Aus dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Friedrich - Alexander - Universität Erlangen - Nürnberg Direktorin: Prof. Dr. phil. Dr. med. habil. R. Wittern - Sterzel

Isidor Rosenthal (1836 - 1915)

Forscher – Arzt – Politiker

Ein bedeutender Physio loge zwischen Emanzipation und Antisemitismus im 19. Jahrhundert

Inaugural - Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Medizinischen Fakultät der Friedrich - Alexander - Universität Erlangen - Nürnberg

vorgelegt von

Marco Ritter List auf Sylt, 2005

Gedruckt mit Erlaubnis der Medizinischen Fakultät der Universität Erlangen - Nürnberg

1

Dekan: Prof. Dr. med. Martin Röllinghoff Referent: Prof. Dr. phil. Dr. med. Renate Wittern - Sterzel Korreferent: Prof. Dr. med. Dr. h. c. Hermann O. H andwerker

Tag der mündlichen Prüfung: 8. Februar 2006

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Meinen lieben Eltern Winfried und Angelika Ritter

3 Marco Ritter

Isidor Rosenthal (1836 – 1915)

4 Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...... 9

Einleitung ...... 11

Leben und Werk Isidor R osenthals ...... 17

1. Rosenthals Wurzeln ...... 17 1.1. Kurze Einführung in die Geschichte Polens ...... 17 1.2. Rosenthals Heimat: Der Regierungsbezirk Bromberg ...... 2 6 1.3. Das Judentum in der Provinz Posen ...... 32

2. Die Berliner Jahre ...... 41 2.1. Einführung in die Geschichte der Stadt Berlin ...... 41 2.2. Die Juden in Berlin ...... 47

2.3. Rosenthals Entwicklung zum Arzt und Naturforscher ...... 54 2.3.1. Das Medizinstudium ...... 54 2.3.2. Die Entwicklung der Physiologie an der Friedrich - Wilhelm - Universität ...... 65 2.3.3. Weltanschauliche Wirkungen Emil Du Bois - Reymonds auf Isidor Rosenthal ...... 76 2.3.4. Rosenthals akademische Laufbahn am physiologischen Institut ...... 85

2.4. Rosenthals Wohnorte in Berlin ...... 94 2.4.1. Die Polnische Apotheke in der Friedrichstraße: Berlin Mitte ...... 94 2.4.2. Blumes Hof: Tiergarten ...... 97

2.5. Die Berliner Forschungen ...... 99 2.5.1. Die Elektrophysiologie ...... 103 2.5.2. Die Atmungsphysiologie ...... 108 2.5.3. Verschiedene Fragestellungen und Vortragstätigkeit ...... 116

2.6. Berliner wissenschaftliche Gesellschaften und ärztliche Vereine ...... 118 2.6.1. Der Physiologische Verein ...... 120 2.6.2. Die Berliner Medizinische Gesellschaft ...... 123

5 2.6. 3. Die Deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege ...... 124 2.6.4. Die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte ...... 128

2.7. Gesellschaftliche Kreise Rosenthals ...... 131 2.7.1. Das Deutsche Gewerbemuseum ...... 132 2.7.2. Der Berliner Salon ...... 134

2.8. Der Soldat Rosenthal ...... 138

3. Die Erlanger Jahre ...... 154 3.1. Geschichte der Stadt Erlangen ...... 154 3.2. Die Berufung zum ordentlichen Professor ...... 159 3.3. Die Entwicklung der Physiologie an der Friedrich - Alexa nder - Universität ...... 167

3.4. Rosenthals Wohnungen in Erlangen ...... 176 3.4.1. Das Richthaus am Holzmarkt ...... 176 3.4.2. Die Enke´sche Villa auf dem Burgberg ...... 177

3.5. Forschung und Lehre ...... 181 3.5.1. Der Physiologe ...... 181 3.5.1.1. Die Entwicklung der Tablettenpresse ...... 182 3.5.1.2. Die Enzymforschung ...... 184 3.5.1.3. Die Reflexforschung ...... 187 3.5.1.4. Die Kalorimetrie ...... 189 3.5.1.5. Verschiedene Forschungen ...... 205 3.5.2. Der Hygieniker ...... 208 3.5.3. Der Pädagoge ...... 216

3.6. Der Politiker Rosenthal ...... 230 3.6.1. Politische Betätigung bis zur Gründung des Freisinnigen Vereins ...... 231 3.6.2. Der Freisinnige Verei n ...... 241 3.6.3. Das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten ...... 253

3.7. Rosenthals Fehltritt ...... 254

3.8. Gesellschaftliche Wirkungskreise Rosenthals ...... 261 3.8.1. Die Physikalisch - Medizinische Sozietät zu Erlangen ...... 261

6 3.8.2. Die Synagogen - Gemeinde ...... 266 3.8.3. Der Gemeinnützige Verein ...... 268 3.8.4. Der Verein Harmonie ...... 270 3.8.5. Der Gewerbeverein ...... 271

3.9. Rosenthals Wirken für die Allgemeinheit ...... 276 3.9.1. Der Pauli - Brunnen ...... 276 3.9.2. Der Schlachthof ...... 279 3.9.3. Die Sekundärbahn ...... 282

3.10. Rosenthals Ehrungen ...... 287 3.11. «Cherchez la femme!»: Anna Rosenthal ...... 294 3.12. Rosenthals letzter Ga ng ...... 306

Zusammenfassung ...... 310 1. Versuch eines Charakterbildes ...... 310 2. Wertung und Einordnung von Leben und Werk Isidor Rosenthals ..... 314

Literaturverzeichnis ...... 321

Quellenverzeichnis ...... 351

Anhang ...... 357

Abkürzungsverzeichnis ...... 359

Lebenslauf Rosenthals ...... 361

Zeittafel ...... 365

Bildteil ...... 367

Bildquellennachweis ...... 395

Personenregister ...... 397

Danksagung ...... 405

7 8 Vorwort

Wenn jemand die medizinischen Disziplinen studiert, ist er her ausgefordert, sich im Fach der Anatomie eine Vielzahl von Bezeichnungen anzueignen, die von den Personennamen ihrer Entdecker abgeleitet sind. Im 19. Jahrhundert blühte unter den medizinischen Gelehrten bisweilen eine sehr bildhafte Sprache, wie das Be i- spi el „Bochdaleksches Blumenkörbchen“, die Bezeichnung für das Adergeflecht in der vierten Hirnkammer, eindrucksvoll erkennen lässt. Bei der Beschä f tigung mit den inneren Hirnvenen stieß ich auf die Vena Rosenthali. Meine Eigenart, in einem medizinischen Lexi kon die Bezeichnungen nachz u schlagen, um etwas über die jeweiligen Namensgeber zu erfahren und sich auch ein wenig Genugtuung durch das Entdecken Erlanger klinischer Größen zu ve r schaffen, füh r te zu dem Hinweis, dass Isidor Rosenthal Physiologe in Erlangen gewesen sei und auf de n- selben die Bezeichnung Rosenthal - Fasern zurückgehe (vgl. Roche Lexikon Med i- zin, 3. Aufl., München: Urban & Schwarzenberg, 1996, S. 1444). Dass damit a l- lerdings dem falschen Gelehrten die wissenschaf t lichen Lorbeeren angesteckt wurde n – sie gebühren seinem Sohn Werner R o senthal (vgl. Wippold , 2006, S. 958) – sollte erst die spätere Forschung erwe i sen. Nichtsdestoweniger – der „Held“ meiner Dissertation war gefunden, wie er mir interessanter nicht ersche i- nen konnte, führte doch die Auf gabe, Leben und Werk dieses Mannes zu b e- schreiben, an den Nerv der Wissenschaftsgeschichte des von Golo Mann als das „par excellence europäisch“ (zit. n. Mann , 1960, S. 22) bezeichneten 19. Jah r- hunderts, in welchem Europa wie in keinem Jahrhu n dert zuvor de r Welt seinen Stempel aufdrüc k te. Der Aufgabenstellung ging allerdings der Entschluss voraus, sich überhaupt der Geschichte der Medizin zuzuwenden. Das Zusammenwachsen Europas stellt se i- ne Völker ganz neu vor die Herau s forderung, sich über die eigenen Wur zeln klar zu werden, um zu entscheiden, welche Steine aus der eigenen Geschichte für den Bau eines gemeinsamen Europa zur Verfügung gestellt werden sollen. Ein lebe n- diger Umgang mit der Vergangenheit kann helfen, die Zukunft zu g e stalten, und sollte nicht nur Histor i kern vorbehalten sein. Die Aufgaben unserer Zeit empfinde ich zudem als so bedrängend, dass mir die Auseinandersetzung mit der Geschichte geeigneter erschien, persönliches Ha n- deln zu prägen, als im Rahmen der exakten Naturwissenschaften die Ken n t nis von Materie zu erwe i tern.

Diepholz, im Herbst 2006

Marco Ri t ter

9 10 Einleitung

Isidor Rosenthal wurde 1836 geboren. Es war das Jahr, über das Heinrich He i ne in einem Brief an seinen Verleger Julius Campe verzweifelt ausrief, „ekelhaft, hässliches, preußisches Jahr!“ 1 Zu dieser Zeit entwickelte Charles Darwin 2 auf dem Forschungsschiff „Beagle“ seine Gedanken über die Entstehung der Arten, und mit der Fahrt der Damp f lokomotive „Adl er“ auf der ersten Eisenbahnlinie von Nürnberg nach Fürth war in Deutschland ein neues Zeitalter angebrochen. Preußens Bedeutung für Deutsc h land, die Entwicklung der Naturwissenschaften und der industrielle Fortschritt waren die Größen, die Rosenthals Lebe n b e sti m- men sollten, bis er 1915 in der Universitätsstadt Erlangen verstarb und als Europa begann, in der Katastrophe des Ersten Weltkrieges zu ve r sinken.

Zwar hatte Isidor Rosenthal zu Lebzeiten schon einen Platz in der „Galerie he r- vorr a gender Ärzte und Naturforscher“ 3 und zählte in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts unter Zeitgenossen „zu den angesehensten Physiologen Deutsc h lands“, 4 doch werden heute nur wenige Kenner der Medizingeschichte den Namen Rosenthals auf Anhieb mit dem Fach der Physiolo gie verbinden und ebenso wenige mit der Stadtgeschichte Erlangens Vertraute Rosenthal in die Re i-

1 Heine, Heinrich: Brief vom 22. März 1836 an seinen Verleger und F reund Julius Campe , nachdem die Bundesversammlung die Autorengruppe „Junges Deutschland“ mit einem Publi k- ationsverbot der preußischen Zensur unterworfen hatte. Siehe Heine, Säkularausgabe. We r ke, Briefe, Lebenszeugnisse. Hg. von den N ationalen Forschungs - und Gedenkstätten der klass i- schen deutschen Literatur in Weimar und dem Centre National de la Recherche Scientifique in Paris. Akademie - Verlag. Berlin. 1970. Bd. 21, S. 144, zit. n. Liedtke (1998), S. 102. 2 Charles Robert Darwin (180 9 - 1882) hatte Medizin und Theologie studiert und sich da r über hinaus mit Ge o logie und Biologie beschäftigt. Von 1831 bis 1836 hatte er Gelegenheit, als unbezahlter Forscher auf dem Ve r messungsschiff „Beagle“ an einer Weltreise teilzunehmen. Danach war er S ekretär der Geolog i cal Society in London. 1842 zog er auf einen Landsitz und widmete sich seinen überwiegend botanischen Versuchen. Seine Evolutionstheorie beeinflus s te wesentlich sowohl die Entwicklung der Biologie als auch andere Wissenschaften wie die S o- zi o logie und die Philosophie. Vgl. Zey (1997), S. 110. Einen Eindruck der Reise Darwins vermittelt ein Besuch des Berliner Naturkunde - Museums in der Invalide n straße 43. 3 Zit. n. Münchener Medicinische Wochenschrift, 44. Jg., Nr. 19, 11. Mai 1897, Beilag e S. 509. 4 Diese Formulierung findet sich im Antrag des bayerischen Kultusministeriums an den Prin z- regenten Luitpold anlässlich der Hundertjahrfeier der Physik a lisch - Medizinischen Sozietät E r- langen. Vgl. BayHStA: MK 40510, o. S. Schreiben vom 20. Juni 1908.

11 he der Ehrenbürger dieser Stadt ei n ordnen, obwohl er für die Entwicklung der Stadt als Forscher, Arzt und Politiker B e deutendes geleistet hat. Über Isidor Rosen thal ist bisher nicht umfassend gearbeitet worden. Es exi s ti e- ren lediglich einige Kurzbeschreibungen 5 über das Leben Rosenthals in den ei n- schlägigen biografischen Werken, oder es handelt sich um kurze Beiträge in Zei t- schriften 6 und allgemeinen Werken zur U niversitätsgeschichte der Frie d rich - Alexander - Universität Erlangen. 7 Es ist Frau Ilse Sponsel , die in ihrer E i genschaft als Beauftragte für die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger das ausführlichste Lebensbild Rosenthals ve r fasst hat. 8 Frau Profe s sor Dr. Renate Wittern - Sterzel vom Institut für Geschichte und Ethik der Med i zin an der Frie d- rich - Alexander - Universität Erlangen - Nürnberg hat als Erste Quellen und Literatur über Rosenthal systemat isch zusammengestellt. 9 Claus Schwartz hat eine minut i- öse Personalbibliografie verfasst. 10 In Erla n gen selbst zeugt namentlich jedoch nur noch der obeliskförmige Grabstein an der Südmauer des Zentralfriedhofs von dem Wirken dieser da mals in Erlangen b e deutenden Persönlic h keit.

So erscheint es gerechtfertigt und notwendig, den Versuch zu unternehmen, L e- ben und Werk dieses Mannes einer umfassenden Untersuchung zu unterziehen, stellt er doch vor die Herausforderung, nur wenig beackerten Boden zu pflügen. Allerdings wird sich zeigen, dass die Furchen nicht lückenlos nebeneinander zu liegen gekommen sind, was in mangelnder Dokumentation oder Kriegsverlusten vieler Archivakten begründet liegt. Fast gänzlich unbehandelt mussten Elter n haus, K indheit und Jugend bleiben, wo r an auch meine Reise in die ehemalige Provinz Posen nichts zu ändern vermoc h te.

Ziel der Arbeit ist es, einen umfassenden Überblick über Rosenthals Forschu n gen und Erfindungen als Mediziner und Naturwissenschaf t ler zu vermitt eln und diese in die Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts einzuordnen. Es gilt die Fr a-

5 Eine umfassende Zusammenstellung biografischer Literatur gegliedert nach Portrait und Werksverzeichnis ist zu finden bei Wittern (1999), S. 154 - 155; hier nicht erwähnte Werke: Poggendorff (1898), S. 1144; Hirsch (1962.2), S. 507. 6 Vgl. Göhring (1930), S. 119; Loewy (1915), S. 111; Höber (1915), S. 293 - 294; Ewald (1915), S. 278 - 279; Rose n thal, C. (1906), S. 1361 - 1362; Schulz (1897), S. 508 - 509. 7 Vgl. Wittern (2002), S. 595 - 596; Wittern (1993.1); S. 357 - 358; Friederich (19 93), S. 268; Gräf/Braun (1986), S. 13 - 15; Meidinger - Geise (1986), S. 63, 66, 263; Kolde (1910), S. 419 f.; Go l denes Buch (o. J.), S. 1. 8 Vgl. Sponsel (1978), S. 3310 - 3312. 9 Vgl. Wittern (1999), S. 154 - 155. 10 Vgl. Schwartz (1969), S. 27 - 40.

12 ge zu beantworten, welche Wirkungen auf die Wissenschaft von Rose n thal au s- gegangen sind. Außerdem wird untersucht, bei welchen physiologischen Frag e- stellungen der Student der Medizin bei der A n eignung seines Stoffes und der Arzt im klinischen Alltag heute noch auf Wegen gehen, die Rosenthal gee b net hat. Überdies wird versucht, Rosenthals charakterliche Eigenschaften, persönliche Fähigkeiten und außerwissenschaftlic he Leistungen herauszuarbeiten und ihre Wirkungen auf sein gesellschaftliches Umfeld aufzuzeigen. Dies gilt vor allem für seine Leistu n gen als liberaler Politiker. Bei dem Versuch, Leben und Werk Isidor Rosenthals darzustellen, sollen auch die Erscheinunge n und Kräfte, die ihn bewegten, einbezogen und gesel l schaftl i- che Rahmenbedingungen analysiert werden, um die Frage zu beantwo r ten, unter welchen sozialen, weltanschaulichen und charakterlichen Bedingu n gen das Wi r- ken eines Menschen eine gesellschaftliche Re levanz erhält. Die Einarbeitung e i- ner Fülle biografischer Angaben über Menschen, mit denen R o senthal bekannt, befreundet und verwandt war, entspringt dem Wunsch, das Netz von Rosenthals Beziehungen zu seinen Mitmenschen sichtbar zu machen. Gleich der Beton nung der Schif f fahrtsstraßenordnung sollen sie das Fahrwasser von Rosenthals Denken und Handeln marki e ren helfen. Sie sollen dazu dienen, die Frage zu klären, wer wen kannte und wie beeinflusste. Das 19. Jahrhundert hat die Gestalt des deutschen Professors in besonderer Weise geprägt. Es wird zu untersuchen sein, inwiefern das von Kurt Tucholsky entworfene Bild des greisen, bärtigen, „durch alte Wi n kelgässchen im schla p pen Hut, in faltigem Rock“ 11 einherschreitenden Geleh r ten für Rose nthal z u trifft, ob er eine Person, wie der Historiker Theodor Mommsen über Professoren urteilte, „kultivierter Weltfremdheit“ 12 war oder ob und wie sich Rosenthals G e lehrsa m- keit und Pe r sönlichkeit auf seine Umwelt au s wirkten.

Die Darstellung folgt im Wesentlichen dem chronologischen Ablauf und u m fasst die Zeit der Jahrhundertmitte bis zum Ausbruch des Er s ten Weltkrieges. Auf eine Teilung von Leben und Werk wurde bewusst verzichtet, denn gerade das Wec h- selwirken von Zeitgeschehen, A nschauungen und wissenschaftlichen Neuerungen sowie politischen Ereignissen, die Rosenthals Leben bestimmten, darz u stellen, ist besonderes Anliegen meiner Arbeit. Themenkreise, wie z. B. seine jüdische He r- kunft, die geeignet waren, Rosenthals Entwicklung z u erkl ä ren oder Hintergrü n de

11 Zit. n. Ger old - Tucholsky, Mary (Hrsg.): Tucholsky. Gedichte. 5. Auflage. Rowohlt. Rei n- bek. 2003, S. 128. Aus dem Gedicht „Professoren“. 12 Zit. n. Craig (1991), S. 199.

13 aufzuzeigen, werden in eigenen Kapiteln behandelt oder sind als einleitende Au s- führungen vorangestellt. Die Arbeit beginnt mit Rosenthals Herkunft. Es folgt die Zeit seiner berufl i- chen Entwic k lung, beginnend mit dem Studium de r Medizin in Berlin 1855 und dem Einschnitt der Berufung zum außerordentlichen Professor 1867. Die Zeit nach seiner Berufung nach Erlangen 1872 als ordentlicher Professor bis zu se i- nem Tod bildet den zweiten Teil der Arbeit. So gliedert sich die Arbeit im W e- sentlichen in zwei Teile, entsprechend den L e bensabschnitten Rosenthals, die durch die beiden Städte Berlin und Erlangen b e stimmt wurden. Aufgrund der Quellenlage liegt das Hauptgewicht auf Rosenthals Wirken in E r- langen, sodass die Arbeit gleichzeitig ei n Mosaikstein zur Erlanger Stadtg e- schic h te ist. Dabei soll die Vielschichtigkeit dieses Gelehrtenlebens aufgezeigt werden.

Als wichtigste Quellen standen in Berlin das Archiv und die Bibliothek der Hu m- boldt - Universität, das Landes - und das Bundesarchiv so wie das Geheime Staat s- archiv in Dahlem zur Verfügung. Ebenso gesichtet wurden die Biblioth e ken und Archive des Johannes - Müller - Instituts für Physiologie sowie der be i den Institute für Geschichte der Medizin und des Lehrstuhls für Judaistik in Dahlem, sowie die Staatsbibliothek Unter den Linden, die Berliner Stadtbibli o thek, das Zen t rum für Berlin - Studien sowie die Zentral - und Landesbibliothek Berlin. Das Archiv der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und das Militärgeschich t liche Forschungsamt in Potsdam lieferte n wichtige Details zu Rosenthals Jude n tum und Soldatsein. In Erlangen waren Archiv und Bibliothek der Friedrich - Alexander - Universität sowie das Stadtarchiv die entscheidenden Quellen. Die Bibliotheken des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin und des Instituts für Physi o logie und exp e- rimentelle Pathophysiologie schlossen Lücken im Hinblick auf Rosenthals Verö f- fentlichungen. Der Heimat - und Geschichtsverein lieferte Hinweise zum bürgerl i- chen Leben Rosenthals. Die Bestände des Bayerischen Hauptstaat sarchivs in München waren wegen der teilweise dramatischen Kriegsverluste eine verhäl t- nismäßig unbedeutende Que l le. 13 Der Themenkreis über das Judentum in Polen wurde am Seminar für osteur o- p ä ische Geschichte an der Christian - Albrecht - Universität Kiel ersch lossen. Ein

13 Hier wären besonders die Akten des „Ministeriums für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst“ eine wesentliche Quelle gewesen. Doch kam es durch Kriegseinwirkung zum T o talve r- lust der älteren Abgaben mit Personalakten. Beträchtliche Kriegsverluste erlitten auch die B e- stände des „Ministerium des I n nern“.

14 Nachlass Rosenthals oder Nachkommen in Deutschland konnten nicht ermittelt we r den. 14

Die zwei großen Abschnitte in Rosenthals Leben wurden bestimmt von den be i- den Städten Berlin und Erlangen. Ihre Geschichte ist trotz augenscheinlicher U n- tersch iedlichkeit von erstaunlicher Parallelität: Den vielleicht wichtigsten En t- wicklungsschub verdanken beide Städte französischen Flüchtlingen, die u n ter calvinistischen Landesherren aus dem Geschlecht der Hohenzollern angesi e delt wurden. Die wissenschaftliche n Forschungen und Entdeckungen Rose n thals aus beiden Abschnitten werden nahezu lückenlos untersucht und ausg e wertet. Die Schlichtheit der Gliederung dieser Arbeit liefert einen ersten Hi n weis auf Rose n- thals Charakter: Er war von Bündigkeit und bruchloser E ntwic k lung bestimmt.

14 Rosenthals einziger Sohn Werner emigrierte i nfolge des Nationalsozialismus 1934 mit se i ner Frau Erika Rosenthal - Deussen (geb. 1894 in Kiel, gest. 1956 in Baltimore, Selbstmord) nach Indien. Sein Schwiegervater, Paul Deussen, der einstige Jugendfreund von Friedrich Nietzsche, spätere Pr o fessor der Ph ilosophie in Kiel und Indologe, hatte enge Verbindungen nach Indien und verschaffte Werner Rosenthal eine Professorenstelle am neu eingerichteten Medical Co l- lege in Mysore. Werner Rosenthal hat unter der Emigration sehr gelitten. Er ve r starb 1942 mit 71 Ja hren in Diensten des Sultans im indischen Yercaud. Seine drei Töc h ter Ruth Sommer, Eva Rosenthal und Beate Jencks wanderten von Indien nach P a lästina bzw. in die USA aus. Zum tragischen Leben Werner Rosenthals vgl. Szabó, Anikó: Vertreibung, Rückkehr, Wied e r- gu t machung, Wallstein Verlag, Göttingen, 2000, S. 68 - 72 u. 633 - 634. Hier finden sich auch ergiebige Quellen - und Literaturangaben zu Werner Rosenthal.

15 16 Leben und Werk Isidor Rosenthals

1. Rosenthals Wurzeln

1.1. Kurze Einführung in die Geschichte Polens

Ein Reisender, der heute mit dem Zug von Berlin nach Bydgoszcz (Bromberg) fährt, wird zunächst am besten den „Eurocity Pad e rewski“ 15 Richtung Warschau nehmen, um Posen zu e r reichen. Die Bahnlinie von Berlin nach Posen gehört zu den ältesten Deutschlands und wurde 1845 fertig gestellt. 16 Spätestens hinter dem Oderbruch übe r käme ihn ein Gefühl von Einsamkeit und Trostlosigkeit – genau die se Seelenregungen erzeugt der Blick aus dem Abteil in die Lan d schaft – doch findet er sich schnell in ein anregendes Gespräch mit den Mitreisenden verw i- ckelt. In dem bis auf den letzten Platz gefüllten Abteil wird er mögliche r weise der einzige Nichtslawe s ein, aber sehr schnell feststellen, dass fast jeder seiner Mi t- reisenden der deutschen Sprache mächtig ist, denn der Zielort liegt im nordöstl i- chen Zipfel der ehemaligen Provinz Posen, die seit Friedrich II. (der Gr o ße, 1712 – 1786) bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zu Preußen gehörte. Die bewegte Geschichte dieser Gegend, die auch als Netzedistrikt 17 bekannt ist, hat nicht alle Spuren deutscher Kultur ve r wischt. 18 Sie war geprägt von sowohl friedlichem und befruchtendem Mite ina n der einerseits, als auch gegenseitiger Ausrottung andere r- seits. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bemühen sich Deutsche und Polen wieder darum, wir t schaftlich, politisch und kulturell z u sammenzufi n den. Hinter Posen, das architektonisch an eine alte Hansestadt erinnert, ist es no t- wendig, auf die Regionalbahn in Richtung Bydgoszcz umzusteigen, um sich durch unglaubliche Einöde befördern zu lassen. Monokulturen niedriger Nade l- hölzer, flaches Land und trostlose Ortschaften erwecken nicht gerade den Ei n- dr uck einer blühenden Region. Die Besiedelung ist spärlich und von einer g e wi s-

15 Paderewski, Ignacy Jan war ein polnischer Pianist, Komponist und Politiker. Er wurde am 6. November 1860 in Kurylowka geboren und starb am 29. 6. 1942 in New York. Der Kl a viervi r- tuose wurde 1919 Ministerpräsident sowie Außenminister und vertrat Polen bei der Versailler Friedenskonferenz. Vgl. Harenberg: „Was geschah am ...“. Neuausgabe. Hare n berg - Verlag. Dortmund. 1999, S. 882. 16 Eine Graphik über den Aufbau des Eisenbahnnetzes findet sich bei Schatt (1998), S. 98. 17 Diese Bezeichnung leitet sich von dem Fluss Netze ab. 18 Hier sei besonders auf die Darstellung von Schmitz (1941) verwiesen.

17 sen baulichen Willkürlichkeit gekennzeichnet. Schon von 1850 bis 1900 war die Region von starker Abnahme der Bevölkerung betroffen, die eine Beglei t ersche i- nung der Industrialisi e r ung war. 19 Hier, genauer gesagt, in Labischin, einem kleinen Dorf an der Netze im R e gi e- rungsb e zirk Bromberg, wurde Isidor Rosenthal am 16. Juli 1836 geboren. 20 Um zu verstehen, warum dieser Ort nicht Endstation in Rosenthals Leben g e worden ist, erscheint es hilfreich, die Geschic h te dieser Region ein wenig zu betrachten. Es ist zu klären, welche Ereignisse zur Ansiedelung von Deutschen und Juden in Polen führten und welche Verknüpfungen zwischen beiden Bevö l kerungsgruppen bestanden. Ein kurzer Ausflug in die Geschichte soll ein paar grundlegende Z u- sammenhänge aufze i gen. 21

Seit dem frühen Mittelalter war das Gebiet zwischen Warthe und Weichsel sl a w i- sches Siedlungsgebiet und gehörte bis zur ersten Teilung Polens 1772 durch Preußen, Österreich und Russland zum Ma chtbereich polnischer Herrscher, b e- ginnend mit kleineren polnischen Fürste n tümern bis zum Großreich Polen - Litauen. 22 Im 5. Jahrhundert waren infolge der großen europäischen Völkerwanderung die westslawischen Volksstämme der Polanen und Kujawianen in die Tie feb e nen bei Posen vorgedrungen und hatten sich dort angesiedelt. 23 Ohne deutliche natü r- liche Grenzen war dieses Gebiet ein „traditionelles Durchgangsland“, 24 und so ist schon die frühe Geschichte von Wechselwirkungen mit den Germ a nen geken n- zeichnet. Nachdem der polanische Fürst Mieszko I. 966 zum Chri s tentum überg e- treten war und sich dem deutschen Kaiser O t to I. unterworfen ha t te, wurde er tr i- butpflichtig, leistete Heerfo l ge und besuchte die Reichstage. 25 Es ergaben sich bede utsame Beziehungen zum Römisch - Deutschen Reich, denn die universale

19 Ein Bericht des Staatsministeriums vom 12. Februar 1844 analysiert umfassend das Pro b lem der Auswanderung und Übersiedlung aus der Provinz Posen. Vgl. GStAPK: Rep. 89 Nr. 23699, Bl. 79 ff. 20 Vgl. SAE: III. 72. R. 1., o. S. Ein handschriftlicher Lebenslauf Rosenthals a nlässlich se i ner Habil i tation findet sich bei AHUB: Med. Fak. 1327, o. S. 21 Die hier aufgezeichneten groben Linien der Geschichte Polens sind überwiegend den Da r- ste l lungen von To r bus (1999), Hengstenberg (1884) und Rogall (1993) entnommen. Während Torbus u nd Hengstenberg einen allgemeinen historischen Abriss bieten, beschreibt Rogall b e- sonders die Wechselwirkungen zwischen den et h nischen Gruppen. 22 Anschauliches Kartenmaterial für die territoriale Entwicklung Mittelosteuropas bietet der „Historische Wel t atl as“ von Putzker (1970). S. 94 - 103. 23 Vgl. Hoffmann (1860), S. XV. 24 Zit. n. Rogall (1993), S. 14. 25 Vgl. Hengstenberg (1894), S. 5.

18 Ausrichtung der Kirche entfaltete eine politisch - integrative Kraft in den poln i- schen Gebieten: So hatte das 968 neugegründete Bistum Posen eine enge Anbi n- dung an das Erzbistum Magdeburg. 26 Es kam zu zahlreichen Misc h ehen zwischen deutschen Herzögen und polnischen adeligen Frauen. 27 Ein allmählicher Loslösungsprozess begann um 1000, als Gnesen zum Er z bi s- tum erhoben und damit selbstständige polnische Kirchenprovinz wurde. 28 De n- noch blieb das He rzogtum Polen zunächst deutsches Lehen. Deutsche Ritter die n- ten polnischen Fürsten. 29 Es waren vor allem Mönche der Zisterzienser aus dem Kölner Raum, die im polnischen Auftrag die Christianisierung des Landes betri e- ben und so eine Grundlage für die folgend en Siedler schufen. 30 Unter dem Expa n- sionsdrang des Deutschen Ordens vereinigten sich Polen und Litauer 1384 zum Polnisch - Litauischen Großreich, welches sich unter Kasimir dem Grossen weiter festigte. Über die Hafenstadt Danzig war der Zugang zum Os t seehand el gewäh r- leistet. Unter der Dynastie der Jagiellonen von 1370 bis 1572 erlebte Polen sein goldenes Zeitalter: König Sigismund II. garantierte völlige Religionsfreiheit, und die Universität Krakau – nach Prag die zweitälteste Un i versit ät Mitteleuropas – wurde zu einem Zentrum des H u manismus. 31 In der Zeit von 1573 bis 1795 en t- wickelte sich Polen - Litauen zu einer Adelsrepublik, in welcher eine Generalve r- sammlung den König wählte und das Recht hatte, diesen auch abzusetzen, d. h. es bestan d ein Wahlköni g tum. 32 In dieser Adelsr e publik prägten sich allerdings ungeheure soziale Mis s stände aus. Unter Sigi s mund III. Wasa, auch König von Schweden, wurde der Katholizismus gefördert, wodurch religiöse und soziale Gegensätze ge schürt wurden, da die deu t schen Zuwanderer, meist Bauern und Handwerker, fast ausschließlich Protestanten waren, während der polnische Adel, überwiegend calvinistisch, in Opposition zum König geriet. 33 Unruhen unter den im polnischen Heer dienenden orthod o x en Kosaken und die Türke n kriege im Fürstentum Moldau schwächten Polen innen - und außenpolitisch, die Ukraine ging an Russland verloren. Unter dem Sachsenkönig August II. (der Starke, 1697 – 1733) verfiel Polen weiter. Ein Zeh ntel der Grundbesitzer, genannt Slachta, ri t-

26 Vgl. Torbus (1999), S. 19. 27 Der Markgraf Hermann von Meißen (1009 - 1038) war zum Beispiel mit einer Tochter des Herzogs Bo leslaw Chrobry von Polen verheiratet. Vgl. Schulze (1998), S. 303 u. Rogall (1993), S. 19. 28 Vgl. Hengstenberg (1894), S. 5. 29 Vgl. Rogall (1993), S. 19. 30 Vgl. Streiter (1986), S. 20. 31 Vgl. Torbus (1999), S. 21. 32 Vgl. Torbus (1999), S. 22. 33 Vgl. Hengstenberg (1894), S. 38.

19 terlicher Kleinadel, beherrschte die Landbevölkerung. Die polnische Leibeige n- schaft war in Europa beispie l los. 34 Im ausgehenden 18. Jahrhundert war Polen nur noch ein politischer Spielball zwischen Preußen, Österr eich und Russland. 35 Die dritte Teilung 1795 führte fa k- tisch zur Auflösung des Reiches, nachdem Preußen und Russland den Volksau f- stand im Vorjahr rücksichtslos niedergeschlagen hatten. 36 Napoleon wurde dann Hoffnungsträger der Ide e von Polens nationaler Unabhängigkeit, denn er erricht e- te nach seinem Sieg über Preußen das Großherzogtum Wa r schau. Doch nach dem Zusammenbruch der Napoleon i schen Ordnung Europas erfolgte auf dem Wiener Kongress 1815 die Anglied e rung an Rus s land durch Per sonalunion. 37 Das geteilte Polen blieb im 19. Jahrhundert ein Unruheherd, da sich das po l n i- sche Nationalgefühl nicht unterdrücken ließ. Gegen die russische Herrschaft ric h- tete sich der Novemberaufstand 1830, der im darauffolgenden Jahr blutig beendet wurde und dessen Folge einschneidende „Russifizierungsmaßnahmen“ 38 waren. Über zehntausend Polen verließen ihre Heimat, wobei die Städte Paris und Dre s- den den größten Anteil der Flüchtlinge aufnahmen. Gerade Intellektuelle entfalt e- ten hier ein außerordentlich re ges ku l turelles Leben und gewannen sogar polit i- schen Einfluss in ihren Gastländern. 39 Der letzte autonome Teil Polens, die R e- publik Krakau, wurde nach erneutem Aufstand 1846 Österreich angegliedert. Trauriger Höhepunkt der Ereignisse war 1863 der Januarau f s tand im russischen Teilungsgebiet, infolgedessen Tausende enteignet, hing e richtet oder nach Sibirien verbannt wurden. 40 Polen sollte erst nach dem Ersten Weltkrieg wieder ein selbstständiger Staat werden.

Karl Heink (!) Streiter unterscheidet drei Phasen der deutschen Einwanderung nach Polen. 41 Zunächst erfolgte im 13. und 14. Jahrhundert eine Besiedelung durch Bauern und Mönche, welche in der Liter a tur als Ostkolonisation zum fe s ten Begriff geworden ist. Ihre treibenden Kräfte w aren eine relative Überbevö l kerung im altdeutschen Stammesgebiet und die Initiative der polnischen La n desherren

34 Vgl. Hengstenberg (1894), S. 64. 35 Vgl. Tobus (1999), S. 23. 36 Vgl. Dietger (1998), S. 354. 37 Vgl. Torbus (1999), S. 24. 38 Zit. n. Torbus (1999), S. 24. 39 Ein geeignetes Beispiel für diese Tatsache ist d as Leben des polnischen Dichters, Histor i kers und Politikers J. I. Kraszewski (1812 - 1887). Vgl. zu diesem Wolska - Grodecka (1996), S. 28 - 41. Hier empfiehlt sich ein Besuch des Kra s zewki - Museums in Dresden. 40 Vgl. Torbus (1999), S. 24. 41 Vgl. Streiter (1986), S. 7.

20 mit dem Ziel, ihre Herrschaftsgebiete durch Anbindung an die En t wicklung im Reich wirtschaftlich und kulturell zu stärken. 42 Die Entstehung des k leinen Städtchens Labischin, des Geburtsortes Rose n- thals, fällt in diese Zeit deutscher Besiedelung im 14. Jahrhundert. 43 Die Kol o ni s- ten, lediglich zur Heerfolge verpflichtet, waren von polnischem Recht en t bu n- den, 44 was zahlreiche Stä d tegründungen nach deuts chem Recht zur Folge hatte, sodass der Handel von slawischer in deutsche Hand überging. 45 Die Ei n wand e- rung vollzog sich in diesem Gebiet aus nördlicher Richtung, d. h. aus dem Gebiet des Deutschen Ordens. Die Handelsstadt Thorn im Ku l merland war 1233 von de n Deutschordensrittern gegründet worden, nachdem der polnische Herzog Konrad von Masowien diese gegen die heidnischen Pruzzen zu Hilfe gerufen ha t te. Als Gegenleistung dafür wurde der Orden mit dem Kulmerland belehnt. 46 Im 16. J ahrhundert war es die Reformation, die eine zweite Einwanderung s- welle auslöste. 47 Gerade unter dem deutschen Bürgertum war Martin Luther s Lehre auf fruchtbaren Boden gefallen. Zahlreiche pr o testantische Handwerker und Kaufleute kamen ins Land und brachten techn i sche Neuerungen wie z. B. den Buchdruck mit. 48 Der Versuch, ein protestant i sches Königtum in Böhmen zu gründen, führte 1618 zum Dreißigjährigen Krieg, infolgedessen zahlreiche Gla u- bensflüchtlinge aus Böhmen und dem d a mals habsbur gischen und damit kathol i- schen Schlesien in Polen Zuflucht fa n den. 49 Die Schlesier flohen oft als geschlo s- sene Gemeinden, sodass in best e henden Siedlungen regelrechte „Ne u städte“ in unmittelbarer Nachbarschaft en t standen, die entsprechend ihrem B e kenntnis g e- trennt waren. 50 Diese zweite Einwanderungswelle verebbte alle r dings mit der zu Beginn des 17. Jahrhunderts einsetzenden Gegenreformation. August II. , Ku r fürst des protestantischen Sachsen, war wegen der polnischen Krone zum K a tholizi s- mus übergetreten und förderte nun eifrig die Bekämpfung des Protesta n tismus. 51 Diese Entwicklung hatte zum Ergebnis, dass Katholizi s mus und P o le n tum eine r- seits und Protesta n tismus und Deutschtum andererseits praktisch gleichgesetzt werden konnten. Die Sprachgrenzen entsprachen im Wesentlichen den Religion s-

42 Vgl. Rogall (1993), S. 18. 43 Vgl. Rogall (1993), S. 22. 44 Vgl. Hengstenberg (1894), S. 24. 45 Vgl. Hengstenberg (1894), S. 35. 46 Vgl. Benninghoven (1990), S. 85. 47 Vgl. Rogall (1993), S. 34. 48 Vgl. Rogall (1993), S. 3 5. 49 Vgl. Hengstenberg (1894), S. 40. 50 Vgl. Rogall (1993), S. 37. 51 Vgl. Rogall (1993), S. 36.

21 grenzen. 52 Unter den Sachsenkönigen wurden viele deutsche A r chitekten, Küns t- ler und Unternehmen ins Land geholt, besonders aus Dresden. Warschau erhielt in dieser Zeit viele der Bauwerke, für die es bis ins 20. Jah r hundert berühmt wu r- de. 53 Nach der ersten polnischen Teilung 1772 wurde die Kolonisation schließlich staatlich gefördert, indem in deutscher Sprache ein Aufruf an Ausländer zur Ei n- wanderung nach Polen gerichtet wurde. Sogar der Grunderwerb w ar freig e geben worden. 54 Sicherheit und Gerechtigkeit waren Zusagen, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Doch gab es Schwierigkeiten bei der Entwicklung der neuen, nun preußischen Provinzen, da ein bedeutender Mangel an qualifizierten Bea m ten herrschte. Dahe r wurden zahlreiche preußische Beamte und Militärs ins Land g e- rufen. Diese waren bei den Polen wegen ihrer korrekten Amtsführung nicht selten hochgeschätzte Persönlichkeiten. Hierbei spielte der Aspekt einer Germanisi e- rung zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Sie war auch nicht p o litisches Ziel der Bevölkerungspolitik Friedrich II. Er beklagte zwar die „liede r liche polnische Wirtschaft“ und rügte den „Mangel an Fleiß, Sauberkeit und Ordnung“, 55 doch lag ihm die wirtschaftl iche En t wicklung der neuen Provinzen ohne Zweifel am Herzen. Besonders Bauern aus dem bevölkerungsreichen Schwaben wurden mit Sonderrechten geworben, um die Landwirtschaft zu en t wickeln. 56 Das dünn b e- siedelte Preußen sollte der Gefahr der Entvölkerung nicht ausgesetzt we r den. Obwohl nach der preußischen Niederlage 1806 die staatlich geförderten Sie d- lungsprogramme beendet wurden, kam die Zuwanderung von Deu t schen nicht zum Stillstand, da sie auch im von Napoleon errichteten Großher zogtum Wa r- schau weiter durch einheimische Kräfte gefördert wurde. 57 Im 19. Jahrhundert bewirkte das Erwachen des Nationalismus eine Auseina n- dersetzung zwischen Deutschen und Polen. 58 Gegen 1840 war der Netz e distrikt, die Heimat Rosenthals, überwiegend deuts ch besiedelt. Zudem lebten 40 % aller preußischen Juden im Großherzogtum Posen. 59 Bedeutsam für die Bevölk e rung s- entwicklung dieser Region ist, dass mit der Teilung Polens nach dem Wiener

52 Vgl. Streiter (1986), S. 7. 53 Vgl. Rogall (1993), S. 51. 54 Vgl. Rogall (1993), S. 56. 55 Zit. n. Streiter (1986), S. 10. 56 Vgl. Hartmann (1995), S. 139. 57 Vgl. Rogall (1993), S. 60. 58 Vgl. Rogall (1993), S. 66. 59 Vgl. Kemlein (1997), S. 59. In dieser Darstellung findet sich umfangreiches statistisches Material über die sozialen und wirtschaftlichen und et hnischen Ve r hältnisse der Juden in der Provinz Posen.

22 Kongress neue Zollgrenzen entstanden, so dass die deutschen Tuchm a cher und andere Handwerker und Kaufleute ihre Absatzmärkte verloren und nach Ko n- gresspolen abwanderten. 60 Russland hatte 1822 die Grenzen für Te x tilwaren aus dem preußischen Anteil Polens geschlossen, was eine tiefgreifende Wirtschaft s- krise ausgelöste, von der sich die Textilwirtschaft nicht mehr erho l te. 61 Dies b e- schleunigte den einsetzenden Bevölkerungsrückgang. Die Agrarkr i se in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts zwang viele landwirtschaftl i che Betriebe in den Ruin. 62 So wurde Rosenthals Heimat zum Regre ssionsgebiet. Nach der R e volution von 1848 entwickelte sich aus dem schwelenden Nationalitätenkonflikt zwischen Deutschen und Polen eine offene Auseinandersetzung, die eine Abwanderung vi e- ler Deu t scher nach sich zog. 63

Da Rosenthal Jude war, bleibt die Fra ge zu klären, welche Bede u tung Polen für das Judentum hatte. Eine überaus zentrale, wie sich zeigen wird. Mit einem B e- völkerungsanteil von ungefähr 10 % gab es kein Land im Europa des 19. Jah r- hunderts, in dem mehr Juden gelebt hätten als in Polen, ja sogar mehr als die Hälfte aller auf der Erde lebenden Juden gehörte zum polnischen Judentum. 64 Deshalb soll an dieser Stelle in aller Kürze versucht werden, einige Ursachen für diesen eigenartigen Umstand aufzuze i gen. Der jüdische Nationalstaat als politisch sel bstständiges Gebilde hörte auf zu exi s tieren, als 587 v. Chr. das Reich Juda mit der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier zerstört wurde. 65 Nachdem den verschleppten Juden durch den Pe r- serkönig Kyros I. erlaubt wurde, zurückzukehren un d Jerusalem wieder au f z u- bauen, entstand die Provinz Palästina, die Teil wechselnder Weltreiche wu r de. Als die Römer den Kaiserkult auch in Jerusalem einführen wollten, brach ein Aufstand los, der 70 n. Chr. mit der abermaligen Zerst ö rung Jerusalems durch T itus endete. Nach einem letzten Aufstand unter Bar Kochba in den Jahren 132 bis 135 war es den Juden bei Todesstrafe verboten, Jerusalem zu betreten. D a mit erlosch die Grundlage ihres bisherigen religiösen und kulturellen Gemei n w e-

60 Vgl. Rogall (1993), S. 64. 61 Vgl. Hagen (1980), S. 96. 62 Vgl. Schmitz (1941), S. 234. Anliegen dieser ideologisch gefärbten Schrift ist es, die Bede u- tung der deu t schen Ostkolonisation herauszustellen. 63 Vgl. Schmitz (1941), S. 249. 64 Vgl. Kemlein (1997), S. 14. 65 Vgl. Kraus (1962), S. 310.

23 sens. 66 Die vertriebenen Juden zerstreuten sich im ganzen Römischen Reich und breiteten sich über Spanien und Griechenland nach Mitteleuropa aus. 67 Im Verlauf der Kreuzzüge kam es zu Vertreibungen und Pogromen in Fran k- reich, England und Deutschland. 68 Nun setzte di e Ostwand e rung der Juden ein, in deren Folge Polen - Litauen zum Hauptsiedlungsgebiet wurde. Ein weiterer wicht i- ger Grund war die Ausbreitung der Pest im 13. Jahrhundert. Sie erfasste den O s- ten Europas zuletzt und schob gewissermaßen eine Welle jüdischer Ve r triebener Richtung Osten vor sich her. Unter Kasimir dem Grossen (1333 - 1377), dem let z- ten König der Piasten - Dynastie, kam es zu einer staatlich gefö r derten Ansiedlung von Juden aus dem Kaiserreich, i n dem er sein Land für die Flüchtlinge öffnete und sie mit Privil e gien ausrüstete, da er hoffte, sie für den Ausbau seines Landes nutzen zu können. 69 Papst Pius V. vertrieb 1569 alle J u den aus dem Kirche n- staat. 70 Auch die katholischen Habsbu r ger unter Kaiser Leopold I. verfolgten die Juden als „Feinde Christi“ 71 und wiesen sie aus. A n ders verhielt es sich in Pre u- ßen und Polen: F i nanzkräftige und wohlhabende jüdische Familien wurden durch den Großen Kurfürsten in Brandenburg - Preußen aufgenommen, und in der Zeit des polnischen Wahlkön igtums erhielten Juden im 17. Jahrhundert unter dem K ö- nig Wladislaw IV. erneut das Recht, sich auf polnischem Grund niederzulassen. 72 Aus den absolutistischen Hoffa k toren 73 entwickelten sich kapitalistische Bank i- ers. 74 Viele Juden waren im Ha n del tätig und besuc h ten die Messen in , Breslau und Danzig, sodass sie einen wichtigen Anteil am Warenverkehr mit P o- len hatten. 75 So ergab sich eine bedeutende Ve r flechtung wirtschaftlicher und in der weiteren Entwicklung auch kultureller Art. Die durch deutsche Einwanderer

66 Vgl. Kraus (1962), S. 349. 67 Vgl. Dettelbacher (1998), S. 323. 68 Vgl. Hagen (1980), S. 6. 69 Vgl. Heppner (1909), S. 323. 70 Vgl. Trepp (1996), S. 55. 71 Zit. n. Tre pp (1996), S. 76. 72 Vgl. Livné - Freudenthal (1988), S. 9. 73 Dieser Begriff (wörtlich „Macher“) bezeichnet Personen an absolutistischen Höfen, denen die Leitung bestimmter Aufgaben wie z. B. das Münzgeschäft oder das Manufakturwesen ü bertragen war. Ausführ lich zu den Hofjuden s. Volkov (2000), S. 9. 74 Viele absolute Fürsten machten sich im 17. u. 18. Jahrhundert die weitverzweigten G e- schäftsbeziehungen und Handelserfahrungen reicher Juden zunutze, um den Staat mit unte r- schiedlichsten Mi t teln (Heereslieferun gen o. Luxusartikel etc.) zu versorgen. Diesen Hofjuden oblag auch die finanzielle Beratung ihres Herrschers, von dem sie unmittelbar abhängig w a ren; vgl. Kemlein (1997), S. 62. 75 Vgl. Trepp (1996), S. 66.

24 erfolgreich etablierte Tuchm a cherei und die jüdischen Handelsbeziehungen b e- fruchteten sich gegense i tig. 76 Nachdem die Zentralgewalt des Königtums in Polen immer mehr verfiel, war es der Kleinadel, der die jüdischen Zuwanderer mit Privilegien aussta t tete, die durch den raschen Wechsel der Grundherren nicht erloschen, sondern sich zu e i- nem „System verschiedenartiger Privilegierungen“ 77 ausweiteten. Juden dur f ten Mühlen und Brennereien unterhalten, teilweise sogar Steuern und Zölle ei n tre i- ben. Selbst im Handwerk konnten sie – im Gegensatz zu Deutschland – tätig sein, da ihnen nicht die Beschränkungen des deutschen Zunftwesens auferlegt waren. Unter diesen Bedingungen nahm die jüdische Bevölkerung außerorden t lich stark zu. 78 Die Teil ungen Polens in der Zeit von 1772 bis 1812 hatten tiefgreifende Fo l gen für die Juden. Das eigentliche Kernland des ehemaligen Königreichs Polen ve r- leibte sich Russland ein. Leo Trepp führt aus: „Rus s land, welches niemals Juden in seiner Mitte geduldet hatte, erhielt die weitaus größte Masse der poln i schen Juden. Damit begann der Leidensweg der osteur o päischen Juden. (...). Mit der Annexion Schlesiens und der Provinz Posen änderte sich die Struktur des gesa m- ten deutschen Judentums. Das Sch wergewicht verschob sich nach Osten mit Be r- lin als Mittelpunkt.“ 79 Frederic Grunfeld gebrauchte den Begriff „Familienäh n- lichkeit“, 80 um das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden zu beschreiben. Polen war im 19. Jahrhundert für be ide Völker ein Nährboden, auf welchem sie sich in einzigartiger Weise, sozusagen geschwisterlich, entwicke l ten. Dieses Ve r- hältnis näher zu analysieren, ist nicht Sinn dieser Einführung, doch wird uns diese einzigartige Synthese auch in Rosenthals Werdegang und Charakter wieder b e- gegnen. Ausgehend von der Annahme, dass die Umwelt den Menschen prägt, soll im folgenden Rosenthals Heimat näher betrachtet werden, bevor der Blick unmi t te l- bar auf sein L e ben gerichtet wird.

76 Vgl. Kemlein (1997), S. 39. 77 Zit. n. Kemlein (1 997), S. 26. 78 Vgl. Kemlein (1997), S. 27. 79 Zit n. Trepp (1996), S. 78. 80 Diesen Begriff zitiert Craig (1991), S. 143. In der Fülle der englischsprachigen Literatur von Frederic Grunfeld ist es nicht gelungen, den Begriff in sei nem Zusammenhang zu ermi t teln.

25 1.2. Rosenthals Heimat: Der Regierungsbez irk Bromberg

Der Kreis Schubin, zu welchem Labischin gehörte, war zur Zeit Rosenthals e i ner der bevölkerungsreichsten in der Provinz Posen. 81 Wie man sich die Ve r hältnisse dieser Region zur Zeit von Rosenthals Kindheit vorzustellen hat, ve r mittelt die Besch reibung des Arztes Dr. Carl Friedrich Ollenroth , der für die preußischen Behörden einen amtlichen Bericht über die Choleraepidemie des Jahres 1831 ve r- fasste. Diese war zur Zeit des polnischen Aufstandes gegen die russische Her r- schaft in Kongress - Polen ausgebrochen und auch in den Regi e rungsbezirk Bromberg eingeschleppt wo r den. Rosenthals Heimatkreis hatte die höchste Zahl an Choleratoten. 82 Der B e richt macht deutlich, dass die heutige Vorstellungskraft eines gut situierten B ürgers Mitteleuropas kaum ausreicht, um ein angemessenes Bild von den Lebensverhältnissen in Rosenthals Heimat zu entwickeln, ja sie können trostloser und bedrückender kaum gedacht werden. 83 Hier zeigt sich einer der Gründe, warum Rosenthals Heimat zum Abwa nd e rungsg e biet wurde.

81 Vgl. Ollenroth (1832), S. 7. 82 Vgl. Ollenroth (1832), S. 36. 83 Wegen seiner Ausdrucksstärke sei hier der Bericht über den sonst üblichen Umfang hinau s- gehend zitiert: „ (...). Trotz des lebhaften Verkehrs mit der Umg e gend un d dem benachbarten Polen, lebt die niedere Volksklasse, und ganz besonders die zahlreich zu derselben gehöre n den Juden im größten Elende und in der bittersten Armuth [!]. Christen und Juden dieser Kathegorie sind durchgehends der höchsten Unsauberkeit, die ersteren überdies noch der nie d- rigsten Völlerei ergeben, und das Unglaubliche wird beiden Beziehungen geleistet. Der engen, schlec h ten, feuchten und dumpfigen, dabei relativ überfüllten Wohnungen giebt  !  es viele, und das, allein aus solchen bestehende, vulgair Sibirien genannte Judenviertel, bietet, seiner U n- sauberkeit und seines Elends im Großen und Einzelnen wegen, den widerwärtigsten, den scheußlichsten Anblick dar. Mit Worten diese Gegend treu und erschöpfend zu schildern, die Unflätherei [!] und Ni edrigkeit ihrer Bewohner dem Thatbestande gemäß darzustellen, ist w e- nigstens mir unmöglich. (...). Die Masse der Einwohner des D e partements lebt in der größten Armseeligkeit und Dürftigkeit; und indolent und unwissend, nicht weniger moralisch und r e l i- giös sehr vernachlässigt, ist es dem Müßiggange, der Unsa u berkeit, dem Aberglauben und den Vorurtheilen [!] sehr ergeben, und zu Lastern geneigt. Ganz besonders huldigt sie dem Laster der Völlerei, und unbekümmert um das Elend des folgenden Tages, um die eigne und um die Subsistenz der Familie wird der Verdienst des Augenblicks in den überall nur zu zah l reichen Branntwein - Schenken, auf niedrigste Weise geschwelgt. Uebermannt von der dämon i schen Wirkung des Fuselgetränks erwacht die nationale Streit - und Zanksuch t, thätliche [!] Streiti g- keiten erheben sich, und schwere Verletzungen, nicht selten Todtschläge sind die grässlichen Folgen des m o ralischen Gebrechens. In dem Maße wie man sich den östlichen Grenzkreisen des Depart e ments nähert, nimmt mit der Dichtheit de r polnischen, wie oben bereits erwähnt quasi ide n tisch mit der katholischen Bevölkerung, die Neigung zum Laster des Trunkes zu, und mit der Zunahme dieser Neigung von Westen nach Osten, hält die A b nahme der Wohlhabe n-

26 Die Gegend um Labischin ist weites ebenes Land mit ausgedehnten Wiesen und Wäldern, durch die sich die Netze schlängelt. Auf den kargen Sandböden gedeihen nur lichte Kiefernforste, der große Lab i schiner Forst begrenzt den Ort

heit und die Zunahme der Dürftigkeit gle ichen Schritt. (...). Den Deu t schen, fast durchgehends protestantischen Bewohnern des Departements kann man im Allg e meinen mehr Sinn für Or d- nung, Reinlichkeit, Nüchternheit und Mäßigkeit nachrühmen, daher sie ihren Mitbürgern Poln i- scher Abkunft an Wohlhabe nheit auch überall vorstehen. (...). Sinn für Ordnung, Regelmäßi g- keit und Reinlichkeit geht den Polen im Allgemeinen ab. Zu schwach Grundsätze zu erfassen und fes t zuhalten, leben sie vielmehr planlos, und ihre Werke sind gewöhnlich nur vom Zufall begün s tig te Geburten des Augenblicks. Die große Masse des Polnischen gemeinen Mannes, der Knechtschaft jetzt zwar gesetzlich entzogen, ihr aber ke i neswegs geistig und gemüthlich [!] entwachsen, überdies indolent, ignorant, bigott und abe r gläubisch, ist ein willenlo ses Werkzeug in der Hand ihrer durch Scharfsinn, Urtheilskraft, U m sicht und Kenntnisse in der Regel nicht ausgezeichneten weltlichen Herren und geistlichen Hirten. (...). Der Ausdruck: Polnische U n- reinlichkeit ist sprichwörtlich geworden, und wer hierin di e Meisterschaft erlangt hat, der po l- nische Jude oder Christ, ist schwer zu entscheiden. (...). Die auf dem Lande über alle Begriffe schlechten, großentheils barackenartigen und ru i nenhaften Gebäude, gewöhnlich von Lehm und Holz planlos und irregulär, in al len Dimensi o nen nach dem kleinsten Maaßstabe gebaut, oft nur zum Theil mit Stroh bedeckt, mit kleinen, niedrigen, oft nicht einmal zum Oeffnen eing e- richteten Fenstern, mit rauchenden Lehm - oder Ziegel - Oefen und gleichen Schornsteinen ve r- sehen, li e gen auf e bener Erde, nicht selten aber auch in nach und nach durch die Unsauberkeit und Faulheit der Bewohner hoch g e wachsenen Koth - und Mistschichten so vertieft, dass die Jauche von diesen, besonders bei nasser Witt e rung, dem Gesetze der Schwerkraft folgend, durc h die Fensterspalten, oder durch andere Wand - Oeffnungen sich Bahn brechend, in die Wohnungen dringt, und die durch die übrigen Verhältnisse dort bedingte Mephitis [d.i. Luf t- verpe s tung, Verf.] zum Extreme steigert. (...). Dunkel, dumpfig, niedrig und feucht , bieten diese Wohnu n gen kaum den nothdürftigen Raum für ihre Bewohner, welcher durch trauliches Zusammenleben mit Schweinen, Gänsen, Enten und Hühnern, durch die ebenfalls in der einz i- gen Stube des Hauses mit gährendem Kohl und durch den gewöhnlich unter dem Bette aufg e- speicherten Wintervorrath an Erdtoffeln [!] noch mehr beengt und verpestet wird. (...). Viele leben gemeinschaftlich mit dem Viehe in den Stä l len und mir selbst ist es vor einigen Jahren vorgekommen, dass ich auf das Land zur Hülfeleistung b ei schweren Entbindungen gerufen, in einem Falle die Kreissende in einem leeren, in dem zweiten Falle in einem mit der Kuh beset z- ten Stalle liegend gefunden und so entbu n den habe. Große welthistorische Aehnlichkeit, aber warlich [!] nichts Reizendes hatte der Fall; ich musste die Neugebornen, beim Mangel eines andern schicklichen Ortes, nach Möglichkeit gut verwahrt, in die Krippe legen und mich hier nach alter Gewohnheit bei En t bindu n gen auf dem Lande, vor der Thür unter freiem Himmel reinigen. Situationen dieser Art sind in der That nicht lockend für Ärzte, die eine lu c rative und bequeme Praxis suchen und lieben. Viele Individuen auf dem Lande erma n geln jeder Art von Wohnung; diese graben sich gleich den Maulwürfen auf dem freien Felde ein und versehen die Gruben mit einem leichten Dache. (...). Die Kleidung der ni e dern Volksklasse ist dürftig und unsauber. Die Pelzmütze darf nicht fehlen, wogegen die Fußbekleidung sehr vernachlässigt wird. “ Zit. n. Ollenroth (1832), S. 11 u. 12.

27 nach No rdwesten. Die bewohnbare Fläche war früher „durch Sandsteppen, Waldstrecken, Torfmoore, Brücher und Wasserflächen mehr oder weniger b e- schränkt“. 84 Im Frühjahr neigte die Netze regelmäßig zu Überschwemmungen, bis 1869 verschiedene Kanalsysteme zur Regulierun g gebaut wurden. 85 So u n günstig die Überschwemmungen auch für den Ackerbau w a ren, so vorteilhaft wirkten sie sich auf den Boden als Futterweide für das Vieh aus. 86 Wie schon erwähnt, wurde Isidor Rosenthal am 16. Juli 1836 als Sohn eines Landarztes in Labis chin geboren. 87 Dieser Ort war eine der Städtegrü n dungen nach deutschem Recht, die im 14. Jahrhundert auf Betreiben der polnischen La n- desherren zustande gekommen waren. Dieses „ius teutonicum“ stellte ein beso n- deres Siedlerrecht dar, dessen Hauptmerkmale Se lbstverwaltung, G e richtsbarkeit, Wehr - und Befestigungshoheit umfasste. 88 Im 18. Jahrhundert e r hielt Lab i schin einen neuen, rechtlich selbstständigen Stadtteil, was wieder ein Ergebnis deu t- scher Neuansiedlung war. 89 Die Teilung in Neustadt und Altstadt ist d eutlich am Stadtbild zu erkennen. Generell kann man sagen, dass die B e völkerung in den größeren Städten überwiegend deutsch und evangelisch, wä h rend diejenige der kleinen Orte überwiegend polnisch und kath o lisch war. 90

Rosenthal besuchte von 1846 bis 1855 das Gymnasium in der Bezirkshaup t stadt Bromberg. 91 In der öden Landschaft des Netzegebietes war die Stadt ein bede u- tender Handelsort. 92 Ihre Gründung fällt – wie die von Labischin – in das 14. Jahrhundert, in welchem die deutsche Kolonisierung ihren Höhepunk t erreicht hatte. Auch für Bro m berg galt das Magdeburger Recht, nachdem der polnische König Kasimir der Große den deutschen Kolonisten Johann Kesselhuth , dessen Aufgabe in Werbung und Ansiedlung neuer Ko lonisten bestand, 1346 mit dem Gründungsprivileg ausstatt e te. 93 Die Stadt wurde an einer günstigen Stelle der Brahe in der Nähe der Weichsel an der alten, in Nord - Süd - Richtung verlaufe n den Handelsstrasse angelegt. 94 Sie wurde zu einer Rivalin der berühmten H a n del s-

84 Zit. n. Ollenroth (1832), S. 7. 85 Vgl. Klauschenz (1995), S. 151 - 166. 86 Vgl. Schulemann (1869), S. 1. 87 UAE: Goldenes Buch (o. J.), S. 1. 88 Vgl. Rogall (1993), S. 21. 89 Vgl. Rogall (1993), S. 37. 90 Vgl. Streiter (1986), S. 17. 91 Vgl. UAE: Goldenes Buch (o. J.), S. 1. 92 Vgl. Schmidt (1902), S. 6. 93 Vgl. Ohlhoff (1995), S. 9. 94 Vgl. Schmidt (1902), S. 8.

28 stadt Thorn, die zum Gebiet des Deutschen Ordens gehörte. 95 Ursache zum Streit war die Vorherrschaft über den Salzhandel. Gerade der Schiffsverkehr mit Weichselkähnen verschaffte Bromberg Zugang zu den wichtigen Handelsplä t zen Elbing und Danzig, sodas s es weiter zu einem blühenden Gemeinwesen wuchs. 96 Am Ende des 16. Jahrhunderts galt Bromberg als ein bedeutender und blühender Handelsplatz der Region und konnte die beachtliche Zahl von etwa 15.000 Ei n- wohnern verzeichnen, bis mit dem Niedergang Polens au ch Bro m bergs Verfall einsetzte. 97 Dieser begann, als Schweden unter Gustav Adolf 1626 den Krieg g e- gen Polen begann. Nach der schwedischen Besetzung war Bromberg, einer der größten Getreidehandelsplätze Polens, zerstört und die B e völkeru ngszahl auf w e- nige Hundert herabgesunken. Moskowiter und T a taren suchten die Stadt 1707 heim, und eine schwere Pest wütete im Jahre 1710. 98 B e sonders hinderlich für die Entwicklung der Region war die einseitige Ausric h tung auf den Getreideanbau und - export. Die Willkür der Grundherren zwang viele Bauern zu Frondiensten, sodass große landwirtschaftliche Flächen ung e nutzt blieben und die Region von Hu n gersnöten bedroht war. Ein neues Kapitel begann, als Bromberg 1772 zu Preußen kam. 99 Die Verwa l- tung wurde derje nigen in den preußischen Provinzen angeglichen und die Lei b e i- genschaft der Bauern abg e schafft. Friedrich II. ließ einen Kanal bauen, der Netze und Brahe miteinander verband. 100 Aufgrund des Kanalbaus entwickelte sich Bromberg erneut zum wirtschaftlichen Mittelpunkt im Netzebezirk. Das Engag e- ment Friedrichs II. für Bromberg war außergewöhnlich, keiner anderen Stadt ga l- ten die gleichen Anstrengungen. 101 Denn nachdem 1772 die Annexion Danzigs nicht gelungen war, sollte ein neues Ha ndelszentrum an der Brahe en t stehen, das mit der nördlichen Metropole zu konkurrieren vermochte. Die R e form der Lan d- wirtschaft und die Ansiedlung von Handwerkern und Industrien gingen Hand in Hand. B e sonderes Augenmerk galt auch der Trockenlegung von Sümpf en und der Urbarmachung unfruchtbarer Böden. Die Bromberger erric h teten Friedrich II. auf dem Marktplatz ein Denkmal, bei dessen Grundsteinl e gung Regierungspräsident Freiherr von Schleinitz die überragende Bedeutung des Preußenkönigs mit den Worten u n terst rich, dieser sei ein neuer Begründer der Stadt gewesen und habe

95 Vgl. Schmidt (1902), S. 31. 96 Vgl. Fornaçon (1995), S. 71. 97 Vgl. Schmidt (1902), S. 43. 98 Vgl. Schmidt (1902), S. 44 u. 54. 99 Vgl. Hartmann (1995), S. 125. 100 Vgl. Klauschenz (1995), S. 151. 101 Über die besondere Bedeutung Friedrich II. für Bromberg s. Har t mann (1995), S. 125 - 150.

29 den damals „wüsten Netzedistrikt in blühende A u en und Bromberg in eine woh l- habende gewerbe - und zukunftsreiche Stadt“ 102 verwa n delt. Nach dem Sieg Napoleon s über Pre ußen 1807 fiel Bromberg bis 1813 an das neugegründete Großherzogtum Warschau. 103 Mit dem Zusammenbruch Pre u ßens war es zu einer polnischen Volkserhebung gekommen, die allerdings auf Bromberg keinen nennenswerten Einfluss hatte. Dies gilt übrigens auch für de n N o vember - Aufstand von 1830 und die Unruhen der Revolution von 1848. 104 Der Netzebezirk scheint von den wesentlichen Umbrüchen der Zeit kaum b e rührt worden zu sein; er blieb ein stiller bürgerlicher Winkel. Noch heute e r weckt Bromberg den Eindruck eines etw as verschl a fenen Kreisstädtchens. 105 Als der Regierungsbezirk Bromberg durch den Wiener Kongress wieder Pre u- ßen zugeschlagen wurde und die russischen Besatzungstruppen abzogen, nahmen bemerkenswerter Weise die Juden Brombergs dieses Ereignis überaus wohlwo l- l end an und errichteten sogar eine Ehrenpforte für den Empfang der preußischen Garnison. 106 Hier zeigt sich, wie preußenfreundlich die Stimmung im polnischen J u dentum war.

