheizung mit Wärme be- kon eingebürgert, erinnert die Schweize- liefern, das will die Ortsbürgergemeinde. rinnen und Schweizer daran, wie gut sie Die Pläne zerschlagen sich, weil zu wenig es haben und auf was sie in ihrem Land private Liegenschaftsbesitzer interessiert stolz sein können. «Es sind im Alltag viele sind. Die Kosten sind zu hoch. kleine Dingen, die einen Neuzuzüger über- Im Naherholungsgebiet Gunzenbühl in Be- raschen.» rikon hat die Spielgruppe Chline Raab vor Zu Beginn des neuen Schuljahres besu- Jahren ein Waldsofa mit Feuerstelle ange- chen 428 Kinder die Primarschule oder legt. Dieses nutzt auch die Kinderkrippe Ar- den Kindergarten in Berikon. Die Primar- che Noah einmal in der Woche. Nun haben schule wächst wiederum um eine Klasse. Vandalen das Waldsofa mutwillig zerstört Die Schulhäuser sind randvoll. Es gibt kein und die Feuerstelle beschädigt. Fachzimmer mehr. Autofahrer müssen sich umgewöhnen. Blumenwiesen, Hecken, Wildstauden und der «Offene Bio-Garten»: Das Areal der Fir- ma Hegi Garten ist ein wertvoller Lebens- raum für Tiere und Pflanzen. Grund für die Stiftung «Natur und Wirtschaft» die Gestal- tung des Firmenareals mit einer Auszeich- nung zu beehren. Der Bio-Garten steht allen offen. Jeder kann sich hier bedienen oder einen Arbeitseinsatz leisten. Nach 35 Jahren löst sich die Hübelfäzzer Gugge auf. Zum Abschied gibt es noch ein Waldsofa der Spielgruppe im Gunzenbühl. letztes Mal den Anlass «Röstigraben».

7 September Die Tagesstrukturen werden durch die Pri- marschule und den Kindermittagstisch des Vereins Kinderbetreuung Mutschellen or- ganisiert und angeboten. Im Auftrag des Gemeinderates erarbeiten die beiden Or- ganisationen ein Konzept zur schulergän- zenden Kinderbetreuung. Dieses beinhaltet die Zusammenführung der beiden Gremien unter eine einheitliche Leitung. Seit zwei Jahren warten die leerstehenden Kollision auf der Mutschellen-Kreuzung. Container des Pavillons KSM4 auf einen Die periodische Trinkwasserkontrolle an Käufer. Dieser ist jetzt endlich gefunden. Die ­verschiedenen Probestellen in Berikon er- Stadt Klingnau benötigt die Container zur gibt, dass die Wasserproben den gesetz- Überbrückung des Schulraum-Engpasses. lichen Anforderungen entsprechen und als hygie­nisch einwandfrei taxiert werden Oktober können. Karl Isenmann, Gemeindeamman von Im Rahmen der Hauptübung der Feuerwehr 1972–1975, stirbt 85-jährig. Mutschellen wird das neue Tanklöschfahr- zeug (TLF) eingeweiht. Das Praxisinventar des ehemaligen Ärzte- zentrums wird liquidiert. Es besteht haupt- sächlich aus medizinischen Geräten und Büroeinrichtungen. Am begehrtesten ist die Lasermaschine zur Entfernung von ­Tattoos. Am Halloween-Abend endet der Streit einer Gruppe Jugendlicher, begleitet von einer Karl Isenmann erwachsenen Frau, mit einer Schlägerei. Das Strassen- und Parkierungsreglement, Die Frau soll mit einem Hockeyschläger das die Gemeindeversammlung im Juni auf einen 75-jährigen Mann eingeschlagen genehmigt hat, wird umgesetzt. Tages-, haben. Die Polizei sucht Zeugen. Nacht- und Wochenkarten können an drei Verkaufsstellen bezogen werden. November Morgens um 07:00 Uhr kommt es auf der Der Schweizer Jugend-Motocrossclub führt Mutschellen-Kreuzung zu einer Kollision zum Saisonabschluss die Meisterfeier inklu- zwischen einem Zug der Bremgarten-Dieti­ sive Crossbörse auf dem Sädelhof durch. Bei kon-Bahn und einem Lastwagen. Der Un- dieser Gelegenheit wird Sven Wiederkehr, fall führt zu einer mehrstündigen Sperrung als einer der jüngsten im Fahrerfeld sei- des Bahnüberganges. Der Lenker hat beim ner Kategorie, für seine ausgezeichneten Rechtsabbiegen vermutlich das Rotlicht Leistungen bei den Rennen geehrt. übersehen. Lastwagenchauffeur und Lok- Mit dem teilrevidierten Gemeindegesetz führer werden leicht verletzt. ändert sich auch die Rechnungslegung der

8 Projektes «länger dehei» werden fast 500 Dienstleistungen erbracht. Am Tag der Toleranz findet in der Kreisschu- le der Anlass «Lebende Bibliothek», organi- siert vom Aargauer Roten Kreuz, statt. Die- ser Informationsaustausch bietet die Mög- lichkeit, statt ein Buch über ein bestimmtes Thema zu lesen, direkt mit den betroffenen Personen zu sprechen. Die Jugendlichen sind berührt von den emotionalen Schilde- Jugend-Motocrossfahrer Sven Wiederkehr. rungen der «Menschenbücher». Ortsbürgergemeinde. Die Pflicht zur Füh- Der Gemeinderat lädt auch dieses Jahr zum rung eines Forstreservefonds entfällt. Die Adventsapéro ins Bürgisserhus ein. Nach Forstwirtschaft wird als eigener Aufgaben- dem Apéro gibt das Gesangs-Ensemble Con bereich in die Rechnung der Ortsbürger­ Brio ein eindrückliches Konzert. Traditionell gemeinde integriert. äussert Gemeindeammann Stefan Bossard Thomas Hafner vom Rigiblick-Hof wird Gedanken zum ablaufenden und zum neu- für den Titel «Aargauer Bauer des Jahres» en Jahr, verbunden mit guten Wünschen nominiert. Er züchtet robuste Pro-Specie- zum Jahreswechsel. – Leider ist das Publi- Rara-Wollschweine, die später als lebende kumsinteresse an diesem Anlass nicht mehr Unkrautvernichter auf den Fruchtfolge- sehr gross. Der Gemeinderat plant deshalb, flächen eingesetzt werden sollen. Zudem den Adventsapéro durch einen Neujahrsan- will der Landwirt jede Woche ein Schwein lass zu ersetzen. Damit geht eine Tradition schlachten und das Fleisch mit hofeige- zu Ende, die vor rund 30 Jahren im jeweils nem Pro-Specie-Rara-Gemüse an Anlässen stimmungsvoll dekorierten Gemeindehaus im ausgebauten Eventraum auf dem Hof ihren Anfang hatte. selber zubereiten und den Gästen anbieten. Überraschend teilt das Fasnachtskomitee (Pro-Specie-Rara: Schweizerische Stiftung kurz vor Jahresende mit, dass im Februar für seltene Nutztierrassen und seltene Pflan- 2019 aus personellen Gründen keine Be- zensorten.) riker Fasnacht stattfindet. Auch ein neuer An der Gemeindeversammlung werden Ehrenhexen-Meister konnte bis jetzt nicht die Verpflichtungskredite für die Werk­ gefunden werden. Die Schule organisiert leitungssanierungen «Im Feld» und «Alte am schmutzigen Donnerstag lediglich die Bremgartenstrasse» sowie das Budget Chesslete. Die Ehrenhexenmeister und der 2019 mit einem Steuerfuss von 89% ge- Elferrat überlegen sich, wie die Fasnacht nehmigt. 2020 wieder aktiviert werden kann.

Dezember Die Arbeitsgruppe für Altersfragen Mut- schellen kümmert sich weiterhin erfolg- reich um Betagte in den drei Mutschel- lengemeinden. Zwei öffentliche Anlässe Quellen: Bremgarter Bezirks-Anzeiger und Aargauer sind sehr gut besucht. Und im Rahmen des Zeitung

9 Die ärztliche Versorgung auf dem Mutschellen

Bevor sich Ärzte auf dem Mutschellen Patienten abgeben zu dürfen. Diese Mass- niederliessen, wurden die Bewohner der nahme traf ihn sehr. Obwohl er beliebt und noch recht kleinen Dörfer vor allem von erfolgreich war und die Einwohner drin- Hausärzten aus Bremgarten und Dietikon gend auf einen eigenen Arzt angewiesen betreut, zum Teil auch von Dr. Armbruster, waren, verliess Dr. Holenstein enttäuscht . Daneben gingen die Patienten für den Mutschellen und zog schon 1957 nach besondere Anliegen zu Spezialärzten nach Rapperswil um. Zürich oder Baden und zur Behandlung in Brisant an diesem Vorgehen der Regierung die Spitäler Muri oder Baden. ist die Tatsache, dass den beiden Brem- Die Betreuung durch einen Arzt bei Krank- garter Apothekern die Medikamentenab- heit oder Unfall war in dieser Zeit noch nicht gabe des Arztes auf dem Mutschellen seit so selbstverständlich. Man behalf sich mit Beginn ein Dorn im Auge war. Sie brachten allerlei Hausmitteln aus der Natur – viel- es fertig, dass der neu zum Regierungsrat leicht auch aus der Apotheke. Und sicher gewählte Bremgarter Paul Hausherr den ging man auch mit den Schmerzen manch- Regierungsrat überzeugen konnte, dem mal nach der Devise um: Auf die Zähne Mutscheller Hausarzt die Bewilligung zur beissen – und durch! Medikamentenabgabe zu entziehen. In der davon betroffenen Bevölkerung gingen die 1954 öffnet die erste Arztpraxis Wogen hoch, und die alten Geschichten Der erste Arzt, der in Berikon im Jahre 1954 über das Bevogten durch Bremgarten wa- eine eigene Praxis eröffnete, war Dr. Josef ren plötzlich wieder aktuell. Häcki. Er kaufte für sich und seine junge Erst 1981 eröffnete Jörg Joos die erste Apo- Familie ein Haus gegenüber dem heutigen theke in der Region Mutschellen. Bis dahin Gemeindehaus. Seine Arztpraxis eröffnete mussten alle Medikamente entweder in er in einem Neubau an der Mutschellen- ­einer Apotheke in Bremgarten oder Diet- strasse 19 (Gemeinde Rudolfstetten), wo es ikon geholt werden. Mit der Eröffnung des aber damals nur Wiesen und einige Einfami- Berimärts im Jahre 1990 richtete Dr. Langer lienhäuser gab. Er erhielt von der Regierung die zweite Apotheke auf dem Mutschellen die Bewilligung, Medikamente auf eigene ein. Rechnung abzugeben. Nach nur zwei Jah- Mit der Übernahme der gut eingeführten ren gab er diese Praxis auf und verlegte sie Landpraxis von Dr. Holenstein durch ­einen nach Unterägeri, später nach Zürich. jungen Arzt, Dr. Peter Schamböck, begann Seine Praxis wurde1956 von Dr. Alois Holen- die erste längere Phase der ärztlichen Ver- stein übernommen, der mit seiner Familie sorgung auf dem Mutschellen. Am 1. De- im gleichen Haus eine Wohnung bezog. zember 1957, an einem «trüben und gars­ Ihm wurde aber von der Regierung die tigen Tag», zog er mit seiner Familie an der Bewilligung entzogen, Medikamente an die Mutschellenstrasse 19 ein.

