Refeudalisierung Und Rechtsruck
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Olaf Kaltmeier Refeudalisierung und Rechtsruck BiUP General Olaf Kaltmeier, geb. 1970, ist Professor für Iberoamerikanische Geschichte an der Universität Bielefeld und Direktor des Maria Sibylla Merian Center for Advanced Latin American Studies (CALAS) in Guadalajara mit Regionalstandorten in Bue- nos Aires, Quito und San Jos de Costa Rica. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Latein- und inter-amerikanische Geschichte, Soziale Bewegungen, Ethnizität im historischen Wandel, Umweltgeschichte sowie Macht- und Herrschaftskonstella- tionen im Kontext der Globalisierung. Olaf Kaltmeier Refeudalisierung und Rechtsruck Soziale Ungleichheit und politische Kultur in Lateinamerika We acknowledge support for the Article Processing Charge by the Open Access Publication Fund of Bielefeld University. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NoDerivatives 4.0 Lizenz (BY-ND). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Ur- hebers die Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell, gestattet aber keine Bearbeitung. (Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/deed.de) Um Genehmigungen für Adaptionen, Übersetzungen oder Derivate einzuholen, wenden Sie sich bitte an [email protected] Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenan- gabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber. © 2020 Bielefeld University Press An Imprint of transcript Verlag http://www.bielefeld-university-press.de/ Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4830-0 PDF-ISBN 978-3-8394-4830-4 https://doi.org/10.14361/9783839448304 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download Inhalt 1. Globale Refeudalisierung oder lateinamerikanische »Feudal-Manie«?..................................9 2. Das eine Prozent und die Refeudalisierung der Sozialstruktur ........ 23 2.1 Refeudalisierung der Sozialstruktur in Lateinamerika.......................... 27 2.2 Die Geldaristokratie in Lateinamerika............................................... 37 2.3 Von der Klasse zum Stand.............................................................. 46 3. Die Refeudalisierung der Ökonomie .................................. 57 3.1 Grundherrschaft und Extraktivismus................................................ 58 3.2 Die neuen Raubritter..................................................................... 70 3.3 Raub durch Unterlassen: Von Panama ins Paradies............................. 73 4. Konsum-Identitäten: Zwischen Luxus und neuer Schuldknechtschaft ............................................. 81 4.1 Konsum, Luxus und Prestige .......................................................... 87 4.2 Eine neue Schuldknechtschaft........................................................ 92 5. Von Zitadellen, Festungen und Mauern ................................ 97 5.1 Burgen in der Stadt ...................................................................... 99 5.2 Von der Gentrifizierung zum retro-kolonialen Archipel........................ 108 6. Millionäre an die Macht ............................................... 115 6.1 »The body of money«.................................................................. 123 6.2 Identitätspolitik: Angst – Gewalt – Rache ......................................... 127 7. Von der Refeudalisierung zum neuen Kommunismus? ................139 8. Literatur .............................................................. 147 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Linksregierungen in Lateinamerika, 1995- 2018 ......................... 33 Abbildung 2: Milliardäre in Lateinamerika und der Karibik, 2014 und 2013........ 35 Abbildung 3: Millionäre in sieben lateinamerikanischen Ländern, 2014............ 36 Abbildung 4: Weltweite Morde an Umweltschützern, 2016 ............................ 65 Abbildung 5: Kirche Santa María Reina de la Familia in der Stadt Cayalá, Guatemala......................................................................................... 104 Abbildung 6: Modell des San Luís Shopping Center, Quito. .......................... 105 Abbildung 7: Anteil von Frauen in lateinamerikanischen Parlamenten, 1980- 2010. ............................................................................................... 