In der Geschichte der Stadt nahm das Schulwesen eine herausrage n de Stellung ein. Fried rich II. verhinderte 1773 die Auflösung des bestehenden Jesuitenko l legs durch direkte Verhandlungen mit dem Vatikan und wandelte es in ein k ö nigliches Gymnasium um. Nach der Neuorg a nisation des Bildungswesen durch Wilhelm v on Humboldt entwickelte es sich zum Mittelpunkt der höheren Bi l dung für das ganze Netzegebiet. Der Zuspruch im Regierungsbezirk war enorm, und es grü n- deten sich Gesellschaften, deren Bemühen es war, hilfsbedürftige Gymnasiaste n zu unterstützen sowie die Schule selbst mitzufina n zieren. 107 Das Bromberger Gymnasium war betont humanistisch ausgerichtet. Das Hauptgewicht lag zunächst auf den klassischen Sprachen, was sich darin zeigt, dass die Abiturienten ganze Reden in Lateinisch u nd Gri e chisch halten mussten. Die große Strenge und Schulzucht gab in den vierziger Jahren Anlass für B e- schwerden beim Unterrichtsministerium. Die Schulzeit Rosenthals an dieser Schule fällt mit dem Wirken Johann Heinrich Deinhardts zusammen. Der geb o r e- ne Thüringer hatte seine wissenschaftliche Ausbildung in Berlin erhalten und die

102 Zit. n. Hartmann (1995), S. 148. 103 Vgl. Schmidt (1902), S. 65. 104 Über die Auswirkungen des polnischen Aufstandes von 1830 und der Rev o lution von 1848 s. Schmitz (1941), S. 240 - 264. 105 Siehe Bildteil Abb. 5. 106 Vgl. Schmidt (1902), S. 69. 107 Vgl. Rasmus (1995), S. 180.

30 Position eines Oberlehrers in Wittenberg inne. Schon früh war man im preuß i- schen Kultusministerium auf diese hochbegabte Persönlichkeit durch se i ne refo r- merischen Fachveröffentli chungen aufmer k sam geworden. Bereits 1837 hatte er die richtungsweisende Schrift „Der Gymnasialunterricht nach den wi s senschaftl i- chen Anforderungen der Gegenwart“ herausgegeben. Deinhardts b e sonderes A n- liegen war die charakterliche Bildung der Persönlichke it seiner Schüler, verbu n- den mit einer streng wissenschaftlichen Ausrichtung. Die Regi e rung vertraute 1844 dem neununddreißigjä h rigen die Leitung der Schule an. Später erhielt die Beschäftigung mit den geisteswissenschaftlichen Disziplinen Philosophie und R e- ligion erhebliches G e wicht. 108 Die Persönlichkeit Johann Heinrich Deinhardts muss bei Rosenthal einen sta r- ken Eindruck hinterlassen haben und von großer Faszination gewesen sein. Au f- fällig ist die erstaunliche Parallelität des späteren Lebens Rosenthals mi t demjen i- gen von Deinhardt . Dieser war in seinem Wirken als Gelehrter, Schrif t steller, P o- litiker und Pädagoge eine auße r ordentlich vielseitige Erscheinung und gilt in der Schulgeschichte als bedeutende Direktorengestalt. Er gründete einen Armenve r- ein und richtete eine Hinterbliebenenkasse für die Angehörigen ve r storbener Le h- rer ein. Durch rege Vortragstätigkeit war er ein Förderer der E r wachsenenbi l- dung. 109 In all diesem drückte er Rosenthal seinen Stempel auf. Besonders das Bemühen um die R e form des Bildungswesens und die politische sowie wohltätige Beschäftigung sollten später auch Rosenthals Handeln b e stimmen. Offensichtlich trat Deinhardt für die Ziele der Revolution von 1848 ein. Er hie lt leidenschaftliche Reden und ließ die schwarz - rot - goldene Fahne auf dem Schu l- gebäude hissen. Auf den damals zwölfjährigen Pennäler Rosenthal mü s sen diese Ereignisse nachhaltig gewirkt haben. Auch er sollte dem Liberalismus fest ve r- bunden bleiben. Deinhar dt wurde jedoch zunächst als Liberaler und „Verführer der Jugend“ 110 geächtet und kam in ernstzunehmende Schwierigke i ten, die alle r- dings nur von kurzer Dauer waren. Schon 1852 würdigte der Obe r präsident von Puttkamer das kö nigliche Gymnasium zu Bromberg als Muste r schule. 111 Deinhardt erhielt den Roten Adler Orden und bekam 1860 die Ehre n doktorwürde der Berliner Universität verliehen. Beachtenswert ist, dass die Gymnasien in Bromberg und Lissa die einzigen Bildungsanstalten waren, an denen ausschlie ß- lich deutsch gesprochen wurde. Dadurch erfolgte eine Orie n tierung der zukünft i- gen Studenten auf deutsche Universitäten hin, besonders auf die Berliner Unive r-

108 Eine detaillierte Darstellung der Schulgeschichte des Bromberger Gymnasiums so wie die Bedeutung Johann Heinrich Deinhardts b e schreibt Rasmus (1995), S. 179 - 193. 109 Vgl. Rasmaus (1995), S. 184. 110 Zit. n. Rasmus (1995), S. 185. 111 Vgl. Rasmus (1995), S. 185.

3 1 sität, die als Verwirkl i chung der Ideale der Bildungsreform angesehen wurde und entsprechend normative Kraft ha t te. Die Unruhen des Jahres 1848 riefen in Bromberg die deutschen Patrioten auf den Plan. Es kam zu Kundgebungen, die, sehr friedlich verlaufend, einen A n- schluss an den Deutschen Bund fo rderten. 112 Dass Bromberg einen hohen A n- teil 113 an deutscher Bevölkerung zu verzeichnen hatte, hängt mit der schon e r- wähnten Kolonisation im 14. Jahrhundert zusammen. 1860 hatte die Bezirk s- hauptstadt insgesamt 17.755 Einwohner. Die Glaubensbekenntnisse zählten 11.676 evangelisch - lutherische Mitglieder, 4.710 Katholiken und 1.369 J u den. 114 Bromberg hatte 1851 Anschluss an die erste Teilstrecke der Ostbahn des E i- senbahnnetzes erhalten. 115 Schnell verbesserten sich die Verbindungen nach Da n- zig und Posen. Auch der Str aßenbau machte beachtliche Fortschritte, w o von der polnische Mittelstand am meisten profitierte. 116 Gestärkt durch kirchl i chen Ei n- fluss stieg der Anteil am polnischen Bürgertum, während sich unter den Deu t- schen ein Trend zur Orientierung nach Westen entwicke lte. Die kath o lische Ki r- che wirkte durch Überbetonung des polnischen Elements polarisi e rend in Bezug auf den Gebrauch der Sprachen an Sch u len und auf Behörden, sodass der Kampf um die Sprache sich zu einer Auseinandersetzung der Nati o nalitäten entwicke l- te. 117 In dieser konfliktschwangeren Zeit fasste Rosenthal den Entschluss, seine Heimat zu verlassen und immatrikulierte sich 1855 an der Friedrich - Wilhelm - Universität in Be r lin. 118

1.3. Das Judentum in der Provinz Posen

Für das Verständnis Rosenthals ist es notw endig, einige wesentliche Aspekte se i- nes religiös - kulturellen Hintergrundes aufzuzeigen. Frau Sophia Kemlein hat in

112 Vgl. Schmitz (1941), S. 254. 113 Für Bromberg war der deutsche Bevölkerungsante il ungefähr doppelt so hoch wie der po l- nische. Vgl. Olle n roth (1832), S. 9. 114 Umfangreiches statistische Material zum Regierungsbezirk Bromberg findet sich bei Hof f- mann (1860), S. XXII. 115 Eine Karte mit den Jahreszahlen fertig gestellter Streckenabschnitte siehe Putzger (1970), S. 99. 116 Vgl. Schmitz (1941), S. 246. 117 Vgl. Hagen (1980), S. 100. 118 Vgl. AHUB: AZ 386, Bl. 185. Abgangszeugnis der Friedrich - Wilhelm - Universität.

32 ihrem Werk „Die Posener Juden“ umfassend und detailliert die Verhältnisse der Juden in der Provinz Posen da r gestellt . Wie schon in Kapitel 1.1. beschrieben, war der Bevölkerungsanteil von J u den in der Provinz Posen besonders hoch. Hier, im Westen Polens, war er desw e gen am höchsten, weil der Kosakenaufstand unter Bogdan Chmielnicki 1648 zu e i ner Massenflucht der Juden aus den östlichen Landesteilen geführt hatte. 119 Die Grausamkeit der Ausschreitungen war unbeschreiblich und bewirkte innerhalb des Judentums eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Frage nach der Erl ö- sung des Volkes durch den M ess i as. 120 Die Folge war eine Spaltung des bisher recht einheitlichen Judentums in einen traditionellen und einen reformerischen Flügel. Die orthodoxe Frömmigkeit (Chassidismus) breitete sich stärker in Ker n- polen und im Osten aus, während, beeinflusst durch die Gedanken der Französ i- schen Revolution und der Aufklärung, im Westen, also in der Provinz Posen, die Reformbewegung (Haskala) vorherrschte. Eines ihrer Ziele war die politische Gleichberechtigung, welche auf Assimil a tion abzielte. 121 Im Netzedistrikt hatt en sich die Juden überwiegend in den kleineren Städten niederg e lassen; Rosenthals Geburtsort Labischin ist hierfür beispielhaft. 1860 zählte Labischin 2.287 Einwohner, von denen 963 evangelischen, 691 kathol i- schen und 633 jüdischen Glaubens waren, also bei nahe ein Drittel. 122 Die Ve r te i- lung der Glaubensrichtungen ist für die kleineren Städte charakteristisch. Mit der Einführung des „Code Napoléon“ erhielt auch der Regierungsbezirk Bromberg ein verbindliches Recht, welches die Juden in den Stand gleichb e rechti gter Bü r- ger erhob. Das war lange Zeit nicht der Fall gewesen. Selbst unter dem als aufg e- klärt geltenden Friedrich II. w a ren die Juden durch das Revidierte General - Privilegium noch in sechs unte r schiedliche Klassen je nach B esitzstand und Beruf unterteilt und wurden damit hinsichtlich ihrer Rechte entsprechend verschieden beha n delt. 123

119 Vgl. Trepp (1996), S. 72. 120 Das griechische Wort für den hebräischen Ausdruck maschi ach . Die Übersetzung des Wo r- tes bedeutet „Gesalbter“. Im Altertum wurden Priester und Könige mit Öl gesalbt. In den Pr o- phetenbüchern des Alten Testamentes wird den Juden das Kommen eines Mannes vorau s g e- sagt, der Israel von seinen Feinden befreit und das Re ich Juda sowohl religiös, als auch p o l i- tisch, also in Kultus und Staat, wiederherstellt. In seiner Person vereint der Messias beide El e- mente: Er ist religiöser Mittler zu Gott und zugleich politischer Führer des Volkes. Vgl. Co e- nen (1971), S. 760 - 767. 121 Vg l. Kemlein (1997), S. 202 - 255. 122 Vgl. Hoffmann (1860), S. XXII. 123 Vgl. Trepp (1996), S. 78.

33 Mit der erneuten Annexion des Gebietes durch Preußen änderte sich für die Juden etwas Grundlegendes: Sie wurden wieder Bürger eines Staates, der im i n- ternationalen Vergleich hinsichtlich des Fortschritts der Judenemanzipation, a b- gesehen von der Schweiz und Norwegen, ein Hinterbänkler war. 124 Die „li e derl i- che polnische Wirtschaft“ 125 hatte Juden den Vorteil geboten, Freiheiten in A n- spruch zu nehmen, ja zugesprochen zu bekommen, die andernorts undenkbar g e- wesen w ä ren, man denke nur an das Recht, Steuereintreibung zu pachten oder Zölle zu erheben. 126 Nun galt wieder das rückständige Judenreglement von 1750, welches den Juden viele bürgerliche Rechte vorenth ielt. Lediglich das Recht auf freien Handel, Besitz und Wohnung wurde gara n tiert. Die gesetzliche bürgerliche Gleichstellung in Preußen erfolgte erst 1812, als König Friedrich Wilhelm III. das Emanzipationsedikt 127 erließ. Dami t wurden die Juden zu preußischen Staatsbü r- gern und genossen das Recht auf Freizügigkeit und Grundbesitz. Die im Zuge der Reformen eingeführte Gewerbefreiheit schaffte die seit dem Mittelalter das B e- rufsbild der Juden prägende Berufsbeschränkung ab. Die We h r pflicht wurde auf Juden ausgedehnt und die Eheschließung mit Christen erlaubt. Darüber hinaus war der Weg zum Lehramt geöffnet. Bedeu t sam ist jedoch, dass im Großherzo g- tum Posen – und damit im Regierungsbezirk Bromberg – die vielen regionalen Judenverord nungen noch in Kraft blieben und die Verwirklichung des Emanzip a- tionsediktes lediglich in Aussicht gestellt wurde. 128 Mit Rücksicht auf den großen Bevölkerungsanteil von Polen war nämlich die Provinz Posen nicht dem Deu t- schen Bund angegliedert worden. 129 Ebens o waren in der Zeit bis 1850 die Zug e- ständnisse an die Juden durch ei n zelne Erlasse wieder aufgehoben worden, 130 s o- dass den Juden nach wie vor eine akadem i sche oder staatliche Laufbahn vorwehrt blieb. Deshalb wandten sich viele den sogenannten freien Berufen zu, wurden Ärzte und Rechtsanwälte. 131 Dies trifft auch für Rosenthals Vater Samuel zu, der praktischer Arzt auf dem Lande war. 132 1840 wurde durch Allerhöchste Kab i-

124 Dies veranschaulicht eine Karte von Europa mit den Jahreszahlen der rechtlichen Gleic h ste l- lung der Juden in den einzelnen Staaten. Siehe Preußischer Ku l turbesitz (1981), S. 167. 125 Diesen Ausspruch Friedrich II. zitiert Streiter (1986), S. 10. 126 Vgl. Kemlein (1997), S. 28. 127 Der vollständige Wortlaut des Edikts findet sich bei Schoeps (1988), S. 81 - 83. 128 Vgl. Volkov (2000), S. 20. 129 Vgl. Kemlein (1997), S. 71. 130 Vgl. Kemlein (1997), S. 74. 131 Vgl. Trepp (1996), 115. 132 Isidor Rosenthal erwähnt den Beruf seines Vaters in seinem Lebenslauf. Vgl. AHUB. Med.Fak. 1327, Bl. 1.

34 nettsordre die Zahl der jüd i schen Mitglieder in den Stadtverordneten versammlu n- gen auf ein Drittel b e schränkt. 133 Von großer Tragweite für die weitere Entwicklung war die „Vorläufige Ve r- ordnung wegen des Judenwesens im Großherzogtum Posen“ 134 aus dem Jahr 1833, da nun endlich ein verbindliches Gesetz die Unordnung der bestehend en region a len Einzelverordnungen ablöste. Der Oberpräsident der Provinz, Eduard Flottwell , hatte sich eingehend mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage der J u- den auseinandergesetzt und beabsichtigte, diese größtenteils tief ver elendete B e- völkerungsschicht zu brauchbaren Staatsbürgern zu erziehen. Die Vorste l lung, auf diese Weise einen schlechten Einfluss auf das gesamte Gemeinwesen zu u n- terbinden, war hier die Triebfeder. Zu diesem Zweck wurden die jüdischen G e- meinden und damit die Aufgaben Bildung und Erziehung staatlicher Aufsicht u n- terstellt. 135 Das Abgabewesen in den Gemeinden hatte zu einer außerordentl i chen Verschuldung geführt und wurde nun ebenfalls staatlich überwacht. 136 Von jüd i- scher Seite wurden die neuen Verordnungen mit Wohlwollen aufg e nommen, ve r- sprach man sich doch von dem neuen Kurs in der preußischen P o l i tik eine Ve r- besserung der Verhältnisse. Denn die Erinnerung an die Willkür des polnischen Adels und des katholischen Klerus war noch nicht in Verge s senheit ger a ten. Die neue Verordnung teilte die Juden entsprechend ihren sozialen und wir t- schaf t lichen Verhältnissen in zwei Klassen. Es wurde zwischen naturalisierten und nicht naturalisierten Juden unterschieden. 137 Der Begriff der „Naturalisat i on“ meinte eine annähernde Gleichstellung mit den übrigen Staatsbürgern. V o rausse t- zung für die Naturalisation waren ein unbescholtener Lebenswandel und die F ä- higkeit und die Verpflichtung, sich in allen öffentlichen Angelegenheiten au s- schließlich der deutschen Sprache zu bedienen. A ußerdem war eine ausre i chende wirtschaftliche Grundlage für die Familie, d. h. ein anerkannter, ehrb a rer Beruf in Handwerk, Handel oder Kunst und schuldenfreier Besitz einer b e stimmten Gr ö- ßenordnung nachzuweisen. 138 Die Gruppe der naturalisierten J u den geno ss G e- werbefreiheit, hatte keine Einschränkung in der Wahl des Wo h nortes, konnte Grundbesitz und das städtische Bürgerrecht erwerben und damit auch zu Stad t- verordneten gewählt werden. Von Staatsämtern blieben Juden a l lerdings weiter ausgeschlossen, doch kon nten sie nun freiwillig Wehrdienst lei s ten. Die nicht n a-

133 Vgl. Volkov (2000), S. 32. 134 Der vollständige Gesetzestext ist abgedruckt bei Kemlein (1997), S. 331 - 337. 135 Ausführlich über die Ausführung der Flottwell´schen Bestimmungen und ihre Folgen für das Posener Jude n tum vgl. Kemlein (1997), S. 109 ff. 136 Vgl. Heppner (1909), S. 335. 137 Vgl. Kemlein (1997), S. 141 ff. 138 Vgl. Preußischer Kulturbesitz (1981), S. 141.

35 turalisierten Juden waren lediglich geduldet und hatten ke i nen Anteil an den ne u- en Rec h ten. Damit sollte ein Anreiz geschaffen werden, die persönliche Lage zu verbessern. Für den Regierungsbezirk Bro mberg war kennzeichnend, dass es zu einer r e- gelrechten Antragsflut für das Naturalisation s verfahren kam. In keinem Bezirk der Provinz Posen waren die Juden so loyal zu den Maßnahmen der preußischen Regierung eingestellt wie hier. Weiterer Inhalt des Verfah rens war eine Neur e g e- lung der Verwaltung der jüdischen Gemeinden, wodurch diese in Verm ö gensa n- gelegenheiten zu „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ wurden. In den El e- mentarschulen war ausschließlich Deutsch als Unterrichtssprache vorg e schri e- ben. 139 Die G emeinden wurden verpflichtet, die Schüler ausschließlich in bürge r- lichen Berufen auszubi l den. Insgesamt gesehen führten diese Maßnahmen zu dem von Eduard Flottwell verfolgten Ziel, die Verhältnisse der Juden zu verbessern. Eine b eachtliche Ei n- deutschung und Verbürgerlichung des Judentums setzten ab diesem Zeitpunkt ein. Sophia Kemlein sieht in den Verordnungen von 1833 „ein Erziehungsg e setz par excellence“. 140 Flot t well wollte durch Hebung des Wohlstandes und Lenkung des bürgerlichen Mittelstandes das Verlangen nach einer staatlichen Wiederherste l- lung Polens a b schwächen und die Ablehnung Preußens mindern. Der Versuch, das Polentum zu integrieren, scheiterte zwar an der von preuß i scher Seite unte r- schätzten klar en Absage der polnischen Intelligenz, jemals Preußen werden zu wollen. 141 Das Judentum jedoch begann, sich an das deu t sche Bürgertum anz u- lehnen. In der deutsch - jüdischen Geschichtsschreibung ist Eduard Flottwells Pol i- tik ausg e sprochen wohlwollend beurteilt w orden, obwohl ja mit der bürgerlichen Emanzipation ein gewisser Anpassungsdruck verbunden war. 142 Ein Ergebnis der P o litik Flottwells war die Entfremdung der Juden der Provinz Posens mit dem Polentum und ihre für die Entwicklung Rosenthals b e deutsame Hinwend ung zum Deutsc h tum. 143

139 Vgl. Kemlein (1997), S. 102. 140 Zit. n. Kemlein (1997), S. 106. 141 So formulierte Graf Eduard Raczynski: „Wir haben seit 25 Jahren uns nicht mit den Pre u ßen amalgamieren wollen; jetzt droht uns die G efahr, mit allen germanischen Stämmen in polit i- scher Rücksicht verschmolzen zu werden, (...), dagegen aber die Bande zu lösen, die uns mit den in Wa r schau, in Krakau, Lemberg und Wilna wohnenden Polen zu vereinigen, und deren Fortdauer uns durch den Wiener Friedens - Congress zugesichert worden ist“. Zitiert n. Stre i ter (1986), S. 91. 142 Vgl. Kemlein , (1997), S. 109. 143 Vgl. Hagen (1980), S. 89.

36 Die Juden des Regierungsbezirks Bromberg übernahmen eine Führungsrolle, als 1842 in einer Petition an den König gefordert wurde, das Emanzipation s edikt von 1812 auch auf die Provinz Posen auszudehnen. 144 Auf verschiedenen Provinziallandt agen in den folgenden Jahren wurden die jüdischen Abgeordn e ten nicht müde, die vollständige Gleichberechtigung zu fordern. 1847 gelang es, die uneingeschränkte Freizügigkeit zu erreichen. Damit hatte auch die Bro m berger Stadtverwaltung keine Handhabe mehr, dem Zuzug weiterer Juden en t gegenz u- wirken. 145 Die Emanzipation kam rechtlich 1850 zu einem vorläufigen Abschluss, als die „Revidierte preußische Verfa s sung“ in Kraft trat. 146 Artikel 4 formulierte die Gleichheit aller Preußen vor dem Gesetz, Artikel 12 löste den Genuss der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte vom Glaubensbekenn t nis ab. 147 En d- lich wurde das Emanzipationsedikt auch für die Provinz Posen rechtsverbindlich. Damit war der Weg zur vollständigen Emanzipat i on formal gesehen geebnet. 148 Die Trennung in naturalisierte und nicht naturalisierte Juden wurde aufgeh o ben und alle Juden vor dem Recht gleichgestellt. Allerdings bedeutete Artikel 14 ins o- fern eine Einschränkung, als die christliche Religion für Staatsämter v o rausg e- setzt wurde, die mit der Religi onsausübung im Zusammenhang sta n den. Damit wurde faktisch der christliche Charakter des Staates festgeschri e ben. 149 Ferner darf nicht übersehen werden, dass es nur einem geringen Teil von Juden, die B e- sitz und Bildung erworben hatten, gelang, sich tatsächlic h in die bürgerl i che G e- sellschaft zu integrieren.

Besonderes Augenmerk verdient das Verhältnis von Juden zu Polen und Deu t- schen. 150 Schon in den Befreiungskriegen hatten sich viele Juden bereitgefu n den, für die preußisch - deutsche Sache einzutreten. Freiwil lige hatten sich zu den pre u- ßischen Fahnen gemeldet. 151 Als 1812 das Emanzipationsedikt, das wenige Kil o- meter entfernt in Westpreußen galt, nicht in der Provinz Posen a n gewendet wu r- de, löste dies eine Flut von Beschwerden und Bittschriften an die pre u ßischen

144 Vgl. Heppner (1909), S. 338. 145 Vgl. Heppner (1909), S. 338. 146 Vgl. Wolbe (1937), S. 2 77. 147 Der genaue Wortlaut der Artikel findet sich bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatski r chenrechts, Bd. II, Berlin, 1976, S. 37. 148 Vgl. Jersch - Wenzel (1987), S. 183. 149 Vgl. Preußischer Kulturbesitz (1981), S. 165. 150 Dieser Aspekt wird besonders bei Hagen (1980) und Jersch - Wenzel (1987) erörtert. 151 Vgl. Nägler (1996), S. 7.

37 Behörden aus. 152 Als Posen 1815 wieder zu Preußen kam, wurden vielerorts E h- renpforten für die einrückenden preußischen Truppen aufg e stellt. 153 Bei Ausbruch des polnischen Novemberaufstandes 1830 wandten sich die Gemeinden von Bromberg, Inowrazlaw und Lissa mi t einer Bittschrift an den König, die wehrha f- te jüdische Jugend zum Militärdienst heranzuziehen. 154 In der Petition wurde d a- rauf hingewiesen, dass die Bromberger Gemeinde schon in den Befreiungskriegen von 1813 Freiwillige ausgerüstet und damit i h ren Pa t riot ismus bekundet habe. 155 Der Aufstand schürte Misstrauen und Furcht unter der jüdischen Bevölkerung und hielt außerdem die Erinnerung an die Willkür des polnischen Adels und die k a- th o lische Geistlichkeit wach. 156 Doch der König lehnte, obwohl ihm Soldaten fehlt en, das Gesuch ab, wenngleich er die patriotische Haltung begrüßte und wü r- digte. Am 31. Dezember 1845 hatten die Bemühungen schließlich Erfolg, und die allgemeine Wehrpflicht wurde durch eine Kabinettsordre auch auf die Juden der Provinz Posen ausg e dehnt. 157 Eine Flut von Dankschreiben 158 an den König war die Folge. Das Emanzipat i onsedikt wurde von den Juden begeistert aufgeno m- men, von polnischer Seite allerdings mit viel Argwohn betrachtet. Es war beso n- ders der polnische Klei n adel (Szlachta), der sich gegen di ese Gleichstellung wehrte. 159 Shulamit Volkov schreibt von brutalen Ausschreitungen polnischer Revolutionäre gegen Juden während der Unruhen 1848. 160 Sie stellen einen tra u- rigen Höhepunkt auf dem Weg zur Emanzipation dar. Auffallend i st die Wide r- sprüchlichkeit beider En t wicklungen: Einerseits die zunehmende rechtliche Gleichstellung durch die preußische Gesetzgebung und andererseits der wachse n- de polnische Antisem i tismus. Die angegebenen Beispiele erklären das Bedürfnis

152 Vgl. Kemlein (1997), S. 246. 153 Vgl. Schmidt (1902), S. 69. 154 Vgl. Heppner (1909), S. 329. 155 Vgl. Heppner (1909), S. 333. 156 Vgl. Kemlein (1997), S. 99. 157 Vgl. Nägler (1996), S. 10. 158 Die Repräsentanten der jüdischen Gemeinde in Nakel (Provinz Posen) formulierten in i h rem Dankschreiben an den preußischen König: „(...) Unbeschreiblicher Jubel hat dieser Befehl [g e- meint ist das Edikt vom 31. Dezember 1845, Verf.] bei uns hervorgerufen! (…). Ges e gnet sei Er, der Erhabene, der männlich Herrliche, in seinen Nachkommen. Gesegnet seien Alle r höchst - Sie, die sie seinen Pfad zum Glücke ihrer Unterthanen fo r t führen und mit lieblichen Blumen bekränzen. (…). Gott schütze und segne Friedrich Wilhelm, den Weisen und Erhab e nen! Mit diesem Wunsche danken wir für die uns erwiesene Gnade und versprechen in Freud und Leid auszuharren mit Gut und Blut an der Hohenzoll ern Thron.“ Zit. n. GStAPK: Rep. 89 Nr. 23699, Bl. 107. 159 Vgl. Hagen (1980), S. 108. 160 Vgl. Volkov (2000), S. 39.

38 auf jüdischer S eite, nach Schutz durch den preußischen Staat zu suchen. So wu r- de die Kluft zw i schen Jude n tum und Polentum immer größer. Erst 1869 sollte die vollständige rechtliche Gleichstellung der Juden erreicht werden. In der Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes wur de während des p o- litisch liberalen Klimas der sechziger Jahre die jüdische Emanzipation vol l endet. Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 wurden die en t sprechenden Gesetze überno m men. 161 Eine wichtige Ursache für die allmähliche Eindeutschung des Judentums lag in der Reform des Schulwesens in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhu n derts. 162 Mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht wurden die jüdischen Gemeinden mit mehr als 40 Kindern verpflichtet, Elementarschulen einzuric h ten. 163 Dazu fehlten jedoch oft die finanziellen Mittel, sodass etwa ein Drittel der jüdischen Kinder eine christliche Schule besuchen musste. Über die Schu l bildung entw i- ckelte sich eine wachsende Bindung an den preuß i schen Staat. Die deutsche Sprache war für Osteuropa die Sprache de r Aufklärung, und viele jüdische Intellektuelle setzten sich mit ihren Inhalten in beispiellosem Selbstst u- dium auseinander. 164 Das übernommene Bildungsideal schaffte eine weitere Schnittstelle mit dem deutschen Bürgertum. Sophia Kemlein weist d a rauf hin, dass viele jüdische Eltern ihre Kinder bevorzugt auf evangelisch - deutsche Sch u- len schickten. Besonders im Regierungsbezirk Bromberg ve r schob sich das Ve r- hältnis eindeutig auf die evangel i schen Schulen. In einem Regierungsbericht 165 wird festgestellt, dass die Juden jüdisch - deutsch spr a chen. Besonders förderlich für die Annäherung der Juden an die deutsche Sprache und Kultur war, dass Ji d- disch, die Kultursprache der Juden, dem Deutschen sehr ähnlich ist. In der Pr o- vinz Posen war der Bildun gshunger der Juden beso n ders groß. Oft wurden große finanzielle Belastungen nicht gescheut, um den Kindern eine hochwertige Ausbi l- dung zu ermögl i chen. 166

Die geschilderten Verhältnisse der Juden im Regierungsbezirk Bromberg l e gen den Schluss nahe, dass auch Isidor Rosenthals Kindheit und Jugend von dem u n- ermüdlichen Streben der Juden um Aufnahme in die deutsche bürgerliche Gesel l-

161 Eine Zeittafel zur Emanzipation der Juden von 1786 bis 1871 findet sich bei Schoeps (1988), S. 64. 162 Die Bedeutung des von Flottwell reform ierten Schulwesens für die Juden wird umfa s send bei Kemlein (1997), S. 128 - 141 dargestellt. 163 Vgl. Trepp (1996), S. 80 ff. 164 Vgl. Kemlein (1997), S. 237. 165 Vgl. Kemlein (1997), S. 239. 166 Vgl. Kemlein (1997), S. 243.

39 schaft b e stimmt war. Dieses Bemühen und die Bereitschaft zur Annahme einer anderen Kultur sind in der Geschichte beispiellos. Bildu ng war hierbei eine unb e- dingte Voraussetzung, als gleichwertig anerkannt zu werden. Der gl ü hende Wunsch, anerkannte Preußen zu werden, 167 machte Berlin zum neuen J e rusalem der Juden aus der Provinz Posen, die gerade den Begriff „polnische J u den“ als herabset zend em p fanden. Zudem führten wirtschaftliche Probleme zu einer starken Abwanderung der J u- den. Der Preisverfall des Getreides 1820, die Cholera - Epidemie 1831, Mis s ernten in den vierziger Jahren und besonders der Niedergang des Tuchmache r gewerbes infolge d es russischen Importverbots und nicht zuletzt die ständigen unterschwe l- ligen, teilweise auch offen ausbrechenden nat i onalen Unruhen, all dies erschwerte die Lebensbedingungen in der gesamten Provinz Posen. Die Orientierung nach Westen war eine natürliche F olge. Für Rosenthal begann mit dem Studium der Medizin in Berlin der entscheidende Abschnitt seines L e bens.

167 Aus einem Treuegelöbnis und Dankschrei ben der Schweriner Juden vom 17. 02. 1846: „(...) Preußen ist unser einziges und echtes Vaterland (...).“ Zit. n. GStAPK: Rep. 89 Nr. 23699, Bl. 109.

40 2. Die Berliner Jahre

2.1. Einführung in die Geschichte der Stadt Berlin

Die Entscheidung, Arzt zu werden und für das Medizinstudium die Provinz P o sen zu verlassen und nach Berlin zu gehen, mag nicht unwesentlich durch R o senthals Vater Samuel Rosenthal , der als Landarzt gearbeitet hatte, mitbeeinflusst worden sein. Dieser war in Labischin versto r ben, als Isidor noch Schüler war. 168 Isidor Rosenthal i m matrikulierte sich am 17. Oktober 1855 in Berlin. 169 Die Friedrich - Wilhelm - Universität bestand damals seit fünfunddre i ßig Jahren. Um zu verstehen, in welchem Umfeld Rose n thal seine berufliche Ausbildung erfuhr, soll kurz die Geschich te Berlins in den Blick genommen we r den. 170 Die Geschichte Berlins begann mit dem Bau der slawischen Burgen Köp e nick und Spandau. Gegen Ende des 6. Jahrhunderts waren sl a wische Stämme in das Urstromtal zwischen Warschau und Berlin eingewandert, nachdem germ a nische Stämme dieses Siedlungsgebiet im Zuge der Völkerwanderung wieder aufgeg e- ben hatten. Erst der deutsche König Heinrich I. eroberte und unterwarf bis zu se i- nem Tod 936 die slawischen Stämme zwischen Elbe und O der. Sein Sohn Otto tr ieb ihre Christianisierung ehrgeizig voran und gründete das Erzbi s tum Magd e- burg, das zum kirchlichen Zentrum des gesamten ostelbischen Ra u mes wurde. 171 Unter Albrecht dem Bären aus dem Geschlecht der Askanier wurde die Region um Berlin zum Mittelpunkt einer planmäßigen wirtschaftlich - kulturellen Erschli e- ßung Brandenburgs. Urkundliche Erwähnung fand die Do p pelstadt Berlin/Cölln 1237. 172 Sie war zwischen den Burgen Spandau und K ö penick besonders günstig an einem Spreeübergang am Verkehrskn o tenpunkt verschiedener deutscher und slawischer Handelsstraßen gel e gen. Nach dem Aussterben der Askanier 1417 wurde der Burggraf Friedrich I. von Nürnberg aus dem Haus der Hohenzollern Kurfürst des Heiligen Römischen Re i- ches Deutscher Nation und von König Sigismund mit der Mark Brande n burg b e- lehnt. Dessen Nachfolger bauten Berlin zur Residenzstadt aus. Friedrich I. hatte mit Hilfe der mittelmärkischen Städte die Pommern besiegt, Adelsfe h den beendet

168 Vgl. AHUB: AZ 386, Bl. 185. 169 Ebenda. 170 Hierbei wurde im Wesentlichen aus den Darstellungen von Ribbe/S chmädeke (1988) und Stratenschu l te (1997) geschöpft. 171 Vgl. Firnkes (1998), S. 155. 172 Vgl. Ribbe / Schmädeke (1988), S. 23.

41 und das Raubrittertum beseitigt. Damit begann di e Herrschaft der Hohenzollern, die bis zum Ende des Ersten Weltkri e ges dauerte. 173 Unter Kurfürst Joachim II. (1535 - 1571) wurde die Reformation eingeführt. Schon seine Mutter hatte den lutherischen Glauben angenommen, der sich s chnell in der Mark Brandenburg verbreitete. 174 Der Kurfürst Johann Sigismund (1572 - 1619) trat 1613 vom Luthertum zum Calvinismus über, was zu einer harten Auseinandersetzung mit dem Berliner Stadtbürgertum führte. 175 Er verzichtete je doch d a rauf, seine brandenburgischen und ostpreußischen Untertanen zu Calvinisten zu m a chen, erkannte also beide Bekenntnisse an. Dies war insofern beachtlich, als gemäß dem Augsburger R e l i- gionsfrieden der Landesherr das Recht hatte, den Gla u ben seiner Unt ertanen zu bestimmen. Diese religiöse Freizügigkeit war in Deutschland einzigartig und sol l- te Merkmal des entstehenden Preußen we r den. 176 Nach den Verheerungen durch den Dreißigjährigen Krieg war es Friedrich Wilhelm , der Große Kurfürst (1620 - 1688), der Berlin wieder aufbaute. Durch die Heirat mit Luise Henriette von Oranien 1647 entstanden überdies dynast i sche Verbindungen mit den Niederlanden. 177 Religiöse Toleranz erhielt mit se i nem Namen eine besondere Bedeutung , als er 1670 aus Wien vertriebene, wohlhabe n- de Juden aufnahm. 178 Selbst der Lehre des Reformators Calvin a n hängend, bot Kurfürst Friedrich Wilhelm 1685 den französischen Hugenotten eine Heimat, die in Frankreich nach Aufhebung des Toleranz - Ediktes von Na n te s durch König Ludwig XIV. grausam verfolgt wurden. Dadurch brachte er viele bis dahin in Preußen unbekannte Gewerbe nach Berlin. Das Manufaktu r wesen entwickelte sich und auch Kunst, Wissenschaft und Bildung nahmen e i nen bedeutenden Au f- schwung. Unter Kurfür st Friedrich III. (1657 - 1713) wurde Berlin königliche Residen z- stadt. In Königsberg hatte er sich 1701 als Kurfürst von Brandenburg nach z ä hen Verhandlungen mit dem deutschen Ka i ser und dem König von Polen selbst die Krone a ufgesetzt und als Friedrich I. den Titel „König in Preußen“ geg e ben. 179 Begabte Architekten wurden nach Berlin geholt, wie z. B. Andreas Schlüter, der das alte Schloss neu gestaltete und erweiterte. Es kam zur Grü n dung der „Ak a-

173 Vgl. Ribbe/Schmädeke (1988), S. 45. 174 Vgl. Ribbe/Schmädeke (1988), S. 54. 175 Vgl. Ribbe/Schmädeke (1988), S. 56. Über die kulturges chichtliche Bedeutung des Calv i- nismus für Preußen vgl. Schi l ling (1998), S. 378 - 403. 176 Vgl. Haffner (1998), S. 117. 177 Vgl. Heinrich (2000), S. 17. 178 Vgl. Ribbe/Schmädeke (1988), S. 64. 179 Vgl. Haffner (1998), S. 71.

42 demie der Künste“ und der „S o zi etät der Wissenschaften“, deren erster Präsident Gottfried Wilhelm Leibniz war. 180

Die Bedeutung Berlins als Ausbildungsort für den Arztberuf begann 1727 mit der Gründung der Charité durch den Soldatenkönig Friedrich Wilhe lm I. (1688 - 1740), der aus dem ehemaligen Pesthaus eine Ausbildungsstä t te für Wundärzte und Feldscher (Sanitäter) seiner Armee machte. Später wurde diese ärztliche Fachschule auch Zivilpersonen geöffnet. Die Komb ination von Krankenhaus, Lehr - und Ausbildungsstätte war neu und einzigartig und sollte sich bis weit ins 19. Jahrhundert einen hervorragenden Ruf erwe r ben. 181

Friedrich II. , der „Alte Fritz“, führte die Reformen se i nes Vate rs weiter. Durch eiserne Sparsamkeit und straffe Verwaltung auf soliden Boden gestellt, wurde der Staat im Sinne der Aufklärung zu einem modernen Gemeinwesen ausgebi l det, dessen politischer, wirtschaftlicher und geist i ger Mittelpunkt Berlin war. 182 Ganze Sta dtteile, z. B. die Dorotheenstadt wurden repräsentativ umgebaut. Großartige Bauwerke entstanden, wie an der Oper U n ter den Linden und dem Prinz - Heinrich - Palais 183 (Hauptgebäude der Humboldt - Universität) noch heute zu e r- kennen ist. Zum ersten Mal spielten auc h wohlhabende Juden als wissenschaftlich - literarisch gebildete Bürger eine wichtige Rolle für das Geiste s leben der Stadt und machten Berlin zu einem Zentrum der Aufklärung: Der bekannte Philosoph und Schriftste l ler Gotthold Ephraim Lessing war ein enger Freund von Moses Mendelssohn , des Wegbereiters der Judenemanzipation. Durch zahlreiche Ve r l e- ger wie Friedrich Nicolai erhielt das Zeitungswesen Auftrieb, w o durch die Idee n der Aufklärung eine rasche Verbreitung erfu h ren. 184 Die Besetzung Berlins durch Napoleon führte zu tiefgreifenden wirtschaftl i- chen und politischen Einschnitten. Die Unterhalt s zahlungen für die französische Armee sollten den Haus halt noch bis 1850 belasten, sodass die Armut beträch t- lich zunahm. 185 Bemerkenswert ist, dass Berlin zum Mittelpunkt der gei s tigen und nationalen Erneuerung wurde. Unter dem Druck der Besatzung bildeten sich Kreise von Reformern, die besonders die Erneuerung des Bildungsw e sens und die Mitwirkung der Bürger an der Politik anstrebten. Ein Ergebnis war die neue Stä d-

180 Vgl. Ribbe/Schmädeke (1988), S. 71. 181 V gl. Kulturausschuss (1996), S. 4. 182 Vgl. Ribbe/Schmädeke (1988), S. 76. 183 Siehe Bildteil Abb. 8. 184 Vgl. Livné - Freudenthal (1988), S. 13. 185 Vgl. Ribbe/Schmädeke (1988), S. 83.

43 teordnung, mit der erstmalig die Selbstverwaltung der Gemeinden verwirklicht wurde. Neu war auch die Einrichtung der Stadtverordnetenve r sammlung, die von Bürgern mit entsprechendem Besitz in gehe i mer und freier Wahl gewählt wurde. Nach Inkrafttreten des Emanzipationsedikts 1812 konnten auch Juden in dieses Organ gewählt werden. Die Gewerbefreiheit wirkte bel e bend auf die geschwäc h- te Wirtschaft und bere itete die Industrialisi e rung vor. 186

Die Entwicklung Berlins zur Universitätsstadt begann mit der Gründung der Friedrich - Wilhelm - Universität im Oktober 1810 durch Wilhelm von Hu m boldt . 187 Als Abteilungsleiter im Kultusministeriu m hatte er maßgeblichen A n teil an der Reform des gesamten Schul - und Bildungswesens in Preußen. Dabei ist der Ko n- trast zwischen der politischen Ohnmacht des Staates Preußen und seiner kulture l- len Schaffenskraft auffällig. Den Zwängen der Politik suchten Mä nner wie Wi l- helm von Humboldt und Johann Gottlieb Fichte die Freiheit der Wissenschaft entgege n zusetzen. 188 Dabei wurden sie von der Idee geleitet, mit der Universität einen Ort zu schaffen, wo in Freiheit Forschung und Lehre ve r eint wären, ohne in erster Linie einem staatlichen oder gesellschaftlichen Zweck zu dienen. 189 Wä h- rend der Befreiungskriege wurde Berlin zum Mittelpunkt der nationalen Erh e- bung. Viele Freiwillige meldeten sich zu den Fahnen. 1813 wurde Napoleon in der Vö l kerschlacht bei Leipzig vernichtend geschlagen. Für Berlin folgte dann eine längere Friedenszeit. Enttäuscht davon, dass der König sein Versprechen einer Verfassung nicht einhielt und alle Kämpfe di e nation a len und liberalen Ziele nicht erreichen konnten, zogen sich viele Bürger ins Pr i vatl e ben zurück. 190

Die bisher in Preußen bestehenden Handelsbeschränkungen fielen 1818 weg. B e- sonders der Maschinenbau und die Textilindustrie entwickelten sich r a san t. 191 Berlins B e deutung als Verkehrsknotenpunkt stieg vor allem durch den Ausbau der Eisenbahnstrecken. Für Berlin markiert 1837 die Gründung der M a schine n- bauanstalt und Eisengießerei von August Borsig an der Chausseestraße den B e- ginn der industriellen Entwicklung. Seit 1841 wurden hier die ersten deutschen Lokomotiven gebaut. 192 Mit der beginnenden Industrialisierung ve r schärften sich

186 Vgl. Schoeps (1988), S. 65. 187 Vgl. Möller (1998), S. 628. 188 Vgl. Haffner (1998) , S. 249. 189 Dieser Gedanke ist umfassend ausgeführt bei Möller (1998), S. 628 ff. 190 Vgl. Ribbe/Schmädeke (1988), S. 88. Über kulturelle Wandlungen und Ko n flikte in der Zeit des Biederme i er vgl. Lutz (1998), S. 131 - 163. 191 Vgl. Ribbe/Schmädeke (1988), S. 92. 192 Vgl. Mugay (o. J.), S. 29.

44 die sozialen Spannungen. Der ständige Zustrom von Arbeitern führte zu Wo h- nungsnot und Ausbeutung durch d ie Arbeitgeber. Die Löhne w a ren gering, die Arbeitszeiten betrugen 12 bis 17 Stunden täglich. Dabei gab es keine soziale A b- sicherung und Altersversorgung; breite Bevölkerungskreise verelendeten. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Berlin seine Einwohn e r zahl von ungefähr 200.000 auf 400.000 verdoppelt und war damit zur viertgrö ß ten Stadt Europas hinter London, Paris und St. P e tersburg aufgestiegen. 193 Der steile Anstieg der Bevölkerungskurve setzte sich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges ung e- brochen fort, erst kriegsbedingt verlangsamte sich dann die Zuna h me. 194 In der Zeit bis zum Ausbruch der Revolution 1848 erfolgte eine Politisierung fast aller Bevölkerungsschichten. 195 Es entstanden zahlreiche Vereine, in denen leidenschaftlich über Versammlungsfreih eit, Pressefreiheit und politische Gleic h- berechtigung aller Bürger diskutiert wurde. Besonderes politisches G e wicht e r- langte der Berliner Han d werker - Verein. 196 Seine Zielsetzung war die praktische und theoretische Fortbildung von Meistern und Gesellen. R o sen thal sollte sich hier noch im Rahmen umfangreicher Bildungsarbeit engagieren. Di e se Vereine entwickelten einen erheblichen Einfluss auf die politische Bewuss t seinsbildung. Auch die Forderung nach einem einigen Deutschland entwickelte hier eine eigene Dynam ik. Der Staat versuchte, diese Bestrebungen zu erst i cken. Im März kam es zu blutigen Unruhen und Barrikadenkämpfen mit ung e fähr 200 Toten. Die Unr u- hen wurden mit Hilfe des Militärs niedergeschlagen und endeten mit dem Sieg der Revolutionsgegner: Das allgem eine Wahlrecht wurde durch das Dreiklassenwah l- recht ersetzt, die Verfassung wurde nach den Wünschen des Königs gestaltet, die politische Mitbestimmung ei n geschränkt. Die nationale Einigung Deutschlands zu einem parlamentarisch - monarchischen Verfassungsstaa t war gleichfalls gesche i- tert. 197 Berlin erhielt allerdings in der folgenden Zeit seine großstädtische Infr a- struktur. Die Wasserversorgung wurde verbessert und eine Berufsfeuerwehr g e- gründet, die auch gleichzeitig für die Stadtreinigung zuständig war, Bade - und Waschanlagen wurden g e baut. 198

193 Vgl. Stratenschulte (2000), S. 36. 194 Vgl. Ribbe/Schmädeke (1988), S. 94. 195 Vgl. Lutz (1998), S. 170. 196 Vgl. Ribbe/Schmädeke (1988), S. 96. 197 Ausführlich über Bedingungen, Verlauf und Scheitern der Revolution vgl. Lutz (1998) , S. 227 f. 198 Zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung Berlins nach 1848 vgl. Lutz (1998), S. 343 - 356.

45 Zu der Zeit, als Isidor Rosenthal sich 1855 in der Friedrich - Wilhelm - Universität eingeschrieben hatte, 199 vollzogen sich in Berlin tiefgreifende Verä n derungen. Prinz Wilhelm (1797 - 1888) hatte 1857 von seinem Bruder, dem Kön ig Frie d rich Wilhelm IV. (1795 - 1861), der durch Geisteskrankheit regierungsunfähig gewo r- den war, die Regierungsgeschäfte übernommen und durch Äußerungen bei se i- nem Regierungsantritt die Hoffnung vieler Liberaler genährt, Deuts c h lands Ein i- gung voranzutreiben. 200 Am 25. Januar 1858 heiratete Wilhelms Sohn, der Kro n- prinz Friedrich III. (1831 - 1888) die englische Prinzessin Vict o ria von Großbr i- tannien (1840 - 1901), was als Beginn e ines neuen Zeitalters wahrgenommen wu r- de. 201 Die Hochzeit in Berlin war ein Ereignis, das die B e völkerung w o chenlang beschäftigte. Die Verbindung der liberalen Seemacht England mit der konservat i- ven Kontinentalmacht Preußen wurde zum Walten der göttlichen Vo rsehung ve r- klärt. 202 Man sprach von einer „Neuen Ära“. 203 Diese Erwartung wurde durch eine Kabinettsumbildung mit liberalen Persö n lichkeiten gestärkt, die Liberalen errangen in Neuwahlen zum preußischen Landtag eine deutliche Mehrheit. So erreichte der Liberal ismus, während R o senthal in Berlin studierte, seinen polit i- schen Höh e punkt. Berlin erlebte ebenso eine erstaunliche bauliche Veränderung. Um der Wo h- nungsnot Herr zu werden, wurden immer größere Wohnblöcke von Mietshä u sern gebaut. 204 Es entstand die typische Blockbebauung mit Hinterhöfen. Die finanz i- e l le Lage der Stadt hatte sich gebessert, und es begann ein bedeutender wir t- schaftlicher Aufschwung. Die Stadtviertel Wedding, Moabit, sowie die Schön e- berger und Tempelhofer Vorstadt wurden eingemeindet. Die öffen tl i chen Ve r- kehrsmittel wurden rasch ausgebaut (zunächst Pferdebahn, später Str a ßenbahn). Viele neue Fabriken entstanden, denen durch das öffentliche Ve r kehrsnetz Ta u- sende von Arbeitern zugeführt wurden. So erfolgte Rosenthals Umzug nach Be r- lin in eine Phas e gravierender sozialer und wirtschaftlicher Umbrüche.

199 Vgl. AHUB: AZ 386, Bl. 185. Als Datum der Immatrikulation ist auf dem Abgang s zeugnis der Universität der 17. Oktober 1855 angegeben. 200 Vgl. Hau pt (1998), S. 173. Die Rede des Prinzregenten Wilhelm I. anlässlich des Thro n- wechsels ist abgedruckt bei Huber, E. R.: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 2. Stu t tgart. 1984. S. 31 f. 201 Vgl. Haffner (1998), S. 364. Daten siehe Zeittafel im Anhang . 202 Vgl. Braus (1901), S. 127. 203 Über die „Neue Ära“ in Preußen vgl. Lutz (1998), S. 408 - 428. Auch Otto von Bismarck beschreibt die Zeit seit 1858 mit diesem Begriff. Vgl. Bismarck (1928) S. 259 ff. 204 Vgl. Ribbe/Schmädeke (1988), S. 107.

46 2.2. Die Juden in Berlin

Rosenthals Wahl des Studienortes lag ganz im Trend der Zeit. Für emporstr e be n- de Juden aus dem Bildungsbürgertum konnte es keine anziehendere Stadt als Be r- lin geben, denn in der Mitte des 19. Jahrhunderts war Berlin längst zum Mitte l- punkt des jüdischen Besitz - und Bildungsbürgertums geworden. 205 Fo r mal ges e- hen war mit dem Artikel 4 der revidierten preußischen Verfassung vom 31. Jan u- ar 1850 die rechtliche Gleichstellung aller Preuße n, auch der Juden, a b geschlo s- sen, und die Aussichten schienen gut, mit Anbruch der liberalen Ära auch gesel l- schaftliche Anerkennung zu fi n den. 206 Das Aufgehen des Judentums im deutschen Bürgertum schien gewünscht und durchführbar. 207 Das Studium der Medizin wa r im Judentum besonders verbreitet, war es doch der erste Stud i engang gewesen, zu dem Juden seit Beginn der Emanzipation zugelassen wu r den. 208 Der Auftakt zu einer kontinuierlichen Geschichte der Juden in Berlin 209 war 1671 ein Edikt des Kurfürsten Friedrich Wilhelm . Aus Wien waren ca. 50 woh l- habende Familien vertrieben worden, die im unterentwickelten Preußen als Schutzjuden Aufnahme fanden. 210 Der preußische Kurfürst versprach sich von ihren umfassenden Kenntnissen im Kapital - und Kreditwesen einen wirtschaf t l i- chen Nutzen für sein durch Missernten, Kriege und Bevölkerungsschwund da r- niederliegendes Land. Die Juden waren unterteilt in „Vergleitete“ 211 mit e i nem Schutzbrief und „Unvergleitete“ ohne Schutzbrief, die haupt sächlich kleine Ha u- sierer und Händler waren. Zu sozialen Spannungen untereinander führte der U m- stand, dass die reicheren Schutzjuden mit Steuerlasten für ihre Glaubensg e nossen ohne Schutzbrief b e lastet wurden. 212

205 Vgl. Schoeps (1988), S. 67. 206 Die revidierte Verfassung trat am 2. Februar 1850 in Kraft und behielt seine Gültigkeit bis zur Revol u tion vom 9. November 1918. Der Text ist abgedruckt bei Huber, E. R. / Huber, W.: St aat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 2. Berlin. 1976, S. 37. 207 Vgl. Wolbe (1937), S. 277. 208 Vgl. Dreßen (1987), S. 12. 209 Hierfür empfiehlt sich besonders die Lektüre von Schoeps (1988). Die Geschichte der J u den in Berlin wird anhand von Originalquellen illustriert, sodass der Leser nicht auf die Inte r pret a- tion durch einen Historiker angewiesen ist, sondern anhand der zeitg e nössischen Texte eine eigene Sicht entwickeln kann. Das Verständn is wird durch einleitende Artikel bekannter Aut o- ren gefördert. 210 Vgl. Livné - Freudenthal (1988), S. 9. 211 Zit. n. Livné - Freudenthal (1988), S. 10. 212 Vgl. ebenda, S. 11.

47 Das „Revidierte General - Privilegium“ 213 wurde 1 750 in Kraft gesetzt, das e i ne Unterscheidung der Juden in ordentliche und außerordentliche Schutzjuden fes t- schrieb, wobei die Verleihung eines Schutzbriefes wiederum vom Vermögen a b- hängig gemacht wurde und auch ihre Anzahl genau festgelegt wurde. 214 Dies ha t- te zur Folge, dass ungefähr 500 der ärmeren Juden die Stadt verlassen mus s ten. Die Anzahl der Zuwanderer legte allein der König fest. Seine Absicht war es, sich einerseits der Wirtschafts - und Handelsbezi e hungen der reichen Juden im Sinne des Staatsintere sses zu bedienen und andererseits den Anteil der Juden g e- ring zu halten, die für die Hebung der Wir t schaftskraft nicht brauchbar waren. Die finanziellen Belastungen waren entsprechend hoch. Für verschieden Diens t- leistungen, welche die Juden nicht erbringen konnten oder durften, mussten sie Abgaben und Steuern entrichten. Das betraf den Wehrdienst, Wirtschaftsko n ze s- sionen, Eheschließungen oder Gemeindewahlen. Immer stärker wurde das Bem ü- hen des Staates, die Wirtschaftskraft des einzelnen Untertanen, b e sonder s aber der wohlhabenden Juden, auszunutzen und zu kontrollieren. Vom Han d werk durch das Zunftwesen ausgeschlossen, entwickelten sie sich zu Speziali s ten im Finanzwesen, im Handel mit Luxuswaren und Rohprodu k ten. 215 Im 17. und 18. Jahrhundert erlangte unter d iesen Bedingungen eine kleine, aber einflussreiche Zahl von Juden eine beachtliche Geltung. Was schon für die Pos e- ner Juden ausgeführt wurde, 216 gilt in beso n derem Maße für die Berliner Juden: Als Hoffaktoren oblag ihnen als direkt vom König abhängigen Bedie n s teten am Hof die Aufgabe, den Staat und das Militär mit unterschiedlichsten Artikeln zu versorgen und das Finanzwesen im Sinne des Staates zu verwa l ten. 217 So wurde Berlin zu einem Zentrum jüdischer Fabrik - und Manufaktu r gründungen. Es en t- standen zahlreich e Betriebe und Fabriken für Edelmetall - und Textilverarbeitung durch Kaufleute aus dem Kreis der Hoffaktoren. Im Laufe der Zeit versuchten diese Bankiers und Fabrikanten, aus der gesellschaf t lichen Sonderrolle auszubr e- chen. 218 Seit der Epoche der Aufklärung kam es zu einer kulturellen Annäherung an die gesellschaftliche Elite: Adelige, hohe Beamte und Offiziere trafen sich in berüh m- ten jüdischen Salons. 219 Diese waren ein Ort, wo ein reger Gedanke n au s tausch

213 Vgl. Freund, I.: Die Emanzipation der Juden in Preußen. Zweiter Band. Be r lin. 1912. S. 22 ff., zit. n. Schoeps (1988), S. 34 - 38. 214 Vgl. Livné - Freudenthal (1988), S. 11. 215 Vgl. Volkov (2000), S. 9. 216 Siehe S. 19 f. 217 Vgl. Trepp (1996), S. 62. 218 Vgl. Volkov (2000), S. 12. 219 Vgl. Möller (1998), S. 475.

48 mit Philos o phen, Dichtern und Politikern stattfand und die Ideen der Aufklärung diskutiert wu r den. Einige Juden traten sogar zum Christentum über und passten sich ganz den Inha l ten und Formen des Grossbürgertums an. 220 Mit dem Edikt vom 11. März 1812 waren die Berliner Juden zu „Einländern und preußischen Staa tsbürgern“ erklärt worden. 221 Bezeichnend ist a ber, dass in der Folgezeit ständige Einschränkungen des Gesetzes erfolgten. So wurde ihnen z. B. 1822 das Recht auf Ausübung eines akademischen Lehramtes und Bekle i- dung eines höheren militärischen Dienstpostens entzogen. Zunächst hatte das E dikt eine Welle jüdisch - deutschen Patriotismus ausgelöst. David Friedländer , der Vorsteher der Berliner jüdischen Gemeinde, forderte in seinen Veröffentl i- chungen eine Reformierung der Gottesdienste und des Bildungswesens. Die deu t- sche Sprache sollte anstelle des Hebräischen ei n geführt und fortan Preußen als Heimat der Juden angesehen werden. David Friedländer und Salomon Veit waren die ersten Juden, di e nach Erlass der neuen Städteordnung vom 19. N o vember 1808 in den Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung einz o gen. 222 Die Berliner jüdischen Wissenschaftler Eduard Gans , Moses Moser und Leopold Zunz sowie der Schriftsteller Heinrich Heine gründeten 1819 den „Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden“. 223 Hierbei kam das Bemühen zum Au s- druck, der übrigen Gesellschaft das Judentum als Teil der europäischen G e- schic h t e und nicht als Fremdkörper zu erklären. Später, 1872 sollte aus di e sem Verein die „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“ hervorgehen. In diese Zeit fällt auch die er s te Blüte der jüdischen Salons in Berlin. Aus dem Kreis der Schüler des Philosoph en Moses Mendelssohn war es z. B. Marcus Herz , der mit seiner bezaubernden Frau Henriette einen Treffpunkt der bede u tendsten Pe r- sönlichkeiten der Reformzeit etablierte. In seiner elega nten Villa waren die Br ü- der Alexander und Wilhelm von Humboldt , Friedrich Schleie r macher , der preuß i- sche Kronprinz und spätere K ö nig Friedrich Wilhelm III. , sogar Johann Gottlieb Fichte und Johann Wolfgang von Goethe häufig geseh e ne Gäste. 224 Die Bezi e- hungen untereinander waren außerordentlich verzweigt und durch Eheschließu n- gen und Verw andtschaften von besonderer Dichte. So heiratete die Tochter M o- ses Mendelssohns nach Übertritt zum Christentum den Dichter Friedrich Schl e-

220 Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Dichter und Schriftsteller Heinrich Heine . Vgl. Schoeps (1988), S. 95. 221 Vgl. Höxter, J.: Quellenbuch zur jüdischen Geschichte und Literatur. V. Teil. am Main. 1930. S. 21 ff., zit. n. Schoeps (1988), S. 81 - 83. 222 Vgl. Sch oeps (1988), S. 65. 223 Vgl. Wolbe (1937), S. 250. 224 Vgl. Trepp (1996), S. 100.

49 gel . 225 Ihre beste Freundin war Rahel Levin , die in zwe i ter Ehe Varnhag en hieß und als Tochter eines reichen Juweliers später den wohl bekanntesten Salon b e- gründete. 226 Dort verkehrten Eduard Gans , Ludwig Börne und auch Heinrich He i- ne , der Rahel Varnhagen als „Wegbereiterin des Junge n Deutschland“ 227 vereh r- te. Gleichzeitig entstand im Berliner Judentum eine Taufbewegung. Der Übertritt von Rahel Varnhagen zum Christentum erregte einiges Aufsehen und gab Anlass für manche Spekulati o nen. 228 Auch Heinrich Heine und Edu ard Gans ließen sich taufen. Darin zeigt sich, wie kompromisslos die Bereitschaft war, mit eig e nen religiösen Bindungen zu brechen, um ganz in der mitteleuropäischen Kultur au f- zug e hen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts spaltete sich d as Berliner Judentum in eine Reformgemeinde, die eine möglichst weitgehende Anpassung an die deutsche Sprache und Kultur anstrebte und in eine konservat i ve Gruppe, die sich 1869 in einer neuen Gemeinde, „Adass Jisroel“ 229 genannt, etablierte und ein gesetze s- treues Judentum vertrat. Gemeinsam war beiden Richtungen allerdings das B e- mühen um ak a demische Bildung, Kunst und Kultur. Nachdem die preußische Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 die Vorrec h te der Zünfte und Innungen aufgehoben hatte, war es den Juden mö glich, sich in i h- ren Berufen frei zu entfalten. Aus Hausierern und Trödlern wurden nach der Reichsgründung 1871 die B e gründer großer Warenhäuser, z. B. Hermann Tietz („Hertie“) und Jandorf („KaDeWe“). Geldwechsler wurden zu modernen Ba n k i- ers (Gerson Jacob Bleichröder , Joseph Mendelssohn) und Emil Rathenau gründ e- te in Berlin die „Allgemeine Elektrizitäts - Gesellschaft“ (AEG). 230 Die jüdische Gemeinde in Berlin – sie war die größte in Deutschland – wurde wegen ihrer geographischen Lage zu einem Anlaufpunkt der Zuwanderer aus Osteuropa. Der Zustrom aus der Provinz Posen war so beachtlich, dass zum g e- flügelten Wort der Ausspruch wurde, „nach Posen geht man nicht, von Posen

225 Vgl. Möller (1998), S. 485. 226 Vgl. Möller (1998), S. 482. 227 Zit. n. Schoeps (1988), S. 91. 228 Vgl. Schoeps (1988), S. 66. 229 Der Begriff „Adass Jisroel“ ist mit „gesetzestreue Ju den“ zu übersetzen. Hier könnte sich nach heutigem Verständnis die Vorstellung eines religiösen Fund a mentalismus einschleichen. Genau dies ist allerdings nicht der Fall. Die Gemei n de selbst bemühte sich ausdrücklich um eine Verbindung von Tradition und dem Streben nach akademischer Bildung sowie Kunst und Kultur. Ausführlich über diese Berliner Gemeinde siehe Offe n berg (1986), S. 11 ff. 230 Vgl. Wolff (1988), S. 128.

50 kommt man“. 231 Die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung und die im Ve r gleich zu den östlichen Provinzen günstige Gesetzeslage wirkten wie ein Ma g net gerade für ärmere jüdische Handwerker, Bauern und Arbeiter, für welche die deutsche Spr a che und Kultur aber noch völlig f remd waren. Dies brachte die bürgerlichen jüdischen Kreise in ein moralisches Dilemma. Einerseits fühlten sie sich ihren Glaubensgenossen zur Hilfe verpflichtet, andererseits wuchs die Ablehnung g e- gen diese kulturfremden „entfernten Verwandten“. Die Identi fik a tion mit dem neuen jüdischen Proletariat beeinträchtigte das Ansehen angepas s ter jüdischer Grossbürger in der bürgerlichen Gesellschaft. Die „Ostjuden“, so nannten die Berliner Juden ihre Glaubensgenossen, entwickelten sich nach der Reichsgrü n- dung zu e inem schwe r wiegenden sozialen Problem in Berlin. Das Scheunenviertel wurde zu einem regelrechten Ghetto wie zu Zeiten des Mitte l alters, 232 dem en t- flohen zu sein doch das große Ziel der kulturell angepassten deutschen Juden war. Auf unangenehme Weise sahen si e sich wieder mit ihrer Vergangenheit ko n- frontiert. Zahlreiche gemeinnützige Hilfsvereine wurden g e gründet. Sie waren ein Hauptmer k mal der jüdischen Gemeinde in Berlin. 233

Politisch gesehen war das Judentum dem Liberalismus am stärksten zugeneigt. In der R evolution von 1848 stand eine große Zahl Juden auf der Seite der rev o luti o- nären Kräfte, später in der 1861 gegründeten Fortschrittspartei. 234 Die Fo r derung nach einer Verfassung, welche auch die Gleichberechtigung der Juden fes t- schrieb, war der en t scheidende Grund, sich politisch zu engagieren. In der 1866 gegründeten und von der Mehrheit des jüdischen Bürgertums gewählten Nationa l- liberalen Partei spielte Eduard Lasker 235 eine bedeutende, vielleicht s o gar die

231 Dieses Zitat hat anekdotenhaft Hermann Zondek von Georg Klemperer (1865 - 1946) übe r- liefert. Dieser war seit 1905 Professor an der Berliner Universität und bis 1933 am Kranke n- haus in Moabit tätig. Zit. n. Schoeps (1988), S. 164. 232 Vgl. Dreßen (1987), S. 25. 233 Vgl. Dreßen (1987), S. 44. 234 Vgl. Volkov (2000), S. 36. 235 Siehe Bildteil Abb. 38. Eduard Lasker , ursprünglich Jizchak o der Eisek L., wurde 1828 in Jarotschin (Regierungsbezirk Ostrowo, Provinz Posen) in einer kinderreichen Familie geb o ren. Er besuchte das Gymnasium in Breslau und studierte dort Philosophie und Jura. Zu se i nen Le h- rern gehörte Ferdinand Lasalle. 1848 gründete er das Tageblatt „Der Socialist“ und machte 1853 sein zweites juristisches Examen. Es folgte ein mehrjähriger Aufenthalt in Lo n don. Nach seinem Scheitern im Geschäftsleben folgten dichterische Versuch e. Lasker trat nach Vorbild seines Bruders einer Freimaurerloge bei, nachdem die Überlegungen der Ko n version an der Frage der Taufe gescheitert waren. 1856 kehrte er nach Berlin zurück und e r hielt eine Stelle am Berliner Stadtgericht und wurde von Heinrich Bernhard Oppenheim als Publizist eing e- stellt. Er verkehrte auch im Salon der Berhardine Friedeberg, einer Schwester Oppenheims.