10 kon. Und in diesem grossen Gebiet machte er damals ganz selbstverständlich noch Hausbesuche! Er schreibt dazu: «Bei Haus- besuchen stand ein Becken mit Wasser, Sei- fe und sauberem Handtuch bereit, damit ich mir vor und nach dem Besuch die Hände waschen konnte.» Neben der ärztlichen Arbeit war für ihn aber auch die Archäologie wichtig und eine willkommene Abwechslung. Und so war er denn gerne mit dabei, wenn neue Bau- gruben entstanden. Da und dort konnte er interessante Funde aus der Antike ma- chen. So wurde für ihn als «Allein-Arzt» die Arbeitsbelastung zu gross und nach Verhandlungen mit der Regierung wurden zwei weitere Arztpraxen auf dem Mutschel- len bewilligt. Dr. Schamböck übte seine Dr. Peter Schamböck. Foto zVg Tätigkeit als Hausarzt bis ins Jahr 1999 aus. Er verstarb vor Weihnachten 2013 im hohen Er schreibt über seine erste Zeit auf dem Alter von 89 Jahren. Mutschellen: «Den Hauptanteil der Patien- Ab 1975 erhielt Dr. Irene Hottowy eine Son- ten bildeten die Bauern mit ihren häufigen derbewilligung für die Errichtung einer Pra- Arbeitsverletzungen. Da war Chirurgie ge- xis in Rudolfstetten, welche ebenfalls auf fragt, da sonst nur die Spitäler von Muri dem Mutschellen lag. Sie wirkte hier als oder Baden für einen Eingriff in Frage ka- zweite Hausärztin neben Dr. Schamböck. men. Darum machte mir das Schwinden Schon im Jahre 1977 entstand eine dritte der Bauern etwas Schmerz, verlor ich damit Hausarztpraxis auf dem Mutschellen im eine ganz besondere Anforderung an einen Gebäude der Kantonalbank. Mit ihrem In- Arzt.» haber, Dr. Werner Näf, zeichnete sich eine Nach einiger Zeit wurde Dr. Schamböck gewisse Trendwende ab. Nach einem gros- klar, dass die Praxis auf die Länge zu klein sen Mangel an Landärzten gab es ein neues war. Ab 1960 plante er, eine neue Praxis Interesse an der stark wachsenden Region aufzubauen. Da im Junkholz Gemeindeland Mutschellen. Ein Spezialgebiet in der Tätig- parzelliert worden war, wurde ein Neu- keit von Dr. Näf war die Behandlung von bau möglich, und im Jahre 1961 konnte Sportverletzungen. die Familie am Gartenweg 20 in Berikon einziehen. Die Bevölkerung auf dem Mut- Der Mutschellen wächst stark – schellen wuchs ab 1960 sehr rasch und und braucht Ärzte! Dr. Schamböck war mit seiner Praxis wäh- Die rasante Zunahme der Bevölkerung auf rend 15 Jahren allein. Das Praxisgebiet dem Mutschellen erforderte auch eine ver- reichte vom Häderliberg bei Birmensdorf stärkte ärztliche Betreuung. Aber es waren bis und von Friedlisberg bis Zufi- auch die Fortschritte der Medizin, welche

11 die Ansprüche an die Behandlung anstei- gen liessen. Neue Medikamente und neue Techniken erleichterten den Umgang mit Krankheiten und Behinderungen und wur- den darum gerne in Anspruch genommen. Die Anforderungen an die Medizin stie- gen. Kurz: Es brauchte mehr Ärzte! Und so nahm die Anzahl der Arztpraxen auf dem Mutschellen ab Mitte der Achtzigerjahre rasch zu.

Zwei neu Hausärzte in Berikon Anfangs Januar 1985 eröffnete Dr. Rudolf ­Ebnöther seine Praxis an der Kesslernmatt- strasse in Berikon. Geboren am 26. Sep- tember 1948 wuchs er in Stadel ZH auf. Er machte zuerst eine kaufmännische Aus- bildung und nach der Eidgenössischen Matura zwei Jahre Studium in National­ Dr. Rudolf Ebnöther. ökonomie. Sein Medizinstudium in Zürich dauerte dann von 1973 bis 1979. Seine und Christian Schafroth mit einer Doppel- «Gesellenjahre» verbrachte er während praxis. So konnten sie einander aushelfen dreieinhalb Jahren am Triemlispital Zürich und die Präsenzzeit vernünftiger gestal- und vier Jahren am Spital Winterthur. ten. Seither nahm die Idee für eine Gross- In die erste Sprechstunde am 3. Januar 1985 praxis, ein Doktorzentrum, immer mehr kamen bereits über 30 Patienten, erzählt Form an. der Arzt: «Das Wartezimmer war erst gegen Am 1. Januar 1987 eröffnete Dr. Daniel 22.30 Uhr leer». Von seiner Ausbildung her Rainer die Praxis im Gemeindehaus Berikon. lag einer seiner Schwerpunkte in den ersten Er wurde am 23. November 1954 geboren Jahren in der Gynäkologie, vor allem in und ist in Zürich und Meilen aufgewachsen. der Geburtshilfe. Er wurde Schularzt und Das Studium der Medizin schloss er 1979 damit auch zuständig für die Impfungen mit dem Staatsexamen ab. 1980/81 arbei- von Kindern. Ebenfalls nahm er in der Praxis tete er in der Chirurgie im Kreisspital Muri chirurgische Eingriffe vor. und 1982/83 in der Kindermedizin im Kan- Die lange Präsenzzeit wurde zur Belastung, tonsspital Münsterlingen. Anschliessend ebenfalls die Hausbesuche bei Nacht. Dazu war er bis 1986 im Kantonsspital ­Frauenfeld sagt er: «Die Hausbesuche bei Tag und tätig. Er machte auch verschiedene Praxis- Nacht waren selbstverständlich. Weiter war vertretungen. da der Notfalldienst am Donnerstagnach- Im Mai 2016 schloss Dr. Rainer seine eigene mittag sowie am Samstag und Sonntag. Praxis im Gemeindehaus Berikon und setzte Ich war sehr viel unterwegs». So wurde eine seine Tätigkeit als Hausarzt im neuen Dok- Aushilfe nötig. torzentrum Mutschellen fort. Im Jahre 2010 begannen Dr. Rudolf Ebnöther Dr. Rainer schreibt dazu: «In meinem inte-

12 Rudolfstetten. Dr. Weisshaar und Dr. Wid- mer arbeiten jetzt im neuen Doktorzentrum Mutschellen.

Das Ärztezentrum Mutschellen Im Jahre 2014 gründete Dr. Ingo Malm ohne Berufsbewilligung beim Bahnhof Berikon-Widen ein Ärztezentrum, nach- dem er 2013 seine Praxis in Rudolfstetten aufgeben muss­te. Das Zentrum fand bald grossen Zulauf und Dr. Malm beschäftigte mehrere Ärzte, die meist aus dem Ausland stammten. Im Januar 2018 wurde das Zent- rum infolge Kündigung der Räumlichkeiten geschlossen. Gegen Dr. Malm wurde ein Konkursverfahren eröffnet und er selber we- gen verschiedener Vergehen angeklagt. Am 12. Oktober 2018 wurde das Ärztezentrum Dr. Daniel Rainer. Mutschellen liquidiert. ressanten Beruf habe ich viel Schönes, aber Von der Arztpraxis zum auch Trauriges erlebt. Besonderes erfahre Doktorzentrum Mutschellen ich immer wieder als Leiter des Hospiz an In seinem Rückblick als Pensionierter auf der und der Palliativstation Reusspark. seine Arzttätigkeit zählte Dr. Schamböck – In meinem privaten Leben bin ich leiden- bereits zehn Ärzte auf, die auf dem Mut- schaftlicher und engagierter Segler.» schellen wirkten. Und er fragte sich, ob hier Dr. Rainer ist ein sehr pragmatischer Arzt. je ein Spital entstehen würde. Der Gedanke Er zieht die Eigenverantwortung der Pati- an ein Ärztezentrum auf dem Mutschellen enten in die Behandlung mit ein ist sehr war bei ihm aber nicht zu finden. darauf bedacht, Übermedikamentierungen Die Idee und die ersten Anstrengungen für und unnötige ärztliche Betreuung zu ver- ein solches Zentrum kamen von Dr. Ru- meiden. dolf Ebnöther. Zusammen mit Dr. Andreas Weisshaar arbeitete er an einem Projekt, Auch nach Widen und Rudolfstetten dem sich weitere Ärzte anschlossen. Zu- kommen weitere Ärzte erst wurde dieses Zentrum im Haus von Am 1. Oktober 1987 eröffnete Dr. Guido Dr. Schamböck vorgesehen. Die Gemeinde Suter, der in Widen aufgewachsen ist, seine Berikon ermöglichte aber mit einer Umzo- Praxis als Hausarzt in der Heimatgemein- nung den Kauf eines Grundstücks hinter de. Dr. Andreas Weisshaar und Dr. Hans dem Berimärt. Tschumi starteten am 1. November 1989 Und dort wurde dann das Gebäude für gemeinsam mit ihrer Praxis im Dorfzentrum das Doktorzentrum Mutschellen geplant. von Rudolfstetten. Dr. René Widmer führte Im April 2015 war Baubeginn. Einweihung eine Praxis als Facharzt in Rheumatologie in und Bezug erfolgten am 1. April 2016.

13 Eingang des am 1. April 2016 eröffneten Doktorzentrums.

Schon 2018 wurde eine Erweiterung (Auf- vollzeitlich. Die Spezialärzte kommen für stockung) nötig. die vereinbarten Konsultationen ins Zent- Dr. Rudolf Ebnöther war noch bis Ende Juli rum. Und doch ist das Doktorzentrum heu- 2016 als Mediziner aktiv. Heute ist er Ver- te eine Art KMU, wie es der «Bahnbrecher», waltungsratspräsident des Ärztezentrums. Dr. Rudolf Ebnöther, gerne formuliert. Und Inzwischen ist das Zentrum voll in Betrieb. er freut sich über das Gelingen seines Pro- Das grosse Team besteht aus 10 Fachärzten jekts zu einer ausgebauten ärztlichen Ver- und -ärztinnen für Allgemeine Medizin sorgung der Region Mutschellen. (Hausärzte), einem Kinderarzt und 14 Spe- Im Jahre 1954 kam der erste Hausarzt auf zialärzten (für Kardiologie, usw.). Weiter den Mutschellen. Heute steht in Berikon arbeiten zwei Psychologinnen und ein Psy- ein grosses Doktorzentrum, das eine um- chiater mit, ebenfalls eine Ernährungsbera- fassende ärztliche Betreuung anbietet. Eine terin. Das Team wird gegenwärtig ergänzt fast unglaublich wirkende Entwicklung in durch einen Assistenzarzt und vier Assis­ gut sechzig Jahren! tenzärztinnen. Und schliesslich sorgen 28 medizinische Praxisassistentinnen, davon drei Lernende, für das Wohl der Patienten. Für die Administration sind drei Mitarbei- terinnen tätig. Natürlich arbeiten nicht alle Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter des Doktorzentrums