128 1. Globale Refeudalisierung oder lateinamerikanische »Feudal-Manie«? In den letzten Dekaden war die kleine Silbe »post« das unabdingbare Präfix für die Zeitdiagnostik. Der Boom des »post« reicht von der post- industriellen Gesellschaft über das Ende der großen Erzählungen der Moderne in der Postmoderne bis hin zu Theorieansätzen des Poststruk- turalismus, des Postfeminismus und des Postkolonialismus. Trotz aller Differenzen ist diesen »post«-Ansätzen eine paradoxe Grundkonstella- tion gemein. Einerseits verweisen sie auf einen krisenhaften Umbruch der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung, die nicht mehr in den herkömmlichen Begriffen und Theorien verstanden werden kann. Diese Krise ist so tiefgehend, dass von einem veritablen Epochenum- bruch gesprochen werden kann. Das Ende der Moderne ist eingeläutet, ohne dass bislang die genauen Umrisse einer nachfolgenden Epoche gezeichnet werden können. Trotz dieser Unklarheit, verweist das tem- porale Präfix »post«, andererseits, auf einen zukünftigen Erwartungs- horizont hin und enthält implizit ein utopisches Versprechen der Zu- kunft. Es verweist auf etwas, was danach kommt, das noch im Werden begriffen ist. Eine besondere, durchaus optimistische Konjunktur von »post«- Ansätzen hat es in den 1990er und 2000er Jahren in Lateinamerika gegeben. Mit der Demokratisierungswelle der 1990er Jahre sind die Militärdiktaturen und autoritären System weggefegt worden. Gleich- zeitig sind, beispielsweise mit den indigenen Bewegungen, neue soziale Akteure aufgestiegen, die postkoloniale Ansätze in Richtung plurikultureller Anerkennung bis hin zu gesellschaftlicher Dekoloniali- 10 Refeudalisierung und Rechtsruck sierung vorangetrieben haben. Ende der 1990er Jahre kam es zu einer bemerkenswerten Welle von Linksregierungen in der Region, die mit post-neoliberalen Wirtschaftsmodellen dem Neoliberalismus in Rein- form ein Ende setzten. Mit hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten, demokratisch gefestigten Regimen und einer umfassenden Inklusi- onspolitik wurde die herkömmlich als krisenhaft verschriene Region in Mitten globaler Krisenzeiten (EU-Krise, US-Immobilienkrise) zu einem bemerkenswert stabilen Referenzpunkt. Mit dem Ende der Mitte-Linksregierungen in Brasilien (2016), Argentinien (2015), Chile (2010 und 2018), Bolivien (2019), dem Rechts- rutsch in Ecuador (2017) und der politischen Krise in Venezuela und Nicaragua ist diese Phase in den unlängst angebrochenen 2020er Jahren beendet. Der Demokratisierungsschub der letzten Dekaden ist von einem neuen Autoritarismus überrollt worden. Wenngleich der peronistische Wahlerfolg von Alberto Fernández in Argentinien 2019, die Wahl von Andrés Manuel López Obrador 2018 in Mexiko sowie der aufgrund massiver Straßenproteste 2019/2020 in Chile angekündigte Prozess einer neuen Verfassung durchaus auch auf eine Persistenz postneoliberaler Politikansätze verweisen. Hiermit wird deutlich, dass trotz der regionalen lateinamerikanischen Konjunktur national und lokal sehr unterschiedliche Dynamiken festzustellen sind, die hier so weit wie möglich berücksichtigt werden sollen, die aber nicht extensiv ausgeführt werden können. Zentrales Anliegen dieses Buches aber ist es, den in den verschiedensten gesellschaftlichen Feldern – und nicht nur in der Politik – festzustellenden konservativer Backlash näher zu analysieren. Dieser regionale Trend kann zudem durch- aus mit globalen Tendenzen wie dem Aufstieg von Donald Trump in den USA sowie dem Rechtspopulismus in großen Teilen Europas in einen breiteren Kontext gestellt werden kann. Mit zweifelhaften, undemokratischen Regimewechseln in Brasilien, Paraguay, Hondu- ras und zuletzt Bolivien, sinkenden Wirtschaftswachstumsraten bei gleichzeitiger steigender sozialer Polarisierung, der ökologischen Krise extraktivistischer Wirtschaftsmodelle und aufkommender politisch- kultureller Strömungen die auf Whiteness und Kolonialität beruhen, sei der aktuelle krisenhafte Umbruch hier nur kurz angedeutet. 1 Globale Refeudalisierung oder lateinamerikanische »Feudal-Manie«? 11 Besonders dramatisch ist in diesem Panorama die Machtkonzen- tration in den Händen einer kleinen gesellschaftlichen Gruppe, die sich sozio-ökonomisch und auch kulturell immer weiter von der Mehrheits- gesellschaft absondert und gleichzeitig zunehmend ökonomische und politische Schaltstellen besetzt. Diese Gruppe, die in den lateinamerika- nischen Gesellschaften ein bis maximal zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht, soll hier im Folgenden als Geldaristokratie bezeichnet wer- den. Die Wahl dieser Bezeichnung aus dem semantischen Feld von Feu- dalismus schließt an Beobachtungen