51 wichtigste Rolle als preußisc her Abgeordneter im Reichstag. Die Nati o nalliberale Partei ging aus den Wahlen 236 zum ersten Reichstag 1871 als stärkste Partei he r- vor und unterstützte bis 1878 die Politik Bismarcks. 237 Zahlreiche l i berale G e- setzentwürfe gehen auf die Initiative Laskers zurüc k. 238 Dieser hatte auch erhebl i- chen Einfluss auf die politischen Ansichten Rosenthals, da beide Männer enge Freunde w a ren. 239 In der Zeit von 1860 bis 1880 vollzog sich eine beachtliche Akademisierung des Berliner Judentums. 240 Der Anteil an Gymnasiasten verdop pelte sich nah e zu, besonders das Französische Gymnasium aus der Zeit des Großen Kurfürsten e r- langte eine hohe Anzahl jüdischer Abiturienten. Der Anteil der Juden an der preußischen Bevölkerung machte ungefähr 1 % aus. Ende der achtziger Jahre b e- suchten 6 % aller nichtjüdischen Schüler eine höhere Schule, wä h rend dies auf 47 % aller jüdischen Schüler zutraf. 241 Das zeigt die großen Bemühungen, Zugang zu höherer Bildung und damit zu akademischen Berufen zu finden. Das Medizinst u- dium wurde weiterhin am häufigste n g e wählt. Die gewachsene Anerkennung der liberalen jüdischen Gemeinde kam bei der Eröffnungsfeier der prachtvollen neuen Synag o ge in der Oranienburger Straße 28/30 1866 zum Ausdruck. Zu den geladenen Gästen gehörten u. a. Genera l fel d- marschall Friedrich H einrich von Wrangel , Ministerpräsident Otto von Bismarck , Finanzminister August Freiherr von der Heydt , Innenminister Philipp Graf zu E u- lenburg und Kultusminister Heinrich von Mühler sowie der Obe r bürgermeister Karl Theodor Seydel , einige Stadträte und Abgeordnete. 242 Die Teilnahme hoc h-

1865 erfolgte die Wahl ins preußische Abgeordnetenhaus, dem er bis 1879 a n gehörte. Nach de m Tod seines Freundes Karl Twesten übernahm er 1870 dessen Sitz im Vo r stand des Berl i- ner Pfandbriefamtes. Von 1867 bis 1883 war er Mitglied des Reichstages. La s ker gehörte zu den Architekten des Deu t schen Reiches und begründete den monarchisch - konstitution ellen Rechtsstaat. Er starb 1884 in New York kurz vor seiner Rückkehr nach Deutschland. Vgl. Laufs (1984), S. 9 - 37. Es dür f te wenige Menschen gegeben haben, die von Bismarck derart gehasst worden sind. Dieser verbot nach der Über führung von Laskers Leic h nam allen Regi e- rungsmitgliedern die Teilnahme an der Beerdigung und schmähte ihn als Staatsfeind. Vgl. Kr o- ckow (2000), S. 319. 236 Eine Zusammenstellung der Ergebnisse der Reichstagswahlen von 1871 bis 1912 findet sich im Anhang bei Stürmer (1998). 237 Die Ursachen und Wirkungen des politischen Kurswechsels bei Eduard Lasker sind umfa s- send beschrieben bei Kieseritzky (2002), S. 481. 238 Vgl. Preußischer Kulturbesitz (1981), S. 270. 239 Vgl. Münchener Medizinische Woch enschrift. 62. Jahrgang. Nr. 9 vom 2. März 1915, S. 294. Näheres hierzu ist in den Kapiteln 2.7.2, 3.6 und 3.11 au s geführt. 240 Vgl. Dreßen (1987), S. 10. 241 Vgl. Dreßen (1987), S. 12. 242 Vgl. Schoeps (1988), S. 120.

52 gestellter Persönlichkeiten zeigt die gesellschaftliche Bede u tung, die der neuen Synagoge beigemessen wurde. Die deutsche und hebrä i sche Sprache waren im Gottesdienst vom Zeitpunkt der Einweihung an gleichberec h tigt. 243

Isidor Rosenthal musste entsprechend der Gesetzeslage bis 1876 auch Mitglied der jüdischen Gemeinde sein. Seit dem vom ersten vereinigten Preußischen Lan d- tag verabschiedeten Gesetz über die Verhältnisse der Juden und die Ste l lung der Gemeinden aus dem Jahr 1847 waren die Juden zu allen Staat sämtern zugelassen und die jüd i schen Gemeinden in den Stand von „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ versetzt worden. 244 Allerdings verpflichtete es die Juden dazu, der G e- meinde ihres Wohnortes anzugehören. Es bestand Gemeind e zwang. 245 Der Au s- tritt aus der Ortsgemeinde b e deutete immer gleichzeitig auch ein Verlassen der Religionsgemeinschaft. Dies änderte sich erst mit dem von Eduard Lasker eing e- brachten Gesetzentwurf von 1876. 246 Nun war ein Au s tritt aus der Synagogen - Gemeinde möglich, ohne dass der Betreffende zum Chri s tentum übertreten mus s- te. Er galt dann als religion s los, d. h. als Dissident. 247

243 Vgl. Schoeps (1988), S. 119. 244 Vgl. Schoe ps (1988), S. 104 u. 105. 245 Vgl. Honigmann (1988), S. 11. 246 Vgl. Honigmann (1988), S. 13. Aufgrund dieser Gesetzeslage ist es verwu n derlich, dass Isidor Rosenthal nicht im „Verzeichnis der wahlfähigen Mitglieder der Jüdischen Gemeinde zu Berlin im Jahre 18 68“ (Stiftung Neue Synagoge Berlin, Centrum Judaicum, Oranienburger Straße 28/30) aufgeführt ist. Das ursprüngliche Gemeindearchiv ist leider verschollen (Israel i t i- sche Synagogen - Gemeinde Berlin). Allerdings findet sich sein Name im „Verzeichnis der za h- len den Mitglieder der „Armen - Commission der Jüdischen Gemeinde in Berlin“ (Institut für Judaistik, Berlin - Dahlem: Verwaltungsberichte der Armen - Commission der jüdischen Gemei n- de in Berlin umfassend die Jahre 1887 - 1889. Berlin. 1890, S. 34). Diese Liste ist de r einzige Hinweis auf eine mögliche Gemeindezugehörigkeit Rosenthals zur jüdischen G e meinde. Dieser Wohltätigkeitsverein hatte die Aufgabe, bedürftige Gemeindeglieder zu ve r sorgen. 247 Vgl. Offenberg (1986), S. 13.

53 2.3. Rosenthals Entwicklung zum Arzt und Naturfo r scher

2.3.1. Das Medizinstudium

Der Studiosus Isidor Rosenthal kam 1855 mittellos in die Ha uptstadt des K ö ni g- reiches Pre u ßen. 248 Am 17. Oktober 1855 hatte er sich an der Friedrich - Wilhelm - Universität eingeschrieben. 249 Seine Eltern waren vorzeitig versto r ben. 250 Ersat z- eltern waren ihm in Bromberg sein ältester Bruder Julius Rose n thal und dessen Frau gewesen. 251 Glücklicherweise konnte er in Berlin zu se i nem Bruder Ludwig Rosenthal in die Friedrichstraße Nr. 153 a ziehen. 252 Von hier aus waren die Ei n- richtungen der Universität leicht zu erreichen, besonder s das Universitätshaup t- gebäude, 253 wo das physiologische Laboratorium provis o risch untergebracht war. 254 Bevor untersucht wird, an welchen Orten Rosenthal seine Ausbildung e r hielt, welche Inhalte im Medizinstudium vermittelt wurden und welche Fächer G e ge n- stand von Rosenthals akademischer Ausbildung waren, soll eine kurze B e trac h- tung der Medizin zur Jahrhundertmitte den nötigen Hintergrund vermi t teln. 255 Zu der Zeit, als Rosenthal studierte, befand sich auch die Medizin in einem b e- deutenden Umbruch. Die industriel le Revolution hatte in den Städten viele Fabr i- ken entstehen lassen, in denen Massen von Arbeitern beschäftigt w a ren. 256 Das Anwachsen der Arbeiterschicht führte in den Städten zu Wohnungsnot und sozi a-

248 Seine finanzielle Situation beschreibt R osenthal recht freimütig in seinem Bewerbung s- schreiben für das Blumenbach - Stipendium. Siehe AHUB: Med. Fak. 1605, Bl. 136. 249 Dies ist dem Abgangszeugnis von der Friedrich - Wilhelm - Universität zu en t nehmen. Vgl. AHUB: AZ 386, Bl. 185. 250 Siehe Kap. 2.1., S. 43 . 251 Dies erwähnt Rosenthal in seinem dem Habilitationsgesuch beigefügten L e benslauf. Vgl. AHUB: Med. Fak. 1327, Bl. 2. Isidor Rosenthal hatte noch e i nen dritten Bruder mit Namen Samuel, der Kaufmann in Görlitz war. Vgl. LAB: A P r. Br. Rep. 005 A Nr. 5088, T 51384, o. S. 252 Siehe Carl Rosenthal (1906), S. 1361. 253 Siehe Bildteil Abb. 8. 254 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. IV. 46. Bd. IV, Bl. 138. 255 Grundlegendes zur Medizin im 19. Jahrhundert bei Ackerknecht (1967), S. 127 - 189 und Eckart (1998), S. 249 - 318. 256 Vgl. Ri b be/Schmädeke (1988), S. 97.

54 lem Elend und veränderte die Bedeutung der Krankenhäuser: Sie expa n dierten unter dem Druck der Bevö l kerung und passten sich dem neuen Bedarf an. Die Notwendigkeit, die Arbeitskraft der wachsenden Arbeiterzahl bei gleichzeitigem Fehlen einer sozialen Absicherung zu erhalten, machte das Krankenhaus zu einem Ort, an dem eine bisher nie vorher gesehene Menge an Krankheiten zum Gege n- stand der ärztlichen Untersuchung wurde. 257 Pfleg e heime und wohltätige Verso r- gungsanstalten, besonders unter kirchlicher Le i tung, hatte es immer gegeben, aber erst die industrielle Revolution führte in den frühkapitalistischen Ballungszentren zum Bau großer Krankenanstalten. Es en t stand die moderne Krankenhausmed i- zin: „Die mittelalterliche Medizin hatte sich auf die Bibliotheken konzentriert. Während der folgenden drei Jahrhunde r te hatte sie s ich wie im klassischen Alte r- tum auf das einzelne Krankenbett g e richtet. Doch im 19. Jahrhundert fand sie i h- ren Mittelpunkt in den Krankenhä u sern.“ 258 Mit wachsender Technisierung wurde Krankheit messbar und damit zum G e- genstand naturwissenschaftlichen Intere sses. 259 Die Entwicklungen in den F ä- chern Chemie und Physik beeinflussten nachhaltig die Untersuchung des Pat i e n- ten. Das Experiment, die Anwendung physikalisch - technischer Methoden, verä n- derte den Krankheitsbegriff, da krankhafte Veränderungen des Patienten sichtbar gemacht werden konnten. Die Diagnostik verlagerte sich vom Patie n tenbett mit zunehmendem apparativen Aufwand in das Labor, wo die Auswe r tung der Mes s- ergebnisse erfolgte. Langsam entstand aus der Krankenhausmed i zin die Labo r- med i zin, 260 in der Deutsch land führend wurde, „weil es hier eine große Anzahl hauptamtlicher medizinischer Wisse n schaftler gab.“ 261 Wurde die Entwicklung der Medizin zunächst noch durch eine romantische Naturphilosophie 262 behindert, begann für die reformierten Universitäten eine

257 Vgl. Ackerknecht (1967), S. 128. 258 Zit. n. Ackerknecht (1967), S. 128. 259 Vgl. Eckart (1998), S. 257. 260 Vgl. Eckart (1998), S. 301. 261 Zit. n. Ackerknecht (1967), S. 149. 262 Vgl. Lebenskr aftlehre (in Deutschland besonders verbreitet): Christoph Wilhelm Hufeland (1762 - 1836) verstand Krankheit als Reaktion des Organismus auf eine Beeinträchtigung se i ner Lebenskraft. Krankhafte Vorgänge wurden damit als Hei lreaktion des Köpers gedeutet, die zu unterstützen, Aufgabe des ärztlichen Ha n delns ist. Das Bemühen des Arztes musste also darauf abzielen, entweder die Lebenskraft des Erkrankten zu stärken oder einen krankm a che n den Reiz abzuschwächen. Vgl. Wittern (1992 ), S. 22. Die Selbstheilung wurde sehr hoch eingeschätzt, wodurch die Therapie zurückhaltend und abwartend erfolgte. Instrumente und Apparate spie l- ten eine untergeordnete Rolle. Der Vitalismus versteht Krankheit als Störung des „Lebenspri n- zips“. Im Animism us gilt der menschliche Kö r per als Organismus und nicht Mechanismus. Zur Auseinandersetzung „Natur kontra Naturwissenschaft“ vgl. Wittern (1992). Sein Verständnis

55 neue Zeit, in der sich eine Wandlung der Medizin von einer diffusen Heilkunst zu einer exakten Wissenschaft vollzog. Großen Anteil an dieser Entwicklung hatte Johannes Müller , 263 der als erst zweiunddreißigjähriger 1833 den Leh r stuhl der Anatomie und Physiologie an der Friedrich - Wilhelm - Universität e r hielt. Seine Abkehr von einer naturphilosophischen zu einer empirischen B e trachtung der N a- tur legte den Grund für den Einzug des wissenschaftlichen E x periments in der Medizin, sodass dieselbe zunehmend als Naturwissenschaft verstanden wurde. 264 Müller formulierte, „dass die Ärzte von dem Feld des m e dizinischen Wunde r- glaubens zurückgekehrt sind“. 265 Die Medizin wurde zu e i ner Wissenschaft, in welcher die schlichte, aber genaue B e obachtung und die üb erprüfbare Erfahrung, egal, ob durch Beobachtung oder Versuch gewonnen, zum Leitbild des Mediz i- ners erhoben wurden. Berlin war zum Mittelpunkt der wissenschaftlichen Bestr e- bungen in der Medizin geworden, 266 d. h. Rosenthal kam zu einem Zeitpunkt nach Berlin, als sich ein Wechsel im Selbstverständnis des Arztberufes vom Hei l- kundigen zum Naturforscher vol l zog. Der Beginn der medizinischen Ausbildung in Berlin liegt im 18. Jahrhundert und hatte einen militärischen Hintergrund. 267 Friedrich Wilhelm I. gründete 1713 zur Ausbildung seiner Militärchirurgen ein anatomisches Theater im k ö niglichen Stallgebäude 268 an der Ecke Charlotten - /Dorotheenstraße und verband diese Ei n- richtung mit dem 1724 gegründeten Collegium medico - chiru rgicum. 269 Die Mil i- tärchirurgen wurden erstmals von den Professoren des Collegiums auch in inn e- ren Krankheiten geprüft und nahmen am anatomischen Theater an Op e r a tionsku r- sen teil. 270 Die Behandlung am Kra n kenbett erfolgte seit 1726 in der „Charité“, 271

über die Lebenskraft entfa l tet Hufeland in der Schrift „Ideen über Pathogenie und Einfluß der Lebenskraft auf Entstehung und Form der Krankheiten. Jena. 1795. 263 Johannes Müller (1801 - 1858) gilt als „Begründer der neuzeitl i chen Physiologie“. Zit. n. Zey (1997), S. 319. Es studierte von 1819 bis 1824 in Bonn und Be r lin Mediz in und wurde 1824 Privatdozent für Anatomie und Physiologie, bis er 1833 als ordentlicher Professor den Leh r- stuhl für Anatomie und Physiologie in Berlin erhielt. Besond e re Bekanntheit erhielt er durch die Entdeckung des Gesetzes der spezifischen Energie de r Sinnesorgane. Über die B e deutung Müllers für die Physiologie vgl. Rothschuh (1953), S. 112 - 118 und für die Neuroph y siologie Steudel (1964), S. 62 - 70. 264 Vgl. Eckart (1998), S. 265. 265 Aus der Gedächtnisrede auf Carl Asmund Rudolphi 1835. Abh. Akad. Wiss. Be r lin 1837, S. 23, zit. n. Rothschuh (1953), S. 112. 266 Vgl. Rothschuh (1953), S. 112. 267 Zur Berliner Medizingeschichte s. a. Stürzbecher (1966) und Munk (1956). 268 Heute steht hier das Gebäude der Staatsbibliothek. 269 Vgl. Festk omitee (1960), S. 50. 270 Vgl. Schickert (1895), S. 5.

56 deren Räu me zu einem Krankenhaus erweitert wurden, in dem auch unbemittelte Zivilpersonen behandelt werden konnten. 272 Die bisher g e trennten Disziplinen der Medizin und Chirurgie wurden vereinigt. Damit war die Voraussetzung für eine m e dizinische Ausbildungsstätte ge schaffen, in der neben Militärchirurgen auch Hebammen und zivile Ärzte ausgebildet wurden und die in sich ein Hospital für Arme, eine Lehranstalt für unterschiedliche m e dizinische Berufe und ein Kra n- kenhaus vereinigte. Sie wurde von 1785 bis 1800 durch ein en großzügigen Ne u- bau ersetzt. 273 Nach der Umgestaltung des Feldlazarettwesens durch Friedrich II. erfolgte u n- ter Friedrich Wilhelm II. 1795 auf der Grundlage dieser Einrichtungen die Sti f- tung de r militärärztlichen Bildungsanstalt der „Pépinière“. 274 Das Collegium medico - chirurgicum wurde 1809 infolge der französischen Besetzung aufgelöst, s o dass die Pépinière ihren Lehrkörper verlor, der allerdings größtenteil von der

271 Der Name Charité heißt übersetzt Barmherzigkeit. Die Geschichte der Charité ist umfa s send geschildert bei Jaeckel (1992). Das Gebäude war 1710 als Pesthaus errichtet und später als Armenhaus und Garnis onslazarett verwendet worden. Es befand sich zwischen Spreeb o gen und der heutigen Luisenstraße. Die Charité entwickelte sich auch zur klinischen Ausbi l dung s- stätte der Univers i tät. Die Vorrechte der militärärztlichen Ausbildung blieben jedoch bis nach dem E rsten Weltkrieg bestehen. Die Verbindungen durch den gemeinsamen Leh r körper mit der Universität und den militärärztlichen Bildungsanstalten waren außerordentlich eng. Ludwig Traube war als A s sistent von Johann Lukas Schönlein einer i hrer ersten Zivilärzte. Vgl. Munk (1956), S. 132. 272 Vgl. Kulturausschuss (1996), S. 6. 273 Vgl. Kulturausschuss (1996), S. 10. 274 Vgl. Munk (1956), S. 130. Das Wort leitet sich von dem französischen Wort Pépin ab und heißt so viel wie Zögling. Sie war von 17 97 bis 1824 im Südflügel der Artillerie - Kaserne am Kupfergraben (auf dem Grun d stück zwischen Stallstraße [heute Geschwister - Scholl - Strasse], Georgenstraße, Spree und Kupfergraben) untergebracht und Kranken - , Lehr - , Wohn - und Speiseanstalt in einem. 1826 wu rde sie als „Friedrich - Wilhelm - Institut“ in die Friedric h straße 139 - 141 (zwischen Georgenstraße, später Bahnhof Friedrichstraße und Spree) verlegt. Nach der Auflösung des Collegium medico - chirurgicum wurde 1811 a u ßerdem eine neue, von der Universität unabh ängige Anstalt, die „medizinisch - chirurgische Akademie für das Militär“ g e- gründet, deren erster Direktor Christian Wilhelm Hufeland war. Ihr Lehrkörper bestand übe r- wiegend gemeinschaftlich aus ordentlichen und außerordentlichen Professoren der Berl i ner Uni versität. Es gibt kaum eine klinische Größe, die hier nicht Vorlesungen gehalten hätte. O r- dentliche Professoren der Akademie waren u. a. Virchow, Du Bois - Reymond, Leyden, Gusserow, Bergmann, Waldeyer, Liebreich, Koch, Rubner und Warburg (vgl. Schickert, 18 95, S. 199). 1895 erfolgte die Zusammenlegung beider Anstalten zur „Ka i ser - Wilhelm - Akademie“, die ab 1910 in einem Neubau in der Invalidenstraße / Ecke Scharnhorststraße untergebracht war. Heute befindet sich hier das Bundeswirtschaftsministerium. Eine min uti ö se, mit Bildern, Portraits, Bebauungsplänen, Vo r schriften, Personallisten u. a. reich illustrierte Geschichte der militärärztlichen Bildungsanstalten verfasste Sch i ckert (1895).

57 1810 gegründeten Berliner Univ ersität übernommen wurde, und es begann die akademische Ärzteausbildung. Die Universität übernahm auch das anat o mische Theater und verlegte es in den ersten Stock im Westflügel des Universität s haup t- gebäudes im ehemaligen Prinzenpalais. 275 Auch die Vorlesunge n über Hi s tologie, Embryologie und ve r gleichende Anatomie fanden hier statt. 276 Das anatomische Institut, in welchem die Präparierkurse durchgeführt wu r den, befand sich, bis 1865 ein Neubau des Instituts auf dem Gelände der Tie r arzne i- schule zwischen Landwehr kanal und Lu i senstraße gegenüber der Charité errichtet wurde, 277 in dem barackenähnlichen zweistöckigen Haus der Garn i sonsschule hinter der Garnisonkirche, das nicht mehr erhalten ist. Hier befindet sich heute ein kleiner Parkplatz in der Nähe des S - Bahnhofs Hackescher Markt. 278 So legendär der Lehrkörper der medizinischen Fakultät auch gewesen ist, so mangelhaft mü s- sen die räumlichen Zustände des Instituts gewesen sein. Vor dem Hintergrund betrachtet, dass Begriffe wie Hygiene, Bakteriologie, Antisepsis u.a. n och nicht existierten, wird der Mangel an Reinigungsmöglic h keiten der Leichen, die Bese i- tigung von Abfällen sowie unzureichende Lüftung verständlicher. Isidor Kastan , 279 Arzt und späterer Assistent bei Rudolf Vi r chow , schildert in seinen Erinnerungen die Arbeitsbedingungen zu Zeiten, als auch Rosenthal an den Präparierkursen teilnahm:

„Aus den zu ebener Erde gelegenen Schulzimmern wurde ein großer Raum geschaffen; ein in der Mitte aufgestellter grüner Kachelofen sorgte für die erforderliche Wärme. Eine A n zahl Holztische und Schemel wurde aufgestellt – und der Seziersaal für die St u denten war fix und fertig. Keinerlei Vorrichtung für Lufterneuerung, keinerlei Wasserspülei n richtung, nichts. In diesem Zustande hat s ich diese jeder Beschreibung spottende Anatomie fast ein Dreivierte l- jahrhundert erhalten, als die Universität bereits über sechshundert Medizinstudenten zählte. Es war eine Stätte des Grauens. Man sah sich in Dantes Hölle versetzt. Auf schmutzigen Tischen lagen für die Sezierübungen bereitgehaltene Leichen oder einzelne Stücke; Blut klebte an a l len Ecken und Enden; die Wände, der Fußboden starrten von allerhand widerlichen Abfällen. Zw i- schen neunzig und hundert Menschen bewegten sich täglich in diesem unbes chreiblichen Ra u-

275 Vgl. Krüger (1996), S. 11. 276 Vgl. Festkomitee (1996), S. 52. 277 Zum Bau des Instituts unter Karl Bogislaus Reichert mit detaillierter Gebäudebeschre i bung vgl. Guttstadt (1886), S. 248 - 259 und Krüger (1996), S. 14 - 18. 278 Vgl. Krüger (1996), S. 10. 279 Von den vielen, später berühmten Assistenten Ru dolf Virchows ist Isidor Kastan (geb. 1840, Kempten) nicht als klinische Größe bekannt geworden. Ohne seine amüsant zu lesenden Erinnerungen an das wilhelminische Berlin (siehe Kastan , 1919) wäre er wohl gänzlich in Ve r- gessenheit ger aten. Seine Hauptgebiete waren Politik und Literaturkritik, außerdem ve r fasste er naturwissenschaftliche Essays und war Redakteur am Berliner Tageblatt. Vgl. Lüdtke (1925), S. 469.

58 me. (...). Es war fürchterlich mit anzusehen, und der alte Reichert, ewig aufgeregt, rannte von einem Seziertisch zum a n deren, rief dann in höchster Verzweiflung, die Hände über dem Kopf zusammenschlagend: ´Diese Anatomie ist der Nagel zu m einem Sa r ge´.“ 280

Die medizinische Fakultät erwarb 1818 in der Ziegelstraße 5 - 6 ein Gebäude, in dem die chirurgische und medizinische Klinik eingeric h tet wurde und wo auch Bernhard von Langenbeck 281 wirkte. 282 Hier erhielt auch R osenthal seine prakt i- sche Ausbildung. Diese ursprünglich milit ä rische Einrichtung der Charité, hatte sich zum Hauptsitz der Universitätskliniken und - institute entw i ckelt. 283

Im Folgenden soll der damals auch für Rosenthal gültige Vorlesungsplan des M e- dizi nstudiums betrachtet werden. An ihm wird ersichtlich, wie stark sich b e reits eine Aufteilung der Heilkunde in unterschiedliche Fachbereiche durchg e setzt ha t- te. Er zeigt außerdem, dass die Lehrer Rosenthals zu den herausrage n den Fo r- schern und Gelehrten Deut schlands gehörten. Das Medizinstudium war 1825 grundlegend neu gegliedert worden. 284 Das „Reglement für die Staats - Püfungen der Medicinal - Personen“ 285 ersetzte die Pr ü- fungsordnung von 1798. Die Fächer Logik, Physik, Chemie, Botanik und Zool o- gie bi l deten das s ogenannte Tentamen philosophicum, an welchem noch „das alte Bildungsideal eines studium generale“ 286 sichtbar wird. Alle Ärzte, die eine A p- probation als praktische Ärzte erhalten wollten, mussten sich nun auch einer Staatsprüfung unterziehen. Zu den hierfür erforderlichen Prüfungsvorau s setzu n- gen gehörte das vierjährige Medizinstudium und eine Promotion, die eine Bewe r- tung mit „rite“ (d. i. genügend; geringstes Prädikat bei Doktorprüfungen) aufwe i- sen musste. 287 Eine schriftliche anatomische, chirurgisch - technisc he, kl i nisch - medizinische, klinisch - chirurgische und eine pharmazeutische Prüfung sowie eine

280 Zit. n. Kastan (1919), S. 146 - 147. 281 Bernhard von Langenbeck (1810 - 1887) galt als „Führer der deutschen Ch i rurgie“ (Zit. n. Munk , 1956, S. 24). Er erfand neue Operationsmethoden für Knochen und Gelenke sowie zahlreiche chirurgische Instrumente und beschäftigte sich besonders mit der Wiederherste l lung von Kriegsopfern mit Methoden der konservativen und plastischen Chirurgie. 1864 wu r de er geadelt. Seine Klinik befand sich in der Ziegelstraße und war der erste Neubau der Un i vers i- tätskliniken. Vgl. Kastan (1919), S. 161. 282 Vgl. Kulturausschuss (1996 ), S. 14. 283 Vgl. Munk (1956), S. 130. 284 Die Anpassung der Prüfungsordnung an die sich verändernden Anforderung für Ärzte ist in den Beständen des Archivs der Humboldt - Universität zu reko n struieren. 285 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1502, Bl. 9. 286 Zit. n. Goschler (20 02), S. 163. 287 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1502, Bl. 9. Paragraph 6a.

59 mündliche Abschlussprüfung mussten absolviert werden. Das b e sondere an der Neufa s sung der medizinischen Staatsprüfung war der Nachweis für die Ärzte, „daß sie nich t blos [!] praktisch, sondern auch vollständig wisse n schaftlich gebi l- dete Mä n ner sind.“ 288 Unter dem konservativen Kultusminister Karl Otto von Raumer (1805 - 1859) erfolgte 1856 eine weitere Umgestaltung des Staatsexamens. 289 Das Fach G e- burtshilfe war schon 1852 in das Staatsexamen aufgenommen worden, 290 nun kam das Fach Physiologie als selbstständiges Prüfungsfach hinzu, wobei letzt e res noch eine histologische Prüfung bei einem anderen Prüfer einschloss. 291 Dies en t- sprach dem durch Jo hannes Müller vertretenen Standpunkt, dass ohne Mikroskop überhaupt kein Fortgang in der Physiologie zu erreichen sei. 292 Di e se Neuordnung des Studiengangs geschah zwei Jahre, bevor Rudolf Virchow seine Krankh eit s- lehre der „Cellularpathologie“ veröffentlichte, welche Kran k heiten auf Störungen der Zellfunktion zurückführte. 293 Prüfungsinhalte waren neben Atmung, Herz, Kreislauf und Verdauung unter anderem „thierische Wärme“, Resorption und Sekretion, Muskel - und N ervenphysik, Stimme und Sprache, Sinnesphysiologie und Ernährungslehre, Zeugung und Entwic k lung. 294 Verglichen mit heutigen Lehrplänen ergeben sich von den Benennungen der Prüfungsfächer kaum Unterschiede. Freilich fehlt noch der gesamte Bereich der Biochemi e und Molekularbiologie. 295 Vergeben wurden die Zensuren „gut“, „mi t- telmäßig“ und „schlecht“. Bei Vergabe der letztgenannten Note galt die g e samte Anatomiepr ü fung als nicht bestanden. 296 Das Studium dauerte vier Jahre. Mit der Promotionsurkunde 297 erhielten die Studenten gleichzeitig eine Bescheinigung ihres Aufenthalts in Berlin, der Ei n-

288 Zit. aus dem „Reglement für die Staatsprüfungen der Medicinal - Personen“ im Paragr a phen 10. S. AHUB: Med. Fak. 1502, Bl. 9. 289 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1502, Bl. 26 - 30. 290 Eine entsprechende Weisun g ging vom Kultusministerium an die medizinische Faku l tät. Vgl. AHUB: Med. Fak. 1502, Bl. 21. 291 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1502, Bl. 26. 292 Vgl. Rothschuh (1969), S. 168. 293 Über die Bedeutung Virchows für die Institutionalisierung der pathologischen Anat o mie vgl. Goschler (2002), S. 161 - 166. 294 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1502, Bl. 28. 295 Justus Freiherr von Liebig veröffentlichte 1840 sein grundlegendes Werk „Die Organ i sche Chemie und ihre Anwendung auf Agricultur und Physiologie“. Vgl. Zey (1997), S. 278. Noch zu neu war das Fachgebiet, als dass es sich schon in der Prüfungsordnung niedergeschl a gen hätte. 296 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1502, Bl. 29. 297 Promotionsurkunde Isidor Rosenthals vom 22. 07. 1859 siehe: AHUB. AZ 386, Bl. 184.

60 schre i bung an der Friedrich - Wilhelm - Universität und einen Nachweis über die besuc h ten Vorlesungen. Die Fächer des ersten Semesters waren Anatomie bei Johannes Müller , Mineralogie bei Christian Samuel Weiß, Phil o sophie bei Karl Friedrich Werder, Chemie bei Eilhard Mitscherlich , Meteorologie, Physik und Encyclopädie bei Heinrich Dove . Im zweiten S e mester besuchte Rosenthal die spezielle Physiologie bei Johannes Müller , Zoologie und Botanik bei Martin Karl Hinrich Lichtenstein, Logik, Diffusionslehre und mathemat i sche Physik bei Emil Du Bois - Reymond . An a tomische Sezierübungen und vergleichende Anatomie, beides von Johannes Müller gelehrt, Elektrizität und physiolog i sche Übungen bei Emil Du Bois - Reymond und Arzneimittellehre bei Eilhard Mi t scherlich bildeten die Schwerpunkte der Vorlesungen der beiden folgenden S e mester. Im fünften S e mester folgten spezielle Pathologie bei Eduard Henoch , Chirurgie bei Theodor Billroth , Ausku ltation und Perkussion bei Ludwig Tra u be , 298 einem der führenden Lungenspezialisten, Geburtskunde, syphilitische Krankheiten und Kinderkran k- heiten. Pathologische Anatomie, ein praktischer Kurs in Histologie und ein „Demonstrationscursu s“ bei Rudolf Virchow waren Inhalte des sechsten und siebten Semesters, Karl Bogislaus Reichert hielt Kurse in mikroskopischer An a- tomie und Histologie, weitere Fächer waren chirurg i sche Klinik, propä deutische Klinik bei Ludwig Traube , geburtshelfende Klinik und Gerichtsmedizin. Im ac h- ten Semester war der Operationskurs bei Bernhard von Langenbeck die einzige Veranstaltung. Es ist interessant, das s die gesamte Vorlesungszeit des letzten

298 Ludwig Traube (1818 - 18 76) erscheint als tragische Figur. Als Sohn eines jüdischen Wei n- händlers in Oberschlesien geboren, studierte er in Breslau und Be r lin Medizin, wo er unter dem Einfluss von Johannes Müller zum Begründer der experimentellen Pathol o gi e wurde. An der Charité richtete Lukas Schönlein für seinen Assistenten eine sogenannte „Propädeutische Kl i- nik“ ein, aus der die II. Medizinische Klinik hervorging (die Frerich´sche Klinik wurde I. Med i- zinische Klinik genannt). Traube war einer der ersten Zivilärzte der Charité, an welcher die Assistentenstellen ursprünglich den zukünftigen Militärärzten vorbehalten waren und wurde zum Professor am militärärztlichen Institut ernannt (vgl. Kastan , 1919, S. 153). Er g e hörte zu den ersten jüdischen Habilitande n der medizinischen Fakultät. Erst 1872 (!) wurde er Ordinar i- us, obwohl Virchow, v. Langenbeck und Du Bois - Reymond sich verschiedentlich für ihn ei n- setzten, was jedoch am Widerstand des Kultusministeriums unter Heinrich v. Mühler scheite r- te. Er war der er ste und einzige jüdische Ordinarius an der medizinischen Fakultät. Traube g e- hörte zu den herausragenden Klinikern Berlins, besonders auf dem Gebiet der U n tersuchung mit Auskultation und Perkussion. Hervorragend waren auch seine experimentellen Unters u- chung en über die Lungenentzündung sowie Nieren - und Herzkrankheiten. Zur Person Ludwig Traubes s. Schneck (1998), S. 47 - 56. Nach Aussagen von Zeitgenossen gehörte Lu d wig Tra u- be zu den besten Freunden Rosenthals. Vgl. UAE: T. Pos. 9 a. Nr. 38. Med. Fak. 1871/72, o. S., Beilagen; undatierter Brief (Vorname unbekannt, Verf.) Riemosens an den Dekan der m e- dizinischen F a kultät Zenker.

61 Semesters vor dem Abschluss des Studiums allein dem „Operationskurs“ gewi d- met war. Das Ausbildungsziel war der „prakt i sche Arzt“. Verglichen mit den heutigen Lehrplänen fällt der hohe Anteil an an a tomisch - physiologi schen Fächern auf: In den ersten vier (!) Seme s tern wurde Anatomie gelehrt, später folgte eine Vielzahl physiologischer und histolog i scher Kurse in Theorie und Praxis. Auffallend ist auch die allgemein naturwissenschaftliche Or i- entierung der er s ten Semeste r.

War im Hinblick auf die Emanzipation der Juden rechtlich zwar eine vollstä n dige Gleichstellung erreicht worden, 299 so zeigt doch ein Detail im Alltag der Univers i- tät, dass ihre praktische Umsetzung noch lange nicht Wirklichkeit war: Studi e- rende der einz elnen Fakultäten konnten an schriftlichen Preisaufgaben teilne h- men, bei denen Prämien für den Fleiß vergeben wurden; jüdische Stude n ten e r- hielten erst aufgrund einer besonderen Verfügung 300 1854 die Möglic h keit, an diesen Preisaufgaben teilzunehmen. Dies ers cheint umso bemerken s werter, als die formale Gleichstellung in Preußen schon vor beinahe einem ha l ben Jahrhu n- dert erfolgt war. Einige von Rosenthals Kommilitonen wie Gottfried Salomon oder Adolph Friedländer , die ebenfalls Juden waren, erhie l ten hier erstmals Pr ä- mien für ihren Fleiß. 301

Das Studentenleben außerhalb der Lehrveranstaltungen hat ein St u dienkollege Isidor Rosenthals sehr anschaulich geschildert. 302 Es war durch auffallende Schlichtheit geprä gt. Wegen der Wohnungsnot teilten sich oft mehrere Stude n ten ein Zimmer oder versuchten, bei Verwandten unterzukommen. Verpflegt wurde durch die Familie o der durch Gasthäuser, die auf Studenten eingerichtet waren. Teilweise hatten diese schon den Charakter heutiger Mensen. Hinter der Hedwigskirche befand sich zum Be i spiel die „Kohte“, die in dem Ruf stand, eine preiswerte „Abfütterungsanstalt“ 303 zu sein. Am Wochenende ging es in den Bier - und Vergnügungslokalen recht handfest zu. Oft gab es zwischen St u dente n und Soldaten der zahlreichen umliegenden Kasernen Schlägereien, die nicht selten zum Einschreiten der Polizei führten. Die Brau e rei am Halleschen Tor war dafür besonders bekannt, wenn Bockbierausschank auf der Karte stand. 304

299 Zur Lage der Juden an der Berliner medizinischen Fakultät vgl. Schneck (1994), S. 65 - 68. 300 Vgl. GStAPK: Rep. 7 6. Va. Sekt. 2. Tit. XI. 1. Bd. III. Schreiben vom 2. August 1855. 301 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XI. 1. Bd. III. Schreiben vom 2. August 1855. 302 Amüsant zu lesen sind die Memoiren von Braus (1901). Hier sind alle na m haften Größen der Berliner M e dizin geschildert. 303 Zit. n. Braus (1901), S. 62. 304 Vgl. Braus (1901), S. 60.

62 Einen tiefen Eindruck auf viel e Studenten haben die Vorlesungen von Joha n nes Müller hinterlassen. Seine Art, den Lehrveranstaltungen das Gepräge einer go t- tesdienstlichen Handlung zu verleihen und sich selbst als Priester im Heili g tum der Wissenschaft zu inszeni eren, 305 bewirkte bei den Zuhörern grenzenlose B e- wunderung und das Gefühl von beispielloser Wichtigkeit. Müller, der sich auch mit parapsychologischen Phänomenen beschäftigte, kam in den Ruf, seh e rische Fähigkeiten zu haben. 306 Schillernd und widerspruchsreich , dürfte er zu den au f- fälligsten Gelehrtengestalten des 19. Jahrhunderts zu zählen sein. 307 Operationen fanden in der medizinischen Kl i nik in der Ziegelstraße statt und wurden vor dem versammelten Auditorium durchgeführt. Bernhard von La n genbeck war für seine Kaltblütigkeit bei chirurgischen Eingriffen bekannt. Das Versterben eines Patie n- ten vor den Augen der Zuhörer wurde für den Zweck der Wissenschaft durchaus in Kauf genommen. 308 Hieran zeigt sich, dass in dieser Phase der Medizin die ethischen Grenzen andere waren, als sie uns heute a n gemessen und selbstve r- ständlich scheinen. Bisher unerwähnt geblieben sind die umfangreichen, zur medizinischen Au s- bildung gehörenden Krankenbesuche. Besonders Ludwig Traube war dafür b e- kannt, dass er als Armenarzt junge Ärzte und Studenten auf Hausbesuche mi t- nahm. 309 Daraus entwickelten sich später regelrechte diagnostische Einfü h rungs - und Übungskurse. Mit Ludwig Traube zogen die Studenten von früh bis spät durch die Armenquartiere in der Garten - und Invalidenstraße. Hier befa n den sich die Mietskasernen der Arbeiter, die in den unmittelbar angrenzenden Eisengieß e- reien der Firma Borsig, deren G e lände hinter dem Rosenthaler Tor am Ende der Friedrichstr aße begann, in unbeschreiblichem Elend lebten. Die Schattenseiten der industriellen Revolution traten hier besonders zu Tage. Lu d wig Traube ve r- mittelte in seinem unermüdlichen Fleiß nicht allein die wisse n schaftliche, sondern auch di e karitativ - soziale Seite des Arztberufes. Die Un i versität hatte ein A b- kommen mit der Armendirektion, dass eine Anzahl an A s sistenzärzten in den Armenvie r teln unentgeltlich wohnen konnte und in dem jeweiligen Bezirk für die Behan d lung von Kranken verantwor tlich war. 310 Für diesen Dienst, der auf ein

305 Vgl. Rothschuh (1953), S. 116. 306 Vgl. Braus (1901), S. 21. 307 Ausführlicher zu charakterlichen Besonderheiten Johann Müllers vgl. Rot h schuh (1969), S. 14. 308 Vgl. Braus (1901), S. 104 - 106. 309 Vgl. Braus (1901), S. 107 - 114. 310 Vgl. GStAPK: Rep. 89 H 2.2.1. Nr. 21509 Bd. 1, Bl. 167.

63 Jahr festgelegt war, erhielten die Assistenzärzte eine jährliche Zuwendung von 150 T a lern. 311 Emil Du Bois - Reymond wird als Mensch geschildert, der für seine student i- schen Zuhörer ein w enig anziehendes Wesen ha t te. 312 Seine Vorlesungen hielt Du Bois - Reymond meist wortkarg und sehr ernst, zu Späßen scheint er weniger au f- gelegt gewesen zu sein. Als Examensprüfer war er gefürc h tet. 313 Bedeutsam für die physikalische Ausrichtung Rosenthals war, dass Heinrich Gustav Magnus , 314 der Professor für Physik, für Studenten ein „Physikalisches Kolloquium“ 315 anbot. In sieben Semestern nahm Rosenthal mit regem Int e resse daran teil, 316 und Emil Du Bois - Reymond hatte es nicht leicht, Rosenthal bei der Physi o logie zu halten. Dieses Kolloquium war ein sehr fruchtbarer Kreis junger Naturfo r scher, aus dem bedeutende Physiker und Physiologen wie z. B. Werner von Si e mens 317 her vorgegangen sind.

311 Ebenda. 312 Diese Wahrnehmung steht im Widerspruch zu der sonst allgemein gewürdigten rhetor i schen B e gabung Emil Du Bois - Reymonds. Vgl. Kap. 2.3.3., S. 82 . 313 Vgl. Braus (1901), S. 122. Ausführlicher zu Emil Du Bois - Reymond vgl. Kap. 2.3.3., S. 76 . 314 Heinrich Gustav Magnus (1802 - 1870) war der se chste Sohn eines wohlhabenden jüdischen Berliner Kaufmanns, der zum Protestantismus übergetr e ten war. 1831 habilitierte er sich für Technologie und Physik und wurde 1845 Ordinarius. Überdies lehrte er an der Artillerie - und Ingenieurschule und machte ausge dehnte Reisen ins europäische Ausland. Seit 1840 Mi t glied der Berliner Akademie der Wissenschaften, erwarb er sich auße r ordentliche Verdienste um die Physiologie. Er führte grundlegende Versuche über Blutgase und ihre Bedeutung für die A t- mung durch, die „w ährend zweier Jahrzehnte das Beste und Umfassendste waren, was man über den Athmungsprocess wus s te“. Zit. n. Hirsch (1962), S. 33. 315 Das „Physikalische Kolloquium“ veranstaltete Gustav Magnus seit 1843 in seiner Wo h nung, die er nach der Heirat 1840 am Kup fergraben 7 erworben hatte. In diesem Wilhelm Knobelsdorff zugeschriebenen Rokokobau richtete er sich ein Privatlaboratorium (auch „der Magnus´sche Apparat“ genannt; zit. n. Kastan , 1919, S. 143) ein, das er für junge Wisse n- schaftler öffnete. Hier wurden d ie neuesten Veröffentlichungen und Entd e ckungen diskutiert. Vgl. Kant, Horst : Ein Lehrer mehrerer Physikergenerationen. Zum 200. Geburtstag des Berl i- ner Physikers Gustav Magnus. http:// www. hu - berlin. de / presse / zeitung / archiv / 01_02 / num_6 / magnus. htm . 04. 01. 2004. 316 Vgl. Rosenthal (1859), S. 31. 317 Ernst Werner von Siemens (1816 - 1892) gehörte mit Helmholtz und B rücke zu den Jugen d- freunden Emil Du Bois - Reymonds. Vgl. Rosenthal (1897), S. 99 und Metze (1918), S. 43. Von Haus aus ohne finanzielle Mittel erhielt er seine Ausbildung an der preußischen Artill e rie - und Ingenieurschule in Berlin und wurde 1844 an die Art illeriewerkstatt in der Dor o theenstr a- ße kommandiert (hier sollte 1877 Du Bois - Reymonds prachtvolles physiologisches Institut entstehen!). Im gleichen Jahr schloss er Freundschaft mit Emil Du Bois - Reymond . Gustav Magnus hatte W erner von Siemens in seinen Kreis junger Naturforscher aufgeno m men. Si e- mens wurde Mitglied der „Physikalischen Gesel l schaft“, die aus dem von Du Bois - Reymond

64 Zusätzlich war Rosenthal noch Mitglied im „Naturwissenschaftlichen Verein der Studierenden“. 318 So ist davon auszugehen, dass er schon als Student eine Vielzahl bedeutender Forscher kennen lernte. Außerdem spielte sich das St u de n- tenleben z u einem großen Teil auch in den Privathäusern der Profe s soren ab, da die Institute nicht ausreichend ausgestattet waren. Die beispiellose, gemei n same Begeisterung der Lehrer und Schüler für die Wissenschaft, also im wahr s ten Si n- ne des Wortes die „universit as“ von Lehrenden und Lernenden, wurde beispie l- haft für das akademische Leben des 19. Jahrhunderts.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass Isidor Rosenthal in der glücklichen Lage war, von den herausragenden Gelehrten und Klinikern des 19. Jahrhu n derts unte r- richtet zu werden: Z. B. von Johannes Müller , Rudolf Virchow , Bernhard von Langenbeck . Rosenthal schloss als überdurchschnittlich gut au s gebildeter Med i- ziner das Studium ab: Seine Leistungen in den Ku r sen wurden überwiegend mit den Noten „vorzüglich“ und „ausgezeichnet“ bewe r tet. 319

2.3.2. Die Entwicklung der Physiologie an der Friedrich - Wilhelm - Univers i tät

gegründeten „jüngeren Naturfor scherverein“ he r vorgegangen war. 1850 wohnte er mit diesem in Paris und war an dessen Experimenten beteiligt. Vgl. Ruff (1981), S. 50 - 52. Drei Jahre z u- vor hatte Siemens mit dem Feinmechaniker Johann Georg Halske die Telegr a fen - Bauanstalt gegründet, aus der die Weltfirma Si e mens AG hervorging. Ab 1853 baute er Telegrafenlinien von St. Petersburg nach der Krim, London, Paris und Wien. Die Indo - Europäische Telegraf e n- linie von London nach Kalkutta (1870, 11.000 km) sowie die Transa t lantikkabel (1874) nach Amerika gelten als technische Meisterleistung. Am 1. September 1900 eröffnete Kaiser Wi l- helm II. mit einem Depeschenwechsel mit US - Präsident Wilhelm McKingley das e rste deu t sche Transatlantikkabel (13.000 km) von Borkum nach New York, wodurch das Monopol Großbr i- tanniens gebrochen wurde. 1860 erhielt Siemens die Ehrendo k torwürde der Berliner Univers i- tät. Die Erfindung des Dynamos 1866 markiert den Beginn der Starkstromtechnik. 1874 wurde er Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Er engagierte sich 1877 für ein allgemeines deutsches Patentgesetz und setzte sich für die Ei n richtung des Faches Elektrotec h- nik an Technischen Hochschulen ein. Mit Hermann Hel m holtz gründete der 1888 die Physik a- lisch - Technische Reichsanstalt. Im gle i chen Jahr wurde er geadelt. Vgl. Zey (1997), S. 405 ff. Mit Rosenthal verband ihn die Mitgliedschaft in der Ph y sikalischen Gesellschaft und gemei n- sam e Vortragstätigkeit im Berliner Handwerker - Verein. Vgl. Hagen, O. (Hrsg.): Die For t- schritte der Physik im Jahre 1858 [!]. XIV. Jahrgang. Verlag Georg Reimer. Berlin. 1860. S. IX. Mitgliederliste der „Physikalischen Gesel l schaft“. 318 Vgl. Rosenthal, C. (190 6), S. 1361. 319 Zit. n. AHUB: AZ 386, Bl. 186. Prüfungszeugnis vom 22. August 1859.

65 Als die Berliner Universität 1810 gegründet wurde, 320 bezog sie das e hemalige Palais des Prinzen Heinrich Unter den Linden, wo sich auch heute noch das Hauptgebäude der Humboldt - Universität befindet. Erster Dekan der medizin i- schen Fakultät war Christoph Wilhelm Hufeland , 321 der Leibarzt des Königs Friedrich Wilhelm III. und Direktor der Charité, unter dessen Leitung eine Pr o- fessur für Anatomie und Physiologie eingerichtet worden war. Den Lehrstuhl der Anatomie hatte seit Gründung der Universität Carl Asmund Rud olphi 322 i n ne, dessen Nachfolger Johannes Müller 1831 wurde. 323 Unter diesen waren die Di s- ziplinen der Zoologie, Physiologie, Pathologie und Histologie noch ve r eint.

Die Physiologie erlangte in der Mitte des 19. Jahrhunderts unter den medizin i- schen Disziplinen eine besondere Bedeutung. 324 Karl Eduard Rothschuh hat diese Entstehung und Entwicklung interessant und umfassend geschildert. 325 Sie ist eng verbunden mit der Person Joha nnes Müllers. Seine Abkehr von der r o mantisch - naturphilosophischen Physiologie zu einer empirisch - naturwissenschaftlichen Physiologie markiert den Aufschwung der Physiologie zur Leitwissenschaft. Das exakte Experimentieren wurde besonderes Kennze i chen sein es engsten Schüle r- kreises, zu dem Emil Du Bois - Reymond , Hermann Helmholz, Karl Ludwig und Ernst Brücke gehörten. 326 Ihr Ziel war es, „eine neue und rein physikalische Ph y- siologie zu schaffen.“ 327 Treibende Kra ft in Berlin war Emil Du Bois - Reymond . 328 Mit ihm erhielt die Physiologie ihre ph y sikalische Prägung, wird er

320 Zur Geschichte der Friedrich - Wilhelm - Universität vgl. Guttstadt (1886). 321 Christian Wilhelm Hufeland (1762 - 1839) gilt noch als Vertreter der romantischen Physi o l o- gie, die von Friedrich Wilhelm Schelling beeinflusst war. Vgl. Rothschuh (1969), S. 50. Nach seinem Med i zinstudium in Jena und Göttingen hielt er in Jena Vorlesungen und wurde 1801 an den königlichen Hof nach Berlin berufen. Sein Krankheits - und Therapiekonzept b e r uhte auf der Lehre von der L e benskraft. S. Eckart (1998), S. 224 - 228. 322 Carl Asmund Rudolphi (1771 - 1832) war erster Anatom der Berliner Universität. Er führte das Mikroskop in die Gewebelehre ein und gilt als „Mitb e gründer ein er naturwissenschaftlich exakten Richtung der Physiologie“. Vgl. Rothschuh (1953), S. 105. 323 Vgl. Guttstadt (1886), S. 251. 324 Vgl. Eckart (1998), S. 268. 325 Siehe „Geschichte der Physiologie“, Springer Verlag, Berlin 1953; „Von Boerhaave bis Berger“, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1964; „Physiologie im Werden“, Gustav F i scher Verlag, Stuttgart 1969. 326 Vgl. Eckart (1998), S. 265. 327 Zit. n. Ackerknecht (1967), S. 141. 328 Die Literatur über Emil Du Bois - Reymond (1818 - 1896) ist auß erordentlich vielfältig und umfangreich. Hier sei wegen der unterschiedlichen geschichtlichen Wertung besonders ve r wi e- sen auf die Lebensbilder von Rosenthal (1897), Metze (1918), Ruff (1981) und Wenig (1995). Nach Besuch des französischen Gymnasiums studie rte er ab 1837 zunächst verschi e dene gei s-

66 doch heute noch als Begründer eines neuen Wisse n schaftszweiges, nämlich der Elektrophysiologie angesehen. 329 Der Erfolg des physiologischen Fortschrittes beruhte dabei auf dem Umstand, dass die Sch ü lergeneration Müllers die überwi e- gend von deu t schen Physikern entwickelten Apparaturen 330 für ihre Experimente geschickt zu nutzen verstand. 331 Berlin entwickelte sich zur Jahrhunder tmitte zum Nabel der medizinischen Forschung. Mit ihrem Schwerpunkt auf der naturwisse n- schaftlichen Physiologie wurde die Friedrich - Wilhelm - Universität zum Anzi e- hungspunkt vieler Studenten aus dem Ausland, besonders auch aus den Vereini g- ten Staaten. 332 Emil Du Bois - Reymond bezeichnete Berlin als „Mittelpunkt der deu t schen Wissenschaft.“ 333

Emil Du Bois - Reymond 1846 habilitierte sich zum Privatdozent der Physiol o gie und nahm 1849 die Stelle eines Assi stenten am anatomischen Institut an. 334 Mit seinem frühen zweibändigen Werk zu dem Thema „Untersuchungen über tier i- sche Elektrizität“, dessen erster Band 1848, weit e re 1849 und 1860 erschienen, machte er sich einen Namen, der weit über Berlin hinausging. 335 Di ese Arbeiten machten ihn 1851, gerade dreiunddreißi g jährig, zum Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. 336 In diesem Jahr hatte Du Bois - Reymond in Be r- lin ein eigenes physiologisches Laboratoriums ei n richten können, was in Freiburg schon 1821, i n Breslau 1824 und in Marburg 1838 erfolgt war. 337 Das erste eig e-

tes - und naturwissenschaftliche Fächer, bis ihn sein Freund Eduard Hallmann für das Fach M e- dizin begeisterte und er nach seiner Promotion 1843 bei Johannes Müller de ssen A s sistent wurde. Er galt neben Karl Ludwig als „Führer der physikalischen Richtung der Physi o logie“ (Zit. n. Rothschuh, 1953, S. 131). Einblicke in die Persönlichkeit Du Bois - Reymonds bieten besonders die umfangreichen Korresponde nzen. Vgl. hierzu Du Bois - Reymond, Estelle : J u- gendbriefe von Emil du [!] Bois - Reymond an Eduard Hallmann . Berlin. 1918 und Du Bois - Reymond (1927). Näh e res zu Emil Du Bois - Reymond findet sich in Kap. 2. 3.3., S. 76 . 329 Vgl. Eckart (1998), S. 268. Ausführlicher zur Entwicklung der Elektroph y siologie siehe Kap. 2.5., S. 101 . 330 Als Beispiel sei hier der deutsche Physiker Schweiger (1779 - 1857) erwähnt, der 18 21 als erster ein Messgerät für elektrische Ströme auf elektromagnetischer Basis konstruierte. Dies war der Prototyp des von Emil Du Bois - Reymond verbesserten „Multiplikators“. Vgl. Roth - s chuh (1969), S. 148. 331 Vgl. Ackerknec ht (1967), S. 141. 332 Vgl. Ackerknecht (1967), S. 140 - 144. 333 Zit. n. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. 18. Bd. 1, Bl. 94. 334 Vgl. Schubert (1988), S. 258. 335 Vgl. Schubert (1988), S. 266. 336 Vgl. Wenig (1995), S. 52. 337 Vgl. Abeßer/Schubert (1977), S. 9.

67 ne Gebäude für experimentelle Ph y siologie wurde 1865 unter Karl von Vierordt in Tübingen ausg e baut. 338 Kennzeichnend für die Arbeitsweise in der physiologischen Forsch ung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war das Experimentieren zu Hause. 339 Univers i tätsi n- stitute im heutigen Sinn gab damals nur in England und Frankreich. Da es noch an ausreichend ei n gerichteten Instituten mangelte, war es üblich, sich in den eigenen vier Wänden ein Privatlabor einzurichten. 340 Auch Emil Du Bois - Reymond exp e- rimentierte in seiner Wohnung in der Karlstraße 21. 341 Überhaupt spielte sich ein großer Teil des akademischen Lebens zu Hause ab, selbst Faku l tätssitzungen fa n- den bei Familie Du Bois - Reymond statt. 342 Der materielle U m fang dieser Labor a- torien fand meist Platz in einem Koffer, sodass Du Bois - Reymond seine Versuche bequem in einem gemieteten Zimmer aufbauen kon n te, als er 1850 den Pariser Kollegen die Ergebnisse se iner Forschungen vorfüh r te. 343 1853 bekam er für die experimentellen Arbeiten von Johannes Müller im er s ten Stock des Westflügels des Palais Unter den Linden zunächst ein Zimmer zug e- wiesen 344 und nahm eine Gehilfenstellung am anatomis chen Institut an. 345 Das physikalische Laboratorium bestand im Wesentlichen aus dem Flur und den d a- zugehörigen Fensternischen. In diesen Räumlic h keiten führten auch seine Schüler Albert von Bezold , 346 Ludimar Hermann , Hermann Munk , 347 Isidor R o senthal und

338 Vgl. Wenig (1995), S. 48. 339 Über das Experimentieren zu Hause (die sogenannte „Stubenphysiologie“) siehe Dierig (2000), S. 74 - 80, S. 74. Hier finden sich auch Literatur - und Que l lenangaben. 340 Vgl. Gustav Magnus S. 57. 341 Vgl. Wenig (1996), S. 29 u. 33, Vg l. Ruff (1981), S. 60. 342 Hier sei als Beispiel die Sitzung der medizinischen Fakultät vom 14. Januar 1867 g e nannt, zu der Emil Du Bois - Reymond die Fakultätsmitglieder zu sich nach Hause in die Viktori a str a- ße 17 einlud, um über das Blumenbach - Stipendium zu b e ratschlagen. S. AHUB: Med. Fak. 37, Bl. 302. 343 Vgl. Ruff (1981), S. 26. 344 Vgl. Festkomitee (1960), S. 66. 345 Vgl. Ruff (1981), S. 42. 346 Albert von Bezold (1836 - 1868) stammte aus einer angeseh e nen, k inderreichen Arztfamilie aus Ansbach. Er begann sein Studium in München und wechselte 1853 nach Wür z burg, wo er sich unter Albert Kölliker der Physiologie zuwandte. Zum Herbst 1857 zog es ihn nach Be r lin, wo er wie Rosenthal unmittelbarer Schüler Du Bois - R eymonds wurde. Mit Rosenthal exper i- mentierte er „Über das Gesetz der Zuckungen“. Vgl. Bezold/Rosenthal (1859), S. 131 ff. Er verstarb tragischerweise an einer akuten Herzinsuffiz i enz. Vgl. Diepgen (1960), S. 34 - 37. 347 Hermann Munk (ge b. 1839 in Posen, gest. 1912 in Berlin) studierte in Göttingen und Be r lin Medizin. Er war im gleichen Semester wie Rosenthal und pr o movierte wie dieser 1859 und habilitierte sich ebenfalls 1862. Im Jahre 1869 wurde er Extraordinarius, 1876 ordentl i cher Pro fessor für Physiologie. Seit 1880 war er Mitglied der Königlich - Preußischen Akad e mie der

68 manche andere ihre Versuche durch. 348 Hier wurden die bahnbr e chenden Entd e- ckungen über den Energiestoffwechsel des Muskels, die Muske l erregbarkeit und die Erregungsleitung der Nerven gemacht . 349 1855 verließ E mil Du Bois - Reymond die Stelle des Gehilfen am anatomischen Institut und wurde zum a u- ßerordentlichen Professor der Physiologie e r nannt. 350 Als Johannes Müller 1858 starb, entstanden dr ei neue Lehrstühle mit selbs t- ständigen Professuren. Karl Bogislaus Reichert übernahm den Lehrstuhl für An a- tomie, Rudolf Virchow den Lehrstuhl für Pathol o gie und Emil Du Bois - Reymond übernahm nun als ordentlicher Professor die Physiologie. 351 Infolge der neuen Aufteilung wurde nun auch eine räumliche, personelle und hau s haltsmäßige Tre n- nung vollzogen. 352 Damit war Berlin nach Tübingen die zweite Universität in Deutschland, die ein selbstständiges physiologisches Institut e r hielt. 353 Die Ablösung der Physiologie war nicht nur eine Frage der wissenschaftl i chen Notwendi g keit, offensichtlich bestanden zwischen Karl Reichert und Emil Du Bois - Reymond auch weltanschauliche U n terschiede. 354 Die Trennung hatte noch eine bedeutsame Folge, denn erstmalig wurde in Deutschland durch Z u stimmung

Wissenschaften. Besondere Forschungsschwerpunkte waren die Nervenphysiologie, die Gro ß- hirnrinde und die Schilddrüse. Vgl. Schneck/Schultze (1996), S. 137 u. 138. 348 Det ails über die Du Bois - Reymond - Schüler siehe Abeßer/Schubert (1977), S. 11, Rothschuh (1953) , S. 133 - 141, Der engere Schülerkreis lässt sich anhand des Albums reko n- struieren, das Du Bois - Reymond aus Anlaß seines 60. Geburtstags von seinen Schülern e r hielt. Es befindet sich im Universitätsarchiv der Humboldt - Universität. Vgl. hierzu Schneck/Schulze (1996). Besonders informativ ist der Gelehrtenstammbaum von Johannes Müller in Rothschuh (1953), S. 124. 349 Vgl. Festkomitee (1960), S. 66 . 350 Vgl. Guttstadt (1886), S. 261. 351 Mit Schreiben vom 2. November 1858 hatte Emil Du Bois - Reymond beim Kultusminist e r i- um den Vorschlag gemacht, das physiologische Laboratorium vom anatomischen Institut abz u- trennen und ihm sel bst den Titel „Direktor des ph y siologischen Instituts“ zu verleihen. Hiermit verbunden war die Forderung eines jährlichen Etats von 600 Talern, die Bewilligung eines A s- sistenten und eines Aufwärters. S. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X.11. Bd. VI., Bl. 6 - 8. 352 Ebenda. Das anatomische Institut wurde schließlich 1860 in einen Neubau auf dem Gelä n de der tierärztlichen Hochschule zwischen Panke und der Luisenstraße verlegt. Vgl. Festkom i tee (1960), S. 53. 353 Zur Chronologie der physiologischen Institute siehe Rothschuh (1953) , S. 93. Siehe auch die Tabelle „Gründung selbständiger Lehrstühle für Physiologie im deutschen Sprachg e biet“ bei Rothschuh (1969), S. 173. 354 Emil Du Bois - Reymond hatte einen ständigen wisse n schaftlichen Meinu ngsstreit mit Karl Bogislaus Reichert , der einen vitali s tischen Standpunkt vertrat. Vgl. Ruff (1981), S. 40.

69 des Kultusministers Moritz August von Bethmann - Hollweg 355 für ein physiolog i- sches Institut die Stelle eines Assistenten bewilligt. 356 Dieser erste Assistent wu r- de Isidor Rose n thal. 357 Zunächst wurde 1859 das Auditorium XX. im Universitätshaupthaus erwe i tert und zu einem Hörsaal in Form eines Amphitheaters umgebaut. 358 Dann wurden 1868 dem I nstitut noch drei Dachräume zugewiesen, 359 die über eine Wende l- treppe erreicht werden konnten. Zwar wurde der Hörsaal 1871 vergr ö ßert, 360 doch auch diese Maßnahme löste die bestehende Raumnot nicht. Von den 88 Z u- hörerplä t zen waren nur 44 mit einer Schreibmögli chkeit ausgestattet, obwohl die Vorlesungen von über hundert Studenten besucht wurden. 361 Die neue Selbs t- ständigkeit stellte Du Bois - Reymond zunächst ganz in den Dienst der experime n- tellen Forschung. In seiner Eigenschaft als Leiter des „physiol o gischen Appa r a- tes“ hatte er schon 1856 im Ministerium Gelder für die Anscha f fung physikal i- scher Geräte angefordert. 362 Zu diesem Zeitpunkt nahm die Lehre noch eine u n- tergeor d nete Stellung ein. Ungünstig wirkte sich die Trennung von der Anatomie im Bereich der Lehrmittel aus. Nun war es nötig, eine eigene Fachbibliothek für das Institut aufzubauen, was nur schleppend voranging. Ab 1860 stellte Emil Du Bois - Reymond entsprechende Anträge. Seit 1862 wurde eine umfangreiche Sammlung von Wandbilde rn mit Darstellungen unterschie d lichster physiolog i- scher Prozesse aufgebaut. Diese neue Lehrmethode hatte Du Bois - Reymond aus England mitgebracht. Damit sollte das aufwendige Zeichnen an Kreidetafeln e r- setzt werden. 1863 hatte die Sammlung einen Umfang von über 270 Wandbi l- dern. Du Bois - Reymond rühmte sie vor dem Kultusminister als einzigartig in der Welt, nicht zuletzt um die erforderlichen Mittel für ihre Erweiterung zu erha l- ten. 363 Mit entspreche n den Zuschüssen wurden örtliche Künstler bezahlt, deren Aufgab e die zeichner i sche Gestaltung der Wandtafeln war. Bis 1872 wurde die Sammlung vervol l ständigt.

355 Moritz August von Bethmann - Hollweg (1795 - 1877) entstammte einer Fran kfurter Bankiersfamilie. Er gehörte zu den liberal - konservativ Gesinnten, die Unterstützung bei Prinz Wilhelm und seiner aus Weimar stammenden Frau Augusta fand. In der „liberalen Ära“ wu r de er 1859 preußischer Kultusminister. Vgl. Lutz (1998), S. 404. 356 S . GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X.11. Bd. VII., Bl. 6 - 8. 357 Vgl. Lenz (1910), S. 156. Näheres zu Rosenthals Anstellung als Assistent am physiolog i- schen Institut siehe Kap. 2.3.4., S. 85 ff. 358 S. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. 9. Bd. 1, o. S. Antrag vom 4. Oktober 1859. 359 S. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X.11. Bd. VIII., Bl. 40. 360 S. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X.11. Bd. VIII., Bl. 87. 361 S. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X.11. Bd. VII., Bl. 70. 362 S. GSt APK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X.11. Bd. VI., Bl. 196. 363 S. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X.11. Bd. VI., Bl. 140.