14 Der Rummelbach

Seit Menschengedenken fliesst er durch Versorgung über Sodbrunnen und Quel- unseren Gemeindebann, der Rummelbach, len. Einzelne Haushaltungen und Land- in alten Protokollen auch Rumpelbach ge- wirtschaftsbetriebe bezogen ihr Trink- und nannt. Sein Quellgebiet liegt in den Wäl- Brauchwasserwasser direkt aus dem Bach. dern von Lieli. Von der Gemeindegrenze bis zum Siedlungsgebiet hiess er früher Waschhäuser Fischgraben, und der heutige Altisbach ist Entlang des Rummelbachs standen drei auf einer alten Karte auch als Rummelbach Waschhäuser (Oberdorfstrasse, Friedlis- benannt. bergstrasse und unterhalb altes Schul- Neun Brücken querten den Bach. Seit 1932 haus Unterberikon). Mit Einführung der ist er im Bereich der Unterdorfstrasse, da- Wasserversorgung wurden sie allmählich mals noch Viehgasse, in grosse Röhren ver- nicht mehr genutzt. Diese «Wöschhüsli» legt. Die Probleme bei Hochwasser waren gehörten der Gemeinde. Sie waren mit damit aber nicht behoben. Erst seit den ­Feuerherd und grossem «Chessi» ausge- Sanierungsmassnahmen der letzten Jahre rüstet, worin die Wäsche gesotten wurde. sind keine Schäden mehr aufgetreten. Für die Benutzung musste bezahlt werden. Das Wasservolumen durch den Ghürsch- bach (Grenzbach zu Oberwil-Lieli), den Gewerbliche Wassernutzung Altisbach, den Halden- und den Näsple- Noch heute bewässern Gemüsegärtner ihre bach vergrössert, verlässt der Rummelbach Kulturen zum Teil mit Wasser aus Bächen. Sie Berikon am tiefsten Punkt des Gemeinde- benötigen dafür eine Bewilligung des Kan- gebietes (508 m ü.M.). Über Reppisch, Lim- tons. Eigentliche gewerbliche Nutzungen mat, Aare und Rhein gelangt er, sofern sein gab es in Berikon kaum. Dagegen stand in Wasser auf der weiten Reise nicht verdun- Rudolfstetten eine Mühle. Die Gemeinde stet ist, nahe Amsterdam in die Nordsee. Die Rudolfstetten hat ein altes Wasserrad ins Vorstellung, das idyllische Bächlein einmal Dorfzentrum versetzt. Es kann dort besich- von seinem Ursprung bis zur Mündung zu tigt und auch in Betrieb gesetzt werden. begleiten und zu verfolgen, ist interessant. Interessant ist aber auch, was die Leute im Bachaufsicht Umfeld des Baches alles erlebt haben. Das Eigentum an den Bächen liegt generell beim Kanton. Er ist auch für den Unterhalt Wassernutzungen zuständig. Die Gemeinden leisten an die Trink- und Brauchwasser Unterhaltskosten einen Beitrag (Berikon 1902 wurde in Berikon die Wasserversor- zwischen 50 und 60%). Ab 1972 gab es gung eingeführt (Sammeln des Wassers während etwa 20 Jahren gemeindeeigene im Reservoir, Wasserleitungen zu den Häu- Bachaufseher, Engelbert Koller und Kurt sern). Bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte die Winzeler.

15 Feuerwehr Fischenz Lange war der Bach auch für die Feuerwehr Inhaber der Pacht ist Alexander Koller aus als Wasserbezugsort wichtig. Dafür wurden Bremgarten. Schon sein Vater und sein an mehreren Stellen Stauvorrichtungen ein- Grossvater waren Pächter. Die Freude am gerichtet und die nötigen Infrastrukturen Bach halte sich allerdings seit Jahren in (Wassersperren) bereitgehalten. Nur in drit- engen Grenzen, schreibt Alexander Koller. ter Priorität wird heute noch Löschwasser Mehrere Male hätten Bauern, wohl aus Un- mittels eines schwimmenden Saugkorbs achtsamkeit, Jauche in den Bach gelangen aus dem Bach gepumpt. Stationäre Ein- lassen. Der schlimmste Vorfall ereignete sich richtungen braucht es nicht mehr. im Jahre 2002. Verursacher war ein Land-

Schulweg wegen Hochwasser gesperrt Abenteuer im eingedolten Bach Klosterfrau Maria Franziska Koch (*1902/ Aloisia Näpflin-Koch (*1939): Als Kind †2005): Ich bin im Riegelhaus am of- spielte ich hie und da mit meinen Nach- fenen Bach aufgewachsen. Der Schulweg barn gleichen Alters. Ein ganz besonderes ins Oberdorf führte entlang dem Bach. Abenteuer war, wenn wir – ausgerüstet Bei Hochwasser mussten wir Unterberiker mit Taschenlampen – beim Kiesfang im Schüler immer einen Umweg machen, Feld in die Bachröhre von 1 m Ø einstie- weil mehrere Brücklein gesperrt waren. gen. Bis zu 140 m wagten wir uns in der dunklen Röhre vor. Fischen im Rummelbach verboten Gleiches erzählt Hans Koller (*1931), heu- Leo Gehrig (*1905/†2004): Ich wohnte te im Altersheim Bremgarten: Zusammen mit meiner Familie im Oberdorf. Als Ju- mit Kollegen hat er als Bub sogar die gendlicher habe ich im obersten Teil des ganze Länge der Bachröhre (im Feld bis Rummelbaches (Fischgraben) Krebse ge- Halacher) durchwatet. fangen.

Grosse Überschwemmungsschäden Bootsfahrt auf dem Rummelbach an Haus und Garten Eine Geschichte, von einer ehemaligen Gertrud und Bernhard Oester, im Feld ­Mitschülerin erzählt: Vom Oberberiker 1: Wir wohnen über 30 Jahre im Bereich Schulhaus liefen wir zum Rummelbach, des eingedolten Baches. In dieser Zeit der Hochwasser führte und auch die wurde unser Haus dreimal von Hochwas- angrenzenden Felder überschwemmte. ser betroffen und arg in Mitleidenschaft – Gody Moser war ein furchtloser Drauf- gezogen. Seit dem Hochwasserschutz gänger. Gody schnappte sich beim na- gab es keine Überschwemmungen mehr. hen Bauernhof einen Holzzuber, setze sich Um unser Haus gibt es technische Mass- ­hinein und schon spülte ihn der reissende nahmen, die Schäden verhindern sollen. Bach mit. Vor der Brücke Friedlisbergstras- Auch andere Liegenschaften an der Unter- se konnte er sich an einem Gebüsch fest- dorfstrasse waren mehrmals vom Hoch- halten und ans rettende Ufer ziehen. – Der wasser betroffen. Holzzuber verschwand auf Nimmerwie- dersehen.

16 wirt aus Lieli. Vom Schützenhaus Berikon Fischenz Revier Nr. 83 / Rummelbach bis zur Mündung in die Reppisch mussten Rummelbach, von der Mündung in die 3000 tote Forellen entsorgt werden. Die Reppisch unterhalb Rudolfstetten bis zu Neubesetzung von 1000 Jährlingen konnte den Quellen, mit allen Seitenbächen; während mehr als zwei Jahren nicht ge- Länge ca. 5800 m. Ausgeschlossen sind macht werden, so stark war die Verschmut- der Weiher Kissling in Bergdietikon und zung. Früher sei alles recht gut verlaufen der Mühle-Gewerbekanal mit Weiher in und er habe gelegentlich auch erfolgreich Rudolfstetten. gefischt. Seit ca. 2007 gebe es aber, trotz Fischbesatz: 1000 Bachforellen-Vorsöm- regelmässiger Neubesetzung, kaum mehr merlinge; Einsatz-Zeitpunkt: bis Ende Fische (Kormoran und Fremdfischer). Seit Juni. Kartenzahl: 3 Jahreskarten. Grund- 2012 sei die Pflicht zur Neubesetzung ent- preis: Fr. 1‘500.00. fallen. Aus den geschilderten Gründen habe er deshalb darauf verzichtet. «Wenn ich sehe, was aus dem einstmals immer wieder zu Überschwemmungen. In schönen Gewässer geworden ist, tut mir früheren Jahren wurden oftmals die klei- das Herz weh», stellt der Pächter wehmütig nen Brücken weggerissen oder Bachmau- fest. Es gebe nicht wenig Menschen, die ern, die dem Schutz der Häuser dienten, meinen, der Bach eigne sich ausgezeichnet beschädigt, besonders im Gebiet der heu- als kostenlose Entsorgungsstelle. Wohl aus tigen Unterdorfstrasse. Schon während des nostalgischen Gründen und weil es kei- 1. Weltkrieges (Gesuch des Gemeinderates nen anderen Interessenten gab, habe er an die Regierung des Kantons Aargau vom die Pacht 2017 nochmals für sieben Jahre 7. März 1912) erwog man, den Bach in übernommen. diesem Bereich in Röhren zu verlegen. Das Projekt wurde wegen Geldknappheit und Hochwasserschutz als Folge des Krieges vertagt, Ende der 20er- Jahre aber wieder aktiviert. Eindolung im Bereich der heutigen Unterdorfstrasse Gemeindeversammlung vom 24. März Entlang dem Rummelbach kam es bei 1929 starkem Regen oder heftigen Gewittern Pflichtgemäss macht der Gemeinderat auf den gefährlichen Zustand der Bachmauer bei Gebr. Koch und Welti a.Ammann aufmerk- sam. Das Beste wäre, den Bach in Zement- Röhren zu verlegen. – Dem Gemeinderat wird Vollmacht erteilt, diese Arbeit an die Hand zu nehmen und auszuführen.

Gemeindeversammlung vom 3. April 1930 Geometer Wasser in Bremgarten hat ein Projekt ausgearbeitet, Kostenpunkt Fr. 25‘000.00. – Überschwemmungsschäden durch den Die Meinungen sind geteilt (zu teuer, nur Rummelbach. Ausbesserungen machen / etwas Rechtes ma-

17 Plan Bachlauf und Eindohlung im Gebiet Unterdorfstrasse. chen, kein Flickwerk). – Mit grossem Mehr sei von verschiedenen Seiten verlangt worden, wird beschlossen, dass der Gemeinderat die auf den Beschluss vom 5. Oktober zurück zu Sache weiter verfolgen und später nochmals kommen. Man sehe von einer Bachsteuer ab an die Gemeindeversammlung bringen soll. (im Protokoll vom 5. Oktober nicht erwähnt) und gedenke, die Kosten durch Annuitäts- Gemeindeversammlung vom 5. Oktober zahlungen von 8–10 % abzutragen. – In 1930 geheimer Abstimmung wurde der Antrag mit Eröffnet wird der Plan zur Bachkorrektur mit 61 zu 40 Stimmen genehmigt und das Projekt Kostenrechnung im Betrag von Fr.35‘000.00, ausgeführt. genehmigt vom hohen Regierungsrat. Der Staat sichert einen Beitrag von 30% zu. – Eindolung des Altisbach Nach langer Diskussion wird das Projekt in (im Gebiet der Moosstrasse) geheimer Abstimmung mit 48 zu 55 Stimmen Wohl nicht aus Gründen des Hochwasser- verworfen. schutzes, sondern eher zur Gewinnung Angstmann Gemeindeammann gibt zu Proto- von Kulturland wurde der Altisbach in den koll, dass sich der Gemeinderat aller Verant- 40er-Nachkriegsjahren ebenfalls in Röhren wortlichkeiten über den Zustand der Bach- verlegt. Diese Massnahme hat sich aber mauer «entschlage». Der Gemeinderat habe später als Bumerang erwiesen. Gerade in in dieser Sache seine Pflicht getan. Wenn diesem Gebiet kam es, wegen zu kleinem die Gemeindeversammlung nun das Projekt Röhren-Durchlass, immer wieder zu Über- verworfen habe, soll sie auch die Verantwort- schwemmungen. lichkeiten übernehmen. – Für die fünf Brü- Im Zuge der Überbauung «am Rummel- cken über den Dorfbach sei ein Verbot mit bach» (1996) wurde das Altisbach-Teilstück Lastwagen zu erlassen und Anbringung von entlang der Oberdorfstrasse wieder freige- Verbotstafeln. legt.

Gemeindeversammlung vom 25. Oktober Grosse Bachsanierung 1930 (nur drei Wochen nach der letzten Auch wegen immer grösserer Verdichtung Versammlung) der Böden (Asphalt, Beton) steigerte sich Angstmann Gemeindeammann eröffnet, es das Mass der Unwetterschäden. Das Ereig-

18 nis vom 12. Mai 1999 war der Auslöser, Ressortvorsteher Peter Oggenfuss schloss dass die Gemeinde intensiv über nachhal- die Vorstellung des Traktandums mit einem tige Sanierungsmassnahmen zu diskutieren Goethe-Gedicht: Des Menschen Seele gleicht begann. Die Gemeindeversammlung vom dem Wasser, vom Himmel kommt es, zum 21. Juni 2001 bewilligte einen Projektie- Himmel steigt es, und wieder nieder zur Erde rungskredit von Fr. 91‘000.00. muss es. Ewig wechselnd. Seele des Menschen, Am 28. Juni 2003, Jubiläums-Landsgemein- wie gleichst du dem Wasser! de 850 Jahre Berikon in der Berikerhus- In der Verhandlung wurde der Antrag abge- Arena, wurde nach langer Diskussion der lehnt, den Altisbach nicht offen zu führen, Projektkredit für einen umfassenden Hoch- aber in grössere Röhren zu verlegen. Dage- wasserschutz in Höhe von 1,851 Millionen gen wurde eine komplizierte Bachführung genehmigt. Diese Summe setzte sich u.a. im Gebiet Reinen durch einen einfacheren aus folgenden Teilbeträgen zusammen: Vorschlag ersetzt. Öffnung Altisbach Fr. 969‘000.00; Teil- Leider reichte der bewilligte Kredit aber bei stück Oberdorf-Halacher Fr. 317‘000.00; weitem nicht. Die Gemeindeversammlung Teilstück Halacher-Pumpwerk Marrengasse vom 27. November 2008 bewilligte einen Fr. 565‘000.00. Nachtragkredit von Fr. 920‘000.00 (Mehr- kosten Öffnung Altisbach und zusätzliche Massnahmen im Bereich Metzgergässli). Dem Gemeinderat blieb der Vorwurf un- genauer Planung nicht erspart. Auch den Planer auszuwechseln wurde moniert. Er- neut wurde aber der Antrag abgelehnt, den Altisbach in Röhren zu belassen. Die Kreditabrechnungen wurden in der Ver- sammlung vom 8. Juni 2016 genehmigt. Der Projektierungskredit, Fr. 124‘500.00, wurde um 37% überschritten, der Ausbau- kredit (inkl. Teuerung und Nachtragskre- dit) von 3,077 Millionen um 6,91% unter­ schritten. Bund und Kanton leisteten 1,836 Millionen an Subventionen. Der Gemeinde verblieben Gesamtkosten von 1,35 Millio­ nen. So hat das Jahrhundertwerk doch noch ­einen guten Abschluss gefunden. Allgemein freut man sich am nun offen geführten Altis- bach. Überschwemmungen sind bis heute nicht mehr vorgekommen. Die Feuerwehr ist aber weiterhin gefordert, um Schäden bei starken Unwettern zu verhindern. Der eingedolte Altisbach wurde wieder ­geöffnet.

19 Freiämter Trachten

In der Schweiz gibt es eine unglaubliche Verzierungen und Schmuckstücken fanden Vielzahl an Trachten. Jede noch so kleine Einzug. Sie haben sich über die Jahrhun- Region hat ihre eigene, traditionelle Aus- derte immer wieder leicht den neuen Mo- schmückung. den angepasst. Sogar die ausländischen Die überlieferten Trachten waren alle Fest- Modetrends wie aus der Französischen oder Alltagskleider der Landbevölkerung. Revolution oder die Empire-Mode haben Die Vorbilder zu den einzelnen Gewand- unsere Trachten geprägt und verändert. formen suchte sie sich in den modischen Kostümen des Landadels und der Städter. Trachtengruppe Berikon Mit dem wachsenden Standesbewusstsein Im Frühling 1933 wurde in Berikon eine und Wohlstand der Landbevölkerung ka- Trachtengruppe gegründet. Sie bestand men feinere Stoffe zur Anwendung, die aus zehn Mitgliedern. Präsidentin war Seve- Sonntags- und Festtagstrachten mit feinen rina Gehrig, Aktuarin Franziska Welti. Unter

Margrith Keller in Freiämter Sonntagstracht. Erika Groth in Freiämter Festtagstracht.

20 Haube der Festtagstracht. Sommerhut der Festtagstracht.

Leitung von Frau Fischbach aus Villmergen wurden die Trachten damals selbst ange- fertigt, wie im Protokollbuch nachzulesen ist. Man wollte nicht hinten nach sein und schloss sich sogleich dem Schweizerischen Trachtenverband an. Schon am 27. August nahm die Trachtengruppe am Kantonalen Trachtenfest in Bremgarten teil. Nobel sei man mit dem Auto nach Bremgarten ge- fahren, chauffiert von den beiden stolzen Autobesitzern Ernst Groth und Josef Angst- mann. Haube der Sonntagstracht. 1934 reiste die Trachtengruppe ans Schweiz. Trachtenfest in Montreux. Mit engagierten sich damals für das Weiterbe- einem prächtigen Ährenkorb, der allseits stehen der Berker Trachtengruppe: Anna grosse Bewunderung fand, nahm die Trach- Angstmann-Wiederkehr, Anna Angstmann tengruppe am grossen Umzug teil, der fast «des Leo», Marcella Brem-Stüssi, Mathilde nie enden wollte. Bei vielen schmerzten die Hüsser-Groth, Martha Hüsser, Margrit Hüs- Füsse so sehr, dass sie die Schuhe auszogen ser, Margrith Keller, Sophie Köpfli. und in den Strümpfen durch die Stadt zo- Der Besuch des Eidg. Trachtenfestes in Lu- gen! Die zweitägige Reise an den Genfersee zern vom 8./9. September 1951 war der war für alle Teilnehmerinnen, die ja meist letzte Höhepunkt unserer Trachtengruppe. kaum aus dem Dorf herauskamen, ein sehr Am 21. Mai 1953 fand die letzte Versamm- eindrückliches Erlebnis, wie die Protokoll- lung statt. führerin im Jahresbericht festhält. Dann wurde es still um die Trachtengruppe Beriker Trachtenfrauen Berikon. Wohnortswechsel, die Krisenjahre, So sind sie rar geworden in unserem Dorf dann der 2. Weltkrieg liessen kaum Zeit für – die Trägerinnen der Freiämter Tracht. An weitere Aktivitäten. Erst 1950 fand wie- kirchlichen Festtagen wie Bettag und Pa- der eine Versammlung statt. Acht Frauen trozinium, vor allem aber an den Prozessio­

21 nen Fronleichnam und Auffahrt bereicher- ten seinerzeit immer einige Berker Frauen das Bild, indem sie sich mit der Freiämter Sonntagstracht kleideten. Vor allem die Geschwis­ter Marie und Anna Welti pflegten diesen schönen Brauch bis ins hohe Al- ter. Mit dem Wegfall dieser Prozessionen verschwand praktisch auch das Bild dieser schönen Trachtenfrauen aus der Öffentlich- keit. Doch dank den beiden Ortsbürge- rinnen Margrith Keller und Erika Groth lebt die Tradition in unserem Dorf weiter. Margrith Keller war schon als Kind von Halsschmuck der Festtagstracht. diesen prächtigen Kleidern fasziniert und wünschte sich nichts sehnlicher, als einmal Festen, an welchen ihr Mann, in der Frei- selbst so eine Tracht tragen zu dürfen. In ämter Herrentracht gekleidet, Alphorn späteren Jahren erfüllte sich unerwartet ihr spielt. Bald konnte sie eine schöne, kom- Wunsch. Nach dem Tod einer Bekannten plette Freiämter Festtagstracht erwerben. nahm sie mit der Erbengemeinschaft Kon- Eine Schneiderin hat sie fachmännisch ihrer takt auf mit der Bitte, die Tracht der Ver- Kleidergrösse angepasst. storbenen erwerben zu dürfen. Ihr Wunsch ging in Erfüllung und so ist sie heute glück- Die Freiämter Sonntagstracht liche und stolze Besitzerin einer Freiämter Wie Margrith Keller erzählt, sind die wun- Sonntagstracht. derschönen, filigranen Stickereien Feinst- Erika Groth fand ihre Begeisterung für arbeit von Klosterfrauen des Klosters Her- Trachten an Besuchen von traditionellen metschwil, also echte Freiämter Kunstar- beit. Der Brustlatz ist aus seidenem Satin, bestickt mit Feldblumen in zarten Farben, farblich fein auf das Kleid abgestimmt. Die weisse Bluse hat einen geröhrleten Tüll- kragen mit Klöppelspitzenabschluss. Die Haube wird von einem schwarzen Fächer umfasst, der ebenfalls mit gestickten Blu- menmotiven und zarten Rüschchen verziert ist. Die Rückseite der Haube hat das Blau des Trägerrockes und enthält unten eine schwarze Masche. In der Mitte wiederum ein feinst gesticktes stilisiertes Blumenmotiv auf einem Dreiberg. Der Dreiberg ist ein Symbol, das in vielen Freiämter Dorf- und Familien-Wappen vorkommt. Der blaue Ein spezielles Röschen: das Oberwiler Trägerrock ist schlicht gehalten wie auch ­Röschen. die Schürze mit bunten Querstreifen.

22 Die dazu gehörende Tasche ist ebenfalls aus blauem Stoff. Ganz nach Freiämter Art ist sie äusserst reichlich mit filigranen Stroharbei- ten verziert. Kaum vorstellbar, wieviel Fleiss­ arbeit es bedurfte, all diese Zierstücke aus Stroh herzustellen. Ganz speziell: die Befes­ tigung des Taschenträgers links und rechts ziert ein spezielles Röschen: das Oberwiler Röschen. Dieses Röschen soll seinerzeit eine Hüetler-Frau aus Oberwil kreiert haben, da- her der Name.

Die Freiämter Festtagstracht Handtasche der Festtagstracht. Im Gegensatz zur Sonntagstracht wird die Festtagstracht nur an Festtagen getragen. können es aber auch wollene weisse Hande- Diese Tracht von Erika Groth wurde seiner- li sein. Den schwarzen Brustlatz zieren fein zeit von der Trachtenschneiderin M. Fisch- gestickte, farbige Feldblumen. Links und bach-Meyer in Villmergen genäht, wie das rechts unterstreichen lange Silberketten die Etikett zeigt. Diese Frau Fischbach hatte Festlichkeit dieser Tracht. Der Unterrock hat 1933 den Beriker Trachtenfrauen gehol- unten eine Borte, die unter dem Rock her- fen, ihre Trachten zu nähen. Der Rock ist vorschaut. Sie ist mit Blumen analog des aus wunderschönem schwarzem Plissee. Brustlatzes bestickt. Die seidenen Schürzen dazu gibt’s in den Der Halsschmuck ist ein reichhaltig ver- Farben Blau und Altrosa. Blau wird für die zierter Silberanhänger, genannt Deli. Hin- Kirche getragen, Altrosa an weltlichen An- ten und vorne ist je ein Emailbildchen ein- lässen. Die weisse Bluse ist kurzarmig und gefasst. Eines zeigt ein Kruzifix, das andere einem prächtigen separaten Kragen. Dazu eine fröhliche junge Frau. Ersteres wird für trägt die Frau seidene, schwarze Armstul- die Kirche getragen, das andere bei sons­ pen, genannt Handeli. Je nach Witterung tigen Festlichkeiten. Die Haube ist analog der Sonntagstracht mit zarten Rüschchen und schön gestickten Blumenmotiven verziert. Im Sommer trägt die Trachtenfrau anstelle der schwarzen Haube einen flachen Strohhut mit kleinen Stroh- und Seidenblümchen drauf. Haube und Strohhut werden mit einem schwarzen Band unter dem Kinn mit einer Masche festgebunden. Je nachdem ob die Trägerin ledig oder verheiratet ist, wird die Masche links oder rechts getragen. Die schwarze ­Tasche ist wie bei der Sonntagstracht beid- seitig reichlich mit Strohflechtereien ver- Handtasche der Sonntagstracht. ziert.