70 Trotz unzureichender räumlicher Bedingungen für die Durchführung der Ve r- suche hatte das physiologische Institut seine fruchtbarste Zeit während der Unte r- bringu ng im Universitätshaupthaus. 364 Versuchsapparate und Geräte aus dem Be r liner Institut fanden Anwendung in physiologischen Instituten in ganz Deutschland. So z. B. der m e chanische Tetanomotor, das Schlitteninduktori - um, 365 der Zuckungstel e graph, 366 das Federmyogr aphion oder der Rosenthalsche Trog . 367 Der Kampf um finanzielle Mittel ist durch die gesamten Akten belegt. Stä n dig finden sich Klagen über fehlende Gelder für Material und Personal. Auch die Auseinandersetzungen um ein neues Institutsgebäude zogen sich lan ge hin. 368 Sie gipfelten schließlich im Mai 1872 in der Rüc k trittsdrohung Du Bois - Reymonds und seines besten Freundes Hermann von Helmholtz . 369 Als Rektor der Univers i- tät scheute Emil Du Bois - Reymond sich nicht, im Juni 1872 in e i ner unmittelb a- ren Vorstellung beim Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck , sich für den Ne u- bau des Instituts einzusetzen. 370 Von diesen Vorgängen aufg e schreckt, schaltete

364 Vgl. Ruff (1981), S. 65. 365 Vgl. Johannes - Müller - Institut (2000), S. 72. 366 Siehe Bildteil Abb. 13. 367 Die Namen der bei Emil Du Bois - Re ymond arbeitenden Schüler und die von ihnen benut z- ten Geräte sind aufgelistet bei Guttstadt (1886), S. 262. Hier findet sich auch der einzige Hi n- weis auf die Verbreitung des Rosenthal´schen Troges über die Grenzen des Berliner Inst i tuts hinaus. In keiner der in dieser Arbeit genannten Quellen ist er näher beschrieben oder auf ihn Bezug genommen. Der Rosenthal´sche Trog ist höchstwahrscheinlich eine Weiterentwic k lung des Vorreiberschlüssels (dafür auch der Begriff Quecksi l bersch alter) nach Du Bois - Reymond, dessen wichtigstes Bauelement ein kleiner Porzellantrog war, der mit Quecksilber und Alkohol gefüllt war. Mit der Apparatur konnten Stromkreise geschlossen und unterbr o chen we r den, was Merkmal von Rosenthals frühen Versuchen wa r. Vgl. Rosenthal (1858), S. 639 - 641. Au s- führlich zum Vorreiberschlüssel s. Joha n nes - Müller - Institut (2000), S. 72. Siehe Bildteil Abb. 11. 368 Der erste Antrag Du Bois - Reymonds vom 2. November 1859 auf neue Räumlichkeiten ist verbunden mit der Loslösung der Physiologie von der An a tomie. S. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X.11. Bd. VII., Bl. 6 - 8. 369 Mit Schreiben vom 31. Mai 1872 drohte Emil Du Bois - Reymond mit seinem Rücktritt, wenn sich der Baubeginn für ein neues physiologi sches Labor a torium noch weiter hinzöge. S. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. 18. Bd. 1., S. 94. Ü berdies drohte auch Hermann v. Helmholtz, einen Ruf nach Cambridge anzunehmen, da der Neubau seines physikalischen Inst i- tuts mit dem Neubau des physiolog ischen Instituts zusa m menhing. Dem Druck dieser beiden Männer gab das Kultusministerium nach und verhandelte mit dem Landwirtschaftsm i nisterium, die Ansprüche auf das Grundstück in der Dorotheenstraße 35, wo sich die ehemal i gen Artill e- riewerkstätten befand en, a u fzugeben. 370 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. 18. Bd. 1., Bl. 105.

71 sich im Juni 1872 Kaiser Wilhe lm I. ein und verlangte vom Kultusministerium Aufklärung. 371 Zusätzlich bewirkte die schärfer werdende Auseinandersetzung um die Tierversuche, dass Innenministerium und Polize i präsidium Druck auf das Kultusministerium ausübten, um einen neuen Standort für da s physiologische L a- boratorium zu finden. 372 Ein Grund für die ständige Knappheit der Haushaltsmi t- tel lag in den Kriegen Pre u ßens von 1864, 1866 und 1871, was sich besonders in der Hauptstadt Berlin bemerkbar machte. 373 Erst nachdem der Krieg gegen Fran k- reich g ewonnen war und die Reparationsza h lungen flossen, konnte der Neubau des Instituts verwir k licht werden. Am 20. November schrieb Kaiser Wilhelm aus Koblenz, er erwa r te, „dass nunmehr der Bau des physikalischen Laboratoriums und des physiologischen Instituts in j e der thunlichen [!] Weise nach Kräften g e- fördert“ 374 werde. Doch bis zur Erric h tung des Neubaus auf dem Gelände der ehemaligen Artill e riewerkstätten in der Dorotheenstraße 35 sollten noch einmal fünf Jahre ve r streichen. 375 Nachdem Emil Du Bois - Reymond 1866/67 Dekan der medizinischen Faku l tät geworden war, bekleidete er seit 1867 auch noch das Amt des ständigen Se k r e- tärs in der Preußischen Akademie der Wissenschaften. 376 1868 wurde er zum Pr o- fessor der Physiologie an der „Königli chen medicinisch - chirurgischen Ak a demie für das Militär“ 377 ernannt, 378 1869 wurde er zusätzlich Rektor der Berl i ner Un i- versität. Schließlich war er auch noch Vorsi t zender der Physikalischen und der Physiologischen Gesellschaft und musste seinen Verpflichtunge n als Zeitschri f- tenherausgeber nachkommen. 379 Aufgrund di e ser Ämterhäufung blieb es nicht aus, dass die Beschäftigung mit physiologischen Fragestellungen in den Hinte r- grund rückte und in der Forschung eine Stagnation eintrat. 380 Die Verö f fentl i- chungen stellten im Wesentlichen nur noch Ergänzungen seiner Unters u chungen

371 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. Nr. 16., Bl. 102 u. 105. 372 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. Nr. 16., Bl. 8 u. 29. 373 Dieser Hinweis findet sich be i Schubert (1988), S. 259. 374 Zit. n. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. Nr. 16., Bl. 137. 375 Eine ausführliche Beschreibung mit Grundrissen und Ansichten des neuen Instituts fi n det sich bei Guttstadt (1886), S. 260 - 287. 376 Vgl. Ruff (1981), S. 74. 377 In Berlin bestanden zu dieser Zeit zwei militärärztliche Bildungsanstalten: „Das Königl i che med i cinisch - chirurgische Friedrich - Wilhelm - Institut“ und „die Königliche medicinisch - chirurgische Akademie für das Militär“. Bestimmungen über die militärärztlichen Bi ldungsa n- stalten vgl. GStAPK: HA I. Rep. 76. VIII. B. Nr. 4421, Bl. 17 - 18. 378 S. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. IV. 46. Bd. IV, Bl. 153. 379 Vgl. Ruff (1981), S. 74. Einen Überblick über Du Bois - Reymonds Mitglie d schaften und Ämter verschafft die Chronologi e auf S. 96 - 98. 380 Ebenda, S. 71.

72 dar. So lag die Hauptarbeit der Experimente schon lange auf den Schultern seiner Schüler. Darin lag aber gleichzeitig die Chance für Rosenthal, sich als Exper i- mentator zu profilieren.

Ende der se chziger Jahre erfolgte ein spürbarer Niedergang der Berliner Physi o- logie, der sich allerdings im Sog einer allgemeinen Abwärtsbewegung an der Be r- liner Universität vollzog. Nach der Reichsgründung verlor sie ein Drittel ihrer Studenten. 381 Emil Du Bois - Reymon d war der Einzige, der über die sec h ziger Jahre hinaus an demselben Institut blieb, und es kam zu einem regelrec h ten Ex o- dus hervorragender Kliniker und Forscher an andere kleinere Univers i täten. 382 Auch die Vorlesungen litten un ter ständiger Wiederholung und Star r heit in der Darbietung des Stoffes: Obwohl Du Bois - Reymond vielfach als he r vorragender Redner bekannt war, mehrten sich die Stimmen, die seine theatral i schen Gebä r- den, die priesterhafte Selbs t darstellung während der Vorl esungen als „abstoßend peinlich“ 383 empfanden. Als endlich 1877 das neue Institut in der Dorotheenstr a- ße eingeweiht wurde, ein imperialer Prunkbau aus Granit und Marmor, wusste Emil Du Bois - Reymond sehr geschickt die Erwartungen zu dämpfen, nun müsse die Berliner Physiologie Schlag auf Schlag bedeutende Lehrer hervorbri n gen. 384 Besondere Erwähnung verdient, dass der Tierversuch am physiologischen Inst i tut der Friedrich - Wilhelm - Universität für die Forschung eine herausragende Stellu ng einnahm. Als es darum ging, im Januar 1860 einen neuen Diener anz u stellen, war die Vorausse t zung, dass er „keinen Ekel vor Fröschen, keine Angst vor Hunden und kein Mitleid mit Kaninchen“ 385 habe. Im Juni 1868 kam es w e gen der Tie r- versuche im physiologisc hen Laboratorium zu einem öffentlichen Skandal. Das Polizeipräsidium schrieb an den S e nat der Universität:

„Nach amtlicher Anzeige befindet sich im zweiten Stock der Universität nach der Univers i- tätsstraße zu ein unter Leitung des Prof. du [!] Bois - Reymon d stehendes physiologisches L a- boratorium, in welchem verschiedene Experimente (...) an Thieren gemacht werden, die hie r bei jammervolle Kl a gelaute ausstoßen. Hierdurch sind zu wiederholten Malen Aufläufe vor dem

381 Vgl. Ruff (1981), S. 85. 382 Die Abwanderungsbewegung lässt sich am besten an den kurzen Biographien der Du Bois - Reymond - Schüler nachzeichnen. Als Beispiele seien hier nur genannt: Albert von Bezold (1859, Bonn), Rudolf Heidenhain (1859, Breslau), Ludimar Hermann (1868, Zürich), Wi l helm Kühne (1868, Amste r dam). Vgl. Schneck/Schultze (1996). 383 Zit. n. Ruff (1981), S. 71. 384 V gl. Du Bois - Reymond . Reden. 2. Bd (1887), S. 377. 385 Zit. n. GStAPK: Rep. 89 H 2. 2. 1. Nr. 21509. Bd. 1., Bl. 179.

73 Laboratorium entsta n den, und das Publikum hat seinen Unwillen durch lautes Schreien und Schim p fen kundgethan. (...).“ 386

An den Rektor der Universität Professor Georg von Beseler war ein anonymer Brief eines „fühlenden Menschen“ 387 gegangen, in welchem berichtet wurde, „wie sch recklich das Schmerzensgeheul von den a r men Hunden, welche in dem physiologischen Laboratorium gemartert werden, mit anzuhören ist.“ 388 Vom Rektor aufgefordert, zu diesen Vorgängen Stellung zu ne h men, erklärte Emil Du Bois - Reymond , die Begründung des Geheuls läge darin, dass das Laborat o rium am Wochenende menschenleer sei und die Tiere aus ihrer gewohnten U m gebung herausgerissen se i nen. 389 Doch gab sich Georg von Beseler mit dieser Erklärung nicht zufried en und informierte das Kultusministerium. Z u sätzlich schaltete sich das Polizeipräsidium ein und forderte das Kultusministerium auf, für das physi o- logische Laboratorium einen Ort zu finden, „wo das Schmerzengeschrei der b e- handelten Thiere [!] wenigstens ni cht zu den Ohren des auf der öffentlichen Str a- ße sich bewegenden Pu b likum dringt.“ 390 Die Tierversuche hatten darüber hinaus noch einen rechtlichen Aspekt. Emil Du Bois - Reymond hatte rechtswidrig vom Scharfrichtergesellen aufgeg riffene Hunde erworben und sich damit strafbar gemacht. 391 Nun beteiligte sich auch das Innenministerium und verbot den Erwerb der Hunde. Alle noch vorhand e nen Ti e- re waren zu töten. 392 Dies war ein schwerer Schlag für Du Bois - Reymond und er versuchte, beim Kul tusministerium eine Aufhebung des Ve r bots zu erwirken. 393 Doch blieb dies erfolglos. Er sah den Zweig seiner Fo r schung abgeschnitten, wusste dies jedoch geschickt zu nutzen, um seiner Ford e rung nach einem Inst i- tutsneubau Nachdruck zu verle i hen. 394 Es ist offen sichtlich, dass auch Rosenthal an diesen Versuchen beteiligt war, da er seine Studienreise nach Paris 1867 damit begründete, sich in der

386 Zit. n. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. Nr. 16, Bl. 5. Aus dem Schreiben des Pol i- zeipr ä sidiums vom 15. Juni 1868. 387 Ebenda, Bl. 3. 388 Ebenda, Bl. 3. 389 GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. Nr. 16, Bl. 4. Aus dem Schreiben des Polizeipr ä- sidiums vom 15. Juni 1868. 390 Ebenda, Bl. 8. 391 S. GStAPK: Rep. 76. Sekt. 2. Tit. X. No. 11. Vol. VIII., Bl. 33. 392 S. GStAPK: Rep. 76. Sekt. 2. Tit. XIX . No. 16, Bl. 29. 393 S. GStAPK: Rep. 76. Sekt. 2. Tit. XIX. No. 16, Bl. 37. 394 S. GStAPK: Rep. 76. Sekt. 2. Tit. XIX. No 18. Bd. 1, Bl. 94.

74 „vivisektorischen Technik des genialen Claude Bernard “ 395 durch eigene A n- schauung vervollkommnen zu wollen. Ja, mehr noch! Rosenthal ist als Begrü n der der V i visektion am Berliner physiologischen Institut zu sehen, da er sich – nach eigener Darstellung seiner persönlichen Neigung entsprechend (!) – der „vivisektorischen Seite der Physiologie zugewandt habe, welche bisher in Be r lin weniger vertreten war.“ 396 Die Annahme, dass Emil Du Bois - Reymond als Inst i- tutsleiter dafür verantwortlich war, die Voraussetzungen für die Tiervers u che zu schaffen, ist zwangsläufig. Die Anregungen wird er jedoch von Rose n thal erha l- ten haben, der mit den neuesten Erkenntnissen und Techniken der V i visektion aus Paris zurückgekehrt war. Die Vivisektion, also der Versuch am lebendigen W e- sen, wurde zu einem Thema, mit dem sich die Öffentlichkeit und die Fachwelt von diesem Zeitpunkt an noch lange beschäftigen sollte: 1870 ve r teilte ein gewi s- ser Emil Weilshäuser eine aus dem Englischen übersetzte Flu g schrift gegen die Vivisekt i on. 397

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die B erliner Physiol o gie zur Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt im Bereich der Elektrophysiol o gie hatte. Hier wurden die Grundlagen für EKG und EEG gelegt. 398 Aus der Schule von Johannes Müller gingen die bedeutendsten medizinisch en Gelehrten Deutsc h- lands, wie z. B. Rudolf Virchow , Emil Du Bois - Reymond , Hermann von Hel m- holtz und Ernst Haeckel 399 hervor. Außergewöhnlich lange dauerte der Bau e i g e-

395 Zit. n. AHUB: Med. Fak. 1605, Bl. 202. Schreiben vom 20. November 1866. Claude Be r- nard (1813 - 1878) ist zum „Symbol der Physiologie des 19. Jahrhu n derts“ (Zit. n. Ackerknecht , 1967, S. 144) geworden. Als Sohn eines Weinba u ern in dem Dorf St. Julien geboren, arbeitete er zunächst als Apothekerlehrling und war dichterisch tätig. Ab 1836 studierte er in Paris M e- dizin und erhielt eine Anstellung im Labor von François Magendie. 1854 wurde er auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Physiologie an der Sorbonne ber u fen. Während des Deutsch - Französischen Krieges 1870/71 flüchtete er aus Paris. Bernard entdeck te das Glykogen, e r- forschte die Vorgänge der Sekretion, und veröffentlichte 1857 A r beiten über die Wirkung von Curare als Nervengift. Er klärte die Funktion der vasomotorischen Nerven. Umfassend forsc h- te er auch auf dem Gebiet der tierischen Wärme. Seine w issenschaftlichen Erfolge zogen ju n ge Naturforscher aus der ganzen Welt an, die kürzer oder länger an seinem Laboratorium a r beit e- ten, wie es auch Rosenthal tat. Vgl. Rothschuh (1953), S. 162 - 165. 396 Zit. n. AHUB: Med. Fak. 1605, Bl. 202. Schreiben vom 20. N ovember 1866. 397 Vgl. Bretschneider (1962), S. 33. Das Berliner Institut für Physiologie unter Emil Du Bois - Reymond und seine Schüler wurden zum Hauptangriffsziel der Tierversuchsgegner. Zur Au s- einandersetzung um die Vivisekti on vgl. Bretschneider (1962). 398 Vgl. Schubert (1988), S. 274. 399 Ernst Haeckel (1834 - 1919) wurde in Potsdam geboren und studie r te seit 1852 in Berlin, Würzburg und Wien Medizin. Seit 1856 war er Assistent bei Rudolf Virchow . Er habilitierte sich 1861 in Jena für vergleichende An a tomie und wurde 1865 Ordinarius für Zoologie und

75 ner Räumlichk eiten für das physiologische Institut, verglichen mit anderen Un i- versitäten. Als diese Frage gelöst war, hatte das Berl i ner Institut schon die besten Schüler an andere Universitäten verloren. Die innere Verknöch e rung des Instituts wird nicht zuletzt Emil D u Bois - Reymond anzulasten sein, dessen u n flexibler, herrischer und zur Kritik unfähiger Charakter für viele seiner Schüler das Berliner Institut zur Sackgasse machte. 400 Sein erster Assistent Isidor R o senthal war merkwürdigerwei se der letzte seiner Zöglinge, die Berlin verließen.

2.3.3. Weltanschauliche Wirkungen Emil Du Bois - Reymonds auf Isidor R o senthal

Das Verhältnis Emil Du Bois - Reymonds zu Isidor Rosenthal, den ersterer gern als seinen „Lieblingsschüler“ 401 bezeichnete, ist v on einigen Besonderheiten g e- kennzeichnet, die hier näher betrachtet werden sollen; denn vor Rosenthals eig e- ner Entwicklung stand richtungsweisend die Prägung durch seinen Lehrer. Fast scheint es, als habe R o senthal in seinem Lehrer einen Vaterersatz gehabt . Wie schon erwähnt, war Rosenthal früh verwaist und begann, mit 19 Jahren charakte r- lich noch ungefestigt, das Studium in Berlin. Seine Doktorarbeit wi d mete er Du Bois - Reymond als dem „glanzvollsten, gelehrtesten und mensc h lichsten Mann.“ 402 So stellt sich d ie Frage, ob und inwiefern sich Abhängigke i ten und Wechselwirkungen nachweisen lassen, wobei Du Bois - Reymonds Weltanscha u- ung nicht unberücksic h tig bleiben darf.

veröffentlichte seine „Natürliche Schöpfungsg e schichte“ (Berlin, 1868). Der Titel beschreibt, was wesensmäßig Haeckels Anliegen war, näml ich die Begründung einer neuen (Natur - ) R e l i- gion. Haeckel formulierte, dass „die Unterschi e de zwischen den niedersten Menschen und den höchsten Affen geringer sind, als die Unterschiede zwischen den niedersten und höchsten Me n- schen “. Zit. n. Haeckel (1868 ), S. 555. 1872 formulierte er sein „Biogenetisches Grun d g e- setz“, demzufolge die Entwicklung des Menschen eine Wiederholung der Entwicklung der Arten sei. Er war ein leidenschaftlicher Verfec h ter der Theorie Darwins. Für ihn gab es keine Trennung von Geist und Materie, ebenso lehnte er die Vorstellung eines persönlichen Schö p- fers ab und entwickelte seine „M o nistische Naturreligion“. Vgl. Uschmann (1966), S. 425. Siehe auch Wendt, He r bert: Ernst Haeckel . In: Fassmann, K. (Hrsg.): Die G rossen. Kindler. Zürich. 1995. S. 606 - 625, hier auch umfangreiche Literatur - und Quellenangaben. 400 Vgl. Rothschuh (1953), S. 131. Zu Wirkungen Emil Du Bois - Reymonds auf Studiere n de s. S. 56. 401 Du Bois - Reymond, Estelle: Biographie Emil du [!] Bois - Reymonds. In: E s telle Du Bois - Reymond (Hrsg.): Emil du Bois - Reymond. Reden, 2. Bde. 2. vervollst. Auflage. Veit & Comp.. Leipzig. 1912. S. X., zit. n. Schneck/Schultze (1996), S. 125. 402 Zit. n. Rosenthal (1859), S. 3.

76 Zunächst ist das Verhältnis beider Männer mit dem Bild von Meister und G e- selle zu beschreiben. Das Arbeiten in Emil Du Bois - Reymonds Institut war durch überwiegend handwerkliche Tätigkeiten bestimmt, da es noch keine He r stellung physiologischer Apparate in u n serem heutigen Sinn gab. 403 Zum einen fehlten für die Anschaffung industriell gefertigter I n s trumente die finanziellen Mittel, zum anderen entsprach der Stand der Elektrotechnik nicht den wisse n schaftlichen A n- forderungen. So gehörte es zu Rosenthals Tätigkeiten, unter den Augen Du Bois - Reymonds Apparate herzustellen und als Experimentalgehi l fe zu dienen. 404 Um die geistigen Wechselwirkungen untersuchen zu können, ist ein näherer Blick auf Du Bois - Reymonds persönliche Entwicklung zu richten, zu dessen engsten Freunden Alexander von Humboldt , 405 Hermann von Helmholtz , 406 Karl Lu d wig 407 und besonders Eduard Hallmann gehörten. 408

403 Über die Bedeutung des physiologischen Inst ituts als „physiologischen Meisterbetrieb“ vgl. Dierig (2000), S. 75. 404 Vgl. Dierig (2000), S. 76. 405 Ein plastisches Bild dieser Freundschaft vermittelt Schwarz, I./Wenig, K. (Hrsg.): Brie f- wechsel zwischen Alexander von Humboldt und Emil du [!] Bois - Reymond. Beiträge zur Al e- xander - von - Humboldt - Forschung. Schriftenreihe der Alexander - von - Humboldt - Forschungsstelle. Berlin - Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Alexander von Humboldt (176 9 - 1859) studierte von 1787 bis 1792 in Frankfurt, Göttingen, Hamburg und Freiburg Wirtschafts - und Verwaltungskunde, Geologie und Bergbau, wonach er in den pre u- ßischen Staatsdienst eintrat. 1796 erbte er ein großes Vermögen von seiner Mutter, schied aus de m Staatsdienst aus und begab sich auf Weltreise. Nach Berlin zurückgekehrt hielt er 1827 Vorlesungen über physische Weltbeschreibung. Nach seiner Asienreise ließ er sich 1829 in Berlin nieder. Er zählt zu den größten Naturforschern des 19. Jahrhu n derts. Vg l. Zey (1997), S. 224 ff. 406 Hermann von Helmholtz (1821 - 1894) begann sein M e dizinstudium 1837 am Friedrich - Wilhelm - Institut (Pépinière) und wurde anschließend Militärarzt beim Potsdamer Gardereg i- ment. 1847 wurde seine Arbeit „Über die Erhaltung der Kraft“ in Poggendorffs Annalen ve r ö f- fentlicht. Sie wird als epochemachend bezeichnet, da sie sich mit der Energieerhaltung, also dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik, beschäftigte. Nach seiner Entlassung aus dem M i l i- tärdienst 1848 unterrichtete er Anatomie an der Berliner Kunstakademie, und trat 1849 als Professor für Physiologie in Königsberg die Nachfolge Ernst von Brückes an. 1855 übernahm er den Lehrstuhl für Anatomie und Physiologie in Bonn und wechselte 1858 nach Heidelberg. Als Professor der Physik ging er 1871 zurück nach Berlin, um zudem Direktor der Physik a- lisch - Technischen Reichsanstalt zu werden. Besondere Verdienste erwarb er auf dem Gebiet der Sinnesphysiologie. 1883 wurde dieser herausr a gende Physiologe und Physiker g eadelt. Vgl. Rothschuh (1953), S. 123 - 127. 407 Zum Briefwechsel Emil Du Bois - Reymonds mit Karl Ludwig siehe Du Bois - Reymond, E s- telle (1927). Karl Ludwig (1816 - 1895) studierte in Ma r burg Medizin, wo er bis 1849 blieb. In Berlin hatte er 1847 Emil Du Bois - Reymond kennengelernt. Bis 1855 hatte er den Leh r stuhl für Anatomie und Physiologie in Zürich inne, dann nahm er eine Stelle als Physiologe an der

77 Wie Peter W. Ruff ausführt, wurde Emil Du Bois - Reymond wie Karl Marx 1818 geboren und wuchs in Berlin auf. Sein Vater war als Uhrmacher aus Saint Sulpice im Kanton Neuenburg ausgewandert und hatte als Beamter in der pre u ß i- schen Verwaltung eine b e scheidene, aber solide Stellung. Seine Mutter war die Tochter ei nes reformierten Predigers in der franz ö sischen Gemeinde. Das Abitur legte er 1837 am französischen Gymnasium ab, zu einem Zeitpunkt, als Charles Darwin mit seiner „Beagle“ gerade von den Galapagosinseln zurückg e kehrt war. Dieser so llte später in Emil Du Bois - Reymond einen regen Multipl i kator seiner Lehre finden. 409 Du Bois - Reymond schrieb sich an der Berliner Universität ein. Hier studierte er zunächst recht planlos unterschiedliche gei s teswissenschaftl i che Fächer wie Theologie, Philosophie und Geschichte, hörte Friedrich Wilhelm J o- seph von Schelling mit seiner Naturphilosophie und b e schäftigte sich schließlich mit den Naturwi s senschaften und der Mathematik, bis sein älterer Freund Eduard Hallmann , der seit 1834 bei Johannes Müller A s sistent am anatomischen Institut war, den Anstoß gab, sich dem Medizinstud i um zu widmen. Für die Religiosität seines Elter n hauses hatte er nur Spott übrig. Sein sehnlicher Wuns ch war es, aus den Zwängen der kleinen Beamtenfamilie auszubr e chen. 410 Der Atheismus der französischen Aufklärung hatte auf den Jugendlichen e i nen bedeutenden Einfluss, wobei die Schriften des Philosophen Julien Offray de La Mettrie den stärksten Eindruck hinterließen, wie Du Bois - Reymond selbst b e- schreibt. 411 An das Christentum richtete er den Vorwurf, den menschlichen Kö r- per herabzusetzen und ihn zum Ursprung für die „Sündhaftigkeit“ zu m a chen. Ebenso verurteilte er, dass der Glaube die Menschen auf ein beglückendes Je n- seits vertröste und sie für das Leben im Diesseits unfähig mache. 412 Emil Du Bois - Reymond litt unter dem Mangel an förderlichen Bekanntscha f ten mit einflussreichen und angesehene n Leuten und fühlte sich eingeengt in der bü r- gerlichen Stille des Familienkreises. 413 Daher versuchte er durch besonders fo r-

Medizinisch - Chirurgischen Militärakademie in Wien an. Sein beru f licher Durchbruch erfolgte 1865 mit der Berufung nach Leipzig, wo er den ersten selbstständigen Lehrstuhl für Physiol o- gie einrichtete. Ludwigs Institut wurde zur Muste r anstalt für Physiologen aus dem In - und Ausland. Er gilt als Begr ünder der „quantitativ physikalisch - chemischen Richtung der Physi o- logie“. Zit. n. Rothschuh (1953), S. 120. 408 Hier sei auf den gesamten Briefwechsel zwischen Emil Du Bois - Reymond und Eduard Hallmann ve rwiesen: S. Du Bois - Reymond, Estelle (Hrsg.): Jugendbiefe von Emil du Bois - Reymond an Eduard Hallmann . Dietrich Reimer. Berlin. 1918. 409 Siehe dazu ausführlich Kap. 2.3.3., S. 83 ff. 410 Vgl. Ruff (1981), S. 9. 411 Vgl. Du Bois - Reymond. (1886), S. 178 ff . 412 Vgl. Du Bois - Reymond, Estelle (1927), S. 585. 413 Vgl. Ruff (1981), S. 10.

78 sches Auftreten die Aufmerksa m keit auf sich zu lenken, was ihm dann auch bei seinem damals schon berühmten Lehrer Johannes Müller gelang. 414 Nac h dem di e- ser ihm auf Anregung Alexander von Humboldts 1841 die Aufgabe g e stellt hatte, der Frage der tierischen Elektrizität nachzugehen, muss Du Bois - Reymond in s- tinktiv gespürt haben, dass von der Erfüllung dieses Auftrages se i ne ganze Z u- kunft abhing. Als Ergebnis seiner Versuche machte er noch im gle i chen Jahr die einem Glaubenssatz gleichkommende Aussage: „Brücke 415 und ich, wir haben uns geschworen, die Wahrheit geltend zu machen, dass im Org a nismus keine a n- deren Kräfte wir ksam sind als die gemein physikalisch - chemischen“, 416 so form u- lierte er in einem Brief an seinen Freund Eduard Hallmann . Dies belegt seine a n- fängliche Überzeugung, dass mit einer entspr e chenden Tatsachenforschung das Leben erklärbar sei. Damit entwickelte er eine ganz neue Vorstellung vom Org a- nismus. Es war die Kampfansage an den Vit a lismus. Diesem Bekenntnis ist er sein Leben lang treu geblieben, was ihn auch zum Begründer der physikalisch - chemischen Richtung in der Physiologie mac h t e. 417 Isidor Rosenthal hat den Du Bois - Reymond´schen Antivitalismus ohne Ein - schränkung übernommen und bekannte sich zu dessen Lehren als „helle[s] Licht“. 418 So erklärte er vor der vereinigten Versammlung der Physikal i schen und Physiologischen Gesellschaft i n Berlin im Jahr 1897:

„Wie Karl der Große die Irmensäule stürzte, so sank unter den wuchtigen Ha m merschlägen der du Bois´schen Kritik jener Götze der Lebenskraft und eine g e läuterte, wissenschaftliche Auffassung konnte ihren Einzug halten in den Geda n kenk reis der Physiologen.“ 419

Hier zeigt sich die völlige Übereinstimmung Rosenthals mit der Lehre seines Ziehvaters. Dies ist umso beachtlicher, als diese Aussage nicht die Äußerung e i- nes jungen Akademikers, sondern das Glaubensbekenntnis des sechzigjähr i gen

414 Vgl. Ruff (1981), S. 11. 415 Ernst von Brücke (1819 - 1892) gehörte zu dem engsten Kreis der Schüler von Johannes Müller , bei welchem er sich 1844 für Physiologie habilitierte. 1847 wurde er als außerorden t l i- cher Professor für Physiologie und Anatomie nach Königsberg gerufen. Als er später nach Wien ging, wurde seine Stelle 1849 von Hermann von Helmholtz besetzt, der auch mit Emil Du Bois - Reymond befreundet war. 1855 kam Karl Ludwig nach Wien, mit dem ihn persönl i- che Freundschaft verband. Der österreichische Kaiser verlieh ihm den erb lichen Adel. Er g e- hö r te mit Ludwig, Helmholtz und Du Bois - Reymond zu den eifrigsten Verfechtern der phys i- kalischen Richtung der Physiologie, widmete sich jedoch auch den bildenden Künsten, der M a- lerei und Lyrik. Vgl. Rot h schuh (1953), S. 139 - 141. 416 Zit. n . Du Bois - Reymond, Estelle (1918), S. 108. 417 Vgl. Rothschuh (1953), S. 92. 418 Zit. n. Rosenthal (1897.2), S. 98. 419 Ebenda.

79 Na turwissenschaftlers darstellt. Daraus ist zu schließen, dass Rosenthal im Hi n- blick auf die L e benskraftlehre dem Du Bois - Reymond´schen Antivitalismus sein L e ben lang treu geblieben ist. Von seinem Fachgebiet war Emil Du Bois - Reymond außerordentlich überzeugt. Die Physiologie betrachtete er als die „K ö- nigin unter den Naturwissenschaften“, 420 weil sie bis an das letzte Problem, nä m- lich die Frage des Bewusstseins heranführe. Für ihn beinhaltete die Physi o logie die Gesamtheit der Natu rwissenschaften. Für Du Bois - Reymond war der Physi o- loge der naturwissenschaftliche Alleskönner, dem kein G e biet fremd sei:

„Als Forscher wie als Lehrer muss der Physiologe nicht nur die ihm eigenen Künste der Vivisection und des subjectiven Versuchs üben, sondern auch noch Physiker und Chemiker, M a thematiker und Philosoph, Anthropotom, Zootom und Mikroskopiker, Toxikologe und Botaniker, Embryologe, Palaeontologe, Anthrop o loge und Linguist, und was nicht noch Alles [!], oft in raschem Wechsel sein.“ 421

Diese hohe Einschätzung der Physiologie hat Rosenthal übernommen, sie war in gewisser Hinsicht ein Religionsersatz. Der Physiologie wurden Fähigkeiten zug e- schrieben, die sie faktisch nicht besaß, mit ihr verknüpft wurden Frageste l lungen und Erwa r tungen, deren Ve rwirklichung meist Gegenstand von Religion ist. Dies zeigt sich daran, dass Rosenthal, allein von der Physiologie die Kl ä rung der Frage erwartete, was eigentlich die Ursache für Krankheit und Tod in der Menschheit sei. 422 Diese Fragestellung ist letztlich ei n Kennzeichen von R e ligion. Daraus lässt sich ableiten, dass Rosenthal die angewandten Naturwisse n schaften mit e i- nem „ethischen Mehrwert“ belegte und aus demselben Aufg a benstellungen able i- tete, die über eine bloße Wissensvermehrung hinausgingen.

Die geis tige Situation Europas im 19. Jahrhundert war hauptsächlich von drei Welta n schauungen bestimmt: Dem Nationalismus, dem Materialismus und dem Evolutionismus. 423 Alle drei finden sich bei Emil Du Bois - Reymond stark au s g e- prägt, wor in er sich ganz als Kind der Zeit zeigt. Der Materialist und Physi o loge Carl Vogt 424 gehörte zum Freundeskreis der Familie Du Bois - Reymond, wie sich aus Briefen an Rudolf Virchow able i ten lässt. 425 Emil Du Bois - Reymon d teilte die

420 Zit. n. Du Bois - Reymond (1887), S. 378. 421 Zit. n. Du Bois - Reymond (1887), S. 371. 422 Vgl. Rosenthal (1887), S. 3. Eine eingehendere Untersuchung s. Kap. 3.5.2., S. 202 ff. 423 Eine kurze, präzise Zusammenstellung findet sich bei Kinder/Hilgemann (1994), S. 342. 424 Carl Vogt (1817 - 1895) war einer der begabtesten Schüler von Justus Liebig . Er beteili g te sich aktiv an der Märzrevolution 1848 und wurde als „Affenvogt“ bekannt für seine uneing e- schränkte Befürwortung des Darw i nismus. Vgl. Rothschuh (1953), S. 109. 425 Vgl. Wenig (1995), S. 39.

80 feste Überzeugung, „dass alle Naturvorgänge nur erkannt werden ve r möge der uns durch die Sinne zugeführten Empfindungen“. 426 Darin zeigt sich ein sehr m e- chanisches Verständnis von Wahrne h mung. Allerdings schien für Du Bois - Reymond die Frage nach dem Bewusstsein eine unübe r windliche Hürde zu sein. In Leipzig formulierte er schließlich in der allgeme i nen Sitzung der 45. Versam m- lung Deutscher Naturforscher und Ärzte am 14. August 1872 in seinem vielb e- achteten Vortrag „Ueber die Grenzen des Natu r erke nnens“ 427 die These, dass geistige Vorgänge nicht aus materiellen Vorgä n gen erklärt werden kön n ten und dass das Bewusstsein kein Ergebnis materieller Bedingungen sein könne. So schränkte er den Materialismus ein, denn er sprach ihm damit die Fähigkeit zur Er kl ä rung von Empfindung und Bewusstsein ab und zog so der Naturwissenschaft Grenzen. 428 Das ist sehr beachtlich, weil diese Erkenntnis gegen den Zeitgeist und damit mutig war. Nach der Gründung des Deutschen Re i ches hatte sich der Glaube an die Machbarkeit al ler Dinge und den unaufhaltsamen Fortschritt stark verbreitet, und nur wenige Stimmen mah n ten zur Besonnenheit. „Ignorabimus“ 429 – wir werden es nicht wissen. Du Bois - Reymond wollte darlegen, „dass nicht a l- lein bei dem heutigen Stand unserer Kenntnis das Bew usstsein aus seinen mater i- ellen Bedingungen nicht erklärbar ist.“ 430 Mit diesem Wahlspruch kapitulierte er vor dem Rätsel des Bewusstseins. Das war eine Ungeheuerlichkeit, die ihn in Widerspruch zu den vielen Wisse n schaftlern, allerdings auch zur Kirche brac hte, deren Erklärungsmode l le er ja mit seinem „Ignorabimus“ gleichfalls verwarf. Bei allen Vorwürfen der Gottl o sigkeit, die besonders durch den Berliner Hofprediger Adolf Stoecker 431 erh o ben wurden, 432 blieb trotzdem in seinem Denken mi t der

426 Zit. n. Rosenthal (1897.2), S. 97. 427 Vgl. Du Bois - Reymond (1886), S. 105 - 140. 428 Dies steht in einer gewissen Spannung zu den Ausführungen der vorausgegangenen A b- schnitte. Ich deute das Zurückgehen Emil Du Bois - Reymonds im Hinblick auf seine Erwar - tungen an die Naturwissenschaft als Ergebn is seiner persönlichen wisse n schaftlich - weltanschaulichen Entwicklung, da zwischen beiden Standpunkten fast dreißig Jahre seines Forscherlebens mit Erfahrungen und Erkenntnisse liegen. Eine umfassende Unte r suchung zum Ignorabimus - Streit und der Entwicklung des Denkens von Du Bois - Reymond bietet V i doni (1988). 429 Zit. n. Du Bois - Reymond (1886), S. 130. 430 Zit. n. Du Bois - Reymond (1886), S. 117. 431 Adolf Stoecker (1839 - 1909) entstammte einer ärmeren Familie des Mittelstandes aus Ha l- berst adt. Durch seine mitreißenden, patriotischen Reden war Kaiser Wilhelm I. auf ihn au f- merksam geworden und hatte ihn 1874 zum Hof - und Domprediger ber u fen. Er predigte die Einheit von Krone und Altar und gründete 1878 die „Christlich - Soziale Arbeiterpartei“. Seine Wahlkampfschriften waren von grobem Antisemitismus bestimmt und grenzten an Volksve r- hetzung. Vgl. Trepp (1996), S. 171. Den Liberalismus schmähte er als „Judenliberalismus“.

81 Frage des Wollens, Empfindens und Bewusstseins also dennoch Raum für das Unerklärliche, das Philosophen oft als Metaphysik oder Transzendenz bezeichnen oder das im r e ligiösen Sinn mit dem Begriff Gott verbunden wird. So ist festz u- halten, dass Emil Du Bois - Reymonds Denken eine Mittelstellung zwischen Mat e- rialismus und Ideali s mus einnimmt. Rosenthal grenzte das Denken seines Lehrers von dem platten Materialismus seiner Kollegen Ludwig Büchner 433 und Jakob Moleschott 434 ab, die alle Erscheinungen des Lebens aus dem Stofflichen able i t e- ten, indem er Emil Du Bois - Reymond als „Vertreter eines geläuterten Mat e ri a- lismus“ 435 bezeichn e te. Genauer bezeichnet, ist seine Haltung eigentlich mi t dem Begriff Agnost i zi s- mus 436 zu beschreiben, wenn man den Versuch unternimmt, philosophische B e- griffe auf Du Bois - Reymonds Denkweise anzuwenden. Dies bot ihm den Ausweg aus dem Wide r spruch zwischen Materialismus und Idealismus. 437 Er leugnete die Wirklichkei t der Begriffe von Kraft und Materie, weil er sie ihrem Wesen nach lediglich für Abstrakti o nen hielt. Denn, so argumentierte er, keiner von beiden Begriffen sei unabhängig voneinander. Kraft sei nur das Maß, nicht aber die U r- sache der Bewegung; außerhalb d er Bewegung der Körper, also ohne Materie,

Sein größter politischer Gegner war Rudolf Virchow von der Deutschen Freisinnigen Partei, gegen den er aber in den Reichstagswahlen 1884 verlor. Vgl. Kieseritzky (2002), S. 299. Kr i- tisch Otto von Bismarck über den Einfluss Stöckers auf Kaiser Wilhelm II. siehe Bi s marck (1928), S. 584 u. 593 ff. 432 Am 2. November 1882 wurden durch allerhöchste Verordnung beide Häuser des Lan d tages zu einer Ve r handlung einberufen. Vgl. Metze (1912), S. 40 u. 58. 433 Friedrich Karl Christian Ludwig Büchner (1824 - 1899) war ein einflussreicher Vertreter des Materialismus im 19. Jahrhundert. Er beendete nach umfassenden naturwissenschaftlichen St u- dien sein Medizinstudium 1848. Aktiv an der Revolution beteiligt, folgte er Rudolf Vi r chow nach Würzburg. Sein bekanntes Werk „Kraft und Stoff“ brachte ihn in Widerspruch zur Ki r- che, da er Offenbarung leugnete und nur Beobachtung und Erfahrung als Quellen der E r kenn t- nis gelten ließ. Kraft und Stoff bildeten für ihn eine Einheit. Vgl. Thiele ( 1976), S. 563 - 564. 434 Jakob Moleschott (1822 - 1893) war ein bekannter Physiologe. Als Schüler von Jakob He n le wurde er 1847 Privatdozent für Physiologie in Heidelberg, ging 1856 als Professor der Ph y si o- logie nach Zürich, wechselte 1 861 an den Lehrstuhl für Physi o logie in Turin und wurde 1878 nach Rom berufen. Er war durch die Religionskritik Feue r bachs beeinflusst und vertrat mit Ludwig Büchner und Carl Vogt einen physiologischen Materialism us, der alle Lebensvo r gänge durch chemischen Stoffwechsel erklärt. Vgl. Inge n siep (2001), S. 187 u. 188. 435 Zit. n. Rosenthal (1897.2), S. 97. 436 Agnosie: das Nichterkennen. Darunter wird hier die Anschauung verstanden, dass Auss a gen über das Göt t liche oder Übersinnliche vernünftigerweise nicht zu begründen sind und daher geleugnet werden. Ausführlich zum Agnostizismus vgl. Fries (1978), S. 20 ff. 437 Friedrich Herneck gibt eine lesen s werte Darstellung des geistigen Hintergrunds von Emil Du Bois - Reymond aus marxi s tisch - leninistischer Sicht. Vgl. Herneck (1960), S. 241 - 251.

82 bestehe sie nicht. Genauso könne es keine Materie geben, da sie ohne Bewegung, also ohne Kräfte nicht denkbar sei. 438 Hier sah er das Verständnis beider Begriffe scheitern. Diese Feststellung machte er zur Begründun g seines „Ignorabimus“. Dieser Du Bois - Reymond´sche Agnostizismus scheint Rose n thals Denken beei n- flusst zu haben, denn nach 1872 – der Zei t punkt lässt sich nicht genau bestimmen – trat Rosenthal aus der jüdischen Glaubensgemei n schaft aus. 439 Rosenthal überna hm von Du Bois - Reymond außerdem den Mut, für Übe r ze u- gungen einzutreten, auch wenn diese gegen den Zeitgeist war. Rosenthal bewu n- derte an seinem Lehrer, „dass du [!] Bois - Reymond redlich bemüht war, die A n- scha u ungen, zu denen er als der Frucht seiner langen und tiefen Studien gelangt war, nach gewissenhafter Prüfung mit tapferem Fre i mut auszusprechen und dass er sie mit logischer Schärfe und mit einer (...) seltenen Beredsa m keit vorgetragen und verteidigt hat.“ 440 Dies scheint Rosenthal selbst derart g e prägt z u haben, dass ihm nach seinem eigenen Tode Gleiches nachgesagt wu r de. 441

Seit Anfang der sechziger Jahre hielt Emil Du Bois - Reymond öffentliche, d. h. Studenten aller Fachrichtungen zugängliche Vorlesungen, die sich so großer B e- liebtheit erfreuten, dass selbst der größte Hörsaal im Universitätsgebäude die Z u- hörermenge nicht mehr aufnehmen konnte. Fast scheint es, dass abnehmende Qualität seiner physiologischen Vo r lesungen im umgekehrten Verhältnis zu den neuen Fächern stand: Mit seinen Vorlesungen über „Physische Anthropologie“ und „Neuere Fortschritte der Naturwissenschaft“ hatte er die entsprechende Plat t- form, um die Lehre Charles Darwin s einer ganzen Generation von Stude n ten nahe zubringen. 442 Sein Schüle r Rosenthal bezeichnete ihn als „eifrigen Ve r fechter der Darwin´schen Lehre“. 443 Du Bois - Reymond verglich Charles Darwin einmal mit Kopernikus und würdigte diesen somit als Begründer eines neuen Weltbildes. 444 Auch we nn mit der neuen Lehre noch viele Fr a gen offen blieben, so sah er doch in ihr die Grundlagen für eine neue Welta n schauung. Die Darwin beigemessene

438 Vgl. Vidioni (1988), S. 37. 439 Es existiert keine Austrittskartei. Näheres zu Rosenthals Mitgliedschaft in einer jüdischen Ortg e meinde findet sich in Kap. 3.8.2. , S. 254 ff. 440 Zit. n. Rosenthal (1897.2), S. 97. Dieses Urteil Rosenthals steht in Widerspruch zu den Beobachtungen anderer Zeitgenossen (vgl. S. 56). Hier wird zwischen den Universitätsr e den und den täglichen Vorlesungen zu diff erenzieren sein. Vgl. Du Bois - Reymond (1886) u. (1887). 441 Vgl. Höber (1915), S. 294. 442 Vgl. Ruff (1981), S. 73. 443 Zit. n. Rosenthal (1897), S. 97. 444 Vgl. Metze (1912), S. 40. Im Original bei Du Bois - Reymond (1887), S. 497 - 499.

83 Bedeutung wird daran deutlich, dass auf Du Bois - Reymonds A n regung als Rektor der Berliner Universität für die Jahre 1882/83 vor dem Haupthaus Unter den Li n- den Denkmale von Darwin und Kopernikus errichtet wurden. Auch bei Rosenthal hat der von Darwin übernommene Begriff vom „Kampf ums Dasein“ 445 maßge b- lich die Vorstellungen über das Leben g e prägt. 446

Überdies hinter ließ der Nationalismus in Emil Du Bois - Reymonds Denken deutl i- che Spuren. Obwohl von seiner Herkunft Franzose, waren seine Auss a gen über Frankreich merkwürdiger Weise auffallend einseitig, verallgeme i nernd und oft herabsetzenden Inhalts, gar so, als gelte e s, sein Preußentum besonders unter Beweis stellen zu müssen. Die Berliner Universität bezeichnete er in seiner am 3. August 1870 gehaltenen Rektorats - Rede Der Deutsche Krieg als das „Leibr e g i- ment der Hohenzollern“ 447 und stellte das Ans e hen Preußens immer wi eder in den Mittelpunkt in dem Bemühen, ein neues Institutsgebäude für die Physiol o gie zu erhalten. 448 Patriotisch und kaisertreu, so war Du Bois - Reymonds Grun d haltung zum preußischen Staat. Bemerkenswert ist sein Eintreten für das Judentum. Dem sich nach d er Reich s- gründung verstärkt ausbreitenden Antisemitismus trat er entschlossen entgegen. So scheute er sich nicht, „die Rassen - und Glaubensverfolgungen der letzten Ja h- re“ mit der „mittelalterlichen Judenhetze“ zu vergleichen. 449 Auffällig ist der ve r- gleichsw eise hohe Anteil von Juden bei seinen Mitarbeitern und Freunden. 450 Übernommen hat Rosenthal auch den tiefen Patriotismus seines Lehrers. Dies wird noch deutlich werden an Rosenthals Beteiligung bei allen deutschen Ein i- gungskriegen und an der Motivation, si ch politisch zu engagi e ren. 451

So ist deutlich geworden, dass große Linien im Denken Du Bois - Reymonds bei seinem Schüler Rosenthal wiederzuerkennen sind und die I deen Du Bois - Reymonds bei diesem einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Dies gilt im W e- sent lichen hinsichtlich des Antivitalismus, Agnostizismus und Patriotismus. Schließlich ist von Zeitgenossen „der kindliche Respekt, den er noch als alter

445 Zit. n. Rosenthal (1881.2) , S. 39. 446 Siehe dazu ausführlicher Kap. 3.5.2., S. 201 f. 447 Zit. n. Du Bois - Reymond (1886), S. 92. 448 Vgl. GStaPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. 18. Bd. 1, Bl. 75. 449 Zit. n. Du Bois - Reymond (1887), S. 168. 450 So z. B. Julius Bern stein, Isidor Cohnstein, Salomon Ehrenhaus, Johannes Gad, Samuel Guttmann, Ludimar Hermann , Eduard Hitzig, Hermann Munk . 451 Siehe Kap. 2.8., S. 136 ff. u. 3.6.1., S. 221 ff.

84 Mann seinem Lehrer du [!] Bois - Reymond (...) zollte“ 452 angemerkt worden, der charakteristisch für Rosentha ls Ha l tung war. Das persönliche Verhältnis beider Männer war schließlich von einem tiefgre i fe n- den Wandel bestimmt, wie an Rosenthals beruflicher Entwicklung deutlich we r- den wird. Aus dem Lieblingsschüler Rosenthal sollte „das unbequemste M ö- bel“ 453 werden.

2.3.4. Rosenthals akademische Laufbahn am physiologischen Inst i- tut

Rosenthals Karriere als Naturforscher begann im Frühjahr 1859, als der Tre n nung von Physiologie und Anatomie zugestimmt und ein eigener Etat, die Ei n richtung einer Assistentenstelle sowie d ie Anstellung eines Dieners genehmigt worden w a- ren. Der Entschluss, die akademische Laufbahn einzuschlagen, lag in Rosenthals Wunsch begründet, sich ganz der Wissenschaft zu widmen, was j e doch durch seine eigene Mittellosigkeit stark behindert wurde. 454 So b ot die Universität die einzige Möglichkeit, seine Berufsvorstellungen zu verwirkl i chen. Emil Du Bois - Reymond sorgte für die Möglichkeit einer akademischen Ausbildung und empfahl Isidor Rosenthal dem preußischen Kultusminister M o ritz August von Bethmann - Hollweg für die Assistentenstelle mit folgendem Wortlaut:

„Zum Assistenten erlaube ich mir den Cand. Med. Isidor Rosenthal aus Labischin in der Provinz Posen, dreiundzwanzig Jahre alt , vorzuschlagen. Dieser ausg e zeichnete junge Mann hat sich mir seit Beginn seiner medizinischen Studien a n geschlossen, und durch sein Talent, seine Strebsamkeit, den Umfang und die Gründlichkeit seiner Kenntnisse, wie durch den Ernst seines Charakters und die Liebenswürdigkeit seiner Sitten, sogleich meine Aufmer k samkeit in hohem Grade auf sich gelenkt. Die Hoffnungen, zu denen er b e rechtigte, haben sich seitdem, wie es auch zu erwarten stand, erfüllt durch eine Reihe bedeutender Arbeiten, die Herr Rose n- tha l nicht [damit verweist Du Bois - Reymond wohl auf die Selbstständigkeit von Rosenthals Arbeiten, Verf.] unter meinen Augen im physiologischen Laboratorium ausg e führt hat und von denen ich eine 455 der Königlichen Akademie der Wissenschaften mitgetheilt habe. H err Rose n-

452 Zit. n. Höber (1915), S. 294. 453 Zit. n. Du Bois - Reymond, Estelle (1927), S. 160. Brief Emil Du Bois - Reymonds an Karl Ludwig vom 17. Juli 1868. 454 Dies tritt besonders deutlich in Rosenthal Bewerbungen um das Blumenbach stipend i um zu Tage. Vgl. AHUB: Med. Fak. 1605, Bl. 136 u. 202. 455 „Über die Modification der Erregbarkeit durch geschlossene Ketten und die Volta i schen Abwechselungen“. Du Bois - Reymond teilte die Ergebnisse dieser Untersuchung der Akad e mie der Wissenschafte n in der Gesamtsitzung vom 17. Dezember 1857 mit. Rosenthals Ve r such

85 thal, an dem auch Hr. Professor Magnus  Gustav M., berühmter Physiker, Verf.  einen lebha f- ten Antheil nimmt, eignet sich durchaus zur akademischen Laufbahn, zu der eine Stellung wie die für welche ich ihn jetzt zu empfehlen wage, dem mittellosen j ungen Manne am besten den Übergang erleichtern dürfte.“ 456

Dem Mangel, dass Rosenthal noch nicht promoviert hatte und sich erst im 7. S e- mester befand, wurde mit einer Ausnahmegenehmigung hinsichtlich einer vorze i- tigen Promotion abgeholfen. So konnte Rosenth al bereits im Sommers e mester promovieren und wurde „interimistisch“, d. h. vorläufig, für mona t lich 25 Taler mit Wirkung zum 1. Mai 1859 angestellt. 457 Die Ernennung zum Assistenten verdankte Rosenthal einerseits dem glückl i- chen Umstand, dass sein gleichalt riger Freund und Experimentierkollege 458 A l bert von Bezold einen Ruf als außerordentlicher Professor für Physiologie nach Jena annahm, nachdem er in Würzburg noch seine Promotion abgeschlossen hatte. Denn zuerst sollte dieser die A ssistentenstelle erhalten. 459 Doch war die Erne n- nung Rosenthals andererseits auch ein E r gebnis des guten Verhältnisses zu Emil Du Bois - Reymond , der schon im Jahr zuvor Rosenthal und Bezold se i nem Freund Karl Ludwig als „erfreulichen Nachwuchs“ 460 geschildert hatte. Wie sehr er sich solche Mitarbeiter gewünscht haben muss, verrät ein Brief an seinen Freund Ed u- ard Hallmann aus dem Jahr 1847, in dem er den Stillstand in der Physiologie und den Mangel an Nac h wuchs beklagt. 461 Die besondere Bedeutung der Einrichtung der Assistentenstelle für ein phys i o- logisches Institut liegt in dem Umstand, dass dies in Deutschland erstmalig e r- fol g te. 462

Rosenthal selbst bezeichnete den Beginn seiner literaris chen Arbeit mit der Ve r- öffentlichung seiner Abhandlung „Über direkte und indirekte Muskelre i zung“, die

wurde in den Monatsberichten der Kön. Preuss. Akademie der Wissenscha f ten zu Berlin 1857 veröffentlicht. Vgl. Rosenthal (1858), S. 639 - 641. 456 Zit. n. GStAPK: Rep. 76 Va. Sekt. 2. Tit. X. 11. Bd. VII., Bl. 37 u. 38: Brief Emil Du Bois - Reymonds an den preußischen Kultusminister Moritz August von Bet h mann - Hollweg vom 14. April 1859. 457 Vgl. GStAPK: Rep. 76 Va. Sekt. 2. Tit. X. 11. Bd. VII. Genehmigun g des Kultusminister i- ums vom 30. April 1859. Der Hinweis auf den Beginn des Arbeitsverhältnisses findet sich bei AHUB: R 216, Bl. 7. 458 Rosenthal forschte mit Albert von Bezold über das Zuckung s gesetz. Vgl. Bezold/Rosenthal (1859) , S. 131. Rosenthal über seine Freundschaft zu Bezold vgl. Rose n thal (1875.2), S. 9. 459 Vgl. Diepgen (1960), S. 36. 460 Zit. n. Du Bois - Reymond, Estelle (1927), S. 149. Brief vom 7. November 1858. 461 Vgl. Ruff (1981), S. 41. 462 Vgl. Ewald (1915), S. 279.

86 in „Moleschotts Unters u chungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere“ 1857 erschien. 463 Die von Du Bois - Reymond an die Akademie we i tergeleiteten Ergeb nisse wurden ein Jahr später ebenfalls in „Moleschotts U n tersuchungen“ veröffentlicht. So machte Rosenthal schon als St u dent auf sich aufmerksam. Das Verhältnis zwischen Du Bois - Reymond und seinem Schüler Rosenthal war in e i- nem hohen Maß von Vertrauen gepr ägt. Während seiner häufigen Abwesenheit ließ sich der Institutsleiter nicht durch andere Profess o ren, sondern durch seinen Assistenten vertreten. So wurde während der U r laubs - und Studienreisen Du Bois - Reymonds das physiologische Laborator i um nicht geschl ossen, sondern mit Zustimmung des Kultusministeriums durch R o senthal we i tergeführt. Schon im August 1859 erhielt dieser die Aufsicht über das Laboratorium, als Du Bois - Reymond sich auf „Erholungs - und Wisse n schaftsreise“ nach Süddeutsc h land und in die Schw eiz begab. 464 Rosenthal arbeitete 1859 noch an seiner Dissertation über das Thema „De energiis nervorum specificis“, die er am 12. Juli als Doktor der Medizin und Chirugie abschloss. 465 Im Mai des folgenden Jahres absolvierte er die medizin i- sche Staatsprüf ung und erhielt die Approbation zum prakt i schen Arzt. 466 Ab dem 1. Juli 1861 leistete Isidor Rosenthal entsprechend dem Wehrpflich t- gesetz vom D e zember 1858 seinen einjährigen Militärdienst. 467 Dadurch, dass die Verbindungen zur Charité sehr eng waren, konnte die Ableistung heimatnah in Berlin erfolgen. Die Erfüllung der militär i schen Pflichten junger Ärzte wurde seit dem Krisenjahr 1859 strenger überwacht. 468 Dies war eine Folge der großen Mil i- tärreform unter Kriegsminister Albrecht Graf von Roon (1803 - 1879), nac h dem die Mobilmachung des preußischen Heeres infolge des italienischen Ein i gung s- krieges 1859 schwerwiegende Mängel in der Heeresverfassung aufgezeigt ha t-

463 Vgl. UAE: Goldenes Buch (o. J.), S. 1. 464 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X. 11. Bd. VII., Bl. 75. 465 Eine Promotionsurkunde o. ä. ist nicht erhalten. Der Hinweis auf das Datum ist dem A b- schlusszeugnis en t nommen. Vgl. AHUB: AZ 386, Bl. 185. 466 Dies ergibt sich aus dem Lebenslauf Rosenthals, eine Urkunde ist nicht erhalten. Vgl. AHUB: Med. Fak. 1327, Bl. 2. 467 Ebenda. Der Einjährig - Freiwillige Dienst entband denjenigen von der dreijährigen Weh r- pflicht, der eine höhere Schule besucht hatte oder die 10. Klasse des Gymnasiums abgeschlo s- sen hatte. Darüber hinaus musste er die Kosten für Bekleidung, Ausrüstung und Unterkunft selbst tragen. Vgl. Neugebauer (1993), S. 214. 468 Das Kultusministerium wurde aufgefordert, die „bisher geübte Milde“ bei der Einberufung von Medizinst u denten und jungen Ärzten zum Militärdienst zu beseitigen. Zit. n. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 1. Tit. XVIII. Nr. 4, Bl. 56.

87 te. 469 Der abgeleistete Militärdienst bildete nun eine Voraussetzung für die weit e- re akademische Laufbahn, d. h. für die Habilitation. 470 Mit dem Schreiben vom 28. November 1862 stellte Rosenthal den Antrag, 471 zur Habilitation zugelassen zu werden, nachdem er bei Professor Karl Gustav Mitscherlich , dem Dekan der medizinischen Fakultät und Bruder des berühmten Chemikers Eilhard Mitscherlich , seine Probeschriften abgegeben hatte. 472 Diese wurden den Fakultätsmitgliedern zur Beurteilung vorgelegt, nachdem sie von Emil Du B ois - Reymond und Karl Bogislaus Reichert probegelesen worden w a- ren. In der Sitzung vom 20. Februar 1863 wurden sie als „prachtvolle Arbe i- ten“ 473 gewürdigt. Einstimmig wurde beschlossen, Rosenthal zur Habilitation z u- zulassen. Insgesamt zwölf Arbeiten hatte er eingereicht. 474 Dies waren die A b- handlungen: „Über die relative Stärke der directen und indirecten Muskelre i zung“ (1857), „Über Modification der Erregbarkeit durch geschlossene Ketten und die Vol taischen Abwechselungen“ (1857), „Physikalische und physiolog i sche B e- merkungen zur Electrotherapie“ (1858), „Die Fortschritte der Elektr o physiologie in den Jahren 1854 – 1858“ (1858), „Über das Gesetz der Zucku n gen“ (gemei n- sam mit Albert von Bezold 1859), „Über den Einfluss höherer Temperaturgrade auf den motorischen Nerven“ (1859), seine Doktorarbeit mit dem Titel „De energiis nervorum specificis“ (1859), die U n tersuchungen „Über das sogenannte Valli´sche Gesetz“ (1859), „Über de n elek t rischen Geschmack“ (1860), „Über den Einfluss des Vagus auf die Athembewegungen“ (1862), „Die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus“ (1862) und sein erstes Lehrbuch „Electricitätslehre für Mediziner“ (1862). Die Habilitation s schrift „Die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus“ (1862) und „Die Elektricitätslehre für Mediciner“ (1862) waren seine ersten als Bücher e r- schienenen Veröffentlichungen.

469 Grund für die Mobilmachung war der Kriegseintritt Österreichs und Frankreichs. Der Chef des Generalstabes Helmuth Graf v. Moltke drängte zum militärischen Vorgehen gegen Fran k- reich. Vgl. Haupt (1998), S. 174. Der vorzeitige Friede n schluss verhinderte jedoch Preußens Einmischung in den italienischen Einigungskrieg. Zur Heeresreform siehe Oster tag (1993), S. 151. 470 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 1. Tit. XVIII. Nr. 4, Bl. 46. 471 Vgl. AHUB: Med. Fak. 37, Bl. 211. 472 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1327, o. S. 473 Zit. n AHUB: Med. Fak. 37, Bl. 217. 474 Eine Auflistung der Arbeiten gibt Rosenthal selbst in seinem Lebenslauf. Vgl. AHUB: Med. Fak. 1327, Bl. 1 - 3.

88 Am 4. März 1863 hielt Rosenthal seine Probevorlesung zum Thema „Über die phy siologischen Wirkungen des Nicotins“ 475 und wurde damit in die med i zinische Fakultät aufgenommen, am 12. März erhielt er die Habilitationsurku n de. 476 Mit der Ernennung zum Privatdozenten war die zweite Stufe seiner Karr i ere erklo m- men. Mit allerhöchstem Erlass, d. h. durch Ministerialverfügung, wurde Rose n- thal am 13. Juli 1867 von Kultusminister Heinrich von Mühler zum außerordentl i- chen Professor ernannt, 477 nachdem Friedrich Theodor Fr e richs , der De kan der medizinischen Fakultät, beim Kultusministerium eine en t sprechende Eingabe g e- macht ha t te. 478 Am 12. Oktober 1867 leistete Rosenthal den Professoreneid. Dabei wurde a k- tenkundig festgehalten, dass Rosenthal „die Aufhebung der Schwurfinger unte r- lassen un d die Schlussworte des Eides: ´et sacro sanctum ejus Euangelium´ nicht gesprochen“ 479 habe. Er erklärte allerdings, dass er sich dennoch durch die Art, wie er den Eid geleistet habe, „vollkommen gebunden erachte“. 480 In di e sem Verhalten findet sich zum ersten Mal ein Hinweis auf Rosenthals jüdischen Gla u- ben. Denn für einen Juden war es unmöglich, auf das Neue Testament zu schw ö- ren. Mit der Ernennung zum außerordentlichen Professor war Rosenthal dem Ziel seiner Bemühungen, sich aus den bescheidenen Verhältnissen empo r zuarbeiten, ein gutes Stück näher gekommen. 481 Er hatte mit dem Assistente n gehalt von 300 Talern eine solide Grundlage, auf die er weiter aufbauen konnte. Die Zeit zwischen Habilitation und Professur scheint nicht mehr so fruchtbar an neuen Erkenntniss en gewesen zu sein. Als Mitglied 482 in verschiedenen Ve r e i- nen und auch politischen Kreisen finden sich in den Veröffentlichungen ve r schi e- dener medizinischer Periodika eher Verbesserungen schon durchgeführter Vers u- che oder kleinere Beiträge im „Archiv für Ana tomie und Physiologie“. 483 Die

475 Zit. n. AHUB: Med. Fak. 1327, o. S. Protokoll über die Fakultätssitzung vom 4. März 1863. Die Veröffentlichung der Probevorlesung erfolgte im „Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften“. Vgl. Rosent hal (1863), S. 737 - 739. 476 Das Original befindet sich im AHUB: Med. Fak. 1327, Bl. 9. 477 Vgl. AHUB: R 216, Bl. 1. 478 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. IV. 46. Bd. IV, Bl. 60. 479 Zit. n. AHUB: R 216, Bl. 2. 480 Ebenda. 481 Dieses Ziel wird deutlich in seinem zweiten Bewerbungsschreiben für das Blumenbachst i- pendium. Hier schreibt er: „Von Hause aus ohne alle Mittel, habe ich mich mit Mühe bis zu meiner jetzigen Stellung als Privatdozent an hiesiger Universität durchgearbeitet.“ Zit. n. A HUB: Med. Fak. 1605, Bl. 202. 482 Näheres zu Rosenthals Mitgliedschaft in verschiedenen Vereinen und Gesellschaften ist in Kap. 2.6., S. 116 f. und 2.7.1., S. 128 f. ausgeführt. 483 Hier sei auf die minutiöse Personalbibliographi e von Schwartz (1969), S. 27 - 40 verwiesen.

89 Teilnahme an den Kriegen 1864 und 1866 scheint Rosenthals Arbeit beei n träc h- tigt zu haben. 484 Im Sommersemester 1867, also nach der Ernennung zum außerordentlichen Professor, kam Rosenthal in den Vorzug, eine Studienreise nach Pa ris und Wien durchführen zu können. Am 20. November 1866 hatte er sich bei der medizin i- schen Fakultät für das Blumenbachstipendium beworben. 485 Di e se Stiftung hatte den Zweck, jungen Doktoren, die sich für die akademische Laufbahn eigneten, ein Reisestipendi um zu gewähren. 486 Rosenthal begründete die Notwendi g keit der Reise nach Paris an das dortige physiologische Institut mit der Unumgän g lichkeit für einen jungen Physiologen, durch eigene Anschauung im Pariser I n stitut spez i- ell die „vivisektorische Technik des genialen Claude Bernard “ 487 durch eigene Anschauung vervollkommnen zu müssen. Er verwies darauf, dass zur Vervol l- ständigung der Ausbildung ein Kennenle r nen ausländischer Institute notwendig sei und führte an, dass er sich besonders „ der vivisektorischen Seite der Physi o- logie zugewandt“ 488 habe, die in Berlin bisher weniger vertreten w ä re. Auch wü r- de das Stipendium für ihn ein Ansporn sein, sich weiterhin mit ganzem Eifer der Wissenschaft zu widmen. 489 In der Sitzung der med i zinischen Faku ltät am 18. Januar 1867, die im Hause Emil Du Bois - Reymonds in der Vi k toriastraße 17 stattfand, wurde einstimmig beschlossen, Rosenthal das Blume n bach - Stipendium zu verleihen. 490 Schon 1859 hatte er sich hierfür beworben, um „physiologische Institute in Wien und Paris zu seiner physiologischen Au s bildung zu bes u- chen.“ 491 Rosenthal hatte in seinem Bewerbungsschreiben au s geführt, dass er sich ganz der Wissenschaft der Physiologie widmen wolle, ihm aber seine eigene Mi t- tellosigkeit nicht erlaube, „a n dere Orte zum Zwecke einer allseitigen, tüchtigen Ausbildung in der Physiologie zum Behuf der akadem i schen Laufbahn zu bes u- chen.“ 492 Doch war damals die Wahl auf seinen Koll e gen Dr. (?) Baur gefallen. 493 Nun hatte es sieben Jahre gedauert, bis das Stipe n dium wieder zuteilun gsreif war. 494 Der Umstand, dass Rosenthal der einzige Bewerber war, lässt die Zute i-

484 Rosenthals Teilnahme an den drei deutschen Einigungskriegen ist ausführlicher in Kap. 2.8., S. 136 ff. dargestellt. 485 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1605, Bl. 202. 486 Vgl. Statuten des Blumenbachs tipendiums: AHUB: Med. Fak. 1605, Bl. 1. 487 Zit. n. AHUB: Med. Fak. 1605, Bl. 202. 488 Ebenda. 489 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1605, Bl. 202. 490 Vgl. AHUB: Med. Fak. 37, Bl. 303. 491 Zit. n. AHUB: Med. Fak. 1605, Bl. 135. 492 Zit. n. AHUB: Med. Fak. 1605, Bl.136. 493 Vgl. AH UB: Med. Fak. 1605, Bl. 191. 494 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1605, Bl. 199.