23 40 Jahre Gewerbeverein ­Mutschellen 1978–2018

Handwerk und Gewerbe einst und jetzt ter, Fasnacht und Tanz. Gemeindeeigene Während Menschengedenken gab es in Räumlichkeiten gab es nur in den beiden ­unseren Dörfern unzählige Handwerker alten Schulhäusern von Ober-und Unter- und Gewerbetreibende, welche mit ihrem berikon. Können alltägliche Gegenstände herstell- Nicht Gewerbetreibende arbeiteten oft als ten, in jedem Bereich für den Unterhalt in Taglöhner oder im Wald. Viele aber mach- der Gemeinde sorgten und jederzeit da wa- ten sich zu Fuss, mit dem Fahrrad oder ren für das Wohl der Bewohner. So fertigte ab 1902 mit der BDB auf den Weg zu ih- der Schuhmacher aus Leder Schuhe nach rem Arbeitsplatz in Bremgarten, Dietikon, Mass an, sohlte und nagelte diese immer Schlieren, Altstetten, wo bereits Industrie wieder. Holz von Nuss-, Kirsch und Obst- angesiedelt war. bäumen sowie Waldbäumen wurden vom Mit der Motorisierung und der grossen Schreiner zu schönen, praktischen Möbeln technischen Entwicklung veränderte sich verarbeitet. Der Wagner erstellte nebst an- nach und nach das Dorfleben. Einige der derem Wagenräder her, die vom Schmied bestehenden Klein- und Mittelbetriebe mit einem Eisenreifen eingefasst wurden. entwickelten sich gut in unserer Region, Der Küfer erstellte Wein- und Mostfässer, für neue kamen dazu, viele verschwanden. die Kleinen gab es danach noch die ersten Doch Gewerbe in der Wohnzone war oft Skis, «Fasstugeli» genannt. Zimmermann, unerwünscht aus Angst vor Lärmimmissi- Maurer, Maler, Glaser, Schneider und noch onen. So machte sich allmählich jede der viele mehr waren nebst ihrem Handwerk vier Mutschellen-Gemeinden Gedanken zu mit bäuerlicher Arbeit beschäftigt, um so einer geeigneten separaten Gewerbezone. ihr Einkommen zu verbessern. Die Rechnungen wurden jeweils zum Jah- Gewerbezonen resende geschrieben. Die baldige Bezah- In Berikon enthielt der Zonenplanentwurf lung durch die Schuldner war jedoch nicht von 1968 eine Gewerbezone Zelgrank. immer sicher. Dienstleistungsbetriebe wie Dieses Ansinnen wurde aber von Kanton Metzgereien, Bäckereien, Käserei, ebenso und vom Regionalplaner abgelehnt. Der einige «Colonialwarenlädeli», deckten den Zonenplanentwurf von 1970 (Vorprüfung) täglichen Lebensmittelbedarf. Es wurde je- enthielt keine Gewerbezone Zelgrank. doch kein Gemüse verkauft, das wuchs im Doch die Gemeindeversammlung Ende Juni eigenen Garten. 1970 hiess eine Gewerbezone Zelgrank auf Die Wirtschaften im Dorf waren nicht nur Antrag von Kaspar Hüsser mit 50 zu 26 Treffpunkt der männlichen Gesellschaft. Stimmen gut. Der Kanton lehnte sie jedoch Hier fanden auch viele Versammlungen im Bewilligungsverfahren wieder ab. der Gemeinde und der Kirche statt, ebenso Anders in Rudolfstetten. Die Gemeinde, Vereinsveranstaltungen mit Konzert, Thea- mit Gemeindeammann Dr. Fritz Schwen-

24 dimann und einigen Gewerblern an der liche Bedeutung für die Region. Der Verein Spitze, fanden Gewerbeland ausgangs wuchs stetig und zählt heute knapp 200 ­Rudolfstetten. Dort waren zu diesem Zeit- Mitglieder, bietet 4000 Arbeitsplätze an punkt nur zwei Betriebe ansässig, nämlich und bildet 170 Lernende aus. Iten und Lienhard. Der Zugang zu diesen beiden Unternehmen erfolgte direkt von Wichtige Aufgaben des der Bernstrasse. Im Jahre 1978 entstanden Gewerbevereins Mutschellen dann in der heutigen Grossmatt die ersten Gemeinsam sind wir stark – gemeinsame Gewerbebauten, dies waren Füglistaller In- Ziele verfolgen, Austausch pflegen , Arbeits- nenausbau AG und Hüsser Metallbau. In plätze schaffen und erhalten, Lehrstellen der Folge wuchs diese Gewerbezone und und Schnuppertage anbieten, Zusammen- beherbergt heute über 60 Betriebe mit ge- arbeit mit den Schulen (Projektwochen), gen 300 Arbeitsplätzen. Die Unternehmen Pflege der Beziehungen zu den Gemeinden, sind sehr gemischt. Aus der zu erwartenden politisches Engagement. Als aktiver Verein Entwicklung der Grossmatt ist damals die organisiert er Idee entstanden, einen Gewerbeverein zu – Gewerbeausstellungen gründen. – Veranstaltungen – Vorträge und Kurse gewerbepolitischer Gründung «Gewerbeverein Rudolf- Art stetten und Region Mutschellen» – Gesellige Anlässe Am 27. April 1978 kam es zur Gründungs- versammlung, 20 Unternehmen waren be- Gewerbeausstellungen teiligt. Aufgrund des stetigen Zuwachses In diesen 40 Jahren entstanden mit gros- wurde an der Generalversammlung vom sem Engagement acht erfolgreiche Aus- 9. November 1984 der Verein umbenannt stellungen, meist im Intervall von drei bis in «Gewerbeverein Region Mutschellen». fünf Jahren. Dies immer auf dem Areal der Die geringe Anzahl Präsidenten zeigt Kon- Kreisschule Mutschellen in Berikon. Der jun- tinuität und gute Zusammenarbeit im Vor- ge Verein wagte sich nur drei Jahre nach der stand. Folgende Präsidenten wirkten in der Gründung 1978 an eine erste Ausstellung, 40-jährigen Vereinsgeschichte: an der sich 75 Gewerbetreibende betei- Lieni Füglistaller 1978–1989 ligten. Anfänglich waren die Gemeinden Felix Walter 1989–1995 noch nicht interessiert an einer Teilnahme. Othmar Brem 1995–2005 Das hat sich bald geändert. Seit der 4. Aus- Christoph Fuchs 2005–2015 stellung blieb die Anzahl Aussteller immer Christian Füglistaller 2015 – heute in etwa bei 150. Aufgrund der Infrastruktur können nicht mehr Aussteller berücksich- Leitbild tigt werden. Die Besucherzahl wurde mit Der Verein sucht und pflegt den Kontakt der Gewerbeausstellung 1999 auf 50‘000 zu den Behörden der Region, um die An- gesteigert und liegt seither ebenfalls stabil liegen des Gewerbes zu vertreten. Bereits auf diesem hohen Niveau. Seit der 4. Aus- in den Achtzigerjahren hatte das ansässige stellung im Jahr 1994 nennt sich diese Gewerbe mit ungefähr 1600 Arbeitsplätzen «mega» = Mutscheller Exlusive Gewerbe und 70 Lernenden eine grosse wirtschaft- Ausstellung.

25 Highlights aus diesen neun Ausstellungen Gemeinsam offerieren PTT und BDWM den Herausgabe des Buches «Über de Mutschäl- Besuchern «Kei Schtau, kei Schtress, keis Bil- le»; «Mutschällelied»; Premiere des erfolg- lett». Es folgen die Premiere vom «Musical reichen Musicals «Space Dream»; die grüne Upside down»; die Vision Stadt Mutschel- Branche; Gelegenheit zur Besichtigung der len; Informationen über den Forstbetrieb Zivilschutzanlage in der BEMU; das Projekt Mutschellen samt Jagdgesellschaft Fried- «Haus der Zukunft» (bekommt einen Preis lisberg; Besichtigung Grüngutaufbereitung von der internationalen Handelskammer im Gunzebüehl. für die innovative Idee); Wanderausstellung Seit einigen Jahren unterstützt der GVM mit der REPLA (verdichtetes Wohnen und Bau- Gutscheinen das einheimische Gewerbe. en); die vier Mutschellengemeinden haben Mit diesen sollen die Bewohner zu den einen gemeinsamen Infostand. örtlichen Detaillisten gelockt werden. Als «Bewegen und Begegnen» ist das Motto Verkaufsstellen konnten nebst den Banken der mega 04. Dazu gehört die Lancierung auch ein paar Detaillisten und Mitglieder des 1. Grand Prix Mutschellen. Der alle vom GVM gewonnen werden. Erfreulich ist, zwei Jahre stattfindende Oldtimeranlass dass auch alle vier Gemeinden als Verkaufs- auf der Strecke Rudolfstetten–Friedlisberg stellen mitmachen. lockt noch heute Publikum aus der ganzen Die nächste und 9. Ausstellung findet vom Schweiz in unsere Region. 25.–28. April 2019 statt.

Bundesrat Ueli Maurer an der Mega-Eröffnung 2009.

26 Die gute Stube in unsern ­Bauernhäusern

In den Beriker Chleeblätter 2012 haben wir russigen Aluminium-Pfannen sind alle ver- unter dem Titel: «Die alten Häuser noch …» schwunden – zum Glück für unsere Kö- einige der ältesten Gebäude unseres Dorfes chinnen! beschrieben und bebildert. In der vorlie- Unsere alten Bauernhäuser stammen alle genden Ausgabe geben wir einen Blick frei aus dem 18./19. Jahrhundert. Der Bau ging ins Innenleben einiger dieser alten Bauern- einher mit dem Wandel in der Landwirt- häuser. Die «gute Stube», wie sie landläufig schaft und dem damit verbundenen Bau oft noch genannt wird, ist der wichtigste von befahrbaren Scheunen. Früher war die Raum im Wohnhaus. Sie ist mancherorts Küche der eigentliche Hauptraum des Bau- in ihrer alten Struktur erhalten geblieben. ernhauses, d.h. Koch-, Wohn- und hie und Die heimeligen Holztäfer haben nichts an da auch Schlafraum. Es war der einzige Wohnlichkeit eingebüsst und harmonieren Raum, der dank des Kochherdes «beheizt» mit der rustikalen Möblierung. Sie ist Auf- war. Die Küchen hatten meist nur kleine enthaltsraum für den Feierabend und die Fenster und einen gestampften Lehmbo- Sonn- und Festtage. Einzelne Bauernhäuser den, später Tonplättli. Mit dem Bau von Ka- verfügten gar über zwei Stuben: eine Ess- chelöfen auch in den ländlichen Regionen stube und eben die gute Stube. (Kachelofen Bürgisserhus 1811) richteten Manche Beriker Bauernstuben wurden in unsere Vorfahren einen weiteren beheizten den letzten Jahren von den neuen Wohn- Wohnraum ein – die gute Stube. Ein Ka- generationen umgebaut, neu eingerichtet chelofen brachte die wohlige Wärme nicht und den heutigen Lebensstandards ange- nur in die Stube, sondern meist auch ins passt. Das Gleiche trifft natürlich vor allem angrenzende «Stübli». Manchmal gelangte für die Küchen zu. Die Holzherde mit den mit einer verschliessbaren Öffnung in der

Die gute Stube milie versammelte. Der Begriff «Stube» Die Bezeichnung Stube stammt aus dem wird dank seines heimeligen Gefühls, das Mittelalter. Sie war das Hauptgemach im er weckt, für unzählige Räumlichkeiten Haus, mit einer Holztäferung, Holzdecke verwendet. Einige Beispiele: Schulstu- und -boden. Eine Fensterfront brachte be, Gaststube, Amtsstube, Backstube, Licht in die sonst meist dunklen Räume. Schreibstube, Ratsstube, Kaffeestube, so- Vor allem aber war die Stube warm, dank gar Brunnenstube usw. des Kachelofens und natürlich der warmen Und was sagten die Erwachsenen, wenn «Chouscht». Die Einrichtung beschränkte sie ein Thema diskutierten, das die anwe- sich auf einen grossen Tisch mit Stühlen, senden Kinder nicht hören sollten? «Ach- Wandkästen und einer Kommode. Es war tung, d Stube esch ned gwöscht!» der Raum, wo man ass, wo sich die Fa-

27 Decke über dem Ofen gar etwas Wärme ins Obergeschoss.

Im «Kellerheiri-Hus» Dieses Haus war bis in die 1950er-Jahre ein Doppelhaus mit zwei Stuben und zwei Kü- chen. Als die Kinderschar auf acht Personen anwuchs, hat Josef Keller seinerzeit das Haus leicht umgebaut, mit nur noch einer Küche «Kellerheiri-Hus»: Treppenaufgang. und Verbindungstüren zu Stube und Zim- mern. Vom grossen Vorplatz führt eine klei- ne Sandsteintreppe zur Eingangstüre. Sie gibt den Blick frei in den langen Gang, der zur Stubentüre führt. Links erblickt man die schöne alte Holztreppe, deren abgetretene Stufen erahnen lassen, wie viele Generati- onen hier schon auf- und abgegangen sind. Unter der Treppe findet sich ein Abstell- raum, gut mit kleinen Türchen abgeschirmt. So wird jeder Platz genutzt. Dahinter führt «Kellerheiri-Hus»: die gute Stube. eine Tür direkt in die Scheune. Rechts geht

«Kellerheiri-Hus»: Holzkochherd.

«Kellerheiri-Hus»: Sofa. «Kellerheiri-Hus»: Wandschrank.

28 Im «Kellerheiri-Hus»: Josef Keller auf der warmen Kachelofenbank. es zur Küche mit dem noch funktionstüch- aus der Kindheit in Erinnerung hat. Trotz der tigen Holzherd. Mit dieser Feuerstelle wird vielen Blumen vor den Fenstern ist die Stube auch die «Chouscht»in der Stube erwärmt. hell und freundlich. Man spürt, wie dieses Daneben befindet sich die grosse Eisentüre Haus mit Liebe gepflegt und erhalten wird. für das Beheizen des Kachelofens sowie die kleinen Öffnungen mit den Schiebern zur Das «Grosse Hus» Regulierung der Wärme im Heizraum, der Durch eine schöne Biedermeier-Eingangs- ja auch als Backofen dient. Über dem Herd türe kommt man in den kleinen Gang. gibt’s die «Durchreiche», d.h. die Öffnung, Rechts und links führt je eine alte Kassetten- um die gekochten Speisen von der Küche türe aus Tannenholz in die Zimmer. Auch in direkt in die Stube zu liefern. diesem Haus wohnten über viele Jahre zwei Die Stube hat seitlich Wandkästen. Sie sind Familien: Michael und Johann Georg Wel- aus hellem Tannenholz, wie auch die De- ti. All diese Räume sind noch unverändert cke, die Stubentüre und die Fenstersimse. vorhanden. Lediglich die Wand zwischen Sogar die beiden Schubladen unter dem Ka- den beiden Stuben sowie eine Küchenein- chelofen sind genau gleich gefertigt. Einzig richtung wurden entfernt. Die alten Holz- der Parkettboden ist neueren Datums. Die riemenböden sind in der Stube erhalten schönen passenden Möbel sind geblieben, geblieben. Die Deckenbalken wurden in samt dem prächtigen Lampenschirm. Die den 50er-Jahren Weiss «eingekleidet», weil Vorhänge an den Fenstern schmücken diese das dannzumal modern war. Robert Welti in eleganten leichten Bögen, wie man sie hat sie nun wieder hervorgeholt und neu

29 «Grosse Hus»: Treppenaufgang aus Holz.

Schreibtisch von Friedensrichter Johann Welti. «Grosse Hus»: Lampen von einst.

In der guten Stube im «Grosse Hus»: Robert Welti, Sohn Daniel Welti und Helen Welti.

30 gebeizt. Wände und Decken sind heute Weiss verputzt. Auffallend ist das merklich unterschiedliche Niveau zwischen den beiden «früheren» Hausteilen. Vor allem die Fenster im rechten Wohnteil gehen extrem tief hinunter. Es scheint, dass ein Hausteil zeitlich bedeu- tend früher erstellt wurde, also ein Anbau erfolgte. So ist die Küche mitten im Haus zwischen den beide Hausteilen, und jede Stube hat einen Kachelofen. Eine Stube diente dem langjährigen Gemeindeschrei- ber und späteren Friedensrichter Johann Welti immer als Büro. Sein urchig stilvoller Schreibtisch mit den dreizehn Schubladen steht heute noch an Ort und Stelle. Die alten Kachelöfen mussten schon vor vielen Jahren ersetzt werden. Aber all die schönen Lampen stammen noch von einst. Die massive alte Holztreppe, die in die obe- Sandsteintreppe zum Riegelhaus. ren Schlafräume führt, ist unüblich in der Mitte des Hauses plaziert. Wohl aus dem einzigartig im Dorf. Auch der folgende lan- Grund, weil sie von beiden Wohnpartien zu- ge Gang mit den Türen links, rechts und sammen benutzt wurde. Auffallend sind die hinten mit der – allerdings eher kleinen schön abgerundeten und mit einer kleinen – Treppe ins Obergeschoss bestätigt, dass Fase (verzierende Rille) versehenen Tritte. hier 1794 ein für die damalige Zeit herr- Dies zeigt, dass beim Bau dieses Gebäudes schaftliches Haus erstellt wurde. Auch die Wert auf etwas «noblere» Gestaltung gelegt Innenräume sind höher als in jener Zeit wurde. Auch die grossen Räumlichkeiten üblich. Das grosszügige Haus war seinerzeit lassen den Schluss zu, dass der Erbauer auch ein Grund, dass Ulrich Koch darin dieses Hauses wohlhabend war. Dies wird 1809 die erste Pinte im Dorf führen durfte. noch dadurch bestätigt, dass die äusseren Das Riegelhaus beinhaltet zwei Wohnungen. Eckpfeiler des Hauses schön verziert sind und die Giebelfront durch ein ausgespro- chen schöngestaltetes Klebedach geschützt ist.

Das Riegelhaus Die Grösse dieses Gebäudes lässt erahnen, dass auch der Wohnteil des Hauses entspre- chend grosszügig gestaltet ist. Bereits die markante Rundtreppe aus Sandstein zum Hauseingang sowie die mächtige Türe sind Treppenaufgang im Riegelhaus.

31 Links die grosse Wohnung mit Stube/Stübli, Küche und Abstellraum im Parterre und den Schlafzimmern im Obergeschoss. Und natürlich der grosse Estrich, worin heute z.T. weiterer Wohnraum geschaffen wurde. Die Zwischenwand zum Stübli hatte Alois Koch, Förster, schon seinerzeit entfernt, um Platz zu schaffen für die wachsende Familie. Das alte Wandtäfer sowie die Kassetten- decke wurden ebenfalls vor Jahren durch neue Holzverkleidungen ersetzt. Nach über 200 Jahren seien sie rissig und fast schwarz geworden. Das Gleiche geschah mit dem Fussboden, welcher nach dieser Zeit wirk- lich durchgelaufen war. Auffallend viel Platz nimmt der Küchenraum ein. Während in den damaligen Bauernhäusern die Küchen üblicherweise klein und fast fensterlos wa- ren, ist hier das Gegenteil der Fall. Die zweite, etwas kleinere Wohnung be- Riegelhaus: Zimmertüre aus Nussbaumholz. findet sich rechts des langen Ganges. Sie

Riegelhaus: Stubenbuffet aus Nussbaumholz.

32 Butzenscheiben im Riegelhaus. Riegelhaus: Krallentäfer. wurde jeweils von den Eltern bewohnt, mertüren aus dem gleichen Holz und den wenn links eine junge Familie einzog. Zwi- alten, handgeschmiedeten Beschlägen und schenzeitlich auch von den ledigen Ge- Türschlössern passen prächtig dazu. Das schwistern des Bauern, die auf dem Hofe über 200-jährige Holz hat einen fast gol- mitarbeiteten. Bemerkenswert auch hier denen Farbton entwickelt. In der modernen die Grösse der Stube und der beiden an- Küche erzählt die erhaltene alte Ofentür dern Zimmer. Sie sind, ausser den Böden, zum Beheizen des Kachelofens ihre eigene praktisch im Originalzustand erhalten ge- Geschichte. blieben. Die Wände sind mit Krallentäfer verkleidet, jedes Zimmer mit einer andern dezenten Farbe gestrichen. Alle Decken ha- ben Holzkassetten, ebenfalls hell bemalt. Die Fenster haben noch die wunderschö- nen Butzenscheiben. Sie wurden wieder in die neuen Fensterrahmen eingebaut, so dass sie wie original wirken und die Fenster trotzdem gut abdichten. Auffallend auch die tiefen Fenstersimse, die auf die soliden Aussenmauern hinweisen. Der alte Kachel- ofen trägt leider keine Jahreszahl, ist aber wohl so alt wie das Gebäude selber. Das prächtige Stubenbuffet aus Nussbaumholz trägt die Jahreszahl 1807. Die zwei Zim- Riegelhaus: die erhaltene alte Ofentür zum Beheizen des Kachelofens.