90 lung als zwangsläufig erscheinen. 495 Sie wurde in der Vossischen Zeitung, Cölnischen Zeitung sowie im Hamburger Correspondent bekannt gegeben. 496 Mit dem Blumenbachstipendium erh ielt R o senthal einen Betrag von 660 Talern, 497 die er nun für eine Stud i enreise nach Paris und London verwendete. Dies war eine beachtliche Summe, wenn in B e tracht gezogen wird, dass sein Jahresgehalt als Assistent 300 Taler b e trug. Trotz dieser Förderung be fand sich die berufliche Karriere Rosenthals z u ne h- mend in einer Sackgasse. Mit Erlangung des Extraordinariats waren die Möglic h- keiten ausgeschöpft. Ebenso waren die Zeiten, in denen Emil Du Bois - Reymond in Rosenthal einen form baren Gehilfen hatte, eindeutig vorbei. Durch dessen Au f- stieg zum Professor fühlte sich der Institutsleiter in seinen Komp e tenzen eing e- engt, was ihm den Umgang mit Rosenthal sich t lich verleidete. Ein Weiterkommen Rosenthals musste an Du Bois - Reymond scheit ern. Festgekrallt an seine Position, verbaute der seiner Schülergeneration weitere Möglichkeiten, sich beruflich in Berlin zu entw i ckeln. 498 Das Verhältnis zu Du Bois - Reymond trat in einen neuen Abschnitt, als der Meister seines Jüngers überdrüssig wurde. Au s dem Brief vom 17. Juli 1868 an seinen Freund, den Physiologen Karl Lu d wig , spricht die Mis s- gunst, mit welcher er den wachsenden Einfluss seines Schülers betrac h tete. So schrieb Du Bois - Reymond:

„Wenn es wahr ist, dass Fick Zürich ver lässt und wenn Du dort noch einen Einfluß zu ä u- ßern vermagst, empfiehl daselbst Rosenthal. Ein Assistent, der so lange in Kolleg und Labor a- torium waltet, wird zuletzt das unbequemste Möbel, gerade weil er das b e quemste ist. Jede Verbesserung, die ich anbri nge, impliziert in seinen Augen den Vorwurf, dass ich es bis dahin schlecht gemacht habe. Die Versuche, die er schlechter kann als ich, kann ich ihm nicht aus der Hand nehmen, die er besser kann, natürlich nicht. Es kann nicht fehlen, dass er mich in ma n- ch en Stücken übersieht, er ist ja ein gemachter Mann, und wie die Dinge sich gestaltet haben, glaube ich, dass ich noch mehr Achtung für ihn habe als er für mich. Im Laboratorium hat er bei seiner Richtung, bei der Natur der Laboranten, denen meine Aufgaben viel zu hoch und schwer sind, wenn es nicht wirkliche Talente sind, e i nen Einfluss erlangt, demgegenüber ich ganz zurücktrete. Dies sind, wie Du siehst, Dinge, die es mich aufs höchste wünschen la s sen, dass wir uns trennen, während es durchaus keine Dinge sind, die im geringsten gegen ihn spr e- chen. Es sind Übelstände, erwachsen aus der Unzukömmlichkeit, dass er so lange in einer Ste l-

495 Vgl. AHUB: Med. Fak. 37, Bl. 303. 496 Emil Du Bois - Reymond hatte diesen Hinweis als Dekan der medizinischen Fakultät vera n- lasst. Er findet sich ohne nähere Ang aben der jeweiligen Ze i tungen als Aktennotiz bei AHUB: Med. Fak. 1605, Bl. 206. 497 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1605, Bl. 203. 498 Es mag für sich sprechen, dass Du Bois - Reymond sein ganzes Leben lang in Berlin gew e sen ist und nie an einem anderen Institut einen Post en bekleidete. Seine Neigung zu einer g e wissen Starrheit hat Ruff (1981), S. 94 beschrieben.

91 lung sitzen geblieben ist, die nur einem jüngeren, noch biegs a men [!] und so weit als nötig sich unterwerfenden [!] Mann gebüh rt. Ich bin fest überzeugt, dass er ein sehr guter, vielseitig g e- bildeter Lehrer ist, der einer Em p fehlung alle Ehre machen wird. (...).“ 499

Karl Ludwig hatte zwar 1865 einen Ruf nach Leipzig angenommen, doch kö n nen gute Bezi e hungen nach Zürich vorausgesetzt werden, weil er hier von 1849 bis 1855 als Physiologe an der Medizinisch - Chirurgischen Militärakademie g e arbe i- tet und enge Verbindungen zu Ernst von Brücke hatte, der ja ebenfalls zu den engsten Freu n den Emil Du Bois - Reymonds gehörte. 500 Der gemeinsame Versuch der zwei Freunde, Rosenthal die Stelle eines Ordinarius für Physiol o gie in Zürich zu verschaffen, scheiterte allerdings. Adolf Fick 501 ging nach Würzburg. Als sein Nachfolger wurde Ludima r Hermann 502 1868 nach Zürich berufen. Dennoch ve r- folgte Du Bois - Reymond mit Nachdruck die Ablösung Rosenthals als Assistent am Berliner physiologischen Inst i tut. Für ihn war der Umstand, dass Rosenthal in der Stellung eines Extraord inarius als sein Vorl e sungsgehilfe fungierte, einfach untragbar. 503 Hier mischten sich zwei Dinge: Einmal der Neid auf Rosenthals größere Beliebtheit bei den Studenten und zum anderen, dass dieser als Professor der Stellung eines Gehilfen fachlich und a l ters mäßig längst entwachsen war. Emil Du Bois - Reymond wünschte für seine Vorlesungen jemanden, dem er bedenke n-

499 Zit. n. Du Bois - Reymond, Estelle (1927), S. 160. 500 Von den Müller - Schülern waren die Beziehungen zwischen Emil Du Bois - Reymond , Ern st von Brücke und Hermann von Helmholtz besonders tief. Vgl. Rothschuh (1953), S. 124 u. 139. 501 Adolf Fick (1829 - 1901) studierte in Marburg Medizin, wo er Karl Ludwig kennen lernte. Di e Bekanntschaft mit Du Bois - Reymond war das Ergebnis eines Studienaufenthaltes in Be r lin. 1852 ging er zu Ludwig nach Zürich und wurde nach dessen Weggang unter Jakob Moleschott außerordentlicher Professor. Als Moleschott 1862 Zür ich verließ, wurde er Ord i narius für Ph y- siologie. Fick entwickelte das Diffusionsgesetz und versuchte den 2. Hauptsatz der Thermod y- namik auf die Muskelkontraktion anzuwenden. Der Übersiedelung nach Wür z burg 1868 folgte eine rege Beschäftigung mit sozialen und politischen Fragestellungen. Vgl. Roth s chuh (1953), S. 152. 502 Ludimar Hermann (1838 - 1914) entstammte einer jüdischen Familie, studierte im gle i chen Semester wie Rosenthal und promovierte ebenso 1859 bei Emil Du Bois - Reymond . Er habil i- tierte sich 1865 und wurde 1868 ordentlicher Professor für Physiologie in Zürich. Im gleichen Jahr war er in Gegensatz zu Emil Du Bois - Reymond geraten, indem er mit seiner Alteration s- theori e (die erste brauchbare Erklärung der Erregungsleitung; siehe hierzu Schneck/Schultze , 1996, S. 73 - 75) die Präexistenztheorie seines Lehrers widerlegte. Die Folge war eine leben s- lange Feindschaft zwischen den beiden Männern. Du Bois - Reymond untersagte ihm das A r be i- ten im physiologischen Institut, und er musste sich privat ein Laboratorium einrichten. 1884 ging er nach Königsberg und widmete sich überwiegend der Sinnesphysiologie. Rose n thal war Mitautor in seinem „Handbuch der Physiologie“. Vgl. Rothschuh (1 953), S. 135 - 137. 503 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X.11. Bd. VIII., Bl. 35.

92 los Weisungen erteilen konnte, ohne auf dessen Stellung und Person Rücksicht nehmen zu müssen. 504 Etwas hilflos brachte Du Bois - Reymond mit einem Schre i- ben vom 17. Oktober 1868 beim Kultusmini s terium seine Verwunderung zum Ausdruck, dass Rosenthal noch keinen Ruf an eine andere Un i versität erhalten habe und er noch immer in der Stellung sei, die er seit neun Jahren inne habe. Dabei merkte er an, dass die U r sache hierfür keinesfalls in einem Mangel an wi s- senschaftlicher Befähigung zu suchen sei. Er rühmte Rosenthals vortreffliche Verdienste und wies darauf hin, dass „Rosenthal an dem Laboratorium noch i m- mer einen Platz einnimmt , dem er seinem A l ter, seiner wissenschaftlichen und sonstigen Lebensstellung nach längst entwachsen“ 505 sei und bat aber daher dri n- gend, Rosenthal von seinem Amt als Assistent am Laboratorium zu entbinden. Die Schwierigkeit lag nur d a rin, dass außerordentli chen Professoren kein Gehalt bezahlt wurde. Du Bois - Reymond erreichte aber bei Kultusminister Heinrich von Mühler die Fortza h lung des Assistentengehaltes für Rosenthal trotz dessen En t- bindung von der A s sistentenstelle. 506 Dieser legte die Ablösung Rose n thals und die Neubesetzung der Assistentenstelle ganz in die Verantwortung des Institut s- leiters. 507 Inwi e weit Rosenthal von Du Bois - Reymond in die Vorgänge einbez o- gen wurde, lässt sich nur schwer reko n struieren. Auffällig ist allerdin gs, dass die Akten keine entsprechenden Gesuche oder Schreiben Rosenthals enthalten, wie es für eine solche personelle Maßnahme als selbstverständlich zu erwarten wäre. So e r wirkte Emil Du Bois - Reymond mit Wirkung vom 1. Juli 1869 den Rücktritt R o senthals und besetzte die Assiste n tenstelle mit dem cand. med. Franz Boll . 508 Nun dauerte es noch drei Jahre, bis Rosenthal die Möglichkeit hatte, sich einen neuen Wi r kungskreis zu erschließen. Auffällig ist, dass vi ele von Rosenthals Studienkollegen und Jahrgangskam e r a- den schon erheblich früher Berlin verließen, wie z. B. Eduard Pflüger 509 (1859

504 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X.11. Bd. VIII., Bl. 36. 505 Zit. n. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X.11. Bd. VIII., Bl. 36. 506 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X.11. Bd. VIII., Bl. 44. 507 Ebenda. 508 Vgl. AHUB: R 216, Bl. 4. 509 Eduard Friedrich Wilhelm Pflüger (1829 - 1910) studierte ab 1850 in Marburg und Berlin Medizin, wo er bei Du Bois - Reymond über die Innervation des Darms promovierte und sich 1858 habili tierte. Unermüdlich exp e rimentierte er in seiner Mietwohnung und veröffentlichte selbstständig die Ergebnisse seiner Arbeit unter dem Titel „Untersuchungen über die Physi o l o- gie des Elektrotonus“ (Berlin, 1850). 1859 wurde er nach gerade abgeschlossener Hab ilitat i on auf den neueingerichteten Lehrstuhl für Physi o logie nach Bonn gerufen. Ab 1868 gab er das „Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere“ heraus. Vgl. Rothschuh (1953), S.133.

93 nach Bonn), Albert von Bezold (1859 nach Jena), Rudolf Heidenhain (1859 nach Breslau) oder Ludimar Hermann (1868 nach Z ü rich). 510 Am 18. März 1872 richtete Rosenthal an den Rektor der Universität, Profe s sor Heinrich Dove , die Bitte, aus dem Staatsdienst en t lassen zu werden, da er sich entschlossen habe, einen Ruf an die Universität Erlangen anzunehmen. 511 So ve r- ließ der erste und auch dienstälteste Assistent des physiologischen Inst i tuts die Hauptstadt des neugegründeten deutschen Re i ches, um mit Wirkung vom 1. April 1872 Ordinarius der Physiologie an der Friedrich - Alexander - Universität in Erla n- gen zu werden. 512

2.4. Rosenthals Wohnorte in Berlin

2.4.1. Die Polnische Apotheke in der Friedrichstraße: Berlin Mitte

Die Friedrichstraße gehört neben Unter den Linden zu den bekanntesten Straßen Berlins. 513 Sie quert Unter den Linden in Nord - Süd - Richtung. Dieser Schnit t punkt galt als der Nabel Berlins. Hier befanden sich um die Jahrhundertwende die Cafés Kranzler, Bauer und Victoria, die um die Gunst eines internationalen Publikums warben. Das Getümmel an dieser Kreuzung ist heute kaum vorstel l bar. Mit dem stürmischen wirtschaftlichen Aufschwung Berlins ab den fünfz i ger Jahren nahm auch der Verkehr stetig zu: Pferdebahnen, Droschken, Fuh r werke und Handw a- gen, Reiter und Pas santen machten die Kreuzung zu einem unfallträchtigen Ve r- kehrsknote n punkt der Hauptstadt. 514 Die Friedrichstraße und Unter den Linden waren Schauplätze bedeutender geschichtlicher Ereigni s se: Sie erlebten Barrik a- den der Revolutionäre und Triumpfzüge preußisc her Könige und deutscher Ka i- ser. Die Ursprünge von Rosenthals erster Adresse in Berlin liegen im 17. Jah r hu n- dert. Der Große Kurfürst, Friedrich Wilhelm , ließ vor dem Stadttor von Frie d-

510 Vgl. Abeßer/Schubert (1977), S. 11 u. 12. 511 Vgl. AHU B: Med. Fak. 37, Bl. 4. 512 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1380, S. 48. 513 Ein detailliertes Bild der Friedrichstraße von der Vergangenheit bis zur Gegenwart zeic h net Mugay (o. J.). Bereichert wird die Darstellung durch „Häusertelegramme“, kurze B e schre i- bungen derjenig en Häuser, die bei allen Veränderungen der Friedrichstraße heute noch an i h- rem historischen Ort stehen. 514 Vgl. Mugay (o. J.), S. 125.

94 richswerder ein neue Sied lung anlegen und pflanzte entlang des Sandw e ges, der den Tiergarten mit Friedrichswerder verband, eine sechsreihige Bau m galerie aus Linden - und Nussbäumen, die spätere Straße Unter den Linden. 515 Von der Ku r- fürstin erhielt die Siedlung den Namen „Dorotheenst adt“. Hier si e delten sich viele französische Flüchtlinge an, nachdem der Große Kurfürst mit dem Edikt von Potsdam 1685 rund 15.000 in Frankreich verfolgter Hugenotten in Brandenburg und Berlin Zuflucht gewährte. Dabei handelte es sich überwi e gend um wohlh a- bende Familien mit weitreichenden Handelsbeziehungen, von denen sich Frie d- rich Wilhelm wirtschaftlichen Nutzen versprach. In der Frie d richstraße wohnten hauptsächlich Goldschmiede, Ärzte, Perückenmacher, Strump fwirker und Schlo s- ser. 516 Die Ansiedlung der Hugeno t ten war für die Entwicklung Berlins ebenso bedeutend wie für die Entwicklung Erlangens. 517 Dies erklärt sich aus den ve r- wandtschaftlichen Beziehungen der Landesherren. 1710 wurde der neue Stadtteil mit den se lbstständigen Städten Friedrichswe r der, Berlin und Cölln zur Residen z- stadt Berlin vereinigt. 518 Unter Friedrich III. erhielt die damals noch Querstraße genannte Nord - Süd - Achse den Namen Friedrichstraße. 519 Die Gründung der Un i- v ersität im ehemaligen Palais des Prinzen Heinrich wertete die Dorotheenstadt beträchtlich auf. Die Friedrichstr a ße in unmittelbarer Nähe zur Universität entw i- ckelte sich zum Mittelpunkt der geistigen Elite Berlins und wurde zur A d resse berühmter Denker, Di chter und Künstler: Ludwig Börne , Adalbert von Chamisso , Johann Gottlieb Fichte , E. T. A. Hoffmann , Christoph Wilhelm Hufeland , Al e- xander und Wilhelm von Hu m boldt , Heinrich von Kleist , Karl Friedrich Schi n kel , Joseph Viktor von Scheffel , Ludwig Tieck , Moritz Got t lieb Saphir und Friedrich Engels lebten hier im 19. Jahrhundert. 520 An der Ecke Friedrichstraße / Französ i- sche Straße befand sich in den zwanziger Jahr en der Salon von Rahel Varnhagen - Ense 521 und in der Frie d richstraße 242 der Salon von Franz Kugler. 522 Die Frie d- richstraße war mittle r weile eine Wohngegend für das gehobene Bildungs - und Besitzbürgertum g e worden. Nördlich des Oran ienburger Tores war mit der M a- schinenfabrik von August Borsig ein bedeutender industrieller Großbetrieb en t-

515 Ebenda, S. 12. 516 Vgl. Mugay (o. J.), S. 15. 517 Vgl. hierzu ausführlicher Kap. 3.1., S. 151 ff. 518 Vgl. Klünner (1999), S. 2. 519 Vgl. Mugay (o. J.), S. 15. 520 Eine detailliertere Beschreibung berühmter Persönlichkeiten, die in der Friedrichstraße wohnten, siehe M u gay (o. J.), S. 236 - 251. 521 Vgl. Mugay (o.J.), S. 251. 522 Franz Kugler (Verfasser des Liedes „An der Saale hellem Strande“) war ein Freund The o- dor Fontanes. Vgl. Erler (2000), S. 83.

95 standen. 523 Mitte des Jahrhunderts entwickelte sich die Dorotheenstadt südlich Unter den Linden zunehmend zum Bankenviertel. Hie r boten größere Grundst ü- cke und erweit e rungsfähige Häuser bessere Entwicklungsmöglichkeiten als in der Altstadt. Langsam vollzog sich der Wandel der Neustadt von der ehemaligen Flüch t lingssiedlung zum gut situierten Wohn - und Geschäftsvie r tel. 524

Der Waise njunge Isidor Rosenthal war 1855 bei seinem Bruder Ludwig in der Friedric h straße 153 a eingezogen. 525 Dieser war praktischer Arzt und bewohnte das dreistöckige Eckhaus, in welchem sich auch die Polnische Apotheke b e- fand. 526 Die Vermutung liegt nahe, dass Rosen thals Bruder Ludwig Rosenthal , der auch der fortschrittlichen jüdischen Reformgemeinde 527 angehörte, der Au f- stieg vom ärmlichen Ostjuden aus der Provinz Posen in das gehobene Bürge r tum über seine Tätigkeit als praktischer Arzt gelun gen war. Das Haus behe r bergte seit 1682 eine Apotheke, die für den neuangelegten Stadtteil Dorothee n stadt zustä n- dig war und daher den Namen Dorotheenstädtische Apotheke ha t te. 528 Sie hieß später Polnische Apotheke, was wahrscheinlich mit einem Besuch des säc hs i- schen Königs August des Starken, der gleichzeitig König von Polen war, in Berlin zusammenhing. Das Haus, in welchem Rosenthal bei seinem Bruder Ludwig wohnte, war 1838 von dem Medizinalrat Julius Ed u ard Schacht umgebaut wo rden und bestand in dieser Form bis 1898. 529 Ihm gehörte die Ap o theke seit 1833. Hier a r beitete und wohnte Theodor Fontane vom 24. Juni 1845 bis zum 30. Juni 1846, da es zur Gepflogenheit gehörte, im Haus des Prinzipals zu wohnen. 530 D azu b e- merkte er in seinen Erinneru n gen:

„Erst zu Johanni trat ich in die ´Polnische Apotheke´, Friedrichstrasse [!], ganz in der Nähe der Linden, ein, wobei mich mein guter Stern, wie gleich vorweg bemerkt sein mag, auch wi e-

523 Vgl. Mugay (o. J.), S. 29. 524 Vgl. Klünner (1999), S. 25. 525 Im Zentrum für Berlin - Studien befinden sich Berliner Adressbücher. Für das Jahr 1855 fi n- det sich bei Lud wig Rosenthal der Eintrag „Dr. med., praktischer Arzt, Wundarzt und G e- burtshelfer, Friedrichstrasse [!] 153a“. Ab 1860 findet sich z u sätzlich der Eintrag für Isidor Rosenthal: „Dr. med., Assistent am phys. Institut der Universität , Frie d richstrasse [!] 153a“. 526 Vgl. Mugay (o. J.), S. 126. Siehe Bildteil Abb. 6: Das heutige Gebäude der „T o pas - Arcaden“ trägt über dem Arkadenboden den polnischen Adler als Hinweis auf die polnische Ap o theke. 527 Vgl. ACJ: PB 268 / 933:72 (431), S. 89. 528 Leider existiert für dieses Grundstück keine Bauakte oder ähnliches. 529 Eine informative Zusammenstellung von „Fontanes Berliner Wohnstätten“ lieferte Hans Werner Klünner. Sie findet sich als Anhang bei Erler (2000), S. 189 - 221, 195. 530 Ebenda.

96 der glücklich führte. Was Wohnu ng und dergleichen anging, so stand alles dies hinter Leipzig und Dresden, wiewohl wir auch da in diesem Punkte nicht verwöhnt worden waren, um ein gut Teil zurück; es wurde das aber durch die sogenannte ´Prinzipalität´ wieder ausg e glichen. Med i- zinalrat Sc hacht und Frau waren, er durch Charakter, sie durch Liebenswürdi g keit und franz ö- sischen Esprit – sie entstammte einer Magdeburgischen Refugiéfamilie – au s gezeichnet.“ 531

Aus dieser Schilderung wird man sich wohl die Wohnverhältnisse Rosenthals ebenso einfac h vorzustellen haben, zumal es sich ja um dasselbe Gebäude ha n- delt. Bis zu seiner Heirat blieb Rosenthal hier wohnen.

2.4.2. Blumes Hof: Tiergarten

Nach der Eheschließung 532 Rosenthals mit Anna Amalie Höber 1869 zog das Ehepaar in eine gemeinsame Wohnung im Stadtteil Tiergarten. Rosenthal ve r ließ die laute Friedrichstraße und wohl auch die Enge der Wohnung in der Po l nischen Apotheke, verzichtete damit aber auch gleichzeitig auf die unmittelb a re Nähe zum physiologischen Laboratorium . Der Umzug von Berlin Mitte in den Stadtteil Tiergarten dokumentiert Rosenthals gesellschaftlichen Aufstieg. Als außerorden t- licher Professor erhielt er ja ledi g lich das Assistentengehalt dank Emil Du Bois - Reymonds Fürsprache beim Kultusministerium. 533 Seine wir t schaftliche Situation wurde entscheidend durch seine Frau Anna Höber verbe s sert. Denn sie war die Tochter des jüdischen Karlsruher Kaufmanns Eduard Höber , der Amalie Oppe n- heim geheiratet hatte, die aus einer alteingesessenen jüdischen Frankfurter Bankiersfamilie stammte. 534 Der Tiergarten war ursprünglich kurfürstliches Jagdrevier. 535 Friedrich Wi l- helm I. , der Soldatenkönig, ließ dort sp ä ter Reit - und Exerzierplät ze anlegen. Ab 1740 wurde das Gebiet durch den Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff zu einem Landschaftspark umgestaltet. 536 Entscheidende Veränd e- rungen erfuhr dieser in den Jahren 1820 bis 1840 unter Peter J o seph Lenné . Um

531 Theodor Sto rm: Von zwanzig bis dreißig. Zit. n. Lincke (1962.1), S. 174. 532 Vgl. Heiratsregister der Juden 1867 - 1871: LAB: A Pr. Br. Rep. 005A Bd. 6841. Vol. IV., S. 122. 533 Vgl. Kap. 2.3.4., S. 92 . 534 Vgl. Heiratsregister der Juden 1867 - 1871: LAB: A Pr. Br. Rep. 005A Bd. 6841. Vol. IV., S. 122. 535 Die Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke wurde von Wolfgang Ribbe in einer meh r- bändigen Reihe herausgegeben. Zur Entwicklung des Bezirkes Tiergarten siehe beso n ders Baudisch/Cullen (1991). 536 Vg l. Ribbe (1988), S. 78.

97 den Exerzierplatz herum entstanden Vergnügungsplätze und verschiedene Prachtbauten, wie z. B. der K ö nigssaal des Architekten Kroll. 537 Die Anlage des Zoolog i schen Gartens 1844 mit seinen Restaurationsbetrieben machte diesen zum beliebten Treffpunkt und Ausflugsziel der gehobenen Gesellschaft. Die Wohng e- gend südlich des Tierga r tens entlang des Landwehrkanals entwickelte sich ab der Mitte des 19. Jahrhu n derts zum Diplomatenviertel. 538 Berlin breitete sich vom Stadtt eil Mitte langsam Richtung Westen aus. Für bildende Künstler, Schriftste l- ler und Wissenschaftler wurde der Tiergarten gleichermaßen attra k tiv, wie das Beispiel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm oder Theodor Fo n tane s erkennen lässt. 539 Am Landwehrkanal wurden verschiedene Regierung s gebäude gebaut, 1867 z. B. das Generalstabsgebäude als zukünftiger Amtssitz Moltkes. 540 Da sich der Stad t teil Friedrichstadt immer mehr zum Geschäfts - und Vergnügungszentrum Be rlins entwickelte, wurde das Tiergartenviertel zur b e liebten Wohngegend wohlhabender Bürger. „So entstand im Gebiet südlich des Tiergartens ein weit e- res vornehmes Villenviertel, mit dem ein Übergang von den Villen im Landhau s- stil zu Wohnhäusern im Villenst il gescha f fen wurde.“ 541 Ein typisches Beispiel für diesen neuen Wohnhausstil war das Eckhaus, das der Kaufmann Rothensee 1863 auf dem ehemals Jungbluth´schen Grun d stück an der Ecke Schöneberger Ufer 77 errichten ließ. 542 Dieses prachtvolle Gebäude ve r- fügte ü ber vier geräumige Etagen und grenzte in Richtung der Von - der - Heydt - Brücke an das in der Bendlerstraße (heute Stauffenbergstraße) gelegene Grun d- stück Bendix an. Das Grundstück ging 1864 in das Eigentum des Bank i ers J o- hann Carl Blume (1819 - 1875) über, der auf dem Jungbluth´schen Grun d stück e i- nen Privatweg angelegt und durch eine Verfügung des Polizeipräsid i ums vom 26. Juni 1864 die Erlaubnis erhalten hatte, den Weg Blumes Hof zu nennen. 543 Später war der Bankier Louis Kuczynsky Moßne r neuer Eigentümer des Grun d stücks. 544 Rosenthals bezogen hier von 1869 bis zur Berufung nach Erlangen im Frühjahr 1872 eine der vier Etagen. Offensichtlich war die Heirat der Auslöser für den Umzug. Die vergangenen vierzehn J ahre hatte R o senthal als Junggeselle in den bescheidenen Verhältnissen in der Friedrichstraße 153 a gewohnt. Die Eheschli e- ßung bedeutete parallel zu seiner akademischen Lau f bahn den entscheidenden

537 Vgl. Baudisch/Cullen (1991), S. 64. 538 Vgl. Baudisch/Cullen (1991), S. 67. 539 Vgl. Baudisch/Cullen (1991), S. 70. 540 Vgl. Baudisch/Cullen (1991), S. 68. 541 Ebenda, S. 69. 542 Für dieses Grundstück existiert eine eigene Akte. S. LAB: B R ep. 202 Nr. 2945, S. 1. 543 Vgl. Vogt (1885), S. 12. 544 Vgl. LAB: B Rep. 202 Nr. 2945, S. 1.

98 Schritt für den sozialen Aufstieg. Das junge Paar ve r bracht e noch drei Jahre in bester Wohnlage in der aufstrebenden Reichshaup t stadt. Den Reiz dieser Gegend beschrieb Theodor Fontane unter E r wähnung des Blumeshof in seiner Erzählung „Auf der Suche. Spaziergang am Berliner K a nal“. 545 Die Fon tanes lebten von 1864 bis 1872 ungefähr einen Kilometer weiter in der Hirschelstraße 14, die he u- te Stresemannstraße heißt. 546 Den ehemaligen Blumeshof gibt es heute nicht mehr. Nur ein Hinterhof zw i- schen einem Jugendgästehaus und dem Elisabethkrankenhaus lä sst ihn hier ve r- muten. Die Häuserfront zum Schöneberger Ufer ist erhalten. 547

2.5. Die Berl i ner Forschungen

Um zu verstehen, was Rosenthal in den Dachstuben des Universitätshauptg e bä u- des eigentlich erforschte, ist es notwendig, zunächst den Blick auf das al l gemeine physiologische Wissen der damaligen Zeit zu richten. Die gesamte Elektrizität s- lehre steckte noch in den Kinderschuhen. Als Rosenthal seine Fo r schungen au f- nahm, war es gerade zehn Jahre her, dass Gustav Robert Kirc h hoff 548 allgemeine Regeln über die Berechnung von Strom - und Spannungsve r hältnissen in elektr i- schen Leitersystemen aufgestellt hatte. In den dreißiger Ja h ren hatte Michael F a- raday 549 das Gesetz der elektrischen Induktion abgefasst und Moritz Hermann von Jacobi den Elektromotor erfu n den. 550

545 Zit. n. Erler (2000), S. 61. 546 Ebenda, S. 210. 547 Siehe Bildteil Abb. 7. 548 Gustav Robert Kirchhoff (1824 - 1887) hatte in Königsberg M athematik studiert und pr o m o- viert. 1846 kam er nach Berlin, da er ein Stipendium e r halten hatte und forschte im Labor des Physikers Gustav Heinrich Magnus, zu dessen Kreis auch Rosenthal gehörte. Nach seiner H a- b i litation nahm er 1850 einen Ruf nach Breslau an, wo er mit Robert Bunsen zusammena r beit e- te. Nachdem er diesem 1854 nach Heidelberg gefolgt war, wurde er 1861 Mitglied der Preuß i- schen Akademie der Wissenschaften. 1874 übernahm er den Lehrstuhl für mathemat i sche Ph y- sik in Berlin. Schon 1845 hatte er d ie „Kirchhoff´schen Regeln“ aufgestellt. Mit Bu n sen entw i- ckelte er die Spektralanalyse. Er gehört zu den herausragenden deutschen Ph y sikern. Vgl. Zey (1997), S. 245 u. 246. 549 Michael Faraday (1791 - 1867) kam aus ärmlichen Verhältni ssen. 1813 wurde er als Assi s- tent von Sir Humphrey Davis in die Royal Institution aufgenommen und reiste mit diesem durch Europa. 1827 wurde er Professor für Chemie. 1831 wies er die elektromagnetische I n- duktion nach, was zur Erfindung des Dynamos führte. Vgl. Zey (1997), S. 142. 550 Ein Datengerüst der wichtigsten Erfindungen im 19. Jahrhundert findet sich bei Ge r lach (1960), S. 266 - 271.

99

Die Wiege der Elektrophysiologie steht in Bologna, wo Luigi Galvani 551 en t dec k- te, dass im tierischen Muskel elektrische Zuckungen bei Berührung mit u n te r- schiedlichen Metallen ausgelöst werden können. 552 1791 veröffentlichte er seine Schrift „De viribus electicitatis“, in der er seine Versuche an Frosc h schenkeln mit der Elektrisiermaschine beschrieb und seine Theorie von der ti e rischen Elektriz i- tät f ormulierte. 553 Die Beschäftigung mit elektrischen Ersche i nungen sank dann allerdings in einen Dornröschenschlaf, bis der italienische Physiker Carlo Matteucci 554 1840 Ergebnisse von Versuchen zur tierischen Elektrizität veröffen t- lichte , die das Interesse Johannes Müllers erregten. 555 Matteucci hatte in einer Abhandlung über elektrische Erscheinungen bei Tieren die Beobachtung b e- schrieben, dass durch Ein - und Ausschalten des Stromes Muskelzuckungen he r- vorgerufen we r den konnten. 556 1841 beauf tragte Johannes Müller Emil Du Bois Reymond, eigene Untersuchungen über den „Frosc h strom“ 557 durchzuführen und Matteuccis Aussagen zu überprüfen. Mit diesem Arbeitsauftrag begann die L e- bensaufgabe der Elektrophysiologie für Emil Du B ois - Reymond . Außerdem war hiermit der Startschuss für einen wissenschaftl i chen Wettstreit gefallen, der mit

551 Luigi Galvani (1737 - 1798) studierte zunächst Theologie und wec h selte dann zur Medizin. Ab 1762 hi elt er an der Universität Bologna Vorlesungen für Anat o mie, wurde 1775 Professor für Anatomie und erhielt 1782 den Lehrstuhl für Geburtshilfe. Da er sich weigerte, nach der französischen Besetzung Bolognas 1797 den Treueeid auf Napoleon zu leisten, ve r lor er alle Ämter. Vgl. Zey (1997), S. 167. 552 Vgl. „Von der Idee bis zum Nachweis der tierischen Elektrizität“ in Rothschuh (1969), S. 139 - 154. 553 Vgl. Rothschuh (1969), S. 129. 554 Carlo Matteucci (1811 - 1868) zählt zu den bedeutenden El ektr o physikern und Physiologen des 19. Jahrhu n derts. Er studierte in Bologna und Paris und wurde 1832 Professor für Physik in Bologna. 1838 nahm er einen Ruf nach Ravenna an, wo er außerdem Direktor einer Ch e mi e- fabrik wurde. Nach seiner Tätigkeit an der Un iversität Pisa übernahm er 1860 die Leitung des italienischen Telegrafenwesen, später auch des meteorologischen Instituts. Sein berühmtestes Werk erschien unter dem Titel „Traité des phénomènes électro - physiologiques des animaux“ (Paris, 1844). 1862 war er für kurze Zeit italienischer Kultusm i nister. Matteucci war Du Bois - Reymonds großer Konkurrent. Er bewies als erster die Existenz eines Muske l stromes und b e- schrieb die Auslösung von induzierten Zuckungen. In seinem Forschen stand er jedoch hinter Du Bois - R eymond an experimentellem Können, Qualität der Messinstrume n te und wisse n- schaftlicher Beweisführung zurück. Vgl. Rothschuh (1969), S. 149. 555 Vgl. Rothschuh (1969), S. 148. 556 Vgl. Ruff 1981), S. 21. 557 Damit sollte die elektrische Erregbarkeit der Froschsche nkelmuskeln beschrieben werden. Vgl. Ruff (1981), S. 18.

100 Leidenschaft und großer innerer Beteiligung geführt wurde. 558 Das Ergebnis di e- ses Wettrennens um die Erkenntnisse der el ektrischen Erscheinungen im tier i- schen Körper war Emil Du Bois - Reymonds Hauptwerk „Untersuchungen über tierische Elek t rizität“, das er in den Jahren 1848 und 1849 veröffentlichte. 559 Als Messgerät für die elektrischen Ströme in Nerv und Muskel bediente er si ch des von dem Italiener Leopoldo Nobili 560 weiter entwickelten „Schweiger´schen „Multiplikators“, einer Art Induktion s spule, dessen Empfindlichkeit er jedoch noch erheblich verbesserte. 561 Der E r folg hinsichtlich der Weiterentwicklung des Multiplikators ist allerdings nicht allein Du Bois - Reymonds Verdienst, sondern vielmehr ein Ergebnis seiner Freundschaft mit Werner von Siemens , der dazu a n- regte, Galvanometer mit astatischen Nadeln zu verwenden. 562 Mit diesem Gerät wies Emil Du Bois - Reymond elektrische Ströme im Ne r vensystem der Tiere nach und zeigte, dass diese sich im Augenblick der Zuckung des Muskels verände r- ten. 563 Er entdec k te, dass sich die elektrischen Eigenschaften v on Nerv und Mu s- kel änderten, wenn diese von einem Gleichstrom durchflossen werden. Er nannte diese Z u standsänderung „Elektrotonus“, ein Begriff, der bis heute verwendet wird und sich inhaltlich nicht verändert hat. Er beschreibt, dass ein Stromstoß bei err e g baren Strukturen wie Muskeln und Nerven ein Potential mit negativ exp o- nent i ellem Anstieg e r zeugt. 564 Zusammengefasst bestand die Grundlage für Rosenthals Forschungen am Be r- liner physiologischen Institut darin, dass Emil Du Bois - Reymond den Z u samme n- hang zwischen Erregung des Nervens und Zuckung des Muskels en t deckte, was Carlo Matteucci noch bestritten hatte. Von dieser Aussage wurden die Begriffe

558 Vgl. Hirsch (1962), S. 116. Inhalte der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zw i schen Du Bois - Reymond und Matteucci beschreibt Rothschuh (1964), S. 85 - 105. 559 Vgl. Rothschuh (1953), S. 131. 560 Leopo ldo Nobili (1784 - 1835) hatte 1825 die Empfindlichkeit des Schweiger´schen Mult i- plikators verbessert und ihn „Galvanometer“ genannt. Mit diesem Gerät erforschte er als Er s ter elektrische Ph ä nomene am Frosch. Vgl. Rothschuh (1969), S . 131. 561 Siehe Bildteil Abb. 12. Emil Du Bois - Reymond erhöhte die Anzahl der Drahtwicklungen in der Spule und verwendete zur Anzeige ein astatisches Nadelpaar, sodass die Empfindlic h keit erhöht und die Messung kleinster Nerven ströme mö g lich wurde. Vgl. Johannes - Müller - Institut (2000), S. 71. 562 Später wies Werner von Siemens auf die Notwendi g keit hin, bei Galvanometern, die zu Strommessungen benutzt werden sollten, jede Nadel mit einer besondere n Spirale zu umg e ben, damit das magnetische Moment der Nadeln nicht die Ströme verändere. Vgl. Siemens , W.: Die Fortschritte der Physik im Jahre 1859. XV. Jahrgang. Jochmann, E. (Hrsg.). G e org Reimer. Berlin. 1861, S. 11. 563 Vgl. Vidoni (1988), S. 32. 564 S. Schmidt/Thews (1995), S. 34.

101 des Aktionspotentials, der Depolarisation und der Hyperp olarisat i on abgeleitet. 565 Auf Emil Du Bois - Reymond geht die Entdeckung des „Ruh e stroms“ – heute s a- gen wir des Ruhemembranpotentials – und der „negativen Schwankung“ zurück, die als Aktionspotential bekannt ist. Sein Verdienst i st es, mittels seiner genauen Messinstrumente 566 die Aussagen grafisch sichtbar g e macht und damit den B e- weis für die Existenz der tierischen Elektrizität erbracht zu haben. 567 Es war ihm gelungen, die Empfindlichkeit des Galvanometers s o weit zu erhöhen, dass e s möglich wurde, auch kleinste Muskel - oder Nerve n ströme zu messen. 568 Auße r- dem entdeckte er die elektrotonische, d. h. kabela r tige Fortleitung des Aktionsp o- tentials am Nerven. Mit diesen Phänomenen b e ginnt heute jedes Kapitel über Neurophysiologie eines Phy siologieb u ches. 569 Zunehmend von universitären und gesellschaftlichen Verpflichtungen bea n- sprucht, übertrug Emil Du Bois - Reymond seinen Schülern den Hauptteil der e x- perimentellen Arbeit. 570 Hier setzten Rosenthals Forschungen, se ine wisse n schaf t- lichen Arbeiten an. Diese werden in den folgenden Kapiteln näher b e trachtet.

565 Vgl. Rothschuh (1969), S. 132. 566 Hier sei auf die Beschreibung der physiologischen Apparate und Messinstrumente im Au s- stellungskatalog „Historische Instrumentensammlung“ des Johannes - Müller - I nstituts für Ph y s i- ologie verwiesen. Vgl. Johannes - Müller - Institut (2000). 567 Ebenda, S. 149. Eine zusammenfassende Darstellung der Leistungen von Emil Du Bois - Reymond findet sich bei Rothschuh (1964), S. 89 - 105. 568 Ruff (1981), S. 27. 569 Vgl. Speckmann (1994), S. 16 ff. 570 Vgl. Rothschuh (1964), S. 87.

102 2.5.1. Die Elektrophysiologie

Isidor Rosenthals erste wissenschaftliche Veröffentlichung 571 beschäftigte sich mit der Überprüfung von Untersuchungen Robert Remaks 572 zur Mu s kelreizung aus dem Jahr 1856, nach deren Aussagen sich ein Muskel leichter zusamme n- zieht, wenn er über einen Nerven und nicht direkt gereizt werde. Emil Du Bois - Reymond übertrug Rosenthal die Überprüfung dieses Sachver halts, so wie se i- nerzeit Johannes Müller ihm Carlo Matteuccis Aussagen zur Untersuchung vo r g e- legt hatte. 573 Rosenthal b e schrieb seinen Versuch wie folgt:

„(...) Um dies zu entscheiden, päparirte [!] ich von einem Frosche so schnell als möglich nacheinander die beiden Gastroknemien mit daran hängenden Ischiadnerven [!], brachte den einen Muskel ohne seinen Ne r ven in den secundären [!] Kreis eines Du Bois - Reymond´schen Schlittenmagnetelektromotors 574 und legte den Nerv des anderen mit ei nem Theil dem ersten Muskel auf (...).“ 575

Er reizte also einmal den Muskel allein und einmal den Muskel mit seinem d a z u- gehörigen Nerven. Dabei machte er die B e obachtung, dass der vom Nerven aus gereizte Muskel sich früher zusammenzieht als der Muskel ohne s einen d a zug e- hörigen Nerven. Er schlussfolgerte: „Bei gleicher Erregbarkeit wirkt de r selbe Reiz stärker, wenn er auf den Nerven, als wenn er auf den Muskel direct ang e- wandt wird“. 576 Damit bestätigte er die Richtigkeit von Robert Remaks B e obac h- tung. Rosenthal wies also nach, dass die Reizung des Nervenstammes wirksamer ist, als die des Muskels. Ihm gelang der experimentelle Nachweis einer Aussage,

571 Vgl. Rosenthal (1857), S. 185. 572 Robert Remak (1815 - 1865) war einer der bedeutendsten Müller - Schüler und der erste jüd i- sche Arzt, der sich in Preußen habiliti eren durfte (1847). Er entdec k te schon vor Virchow, dass Zellen sich allein aus Zellen entwickeln und trug viel zur Erfo r schung der Nervenzellen bei. Er ist zu den herausragenden Zellforschern und Neurohistologen zu zählen. Vgl. Eckart (1998), S. 272 und 3 01. 573 Emil Du Bois - Reymond beschreibt seine Rolle im Hinblick auf Rosenthals Forschen ledi g- lich als die eines Initiators. Auf seine Anregung hin habe Rosenthal die Arbeiten begonnen, „dann aber selbständig mit großem Eifer und vielem Geschick fortgeführt“. Zit. n. AHUB: Med. Fak. 1327, o. S. Bericht über die eingereichten Pr o beschriften Rosenthal vom Januar 1863. 574 Siehe Bildteil Abb. 11. 575 Zit. n. Rosenthal (1857), S. 186. 576 Zit. n. Rosenthal (1857), S. 187.

103 die Karl Ludwig schon vorher gemacht hatte, ohne sie jedoch zu beweisen. 577 Diese indirekte und direkte Muskelreizung am Frosch, nun als „Rosenthal´scher Versuch“ 578 bekannt, machte ihm unter seinen Zeitg e nossen mit Beginn seiner Forschungstätigkeit einen Namen. In einem anderen Versuch wies er nach, dass das Pfeilgift Curare die Erre g- barkeit des Mus kels herabsetzt. Er widerlegte damit den berühmten Claude Be r- nard , 579 der das Gegenteil b e hauptete. 580 In dieser Zeit war Rosenthal mit Victor Hensen 581 befreundet, der ihn als Exp e r i- mentalko l lege tatkräftig unters tützte. 582 Von der Vielzahl der Versuche, die Rosenthal durchführte, zog einer aus dem Jahr 1857 derart das Interesse Emil Du Bois - Reymonds auf sich, dass er das E r- gebnis in der Gesamtsitzung der Akademie vom 17. Dezember mitteilte. Auße r- dem wurde es in „Mol eschotts Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere“ veröffentlicht. Jakob Moleschott veröffentlichte wissenschaftl i che Beiträge unterschiedlicher Forscher zu physi o logischen Fragestellungen, die seit 1857 gesammelt erschienen. Du Bois Re y mond hatte Rosenthal damit beauftragt, die Aussagen von Johann Wilhelm Ri t ter 583 zur „Modification der Erregbarkeit

577 Vgl. Ludwig, Car l (1852): Lehrbuch der Physiologie. 1. Band, S. 450. 578 Zit. n. Rosenthal, C. (1906), S. 1361. 579 Claude Bernard veröffentlichte seine Arbeiten über Curare in seinem Buch „Leçons sur les Effets des Substances toxiques et médicamenteus es“ (J. B. Bai l lière et Fils, Paris, 1857). Es war die damals umfassendste Abhandlung über diesen Stoff und vermittelte den gesamten Fo r- schungsstand auf diesem Gebiet. Seine Vorlesu n gen über Curare finden sich auf den S. 238 - 380. Es ist anzunehmen, dass de r Bernard - Jünger Rosenthal hier die Anregung für seine B e- schäftigung mit Curare erhielt. Bernards Versuche mit Wurali (ein Nervengift aus der Stofff a- milie der Alkaloide) waren in Virchow´s Archiv (1856) X., S. 1 ff. e r schienen. 580 Vgl. Rosenthal (1857), S. 185. 581 Victor Hensen (1835 - 1924) war in Schleswig aufgewachsen und hatte 1854 sein Medizi n- studium in Wür z burg unter Scherer, Kölliker und Virchow begonnen, bis er 1856 nach Berlin wechselte. Von 1857 bis 1858 studierte er in Kiel, wo er sich 1864 für das Fach Physiologie habilitierte. 1868 wurde er Ordinarius für Physiologie. Einer seiner b e kanntesten Schüler war Rosenthals Neffe Paul Höber. Seine Hauptarbeitsgebiete waren embryologische Untersuchu n- gen und die Histologie der Sinnes organe. Darüber hinaus wurde er als Meeresbiologe b e kannt. Vgl. Rothschuh (1872), S. 287 - 288. 582 Vgl. Rosenthal (1857), S. 194. 583 Johann Wilhelm Ritter (1776 - 1810) studierte in Jena M e dizin und war persönlich bekannt mit Fried rich Wilhelm Schelling und Friedrich Hufeland. Von Du Bois - Reymond wurde er als Vertreter der romantischen Physiologie abgelehnt, obwohl er ein unermüdlicher Experiment a- tor und ein nüchterner Empiriker gewesen ist. Er zählt zu den Begründern der Elektrophy si o- logie (Vgl. Hüffmeier 1964, S. 48.) und ist der Entdecker „der Modifikationen der Erregba r- keit durch geschlossene Ketten und der sogenannten Voltaischen Abwechslungen“ (Zit. n.

104 durch geschlossene Ketten“ zu überprüfen. 584 Bei diesen Vers u chen bediente sich R o senthal zum Öffnen und Schließen des Stromkreises des Vorreiberschlüssels 585 nach Emil Du Bois - Reymond . Seit einem halben Jah r hundert hatte die Forschung auf diesem Gebiet brachgelegen. Die Aussagen J o hann Wilhelm Ritters lagen e i- nem G eröllhaufen gleich in der physiologischen Landschaft, ohne eine systemat i- sche Auswertung erfa h ren zu haben. Bei der Neigung Du Bois - Reymonds nach Geltung und Ansehen ist davon auszugehen, dass die Darstellung eines Versuch s- ergebnisses vor der Versammlung h erausr a gender Gelehrter Deutschlands für ihn eine besondere Au s zeichnung und auch ein Beweis für die Qualität seiner Lehre und seiner Schüler bedeutete. Mit Unmaßgeblichkeiten hätte sich Emil Du Bois - Reymond nicht bloßgestellt . R o senthal hatte folgendes allgemeingült i ges Gesetz formuliert:

„Jeder constante Strom, welcher eine Zeit lang einen motorischen Nerven durchströmt, ve r- setzt denselben in einen Zustand, worin die Erregbarkeit für die Öffnung des einwirkenden und die Sch ließung des entgegengesetzten Stromes erhöht, dagegen für die Schließung des ersteren und die Öffnung des letzteren hera b gesetzt ist.“ 586

Dies war im Grunde genommen der Vorläufer des Pflüger´sche Zuckungsgese t- zes, das zwei Jahre später die Abhängigkeit des Reizerfolges von Stro m richtung und Stromstärke sowie vom Schließen und Öffnen des Stromkreises bei Gleic h- stromreizung erregbarer Strukturen beschrieb. Rosenthal nahm als Student die Aussage vorweg, die Eduard Pflüger 1859 als frisch habilitierter Professor b e- kannt machen sollte, nachdem er das Berliner Labor a torium verlassen hatte, um in Bonn den neueingerichteten Lehrstuhl für Physiologie zu übernehmen. Pfl ü ger wählte allerdings als abhängige Größe nicht verschiedene Strömstärken, s ondern eine bei gleicher Stromstärke sich mit der Zeit verändernde Erregba r keit. 587 Die Fassung Rosenthals war lediglich um die Begriffe Anelektrotonus und Katelektr o-

AHUB: Med. Fak. 1327, o. S. Bericht vom Januar 1863). In der sogenannten gal vanischen Kette wurden zwei Muskeln und zwei Nerven miteinander verbunden, wobei sich nur die Mu s- keln direkt berührten, die Nerven jedoch getrennt waren. Beim Öffnen der Kette beobac h tete er den „Ritter´schen Tetanus“. Breiten Raum nahmen se i ne Versuche zu r Erregbarkeit und ihrer Veränderung ein sowie Versuche mit Voltas Batterie, was ihn zum Begründer der Elek t- rochemie werden ließ. Über die Bedeutung Ritters für die Elektrophysiologie vgl. Hüffmeier (1964), S. 48 - 61. 584 Dies geht aus Emil Du Bois - Reymonds Bericht über die von Rosenthal eingereichten Pr o b e- schriften hervor. Vgl. AHUB: Med. Fak. 1327, o. S. Bericht vom Januar 1863. 585 Vgl. Kap. 2.3.2., S. 71 . 586 Zit. n. Rosenthal (1858), S. 640. 587 Vgl. Pflüger (1859), S. 133 ff.

105 tonus ärmer, beschrieb allerdings qualitativ denselben Sachve r halt. Beide Begriffe haben sic h bis heute in den Physiologiebüchern erha l ten, 588 und darin ist wohl auch die Ursache zu suchen, dass keiner von einem „Rose n thal´schen Erregung s- gesetz“ spricht. Vielleicht scheute man sich auch, einem unbekannten jüdischen Studenten, der gerade im vierten Semester studierte, die Richtigkeit einer beach t- lichen Aussage zuzug e stehen. Die Leistung Pflügers bestand schließlich darin, die Untersuchungen zum Zuckungsgesetz um die z u sätzliche Aussage bereichert zu haben, dass der Reizerfolg, also die Muskelz u ckung, auch noch von der Stro m- stärke und Stro m richtung abhängig sei. Sie ist sozusagen der zweite Teil des von Rosenthal formulie r ten Gesetzes. Der erste Teil liest sich in heutigen Erklärungen so:

„Die Erregung entsteht an jeweils einer der beiden Reizelektrod en, als ´Schließungserregung´ durch Auftreten eines Katelektrotonus (Schließungszuckung), als ´Öffnungserregung´ durch Verschwinden eines Anelektrotonus (Öffnungszuckung) an der A node.“ 589

Mit seinem Studienfreund Albert von Bezold verö f fentlichte Rosenthal 1859 ein neu formuliertes Gesetz der Zuckungen für gleiche Stromstärken und die verä n- derte Erregbarkeit des Nerven. 590 Auffallend und einer gewissen Ironie nicht en t- behrend ist, dass sich die Veröffentlichungen von B e zold, Rosent hal und Eduard Pflüger im „Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftl i che Medicin“ nacheinander in der gleichen Ausgabe des Jahres 1859 fi n den. 591 Dieses Archiv war eine jährliche Sammlung unterschiedlichster wissenschaftl i che r Beiträge, die von Karl Bogislaus Reichert und Emil Du Bois - Reymond gemeinsam herausg e- geben wu r de. Eine Beobachtung – mehr Nebenbefund als Forschungsziel – formulierte R o- senthal in der Aussag e, dass beim Absterben eines Nerven eine bestimmte Ne r- venstelle, ehe sie an Erregba r keit verliert, zunächst erregbarer wird. Du Bois - Reymond vertrat die Meinung, dass diesem Sachverhalt in der Nervenphysiol o gie „eine fundamentale Wichtigkeit“ 592 zukomme. Die se Aussage ist als der er s te Hinweis auf eine besonders erregbare Struktur im Muskel zu werten. Sie sol l te später als „motorische Endplatte“ bekannt werden. 593 Emil Du Bois - Reymond

588 Vgl. Speckmann (1994), S. 20. 589 Zit. n. Roche (1993), S. 1292. 590 Vgl. Bezold/Rosenthal (1859), S. 131 u. 132. 591 Vgl. Pflüger (1859), S. 133 ff. 592 Zit. n. AHUB. Med. Fak. 1327, o. S. Bericht vom Januar 1863. 593 Allgemein gilt Wilhelm Kühne als Entdecker der motorischen Endplatte, da er 1862 seine Arbeit „Ueber die peripherischen Endorgane der motorischen Nerven“ veröffentlichte. Vgl.

106 hatte die Entdeckung Rosenthals richtig eingesc hätzt, indem er die Bedeutung dieser Nervenstelle für die Reizübertragung vom Nerven auf den Muskel v o rau s- ahnte. 594

Noch im gleichen Jahr veröffentlichte Rosenthal seine Doktorarbeit. Sie hatte Untersuchungen über die „spezifischen Energien“ von Nerven zum Gegenstand. Johannes Müller hatte 1840 das „Gesetz der spezifischen Sinnesenergien“ au f g e- stellt. 595 Hier wurde beschrieben, dass spezifische, unverwechselbare Em p findu n- gen vom gereizten Sinnesorgan bestimmt werden und von der Art de r Re i zung unabhängig sind. 596 Ein einzelner Sinn kann nur die Empfindungen des zugehör i- gen Sinneseindrucks vermitteln, gleichgültig, ob die Reizung adäquat oder inad ä- quat ist. Reize treffen in verschiedenen Energieformen auf den Kö r per, z. B. als Licht, Druc k oder Wärme. Für sie gibt es spezifische Rezept o ren (Sensoren), für die Sinnesorgane im Körper vorhanden sind. Umgekehrt hat j e de Sinneszelle i h- ren adäquaten Reiz, der jeweils spezifische sensorische Ei n drücke, Modalitäten genannt, hervorruft. 597 Rosenthal verteidigte in seiner Di s sertation Müllers G e- setz, dessen Gültigkeit von einigen Zeitgenossen, beso n ders von Ernst Heinrich Weber , 598 angezwe i felt wurde. 599 Seit Allessandro Volta 600 war es eine ungeklärt e Streitfrage, ob Geschmack s- empfindungen, die durch elektrischen Strom hervorgerufen werden können, nichts

Schneck/Schultze (1996), S. 86. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Kühne zu intensiver B e- schäftigung mit die ser Struktur angeregt wurde, nachdem 1859 Rosenthals Entdeckung b e- kannt wurde. 594 Vgl. Rothschuh (1964), S. 97. Du Bois - Reymond beurteilte Rosenthals Arbeiten angesichts dessen Habilitationsgesuches und wertete seine Aussagen im Hinblick auf ihre wissenscha ftl i- che Bede u tung. Vgl. AHUB: Med. Fak. 1327, o. S. Bericht vom Januar 1863. 595 Eine ausführliche Darlegung der Sinnesphysiologie Müllers siehe Müller, Johannes: Han d- buch der Physiologie des Menschen für Vorlesungen. Zweiter Band. J. Hölscher. Koblenz. 1840 , S. 249 ff. 596 Vgl. Ten Bruggencate (1994), S. 51. 597 Vgl. Roche (1994), S. 455. Hierzu ausführlich Silbernagl/Despopoulos (1991), S. 274 ff. 598 Der Physiologe Ernst Heinrich Weber (1795 - 1878) setzte den Begriff „Reizschwelle“ f est. Gemeinsam mit seinem Bruder Eduard Friedrich Weber (1806 - 1871) maß er die Geschwi n di g- keit der Pulswelle und wies den hemmenden Einfluss des Vagus nach. Die Brüder Weber wu r- den so die Väter des Hemmungsbegriffes in der Neurophysiologie. Zit. n. Ackerkn echt (1967), S. 142. 599 Vgl. Rosenthal (1859), S. 26. 600 Allessandro Volta (1745 - 1827) beschäftigte sich seit den sec h ziger Jahren mit Elektrizität. 1778 wurde er an die Universität Bologna berufen. Ab 1791 b e schäftigte er sich mit Fragen der tierischen Elektrizität und des Galvanismus. Er erfand den Kondensator und machte au s g e- dehnte wissenschaftliche Reisen nach England, Frankreich und Deutschland. Von Napoléon

107 anderes seien, als die Wirkung der durch den Strom ausgeschiedenen Zerse t- zungsstoffe Salzsäure und Natronlauge. Rose n thal entschied diese Frage durch folgenden genialen wie originellen Versuch:

„Zwei Personen berühren sich mit den Zungen, der Strom geht von der Zunge von A in die von B; A schmeckt sauer und B alkalisch u. s. w. (...).“ 601

Beide Zungen wurden an Elektroden angeschlossen. So wirkte die ei ne Zunge als Katode und die andere als Anode. Der a n gelegte Gleichstrom ging also von der einen zur anderen Zunge und führte zur Elektrolyse von Speichel. Die anodisch freigesetzten Protonen bewirkten eine säuerliche Empfindung, die von der einen Person wa hrgenommen wurde, die kationisch freig e setzten Hydroxyl - Ionen eine alkalische, die von der anderen Versuchsperson empfunden wurde. Diese Ve r- suchsanordnung wurde von Emil Du Bois - Reymond als Beweis für die Richti g- keit der Mülle r´schen Lehre von der Spezifität der Sinne anges e hen. 602 Das Ve r- suchsergebnis findet sich noch heute in Kapiteln über spezielle sensorische Sy s- teme des menschlichen Körpers unter dem Begriff „Elektrogustometrie“. 603

2.5.2. Die Atmungsphysiologie

Das zweite gro ße Thema rückte 1862 in den Mittelpunkt der Forschungen R o se n- thals. Im Rahmen seiner Habilitation beschäftigte er sich umfassend mit der Ph y- siologie der Atmung. Es war der Franzose Julien Jean César Legallois (1770 - 1840 ) gewesen, der als Erster in einem b e grenzten Bezirk der Medulla oblongata („verlängertes Mark“), genauer am Boden der Rautengrube am Übe r gang vom Rückenmark zum Mittelhirn, ein Organ beschrieben hatte, dass für die Erregung der Atemmuskeln verantwortlich sei. 604 Die Frage nach der Urs a che, welche j e- nes Zentralorgan überhaupt zu seiner ständigen rhythmischen T ä tigkeit anrege,

wurde er großzügig unterstützt. Die Erfindung der „Volta´schen Säule“, einer Art Batterie, mit welcher die elektrische Spannung in konstanten Schritten e r höht werden konnte, bildet den Höhepunkt seines Forschens. Vgl. Heilbronn (1976), S. 69 - 82. 601 Dieser Versuch ist der Einzige, den Emil Du Bois - Reymond ausführlich beschreibt. Zit. n. AHUB. Med. Fak. 1327, o. S. Bericht vom Januar 1863. 602 Vgl. AHUB. Med. Fak. 1327, o. S. Bericht vom (?) Januar 1863. 603 Zit. n. Plattig (1994), S. 133. 604 Vgl. Legallois , I. I.C.: Expériences sur le principe de la vie , notamment sur celui des mo u- vements du cœur, et sur le siège de ce principe. Paris. 1812. Seine Aussagen wurden zunächst als widerlegt abgetan, jedoch in den fünfziger Jahren im Streit um die Innervation des He r zens wiederentdeckt. Vgl. Rothschuh (1964), S. 114.

108 gehörte nach Rosenthals Auffassung zu den „heikelsten Fragen der Physiol o- gie“ 605 in den fünfziger Jahren. Johannes Müller hatte die Atemb e wegungen als „automatisch“ beschrieben und vertrat die Auffassung, dass die Fähigkeit der E r- regung dem Organ selbst innewohne. 606 Bekannt war auße r dem, dass die Anteile an Sauerstoff und Kohlendioxid maßgeblich an der Atmung s regulat i on beteiligt sind. Angestoßen wurde das Interesse Rosenthals durch die Aufdeckung eines W i- derspruches zwischen Aussagen Johannes Müllers und denen seines klinischen Lehrers und Freundes Ludwig Traube , dem Lunge n spezialisten. Schon andere Physiologen wie Albert von Kölliker und Claude Bernard , um nur die bekan n te s- ten zu nennen, hatten sich mit Atmung und Vagusreizung beschäftigt. Lu d wig Traube hatte als Erste r Versuche mit der Tetanisierung des Vagusstammes durc h- geführt. 607 Es war jedoch seit beinahe zwanzig Jahren unklar geblieben, in we l- chem Zustand des Atmungsvorgangs das Zwerchfell bei der Reizung des Vagus stillstehe: ob in Ex - oder Inspirationsstellung. 608 B ei Reizung des Vagusstammes hatte Traube das Zwerchfell in der Inspirationsstellung stillst e hen sehen, von a n- deren war die Exspirationsstellung beobachtet worden. 609 R o senthal veröffen t- lic h te seine zahlreichen Versuche zur Vagusreizung in seiner H a bilitation sschrift „Die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus“. Rosenthals Werk umfasste fast dre i hundert Seiten und beinhaltete die Untersuchungen von zwei Ja h ren. Besondere Schwierigkeiten bereitete die Beurteilung des Zustandes des Zwerchfelles. Hierfür entwickelte Rosenthal einen neuen Apparat, der es mö g lich machte, Kontraktion und Erschlaffung des Zwerchfells eindeutig zu b e stimmen, indem die Bewegungen aufgezeichnet wurden. Er nannte dieses Gerät „Phrenograph“. 610 Durch einen Hebelmechanismus wu rde die Zwerchfellbew e- gung auf eine Schreibfeder übertragen und auf einem uhrwerkbetriebenen P a pie r- streifen aufgezeichnet. Mit Hilfe dieser Apparatur machte er die Beobac h tung,

605 Zit. n. Rosenthal (1862), S. 6. 606 Vgl. Müller , Johannes: Handbuch der Physiologie des Menschen. 2. Band. J. Hölscher. Koblenz (1840), S. 66. 607 Einen Überblick zur Geschichte der Vagus - Reizung mit allen beteiligten Physiologen s o wie umfangreiche Q uellenangaben finden sich bei: Rosenthal (1862), S. 21 - 36. 608 Vgl. AHUB: Med. Fak. 1327, o. S. Kurze Darstellung der Habilitationsschrift durch Emil Du Bois - Reymond im Fakultätsbericht über die von Rosenthal eingereichten Schri f ten vom 14. Februar 1863. 609 Vgl. Rosenthal (1862), S. 37. 610 Siehe Bildteil Abb. 14. Eine genaue Beschreibung des Gerätes und seiner Funkt i onen siehe Rosenthal (1862), S. 48 - 60.

109 dass die Reizung des zentralen Vagusstumpfes einen Stillstand der A t mung in der Inspirationsphase bewirkt. 611 Die Exspirationsstellung des Zwerc h fells wies er ausnahmslos als die Folge des Tetanisierens des Nervus l a ryngeus superior nach, woraus er folgerte, dass dieser als ein Hemmungsnerv des A t mungsapparates wirke. 612 Diese These war die zentrale Aussage seiner Vers u che. In einer anderen Versuchsreihe wurde der Einfluss der Vagusdurchschneidung auf die Atembewegungen untersucht. 613 Hierbei bedie n te er sich des „Hutchi n- son´schen Spirometers“, 614 um die Luftmengen nach der Durchschneidung z u b e- stimmen. 615 Aus ihnen leitete er ein Maß für die von der Medulla oblongata g e- leisteten Arbeit ab. Rosenthal stellte fest, dass die Durc h trennung des V a gus auf die Tätigkeit der Medulla keinen Einfluss hatte, womit die Unabhängi g keit von peripherer und ze ntraler Atmungsregulation bewiesen war. Daher postulierte er den „Blutreiz“ 616 als einzigen Reiz für das Atemzen t rum. Rosenthal bestätigte die Automatie der Atembewegungen als das Ergebnis der Reizung b e stimmter Ganglien, die wiederum durch die Zusammensetzu ng der Gase im Blut erregt werden. 617 Damit erklärte er die Blutgaskonzentration als Regulativ der Atmung und durchbrach die Hürde einer ausschließlich nervalen Betrachtung der Atmung. Rosenthal irrte allerdings in der Beurteilung der Bede u- tung des Kohlendio xidgehaltes des Blutes für die Atemregul a tion, hatte er doch dem Kohlendioxidgehalt des Blutes einen Einfluss auf die Ate m bewegungen a b- gesprochen. 618 Für ihn wurde die Tätigkeit des Atemzentrums ausschließlich durch den Sauerstoffgehalt des Blutes bestimmt. 619 Nach heut i gem Kenntnisstand reagieren jedoch an der Vorderseite der Medulla oblongata zentrale Chemorezeptoren auf einen Anstieg des Kohlendioxid - Partialdruckes in Liquor und Blut, wovon ein erregender Einfluss auf die Atmung ausgeht. 620 Als der B e- griff Che morezeptor noch nicht bekannt war, beschrieb Rosenthal allerdings schon den entsprechenden Sachverhalt. Die Entstehung des Rhyt h mus der Ate m- bewegungen schrieb er einem besonderen Mechanismus im A t mungsorgan zu:

611 Vgl. Rosenthal (1862), S. 238. 612 Die Versuche zu dieser wichtigsten These de r Habilitationsschrift sind beschrieben bei R o- senthal (1862), S. 70 - 74. 613 Vgl. Rosenthal (1862), S. 75 - 116. 614 Siehe Bildteil Abb. 15. 615 Vgl. Rosenthal (1862), S. 94. 616 Zit. n. Rosenthal (1862), S. 240. 617 Vgl. Rosenthal (1862), S. 239. 618 Vgl. Rosenthal (1 862), S. 239. 619 Vgl. Rosenthal (1862), S. 241. 620 Vgl. zur Regulation der Atmung Silbernagl/Despopoulos (1991), S. 104.