33 Erinnerungen an eine ­Legende: de Gehrig Sepp

Es ist nicht erstaunlich, dass sich bald ein sen gutem Zustand sein totaler Einsatz galt, Vierteljahrhundert nach seinem Tod noch und worauf er berechtigt stolz war. Hier fiel so viele ausnahmslos positiv an ihn erin- aber auch Schwerstarbeit an. Die Gräber nern. Die Rede ist vom allseits geschätzten mussten von Hand ausgehoben werden. Beriker Bauamtsarbeiter Seppi Gehrig. ­Diese Erst später wurde diese Arbeit von einem einmalige Wertschätzung und Beliebtheit, Baggerunternehmer übernommen. Dafür die bei allen, die ihn kannten, noch heute durfte Sepp bei Bestattungen etwas im Mit- vorhanden ist, hat seinen Ursprung in der telpunkt stehen, wenn er die Trauergemein- ausserordentlichen Hilfsbereitschaft, in der de diskret gestikulierend einwies. grossen Schaffenskraft, in seiner Liebe zu Beispiellos auch sein Einsatz auf der Müll- seinem Dorf Berikon und auch in seinem abfuhr. Immer in Bewegung mit dem Ziel, frohen, herzlichen Wesen. diese wöchentliche Arbeit in kurzer Zeit Anfang August 1931 geboren, wuchs Sepp zu erledigen, ungeachtet der oftmals gros- in bescheidenen Verhältnissen auf. Seine sen Kehrichtmengen. Ein Ausruhen gab es Kinder- und Jugendjahre waren geprägt nicht. Speziell war sein Einsatz im Unterhalt von harter Arbeit auf dem kleinen Bau- des Abwassersystems. Ausgerüstet mit Stie- ernhof seines Vaters, der viel vom kleinen feln und Taschenlampe stieg er als kleiner Buben verlangte. Schon vor Schulbeginn Mann selber in Schächte und grosskalibrige musste er Stallarbeiten erledigen, und nach Leitungen. der Schule blieb keine Verschnaufpause. Für viele der Aufgaben und Arbeiten stand Auch zum Spielen blieb keine Zeit, und die ihm ein Einachser mit Anhänger zur Verfü- Schulaufgaben konnte er erst spätabends gung. Seppi und sein Rapid, ein Bild, das erledigen. Kein Wunder, dass ihm dann aus dem Dorf nicht wegzudenken war. Mit sprichwörtlich «die Augen zufielen». Mög- dem Rapid pflügte er im Winter die Trot- lich, dass er durch die Herzlichkeit seiner toirs und Fusswege. Da war es sein Ehrgeiz, Pflegemutter trotz allem zu einer Frohnatur die Fussgängerverbindungen in aller Mor- wurde. genfrühe schneebefreit zu halten. Weil der Nach der Schule arbeitete er als Lagerist, Wetterbericht noch nicht auf dem Internet unter anderem mehrere Jahre in der Ra- abrufbar war, musste Sepp in der Nacht pid Dietikon. Mit der Anstellung als erster oft mehrmals aus den Federn, um sich der Bauamtsarbeiter der Gemeinde Berikon im aktuellen Wettersituation zu vergewissern. Dezember 1965 begann der persönliche Sprichwörtlich war seine Hilfsbereitschaft. Aufstieg von Gehrig Sepp. Er war zustän- Wann immer ein Verein ihn brauchte, be- dig für alles: Strassenunterhalt, Schneeräu- sonders am Grill, konnte er nicht Nein sa- mung, Kehrichtabfuhr, Abwasserpump- gen. In jungen Jahren trat er zusammen werk, Totengräber. Mit viel Liebe besorgte mit seinen Cousins Eugen und Alois dem er den Unterhalt auf dem Gottesacker, des- Turnverein bei. An manchen Turnfesten

34 zeigte er sein Können als Sektionsturner bewusst und mit Ernsthaftigkeit erfüllte er am Barren und bei den Marsch- und Frei­ diese Aufgabe. An den Gemeindeversamm- übungen. Auch an Turnerreisen fehlte Seppi lungen fehlte er nie, hat ab und zu selber nie. Er war es, der immer für gute Stim- das Wort ergriffen und mit seinen Voten den mung sorgte. Legendär auch seine Auftritte Abstimmungsentscheid beeinflusst. als Theaterspieler, einmal in einer Rolle, in Sein ganzer Stolz war seine Familie, Ehefrau welcher er in einem «Scheesewage» auf die Margrit, die heute in der Burkertsmatt lebt, Bühne kam. die Töchter Beatrice und Verena sowie die Von 1965 bis 1994 war er mit grosser Freu- Söhne Josef und Markus. 1970 erfüllte er de Mitglied und Ehrenmitglied im Kirchen- sich seinen Lebenstraum. An der Friedlis- chor. Er verstärkte diesen mit seiner schönen bergstrasse konnte er ein Eigenheim er- zweiten Bassstimme. In den Reihen der Ver- werben. einskolleginnen und -kollegen lebte er bei Mag sein, dass er zu seiner Gesundheit et- einem Glas Wein oder Bier gerne seine Ge- was wenig Sorge getragen hat. Schon vor mütlichkeit aus. Auch nach dem Feierabend Erreichen des 60. Altersjahres konnte er kein genoss er im Kreise von Kollegen hie und volles Arbeitspensum mehr ausüben. Leider da einen Umtrunk. In den Arbeitspausen ist Sepp Gehrig schon Mitte Juli 1994, erst lehnte er Alkohol aber strikte ab. 63-jährig, gestorben. «Er war ein Mensch, Er war nicht nur Angestellter der Gemeinde, dem Geben wichtiger war als Nehmen. sondern hat sich auch viele Jahre als Stim- Wenn man ihn brauchte, war er einfach menzähler zur Verfügung gestellt. Pflicht- da.» So steht es in einem seiner Nekrologe.

Erster Bauamtsarbeiter der Gemeinde Berikon: Sepp Gehrig auf dem Rapid.

35 Kirchliches Brauchtum: der Palmsonntag

Die Traditionen des Palmsonntags gehen Stechpalmen, Buchs, Thuja usw. die Feier- bekanntlich auf den Einzug Jesu in Jerusa- lichkeiten. Statt «Palmen» kommen junge lem auf einem Esel zurück. Das Volk legte Tannenbäume zur Ehre. vor Jesus Tücher und Palmzweige auf den Äpfel sind der wichtigste Bestandteil dieser Weg. Palmen galten zu jener Zeit als heilige Tradition. Sie sind das Symbol für Leben. Sie Bäume. Der «Palmsonntag» dürfte so zu werden zusammen mit Stechpalmenblät- seinem Namen gekommen sein. tern auf Drahtringe gezogen. Diese Ringe In unseren Breitengraden standen nie Palm- bedeuten Verbundenheit und Ewigkeit. Die wedel zur Verfügung. Stattdessen verschö- oben verbleibende Tannenkrone wird mit nern bei uns immergrüne Gewächse wie Röschen aus Krepppapier verziert.

Palmenweihe mit 21 Palmen auf dem Friedhof.

36 Der Name «Stechpalme» ist auf deren Ver- wendung am Palmsonntag zurückzufüh- ren. Die Stechpalme wächst nur in Lagen ab etwa 500 m ü.M. Deshalb müssen die jungen Burschen aus dem Reusstal immer in unseren Wäldern ihre Stechpalmen ernten. Das führte früher oft zu handfesten Raufe- reien um die «Besitzerrechte» in unserem Wald. Die Tradition ist auch dank Jungwacht und Die Äpfel sind das Symbol für Leben, die Blauring in unserer Gemeinde erhalten ge- Ringe bedeuten Verbundenheit und Ewigkeit. blieben. Die Leiter dieser beiden Jugend- hat – auch wenn dann infolge des Ge- organisationen helfen mit, die benötigten wichtes väterliche Unterstützung beim Tra- Materialien für den Palmenbau der Knaben gen nötig ist … und das Schmücken der Körbchen für die Tradition bleibt auch, den Nachbarn einen Mädchen zu beschaffen. Dazu kommt die Apfel sowie Zweige der gesegneten Palmen Hilfeleistung bei der Konstruktion der Pal- und Körbe zu schenken. Ein Zweig wird men. dann hinter das Kruzifix in der Wohnung Seit einigen Jahren dürfen auch Mädchen gesteckt zum Schutze von Haus und Hof. Palmen tragen. Noch heute spielt der ehr- Bei den Bauern hat früher auch jede Kuh geizige Kampf, wer den grössten Palmen jeweils einen Apfelschnitz erhalten.

Palmsonntags-Gottesdienst.

37 Adventsfenster in der Chörenmatt

Die Adventsfenster haben im Jahr 2008 zum Spitze, 24 Fenster waren geschmückt und ersten Mal in der Chörenmatt geleuchtet. beleuchtet.» Die Vorstandsmitglieder des Quartierver- «Gestartet wird meist Ende Oktober. Den eins fanden damals die Idee von Claudine Anfang machen die Vereinsmitglieder am Willen sofort schön, im Quartier Advents- Fondue-Abend. Ich biete ihnen einen Ka- fenster zu gestalten. So wurde der Plan an lender an, wo sich jedes einen Tag, respek- der GV vorgestellt und mit Begeisterung tive einen Abend aussucht und reserviert ins Jahresprogramm aufgenommen. Jetzt (mit oder ohne Umtrunk). Diese ‹Buchung› sind das schon 10 Jahre her – man kann es übertrage ich in den vorbereiteten doo- kaum glauben! dle. Dann wird ein Flyer im Quartier an Claudine Willen schreibt dazu: «Seit da- die EW-Kästen geklebt, in Treppenhäusern mals mache ich die alljährliche Planung, aufgehängt und in manchen Briefkasten ge- alles andere wird von den Teilnehmern legt. Ende November erstelle ich dann den erarbeitet. Ab und zu ging es nicht ohne genauen Adventskalender und alle Teilneh- meinen zusätzlichen ‹Schupf›. Mittlerweile mer bekommen ein Exemplar, gerollt ‹mit melden sich nun zu meiner grossen Freude Mäscheli drum herum› in ihr Heim geliefert. die Bewohner selbstständig an. Es kommen Natürlich ist der Kalender auch auf unserer auch immer wieder neue Familien dazu. Webseite zu finden». In den Anfangsjahren waren zwischen 13 Jedes Fenster darf individuell gestaltet wer- und 18 Fenster beleuchtet. 2011 konn- den. Die Phantasie kennt keine Grenzen. ten 22 Fenster bestaunt werden, 2016 und Das Ziel ist, möglichst jeden Tag ein Fenster 2017 dann 21 und 20. Das Jahr 2014 war zum Leuchten zu bringen. Wie die Fens­ ter geschmückt sind, das ist jedem selber überlassen. Ob das ein leuchtender Stern ist, ein Scherenschnitt oder ob eine weih- nachtliche Szene gemalt wird – jedes macht es nach seiner Begabung. Oft sind es auch die Kinder, die malen dürfen. Es ist immer wieder phantastisch zu sehen, wie viele Talente es im Quartier gibt. Die Fenster sollten vom gewählten Tag an jeden Tag von 17/18 Uhr bis ca. 22 Uhr beleuchtet sein. Dies sollte bis mindestens bis zum 21. Dezember, noch besser bis am 25./26. Dezember geschehen. Denn oft sieht man in den freien und ruhigen Weih- nachtstagen Familien mit einem Besuch

38 Gesellige Treffen finden dort statt, wo die Künstler einen Umtrunk (z.B. Glühwein und Lebkuchen) offerieren. Alle vom Quartier sind eingeladen, daran teilzunehmen. Es ist nicht entscheidend, ob ein Fenster gemacht wurde oder nicht. Wichtig ist es, Gesellig- keit und Gemeinschaft im Quartier zu pfle- gen. Es ist spannend und immer wieder lus­ tig, sich auch mal mitten in der Woche kurz zu treffen, ein bisschen zu plaudern und miteinander einen Glühwein zu trinken. Jede Familie bringt ihre Ressourcen so ein, wie sie es möchte. Auch der Umtrunk, der nach dem Rundgang am 21. Dezember besinnlich durch‘s Quartier spazieren, um stattfindet, wird von der Gemeinschaft ge- sich noch einmal am adventlichen Licht zu tragen. Wer mag, meldet sich und bereitet erfreuen. einen kleinen Snack vor. Alles wird am Treff- Als krönender Abschluss wird ein Rundgang punkt zusammengetragen und gemeinsam für den 21. Dezember zusammengestellt. genossen. Begleitet von Fackeln oder Laternen spazie- Einen schöneren Start in die Weihnachts- ren die Interessierten den Fenstern entlang, tage kann es wohl nicht geben, als einen staunen und fragen sich, wie sie entstanden Moment so entspannt und friedlich zusam- sind. Oder «Künstlerin und Künstler» geben men zu sein! gar von sich aus Auskunft über die leitende Idee und die Technik. Dieser Rundgang gilt als Wertschätzung für alle, welche die Zeit und den Aufwand auf sich nehmen, Licht und Freude ins Quartier zu bringen. Die Gruppe ist dabei etwa eine halbe Stunde unterwegs. Am Ende warten ein Becher Glühwein oder ein Punsch.