110 Der ständigen Erregung der Medulla oblonga wi rke ein Wide r stand durch den Einfluss von Zwerchfell und Brustkorb entgegen, der durch e i ne Hemmung durch den Laryngeus verändert werde. 621 So formulierte Rose n thal die Summe seiner Unters u chungen in den Sätzen:

„Die Athembewegungen werden erregt durch den R eiz des Blutes auf das respiratorische Centralorgan. Der Uebergang dieser Erregung auf die betreffenden Nerven und Muskeln fi n det einen Widerstand, durch welchen die stetige Erregung in eine rhythmische Action umg e setzt wird. Dieser Wide r stand wird vermind ert durch die Einwirkung des N. vagus, vermehrt durch die Einwirkung des N. laryngeus superior. Der Grad der Thätigkeit des Centralorgans ist a b- hängig von dem Sauerstoffgehalt des Blutes, die Vertheilung dieser Thätigkeit auf ei n zelne Respirationen (und de mgemäss die Zahl und Tiefe derselben bei gleichbleibender Err e gung) von der Wi r kung jener Nerven.“ 622

Die besondere Bedeutung dieser Aussagen liegt in dem Beweis einer doppe l ten Innervation des Atemzentrums im Sinn des Weber´schen Hemmungsbe g riffes. Heute w ird davon ausgegangen, dass sich im sogenannten Atemzen t rum sowohl inspiratorisch als auch exspiratorisch wirksame Neurone (Nervenzellen) befi n- den, 623 wofür auch der Begriff „reziproke Innervation“ 624 ve r wendet wird. Die hieraus entfaltete „Lehre von den Thäti gkeiten der Centralorgane“ 625 wurde von Rosenthals Freund Albert von Bezold auf die Her z bewegung angewendet und beeinflusste somit grundlegend dessen richtungsweisende Arbeit „Unters u chu n- gen über die Innervation des Herzens“ a us dem Jahr 1863. 626 Rosenthals Theorie erregte jedoch beträchtlichen Widerspruch, besonders bei Moritz Schiff 627 und Jakob Moleschott , welche die Veränderungen der Vagustätigkeit nicht im Sinne der Hemmung sond ern mit Hilfe einer „Ermüdungstheorie“ de u teten. 628 Bis heute

621 Über den Einfluss von Zwerchfell und Brustkorb (Thorax) ausführlich siehe Rosenthal (1862), S. 126 - 205. 622 Zit. n. Rosenthal (1862), S. 256. 623 Vgl. Silbernagl/Despopoulos (1991), S. 104. 624 Zit. n. Rohen (1988), S. 393. 625 Zit. n. Rosenthal (1875.2), S. 9. 626 Ebenda. Über die Bedeutung Albert von Bezolds für die Entdeckung der Innervation des Herzens vgl. Rot h schuh (1964), S. 106 - 120. 627 Mori tz Schiff (1843 - 1896) hatte in Paris unter Francois Magendie gearbeitet, der als B e- gründer der experimentellen Richtung in der französischen Physiologie gilt. Nach seiner T ä ti g- keit in Bern wechselte er 1863 nach Florenz und wurde 187 3 Professor der Physiologie in Genf. Sein Arbeitsschwerpunkt lag auf der Nervenphysiologie. Vgl. Roth s chuh (1953), S. 102 u. 162. 628 Eine ausführliche Diskussion der Weber - Ludwig´schen Theorie einerseits und der Auffa s- sung von Schiff und Moleschott anderers eits siehe Rosenthal (1862), S. 257 - 272.

111 hat sich allerdings die Auffassung durchgesetzt, dass von den Neuronen des Hir n- stammes ein Grundrhythmus erzeugt wird, der durch ein komplexes Zusamme n- spiel der elastischen Rückstellkräfte von Lun ge und Th o rax e i nerseits sowie der Aktivierung untergeordneter Neurone durch Förderung und Hemmung andere r- seits verändert wird. 629 Rosenthal veranschaulichte di e ses Wechselwirken mit seinem „Modell zur rhythmischen Tätigkeit des Ate m zen t rums“. 630 Um die Zuckun gen infolge der Vagus - Reizung bei Demonstrationen vor dem Auditorium besser sichtbar zu machen, hatte sich Rosenthal überdies einen b e- sonderen Mechanismus ausgedacht, der dem „Du Bois - Reymond´schen Z u- ckungstelegraphen“ ähnelte. Es handelte sich hierbei um eine Hebelkonstrukt i on mit einem Fähnchen, die an einem Ständer befestigt war und sich beim Z u sa m- menziehen des Muskels um ein Glaslager bewe g te. 631 Auffällig ist die starke Polemik der Habilitationsschrift Rosenthals gegen die Arbeiten seines Kollegen Wilhel m Wundt . 632 Dieser hatte nach Rosenthals Me i-

629 Vgl. Deetjen (1994), S. 263. 630 Siehe Bildteil Abb. 36. Hier handelt es sich um eine senkrechte Röhre, die unten mit einer Platte dadurch verschlossen wird, dass ein an einem Hebel befestigtes Gewicht (oder eine F e- der) die Platte gegen die Röhre drückt. In die Röhre fließt von oben ein stetiger Wasserstrom. Das Wasser steigt, bis sein Druck den der Feder überwindet. Dann wird die Platte niederg e- drückt, eine gewisse Menge Wasser fließt aus, bis der Druck der Feder wi eder die Platte an die Röhre drückt. Die Größe des Intervalls und die Menge des Wa s sers sind dabei abhängig von der Stärke der Feder oder des Gewichts und der Geschwindigkeit, mit welcher das Wasser oben zufließt. Hierbei verglich Rosenthal die stetige Re i zung der Medulla durch das Blut mit dem Wasserstrom und den Widerstand (elastische Eigenschaften von Zerchfell und Thorax) mit der Federkraft. Vgl. Rosenthal (1862), S. 242 - 243. 631 Siehe Bildteil Abb. 13. Emil Du Bois - Reymond s tellte die Konstruktion 1862 in der phys i- kalischen Klasse der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften vor. Vgl. Du Bois - Reymond (1862), S. 145 ff. 632 Wilhelm Wundt (1832 - 1920) hatte seine Versuche in Müller´s Archiv für An atomie und Physiologie (1855), S. 276 ff. veröffentlicht. Als Sohn eines luther i schen Pastors in Neckarau geboren, studierte Wundt in Tübingen, Heidelberg und Berlin, wo er ein Semester unter Mü l ler und Du Bois - Reymond arbeitete. 1857 habilitierte er sich als Privatdozent in Heidelberg, wo er Assistent von Helmholtz wurde. 1863 wurde er außerordentlicher Professor und hielt Vorl e- sungen über physiologische Psychologie. Helmholtz verließ He i delberg 1871, was auch bei Wundt offensichtlich eine Neuorientierung auslöste, da er sich um einen neuen Wirkung s kreis bemühte und sich auf den Lehrstuhl für Physiologie in Erlangen bewarb. Sein Haup t werk w a- ren die „Grundzüge der physiologschen Psychologie“ (Leipzig, 1873), welches den Anbruch einer neuen Ära der Psychologi e markierte. 1874 nahm er einen Ruf nach Zürich auf den Leh r- stuhl für induktive Psychologie an und verfasste die „Geschichte des Materialismus“. Er entw i- ckelte sich zum populärsten Lehrer der Universität Zürich, der besonders auf junge Wisse n- schaftler aus Amerika von enormer Anziehungskraft war. Er begründete das erste L a borator i- um für experimentelle Psychologie. Zunehmend philosophischen Fragestellungen z u gewandt,

112 nung das Manometer, mit dem die Tiefe der Zwerchbewegung beim Aus - und Einatmen nach der Vagusdurchschneidung gemessen wurde, an der fa l schen Ste l- le der Luftröhre angebracht und überdies die Höhe der Wassersäule im Manom e- ter unzulässigerweise mit der Luftmenge beim Einatmen gleichg e setzt. 633 Dem fachkundigen Leser musste Wundt nun als mangelhafter Exper i mentator ersche i- nen, nachdem Rosenthal nun schonungslos sachliche Fehler und offenbare Feh l- sc hlüsse Wundts veröffentlicht hatte. Andererseits war es Rosenthal ein offe n- sichtliches Anliegen, die Verdienste Ludwig Traubes zu würdigen, ja ihn vie l- mehr zu rehabilitieren. So schreibt Rosenthal in seinem Vorwort:

„(...). Was jenen alten Streit, den Ausg angspunct [!] der Untersuchung, anbetrifft, so g e- reicht es mir zur besonderen Freude, den Mann wieder in sein Recht setzen zu können, we l- chem die Wissenschaft gerade die erste Erkenntniss jenes wichtigen Zusammenhanges ve r- dankt. Je weniger diese Entdeckung bisher gewürdigt worden, um so mehr fühlt sich der Ve r- fasser geehrt, seine Arbeit mit dem Namen jenes Mannes schmücken zu dü r fen.“ 634

Es drängt sich der Eindruck auf, dass allgemein Leben und Werk Ludwig Tra u bes bis heute wenig Interesse und angemessene Bea chtung erfahren haben. 635

Der Krieg Preußens gegen Dänemark im Frühjahr 1864 hatte in der Hauptstadt Berlin sichtbare Folgen: Die bisher recht lockere Handhabung des Militärdien s tes bei den jungen Ärzten wich einer unausweichlichen Pflicht. 636 Die relativ gut e Bezahlung der Militärärzte bewirkte außerdem einen Mangel an Assisten z ärzten bei den zivilen Kliniken. 637 Aufgrund der großen Zahl von Verwundeten auf den Kriegsschauplätzen wurde Rosenthal nicht vom Kriegsdienst befreit, obwohl Emil Du Bois - Reymond persönlich beim Kriegsministerium Rosenthals Entlassung zu erwirken suchte. 638 Die Aufrechterhaltung des Forschungsbetri e bes am physiol o- gischen Institut trat eindeutig hinter den militärischen Notwe n digkeiten zurück.

veröffentlichte er seine „Einleitung in die Philosophie“ (Leipzig, 1901). Wundt gilt als Begr ü n- der der m o dernen Psychologie. Vgl. Diamond (1976), S. 526 - 529. 633 Vgl. hierzu ausführlicher Rosenthal (1862), S. 90 - 93. 634 Zit. n. Rosenthal (1862), S. VI. 635 Dies wird deutlich an den lediglich skizzenhaften bio - ergographischen Beiträgen zu Lu d wig Traube . Nähere Quellen hierzu vgl. Schneck (1998), S. 55. 636 Dies zeigt sich daran, dass das Kultusministerium die Universitäten anwies, „die bisher g e- übte Milde“ (zit. n. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 1. Tit. XVIII. No. 4, Bl. 56) bei der Hera n- ziehung von Professoren, Lehrern und Beamten der königlichen Universitäten zum Militä r- dienst zu beseitigen. Vgl. Kap. 2.3.4., S. 86 . 637 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 1. Tit. XVIII. No. 4, Bl. 59. 638 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X. 11. Bd. VII., Bl. 172.

113 Im April 1864 bra chte die Erstürmung der Düppeler Schanzen die Kriegsen t- scheidung für Preußen und Österreich gegen Dän e mark. 639 Inwieweit die Erlebnisse des Krieges Rosenthal in seiner Arbeit beeinträc h tigt haben, ist schwer zu sagen. Auffällig ist aber, dass die nächste Ver öffentl i chung von Versuchsergebnissen erst wieder im Herbst 1864 erfolgte. Sie war eine For t- setzung des Habilitationsthemas über die Regulation der Atmung. In Karl Bogislaus Reicherts und Emil Du Bois - Reymonds „Archiv für Anatomie, Physi o- logie und wissensc haftliche Medicin“ erschienen Rosenthals „Studien über Athembewegungen“. 640 Die Anregung für eine erneute Auseinanderse t zung mit der Regulation der Atmung waren die jüngsten Versuche Ludwig Traubes, der zu dem Schluss gekommen war, „dass der Kohlensäuregehal t des Blutes das allein Bestimmende für die Athembewegung sei“, 641 was nun in W i derspruch zu Rose n- thals Aussagen in seiner Habilitationsschrift stand. Die Kernfrage der Versuche Rosenthals lautete: Welchen Einfluss hat die Verring e rung des Blutsauerstoffs au f die Atembewegungen, wenn die Konzentration des Kohlendioxids nicht vermehrt wird? Es wurden Erstickungsversuche mit K a ninchen, Meerschweinchen und Fröschen durchgeführt. Die Tiere wurden in luftdichte Behälter gesetzt, und mit einer speziellen Apparatur wurde die atm o sphärische Luft mit Wasserstoff ve r- drängt. Rosenthal beobachtete hierbei Krämpfe und Atemstillstand und schlus s- folgerte, dass Atemmangelerscheinu n gen unter U m ständen da auftreten, wo der Sauerstoffgehalt des Blutes abnimmt, eine Zunahme des K ohlendioxidanteils aber nicht zu erwarten ist. Er vertrat hier also die gegenteilige Ansicht zu Ludwig Traube . Die spätere Forschung sollte beiden recht geben. Hier galt es nicht, über ein „Entweder - Oder“ zu entsche i den. Aus heutiger Sicht ist die Regulation der Atmung ein „Sowohl - Als - Auch“, nämlich das Zusammenwirken von peripherem Atemantrieb durch Chemorezeptoren in Aorta und Arteria carotis, die den Saue r- stoffpartialdruck messen und einem zentralen Atemantrieb durch Chemorezeptore n an der Vo r derseite der Medulla oblongata, die einen Anstieg des Kohlendioxidpartia l drucks messen. 642 Für Rosenthal war der Sauerstoffpart i- aldruck die entsche i dende Größe der Atmungsregulation, aus heutiger Sicht ist es der Kohlendi o xidpartialdruck. Rosenth al irrte in der Verknüpfung der eigenen und der Tra u be´schen Ergebnisse. Der Fehlschluss lag in der Betrachtung der Konzentrati o nen von Sauerstoff und Kohlendioxid in demselben Versuch. Über das Vorha n densein und die Lage von Chemorezeptoren war noch nicht s bekannt.

639 Eine prägnante Zusammenfassung des Deutsch - Dänischen Krieges bietet Ostertag (1993), S. 178 - 181.Vgl. Kap. 2.8., S. 136 . 640 S. Rosenthal (1864), S. 456 - 477. 641 Zit. n. Rosenthal (1864), S. 457. 642 Zur Regulation der Atmung vgl. Deetjen (1994), S. 263 - 270.

114 So ist es umso beachtlicher, dass Rosenthal die chemosensiblen Strukturen richtigerwe i se an der Medulla oblongata lokalisierte, indem er formulierte, dass der Saue r stoffpartialdruck die Medulla oblongata zur Tätigkeit anrege. 643 Selbst nach heutig em Wissensstand sind die Mechanismen der Chemoregulation der A t mung noch nicht abschließend g e klärt. 644 In diesen Experimenten unterschied Rosenthal ferner zwischen Dyspnoe und Apnoe. 645 Mit dem ersten Begriff bezeichnete er den Umstand, dass die Saue r- stoffver armung zu einer vermehrten Erregung des respiratorischen Zentrums führt. Mit Apnoe beschrieb er die Beobachtung, dass mit fortschreitender Ve r- minderung der Sauerstoffkonzentration die Erregung des Atemzentrums nac h- lässt. Es ist Rosenthals Verdienst, eine d urch Versuche klar definierte Abgre n- zung der Begriffe Asphyxie, Dyspnoe und Apnoe vorgenommen zu haben. Sie haben bis heute i h ren festen Platz in der Atmungsphysiologie. Allerdings ist ihre Bedeutung in den Hintergrund getreten.

643 Vgl. Rosenthal (1864), S. 468. 644 Vgl. Deetjen (1994), S. 267. 645 Zur umfassenden Definition dieser Begriffe siehe Rosenthal (1864), S. 467.

115 2.5.3. Verschiedene Frage stellungen und Vortragstätigkeit

Eine weitere Veröffentlichung Rosenthals zum Thema des Elektrotonus e r schien 1865. Im März desselben Jahres verfasste er in Reicherts und Du Bois - Reymonds Archiv eine Abhandlung „Über das elektromotorische Verhalten der Fro sc h- haut“. 646 Hierbei handelte es sich jedoch nur um Varianten von Vers u chen, deren Ergebnisse Emil Du Bois - Reymond schon mi t geteilt hatte. 647 Im September 1865 veröffentlichte Rosenthal eine Untersuchung „Über Herzgi f te“. 648 Von Dr. Fedor Jagor hatte Rosenthal verschiedene Kapseln mit Pfeilgift von Eingeborenen auf Malakka erhalten. Er führte verschiedene Injektionsve r suche mit Kaninchen durch und kam zu dem Ergebnis, dass die Wirkung des aus dem „Ipo - batang“ - Bau m gewonnen Pfeilgiftes mit der des Stoffes Stryc h nin vergleichbar sei. 649

Kurz bevor im Juni 1866 der Deutsche Krieg zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland ausbrach, 650 findet sich zum ersten Mal ein Hinweis auf eine Lehrtätigkeit Rosenthals außerhalb der Universität: Im Berliner Handwerker - Verein 651 hielt Rosenthal im April 1866 drei Vorträge zum Thema Elektrizität. 652 Herausragendes Merkmal dieser Veranstaltungen war Rose n thals Fähigkeit, schwierige Sachverhalte einfach darzustellen. Die Lektüre der Vortr ä- ge bereitet noch heute großes Vergnügen, da sie durch Kla r heit und Verstän d- lichkeit bestechen. Durch entsprechende Versuche wurde jede elektrische E r- scheinung veranschaulicht. So gelang es ihm, sich gut auf seinen Zuhörerkreis einzus tellen und Menschen, die über keinerlei naturwissenschaf t liche Vorbildung verfügten, grundlegende Inhalte über Elektrizität zu vermi t teln. Der Stoff ist ve r- gleichbar mit den Kapiteln in heutigen Lehrbüchern eines gymnasialen 7. Schu l-

646 Vgl. Rosenthal (1865.1), S. 301 - 316. 647 Hierbei bezog s ich Rosenthal auf Aussagen Emil Du Bois - Reymonds aus dem Werk „U n- tersuchungen über thierische Elektricität“, Bd. 2, Abt. 2 (1849), S. 9. 648 Vgl. Rosenthal (1865.2), S. 601 - 609. 649 Ebenda. S. 608. 650 Zur Geschichte des Deutschen Krieges vgl. Groote, W. v./Gers dorff, U. v. (Hrsg.): En t- scheidung 1866. Berlin. 1966. Eine prägnante Zusammenfassung bietet Ostertag (1993), S. 181 - 184. 651 Der Berliner Handwerker - Verein war nach seiner Auflösung 1850 unter der Mi t arbeit von Rudolf Virchow neu geg ründet worden. Sozial umfasste er zunächst alle Gesellschaftsschic h- ten, wenn auch die liberal gesinnten Honoratioren den Kurs bestim m ten. Später verlor er viele Mitglieder an die sozialdemokratischen Vereine. Vgl. Goschler (2002), S. 131. 652 Vgl. Rosenthal (1866), S. 5 - 32.

116 jahres und beinhaltete Grundlegendes der Physik: Ladu n gen, Influenz, elektr i- scher Strom, Elektrisiermaschinen, das Prinzip des Ko n densators, die Batterie, elektrisches Licht, Magnetismus. Rosenthals Geschick im Vortrag und in der Lehre kam in Emil Du Bois - Reymonds Beurteilung a n lässlich Rosenthals Habil i- tationsgesuches zum Ausdruck, indem er Rosenthals „leichten und klaren Leh r- vortrag“ 653 bemerkte und diesen als besondere Beg a bung herausstellte. Die Mot i- vation, sich für die naturwissenschaftliche Bildung nichtakademischer Bevölk e- ru ng s schichten einzusetzen, ergab sich aus einem gewissen missionarischen Eifer und aus dem Glauben an den Fortschritt der Wissenschaft. 654 Möglichst viele Menschen aus dem Dunkel des Unwissens zu befreien, war die von vielen Fo r- schern und Wissenschaftlern sta rk empfundene Aufgabe des Bildungsbürge r- tums. 655 Auch Rosenthal war ein Anhänger dieses Fortschrittsglaubens: Ganz ein Kind seiner Zeit schloss er den letzten dieser Vorträge mit der Aussage:

„Wer vermag zu bestimmen, welche Fortschritte uns die Zukunft noc h bringen wird? Mit vollem Recht können wir stolz sein auf unser Jahrhundert, das von einigen so gern als mater i a- listisches verschrieen wird, und in welchem doch der menschliche Geist nicht die kleinsten se i- ner Triumphe gefeiert hat.“ 656

1867 findet sich der erste Hinweis auf Rosenthals Bestimmung der absoluten Muskelkraft der Frösche an deren Oberschenkelmuskeln, die er im „Centralblatt für die medicinischen Wi s senschaften veröffentlichte. 657 In der Sitzung vom 1. April 1868 hielt Rosenthal vor der Versammlung der „Berliner Medicinischen Gesellschaft“ einen Vortrag über Herzlähmung, in we l- chem er darstellte, dass der Herzstillstand keine Folge, sondern Ursache des Kreislaufstillstandes sei. 658 Diese Zeit ist geprägt von einem Anwachsen der T ä- tigkeiten außerhalb d er Universität: 1867 wurde Rosenthal in den ersten Vo r stand des Gewerbemuseums gewählt. 659 Gleichzeitig gehörte er zu den Mita r beitern des „Centralblatt[es] der medicinischen Wissenschaften“ wie auch Ludimar Hermann und Wilhelm Kühne , die wie Rosenthal alle Schüler von Emil Du Bois - Reymond waren. 660 Ludimar Hermann hatte das „Centralblatt“ 1863 gegründet und war

653 Zit. n. AHUB: Med. Fak. 1327, o. S. 654 S. Kap. 2.7.1., 128 . 655 Zur Stilisierung der Wissenschaft zur Religion vgl. Goschler (2002), S. 139 - 142. 656 Zit. n. Rosenthal (1866), S. 32. 657 Vgl. Rosenthal (1867), S. 635. 658 Vgl. Rosenthal (1871.1), S. XCI - XCVII. 659 Vgl. Ewald (1915), S. 278. 660 Vgl. Schneck/Schultze (1996), S. 45, 73 u. 85.

117 dessen Redakteur. 661 Nach seiner Berufung als Prof e s sor nach Zürich 1868 übe r- gab er im Oktober die Redaktion des Blattes an R o senthal. 662 Alle Mitteilungen gingen nun an Rosenthals Adresse in der Frie d richstraße 153 a. Es ist davon au s- zugehen, dass die Aufgabe als Redakteur di e ser wissenschaftlichen Zeitsch rift neben der Vortragstätigkeit viel Zeit bea n spruchte. Denn als wissenschaftliches Organ erlebte das „Centralblatt“ einen solchen Zuspruch, dass die Flut von ei n- gehenden Mitteilungen die Mitarbeiter an ihre Grenzen führte und zu einer stre n- gen Auswahl un d Kürzung der Beitr ä ge zwang. 663

Im Juli 1870 erfolgte erneut die Mobilmachung des preußischen Heeres, nac h dem Frankreich Preußen den Krieg erklärt hatte. 664 Rosenthal wurde wieder zum 2. schweren Feldlazarett des 3. Armeekorps eingezogen und kehrte erst im Juni 1871 aus dem Feld zurück. 665 Bis zur Berufung Rosenthals nach Erlangen sind keine umfangreicheren oder bedeutsamen Veröffentlichungen mehr zu finden. Auch der Umstand, dass R o- se n thal in dieser Zeit seine zukünftige Frau Anna Höber kennen lernte, darf als Ursache dafür gesehen werden, dass die Zeit zum wissenschaftlichen Exper i me n- tieren knapper wurde. Höhepunkt von R o senthals Schaffen in Berlin blieb die dreihundert Seiten umfassende Habilitationsschrift über die Atemphysiol o gi e. 666

2.6. Berliner wissenschaftliche Gesellschaften und ärztliche Ve r- eine

Es war eine Besonderheit des 19. Jahrhunderts, dass Vereine jeglicher Art wie Pilze aus dem Boden schossen. 667 Mit dem Aufschwung der Medizin in den fün f-

661 Vgl. Rosenthal, C. (1906), S. 1361. 662 Vgl. Hermann (1868.2), S. 1. 663 Ludimar Hermann schrieb schon im Januar 18 68 über die Aufnahme der Beiträge: „Die Ei n- sendung von Original - Mittheilungen für das Centralblatt hat allmählich so zugenommen, dass der denselben reservirte [!] Raum, welcher nicht überschritten werden darf ohne die e i gentl i- che, referirende [!] Aufgabe u nserer Zeitschrift zu gefährden, zur Annahme aller nicht mehr ausreicht. (...). Unser bisheriges Verfahren, alles Eingesandte (...) ohne Prüfung des I n haltes nach der Reihenfolge des Einganges abzudrucken, sind wir daher aufzugeben genöthigt. (...).“ Zit. n. Hermann (1868.1), S. 1. 664 Über die Ursachen des Deutsch - Französischen Krieges vgl. Ostertag (1993), S. 154. 665 Näheres hierzu siehe Kap. 2.8., S. 145 f. 666 Vgl. Kap. 2.3.4., S. 87 . 667 Die historische Entw icklung des Vereinslebens in Berlin schildert ausführlich Prenzel (1969), S. 8 - 72.

118 ziger Jahren machten die Ärzte keine Ausnahme in dem allgemeinen B e dürfnis, sich in geselligen Vereinen zusammenz u schließen. 668 Ein eigentümliches Merkmal Rosenthals ist sein auffallender Hang zur Gese l- ligkeit. Selbst in einer kinderreichen Familie aufgewachsen, suchte er seit dem ersten Semester Anschluss an studentische Gruppen, die seinen Vorstellungen entsprachen. Wie schon erwähnt, orientierte er sich an dem Kreis junger Natu r- forscher um Professor Gustav Magnus. 669 Diese organisierten sich in dem „N a- turwissenschaftlichen Verein der Stu dierenden“, in welchem Rosenthal „eine fü h- rende Rolle spielte.“ 670 Wöchentlich trafen sich die jungen Experimentatoren nachmittags im Kaffeehaus und tauschten ihre neuesten Versuchsergebnisse aus. 671 Schon 1845 hatte sich aus dem Kreis junger Physiker um Gust av Magnus die „Physikalische Gesellschaft zu Berlin“ formiert, zu deren Gründungsvätern E mil Du Bois - Reymond und Hermann von Helmholtz gehörten. 672 Hier war der junge Rosenthal im Laufe des Jahre s 1859 als neues Mitglied aufgenommen wo r den. 673 Es ist zwingend anzunehmen, dass es Emil Du Bois - Reymond war, der seinen talentierten Assistenten in diese wichtige Gesellschaft einführte, zu deren Mi t- gliedern ebenso z. B. Rudol f Virchow , Ernst von Brücke, Hermann von Hel m- holtz , Karl Ludwig , Gustav Robert Kirchhoff und Werner von Si e mens g ehö r- ten. 674 Diese herausragenden Forscher, Erfinder und Entdecker w a ren Rosenthals Zuhörer, wenn er in den Sitzungen der Gesellschaft seine Mitte i lungen vortrug. 675 Wie befruchtend der Kontakt zu diesen Männern für Rose n thal gewesen sein mag, kann kaum übersch ätzt we r den. 676

Es wirft ein spezielles Licht auf den Charakter Rosenthals, dass er selbst zum Begründer bedeutender Vereinigungen wurde: Bald zeigte sich, dass der „N a tu r- wissenschaftliche Verein der Studierenden“ den Ansprüchen der aufstrebe n den

668 Zur Bedeutung der Gesellschaften und Vereine für den Naturwissenschaftler am Be i spiel Rudolf Virchows vgl. Goschler (2002), S. 126 - 135. 669 Vgl. Rosenthal (1859), S. 31 und Schultz (1897), S. 508. 670 Zit. n. Rosenthal, C. (1906), S. 1361. 671 Vgl. Munk (1901), S. 9. 672 Vgl. Ruff (1981), S. 50. 673 Vgl. Hagen, O. (Hrsg.): Die Fortschritte der Physik im Jahre 1858 [!]. XIV. Jahrgang. Ve r- lag Georg Reimer. Berlin. 1860, S. IX. Mitglied erliste der „Physikalischen Gesel l schaft“. 674 Ebenda. 675 So zum Beispiel seine „Mittheilung über den elektrischen Geschmack“. Zit. n. Joc h mann, E. (Hrsg.): Die Fortschritte der Physik im Jahre 1859. Verlag Georg Reimer. Berlin. 1861, S. XI. Vgl. Rose n thal ( 1860), S. 217 - 223. 676 Vgl. Kap. 2.3.1., S. 65 .

119 Physiologe ngeneration nicht mehr genügte. Die allgemeinwissenschaftliche Au s- richtung entsprach einerseits nicht mehr den Erfordernissen des Fachgebi e tes und andererseits nicht mehr dem Selbstverständnis der jungen Forscher: Der Physi o- loge verstand sich zunehmend als Inbegriff des Naturwissenschaftlers. 677 Adolf Kussmaul wird die Aussage zugeschrieben, die Physiologie sei die „K ö nigin unter den Naturwissenschaften.“ 678 Man empfand sich als Repräsentant des Kulturbi l- dungsbürgertums. 679

2.6.1. Der Phys iologische Verein

So lag eine Folgerichtigkeit in der Neugründung eines Vereins, der den neuen wissenschaftlichen und sozialen Entwicklungen sowie dem neuen Selbstve r stän d- nis der jungen Forscher Rechnung trug. Als Rosenthal dem Kreis der St u diere n- den langs am entwuchs, suchte er eine Möglichkeit, die fachlich ausg e richtete Vereinsarbeit weiterzuführen. Zudem schwächte der Fortgang einiger Freunde durch Berufungen an andere Universitäten (vgl. Bezold, Heidenhain, Pflüger usw.) personell das geregelte Vereinsl eben, auch schien die Biologie für manchen jungen Forscher ein interessanteres Betätigungsfeld zu sein. Mit se i nem jüdischen Freund und Studienkollegen Hermann Munk gründete Rosenthal am 8. Juni 1859 den „Physiologischen Verein“. 680 Ros enthal wurde dessen 1. Vorsitzender, und Friedrich Daniel von Recklinghausen , 681 einer der begabte s ten Schüler und erster Assistent Rudolf Virchows, übernahm das Amt des 2. Vorsitzenden. Weitere b e- kannte Gründungs mitglieder waren Christoph Aeby , 682 Albert von Eulenburg , 683

677 Dieses Selbstverständnis zu prägen half besonders Rudolf Virchow , dessen Persönlichkeit zu den wirkungsvollsten Forschergestalten des 19. Jahrhunderts zu zähl en ist. Zum standesp o- l i tischen Selbstverständnis der neuen Physiologengeneration vgl. Goschler (2002), S. 72 - 81. 678 Zit. n. Ewald (1915), S. 279. 679 Vgl. Eckart (1998), S. 268. 680 Die Entwicklung des Physiologischen Vereins zur Physiologischen Gesellschaft zu Berlin hat Hermann Munk anlässlich ihres 25jährigen Bestehens umfassend und detailreich beschri e- ben. Vgl. Munk (1901), S. 9 - 13. 681 Friedrich Daniel v. Recklinghausen (1833 - 1910) studierte von 1852 bis 1855 in Bonn, Würzburg und Berlin , wo er 1855 promovierte. Von 1858 bis 1864 war er Assistent bei R u dolf Virchow , bis er 1865 ordentlicher Professor für pathologische Anatomie in Königsberg wurde. Nach einem Jahr in Würzburg übersiedelte er an die 1872 neubegründet e Universität in Stras s- burg. Herausragende Fachgebiete waren das Bind e gewebe und das Lymphsystem. Vgl. Hirsch (1962.2), S. 742. 682 Christoph Theodor Aeby (1835 - 1885) studierte in Basel und wurde dort 1863 ordentlicher Professor für Anatomie. 1884 nahm er ei nen Ruf nach Prag an. Vgl. Hirsch (1962.1), S. 36.

120 Bernhard Fränkel , 684 Adolf Ludwig Gusserow , 685 Ludimar Hermann , Edu ard Ma r tin , 686 Eduard von Rindfleisch 687 und Wilhelm Sander . 688 Sie trafen sich alle zwei Wochen, um Fachliteratur auszutauschen und die Ergebnisse unterschie d- lichster Versuche vorzut ragen. 689 Dabei dienten meist die Privatlaboratorien, sp ä- ter das pathologische Institut als Versam m lungsorte. 690 Der Verein wuchs bestä n- dig und hatte in den ersten zehn Jahren seines Bestehens einen Zuwachs von 20 auf 50 Mitglieder. In den siebziger Ja h ren sch rumpfte er wegen persönlicher Di f- ferenzen und Eifersüchteleien einiger Vereinsmitglieder. 691 Die Veröffentlichu n- gen erschienen überwiegend in Karl Bogislaus Re i cherts und Emil Du Bois - Reymonds Archiv. 692 Rosenthal blieb bis zu seiner Berufung nach Erlangen Vo r-

683 Albert von Eulenburg (1840 - 1917) promovierte 1861 in Berlin, nachdem er d a selbst und in Bern und Zürich studiert hatte. Bis 1874 war er in Berlin als Privatdozent, bis 1882 als orde n- tlicher Professor in Greifswald tätig. Dann kehrte er nach Berlin zurück und errichtete eine P o liklinik für Nervenkrankheiten. Vgl. Hirsch (1930), S. 446. 684 Bernhard Fränkel (1836 - 1911) gehörte später zu den ersten A u tori täten der Hals - Nasen - Ohrenkunde. Unter seiner Leitung wurde 1887 in der Charité eine Universitätsklinik für L a- ryngologie errichtet. In der Berliner Ärzteschaft war er wegen seines standespolitischen Eng a- gements hoch angesehen. Vgl. Munk (1956), S. 85. 685 Ad olf Ludwig Sigismund Gusserow (1836 - 1906) studierte in Berlin, Prag und Wür z burg und habilitierte sich in Berlin 1865 für Geburtshilfe. 1867 wurde er Ordinarius in Utrecht. Nach Zürich (1867 - 72) und Stras s burg (1872 - 78) kehrte er zurück nach Berlin. Seit 1 884 war er Mitherausgeber des Archivs für Gynäkologie. Vgl. Hirsch (1930), S. 916. 686 Eduard Martin (1809 - 1875) leitete ab 1858 die neu errichtete g y näkologische Klinik in der Charité, nachdem er zum Professor der Geburtshilfe ernannt wo r den war. Vgl. Munk (1956), S. 77. 687 Georg Eduard von Rindfleisch (1836 - 1906) studierte in Heidelberg, Halle und in Berlin von 1856 bis 1860, wo er besonders bei Rudolf Virchow arbeitete. 1861 habi litierte er sich in Bre s- lau und ging im folgenden Jahr nach Zürich, wo er 1865 Ordinarius für pathologische Anat o- mie wurde. Ab 1874 wirkte er in Würzburg. In seinem 1895 auf der Naturforscherve r sam m- lung in Lübeck gehaltenen Vortrag über Neovitalismus begrü ndete er „eine philosoph i sche Auffassung der Natur, welche (...) die Bedeutung des Lebens sucht in der Darstellung einer immer vollkommen werdenden Selbs t bestimmung (...) auf moralisch - ethischem Gebiete der Freiheit durch die Nächstenliebe“. Zit. n. Pagel (1901), S. 1391. 688 Vgl. Rosenthal, C. (1906), S. 1361. 689 Vgl. Munk (1901), S. 11. 690 Vgl. Trendelenburg (1936), S. 311. 691 Vgl. Munk (1901), S. 12. 692 Eine Zusammenstellung der wissenschaftlichen Vereine und Gesellschaften Deutsc h lands im 19. Jahrhundert sowi e die Bibliographie ihrer Veröffentlichungen seit ihrer Gründung fi n det sich bei Müller (1887), für den „Physiologischen Verein“ siehe S. 66.

121 sitzender des Vereins und übergab dann den Vorsitz an Bernhard von Lange n- beck . 693

Aus den Mitgliedern des „Physiologischen Vereins“ und den Mitarbeitern des „Centralblattes“ bildete sich der gesellige Verein „Raisonneur“, de r sich im „Wagner´schen Bierhaus“ 694 in der Charlottenstraße 36 versammelte. 695 Ihm g e- hörten neben Rosenthal unter anderem auch Wilhelm Kühne , Julius Cohnheim , 696 Friedrich Daniel von Recklinghausen , Ernst von Leyden 697 und Adolf Ludwig Gusserow an. 698 Die Sitzungen waren sowohl mit Humor g e würzt, als auch von leidenschaftlichen politischen Auseinandersetzungen b e stimmt . 699 Aus dem „Ph y- siologischen Verein“ ging 1875 die „Physiologische Gesellschaft“ unter dem

693 Vgl. BKW (1872.3), S. 234. 694 Siehe Bildteil Abb. 16. Isidor Kastan schreibt über dieses Lokal: „Die besuchteste unter diesen ´echten´ [echt, weil hier ausschließlich der schwarzbraune Gerstensaft aus den Mü n ch e- ner und Nürnberger Brauereien gezapft wurde, Verf.] Bierstuben war die an der Charlo t ten - und Behrenstraßenecke im ersten Stock gelege ne und unter dem Namen ´beim schweren Wa g- ner´ stadtbekannte. Hier fanden sich an ungedeckten Tischen Männer aus den besten G e sel l- schaftskreisen zu kurzem Frühstückstrunke und zu längerer Abendunterhaltung zusa m men. (...). Hier erschien zuweilen auch der al lverehrte Führer und Begründer der preußischen For t- schrittspartei, der Vater der deutschen Demokratie, wie er allgemein hieß, der Obertribunalsrat Franz Leo Benedikt Waldeck und andere Vertreter der Linken. Aber auch an hohen Mil i tärs fehlte es nicht.“ Zit . n. Kastan (1919), S. 109. Siehe Bildteil Abb. 16. 695 Vgl. Rosenthal, C. (1906), S. 1361. 696 Julius Cohnheim (1839 - 1884) besuchte die Universitäten Wür z burg, Marburg, Greifswald und Berlin, wo er 1861 promovierte und 1864 Assistent bei Rudolf Virchow wurde. Von 1867 bis 1872 wirkte er als Professor der p a thologischen Anatomie in Kiel, wechselte dann nach Breslau und Leipzig. Er revolutionierte die Anschauung über Entzündungen mit seiner Schrift „Ueber Entzündu ng und Eiterung“ (1867) und verfasste ein Hauptwerk über „Allgemeine P a- thologie“ (1882). Er galt als herausragender Lehrer und Experimentator. Vgl. Hirsch (1930), S. 66. 697 Ernst von Leyden (1832 - 1910) studierte in Berlin und war S chüler von Traube und Schö n- lein und diente zunächst als Stabsarzt in der Armee. 1865 wu r de er als ordentlicher Professor der Medizin und Direktor der Klinik für innere Krankheiten nach Königsberg gerufen, wo er mit Recklinghausen eine neue Form des klinisc hen Unte r richts begründete. Ab 1872 wirkte er an der neuen Kaiser - Wilhelm - Universität in Stras s burg, bis er 1876 die Nachfolge Traubes in Berlin antrat. 1885 übernahm er nach dem Tod Frerichs die medizinische Kl i nik. Mit Frerichs hatte er 1879 die „Zeitsch rift für klinische Medizin“ und 1881 den „Verein für innere Med i zin“ begründet. 1895 wurde er geadelt. Seit 1900 gab er mit F. Klemperer die „Deutsche Kl i nik“ heraus. Vgl. Pagel (1901), S. 1002. Außerdem war er ordentlicher Professor der militä r ärztl i- chen Akademie. Vgl. Schickert (1895), S. 199. 698 Vgl. Ewald (1915), S. 279. 699 Vgl. Rosenthal, C. (1906), S. 1361 u. Kastan (1919), S. 109.

122 Vorsitz von Emil Du Bois - Reymond hervor, nachdem ein Zusa m menschluss mit dem „Verein für klinische Wissenschaften“ 700 erfolgt war. Rosenth al gehörte auch dieser Gesellschaft an, nachdem er den Ruf nach Erlangen angenommen ha t- te. 701 Der Vorsitz Emil Du Bois - Reymonds ist von Hermann Munk kritisch beu r- teilt worden. 702 Die „Verhandlungen der Physiol o gischen Gesellschaft zu Berl in“ wurden in der von Emil Du Bois - Reymond he r ausgegebenen physiologischen A b- teilung des „Archivs für Anatomie und Ph y siologie“ (Verlag von Veit & Comp.) veröffentlicht.

2.6.2. Die Berliner Medizinische Gesellschaft

Rosenthal nahm auch an den Sitzungen der „Berliner Medizinischen Gesel l- schaft“ teil, 703 die im Oktober 1860 gegründet wurde. 704 Der Zweck der Gesel l- schaft bestand darin, „wissenschaftl i che Bestrebungen auf dem Gesamtgebiete der Medizin zu fördern, ein kollegiales Verhä ltnis unter den Mitgliedern zu e r ha l- ten und die ärztlichen Standesinteressen zu wahren.“ 705 Diese war aus dem Z u- sammenschluss der „Gesellschaft für wissenschaftliche Med i zin“ aus dem Jahr 1844 mit ihrem 1. Vorsitzenden Rudolf Virchow und dem „Verein Berliner Är z-

700 Dieser Verein war im Dezember 1867 gegründet worden. „Es war dies eine zwanglose freundschaftliche Vereinigung von Assist enten verschiedener Kliniken und Institute und ein i gen wissenschaftlich interessierten Ärzten aus der Stadt, die in einem Zimmer der Frerichschen Assistenten in der Charité zu Referaten über neu erschienene wissenschaftliche Arbe i ten und zu eigenen Mitteil ungen zusammenkamen. Nach der Sitzung wurde in einer benachbarten Resta u- ration zu Abend gegessen. Ein ähnlicher Verein, der zu dem unsrigen in stillem Gegensatz stand, war der sog. Raisonneur , dessen Hauptmitglieder Cohnheim, Lücke, Nothnagel, v. Recklingh ausen, Ludimar Hermann und Kühne gewesen sind. (...).“ Zit. n. Trendelenburg, Friedrich: Aus heiteren Jugendtagen. Julius Springer. Berlin. 1924, S. 184. Vgl. Trendele n burg (1936), 312. 701 Vgl. Prenzel (1969), S. 95. 702 Vgl. Munk (19 01), S. 16 - 18. Dort wird darauf verwiesen, dass sich Emil Du Bois - Reymond energisch gegen die Veröffentlichung der gehaltenen Vortr ä ge in einem eigenen Periodikum der Gesellschaft stellte, da er keine Konkurrenz zu seinem „Arc hiv der Physiol o gie“ duldete. Zudem wird sein Widerwillen hinsichtlich organisatorischer Belange der Gesel l schaft beklagt. 703 Vgl. Berliner Klinische Wochenschrift. 9. Jahrgang. 20. Mai 1872. Nr. 21. Abschn. VI.. Die „Verhandlungen der Berliner medicinische n Gesellschaft“ haben im Gegensatz zu den „Si t- zungsberichten der physikalisch - medicinischen Societät zu Erlangen“ keinen geschäftl i chen Teil, aus dem Vereinsstruktur hinsichtlich Personal und Literatur erkenn t lich wäre. 704 Zur Geschichte der Berliner Medizi nischen Gesellschaft siehe Pagel (1910), S. 1963 - 1967 sowie Goerke (1960), S. 3 - 16. 705 Zit. n. Goerke (1960), S. 6.

123 te“ hervorgegangen, der 1858 gegründet worden war und dessen Vorsitz Albrecht von Graefe 706 inne hatte. 707 Schon im Gründungsjahr zählte der Verein über 150 Mitglieder. 708 Treibende Kraft der erstgenannten Gesellschaft war R o senthals Freund Ludwig Traube , in dessen gesellschaftlichem Kielwasser R u dolf Vi r chow es verstand, seine standespolitischen Ziele auf Kurs zu halten. 709 Virchow lehnte allerdings den Vorsitz in der neuen Gesellschaft ab, so wurde Albrecht von Gra e- fe 1. Vorsitzender. 710 Auch diese Gesellschaft traf sich in verschiedenen Lokalen: Zunächst im „Norddeutschen Hof“, danach in einem Saal des Postgebäudes in der Artill e riest raße. 711 Die wissenschaftliche Ausrichtung wurde durch Fachvorträge gestaltet. Das gesellschaftliche Anliegen verwirklichte sich im gemütlichen Zusamme n sein nach dem offiziellen Programm. Häufig wurden „Nachsitzungen“ in verschi e denen L o- kalen abgehalten, wo bei sich das Gasthaus „Schünemann“ in der Lu i senstraße 46 besonderer Beliebtheit erfre u te. 712

Der Zusammenschluss dieser beiden größten Berliner Ärztevereine verfolgte die Absicht, das standespolitische Gewicht durch eine große Mitgliederzahl zu erhöhen. R udolf Virchow , der charismatische Arzt, Forscher und liberale Polit i- ker, verwies darauf, dass die Ärzte eine freie Ste l lung nur erwerben und halten könnten, wenn eine möglichst starke Vereinigung geschaffen würde und sich d e- ren Mitg lieder energisch einsetzten. 713 So war es neben der Förderung der wi s- senschaftlichen Bestrebungen das Ziel der Gesellschaft, die Standesintere s sen der Ärzteschaft zu vertreten.

2.6.3. Die Deutsche Gesellschaft für öffentl i che Gesundheitspflege

706 Albrecht von Graefe (1828 - 1870) war ein Schüler von Johannes Müller und wurde ein wel tberühmter Augenarzt. Er gilt als „größter Förderer und wissenschaftlicher Gründer der A u genheilkunde“. Zit. n. Munk (1956), S. 83. Er führte neue Operationstechniken gegen das Schielen und den Star ein. Vgl. Acke r knecht (1967), S. 172. 707 Vgl. Prenzel (196 9), S. 97. 708 Vgl. Goerke (1960), S. 6. 709 Zur Funktionalisierung von Vereinen und Gesellschaften für wissenschaftlich - politische und persönliche Ziele bei Virchow siehe Goschler (2002), S. 126 - 135. 710 Vgl. Goerke (1960), S. 7. 711 Vgl. Pagel (1910), S. 1963. 712 Vgl. Goerke (1960), S. 9. 713 Ebenda, S. 7.

124 Als Volksseuch e des 19. Jahrhunderts kann die Cholera bezeichnet we r den. 714 Sie gelangte über den indischen Subkontinent nach Europa, wo mehrere Pa n d e- mien ausgelöst wurden. Als „Asiatische Cholera“ wütete sie in den dreißiger Ja h- ren in Europa und forderte Tausende von Tot en. Schwere Epidemien br a chen 1854 in München, 1866 in Hamburg sowie 1872 und 1892 in Berlin aus. Nach dem Deutsch - Französischen Krieg 1870/71 kam es in Deutschland zu verheere n- den Pockenepidemien. 715 Die Industrialisierung hatte in den Städten zur Verele n- du ng breiter Bevölkerungsschichten geführt. Wohnungsnot, fehle n de Kanal i sation und mangelhafte Ernährung wurden als Nährboden für Seuchen erkannt. Zune h- mend wurde gesehen, dass Se u chen besonders in industriellen Ballungsräumen auftraten, wo hygienischen Miss stände herrschten. 716 Die T o desraten in den Fa b- riken hatten zur Mitte des Jahrhunderts solche Ausmaße a n genommen, dass ern s- te Zweifel aufkamen, ob genügend Arbeiter für die Fabr i ken und Sold a ten für die Wehrpflicht zur Verfügung stehen würden. Dem Staat wurd e bewusst, dass eine gesunde Bevölkerung die Vorausse t zung für seine eigene Machterhaltung und dass die Gesundheit des Volkes ein wirtschaftliches Gut sei. 717 Das staatliche I n- teresse förderte daher eine regelrechte Hygienepol i tik. Sie wurde zur Triebfeder f ür die öffentliche Gesundheitspfl e ge, die nicht nur auf die Universität beschränkt blieb, sondern in Verwaltung und Geset z gebung verankert wurde. 718 Überlegu n- gen der Volkswirtschaftlichkeit ve r schmolzen mit moralisch - ethischen Bemühu n- gen, die soziale Misere großer Bevölk e rungsgruppen zu beheben. 719 Auch die Gründung des Kaiserreiches gab der öffentlichen Gesundheitspflege starke I m- pulse. Gerade Berlin war beispie l haft für die industrielle Entwicklung. In unmi t- telbarer Nachbarschaft zur Char i té und den medizinis chen Kl i niken entstanden große Fabriken wie z. B. Borsig und Siemens , und das soziale Elend in den a n- grenzenden Wohnvierteln der A r beiter wurde Übungsgebiet für Hunderte von

714 Über die Bedeutung der Cholera für die Hygienebewegung siehe Labisch (1992), S. 124 - 127. 715 Eine detailliertere Auflistung der Epidemien findet sich bei Labisch (1992), S. 113. 716 Über die Entwicklung des Gesundhe itsbegriffs und den Beginn der Gesundheitsbewegung siehe besonders: Labisch (1992), S. 124 ff. 717 Hierzu dürfte die Anwendung von Virchows Krankheitsbegriff auf den „Staatskörper“ von großer Bedeutung gewesen sein. Über die M i schung von Medizin und Politik siehe besonders Goschler (2002), S. 286 - 295. 718 Vgl. Eckart (1998), S. 256. 719 Über dieses Krisenmanagement vgl. Kieseritzky (2002), S. 84 ff. Besonders auffällig ist das Bemühen Kaiser Wilhelm II., die kirchliche Arbeit der Inneren Mission und die Soziala r beit der von Johann Heinrich Wichern begründeten Diakonischen Anstalten zur innenpolit i schen Stab i- lisierung der Arbeitermassen zu funktionalisieren. Otto von Bismarck kritisch über diese Ve r- flecht ung s. Bi s marck (1928), S. 584 - 600.

125 angehenden Medizinern. 720 Die Dringlichkeit der so zialen Frage lag sozusagen vor der Haustür der medizin i schen Elite Deutsc h lands. Max von Pettenkofer wurde 1865 in München erster deutscher Professor für Hygiene und baute von 1876 bis 1879 das erste Inst i tut für Hygiene auf. U nter seiner Führung entstand in Deutschland ab der Mitte des 19. Jahrhu n derts eine starke Hygienebewegung, 721 an welcher auch Rudolf Virchow und dessen Sch ü ler Robert Koch maßgeblichen Anteil hatten. Koch entdeckt e 1883 den E r reger der Cholera und wies verunreinigtes Wasser als Ansteckungsquelle nach. 722 Auch Rosenthal hat sich der Hygienebewegung als einer medizinischen Lei t- wissenschaft der zweiten Häl f te des 19. Jahrhunderts angeschlossen. In den drei deutschen Ei nigungskriegen 1864, 1866 und 1870/71 wurde er außerdem als M i- litärarzt jedes Mal mit der Cholera konfrontiert und in diesem Zusa m menhang dazu motiviert, sich mit Fragen der Vorbeugung und Bekämpfung von Seuchen auseinander zu setzen.

Rosenthal spielte be i der Gründung „Gesellschaft für öffentliche Gesundheit s- pflege“ im Januar 1872 eine entscheidende Rolle. Zusammen mit Professor A u- gust Hirsch 723 und Baurat James Hobrecht 724 berief er „eine Anzahl der anges e-

720 Siehe Kap. 2.3.1., S. 63 . 721 Zur Geschichte der Hygiene sei hier besonders verwiesen auf Eulner (1970), S. 139 - 158. Hier finden sich reichlich Literaturangaben und ei ne informative Zeittafel (S. 156). 722 Vgl. Ackerknecht (1967), S. 157. 723 Der Kontakt zu August Hirsch dürfte über den Berliner Handwerkerverein zustande g e- kommen sein, in dem sich beide Männer engagierten. Hirsch erhielt 1863 den erst en Lehrstuhl für Geschichte der Medizin. Vgl. Goschler (2002), S. 164 ff. Hirsch (1817 - 1894) war vom Judentum zum Luthertum übergetreten. Von 1839 bis 1843 studie r te er in Leipzig und Berlin Medizin, wonach er sich zunächst als praktischer Arzt in seiner H eima t stadt Elbing niederließ. Sein umfangreiches „Handbuch der historisch - geographischen Pathologie“ war eine einziga r t i- ge Auswertung historischen, statistischen und bibliographischen Mater i als und brachte ihm 1863 die Ernennung zum ordentlichen Professor der Pathologie und medizinischen Geschic h te in Berlin. Im Deutsch - Französischen Krieg war er leitender Arzt eines Lazarettzuges. Vgl. Lauer (1972), S. 212. 724 James Friedrich Ludolf Hobrecht (1825 - 1902) begann sein Studium an der Bauakad e mie in Berlin 1847. Während der Revolution beteiligte er sich an der studentischen Bü r gerwache im Berliner Schloss. Er schloss das Bauingenieurstudium 1856 als Baumeister für den Lan d bau ab und machte zwei Jahre später eine zweite Prüfung, um Baumeister für Wasser - , Wege - un d Eisenbahnbau zu werden. 1861 wurde er als Stadtbaurat nach Stettin berufen. Er verfasste 1868 die Schrift „Ueber öffentliche Gesundheitspflege und die Bildung eines Central - Amts für öffentliche Gesundheitspflege im Staate“. Im August legte er dem Berline r Magistrat e i nen Entwurf einer Schlemmkanalisation vor. Sein Bruder Arthur Hobrecht (1824 - 1912) fö r derte dieses Projekt als Oberbürgermeister von Berlin. Für den Bau von Kanalisationen wurde er

126 henste n Männer der verschiedensten Berufskreise – Aerzte, Chemiker, Architecten, Verwaltungsbeamte, Abgeordnete u. s. w. – zusammen, um eine ´Deutsche Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege´ zu constituieren.“ 725 Weitere bekannte Mitglieder aus dem Kreis d er Du Bois - Reymond - Schüler w a ren Hermann Senator und Oscar Liebreich , 726 der n a tionalliberale Abgeordnete und spätere preußische Kultusminister Adalbert Falk , der Diplomat Georg von Bu n- sen sowie die Generalärzte Georg Gaffky und Friedrich Löffler . 727 An der Ve r- schiedenartigkeit der im Januar 1872 eingeladenen Personen ist zu erke n nen, dass den Herausforderungen der neuen Leitwissenschaft Hygiene ganzhei t lich bege g- net werden sollte. Der Erfolg war überwältigend: Noch im gleichen Jahr bega n- nen Ko n zeption und Realisierung der Berliner Kanalisation mit der technischen Besonde r heit des Radialsystems. Die monatlichen Versa mmlungen sollten „die Entwicklung der öffentlichen Gesundheitspflege auf wissenschaftl i chem und practischem Wege [zu] fördern.“ 728 In den Vorstand wurde Rosenthal allerdings nicht gewählt. Vermutlich lehnte er dies wegen seines Berufungsve r fahrens nach Erla n gen ab. Doch in den verbleibenden Monaten hielt Rosenthal in jeder Sitzung einen Vortrag. So referierte er z. B. im März über Erkältung s krankheiten. 729 Das publizistische Organ der Gesellschaft war die „Berliner Kl i nische Woche n- schrift“. Besonderes Interesse galt der Frage, wie die Übertr a gung von Krankhe i- ten verhindert werden könne. Zur Untersuchung von Desi n fektionsmitteln wurde in der Sitzung vom 24. Februar 1872 eine fünfköpfige Kommission g e bildet, zu deren Mitgliedern auch Rosenthal gehörte. 730 Die Gesel lschaft befasste sich im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens mit der Ei n- führung einer ärztlichen Leichenschau in Preußen, der Verbesserung der Schulh y- giene, der Impfgesetzgebung, dem Bau von Kanalisationen sowie der Beschrä n- kung von Kellerwohnungen. 731 Es wurde n Resolutionen verabschiedet und an

nach Moskau, Tokio und Kairo gerufen. Vgl. http:// www. dhm. de / lemo / html / biographien / Hobrecht James / 06. 01. 04 , S. 1 - 5 und Thi e nel (1972), S. 280. 725 Zit. n. BKW (1872.1), S. 181. Gründungsnotiz der Gesellschaft . 726 Oscar Liebreich (1839 - 1908) trieb zunächst chemische Studien bei Carl Remigius Fres e nius in , nachdem er Seemann gewesen war. 1859 wechselte er zur Medizin nach K ö- nigsberg, Tübingen und Berlin, wo er 1865 als Nachfolge r von Willy Kühne chemischer Assi s- tent am pathologischen Institut von Rudolf Virchow wurde. 1868 habilitierte er sich für Ar z- neimittellehre und wurde 1871 auße r ordentlicher Professor. Vgl. Schneck/Schulze (1996), S. 89. 727 Vgl. Pren zel (1969), S. 108. 728 Zit. n. BKW (1872.1), S. 181. 729 Vgl. BKW (1872.2), S. 193. 730 Vgl. BKW (1872.1), S. 182. 731 Ausführlicher zur Geschichte der Gesellschaft siehe Seligmann (1922), S. 2532 - 2535.

127 Behörden, Ministerien und Politiker weitergeleitet, und auf Drängen der Gesel l- schaft erfolgte die Einrichtung öffentlicher Gesundheitsämter. 732 Für R o senthal begann mit dieser Tätigkeit die Abkehr von rein physiologischen Frag e stellungen und die Hinwendung zu gesellschaftlich bedeu t samen Themen. Hier weitete sich der Blick für die Gebiete der Bildung und der Politik. Es war u n möglich, die in Resolutionen geforderten Veränderungen zu verwirklichen, o h ne sich politisch einz u b ringen. 733

2.6.4. Die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte

Eine Vereinigung, an welcher Rosenthal besonders lebhaften Anteil nahm, war die „Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte“. 734 Die Begriffe des N a tu r- forschers und des Arztes waren inzw ischen zum Mythos geworden, das heißt, mit ihnen waren Erwartungen und Vorstellungen verbunden, die über ihre fakt i sche Bedeutung weit hinausgingen: Das Bürgertum stilisierte den akademischen G e- lehrten zum Ersatzhelden, nachdem die ursprünglichen politisch en Ziele u n ter den Barrikaden der Revolution begraben werden mussten. 735 Im Kaiserreich erfüllte diese Aufgabe auch zunehmend der Beruf des Offiziers, besonders der Nac h- wuchs für die Marine wurde aus dem Bürgertum gewonnen und kaiserlich funkt i- onalisiert. 736 D och zunächst war der Naturforscher der Held des gehob e nen Bü r- gertums. Diese Bewertung kam darin zum Ausdruck, dass die Ve r sammlungen dieser Gesellschaft nicht einfach nur ärztliche Fachtagungen w a ren, sondern he r- ausragende gesellschaftliche Ereignisse für die ganze gastg e bende Stadt darstel l- ten. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, Gastquartiere zu stellen, Bälle wurden veranstaltet und umfangreiche fremdenverkehrsb e zogene Veranstaltungen wie Besichtigungen und Ausflugsfahrten organisiert. 737 Neben der wissensch aftlichen Funktion dienten die Versammlungen auch der Anba h nung standesgemäßer Ehen. 738 Es war eine Selbstverständlichkeit, dass Profe s soren ihre Töchter und

732 Vgl. Ebenda, S. 2533. 733 Vgl. Kap. 3.6.2., S. 232 ff. 734 Zur Geschichte dieser Gesellschaft vgl. Pfannenstiel (1958), Schipperges (1968), Querner/Schipperges (1972) und Engelhardt (1997). 735 Über die Vorstellung, dass Gesellschaft und Kultur vom Fortschritt der Naturwissenscha f- ten abhänge siehe Goschler (2002), S. 75 - 87. 736 Zur inneren Struktur des Offizierskorps der Kaiserlichen Marine vgl. Schultze - Wegener (1998), S. 77 - 86. 737 Vgl. Pfannenstiel (1958), S. 148. 738 Vgl. Goschler (2002), S. 119.

128 Söhne mitnahmen, zumal das vielseitige Rahmenpr o gramm eine natürliche Mö g- lichkeit darbot, Bekanntsch aften zu schließen und Kontakte zu pflegen. Nicht ganz uneigennützig war die Bereitstellung eines Gastquartieres für einen Natu r- forscher oder Arzt oft von dem Wunsch begleitet, der Tochter des Hauses zu e i- ner guten Partie zu verhelfen. 739 Dies erklärt sich d urch den enormen sozialen Druck zur Eheschließung, da die patriarchalische Gesellschaftsordnung des 19. Jahrhunderts die Rolle der Frau fast ausschlie ß lich auf den familiär - häuslichen Bereich beschränkte. 740 Die Eheschließung mit einem Naturforscher wurde o ffe n- sichtlich als Möglichkeit wah r genommen, sich in die aufstrebende bürgerliche Gesellschaft zu integrieren. Ausgeprägtes Re p räsentationsbedürfnis, das heißt entsprechende Garderobe seitens der Dame n welt sowie wissenschaftlich - martialisches Imponierverhal ten seitens der Natu r forscher und Ärzte scheint nicht selten die Geselligkeit nach den Veranstaltu n gen bei Tisch, Wein und Tanz b e- stimmt zu haben. 741 Gegründet wurde die Gesellschaft 1822 durch den Forscher und Philosophen Lorenz Oken i n Leipzig. Im politisch zerrissenen Deutschland sollte eine geist i ge Einheit auf dem Gebiet der Wissenschaft geschaffen werden. 742 Auch Al e xander von Humboldt gehörte zu den Gründungsmitgliedern. Die Vielfalt der sich entw i- cke lnden Teilgruppen war außerordentlich. Kein Bereich blieb ausg e spart, Erfi n- der wie Werner von Siemens und Philosophen wie Wilhelm Os t wald 743 gehörten ebenso dazu wie Rudolf Virchow und andere namhafte Pe r sö n lichkeiten der G e-

739 Die Funktionalisierung der Versammlungen seiten s der Gastgeber zur Eheanbahnung b e- schreibt lesenswert, wenngleich spöttelnd - ironisch Pfannenstiel (1958), S. 148. 740 Die normative Kraft der mit wissenschaftlichem Anspruch vertretenen Ausführungen R u dolf Virchows im Hinblick auf die Beschränkung der Frau auf den Beruf der Hausfrau und auf die Geschlechterrollen kann kaum überschätzt werden. Vgl. hierzu: Rudolf Vichow, Ueber die Erziehung des Weibes für seinen Beruf. Berlin. 1865. Zur Frauenfrage vgl. Kuhn, B.: Fam i lie n- stand ledig. Ehelose Frauen und Männer im Bürge r tum 1850 - 1914. Köln. 2000. 741 Vgl. Pfannenstiel (1958), S. 155. 742 Vgl. Engelhardt (1997), S. 4. 743 Wilhelm Ostwald (1853 - 1932) wurde 1887 als Professor der Chemie von Riga an den d a- mals ersten Lehrstuhl für physikalische Ch emie an der Universität Leipzig berufen. Er form u- lierte 1888 das Verdünnungsgesetz und erhielt für seine Arbeiten zur Enzym - Katalyse 1909 den Nobelpreis für Chemie. Vorzeitig auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt, widm e te er sich der Wissenschaftsge schichte und Philosophie. Sein Buch „Große Männer“ (1909) ve r- sucht vor dem Hintergrund einer tief empfundenen Reformbedürftigkeit anhand ausg e wählter Biographien die Zusammenhänge zwischen geschichtlicher Gr ö ße und seelisch - körperlicher Voraussetzung der b etrachteten Persönlichkeiten darzustellen. Hier sei besonders auf die Os t- wald´sche Einteilung der Charaktere in Klassiker und Romantiker verwiesen: Os t wald (1910), S. 371 - 388. Es markiert den Beginn einer Buchreihe gleichen Inhalts. Vgl. R e mane (2001), S. 519 u. 520.

129 lehrtenwelt. Die Tagungen waren auch international von großem Interesse. So hielt z. B. Fridtjof Nansen 1899 einen Vo r trag über seine Reise zum Nordpol. 744 Der erste Hinweis auf Rosen thals Teilnahme an der 35. Versammlung Deu t- scher Naturforscher und Ärzte findet sich 1860 in Königsberg, auf welcher er „Über den Einfluss der Nervi vagi auf die Bewegungen des Zwerchfells“ vo r- trug. 745 Rosenthal blieb der Gesellschaft bis zu seinem Lebensend e verbunden. 1886 stellte er auf der 58. Versammlung in Straßburg sein Mikrogalvanometer vor, dessen Empfin d lichkeit weit über der des Froschnerven lag. 746 Rosenthals Frau Anna und sein Sohn Werner zählten oft zu seinen Begle i- tern. 747 Nachdem dieser das Elternhaus verlassen hatte, dienten die Versam m lu n- gen überdies als kleines Familientreffen. 748 Rosenthal scheute selbst weite Reisen nicht, wie die Reise zur 63. Versam m- lung nach Bremen 1890 zeigt. Hier trug er in der „physiologischen S ection“ seine „Mitteilungen über die Wärmeproduktion bei Säugetieren“ 749 vor und r e ferierte über den Einfluss Antoine Lavoisiers auf die modernen physiologisch - chemischen Anschauungen. 750 Im September 1893 präsentierte er auf der 65. Versammlung in Nürnberg di e Ergebnisse seiner weiteren Untersuchungen zum Wärmehaushalt. 751 Seit 1893 erscheint auch Rosenthals Name im Mitgliede r verzeichnis der Gesel l- schaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. 752 Es ist ersichtlich geworden, wie vielfältig Rosenthals Engagement in wis se n- schaftlichen Vereinigungen war. Doch über die beruflich ausgerichteten Vere i ne und Gesellschaften hinaus brachte sich Rosenthal auch im politisch - sozialen B e- reich ein. Medizin wurde zunehmend als soziale Wisse n schaft verstanden, sodass

744 Fridtjof Nansen hielt am 18. September 1899 einen Vortrag zu dem Thema „Meine Fo r- schungsreise nach der Nordpolregion und deren Forschungsergebni s se“. Vgl. Tageblatt der 71. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärz te in München. 17. September 1899. Nr. 1. München. 1899, S. 1. 745 Vgl. Rudolph (1972), S. 164 und Rosenthal (1862), S. 258. 746 Vgl. Ewald (1915), S. 278. 747 Vgl. Ewald (1915), S. 279. 748 Aus dem Tageblatt ist zu entnehmen, dass der in Frankfurt gemeldete Werne r Rose n thal mit seinen Eltern im Hotel „Leinfelder“ Unterkunft genommen hatte. Vgl. Tageblatt der 71. Ve r- sammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in München. 17. September 1899. Nr. 1. Mü n- chen. 1899. S. 10. 749 Vgl. Lassar (1891), S. 177 u. 648. 750 Vgl. Ber liner Klinische Wochenschrift. 29. September 1890. Nr. 39. S. 907. Veröffentl i- chung des Vortrags siehe Rosenthal (1891.4), S. 513 - 542. 751 Veröffentlichung dieses Vortrags siehe Rosenthal Wochenschrift (1893), S. 1 - 14. 752 Siehe Verhandlungen Deutscher Naturfo rscher und Ärzte 1893. 65. Versammlung in Nür n- berg. Teil 2. Abteilungssitzungen. F. C. Vogel. Leipzig. 1894, S. 52.

130 die Betätigung fü r viele Mediziner auf politischem Gebiet zur Selbstve r ständlic h- keit wurde. 753

2.7. Gesellschaftliche Kreise Rosenthals

Rosenthal, Arzt und Naturwissenschaftler vom Scheitel bis zur Sohle, brac h te sich auch im öffentlichen Leben der nichtakademischen Gesel l sc haft ein. Aus einfachen Verhältnissen stammend, 754 ebnete die akademische Laufbahn R o- senthal den Weg in die bürgerliche Gesellschaft, womit eine Anpa s sung an deren Werte und Normen verbunden war. In der Zeit vor der Revolution 1848/49 hatten die Ideen von F reiheit, Nation, Konstitution, Gewaltenteilung und Volkssouver ä- nität begeisterte Aufnahme im Bürgertum gefunden. 755 Als die Verwirklichung dieser Gedanken mit dem Scheitern der Revolution in die Ferne rückte, kam es zu einer Neuorientierung. In Bildung und W issenschaft, Volkserziehung und der Pflege von Kunst und Musik fand das gehobene Bü r gertum neue Betätigungsfe l- der und Inhalte für sein gesellschaftliches Se n dungsbewusstsein. 756 Es ist schwer zu entscheiden, was Ursache und was Wi r kung an diesem Bildungsidea l bei R o- senthal gewesen ist: Erziehung oder Zei t geist? Offensichtlich ist, dass die Fragen der Volksbildung einen überdurc h schnittlich großen Anteil an Rosenthals persö n- lichem Einsatz im gesellschaftl i chen Leben einnahmen. 757 Emil Du Bois - Reymond und Rudolf Virchow vertr a ten die Auffassung, dass die postrevoluti o- näre Gesellschaft nur durch die m o derne Naturwissenschaft zu verändern sei, wodurch der Wissensvermittlung e i ne zentrale politische und soziale Be deutung beigemessen wurde. 758 Wie im Folgenden gezeigt wird, hat Rosenthal diesen id e- ologischen Ansatz vollstä n dig übernommen.