39 Gewerbe im Dorf: Schmied Meier

1926 kam Gottlieb Meier von Beinwil im zu Beginn des 2. Weltkrieges 1939 verkaufte Freiamt mit seiner Familie nach Berikon. er nahezu 20 Meier-Traktoren. Das Chassis Er kaufte die alte Schmiede von Saxer, am und die Kühlerfront bestanden je aus einem Rummelbach in Oberberikon gelegen, un- Gussstück. Auch die Felgen und andere Teile terhalb des Restaurants Stalden. Mit seiner wurden in Zusammenarbeit mit der Giesse- Frau und den drei Söhnen Gottlieb (1922), rei Rupperswil hergestellt. Als Antriebsquel- Hans (1922) und Ernst (1924) wohnte er le verwendete Gottlieb Meier vorwiegend im nahegelegenen Haus von Wilhelm Welti. Ford-A- und -B-Motoren und -Getriebe. Um 1942 konnte er von der Familie Nuss- Wegen immer grösserer Rohstoffknappheit baumer das an der Ecke Oberwilerstrasse/ als Folge der Kriegsjahre entschloss er sich Friedlisbergstrasse gelegene Bauernhaus 1942, die Produktion einzustellen. Nur der erwerben, ebenso etwas Landwirtschafts- Prototyp verliess während dieser Zeit noch land auf der gegenüberliegenden Strassen- die Werkstatt. seite, den Staldenacker. Anfangs der 1940er-Jahre verliess der äl- Pionier im Pneuwagenbau teste Sohn Gottlieb seine Familie und zog Zur Landesausstellung 1939 in Zürich kon- nach Pratteln, wo er später Postverwalter struierte Gottlieb Meier zusammen mit dem wurde. Hans und Ernst engagierten sich befreundeten Beriker Wagner Josef Welti im elterlichen Betrieb. 1945 baute Vater den ersten Pneuwagen. Gottlieb Meier kon- Gottlieb Meier zusammen mit seinen zwei struierte die Achsen mit den Pneurädern, Söhnen ein neues Haus mit einem Raum für Wagner Welti war verantwortlich für den die «Schmitte» und abgetrennt die Werk- Wagenbau. Die Ausstellung eines Prototyps statt mit den Maschinen. Darüber baute er war erfolgreich und brachte einige Aufträ- eine Wohnung für die Familie. Bald darauf ge. Sie erstellten etwa zehn Pneuwagen, starb er. welche grösstenteils nach Steinmaur ZH verkauft wurden. Der grösste Erfolg der Vom Schmied zum Traktorenbauer Nebst den üblichen Reparaturen, die nur für ein spärliches Einkommen sorgten, machte sich der tüchtige, technisch begabte Schmied Gedanken zur Zukunft. Die sich anbahnende Mechanisierung in der Land- wirtschaft und der Wunsch fortschrittlicher Landwirte, einen Traktor anzuschaffen, be- wogen ihn, einen solchen in seiner Werk- statt herzustellen. Mitte der 1930er-Jahre baute er seinen ersten «Meier-Traktor». Bis Franz Morgenegg auf seinem Meier-Traktor.

40 Vom Holz- auf Pneuräder umgebauter Wagen. beiden Pneuwagenbauer bestand jedoch zwar von Ford, Chrysler und Mägerle. Ende darin, die bestehenden Wagen der Bauern des 2. Weltkrieges konnten die Gebr. Meier mit den alten Holzrädern auf Pneuwagen grössere Posten Achsen und Motoren aus umzurüsten. Der Wagner erstellte das neue Armeebeständen in Deutschland erwerben. Untergestell und der Schmied baute die Ein 4-Gang-Getriebe übertrug die Kraft neue Achse mit den Pneus ein. So kamen durch einen Ritzelantrieb auf die Hinterrä- die Bauern mit wenig Geld zu modernen der. Dank der serienmässigen Differential- Fuhrwerken. sperre entsprach der Traktor den damaligen An der Landi in Zürich 1939 entdeckte Bedürfnissen. Gegen Mehrpreis waren ein Gottlieb Meier eine neuartige mechanische Zapfwellenantrieb, ein Mähapparat sowie Bindevorrichtung. Er kaufte diese und kon- eine Motoregge erhältlich. Bis Ende der struierte damit eine Strohpresse, welche die Vierzigerjahre wurden etwa zwanzig Stück fertig gepressten Ballen selber binden konn- dieses Typs ausgeliefert. Somit betrug die te. Mit seiner Innovation hatte er grossen Gesamtproduktion der Traktoren aus Be- Erfolg. Er konnte diese weit über die Lan- rikon ungefähr vierzig Stück. Beim Trakto- desgrenze hinaus gut verkaufen, so nach renbau wurde Hans Meier vom gewitzten Frankreich und Holland. Für den grossen und ideenreichen Techniker Rüegger unter- Durchbruch, eine Industrie aufzubauen, reichte es aber doch nicht.

Der Beriko-Traktor Allmählich übernahmen Hans und Ernst Meier das Geschäft ihres Vaters und be- fassten sich erneut mit der Traktorenfabri- kation. Hans entwickelte neue Techniken, Ernst besorgte das Büro. Der «Beriko-Trak- tor», wie die neue Serie hiess, wurde mit verschiedenen Motoren angeboten, und Beriko-Traktor.

41 tätig, und Max Ackermann absolvierte von Der Traktor hatte seine Macken. Meier 1946–1950 seine 4-jährige Lehrzeit als Me- wurde auch mal gefragt, ob er wohl eine chaniker. Laderampe konstruieren könnte, hinten Der Wochenlohn betrug damals 30 Franken an den Traktor? Warum denn das, war und das Mittagessen beim Arbeitgeber, der die Frage Meiers? Ja, damit der Fahrer Stundenlohn für einen Techniker Fr. 1.20. immer sein Fahrrad mitnehmen könnte Wie es auch andere Handwerker im Dorf für den Notfall, sollte der Traktor wieder erlebten, war in diesen Jahrzehnten die Zah- stehen bleiben! lungsmoral oft sehr schlecht. Es brauchte Auch Frauen fuhren Traktor. So erzählte manchmal viel Geduld und auch etwas die bald 94-jährige Frieda Groth, dass Glück, dass alle Rechnungen bezahlt wur- ihr Beriko-Traktor einmal «s’Männli» den. machte, d.h. sich vorne aufstellte. Sie Als die Unterdorfstrasse 1964/65 erneuert verstand überhaupt nicht, warum dies und asphaltiert wurde, bekam die Firma geschehen konnte, war doch überhaupt Meier von der Gemeinde Berikon den kein Hindernis zu sehen. Auftrag, die Wasserleitungen zu verlegen. Dazu hatte Hans Meier extra den tüch- stützt und beraten. In Berikon hatten Kaspar tigen Berufsmann Tobler aus Rossberg TG Groth, Josef Welti und Rudolf Bürki einen eingestellt. Beriko-Traktor. Bedingt durch die Konkurrenz grosser Trak- Kunststoffrohre torenhersteller, wie z.B. Meili «Traktoren- Nachdem der traditionelle Werkstattbe- bau», beschloss die Firma G. Meier’s Erben trieb immer mehr an Bedeutung verlor, Mitte der 1950er-Jahre, den Traktorenbau fand der innovative Unternehmer ein neues einzustellen. Tätigkeitsgebiet. Er erkannte das Potenzial Um 1950 verheiratete sich Ernst Meier und der Kunststoffbranche. Er räumte die alte trennte sich vom Familienbetrieb. Hans Werkstatthalle, verkaufte die Maschinen führte das Geschäft von nun an alleine und Werkzeuge und schaffte einen Extruder weiter. an, um Plastikrohre in allen Grössen, Farben und Formen herzustellen. Mechanische Werkstatt Das für den Betrieb nicht benötigte Land- Nebst den Schmiedearbeiten wurden nun wirtschaftsland wurde mit den Jahren über- die verschiedensten mechanischen Ar- baut. Als Hans Meier altershalber seinen beiten sowie Autoreparaturen ausgeführt. Beruf aufgab, vermietete er die ehema- Tüchtige Berufsleute übernahmen diese lige Werkstatt dem Bettwarenfabrikanten Arbeiten. Zu den langjährigen Arbeitern Gutjahr und später den Gebrüdern Fröhli gehörten unter anderem Techniker und von Rudolfstetten, welche in den Räum- gelernte Auto­mechaniker wie zum Beispiel lichkeiten erfolgreich einen Getränkeshop Reinhard Karpf von Bellikon, der später betrieben. Dieser wurde in der Folge von Postautochauffeur wurde. Weitere noch der Firma Schüwo Wohlen übernommen. bekannte Namen sind Wendel und Oswald Heute erinnert sich kaum jemand noch an Peterhans. Auch Kurt Berger von Oberbe- die ehemalige «Schmitte» und die Trakto- rikon war für kurze Zeit in diesem Betrieb renfabrik.

42 Anno dazumal … 1918

1891 gründeten einige Blasmusikmusik be- geisterte Männer vom Dorf den Musikverein «Harmonie» Berikon. 1916 hätte der Ver- ein gerne das 25-jährige Bestehen gefeiert. Gleichzeitig wünschten sich die Musikanten auch die Anschaffung einer neuen Vereins- fahne. Doch wegen des 1. Weltkrieges, der auch die schweizerische Bevölkerung sehr belas­tete, wurde dieser Anlass verschoben.

Jubiläumsfeier und Fahnenweihe des Musikvereins Harmonie Sonntag, 14. Juli 1918. Obwohl ein solches Fest nicht in die Kriegszeit passt, wird im Frühling 1918, dem vierten Kriegsjahr, eif- rig geplant und ein Organisationskomitee gegründet. Präsident ist Jakob Angstmann, Vizeammann. Als Fahnenpaten können Herr Abt vom «Marienhof» und Fräulein Heer vom Schloss Bellikon gewonnen wer- den. Beide nehmen dieses Ehrenamt mit Freude an. Das neue Banner wird von der Firma Fraefel, St. Gallen, zum Preis von Fr. 330.– hergestellt. tigen Obstgartens, dient als Festgelände. Ein grosses, zentral gelegenes Grundstück Hier wird die grosse, komfortable Festhütte auf der Staldenhöhe, inmitten eines präch- aufgestellt. Jung und Alt beteiligen sich bei den vielseitigen Vorbereitungsarbeiten zum grossen Fest. Um das ganze Dorf festlich zu schmücken, kränzeln fleissige Hände im- mergrüne Girlanden. Unter der Direktion von Herrn Ed. Kuhn hatte sich die Musikgesellschaft zu einem strammen Musikcorps entwickelt, das sich an Zahl und Leistungen überall sehen lassen durfte. Am Sonntag vor dem 14. Juli wird die Festhütte erstmals genutzt. Zusammen mit Der Musikverein vor dem Restaurant Stalden. der Musikgesellschaft «Harmonie Höngg»

43 bietet sie dem Publikum unter dem gemein- samen Direktor ein tadelloses Doppelkon- zert. Der Kirchenchor, unter seinem neuen Dirigenten Herr Oberlehrer Bopp, reüssiert mit einigen wohlklingenden, harmonisch vorzüglich angeglichenen Liedervorträgen.

Das grosse Festprogramm «Kommt dann herbei, Ihr Freunde des Festes – Berikon bietet Euch sein Bestes! St. Petrus liess noch telephonieren, Frau Die Ehrendamen an der Fahnenweihe. Sonne werde prompt aufmarschieren!»

Titelbild Haube der Freiämter Festtagstracht Satz und Gestaltung: Albin Koller Druck: Schumacher Druckerei AG Auflage: 900 Exemplare 13. Ausgabe

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