753 Zur Auflösung des Unterschiedes zwischen Medizin und Politik und der Proklamation der medizinischen Wissenschaft als soziale Wissenschaft siehe Goschler (2002), S. 177 ff. 754 Siehe Kap. 2.1., S. 43 , 2.3.1., S. 55 und 2.3.4., S. 84 . 755 Eine prägnante Zusammenfassung der geistigen Inhalte der Revolution bietet Goerlitz (1970), S. 58. 756 Vgl. Haupt (1998), S. 167. 757 Dies liegt im Einfluss des bürgerlich - liberalen Milieus begründet, in dem sich Rosenthal b e- wegte. Seine zahlreichen Kontakte zu herausragenden liberalen Berliner Politikern wie zum Beispiel Ludwig Bamberger (vgl. Höber , 1915, S. 294) zeigen auf, dass er sich auch mit den politischen Zielen des Fortschrittsliberalismus hinsichtlich der Arbeiterbildung identif i zierte. Vgl. Kap. 2.5.3., S. 114 . 758 Zur engen Verfle chtung von Naturwissenschaft, Erziehung und Bildung im Liberali s mus vgl. Goschler (2002), S. 350 f.

131 2.7.1. Das Deutsche Gewerbemuseum

Im Jahre 1867, dem Jahr der Ernennung Rosenthals zum Professor, wurde in Be r- lin das „Deutsche Gew erbemuseum“ gegründet. 759 Zu dessen ersten Vo r stand s- mitgliedern 760 gehörten u. a. Rosenthal, der Herzog Viktor von Ratibor , Bunde s- kanzleramtspräsident Rudolf von Delbrück , 761 Landbaumeister Professo r Martin Gropius , Fabrikbesitzer Johann Georg Halske , Stadtrat Julius von He n nig , Maler Ernst Ewald , Kommerzienrat Hugo Kuhnheim und andere bedeute n de Personen aus der Berliner Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Die bunte Z u sammensetzung des Vorstandes lässt erkennen, dass es das Anliegen unte r schiedlicher Beruf s- gruppen war, im Sinn eines Bildungsauftrages tätig zu we r den. Gemäß §1 d er Satzungen war es der Zweck des Deutschen Gewerbemus e ums „den Gewerb e- treibenden die Hilfsmittel der Kunst und Wissenschaft z u gänglich zu machen.“ 762 Der künstl e rischen und wissenschaftlichen Ausbildung wurde großes Gewicht beigemessen, da man erwartete, da ss „der poetische Geist“ für die Belebung des Gewerbefleißes unbedingte Voraussetzung und damit von schöpfer i schem Wert für die Entwicklung der gesamten Industrie sei. Die Beobachtung, dass in Deutschland der industrielle Fortschritt gegenüber England und Frankreich z u- rückliege, wurde auf den Mangel an Unterricht und Erziehung der breiten Massen zurüc k geführt. Das Bürgertum fühlte sich nun berufen, dem Staat die Fürsorge auf diesem Gebiet abzunehmen, da dieser vor wichtigeren politischen Aufgaben st e- he. 763 Ge istige Bildung des einfachen Mannes empfand man als Vorausse t zung für die industrielle Entwicklung und als eine Quelle des Wohlstands. 764 Die Mö g- lichkeiten Deutschlands, den Wel t markt zu erobern, sollten durch die Ve r bindung seiner materiellen und geistigen Kräfte gefördert werden. Die Gründungsmitgli e-

759 Zu seiner Gründung und den von ihm verfolgten Interessen vgl. Deutsches Gewerbe - Museum (1867), S. 3 - 6. Satzungen s. ebenda, S. 7 - 12 sowie ausgiebige Besch reibung der Sammlung S. 16 - 22. 760 Vgl. Grunow (1868), S. 3. 761 Rudolf Delbrück (1817 - 1903), der spätere Chef des Reichskanzleramtes, gilt als herausr a- gender Vertreter der Freihandelsidee. Er gehörte neben Erich Marcks, Friedrich Meier, Frie d- rich Naumann und Max Weber zu der Gruppe von Politikern, Historikern und Soziol o gen, die bereits die Entwicklung der Nationalstaaten unter globalen Kategorien betrachteten und von einem künftigen Weltgleichgewichtssystem unter Deutschlands Führung redeten. Vgl. Häu s ler (1 998.2), S. 309. Als sich unter Bismarck der Konflikt um die Schutzzollpolitik abzeichn e te, trat er 1876 von allen Regierungsämtern zurück. 1896 wurde er geadelt. Vgl. Krockow (2000), S. 316. 762 Zit. n. Deutsches Gewerbe - Museum (18 67), S. 7. 763 Zit. n. Deutsches Gewerbe - Museum (1867), S. 7. 764 Vgl. Deutsches Gewerbe - Museum (1867), S. 4.

132 der ve r traten den Standpunkt, dass „die geistigen Schätze in den Allgemein - Besitz eines Volkes überg e hen“, 765 also zum Gemeingut der gesamten Bevölk e- rung gemacht werden müs s ten, um die nichtgeistigen Schätze, zum Beispiel B o- denschätze oder Produkt i onsmittel, ausschöpfen zu kö n nen. Die praktische Ausführung dieses Gedankens war die Gründung des Gewe r- bemuseums, das „eine Muster - Sammlung von gewerblichen Gegenständen und Modellen, sowie eine technisch künstlerische U nterrichts - Anstalt nebst Bibli o- thek“ 766 enthielt. Dafür wurden die Räume des ehemaligen „Dioramas“, dem Eckgebäude an der Stallstraße 7 und der Georgenstraße 7, verwendet. 767 Die Ausstellungsgegenstände wurden durch Kauf, Schenkung oder durch die G e we r- betreibe nden und Arbeiter selbst zur Verfügung gestellt. Beachtlich war die Vie l- zahl der ausgestellten Waren. Es handelte sich im Wesentlichen um einen Que r- schnitt durch das gesamte zeitgenössische Warenangebot: Häusermodelle, Tre p- pen, Öfen, Tapeten, Möbel, Hausha ltsgeräte, Spielzeuge, Stoffe, Geschirr, M u- sikinstrumente, Schmuck, Reinigungsmittel, kurz um Erzeugnisse aus allen L e- bensbereichen. 768 Im Grunde genommen war die Ausstellung ein Vorläufer der Ha m burger Messe „Du und deine Welt“. Ein weiterer Grundgedanke d es Vereins war der Unterricht. Ein Vorlesung s- saal, dessen Eingang in der Stallstraße 7 lag, diente als Unterrichtsraum. 769 Der Arbe i terschaft sollte durch öffentliche Vorträge und Vorlesungen sowie durch Benutzung der Bibliothek eine fachliche und künstleris che Aus - und Weiterbi l- dung ermöglicht werden. Es wurden auch Modellier - und Zeichenkurse durc h g e- führt, die 1867 schon von über 330 Schülern besucht wurden. Das Deutsche G e- werbemuseum war so ein Vorläufer der Volkshochschule unserer Tage. J. R i- chard Ewald , ein Sohn des oben genannten Vo r standsmitgliedes, berichtet, wie er als Schüler zum erstenmal Rosenthal bei e i nem Vortrag über Elektrizität erlebte. Der Vortrag sei so anschaulich und l e bendig gewesen, dass er sich noch heute an ei nzelne Worte erinnere. 770 Trotzdem gelang es wohl nicht, die erhof f ten Zuh ö- rerzahlen bei den Vorträgen zu erreichen. Die Annahme der Angebote des Ve r- eins durch die Arbeiterschaft und die Gewerbetreibenden scheint hinter den Vo r- stellungen der Begründer zurück geblieben zu sein. Doch ist es beach t lich, dass Menschen aus derart unterschiedlichen Berufen einen Verein gründ e ten, um dem

765 Zit. n. Deutsches Gewerbe - Museum (1867), S. 4. 766 Zit. n. Deutsches Gewerbe - Museum (1867), S. 5. 767 Eine ausführliche Beschreibung der Liegenschaft fi ndet sich bei Grunow (1868), S. 2. 768 Die vollständige Sammlung ist aufgeführt bei Grunow (1868), S. 8 - 26. 769 Vgl. Grunow (1868), S. 2. 770 Vgl. Ewald (1915), S. 278.

133 Bildungsnotstand der durch die industrielle Revolution entstand e nen Arbeite r- massen zu b e gegnen.

2.7.2. Der Berliner Salon

Ein wich tiger Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens war auch der Berl i ner Salon. Er war eine Einrichtung, die vor allem das Ergebnis oder g e nauer gesagt, die kulturelle Leistung des sich emanzipierenden Judentums des 19. Jahrhu n derts darstellte. 771 Da die Juden außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft sta n den, bild e- te der Salon einen Ort, wo die gesellschaftlichen Schranken weitg e hend durch das gemeinsame Ideal der Bildung und durch die Begeisterung für Literatur, Kunst und Philosophie überwunden waren. 772 Im Mittel punkt sta n den jüdische Frauen als Gastgeber. Man pflegte den Grundsatz der „offenen Gesel l schaft“ 773 und traf sich regelmäßig und meist ohne Einladung, vielfach waren Kontakte über Em p- fehlungen in Briefen entsta n den. Im Unterschied zu anderen Kreisen wie z. B. der „Christlich - Deutschen Tischgesellschaft“, wurden hier keine üppigen Gastmähler gehalten, sondern bei Tee und Gebäck standen U n terhaltung sowie der musikal i- sche oder schriftstellerische Vortrag im Mitte l punkt. 774 Von völlig untergeordn e- ter Bedeutung wa ren Herkunft und Bildung s patente im formalen Sinn von Pr ü- fungen oder akademischen Abschlüssen. Das musste ja auch in dem Maße so sein, wie sie den Juden staatlicherseits verwehrt waren. Dem Wesen ihrer Gas t- geber entsprechend, waren die jüdischen Salons Tre ffpunkte für Nonkonformi s- ten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderten sie sich zwar in Ric h- tung großbürgerlicher, aristokratischer Selbs t darstellung, doch der Grundsatz des offenen Hauses und damit die Möglichkeit für Außenseiter, Aufnahme i n die g e- hobene Gesellschaft zu finden, blieb best e hen. Der Salon blieb ein Mittel zur I n- tegration. 775 In den sechziger Jahren wu r den die Salons zunehmend politischer.

771 Zur Geschichte des Salons im 19. Jahrhundert vgl. Möller (1998), S. 467 ff. und Wilhelmy (1 989). Dieses Buch besticht durch den Reichtum an Quellen - und Literaturangaben im Hi n- blick auf Korrespondenzen und biografisches Material. 772 Vgl. Kap. 2.2., S. 50 f. 773 Zit. n. Volkov (2000), S. 14. 774 Achim von Arnim gründete 1811 die Christlich - Deutsche Tischgesellschaft als Gegenpol zu den Salons. Voraussetzung war die Geburt im Christentum. Zu den Mitgliedern gehörten Off i- ziere wie v. Clausewitz, der spätere Kultusminister Eichhorn, Clemens Brentano, der Hi s tor i- ker Savigny und de r Philosoph J. G. Fichte. Die Gesellschaft war ausgesprochen antij ü disch eingestellt. Vgl. Möller (1998), S. 472. 775 Vgl. Wilhelmy (1989), S. 242

134 Das lag daran, dass der Liberalismus an Bedeutung gewann, dessen Ziel der fre i- heitliche bü r gerliche Verfassungsstaat war. Wegen der Heeresreform kam es zu Spannungen zwischen König Wilhelm I. und dem Parlament, die jedoch durch Bismarck nach den gewonnenen Kri e gen von 1864 und 1866 allmählich an G e- wicht verloren. 776 Die politische En t wicklung spaltete auch die Salons später in bismarckfreundliche und bismarc k feindliche Gesel l schaften. Als Hermann von Helmholtz , einer der besten Freunde von Emil Du Bois - Reymond , 1871 auf den Lehrstuhl der Physik nach Berlin berufen wurde, en t w i- ckelte sich der Salon seiner Frau Anna zu einer der wichtigsten Gesellscha f ten Berlins. 777 Emil Du Bois - Reymond war dort häufiger Gast, 778 neben Persö n lic h- keiten w ie dem Staatsminister Rudolf von Delbrück , dem Physiker Heinrich Hertz , dem Theologen Adolf von Harnack , dem Physiker Heinrich Gustav Ma g- nus , Pr ofessor Ernst von Leyden , dem Bankier Robert von Me n delssohn - Bartholdy , den Histor i kern Theodor Mommsen und Leopold von Ranke , nicht zul etzt Werner von Siemens , Richard Wagner und der jüd i schen Schriftstellerin Fanny L e wald . 779 Inwieweit Rosenthal Gast im Hause Helmholtz war, lässt sich nicht bel e gen, da der Salo n erst zur Blüte kam, als Rosenthal bereits den Ruf nach Erlangen ang e- nommen hatte. Es ist allerdings davon auszugehen, dass er in der Grü n dungszeit die Gesellschaft b e sucht hat, da gute Kontakte zu Gustav Magnus, Emil Du Bois - Reymond sowieso und zu Rudolf von Delbrück durch die Vo r standsarbeit der Gesellschaft des Deutschen Gewerbemuseums schon jahrelang bestanden. 780 Leyden und Rosenthal hatten schon manches Bier im Wa g ner´schen Bierhaus 781 als Mitgli eder des Vereins „Raiso n neur“ getrunken. 782

776 Über Ursachen und Auswirkungen des Heeres - und Verfassungskonflikts in Preußen siehe Haupt (1998), S. 177 - 178 . 777 Vgl. Wilhelmy (1989), S. 660 778 Eine Übersicht der Gäste findet sich bei Wilhelmy (1989), S. 661 - 669 779 Fanny Lewald (1811 - 1889) war die Tochter des jüdischen Kau f manns David Lewald. 1828 trat sie unter dem Einfluss des Theologen Lu dwig Kählers zum Christe n tum über. Seit Mitte der fünfziger Jahre unterhielt sie einen der bekanntesten Salons Berlins für Gelehrte und Schriftsteller, besonders aber für Politiker und Forscher. Nach ihrer Scheidung heiratete sie 1855 den Philologen und Sc hriftsteller Adolf Stahr. Sie blieb kinde r los, hatte allerdings ein sehr gutes Verhältnis zu den Kindern ihres Mannes. In der Revolution war sie demokratisch gesinnt, nach 1866 begann sie Bismarcks Politik zunehmend zu billigen, verlor aber nicht ihre grun dl e- gend liberale Einstellung. Vgl. Wilhelmy (1989), S. 722 f. 780 Vgl. Kap. 2.7.1., S. 128 . 781 Siehe Bildteil Abb. 16. 782 Vgl. Ewald (1915), S. 279.

135 Einen der berühmtesten Salons führte Bettina von Arnim . 783 Hier verkehrten sowohl Mitglieder der Königsfamilie als auch demokratische Schriftsteller. Be t t i- na von Arnim hatte in den Jahren 1841 bis 1848 einen regen Briefwechsel 784 mit Rosenthals Onkel 785 Heinrich Bernhard Oppenheim 786 geführt. Wahrschei n licher ist allerdings, dass Rosenthal im Salon von Fanny Lewald verkehrte. Hier traf sich der Kreis seiner engsten Freunde: Eduard Lasker , der jüdische Reich s tagsa b- geordnete der Nationalliberalen Partei und sein Verwandter, der liberale Pol i tiker und Jurist Heinrich Bernhard Oppenheim . Fanny Lewald lud Lasker schon 1868 persönlich zu sich ein, 787 beide führten eine herzliche Korrespo n denz. Eduard Lasker und Heinrich Bernhard Oppenheim gehörten zu Rose n thals ersten Gästen in Erlangen nach dessen Fortzug aus Berlin, was für die I n tensität dieser Freun d-

783 Bettina von Arnim (1785 - 1859) war die Tochter des aus i talienischem Adel stamme n den Frankfurter Kaufmanns Brentano. 1811 heiratete sie den Freund ihres Bruders Clemens Achim von Arnim und zog auf dessen Gut in Wiepersdorf, wo sie Mutter von sieben Kindern wurde. Nach dem Tod ihres Mannes kam sie nach Berl in und entfaltete eine umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit. Sie setzte sich besonders für Arme ein. Ihre beste Freundin wurde Rahel Varnh a gen. Vgl. Wilhelmy (1989), S. 586 - 587. 784 Eine hervorragende Bearbeitung des Briefwechsels bietet das Buch von P üschel (1990). Hier finden sich Angaben zu allen in den Briefen genannten Personen und umfangreiche Que l- lenangaben. 785 Die verwandtschaftliche Beziehung ist zweifelsfrei in der Korrespondenz Heinrich Marquardsens mit Eduard Lasker na chgewiesen. Hier wird Rosenthal als Neffe von Heinrich Bernhard Oppenheim g e nannt. Vgl. BAB: N 2138 / 14, Bl. 74. 786 Heinrich Bernhard Oppenheim wurde am 20. Juli 1819 in Frankfurt a . M. geboren und stammte aus einer angesehenen jüdischen Bankiersfamilie. Er studierte Rechtwissenscha f ten in Göttingen, Heidelberg und Berlin, wo von 1839 bis 1840 regen Kontakt mit Bettina von A r- nim , einer Schwester von Clemens Brentano, hatte. Diese führte einen bekannten Berliner S a- lon in der Dorotheenstraße und Unter den Linden, im Haus des Grafen Raczýnski und im Tie r- garten, wo Größen wie Geibel, Schinkel, Hoffmann v. Fa l lersleben, Fanny Lewald , Franz L iszt , Ranke, Schleiermacher , Savigny sowie die Brüder Grimm und Humboldt verkehrten (vgl. Wilhelmy , 1989, S. 591). 1840 wurde Oppenheim Privatdozent für Natur - , Staats - und Völke r- recht in H eidelberg. Zum Zeitpunkt der Revolution war er wieder in Berlin und trat am 9. März 1848 als Redner in der aufgeregten Volksversammlung im Tiergarten auf. Er war Haup t- redakteur der Berliner Zeitung „Die Reform“, die mit Mitarbeitern wie Bakunin und Herwegh Organ der linken Nationalve r sammlung wurde. 1849 unterstützte er die Badische Revolution und den Leiter der provisorischen Regierung Brentano. Infolge der Reaktion ging er nach Frankreich, Belgien, Holland, England und in die Schweiz ins Exil. Er leitete seit 1862 „Die Deutschen Jahrbücher für Politik und Literatur“, verfasste das Parteiprogramm der Nationall i- beralen und wurde 1873 als Abg e ordneter des Fürstentums Reuß in den Deutschen Reichstag gewählt. Oppenheim starb am 29. März 1880 in Berlin. Vgl. P ü s chel (1990), S. 9 - 31. 787 Vgl. BAB: N 2167 / 186, o. S.

136 schaften und Familienbande spricht. 788 Auch Ludwig Bamberger , 789 der b e kannte liberale Politiker und Finanzfac hmann, verkehrte hier. Es ist belegt, dass Rose n- thal mit Ludwig Bamberger noch nach seiner B e rufung nach Erlangen korrespo n- dierte. 790 Fanny Lewalds Salon war derjenige, in welchem sich die meisten N a- turwissenschaftler und liberale P olit i ker trafen. In den 1850er Jahren bestand der Salon in der Wohnung am Leipziger Platz Nr. 3. Seit März 1860 befand er sich in der Matthäikirchstraße 18, also ganz in der Nähe von Rosenthals Wohnung im Blumes Hof. Auch sein jüdischer Kollege, Freund und Lehrer Ludwig Tra u be war hier häufiger Gast, außerdem Bettina von Arnim , Theodor Fontane und Franz Liszt . 791 Es ist wahrscheinlich, dass Rosenthal hier über sei ne politischen Kontakte auch seine Frau kennen lernte. Denn Anna Jeanette Amalie Höber war die Nic h te von Heinrich Bernhard Oppenheim . 792 Die verschiedenen Salons waren von einer b e- achtlichen Fluktuation g e kennzeichnet, s odass sich die Bekanntschaften häufig überschnitten. Der Eindruck drängt sich auf, dass jeder jeden kannte. Die Eh e- schließung Rosenthals mit Anna Amalie Höber fand am 30. September 1869 statt und erfolgte vor dem Berliner Stadtge richt, 793 da dieses für die Zivilg e richtsba r- keit zuständig war. Erst 1879 traten Amtsgericht und Landgericht an dessen Ste l- le. 794

788 Vgl. BAB: N 2167 / 260, Bl. 5. 789 Ludwig Bamberger (1823 - 1899) war wie Oppenheim Jude. Beide beteiligten sich an der Revolution von 1848 und hatten intensiven Kontakt zu Betti na von Arnim . Vgl. Püschel (1990), S. 12. Er wurde wegen seiner Aktivitäten während der Revolution zum Tode verurteilt und floh ins Ausland, wo er sich in London, Antwerpen und Paris eine gründliche Ausbildung im Bankwesen erwarb . Nach einer 1866 gewährten Amnestie kehrte er nach Deutschland z u- rück. Ihm verdankt Deutschland die Gründung der Reichsbank und eine einheitliche Gol d wä h- rung. Neben Gerson von Bleichröder, dem ersten geadelten Juden und Finanzverwalter Bi s- marcks, gehört e r zu den herausr a genden Juden des Kaiserreiches. Vgl. Trepp (1996), S. 159. Bamberger war Publizist und Bankier in Berlin und von 1868 bis 1893 Mitglied des Reichst a- ges. Zuerst Angehöriger der Nationalliberalen Partei, gehörte er ab 1880 der Liber a len Vere i- nigung unter Führung von Eduard Lasker und ab 1884 der Deutschen Freisi n nigen Partei an. Vgl. Kieseritzky (2002), S. 503. 790 Im Brief vom 17. November 1883 an Franz Freiherr von Stauffenberg berichtet Rosenthal über seine Korrespondenz mit Bamberger. Vgl. BAB: N 2292 / 63, Bl. 3. 791 Vgl. Wilhelmy (1989), S. 728. Eine umfangreiche Liste der Gäste im Salon von Fanny L e- wald findet sich auf den S. 725 - 731. 792 Vgl. LAB: A. Pr. Br. Rep. 005A. Bd. 6853, S. 97. 793 Siehe Heiratsregister der Juden bei LAB: Pr. Br. Rep. 5 A. Vol. IV. Bd. 6841, S. 122. 794 Vgl. Wetzel (1992), S. 247.

137 2.8. Der Soldat Rosenthal

Es war der Wunsch vieler Juden, wie jeder andere Staatsbürger Wehrdienst lei s- ten zu können. 795 Das Wehrge setz aus dem Jahr 1814 verpflichtete mit dem § 16 die Juden eines Kantons vom 20. Lebensjahr an zum Weh r dienst. 796 Zwar war es durch verschiedene Kabinettsorder wieder außer Kraft gesetzt wo r den, doch sah sich König Friedrich Wilhelm IV. unter dem Druck seiner Minister, der ö f fentl i- chen Meinung und nach massiver Agitation des jüdischen „Vereins für den Kriegsdienst“ veranlasst, die Wehrpflicht mit der Kabinettsorder vom 31. D e- zember auf ganz Preußen, also auch auf die Pr o vinz Pos en, auszudehnen. 797 Es hatte eine wirkungsvolle jüdische Petitionsbewegung gegen Entlassungen aus dem Wehrdienst und Einschränkungen der Wehrpflicht gegeben. Der König konnte seine Bemühungen, die allgemeine Wehrpflicht für J u den wieder außer Kraft zu setzen , nicht aufrechterhalten. In der Öffentlichkeit hatte sich die Me i- nung durchgesetzt, dass der Militärdienst ein ausgezeichnetes Mittel sei, um den Einzelnen zu einem brauchbaren Staat s bürger zu erziehen. So brauchten Juden kein Rekrutengeld mehr zu bezahle n und leisteten den Wehrdienst als staat s bü r- gerliche Pflicht, ohne länger die „Feigheitssteuer“ 798 entric h ten zu müssen. Eine Flut von Dankschreiben an den König war die Folge, als Friedrich Wi l helm IV. 1845 alle Einschränkungen des Wehrdienstes für Juden au fhob. 799 Umso größere Enttäuschung muss das Gesetz vom 23. Juli 1847 ausgelöst h a ben, in welchem Juden der Zugang zur Offizierslaufbahn verwehrt wurde. De n noch machte die Emanzipation langsam For t schritte, und ein Jahr später erfolgte die Ernennung der erste n jüdischen Militä r ärzte. 800 Nach der Heeresreform der Jahre 1859 bis 1862 hatte sich die Struktur der Streitkräfte geändert. 801 Die Landwehr, in der auch bürgerliche Offiziere die n ten, war reduziert und in ihren Aufgaben beschränkt worden, während das Fel d he er, in dem überwiegend adelige Offiziere dienten, vergrößert und zur „Lei b garde der

795 Eine umfangreiche Bibliographie zum Thema Deutsche Jüdische Soldaten bietet Ursula Wallmeier in Näg ler (1996), S. 198 - 204. 796 Zur Stellung der Juden im preußisch - deutschen Heer zur Zeit der Emanzipation und B e- freiungskriege siehe Messerschmidt (1996), S. 39 - 41. 797 Vgl. Nägler (1996), S. 10. 798 Zit. n. Kemlein (1997), S. 194. 799 Vgl. Kap. 1.3., S. 37 . 800 Vgl. Messerschmidt (1996), S. 45. 801 Zum Wandel der Streitkräfte im Wechselspiel des Heeres - und Verfassungskonflikts vgl. Ostertag (1993), S. 150 - 153.

138 Monarchie“ 802 umgebildet wurde. Mit der Heeresr e form vollzog sich der Wechsel vom Bürgerheer zum Königsheer. So vera b schiedete man sich vom Volksheer der Befreiungskriege und schuf eine innerlich geschlossene, allein vom König abhä n- gige Armee, die das Bürgertum zu prägen begann. Die Ziele der Reformer keh r- ten sich ins Gegenteil: Nicht ein bürgerliches Volksheer, so n dern eine königliche, vom Adel bestimmte Armee beeinflusste nu n die Gesel l schaft. Der Verbürgerl i- chung des Militärs wurde durch Pflege eines elitären Korpsgeistes g e wehrt. Der Krim - Krieg (1853 - 1856) und der amerikanische Bürge r krieg (1861 - 1865) hatten auf den Militärsanitätsdienst der europäischen Staaten starke Au s wirku n- gen. 803 Das Werk des russischen Chirurgen Nicolai Pirogoff (1810 - 1881) „Grundzüge der Allgemeinen Kriegschiru r gie“ wurde zum Standardwerk. 804 Die rasante Entwicklung der Waffentechnik mit einer bisher nicht bekannter Feue r- kraft hatte zur Erscheinung des Massenanfalls von Verwundeten geführt. Die Schlacht von Solferino 1859 im Krieg Piemont - Sardiniens (Italien) und Fran k- reichs gegen Österreich 805 veranlasste den Genfer Henri Dunant in der Genfer Konvent i on von 1864 das Rote Kreuz zu gründen, um das Los von Kranken und Verwundeten zu verbessern. 806 Die Amerikaner führten in ihrem Bürgerkrieg erstmalig totalen Krieg, 807 das Elend der Verwundeten war ungeheuerlich. 808 Das Verbandpäckchen, der pferdebespannte Krankentrans portwagen, das b e wegliche Feldlazarett, ein einheitliches Sanitätsoffizierskorps und die Scha f fung eines m o- dernen Feldsan i tätswesens waren Folgen dieser Kriege. 809 Nachdem in Preußen Helmuth Graf von Moltke 810 den Generalstab nach wi s- senschaftlich - organisatorischen Grundsätzen gegliedert hatte, unterstützte er die

802 Zit. n. Ostertag (1993), S. 153. 803 Zur Geschichte des Militärsanitätswesens in de r zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. Kolmsee (1997), S. 106 ff. 804 S. Pirogoff, Nicolai (auch Pirogow): Grundzüge der allgemeinen Kriegschirurgie. Leipzig. 1864. 805 Dieser Krieg wird auch als „Italienischer Einigungskrieg“ bezeichnet. Zit. n. Haupt (19 98), S. 174. Österreich musste Oberitalien abtreten. Über die politischen Folgen dieses Krieges vgl. Lutz (1998), S. 412. In der Schlacht bei Solferino starben über 30.000 Soldaten. Vgl. Prause (1960), S. 273. 806 Vgl. Ostertag (1993), S. 177. 807 So die Bewe rtung von Prause (1960), S. 280. Ähnlich auch Förster (1991), S. 105. 808 Allein in der Schlacht von Gettysburg verloren die Konföderierten über 23.000 Sold a ten. Vgl. Kolmsee (1997), S. 113. 809 Vgl. Kolmsee (1997), S. 118. 810 Helmuth von Moltke (1800 - 1891) gilt als einer der herausragenden Feldherrn des 19. Jah r- hunderts. Bedeutung und Wirkung dieses Generalfeldma r schalls ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen von Historikern im In - und Ausland gewesen. Vgl. Foerster, Roland G .

13 9 Reform 811 des preußischen Militärsanitätswesens, dessen bedeutende G e sta l ter die Berliner Chirurgen Generalarzt Bernhard von Langenbeck und Gen e ralarzt Dr. Heinrich Gottfried Grimm , 812 Rosenthals direkter Vorgesetzter, w a ren. Dies war die Situation, als der achtundzwanzigjährige Rosenthal während des Deutsch - Dänischen Krieges als junger Assistenzarzt einbe rufen wu r de. Der Krieg gegen Dänemark war 1864 ausgebrochen, weil der dänische König Christian IX. kurz nach seiner Thronbesteigung eine neue Verfassung in Kraft setzte, die für Schleswig, nicht aber für Holstein gelten sollte. 813 Das war ein Verstoß gegen das Londoner Protokoll, wonach Schle s wig - Holstein „up ewig ungedeelt“ behandelt werden musste. Dieser Verstoß lieferte Preußen einen wil l- kommenen Kriegsgrund, das die Herzogtümer lieber annektieren wollte, als einen neuen Bundesstaat zugunsten der Mittelmächte entst e hen zu lassen. Am 1. Februar 1864 überschritten österreichische und preußische Truppen die schleswig - holsteinische Grenze. Im März wurde Rosenthal als Landweh r arzt 814 zum 2. schweren Feldlazarett des 3. Armeekorps eingezogen, 815 das über Rendsburg und Jagel auf die Halbinsel Sundewitt zog, auf der die Ortschaft Düppel liegt. 816 Jedem Armeekorps waren zwei leichte Divisionslazarette und drei schwere Korpslazarette zugeteilt. Letztere verfügten über Krankenträge r- kompanien, die beweg liche Sanitätsabteilungen direkt hinter der Hauptkampfl i nie

(Hrsg.): Generalfeldmarschall von Moltke . R. Oldenbourg Verlag. München. 1991. Eine u m- fangreiche zeitgenössische Biographie schrieb Müller - Bohn , H: Graf Mol t ke . Ein Bild seines Lebens und seiner Zeit. IV. Auflage. Paul Kittel. Berlin. O. J. 811 Vgl. Ebenda, S. 115 ff. 812 Heinrich Gottfried Grimm (1804 - 1884) trat 1821 in das Friedrich Wilhelm - Insitut ein. Nach Absolvierung der Studienzeit und des Charité - Jahres wurde er 1826 Kompanie - Chirurg in Ko b lenz. Im Polnischen Aufstand 1830 leitete er ein Feldlazarett. In den folgenden Jahren u n- ternahm er wissenschaftliche Reisen durch Europa und übernahm 1838 die Leitung der m i litä r- ärztlichen Bildungsanstalten. 1840 wurd e er Lei b arzt des Königs Friedrich Wilhelm IV. und übernahm die chirurgische Abteilung der Charité. Seit 1851 zum alleinigen Generalstab s arzt der Armee ernannt, nahm das Sanitätswesen, begünstigt durch die Erfolge der deutsche n Ein i- gungskriege, einen einmaligen Aufschwung. Vgl. Schickert (1895), S. 155. Siehe Bildteil Abb. 17. 813 Zur Entstehung des Deutsch - Dänischen Krieges und seiner Auswirkungen auf die deutsche Einigung vgl. Haupt (1998), S. 184 - 186 und Ostertag (1993), S. 17 8 - 181. Aus militär i scher Sicht siehe Der Große Generalstab, Abteilung für Kriegsgeschichte (Hrsg.): Der Deutsch - Dänische Krieg. Mittler & Sohn. Berlin. 1886. 814 Vgl. G oldenes Buch (o. J.), S. 1. 815 Vgl. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X. 11. Bd. VII, Bl. 183. 816 Eine detailliertere Beschreibung des Kriegsverlaufs und der Truppenbewegungen s. Mü l ler - Bohn (o. J.), S. 271 - 317.

140 unterstützten. 817 Die Landwehr bildete nach der Heeresreform praktisch die zwe i- te Garnitur neben den Linientruppen. Wegen der Konflikte zwischen politischer und militärischer Führung kam es erst am 18. April 1864 zur kriegsentscheidenden Erstürmung der Düppeler Schanzen, 818 die mit großen Verlusten auf preußischer Seite bezahlt wurde. A l lein 1.200 Tote auf preußischer Seite waren zu beklagen und über 1.400 preuß i sche Verwundete zu versorgen. 819 Diese gro ße Anzahl von Ve r wundeten rückte das Ziel Emil Du Bois - Reymonds in weitere Ferne, seinen Assistenten vorzeitig aus dem Felde z u rück an das physiologische Laboratorium zu bekommen. 820 Zwar war die Eingabe Du Bois - Reymonds über den Kultusminister Heinrich von Mü h- ler direkt an den Kriegminister Albrecht Graf von Roon weitergeleitet und diesem zur Entscheidung vorgelegt worden, 821 doch hatte dieser keine vo r zeitige Entla s- sung Rosenthals verfügt. 822 In Flens burg war das 2. schwere Fel d lazarett einqua r- tiert, 823 das die vom Schlachtfeld evakuierten Verwundeten zu versorgen hatte. Bis Juni wurde die ganze Insel Jütland und Ålsen erobert, bis nach längerer Wa f- fenruhe im November der Friedensvertrag unterzeichnet wu r de, der Dänemark zur Aufgabe der Herzogtümer Schleswig - Holstein und Lauenburg zwang. Am 16. Dezember 1864 zogen die siegreichen preußischen Tru p pen in Berlin ein.

Es sollten keine zwei Jahre vergehen, bis Rosenthal zum zweiten Mal die Un i- form anziehen mu sste. Preußen provozierte 1866 einen Krieg mit Österreich, um sich der lästigen gemeinschaftlichen Verwaltung Schleswig - Holsteins mit Öste r- reich zu entledigen und nahm dies auch zum Anlass, endlich die Frage der Vo r- herrschaft in Deutschland zu klären. 824

817 Über die Gliederung der Sanitätseinheiten nach der Reform des preußischen Sanitätsw e sens 1863 vgl. Kolmsee (1997), S. 115. 818 Die Düpp eler Schanzen waren ein auf dem Festland aus zehn stark befestigten Einzelste l- lungen bestehendes Verteidigungssystem, das vor der dänischen Stadt Sønderburg auf der Insel Ålsen gelegen, die strategische Bedeutung eines Brückenkopfes hatte, da die Beher r sch ung der See durch die Verbindung der Inseln Fünen und Ålsen gesichert wurde. Die Schanzen galten als uneinnehmbar. Die Erstürmung löste daher eine Welle patriotischer B e geisterung in ganz Deutschland aus und milderte die bismarckfeindliche Haltung vieler L ib e raler, die Bismarck grollten, da er ohne Majorität und Budget r e gierte. Vgl. Prause (1960), S. 277. 819 Vgl. Müller - Bohn (o. J.), S. 307. 820 S. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X. 11. Bd. VII., Bl. 192. 821 Vgl. Ebenda, S. 172. 822 Vgl. Kap. 2.5.2., S. 111 . 823 Vgl. Ewald (1915), S. 279. 824 Zu Ursachen und Auswirkungen des Deutschen Krieges vgl. Haupt (1998), S. 186 - 194, Lutz (1998), S. 452 - 485 und Stürmer (1998), S. 143 - 161. Eine minutiöse Kriegsgeschichte

141 Au s der Beurteilung durch den Generalstabsarzt Dr. Heinrich Gottfried Grimm geht hervor, dass sich Rosenthal bei seiner schwächlichen Konstitution am Ra n de der Diensttauglichkeit bewegte. In der Tat war Rosenthal von kleiner Gestalt. Sein Körperbau ist von Zeitgenossen als „schmächtig“ 825 beschrieben worden. Grimm betrieb Rosenthals Einberufung nur halbherzig, da er ihm „mehr Geleh r- samkeit als praktisches G e schick“ 826 zutraute, konnte sich aber den militärischen Erfordernissen ni cht entziehen. So wu r de Rosenthal wieder als „Assistenzarzt des 1. Aufgebotes“ der Inspektion der Choleralazarette des 3. Armeekorps zugeteilt, obwohl er für kurze Zeit „zum militärischen Dienste u n tauglich“ erklärt worden war. 827 Die Cholera entwickelte sic h im Verlauf von Kriegen regelmäßig zur Volksseuche. E n de Juli 1866 erreichte die Seuche ihren Höhepunkt. Besonders betroffen war Brünn, die Landeshauptstadt Mährens. 828 Hier befand sich auch der Hauptverbandsplatz, wo Rosenthal seinen Dienst ve r sah. Die Gen eralärzte 829 und Berl i ner Chirurgen Bernhard von Langenbeck und Albrecht Theodor Middeldorpf trafen hier mit Rosenthal zusammen. 830 Sie w a ren seine Vorgesetzten. Bemerkenswert ist die milit ärisch - zivile Zusammenarbeit in diesem Krieg. Zum ersten Mal in der Militärgeschichte wurden Post und Eisenbahn sowie kirchliche Hilfsorganisationen unmittelbar in das Kriegsgeschehen mit einbez o gen. Der evangelische Theologe Johann Heinrich Wichern (1808 - 1881) b e gründete die Felddiakonie, 831 geistliche Orden, besonders die Johanniter, wu r den in großem Umfang in der Verwundetenversorgung eingesetzt. 832 Die Erfi n dung des Zündn a- delgewehres durch den sächsischen Mechaniker Johann Nic o laus Dreyse trug mit zum Sieg der Preußen über die Österreicher bei. 833 Allein in der Schlacht bei K ö- niggrätz am 3. Juli 1866 „betrugen die Verluste 5.735 tote und 8.440 verwundete

sc hrieb Fontane , Theodor: Der Deutsche Krieg von 1866. 2. Bd. 2. Auflage. D e cker´scher Verlag. Berlin. 1871. 825 Zit. n. Ewald (1915), S. 279. 826 Zit. n. GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X. 11. Bd. VII., Bl. 245. 827 Beide Zitate bei GStAPK: Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X. 11. Bd. VII. Bl., 246. 828 Über die Cholera in Brünn vgl. Fontane (1871), S. 307 - 310. 829 Vgl. Bildteil Abb. 17. 830 Vgl. Fontane (1871), S. 317. 831 Johann Heinrich Wichern , der Begründer der Inneren Mission und Diakon ie, hatte einen Aufruf erlassen, sich freiwillig zur Felddiakonie zu melden, worauf sich über 300 Männer g e- meldet hatten, von denen 110 auf den Kriegsschauplatz entsandt wurden. Vgl. Fontane (1871), S. 317. Der später wohl bekannteste Felddiakon war der ju nge Baseler Professor Friedrich Nietzsche (1844 - 1900), der während des Feldzuges an Ruhr und Diphtherie erkran k te und im Erlanger Universität s krankenhaus kuriert wurde. Vgl. Wendehorst (1993), S. 111. 832 Vgl. Fontane (1871), S. 312. 833 Vgl. Lutz (1998), S. 460.

142 Österreicher sowie 1.900 tote und 6.800 verwundete Preußen.“ 834 Im August b e- gann der Rückzug der preußischen Truppen. Am 20. September 1866 zogen die heimkehrenden Truppen in die Hauptstadt Berlin ein. 835 Kaum vorstellbar ist für heutige Menschen, mit welcher Antei l na h- me und Begeisterung die Truppen empfangen wurden. Am Pariser Platz w a ren zwei riesige Ehrentribünen aufgebaut worden, davor erhöhte Plattformen für die Jungfrauen der Stadt und das Musikkorps. Vom Brandenburger Tor bis zum Be r- liner Schloss prangte Unter den Linden von Girlanden, Wimpeln und Fa h ne n- schmuck als Triumphstraße. Festansprachen, Vorbeimärsche und ein Fes t gotte s- dienst bildeten das Programm. Der preußische König Wilhelm I. ritt an der Spitze seiner Offiziere durch das Brandenburger Tor. Er wurde von einer Gesandtschaft von Ehrenj ungfrauen namhafter Berliner Familien begrüßt und bekam von Frä u- lein Henriette Gabler einen Lorbeerkranz überreicht. Im Fes t gottesdienst wurde der Luther - Choral „Ein´ feste Burg ist unser Gott“ gesu n gen. 836

Mit einer neuen „Verordn ung über die Organisation des Sanitätskorps“ wurden 1869 die Militärärzte in einem einheitlichen Korps zusammengefasst, erhie l ten als Vorgesetzte Disziplinargewalt über das sanitätsdienstliche Personal in ihren Ei n- heiten und galten dabei gleichzeitig als A ngehörige des Soldatenstandes. 837 Die neue Verordnung hatte nicht nur die Struktur des Personals sondern auch die O r- ganisation grundlegend verändert. Der Truppe auf dem Fuß folgte das „Sanität s- detachement“, das die Aufgabe der Erstversorgung auf dem Schlach t feld hatte. 838 Personell bestand es aus Lazarettgehilfen und Ärzten. Diese kle i nen mobilen Ei n- heiten verfügten über Truppensanitätskarren für den Abtran s port der Verwund e- ten und die Beförderung der Medizin - und Bandagenkästen, von denen das San i- tätsmaterial für die Lazarettgehilfen aufgefüllt wurde, das diese in Arznei - und Bandagentaschen am Mann führten. Das Sanitätspersonal hatte die Verwundeten unmittelbar von der Truppe aufzune h men, zu pflegen und zu behandeln und sich den Bewegungen der Einheiten ständi g anzupassen. Zusätzlich waren die Ve r-

834 Zit. n. Kolmsee (1997), S. 116. Die Verluste des gesamten Krieges betrugen für Pre u ßen über 9.000 Soldaten, für Österreich über 43.000 und für Sachsen über 1.500 Soldaten. Gena u- ere Statistik des Krieges vgl. Ostertag (199 3), S. 183. 835 Eine genaue Darstellung der Heimkehr des preußischen Heeres findet sich bei Fontane (1871), S. 324 - 332. 836 Ebenda, S. 332. 837 Zur Reform des Sanitätswesens infolge des Deutschen Krieges 1866 vgl. Löffler, G. F.: Das Preußische Militär - Sanitätsw esen und seine Reform nach der Kriegserfahrung von 1866. Be r- lin. 1869. 838 Vgl. Pflugk - Harttung (1896), S. 347.

143 wundeten in Feldlazarette zu überfü h ren, die sich am Rande des Etappengebietes befanden. Von dort aus erfolgte der Abtransport per Bahn in Reservelazarette des Heimatgebietes. 839 Zu jedem Feldlazarett gehörten 55 Persone n, darunter ein Chefarzt, ein Stabsarzt sowie drei Assistenzärzte. Zur Verfügung standen ung e- fähr 30 Pferde, drei vierspännige „Ökonomie - Utensilienwagen“ und zwei zwe i- spännige „Sanitätswagen“ zur Beförderung der Arznei - und Verbandmittel. 840 Die Beweglichkei t der Sanitätsdetachements e r möglichte es, bei allen größeren Kampfhandlungen noch am gleichen Tag das Schlachtfeld zu erreichen, die B e- handlung der Verwundeten zu übernehmen und sich gleich wieder den vorr ü- ckenden Truppen anzuschließen. Unter diesen Bedin gungen wurde Rosenthal noch einmal einber u fen.

Dies geschah im Deutsch - Französischen Krieg 1870/71. 841 Nachdem Österreich besiegt war, schwand die Hoffnung der französischen Regierung, sich mit Ö s te r- reich über die Einverleibung Belgiens und Luxemburgs zu ve rständigen. Es b e- stand die wirklichkeitsferne Vorstellung, dass Preußen dieser Annexion z u sti m- men würde, wenn es dafür mit den süddeutschen Staaten entschädigt würde. Als das spanische Parlament dem katholischen Prinzen Leopold von Hohenzo l lern - Sigmaringen , einer N e benlinie der Berliner Hohenzollern, den Thron in Madrid anbot, fühlte sich Frankreich massiv herausgefordert und suchte einen außenpol i- tischen Erfolg. Als es der preußische König ablehnte, erneut eine G a rantie für den schon ausgesprochenen Verzicht auf die Thronkandidatur ausz u sprechen und dies in einer von Bismarck verkürzten Fassung als „Emser Dépeche“ an die Öffen t- lichkeit kam, erklärte Frankreich Preußen am 19. Juli 1870 d en Krieg. Für nati o- nale Kräfte, Banken und die Industrie bot der Konflikt die lang ersehnte Herste l- lung der deutschen Einheit. Obwohl am 2. September nach den entscheidenden Schlachten bei Metz und Sedan die französische ka i serliche Armee kapituliert hatte , Napoleon III. gefange n genommen und in Paris die Republik ausgerufen

839 Ein Schema des Abtransports Verwundeter in den deutschen Armeen 1870/71 vgl. Kolmsee (1997), S. 119. 840 Eine umfassende Beschreibung der Organisa tion des Sanitätswesens, wie sie der „Instru k t i- on über das Sanitätswesen im Felde“ von 1869 entsprach, bietet Pflugk - Harttung (1896), S. 345 - 390. 841 Zur Geschichte des Deutsch - Französischen Krieges aus zeitgenössischer Sicht siehe Mü l ler - Bohn (o. J.), S. 31 8 - 367. Eine umfangreiche und detaillierte, fast enzyklopädische A b handlung findet sich in der Kulturgeschichte von Pflugk - Harttung: Krieg und Sieg. 1870 - 71. Berlin. 1896. Über Ursachen und Anlässe des Krieges vgl. Stürmer (1998), S. 162 - 172, Haupt (1998), S. 193 - 199. Eine Untersuchung aus militärischer Sicht bieten Groote, W. v. / Gersdorff , U. v. (Hrsg.): Entscheidung 1870. Der Deutsch - Französische Krieg. Stuttgart. 1970.

144 worden war, fanden die Käm p fe noch lange kein Ende. Nachdem die regulären französischen Truppen in den offenen Feldschlachten g e schlagen worden waren, trat der Krie g in eine neue Phase ein: Der aus dem belagerten Paris entflohene General Léon Gambetta o r ganisierte einen Guerilla - Krieg von „Franctireurs“, d. h. bewaffneten Zivilisten gegen die regulären pre u ßischen Truppen. 842 Es wurde ein erbitterter Volkskrieg geführt . Kriegsscha u platz wurde nun das einzelne Dorf, um jedes Gehöft musste erbittert g e kämpft werden. 843 Helmuth Graf von Moltke hatte diese unheilvolle Entwicklung v o rausgesehen. 844 Das Zeitalter der Kab i- nettskriege war entgültig vorbei. Zum er s ten Mal in der europäischen Geschichte wurde ein moderner Massenkrieg g e führt. Je länger er dauerte, desto schwieriger wurde es für Preußen, die anfän g lichen E r folge zu sichern. Immer mehr Soldaten mussten mobilisiert werden. In Deutsc h land einte der Krieg den Norddeutschen Bund mit den süddeutschen Staaten.

Rosenthal wurde als Landwehrarzt zum 2. Hanseatischen Infant e rie - Regiment Nr. 76 einberufen. 845 Mittlerweile war er zum Oberstabsarzt befördert worden und diente hier als Bataillonsarzt d es 2. Bataillons. 846 Dies ist insofern eine B e sonde r- heit, als Juden zwar in der Verfassung des Norddeutschen Bundes die Gleichb e- rechtigung formal erhalten hatten, in der Praxis, besonders im Militär, jedoch noch immer Einzelverordnungen wirksam waren, die de n Zugang in das Off i- zierskorps erschwerten. 847 Dr. Michels war sein Assistenzarzt. 848 Das 2. Hanseatische Infanterieregiment Nr. 76 war aus den nach 1866 in das Bundesheer des Norddeutschen Bundes eingegliederten Kontingenten der Ha n s e- städte, Schleswigs, Hols teins und Mecklenburgs gebildet worden und stand unter dem Oberbefehl des Großherzogs von Mecklenburg - Schwerin. 849 Es e r langte bis zu seiner Auflösung 1945 besondere Berühmtheit durch seinen „ha n seatischen Geist“, 850 womit eine hervorragende Kameradschaft g e me int war. Am 24. August 1870 wurde das Regiment von den norddeutschen Küsten, wo es zunächst eine

842 Vgl. Stürmer (1998), S. 166. 843 Vgl. Albert (1903), S. 11. 844 Über Moltkes Bild des z ukünftigen Krieges vgl. Wallach (1991), 56 - 60. 845 Vgl. Ewald (1915), S. 279. 846 In den zeitgenössischen Darstellungen ist Rosenthals Dienstgrad als Stabsarzt und Obe r- stabsarzt genannt. Er wurde offensichtlich im Verlauf des Krieges befördert. 847 Vgl. Messersc hmidt (1996), S. 45. 848 Vgl. ebenda, S. 14. 849 Zur Geschichte dieses Regiments vgl. Steinberg , A.: Aus der großen Zeit. Geschichte des 2. Hans. Infanterie - Regiments No. 76 während des Feldzuges 1870/71. Hamburg. 1892. 850 Zit. n. Militärgeschichtliches Forschu ngsamt (ohne Autor, 1986): Geschichte des Infant e rie - Regimentes (2. hanseatisches) Nr. 76 von 1867 - 1945, S. 3.

145 mögliche französische Landung verhindern sollte, abkomma n diert und nach Frankreich befohlen. Es nahm im Septe m ber an der Belagerung der Festungen Metz und Toul teil und sicherte im Oktober die Belagerung von Paris. Diese Zeit empfand Rosenthal als verschenkt. An se i nen Freund Eduard Lasker schrieb er am 26. Oktober aus dem Ort Bonneuil nahe bei P a ris:

„ (...) Wenn ich die Summe ziehe desse n, was mir dieser Feldzug gebracht, so fällt sie recht kläglich aus. Ich bin in Frankreich umhergezogen, habe bei Metz gestanden, habe Toul bel a- gert, war auf dem Wege nach Soisson, liege jetzt vor Paris, aber ich habe bei alle dem nicht das Mindeste zu thu n gehabt, habe Nichts genützt – aber viel versäumt und viel vergessen. Mein Trost ist, dass Niemand mehr thun kann, als seinen Platz ausfüllen, und wenn mein Platz keine Gelegenheit zur Entwicklung meiner Kräfte darbot, so ist das nicht zu ändern (...).“ 851

Doch diese Zeit der Untätigkeit war bald vorüber. Im November erhielt Rose n- thals Regiment Marschbefehl in Richtung Orléans. Da sich hier, südlich von P a- ris, inzwischen die starke französische Loire - Armee vereinigt hatte, hielt es der König für notwendig, d iesem Gegner alle verfügbaren deutschen Streitkrä f te en t- gegenzustellen. Nach enormen Marschleistungen bei miserabler Witt e rung war dies der Beginn verlustreicher Gefechte. 852 Im Dezember 1870 wurde die Einheit bei Orléans in schwere Kämpfe mit den neu aufges tellten französischen Einheiten verwickelt. Am 2. Dezember kam es zur Schlacht um Loigny, das unter großen Verlusten eingenommen wurde. Ein Zei t zeuge berichtete über den Verlauf der Schlacht:

„Für den 2. Dezember hatten die Franzosen ein weiteres Vorgehen aller Korps beabsichtigt. Unsere Armeeabteilung sollte sich morgens hinter den Vorposten bereitstellen. (...). Gegen Mittag wogte zu beiden Seiten die Schlacht. Links foc h ten die Mecklenburger siegreich bei Lumeau, rechts waren die Bayern vor überlegenen f ranzösischen Truppen, die Loigny und Fougeu besetzten, zurückgegangen. Da befahl der D i visionskommandeur von Tresckow die Erstürmung dieser beiden Orte (...).“ 853

Ungefähr 80.000 Franzosen hatten 50.000 deutschen Soldaten gegenüberg e sta n- den. 854 Die Schlacht um Loigny war außergewöhnlich hart und sollte die verlus t- reichste des ganzen Krieges werden. 855 Über zehntausend Soldaten fielen auf deutscher Seite. Die Franzosen hatten gute Verteidigungsstellungen ausba u en können. Tagelanger Regen hatte den Boden aufgeweich t, dann hatte Frost eing e-

851 Zit. n. BAB: N 2167 / 260, Bl. 1. Brief vom 26. Oktober 1870. 852 Vgl. Albert (1903), S. 9. 853 Zit. n. Albert (1903), S. 10. 854 Vgl. Ehrenbuch (187 1), S. 107. 855 Vgl. Steinberg (1892), S. 175.

146 setzt. Die Versorgung der Soldaten mit ausreichender Bekleidung und Verpfl e- gung war katastrophal. Auf dem Schlachtfeld 856 eilte Rosenthal mit se i nen Laz a- rettgehilfen von einem Verwundeten zum nächsten und organisierte den Abtran s- port . Dabei zeichnete er sich durch großen Mut aus. Der Soldat Steinberg aus Rosenthals Einheit erinnerte sich:

„ (...) Dr. Rosenthal ist bei der nicht zu bewältigenden siebenstündigen Arbeit des Verbi n- dens und Amputirens ohnmächtig zwischen Schwerverwundeten niedergesunken. Dieser u n e r- schrockene, hochherzige Mann hat seine Hülfe im tollsten Kugelregen gespendet, er selbst ist gegen die Ermahnung des Generals [v. Tresckow, Verf.] bis zur Schützenlinie vorgedru n gen und erwiderte einst auf meine Bitte, sich zu bü cken, l ä chelnd: ´Das ist ganz egal, mein Sohn, wenn´s sein soll, kommt es auch so!´.“ 857

Mit von Tresckows Befehl, die Orte Loigny und Fougeu zu stürmen, traten die Kampfhandlungen in eine neue Phase. Nun begann ein erbitterter Häuse r- kampf. 858 Hier zeigte sich das Grauen des modernen Volkskrieges, wie es bisher nicht zu Tage getreten war. Schon jetzt sprachen Zeitgenossen von dem „Fan a- tismus, mit dem der Krieg geführt wurde“. 859 Ein Freiwilliger schrieb nach Ha u se:

„(...) Seit dem 2. December sind wir täglich, mi t Ausnahme von 2 Ruhetagen, mit dem Feinde an einander gewesen, wir haben ihn in offener Feldschlacht zwei Mal geschlagen und jagen ihn nun vor uns her von Dorf zu Dorf; da ist kein Ha l ten mehr! Mit Allem, was sich uns entgegenstellt, wird kurzer Process g emacht! (...).“ 860

Hier wird die wachsende Wut deutlich, die sich bei den deutschen Truppen au s- breitete. Die Tatsache, dass die reguläre französische Armee besiegt und der Krieg doch noch nicht gewonnen war, weil bewaffnete Zivilisten die Kämpfe we i terführte n, war eine neue Erscheinung des Krieges, die zu einer zunehme n den Verrohung führte. Die Stadt Beaugency fiel am 8. Dezember in deutsche Hand. Am nächsten Morgen hatte das 2. Bataillon erneut harte Kämpfe zu b e stehen. Rosenthal folgte der 5. und 8. Kompan ie, die auf einem Höhenzug in Ric h tung der Gehöfte Grand und Petit Boynes Stellung bezogen hatten. 861 Durch ein Mis s- verständnis erfolgte unter großem Hurra ein Angriff, bei welchem die be i den Kompanien von überlegenen französischen Kräften regelrecht zusamme n gescho s-

856 Siehe Bildteil Abb. 18. 857 Zit. n. Steinberg (1892), S. 173. 858 Vgl. Albert (1903), S. 11. 859 Zit. n. Ehrenbuch (1871), S. 150. 860 Zit. n. Ehrenbuch (1871), S. 155. 861 Ein detaillierter Bericht über die Vorgänge in Petit Boynes findet sich bei Steinberg (1892), S. 215 - 250.

147 sen wurden. Rosenthal befahl, während des Gefechts im nahegel e genen Gehöft Petit Boynes sofort einen Verbandplatz einzurichten. Kurz vor dem G e höft De Finlarde brach der deutsche Angriff zusammen. Im Schutz der Dunke l heit zogen sich die Reste der b eiden Kompanien auf Petit Boynes zurück. Der Abtransport der Verwundeten wurde dadurch vereitelt, dass die Franzosen auf die Kranke n- träger schossen. 862 Rosenthal fühlte sich unter dem Schutz der Genfer Konventionen als San i tät s- personal sicher und widmete sic h zunächst der Versorgung der Verwund e ten, a n- statt diese sofort aus dem feindlichen Gebiet zu evakuieren. Unterstützt wurde Rosenthal durch den jungen Assistenzarzt Dr. Michels und mehrere L a zarettg e- hilfen. Sie waren zur Pflege der Verwundeten vor Ort gebl ieben. In dem von R o- senthal organisierten Verbandplatz waren ungefähr sechzig Verwundete zu ve r- sorgen. Hierüber berichtete Rosenthals Lazarettgehilfe Karl Bähr:

„Nachdem alle Verwundeten mit einem nothdürftigen Verbande versehen waren, musste ich auf Gehe iß des Stabsarztes Dr. Rosenthal zunächst nach Erfrischung für die blutenden Opfer des Tages suchen. (...) Das unbeschreibliche, menschenfreundliche Wirken unseres Doktors, der selbst jeden Bissen verschmähte, nur um ihn nicht den Verwundeten zu entzi e hen, (...).“ 863

Als sich das Eintreffen der Krankentransportwagen des Sanitätsdetachements verzögerte, beschloss Rosenthal, zu den deutschen Linien nach Beaugency z u - rückzukehren, um Krankentransportwagen anzufordern. Er ließ zum Schutz der Zurückgelassenen an d em Gehöft die Fahne des Roten Kreuzes hissen, um es gemäß den Genfer Konventionen zum neutralen Gebiet zu erklären. Von Gen e ral von Tresckow erhielt er den Auftrag, sich zum Sanitätsdetachement zu b e geben, um die Abholung der Verwundeten zu organisieren. M it den Kranke n wagen fuhr er zurück zum Gehöft, wo währenddessen das Gefecht wieder au f geflammt war. Unter Hissung einer weißen Fahne erreichte er, dass das Feuer eingestellt wurde. Als Rosenthal den Verbandplatz erreichte, stellte sich heraus, dass er von franz ö- sischen Truppen besetzt worden war und diese die leichtve r wundeten deutschen Soldaten abgeführt und ausgeraubt hatten. Auch war das Sanitätsmaterial entg e- gen den Genfer Konventionen beschlagnahmt worden. Der Verbandsplatz befand sich in größter Unord nung. Nun wurden die zurüc k gelassenen Verwundeten nach Beaugency abtransportiert. 864 Rosenthal forderte, den französischen General zu sprechen, um gegen die Verletzung des Krieg s völkerrechts zu protestieren. Ihm

862 Vgl. Steinberg (1892), S. 219. 863 Zit. n. Steinberg (1892), S. 215. 864 Vgl. Steinberg (1892), S. 218.

148 blieb allerdings nichts anderes übrig, als mit anzusehen, wie die Satteltaschen seines Pferdes geplündert wurden. Über R o senthals Protest wird b e richtet:

„Glaubte der Franzose, daß sich Dr. Rosenthal trotz seiner allzu klaren Hülflosigkeit ein solch empörendes Benehmen gefallen lasse, so blieb ihm die ärgste Enttäuschung nicht e r spart; er erhielt in fließendem Französisch eine so klare Bezeichnung seines Thuns, daß ich jeden A u- genblick fürchtete, der Beschimpfte würde sein Gewehr erheben und unseren entrü s teten Stabsarzt sofort niederschießen. – Als ic h in diesem M o ment den Doktor um Vorsicht bat, meinte er, auf den Franzosen zeigend, gelassen: ´Dieser schamlosen Bande muß man die Wahrheit sagen, solche Frechheit darf nur mit der größten Rücksichtslosigkeit begegnet we r- den. Der Kerl da hat keinen Funken militärischen Gefühls im Le i be´.“ 865

Rosenthal berichtete über die Disziplinlosigkeit der französischen Soldaten, in s- besondere der mangelnden Autorität der Offiziere über die Mannschaften. 866 Deutlich bekamen die Deutschen zu spüren, dass sie es nicht mehr mi t den ka i se r- lichen Truppen zu tun hatten, sondern mit den republikanischen Franctireurs, die sich von einer Guerilla kaum unterschieden. Endlich konnte Rosenthal bei einem General vorsprechen, um gegen die Verschleppung der Kameraden und die Au s- plünderung zu protestieren. Die Unterredung endete ergebnislos. Am 13. Dezember traf der Gefangenenzug in Vendome ein. Rosenthal hatte zwar die Freilassung der 13 Kriegsgefangenen erwirkt, doch verlor das Wort des Generals an Bedeutung, dass Rosenthal freies Geleit habe. Rose n thal wurde unter dem Vorwand der „circonstances militaires“ verwehrt, zu seiner Einheit zurüc k- zukehren. Man bedeutete ihm, dass er sich fortan als Kriegsgefangener zu b e- trachten habe. Im weiteren Verlauf gerieten Rosenthal und seine Kamer a den in den Rückzug der gesamten französischen Loire - Armee, sodass eine Rückkehr zu den deu t schen Linien immer unwahrscheinlicher wurde. Auch das Wiedersehen mit einigen fra n zösischen Ärzten aus der Zeit seines Blumenbach - Stipendiums in Paris hatte da r auf keinen Einfluss. 867 Diese luden Rosenthal und seine Kameraden aber ein, bei Operationen an französischen Verwundeten tei l zunehmen. Rosenthal äußerte sich beeindruckt von den Operationstechniken seiner französischen Ko l- legen, war aber erstaunt über die veralteten Ve rban d techniken. Ständig unter strenger Bew a chung ging es nach Le Mans. Auf dem Weg waren die Bewacher teils reguläre Truppen, teils Angehörige der französ i schen Freischärler, die Franctireurs. Die Präfektur in Le Mans entschied am 16. Dezember 1870, dass die Gefa n g e- nen über England in die Heimat zurückkehren sollten. In Saint Malo konnte R o-

865 Zit. n. Steinberg (1892), S. 219. 866 Vgl. Rosenthal (1871.2), S. 2. 867 Vgl. Rosenthal (1871.2) , S. 2.

149 senthal einen Dampfer nach Southampton nehmen. Mit der Bahn ging es dann weiter nach London. Hier kümmerten sich deutsche Familien liebevoll um Rose n- thals Gruppe. Über d en deutschen Konsul wurde die Heimkehr über Cu x haven und Bremerhaven organisiert. Am 21. D e zember lichtete der Dampfer „Berlin“ 868 die Anker und nahm Kurs auf Hamburg. In Cuxhaven verließen R o senthal und seine Kameraden das Schiff, um weiter mit der Bahn nac h Hamburg zu fahren, wo sie am zweiten Weihnachtstag eintrafen. Das Weihnachtsfest fiel für Rose n- thal aus – für ihn und seine Frau, die mit dem vier Monate alten Säu g ling in Be r- lin war, muss dies eine besondere persönliche Härte gewesen sein. Insgesamt vie rzehn Tage dauerte dieses Abenteuer für Rosenthal. Nur mit se i nem Soldbuch und den Habseligkeiten in seinen Manteltaschen kehrte er heim. Am 28. Januar 1871 erreichte die Gruppe wieder ihr Regiment. Dieses war am 16. Dezember von der Front abgezogen worde n und befand sich nun in Chartres zur Instandsetzung und Erholung, nachdem es seit Orleans ständig im Kampf g e- wesen war. 869 Die letzte aufreibende Schlacht erfolgte bei Le Mans. Der strenge Winter ve r langte von dem schon stark dezimierten Regiment das Letzte . Bis zum Inkrafttreten des Waffenstillstandes am 28. Januar hatte Rose n thals Regiment noch eine Reihe von klein e ren Gefechten zu bestehen gehabt. Am 17. März 1871 begann der Rückmarsch. Man erreichte am 31. Mai die erste deutsche Stadt Saa r- louis. Im Mai – noch vor der Demobilisierung des Regiments – wurde Rosenthal a b- kommandiert, um an der „Königlichen medicinisch - chirurgischen Akad e mie für das Militär“, Vorlesungen über Physiologie für die jungen Sanitätsoffizieranwärter zu halten. 870 Damit war er dem Dire ktor der militärärz t l i- chen Bildungsansta l ten und Armeearzt der Zweiten Armee Gottfried Friedrich Franz Löffler 871 unterstellt. Wer keine Möglichkeit hatte, ein Studium an der

868 Die „Berlin“ gehörte zur Klasse der Baltimore - Dampfer des Norddeutschen Lloyd. Sie hatte eine Länge von 90,6 m und eine Breite von 9,3 m und verfügte über eine Zwilling s dampfm a- schine. Der Stapellauf war 1869 auf der Werft Caird & Co. in Greenock erfolgt. Die Jungfer n- reise führte das Schiff von Bremerhaven nach Baltimore. 1895 wurde es in Breme r haven a b- gewrackt. Mit 84 Kojen in der 1. Klasse und 609 im Zwischendeck ist seine Verwe n dung als Auswandererschiff erkennbar. Vgl. Deutsches Schiffahrtsmuse um: Schiffsarchiv, o. J., o. S. Siehe Bildteil Abb. 19. 869 Vgl. Albert (1903), 15. 870 Vgl. Goldenes Buch (o. J.), S. 1. 871 Gottfried Friedrich Franz Löfflers (1815 - 1874) Verdienst ist die Reform und der enorme Aufschwung des preuß i schen Militärsanitätswesen i n den sechziger und siebziger Jahren. Er war an der Umsetzung der Genfer Konventionen in der preußischen Armee maßgeblich bete i- ligt. Als Armeegeneralarzt führte er das Sanitätskorps in den drei deutschen Einigungskriegen. Vgl. Schickert (1895), S. 165.

150 Friedrich - Wilhelm - Universität zu bezahlen, konnte hier an der Pépinière wo h nen und bekam ein Studiengeld, musste dann allerdings Militärarzt sein. 872 R u dolf Virchow war einer ihrer berühmtesten Zöglinge.

Rosenthals Kriegserlebnisse von der Gefangennahme in Petit - Boynes am 9. D e- zember 1870 bis zu seiner Rückkehr nac h Hamburg wurden im Feuill e ton der Berliner National - Zeitung 873 im Januar 1871 veröffentlicht. 874 Die Ursache hie r für ist wohl in der politischen Brisanz der Gefangenschaft zu sehen, die darin b e- gründet lag, dass den Franzosen die Verletzung der Genfer Konvent ionen vorg e- worfen wurden. Die Genfer Konventionen hatten schnell internationales Gewicht erhalten. Ihre Verletzung konnte von der Gegenseite propagandistisch ausgenutzt werden. Inwiefern Rosenthal hierfür instrumentalisiert werden sol l te, kann nur vermutet werden. Tatsache ist allerdings, dass er in der Darstellung seiner Erle b- nisse den Eindruck eines sachlichen Berichterstatters erweckt. Sein Bericht ist frei von nationalistischen Gefühlsregungen und der Leser erhält den Eindruck, dass es dem Verfasser nic ht darum ging, antifranzösische Regu n gen zu schüren. Der Artikel ist frei von unangemessener Verherrlichung des preuß i schen Militärs.

Rosenthal erscheint als ein Mann, der als Soldat seinen militärischen Dienst trotz körperlicher Schwäche mit Pflichtgefü hl und großer Tapferkeit versehen hat. D a- bei stellte er sein ärztliches Handeln über nationale Grenzen. Für seine Tapferkeit und seinen Einsatz für die ihm anvertrauten Kameraden wurde R o senthal mit dem „Eisernen Kreuz am weißen Bande“ 875 geehrt. Die Bedeutu ng dieser Auszeic h- nung für den jüdischen Arzt und Soldaten soll in dem Kapitel über die Ehrungen Rose n thals ausführlich betrachtet werden. Für die Chirurgie in Deutschland war der Deutsch - Französische Krieg au f- grund der Teilnahme fast aller berühmten Chir urgen von ungemein befruchte n der Wirkung. Herausragende Ärzte und Kriegschirurgen wie Rudolf Virchow , Chri s-

872 Z u den „Bestimmungen über die Aufnahme in die Königlich Preußischen militärärztl i chen Bildungsanstalten zu Berlin“ vgl. Schickert (1895), S. 295 - 302. 873 Die National - Zeitung mit einem einflussreichen Leserkreis war das bedeutendste lib e rale Organ. Ihm wurde eine besonders lebendige Beziehung zwischen Leser und Herau s geber der Zeitung nachgesagt (vgl. Kastan, 1919, S. 175). Zu dessen Geschichte von seiner Gründung 1848 bis zu ihrem jähen Ende infolge der innenpolitischen Wende 1878 vgl. Friehe, E. G.: Die Gesc hichte der National - Zeitung. Emmanuel Reinicke. Leipzig. 1933. 874 Vgl. Rosenthal, Isidor. Zehn Tage Kriegsgefangenschaft. In: National - Zeitung. 24. Jah r- gang. 19. Januar 1871. Nr. 31. S. 1 ff. und 20. Januar 1871. Nr. 33. S. 1 ff. und Be i blatt. 875 Zur Geschic hte dieser Tapferkeitsauszeichnung vgl. Nimmergut (1997), S. 1008. Eisernes Kreuz siehe Bildteil Abb. 20.

151 tian Albert Theodor Billroth , Bernhard von Langenbeck , Richard von Volkmann , Johannes Friedrich August von Esmarch und viele andere veröffen t lichten nach dem Krieg umfassende Berichte über ihre Erfahrungen, Erkenn t nisse sowie Op e- rationstechniken und machten sie in ihren Vorlesungen zum Gegenstand der wi s- senschaftlichen Auseinandersetzung. Die Erfahrungen mit den Kriegsseuchen T y- phus, Cholera und Ruhr und der daraus folgenden No t wendigkeit peinlicher Truppenhygiene förderten modernes militärhygien isch - wissenschaftliches De n- ken. Die Erfahrungen des Volkskrieges formten das B e wusstsein für die Notwe n- digkeit, eine straffe Massenhygiene in den sich ständig vergrößernden Städten zu organisieren, deren Mietskasernen zune h mend als militärischer Organismus und die Lebensbedingungen in ihnen als Dasein s kampf aufgefasst wurden. Der H y- gieniker Rosenthal reifte durch die Erlebnisse in den Seuchenlazaretten und auf den französischen Schlachtfe l dern.

152

153 3. Die Erlanger Jahre

3.1. Geschichte der Stadt Erlangen

Is idor Rosenthal kam im Februar 1872 erstmals nach Erlangen, um nach der G e- nehmigung der Berufung durch den bayerischen König den Umzug von Be r lin in die mittelfränkische Provinzstadt vorzubereiten. 876 Berlin war gerade Hauptstadt des neugegründeten zweiten Ka iserreichs geworden und schickte sich an, Wi s- senschafts - und Kulturmetropole von Weltrang zu werden. 877 E r langen hingegen bot Anfang der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts das Bild einer mittelfränk i- schen Kleinstadt mit ungefähr 12.000 Einwohnern. 878 Der G e g ensatz zwischen seiner bisherigen und zukünftigen Heimat war außerorden t lich. Die Silhouette des Städtchens Erlangen wurde von drei barocken Kirc h türmen und kleinen Häusern bestimmt, die selten höher als drei Stockwerke w a ren. 879 Das Fehlen einer Kan a- lisatio n und der Gestank der Gerbereien an der Regnitz waren für den anko m- menden Großstädter sicher keine Empfehlung. Die Erlanger waren noch in den siebziger Jahren als „Pflasterscheißer“ 880 verschr i en. Adolf von Strümpell , 881 der 1886 n ach Erlangen kam und bald zu den näch s ten Freunden Rosenthals zählte,

876 Dies ist dem Brief Rosenthals vom 16. Februar 1872 an ein nicht näher genanntes Mitglied der medizinischen Fakultät zu entnehmen. Vgl. UAE: Med. Fak . T. I. Pos. 9a. Nr. 69, o. S. 877 Auf die Einzigartigkeit dieser Entwicklung im Vergleich zu derjenigen anderer europä i scher Metropolen verweist Kastan (1919), S. 5. 878 Einen anschaulichen Eindruck vom Erlanger Stadtbild im 19. Jahrhundert vermittelt der Fot oband von Fröba, K.: Erlangen. Ein verlorenes Stadtbild. 1. Auflage. Wartberg - Verlag. Gudensberg. 1999. 879 Siehe ebenda, S. 4 u. 5. 880 Zit. n. Steidel (1985), S. 239. 881 Ernst Adolf Gustav Gottfried von Strümpell (geb. 1853 in Neu - Autz, Kurland, gest. 1925 in Leipzig) war Sohn des Professors Ludwig Strümpell für Philosophie und Pädagogik in Dorpat und Leipzig. Er studierte in Dorpat und Leipzig Medizin, wo er bis 1876 Assistent an der m e- dizinischen Klinik bei Karl August Wunderlich war und sich 1878 habilitier te. 1883 wurde er außerordentlicher Professor für Spezielle Pathologie und Therapie und erhielt 1886 die orde n- tliche Professur für Innere Medizin. Er wechselte 1903 nach Breslau, wo er Direktor der med i- zinischen Klinik wurde. 1909 nahm er einen Ruf nach Wi en an, wechselte jedoch nur ein Jahr später nach Leipzig. Strümpell war reges Mitglied der Physikalisch - Medizinischen Gesellschaft in Erlangen und ist zu den herausragenden Nervenärzten zu zä h len. Vgl. Wittern (1999), S. 194 - 195. Mit den jüngeren Kollegen war er häufiger Gast im Hause Rosenthal. Vgl. Strümpell (1925), S. 174.

154 beschrieb se i nen ersten Eindruck – und es muss davon ausgegangen werden, dass es Rosenthal nicht anders ging – mit folge n den Worten:

„Man kann nicht behaupten, daß Erlangen auf den neuen Ankömmling zunächst einen b e- sonders stattlichen oder anmutigen Eindruck macht. Man behauptet sogar, daß wiederholt St u- denten, die sich Erlangen zu ihrer Alma mater ausersehen hatten, ja einmal sogar ein nach E r- langen neuberufener Professor nach dem ersten Gange vom Bahnhof durch die Stadt am Marktplatz wieder still umgekehrt seien und die Stadt mit dem nächsten Zuge auf Nimme r wi e- dersehen verlassen hätten. Ob dies der Wahrheit entspricht oder nur eine böswillige Erfi n dung ist, weiß ich nicht. Ich muß aber g estehen, daß der erste Eindruck, den Erlangen auf mich machte, nicht geeignet war, meine, wie gesagt, etwas trübe Sti m mung zu erheitern. Bald nach der Abfahrt von Forchheim, der letzten Station vor Erlangen, hatte ich ne u gierig zum Fenster hinausgeschaut. Der Zug fuhr durch einen kurzen Tunnel und dann längs einer grauen verwi t- terten Sandsteinmauer, hinter der kleine, graue, mir recht ärmlich erscheinende Häu s chen sichtbar wurden. Das kann doch unmöglich Erlangen sein, dachte ich etwas beklomm e nen He r- zens, aber der Zug hielt an e i nem kleinen grauen, aus Sandstein erbauten Bahnhof, ich mußte aussteigen (...).“ 882

Doch wird Erlangen andererseits bei näherem Hinsehen den Eindruck aufbl ü he n- den wirtschaftlichen Lebens nicht schuldig geblieben sein: Infolge der Hoch ko n- junktur der Gründerjahre erfuhr die Stadt nämlich, verglichen mit dem Lande s- durchschnitt, einen überdurchschnittlichen Aufschwung. 883 Um zu ve r stehen, in welches Umfeld sich Rosenthal begab, mag ein kleiner Ausflug in das Werden dieses Städtchens nüt z lich sein. 884

Seinen Anfang hatte Erlangen als kleine Stützpunktstadt unter Kaiser Karl IV. genommen, der es vom Bamberger Bischof 1367 als Dorf „Großenerlang“ e r- worben hatte. 885 Strategisch günstig an der Handelsroute Sachsen - Nürnberg, der Eisen straße, gelegen, durch eine Stadtmauer und eine kleine Festung g e schützt, 886

882 Zit. n. Strümpell (1925), S. 156. 883 Zur industriellen Entwicklung Erlangens in der Zeit von 1870 bis 1914 vgl. Johrendt (1983), S. 259 - 330. 884 Eine umfassende Geschichte Erlangens vom 18. zum 20. Jahrhundert mit reichen Illustr a t i- onen sowie Lit e ratur - und Quellenangaben bietet Sandweg , J. (Hrsg.): Von der Strumpfer - zur Siemensstadt. Erlangen. 1982. Die folgende Darstellung ist im Wesentlichen eine Z u samme n- schau zentraler Aussagen bei Steidel/Gradert/Metzner/Müller (1985). 885 Zur Frühgeschichte der Stadt vgl. Huber/Ogilvie: Gründung und Entwicklung der Stadt Erlangen. Materialien zur Heimatkunde. Staatl. Schulamt. Erlangen. 1981 und Herold, R.: Be i- träge zur Vorgeschichte Erlangens und se iner Umgebung. Erlangen. 1914. 886 Zur Geschichte der Festung vgl. Jakob Veste (2002), S. 724, Sp. 2. Die Ruine wurde 1783/84 abgebrochen. Heute befindet sich hier das Gemeindehaus der Freien evangelischen Gemeinde (Fuchse n garten 5).

155 wurde es bald Münzstätte und bekam das Marktrecht verliehen. Im Dreißigjähr i- gen Krieg wurde das kleine protestantische Städtchen von kaiserl i chen Truppen aus Forchheim niedergebrann t. 1636 war „Erlang“ eine unb e wohnte Ruinenstadt. Nur mühsam gestaltete sich der Wiederaufbau. Der prote s tantische Landesherr Markgraf Christian Ernst (1661 - 1712) aus dem Geschlecht der fränkischen H o- henzollern, welches zu den ärmst en europäischen Dyna s tien zählte, bemühte sich seit längerer Zeit, sein durch den Dreißigjährigen Krieg entvölkertes und wir t- schaftlich daniederliegendes Markgrafentum Brande n burg - Bayreuth durch Ma ß- nahmen der „Peuplierung“, das heißt Neuansiedlung, zu neue m Aufschwung zu verhelfen. 887 Die Ideen, wie dies am geschicktesten anzufangen sei, hat Christian Ernst von seinem in Potsdam residierenden Onkel Friedrich Wilhelm , dem Großen Kurfür s- ten, erhalten. 888 Dieser hatte in den Niederlanden, die im 17. Jahrhundert erste Welthandelsmacht w a ren, studiert und bekannte sich zur Lehre Calvins, welche mit der Gründung der niederländischen Republik dort Staatsreligion wurde. 889 So war es für den Brandenburg er Kurfürsten durchaus naheliegend, die info l ge der Aufhebung des Toleranzedikts von Nantes 1685 durch den Sonnenkönig Ludwig XIV. aus Frankreich vertriebenen Glaubensbrüder aufzunehmen und di e- ses auch der Bayreuther Verwandtschaft zu empfehlen. I m merhin v erstanden sich die Flüchtlinge auf unterschiedlichste Gewerbe und waren Kenner der Merka n- tilwirtschaft, also tüchtige Kaufleute. Gelockt von der Vorstellung, en t völkerte Landstriche bald in eine Markgrafschaft von blühendem Gewerbe ve r wandelt zu sehen, lie ß Christian Ernst die mit weitre i chenden Privilegien wie Steuerfreiheit, vollständige Glaubensfreiheit, Bauzuschüssen und Darlehen bei Manufakturgrü n- dungen angeworbenen französischen Flüchtlinge in „Erlang“ am Verkehrskn o- tenpunkt de s Zusammenflusses von Regnitz und Schwabach ansiedeln. 890 Auf dem Reißbrett seines Oberbaumeisters Johann Moritz Richter entstand die Ne u- stadt Erlang ganz „à la mode“ im Stile des Barock und erhielt den Namen „Chri s- tian - Erlang“ , das sich zur Manufakturstadt für Gewerbe wie Handschuh - , Strumpf - , Teppich - und Hutherstellung entwickelte. 891 Beide G e meinwesen w a ren getrennt, sowohl verwaltungsmäßig als auch ethnisch. Den lutherischen Pastoren waren die calvinistischen Zuwanderer ohneh in ein Dorn im Auge. Erst der Stad t-

887 Vgl. Steidel/Gradert/M etzner/Müller (1985), S. 51. 888 Vgl. Steidel/Gradert/Metzner/Müller (1985), S. 54. 889 Vgl. Schilling (1998), S. 378. 890 Zur Geschichte der Hugenotten in Franken und Erlangen siehe Bischof, J. E . : Hugenotten in Franken. Zum 31. Hugenottentag in Erlangen. Sickt e. 1979 und Hugenotten in Erlangen. Au s- stellungskatalog. Erlangen. 1966. 891 Vgl. Sandweg (1986), S. 5.

156 brand von 1706 bewirkte eine Vereinheitlichung des Baustils. 892 Die veränderte Wirtschaft führte zu neuen Arbeitsverhältnissen und trug zur Vermischung der Bevölkerung bei. Inzwischen war Erlangen Nebenr e sidenz des Fürstent ums Brandenburg - Bayreuth geworden, sichtbar am Bau des Schlosses mit entspr e- chender Grünanlage und einigen Repräsentativbauten, was heute noch am Redoutensaal, dem Theater oder der ehemaligen Ritterakademie zu sehen ist. Z u- sätzlich befruchtend wirkte die G ründung der Universität 1743, die errichtet wo r- den war, um die „Kontinuität einer qualifizierten staatstrage n den Schicht“ 893 s i- cherzuste l len und überdies Geld und Ehre einzubringen, litt doch das Fürstentum unter erdrückender Verschuldung, die hauptsächlich durch Kriegs - und Baulust verursacht worden war. Die Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität Chri s- tian - Erlangs stellten zunächst keinen ausreichenden A n reiz dar, die Stadt nicht zu ve r lassen, doch konnte sich eine kleine Schicht von Gebildeten und gehob enem Bürgertum entwickeln. Die Heirats - und Geburte n zahlen lagen über dem Durc h- schnitt Frankens und liefern einen Hinweis auf steigenden Wohlstand in der zwe i- ten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 894 Im Zeitalter der Aufklärung erhielten die Katholiken 1785 das Re cht auf freie Religionsausübung zugestanden. Den Juden hingegen blieb es untersagt, sich in Erlangen anzusi e deln. Dies wurde erst 1861 genehmigt! 895 Nachdem die fränkische Linie der Hohenzollern ausgestorben war – der ki n- derlose Markgraf zog es vor, mit sei ner zweiten Frau Lady Craven auf den brit i- schen Inseln das Leben eines Lords zu führen – kam Erlangen 1792 an Preußen, genau zu dem Zeitpunkt, als die Französische Revolution bee n det wurde und nun die Revolutionskriege mit den europäischen Staaten begannen . 896 Die Kri e ge führten zu einer anhaltenden Wirtschaftskrise, von welcher besonders das Erla n- ger Exportgewerbe in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das „preußische Inte r- mezzo“ bescherte Erlangen eine Periode tiefgreifender Reformen, bis 1806 Frankreich das Für stentum annektierte. 897 Es war Freiherr Karl August von Hardenberg , den der preußische König nach Franken berief. Veränderungen erfolgten vor allem in den Bereichen Städteor d- nung, Staatsverwaltung und Gewerbe. Er langen erhielt infolgedessen eine M a gis t- ratsverfassung durch gewählte Stadtverordnete aus dem Besitz - und Bi l dungsbü r-

892 Vgl. Steidel/Gradert/Metzner/Müller (1985), S. 129. 893 Zit. n. Wendehorst (1993), S. 12. 894 Vgl. Sandweg (1986), S. 6. 895 Vgl. Lewin (1978), S. 3294. 896 Vg l. Steidel/Gradert/Metzner/Müller (1985), S. 203. 897 Vgl. Steidel/Gradert/Metzner/Müller (1985), S. 204.

157 gertum, wodurch die Selbstverwaltung der Stadt verwirklicht wurde. 898 Allgemein wurde in der Staatsverwaltung die Trennung von Justiz und Ver wa l tung vollz o- gen, es kam zu einer Ressorteinteilung und der Einrichtung von Fachm i nisterien. Auf wirtschaftlichem Gebiet verursachte aber gerade die Einführung der G e- werbefreiheit 1810 eine Strukturkrise 899 der auf merkantilistischen Prinzipien b a- sierenden Wirtschaftszweige wie Strumpfwirkerei und Kattundruckerei. 900 Im gle i chen Jahr vollzog sich auch politisch ein bedeutsamer Wandel: Infolge der territ o rialen Neuordnung Europas durch Napoleon kam Erlangen zu Bayern. 901 Denn dem Imper ator ging es darum, Bayern durch Vergrößerung auf Kosten Preußens als Partner zu gewinnen und es als Bollwerk gegen Österreich zu stä r- ken. 902 Die Erlanger Universität profitierte von der Auflösung der Universität in Al t- dorf. Nach Erlöschen der letzten Reste höfischen Lebens durch den Tod der Markgr a fenwitwe 1817 wurden der Universität außerdem eine Reihe ehemals höfisch genut z ter Gebäude überlassen. 903 Die Industrialisierung wurde dadurch beschleunigt, dass Erlangen 1844 A n - schluss an die Bahnstrecke von Bambe rg nach Nürnberg erhielt. Drei Jahre sp ä ter konnte der Donau - Main - Kanal in Betrieb genommen werden und Erlangen erhielt einen Binnenhafen für Massengut. 904 Auffällig ist, dass es in der Zeit des Vormärz 1848 in Erlangen keine polit i- schen Aktivitäten gegeben hat. Einen möglichen Grund sieht Alfred Wend e horst darin, dass die Auseinandersetzungen zwischen der Studentenschaft und dem Staat schon weitgehend abgebaut waren. 905 Allerdings erfuhr die deutsche Ein i- gungsbewegung nach der Revol ution 1848 einen beispie l losen Auftrieb. Es war

898 Eine Übersicht der Reformen in Preußen siehe Dietger (1998), S. 369. 899 Die Strukturkrise hatte verschiedene Ursachen: Zunächst war es die napoleonisch e Expor t- sperre für Güter, die für England und dessen Verbündete bestimmt waren (Kontinentalsperre), die Bauernbefreiung, veränderte Produktionsweisen, wissenschaftlicher und technischer For t- schritt. Vgl. Lutz (1998), S. 80 - 104. Infolge der preußischen Refo rmen kam es zu einer expl o- sionsartigen Zunahme der Bevölkerung, für deren Ernährung die Erträge der Landwirtschaft nicht mehr ausreichten. Besonders Franken litt 1816/17 unter Hu n gersnot. Vgl. Dettelbacher (1998), S. 55. 900 Vgl. Sandweg (1986), 9. 901 Vgl. St eidel/Gradert/Metzner/Müller (1985), S. 206. Ausführlich siehe Endres, Rudolf: Die Eingliederung Frankens in den neuen bayerischen Staat. In: Beiträge zur bayerischen G e schic h- te und Kunst 1799 - 1825. München. 1980. 902 Vgl. Möller (1998), S.584. 903 Vgl. Wendeh orst (1993), S. 77. 904 Vgl. Sandweg (1986), S. 905 Vgl. Wendehorst (1993), S. 104.

158 Erlangen, wo der Schleswig - Holsteinische Verein gegründet wurde, der wesen t- lich zur Verbreitung nationaler Ideen in ganz Deutschland beitrug und die For t- schrittspartei ein Stützpunkt der Nationa l liberalen wur de. 906 Seit 1868 war das Königlich Bayerische 6. Jägerbataillon in städtischen Qua r- tieren untergebracht, bis 1877 die neue Kaserne bez o gen werden konnte. Das 19. Infanterieregiment kam 1890 in der Luitpoldstraße dazu, und 1900 wurde die A r- tilleriekaserne fü r das 10. Königlich - Bayerische Feldartillerier e giment gebaut. 907 Nach der Militärreform von 1859 konnten Studenten auch als „Einjährig - Freiwillige“ ihre Wehrpflicht ableisten. Davon profitierte wiederum die Univers i- tät, da mit dieser Regelung der Abwanderung von Studenten entg e gengewirkt wurde. So bildeten Garnison und Universität eine Verbindung, die Erlangens Handel und Gewerbe befruchtete. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Erlangen eine bedeutende Garnisonsstadt geworden. Nach dem Niedergang des Strumpf wirkergewerbes setzte in der Ära des i n- dustriellen Wachstums 1870 - 1914 ein beachtlicher Aufschwung bei den G e we r- bebetrieben der Handschuhmachereien, Brauereien, Spiegel - , Kamm - und Bür s- tenfabriken ein. 908 Der Anschluss an das ständig erweiterte Eisenbahnne tz hatte eine überdurc h schnittliche Zunahme an Gewerbebetrieben zur Folge. 909

3.2. Die Berufung zum ordentlichen Professor

Dass Rosenthal im April 1872 nach Erlangen berufen wurde, war ein Ergebnis zäher Verhandlungen zwischen ihm, dem Senat der Friedrich - Al exander - Universität und dem Königlich - Bayerischen Staatsministerium des Innern für Schul - und Kirchenangelegenheiten. Die Probleme b e standen in der Frage der bayerischen Staatsangehörigkeit, die zunächst für Hochschullehrer gefordert wu r- de, 910 Rosenthals jüd ischer Herkunft und dem Unvermögen des Erlanger akad e- mischen Senats, die finanziellen Vorstellungen Rosenthals im Hi n blick auf seine

906 Vgl. Sandweg (1983), S. 52. 907 Zur Bedeutung des Militärs für Erlangen vgl. Steidel/Gradert/Metzner/Müller (1985), S. 228 - 233. 908 Vgl. Sandweg (1986), S. 10. 909 Über die Bedeut ung der Ära des industriellen Wachstums für die Stadt Erlangen s. Johrendt (1983), S. 259 ff. 910 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32, o. S. Schreiben des Kultusministeriums an den ak a d e- mischen Senat vom 12. März. 1872.

159 Besoldung und den Haushalt für das zu errichtende physiologische Institut g e- nehmigt zu bekommen. 911 Die Möglichkeit, an die E rlanger Universität einen Professor für Physiol o gie zu berufen, ergab sich nach dem Tod des zweiten Anatomieprofessors Jakob Herz . 912 Dieser hervorragende jüdische Arzt und Gelehrte, dem die Erlanger B e- völkerung fünf Jahre nach seinem Tod das erste Denkmal für einen Juden in Deutschland errichtete, verstarb 1871 an den Fo l gen seiner Teilnahme am Krieg gegen Frankreich und wohl auch an den Überanstrengungen seiner rastlosen pol i- tischen Tätigkeit. 913 Für die medizinische Fakultät bot sich nun bei allem Schmerz über den Verlust des verdienten Mannes eine g e eignete Gelegenheit, den zweiten Lehrstuhl für Anatomie in eine Professur für Physiologie umz u wandeln. Schon lange wurde es als Mangel empfunden, dass Erlangen noch kein selbstständiges physio logisches Institut hatte, und in der Tat gehörte die Friedrich - Alexander - Universität zu den letzten Lehrstätten, an denen die Fächer Ana - tomie und Phys i- ologie noch vereint waren. 914 In dem Schreiben des ak a demischen Senats an das Kultusministerium vom Januar 1872 wurde beklagt, dass nur noch an einer Un i- versität neben Erlangen beide Lehrstühle vereint se i en. 915 Erlangen war also in diesem Punkt im deutschen Sprachgebiet das Schlusslicht. Mit der einen Unive r- sität, wo die gleiche Lage herrschte, wurde auf die Un iversität Greifswald ang e- spielt. 916 Hier wurde ebenfalls im gleichen Jahr ein selbstständiger Lehrstuhl für Physiologie gegründet, an welchen der völlig unbekannte Leonard Landois 917 b e-

911 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32, o. S. Schreiben des akademischen Senats an Rosenthal vom 24. Februar 1872. 912 Jakob Herz (1816 - 1871) wurde in Bayreuth geboren und studierte in Erlangen Medizin, wo er Mitglied der Studentenverbindung „Bubenruthia“ wurde. 1863 wu r de er außerordentlicher und 1869 ordentlicher Professor für Anatomie. An politischen Fragen regen Anteil ne h mend, schloss er sich 1863 dem in Erlangen von Heinrich v. Marquardsen (siehe dort) gegründeten „Schleswig - Holstein - Verein“ an, wurde 1866 Mitglied der „D eu t schen Fortschrittspartei“ und ein Jahr später Mitglied im Erlanger Kollegium der Gemeindebevollmächtigten. Dem Erla n ger Ehrenbürger wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung am Holzmarkt (später Luitpoldplatz) ein Denkmal errichtet, das 1933 auf Be treiben der Nationalsozialisten entfernt wurde. Vgl. Sponsel (1978), S. 3309 - 3314; umfangreiche Literatur - und Quellenang a ben siehe Wittern (1999), S. 80 u. 81. 913 Vgl. Sponsel (1978), S. 3309. 914 Zur Spezialisierung der Medizin im 19. Jahrhundert vgl. vor a llem Eulner (1970). 915 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32. 15. Januar 1872. 916 Eine Tabelle zur Gründung selbstständiger Lehrstühle für Physiologie im deutschen Sprac h- gebiet siehe Rothschuh (1969), S. 173. 917 Leonard Landois (1837 - 19 02) hatte in Greifswald studiert, pr o moviert und sich dort auch 1863 habilitiert. 1868 wurde er außerordentlicher Professor. Nach seiner Ernennung zum o r- dentlichen Professor 1872 erfolgte der Neubau des physiologischen Instituts. Sein „Lehrbuch

160 rufen wurde. Der akademische S e nat richtete daher an das Kultusministerium die Bitte, die durch den Tod von Pr o fessor Herz freigewordene Stelle nicht wiede r- zubesetzen, sondern mit dem ve r fügbaren Gehalt eine gesonderte ordentliche Pr o- fessur für Physiologie zu b e gründen und diese mit Isidor Rosenthal zu b e setzen. Auch Professor Joseph von Gerlach 918 als Vertreter der vereinigten Lehrstühle von Anatomie und Physiol o gie, hatte beantragt, dass die nominell Jakob Herz übertragene Prosektur (Inst i tutsleitung) nicht wieder besetzt werden möge, so n- dern die freigewordenen Haushaltsmittel besser für die Begründung eines selbs t- ständigen Lehrstuhls für Physiologie zu verwenden. Ohnehin waren die Prosekturatsgeschäfte vom A s sistenten der anatomisch - physiologischen Abte i- lung wahrgenommen wo r den. 919 Rosenthal war der Wunschkandidat der Erlanger medizinischen Fakultät. Er war einigen Mitgliedern der medizinischen Fakultät, wie z. B. Wilhelm von Leube 920 persönlich bekannt und genoss trotz oder vielleicht gerade wegen se i nes „mosa i- schen Glaubens“ einen hervorragenden Ruf. Jedenfalls verwies der akademische

der Physiol ogie“, das 1880 zum ersten Mal erschien, war außerordentlich erfolgreich und e r- lebte bis 1894 zahlreiche, besonders auch internationale Auflagen. Vgl. Hirsch (1931), S. 660. 918 Joseph von Gerlach (geb. 1820 in Mainz, gest. 1896 i n Mü n chen) studierte in München, Würzburg und Berlin Medizin. 1846 ließ er sich als praktischer Arzt in Mainz nieder, folgte aber 1850 einem Ruf nach Erlangen auf den Lehrstuhl für An a tomie. 1862 wurde ein eigener Lehrstuhl für pathologische Anatomie begrü ndet, im folgenden Jahr ein physiologische Abte i- lung eingerichtet. 1896 wurde er emeritiert. Gerlach gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Physikalisch - Medicinischen Socität in Erlangen und war Mi t glied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina . Er gilt als „Begründer der modernen histologischen Färbetec h nik“ (zit. n. May , 2002, S. 308). Vgl. Wittern (1999), S. 52. 919 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32, o. S. Beilage zu Schrift No. 410. Bericht der medizin i- schen Fakultät an den akademischen Sena t durch Friedrich Albert von Zenker vom 31. D e ze m- ber 1871. 920 Wilhelm von Leube (geb. 1842 Ulm, gest. 1922 Bad La n genhagen) studierte zunächst in Tübingen und promovierte 1866 in Berlin. Seine Lehrer w a ren Frerichs, Liebig, Kühne und Traube. Unter Rosenthals Anleitung hatte er 1868 Versuche zur Wirkung verschiedener Gifte auf die Atmung durchgeführt (vgl. Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften. 9. J a nuar 1869. Nr. 3. S. 30). Dann wurd e er Assistent bei Hugo Wi l helm v. Ziemssen in Erlangen und habilitierte sich mit der Schrift „Die Wirkungen des Dünndarmsaftes“. 1871 wurde er Professor und 1872 folgte er einem Ruf nach Jena, keh r te aber 1874 nach Erlangen zurück, wurde dort Direktor der medizinischen Klinik sowie Pr o fessor für spezielle Pathologie und trat wieder der Physikalisch - Medizinischen Sozietät in Erlangen bei. 1885 ging er nach Wür z burg. Vgl. Wi t- tern (1999), S. 116/117. Er war einer der engsten Freunde Rosenthals. Vgl. Selbstzeu gnis Leubes über Rosenthal in Leube (1884), S. 117. Vgl. Rosenthal über Leube in Rosenthal (1881), S. 23.

161 Senat in einem Schreiben an das Kultusm i nisterium ausdrücklich auf die guten Erfahrungen mit Professor Herz:

„(...) Dr. Rosenthal ist Israelite. Aber die s dürfte schwerlich ein Hindernis seiner Berufung seyn [!], wie derselbe kein Hindernis der Beförderung unseres unve r geßlichen Collegen Dr. Herz gewesen ist, wenn doch die persönlichen Eige n schaften desselben, ebenso, wie es bei Dr. Herz der Fall gewesen i st, die beste Bürgschaft bieten.“ 921

Die offensichtliche Betonung der guten Erfahrungen mit dem jüdischen Koll e gen Herz verwundert ein wenig. Offensichtlich galt es, noch bestehende Bede n ken gegen die Berufung Rosenthals aufgrund seines „mosaischen Glaubens “ ausz u- räumen. Dies erhält eine besondere Bedeutung vor dem Hintergrund, dass Eduard Lasker , Reichstagsabgeordneter der Nationall i beralen Partei und einer der besten Freunde Rosenthals, am 2. Januar 1872 einen Brief an seinen polit i s chen Freund Heinrich von Marquardsen 922 geschrieben hatte. 923 Marquardsen war zu diesem Zeitpunkt nationalliberaler Abgeordneter in der Bayerischen Kammer sowie Mi t- glied des akademischen Senats und wurde von Eduard La s ker gebe ten, dem Ku l- tusminister Johann Freiherr von Lutz die Berufung Rose n thals zu empfehlen. A u- ßerdem verwies Lasker auf die verwandtschaftlichen B e ziehungen Rosenthals zu Heinrich Bernhard Oppenheim , der auch ein bekannter nati o nalliberaler Politiker war, und betonte auch den politischen Nutzen einer Ber u fung Rosenthals nach Erlangen. Die medizinische Fakultät begründete den Antrag, Rosenthal zu ber u- fen, mit folgenden Ausführu n gen:

921 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32, o. S. 15. Januar 1872. Schrift Nr. 410. 922 Siehe Bildteil Abb. 39. Heinrich Johannes Christian von Marquardse n (1826 - 1897) gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten des Liberalismus im 19. Jahrhundert. In Schleswig aufgewachsen, studierte er in Kiel und Heidelberg Jura und habilitierte sich mit der Schrift „Haft und Bürgschaft bei den Angelsachsen“ (1851) und las über Straf - , Völker - und Staat s- recht. 1861 nahm er einen Ruf als Ordinarius für Deutsches Staatsrecht an die Universität E r- langen an. Er gründete 1863 in Erlangen den Schleswig - Holstein - Verein, war dessen Vorsi t- zender und gehörte zu den Mitbegründern der Deutschen Fortschrittspartei. Er war Mi t glied des bayerischen Abgeordnetenhauses und ab 1871 Reichstagsmitglied für die Nationallib e rale Partei, zu deren Vorstandsmitgliedern er zählte und dessen eigentliche Seele er war. Vgl. Ki e- seritzky (2002), S. 15 1 ff. Nach ihm wurde die Straße am Bohlenplatz genannt. U m fangreiche Literatur und Quellenangaben siehe Wittern (1993.2), S. 144 u. 145; Nachlass Ma r quardsen siehe BAB: N 2183 / 14; über die Rolle Marquardsens für die Entwicklung des Lib e ralismus in Franke n vgl. Hirschfelder (1991), S. 101 - 116; ausführlich zum Liberalismus 1878 - 1893 siehe Kieseritzki (2002). 923 Vgl. BAB: N 2183 / 14, Brief vom 2. Januar 1872.

162 „In erster Linie empfehlen wir den Professor Dr. I. Rosenthal in Berlin. Derselbe gehört o h- ne Zweifel zu den tüchtigsten Kräften der jüngeren physiologischen Schule. Eine längere Reihe von Jahren hindurch war er Assistent unter Du Bois - Reymonds Leitung und hat dort als Docent und Professor ebenfalls seit einer Reihe von Jahren gut besuchte physiologische Vo r l e- sungen und Curse gehalten. Er gilt allgemein und auch im Urtheil der herausragendsten Physi o- logen als ein sehr achtungswerter, solider, verständiger, fleißiger, ja unermüdlicher und idee n- reicher Arbeiter, sowie als ein sehr geschickter Experimentator. Und solche, welche ihn in se i- nem Unterricht zu beobachten Gelegenheit hatten, rühmen seinen fließenden Vortrag und die Klarheit und anregende Kraft seiner Darstellu ng. Literarisch hat er sich außer durch verschi e- dene in Zeitschriften publizierte Arbeiten vorzüglich durch zwei selbständig erschi e nene Schri f- ten sehr vortheilhaft bekannt gemacht. Es sind dies: ´Elektricitätslehre für Mediz i ner. Berlin 1862´ und ´Die Ath embewegungen und ihre Beziehung zum Nervus vagus. Berlin. 1862.´ Während die erstb e nannte Schrift einen rein didaktischen Zweck verfolgt (...), hat die zweite Schrift, welche auf Grund einer ausgedehnten Experimentaluntersuchung ein überaus wichtiges Thema in trefflicher Weise abgehandelt, seinen Ruf als selbständiger physiolog i scher Forscher hauptsächlich begründet. Auch ist seit Jahren eine größere Zahl wertvoller physiologischer Arbeiten unter seiner Leitung von seinen Schülern ausgeführt worden. (...). Professor Rose n- thal ist mehreren Mitgliedern unserer Fakultät persönlich bekannt. Und nach deren Mittheilu n- gen sowohl als auch den sonstigen von zuverlässigen Seiten über ihn eing e gangenen Erkund i- gungen erscheint derselbe als ein durchaus ehrenwerter Chara kter und eine im Umgang ang e- nehme und lieben s würdige Persönlichkeit. Auch wird ihm noch besonders ein reges thätiges Interesse für das allgemeine Beste nachgerühmt, wie er denn wegen seiner in Sachen der Kra n- kenpflege im letzten Kriege bewiesenen Pflichttr eue, durch welche er in französische Gefa n- genschaft geriet, mit dem eisernen Kreuz geschmückt wurde.“ 924

Diese Beschreibung vermittelt einen Eindruck von der Wertschätzung und dem Bekanntheitsgrad, den Rosenthal als fünfunddreißigjähriger Physiologe erwo r be n hatte. Als zweiter Kandidat wurde Wilhelm Wundt vorgeschlagen, der früher Assi s- tent am physiologischen Institut in Heidelberg bei Helmholtz gewesen war und sich dort auch habilitiert hatte. Auch Wundt hatte die Wirkungen der Durc h tre n- nung des Vagus erforscht und hatte das „Handbuch der medicinischen Ph y sik“ (Erlangen, 1867) und das „Lehrbuch der Physiologie des Menschen“ (E r langen, 1865) verfasst, das seit seinem ersten E r scheinen eine weite Verbreitung unter den Studierenden gefun den hatte und schon 1868 neu aufgelegt wo r den war. 925 Allein der Ruf Rosenthals, dass er der bessere Experimentator sei, war die U r- sache für seine bevorzugte Empfehlung durch den akademischen Senat. O f fe n- sichtlich stand die experimentelle Richtung der Physi ologie in besonders h o hem

924 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32. Beilage zu Schrift No. 410. Bericht der medizin i- schen Faku ltät an den akademischen Senat durch Friedrich Albert von Zenker vom 31. D e ze m- ber 1871. 925 Vgl. Diamond (1976), S. 526.

163 Ansehen. Sie galt als Motor für Forschung und Lehre. Eine ungünstige Verhan d- lungsgrundlage ergab sich für den akademischen Senat durch die ang e spannte finanzielle Situation. Die Professorengehälter in Bayern waren allg e mein gering er als in Berlin und der Senat äußerte sich recht pessimistisch, unter diesen Vorau s- setzungen überhaupt einen geeigneten Physiologen nach Erlangen berufen zu können. 926 Dazu kam, dass sich das Ku l tusministerium weigerte, den Etat für das neuzugründende Insti tut zu erhöhen. 927 Rosenthals Bedingungen für die Annahme der Berufung erscheinen, verglichen mit dem Angebot, unerfül l bar. 928 Seine G e- haltsforderung betrug 2.000 Gulden jährlich, anstatt der gebot e nen 1.500, ve r- bunden mit der Forderung, das Gehalt nach drei J ahren auf 2.500 zu erhöhen. Der Etat für das Institut war ihm zu niedrig und er forderte die A n stellung eines Inst i- tutsdieners und eines Assistenten, so wie er es aus Berlin gewöhnt war. Auße r- dem bestand Rosenthal auf der Zahlung einer Umzugsko s tenentschäd igung von 800 Gulden. Trotz der Unmöglichkeit, seine Forderungen erfüllt zu sehen, sagte Rosenthal in einem Schreiben 929 an den Prorektor der E r langer Universität, Pr o- fessor Dr. Johann Christian Konrad von Hofmann , 930 am 4. März 1872 die A n- nahme der Berufung zu, nachdem er allerdings schon im Dezember 1872 der F a- kultät eine Zusage gegeben hatte, obwohl ein offensich t liches Missverhältnis zw i- schen den Vorstellungen Rosenthals und den in E r langen gebotenen Möglichke i- t en bestand. Die Ursache für Rosenthals Z u sage ist wohl darin zu sehen, dass er sich um jeden Preis einen neuen Wirkungskreis erschließen wollte und diese Möglichkeit nur durch einen For t gang aus Berlin verwirklicht werden konnte. In einem Schreiben an Frie drich Albert von Ze n ker , den Dekan der medizinischen Fakultät, deutete Rosenthal die Gründe an, die ihn trotz der finanziellen Ve r- schlechterung zur Annahme der Berufung ve r anlassten:

926 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32, o. S. Beilage zu Schrift No. 410. Bericht der medizin i- schen F akultät an den akademischen Senat durch Friedrich Albert von Zenker vom 31. D e ze m- ber 1871. 927 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32, o. S. Schreiben des Kultusministeriums an den ak a d e- mischen Senat vom 15. Februar 1872. 928 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32, o. S. Antwortschreiben Rosenthals vom 21. Februar 1872. 929 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32, o. S. Rosenthal an Hofmann vom 4. März 1872. 930 Johannes Christian Konrad von Hofmann (1810 – 1877) gehörte der theologischen Faku l tät an und ve r sah sein Amt im WS 1871/72 und im SS 1872. 1842 wurde er Ordinarius für Altes und Neues Testament an der Universität Rostock. Nach der Entlassung Harless´ übe r nahm er dessen Lehrstuhl und kehrte nach Erlangen zurück. Hier gehörte er zum Vorstand des Ve r eins Harmonie, dem auch Rosenthal später beitrat (siehe Kap. 3.8.4., S. 257 ), war Mitglied des Bayerischen Landtages für die Fortschrittspartei und gehörte zu den Mitbegründern des Schleswig - Holstein - Vereins. Vgl. Wittern (1993.2), S. 35 u. 190.

164 „Die Verhältnisse des hiesigen physi ologischen Laboratoriums sind der Art, dass ich nicht im Stande bin, die meinen Neigungen ganz entsprechende Thätigkeit zu finden. Die Verhäl t ni s- se haben sich durch ein Zusammentreffen mannichfacher U m stände hier in den letzten Jahren zu meinen Ungunsten verändert.“ 931

Zwei dieser Umstände sind jedenfalls in dem wachsenden Missverhältnis 932 zw i- schen Du Bois - Reymond und Rosenthal sowie in dem immer noch nicht verwir k- lichten Neubau des Berliner Instituts zu sehen. 933 Ergebnis aller Ve r handlungen war schließlich, dass das Kultusministerium die Ablösung der Prosektoratsgeschäfte von der Professur des zweiten Anatomieprofessors durc h- setzte, sie einem Assistenten des anatomischen Instituts übertrug und den zweiten Lehrstuhl für Anatomie in eine Professur für Physiolog ie umwande l te. 934 Abschließend kann festgestellt werden, dass Rosenthals Wunsch, Verantwo r- tung für ein eigenes Institut zu übernehmen und die Möglichkeit, seine Fo r schu n- gen ganz nach seinen Vorstellungen durchführen zu können, größer war, als das Bedürfnis, zuerst die wirtschaftliche Situation für seine junge Familie zu verbe s- sern. Rosenthal nahm in Kauf, dass seine Gehaltsforderungen nicht e r füllt wu r- den, nur um endlich unabhängig seine Ideen verwirklichen zu können. Außerdem dürfte, nachdem schon überall i n Deutschland selbstständige Leh r stühle gegrü n- det worden waren, 935 Erlangen für Rosenthal die letzte Gelege n heit für einen ve r- gleichbaren Arbeitsplatz gewesen sein. Das wird er gewusst haben. Persönl i che Kontakte – die klassischen „Beziehungen“ – halfen, die se Chance zu nutzen. Die Rolle Eduard Laskers ist hierbei nicht zu unterschä t zen. 936 Rosenthal war zudem ein enger Freund Wilhelm von Leubes, der Mi t glied der medizinischen Fakultät und ein Duzfreund Heinrich von Marquardsen war. 937 Ermutigende Zeilen erhielt Rosenthal vom Dekan der medizinischen F a kultät. Friedrich Albert von Zenker

931 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Schreiben Rosenthals an Zenker vom 20. D e- zember 1871. 932 Vgl. Kap. 2.3.4., S. 90 . 933 Vgl. Kap. 2.3.2., S. 71 . 934 Vgl. UAE: T. 1. Pos. 9 a. Med. Fak. 1872, o. S. Schreiben des Kultusministeriums an den akademischen Senat vom 18. Februar 1872. 935 Eine chronologische Darstellung der Gründungen selbstständiger Lehrstühle für Physiol o gie im deutschen Sprachgebiet s. Rothschuh (1969), S. 173. 936 Der Nachlass von Heinrich von Marquardsen zeigt ein umfassendes Beziehungsgeflecht, in welchem politische Interessen, persönliche Freundschaften und berufliche Ziele verwoben w a- ren. Die Aussicht, in Rosenthal ein en politisch brauc h baren Mitstreiter zu gewinnen, mag für Marquardsen ein Grund gewesen zu sein, sich für die Berufung Rosenthals beim Kultu s minist e- rium einzusetzen. Lasker verwandte sich offen für Rose n thal. Vgl. BAB: N 2183 / 14, Bl. 74. Empfehlungsschre iben Eduard Laskers an Heinrich von Marquardsen vom 2. Januar 1872. 937 Vgl. BAB: N 2183 / 14, Bl. 4.

165 erinne r te ihn daran, dass er unter gleichen Bedingungen seinen Ruf nach Erlangen angenommen und es „bis heute noch keinen Augenblick bereut“ 938 habe. So wu r- den die Weichen für Rosenthals nächsten Lebensa b schnitt gestellt. Das Ansinnen des bayerischen Kultusministeriums, Rosenthals Berufung vom Erwerb der bayerischen Staatsang e hörigkeit abhängig zu machen, wurde du rch ein Schreiben des Senats aufgeschoben. Rosenthal sollte aufgefordert werden, im Rahmen seines Berufungsverfahren ein Gesuch um „kostenlose Ve r leihung des bayerischen Indigenats“ 939 zu stellen. 940 Der akademische Senat hielt das für ä u- ßerst ungeschickt und befürchtete, dass Rosenthal daran A n stoß nehmen und die Berufung noch scheitern könnte. Daraufhin wurde dieser Punkt stillschweigend übergangen. Heinrich von Marquardsen hatte am 13. Februar von München aus an die königlic h - bayerische Telegrafenstation in Erlangen telegrafiert, dass der König Rosenthals Berufung genehmigt habe. 941 Für Rose n thal begann nun ein Abschnitt b e deutender Wirksamkeit. Die Berufung nach Erlangen hatte noch eine zweite Seite: Auf Wunsch der medizinisch en Fakultät übernahm Rosenthal auch die Vorlesungen über G e - sundheitspflege, die vorher Professor Franz Freiherr von Gorup - Besanez 942 g e ha l- ten hatte. Nun wurde ihm ein Lehrgebiet übertragen, 943 das ihm schon in Be r lin am Herzen gelegen hatte, als er die „Deutsche Gesellschaft für öffentl i che

938 Zit. n. UAE: T. I. Pos. 9 a. No. 69, o. S. Verhandlungsschreiben Zenkers an Rosenthal vom 24. Februar 1872. 939 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Schreiben des akademischen Senats an den Ku l- tusmini s ter vom 12. März 1872. 940 Tatsächlich stellte Rosenthal erst 1877 den Antrag zur Erwerbung des Bürgerrechts, wie es gemäß Artikel 19 der Bayerischen Gemeindeordnung vo rgeschrieben war. Vgl. SAE: III. 72. R. 1, o. S. 941 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Telegramm vom 13. Februar 1872. 942 Eugen Franz Freiherr von Gorup - Besanez (1817 - 1878) nahm 1836 sein Studium der Me d i- zin in Wien auf, promovierte in München und studierte weiter in Wien pathologische Anat o mie und Physiologie. Nach einem Studienaufenthalt am Institut für anorganische und organ i sche Chemie bei Wöhler an der Universität Göttingen wurde er 1846 Privatdozen t für Physi o logie und Pathologie in Erlangen. Seit 1849 außerordentlicher Professor, wurde er 1855 Ord i narius für Chemie, 1866 bekleidete er auch den Lehrstuhl für Hygiene, der als zweiter dem durch Max von Pettenkofer begründe ten folgte. 1878 erlitt er einen Schlaganfall, an dessen Folgen er ve r starb. Von 1851 bis 1873 war er reges Mitglied der Physikalisch - Medizinischen Sozietät in Erlangen. Vgl. Gräf/Braun (1986), S. 8 - 13, Simmer (1981), S. 497 - 509 und Wi t tern (1999), S. 55 u . 56. 943 Vgl. UAE. T. I. Pos. 9 a. No. 68. Med. Fak. 1871/72, o. S. Fakultätsbericht vom 14. Juni 1872. Rosenthal übernahm ab dem WS 1872/73 die Vorlesungen der Hygiene.

166 Gesundheitspflege“ gründete. 944 Nun erhielt er als akademischen Auftrag, was ihn aus persönlicher Neigung schon beschäftigt hatte.

3.3. Die Entwicklung der Physiologie an der Friedri ch - Alexander - Un i versität

Die medizinische Ausbildung in Erlangen begann mit der Verl e gung der ein Jahr zuvor in Bayreuth gegründeten Academia Fridericiana 1742 durch den Markgr a- fen Friedrich von Brandenburg - Bayreuth. 945 Dies war zum einen das Ergebnis der Üb erlegung, dass eine Universität am günstigsten an einem Ha n delsstandort, a l- lerdings auch entfernt vom Hof einzurichten sei. 946 Zum anderen erschien Erla n- gen auch infrastrukturell ein geeigneter Standort zu sein, da in Erlangen die G e- bäude der Ritterakademie zur Verfügung standen. Überdies war man in der Res i- denzstadt Bayreuth der ständigen Auseinandersetzungen zw i schen Soldaten und Studierenden überdrüssig, die in der kurzen Zeit seit dem B e stehen der Akademie in der Garnisonsstadt den Unwillen der Bürger err egt hatten. 947 Die Erlanger Ri t- terakademie war 1741 mit dem Bayreuther Gymnas i um zusammengelegt wo r- den. 948 Zudem begann sich Erlangen durch den Zuzug französischer Hugenotten wirtschaftlich gut zu entwickeln. Erster Kanzler der neugegründeten U niversität war d er Leibarzt und politische Berater des Fürsten, Daniel de Superville (1696 – 1773). 949 Er war schon Direktor des Bayreuther Gymnas i ums gewesen, das 1742 zur Akademie aufgewertet worden war, sodass es nur noch ein kleiner Schritt z ur Universitätsgründung war, die durch den Kaiser, den Wittelsbacher Karl VII., bestätigt wu r de. 950

944 Vgl. Kap. 2.6.3., S. 123 . 945 Aus der umfangreichen Literatur zur Geschichte der Universität Erlangen - Nürnberg sei hier besonders verwiesen auf Kolde (1910), Kössler (1993), Friederich (1993) und Wend e horst (1993). Speziell zur Vorgeschichte und Gründung mit reichhaltigem Literatur - und Quelle n- verzeichnis vgl. Neuh aus (1993), S. 23 - 34 und Jakob (1993), S. 165 - 171. 946 Vgl. Friederich (1993), S. 24. 947 Vgl. Steidel (1985), S. 156. 948 Vgl. Wendehorst (1993), S. 12. 949 Zur Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Erlangen siehe ausführlich Wi t- tern (1993.1), S. 315 - 420. Zur Rolle von Daniel de Superville bei der Gründung der Univers i- tät vgl. Wi t tern (1993.3), S. 7 - 11. 950 Vgl. Wendehorst (1993), S. 13.

167 Die Medizin nahm an der Erlanger Universität von Anfang an eine herausgeh o b e- ne Stellung ein: „Die von Superville besonders geförderte Medizinische F a kultät (...) war mit ebenfalls fünf Ordinariaten gleich groß wie die Juristische und übe r- schritt damit die zeitübliche Anzahl der akademischen Lehrer.“ 951 D a niel de Superville selbst hatte in Utrecht und in Leiden studiert, Städte, die d a mals als Mittelpunkt der Medizin galten. Hier wirkte der erfolgreichste Kliniker und Le h- rer des Jahrhunderts, der Holländer Hermann Boerhaave (1668 - 1738), der für die Physiologie Meilensteine setzte, da durch ihn Züge der Mech anik, der Chemie und der unmittelbaren klinischen Betrachtung mit der Medizin ve r bunden wurden. Vorgänge im menschlichen Körper wurden vorrangig auf ph y sikalisch - mechanistische Prinzipien zurückgeführt. 952 Boerhaave bezog den U n terricht am Krankenbett von Pa tienten in die Ausbildung seiner Studenten ein und bewirkte, dass die medizinischen Fakultäten klinisch - praktische Kurse ei n füh r ten. 953 Der Unterricht fand zuerst in dem Gebäude der Ritterakademie in der Haup t- straße statt, dort wo heute ein modernes Einkauf szentrum steht. Die Akademie war ein Gebäudekomplex, der sich an der heutigen Hauptstraße vom Hugeno t te n- platz bis zur Friedrichstraße bzw. Inneren Brucker Straße erstreckte und U n te r- richtsräume, Fecht - und Hörsäle, Wohnungen für Dozenten, Bedienstete und S t u- denten sowie die Sophienkirche umfasste. 954 Die Vorlesungen der Anatomie e r- folgten öffentlich und unentgeltlich, während für andere medizinische Vorl e su n- gen Gebü h ren erhoben wurden. Friedrich von Wendt 955 wurde 1778 als Professo r an die medizinische Faku l tät berufen, wo er bis zu seinem Tod geblieben ist. Er richtete 1779 im Rückg e bäude des Egloffsteinschen Palais 956 an der Südl i chen Stadtmauerstraße 28/I eine kleine private ambulante Klinik ein, die als universitäres „Institutum C linicum“ durch

951 Zit. n. Wendehorst (1993), S. 21. 952 Diese Auffassung vom Lebendigen wird nach Idee n von René Descartes (1596 - 1650) auch als „Kartesianische Lebensmechanik“ (zit. n. Eckart , 1998, S. 198) bezeichnet. Hierzu au s füh r- lich Rothschuh (1969), S. 96 - 110. 953 Zur Reform der medizinischen Ausbildung, Krankheitslehre und Therapie unter Boerhaave vgl . Eckart (1998), S. 237 - 239. 954 Vgl. Steidel (1985), S. 149 - 155. 955 Friedrich von Wendt wurde 1738 als Sohn eines Pfarrers aus der Niederlausitz geboren. Er war 1777 Leibarzt des Herzogs von Anhalt - Pleß und wirkte als fünfter Pro fessor der Arzne i- kunde von 1778 bis zu seinem Tode 1818 in Erlangen. Seit 1810 war er Präsident der „Kaise r- lich Leopoldinisch - Carolinischen Deutschen Akademie der N a turforscher“, die schon 1652 gegründet worden war und erhielt in dieser Eigenschaft den per sönlichen Adel verliehen. Au s- führlicher zu Wendt vgl. Wittern (1999), S. 214. Zur Geschichte der Le o poldina vgl. Weisser (1986). 956 Heute befindet sich hier die Volkshochschule. Vgl. Jakob (2002), S. 217.

168 den Markgrafen anerkannt wurde. 957 Auch Friedrich von Wendt veränderte das Medizinstudium, „indem er die herkömmliche theoret i sche Vorlesung mit prakt i- scher Unterweisung am Kranken verband.“ 958 1815 eröffnete Profess or Bernhard Nathanael Gottlob Schreger 959 im nachmals B ü cking´schen Haus 960 in der Wa s- serturmstraße 14 ein Clinicum chirurgicum. Erst nach langem Ringen konnte 1824 endlich das Universitätskrankenhaus fe r tiggestell t werden, denn die politischen Wirren der Loslösung des Fürste n tums Bayreuth von Preußen, die französische Besetzung und die Einverleibung durch das Königreich Bayern sowie ständige Geldknappheit hatten den seit 1778 g e- planten Bau verzögert. 961 Er bestand au s einer chirurgischen Abteilung, der Pr o- fessor Schreger vorstand, und einer medizinischen Abteilung, die durch Professor Adolph Henke 962 geleitet wurde. Das Gebäude befindet sich noch heute a m Os t- rand des Schlossgartens. Damals bot es Raum für insgesamt 48 Betten. 963 Profe s- sor Gottfried Fleischmann 964 war 1806 nach Erlangen berufen worden, um den Lehrstuhl für Anatomie und Physiologie zu überne h men. Unter seiner Leit ung zog 1826 das anatomische Institut in die Orangerie um, wo es bis 1863 untergebracht war.

Es war der Anatom und Physiologe Joseph von Gerlach , 965 der schließlich 1863 erreichte, dass am Rande des Schlossgartens ein neues Inst itut für die noch ve r e i- nigten Fächer der Anatomie und Physiologie gebaut wurde. Es war der erste Un i-

957 Vgl. Sandweg (1986), S. 38 und Wittern (1999), S. 215. 958 Zit. n. Wendehorst (1993), S. 47. 959 Bernhard Nathanel Gottlob Schreger (1766 - 1825) wurde 1791 Privatdozent für Arzne i ku n- de in Leipzig. 1797 nahm er einen Ruf als Professor für Arzneikunde, insbesondere fü r Chiru r- gie nach Erlangen an. Das von ihm 1815 gegründete Clinicum chirurgicum wurde 1824 mit dem neuen Universitätskrankenhaus vereinigt, in dessen Vorstand er auch wirkte. Vgl. Wittern (1999), S. 175. 960 Das Gebäude gehörte zum markgräflichen Bauhof (vgl. Friederich , 1993, S. 550) und b e- herbergte ab 1836 die Kammfabrik von Johann Georg Bücking (1788 - 1861). Dieser nutzte als erster gewerblicher Betrieb in Erlangen die Dampfkraft. Vgl. Schraudolph (2002), S. 182. 961 Vgl. Petermann (1999), o. S. 962 Christian He inrich Adolph Henke (1775 - 1843) wurde 1805 auße r ordentlicher Professor für Arzneikunde in Erlangen, seit 1818 Ordinarius für Physiologie, Pathologie und Staatsarzne i- kunde und leitete das Institutum clinicum kommissarisch bis zur Verei nigung mit dem Un i ve r- s i tätskrankenhaus. Vgl. Wittern (1999), S. 78. 963 Vgl. Sandweg (1986), S. 38. 964 Gottfried Fleischmann (1777 - 1850) gehörte zu den Mitb e gründern der Physikalisch - Medizinischen Sozietät zu Erlangen und war se it 1820 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Vgl. Wittern (1999), S. 44. 965 Siehe S. 153.

169 versitätsneubau 966 am südlichen Schlossgartenrand. Das Gebä u de befindet sich noch immer in der Universitätsstraße 17 und beherbergt das Physiologische Inst i- tu t I. Hier bezog Rosenthal im oberen Stockwerk einige Räume, um hier sein physiologisches Institut einzurichten. 967 Zugleich beantragte er im Rahmen der Umbaumaßnahmen eine Familienwohnung für den Institutsdiener im G e bäude. 968 Doch sollte diese erst 1879 ausge baut we r den. 969 Bedeutsam für die Unterbringung des physiologischen Instituts ist, dass 1853 unter der Leitung von Professor Johann Eugen Rosshirt 970 neben der Univers i- tätsklinik in der Krankenhausstraße 8 der Bau einer gynäkolo gischen Klinik, d a- mals noch „Entbindungsanstalt“ 971 genannt, begonnen wurde. Dieses Gebä u de war ein sehr schlichter, recht unansehnlicher Sandsteinbau, 972 der sich zudem noch als unzweckmäßig erwies. 973 Nach Rosshirts Eintritt in den Ruhestand 1868 wurde Karl Sc hröder 974 als außerordentlicher Professor für Geburtshilfe nach E r- langen berufen. Aufgrund seiner Bemühungen entstand 1876 in der Universität s- straße 21 - 23 eine neue Frauenklinik mit Poliklinik und Hebammenschule, die von seinem Nachf olger Paul Zweifel 975 vollendet wu r de. 976 Sie galt in Deutschland

966 Siehe Bildteil Abb. 26. 967 Vgl. Rosenthal (1903), S. 8 und UAE: T. IV. Pos. 8. Nr. 31, o. S. In seinem Schreiben vom 17. Mai 1878 an den akad emischen Senat gibt Joseph von Gerlach näheren Aufschluss über die Nutzung des Anatomieg e bäudes. 968 Vgl. UAE: T. I. Pos. 9 a. Nr. 68. Med. Fak. 1871/72, o. S. Fakultätsbericht vom 31. Mai 72 über die neue Raumaufteilung des anato mischen Instituts mit gleichzeitiger Einrichtung einer Dienerwohnung. 969 Vgl. UAE: T. IV. Pos. 8. Nr. 31, o. S. Schreiben des Kultusministeriums an den akadem i- schen Senat vom 10. Januar 1879. 970 Johann Eugen Rosshirt (geb. 1795 in Oberscheinfeld, gest. 1872 in Erlangen) hatte in Würzburg Medizin studiert und war 1823 Prosektor der Chirurgenschule in Bamberg gewo r- den. 1833 nahm er einen Ruf als ordentlicher Professor der Geburt s hilfe nach Erlangen an und wurde Direktor der Entbin dungsanstalt, die sich bis 1853 in der Nürnberger Straße 36 befand. Die Stadt Erlangen verlieh ihm 1867 die Ehrenbürge r rechte. Vgl. Wittern (1999), S. 155. 971 Zit. n. Wendehorst (1993), S. 117. 972 Siehe Bildteil Abb. 27. 973 Vgl. Kolde (1910), S. 413. 974 Nach d em Medizinstudium in Würzburg und Rostock wurde Karl Schröder (geb. 1838 in Neu - Strelitz; gest. 1887 in Berlin) in Bonn habilitiert. 1869 wurde er Ordinarius für Gynäk o l o- gie und Geburtshilfe. 1876 wechselte er nach Berlin. Vgl. Witte rn (1999), S. 176. 975 Paul Zweifel (geb. 1848 in Zürich, gest. 1927 in Leipzig) wurde nach seinem Medizinst u d i- um in Zürich Privatdozent für Frauenheilkunde in Straßburg. 1876 nahm er einen Ruf als Ord i- narius nach Erlangen an, bis er 18 87 nach Leipzig wechselte, um Direktor der dortigen Fra u- enklinik zu werden. Vgl. Wittern (1999), S. 228. 976 Vgl. Jakob (2002), S. 282.

170 längere Zeit als Musteranstalt. 1878 entbrannte in der medizinischen Fakultät die Auseinandersetzung um die frei werdenden Räume der Entbindungsanstalt in der Krankenhausst raße 8. 977 Auch die Unive r sitätsbibliothek hatte Bedarf angeme l- det, da sie den ständig wachsenden Buc h bestand nicht mehr unterbringen konnte. Als Rosenthal merkte, dass seiner Fo r derung nach einem Neubau für die Physi o- logie aus finanziellen Gründen nicht ent sprochen werden konnte, stimmte er einer Verlegung des physiologischen Instituts in die Räume der Entbindungsanstalt zu. 978 Dabei geriet er zusätzlich in einen Interessengegensatz mit Professor Emil Selenka , 979 der 1874 zum Ordin a rius und Direktor des zool o gisch - zootomischen Instituts berufen worden war und ebenfalls einen Umbau der Entbindungsanstalt für seine Zwecke anstre b te. 980 Joseph von Gerlach unterstützte in seiner Eige n- schaft als Dekan der med i zinischen F akultät allerdings den Vorschlag, die Ph y- si o logie in der Entbi n dungsanstalt unterzubringen und für die Zoologie neu zu bauen. Er war am Auszug des physiologischen Instituts aus dem Anatomiegebä u- de besonders i n teressiert, da er die Räume für die Erweiterung der Histologie nutzen wollte. Diese Lösung fand schließlich die Zustimmung des Kultusminist e- riums. 981 So entstand in direkter Nachba r schaft zum Anatomiegebäude das neue zoologische Institut – heute ist hier noch die Histologie untergebracht, während sich Ro se n thal mit dem Provisorium der umgebauten Entbindungsanstalt begn ü- gen mus s te. Rosenthal hatte seine Forderung nach einem Institutsneubau für die Physi o logie nur unter der Bedingung z u rückgezogen, dass die Unterbringung in der Entbindungsanstalt provisoris ch sein sollte. 982 Doch sollte dieses Provisorium bis 1903 bestehen bleiben. Rose n thal beantragte weiter die „Einrichtung einer hygienischen Beobachtungsstation für Boden, Luft und Nahrungsmittel, die B e- schaffung von Respirationsappar a ten, Beleuchtungsappara ten für die optischen

977 Über die Verwendung der freiwerdenden Räume der bisherigen Entbindungsanstalt, auch „hebärztliches Institut“ genannt vgl . UAE: T. IV. Pos. 8. Nr. 31, Aktentitel. Siehe Bildteil Abb. 27 und 50. 978 Vgl. UAE: T. IV. Pos. 8. Nr. 31, o. S. Schreiben Rosenthals an den Verwaltungsausschuss der Universität vom 20. Mai 1878. 979 Emil Selenka (1842 - 1902) war 1874 a ls Nachfolger von E. Ehlers von der Universität Leyden nach Erlangen gekommen, wo er bis 1892 wirkte. 1885 baute er das zoologische Inst i- tut in Form eines französischen Barockschlößchens. Selenka war für seinen Kunstsinn und or i- gine l len Lebensstil bekannt. Vgl. Jaenicke (1993), S. 667. 980 Vgl. UAE: T. IV. Pos. 8. Nr. 31, o. S. Antrag Selenkas an die medizinische Fakultät vom 6. Juni 1878. 981 Vgl. UAE: T. IV. Pos. 8. Nr. 31, o. S. Schreiben des Kultusministeriums an den akadem i- schen Senat vom 8. Septe m ber 1878 . 982 Vgl. UAE: T. IV. Pos. 8. Nr. 31, o. S. Antrag Rosenthals an den Verwaltungsausschuss vom 20. Mai 1878.

171 Demonstrationen, endlich ein kleiner Motor, ohne welchen heutzutage ein ph y si o- logisches Institut nicht mehr auskommt“, 983 wofür er 73.350 Mark vera n schlagte. Doch vom Kultusminist e rium wurde angeordnet, dass der Betrag von 6.500 Mark ab solut nicht zu überschreiten sei. 984 Unter diesen Voraussetzungen konnte R o- senthal nur die dringlichsten Arbeiten wie den Abriss der alten To i le t tenanlage, die Reparatur des Daches, das Herrichten einer Dienerwohnung und die Einric h- tung eines provisorischen Hörsaales vornehmen lassen. Rose n thal ließ sogar eine kleine Kapelle ba u en. 985 Erst der Neubau des anatomischen Instituts 986 in der Krankenhausstraße 9 e r- öffnete 1897 die Möglichkeit, nach einem Vierteljahrhundert aus den unzure i- chenden Verhältnissen herauszu kommen. 987 An der Ecke Universitätsstraße / Krankenhausstraße entstand ein wilhelminischer Prachtbau, in dem noch heute die Anatomie untergebracht ist. Nun wurden die Räume der alten Anat o mie frei. Die Umzugspläne nahmen 1901 endlich Gestalt an. In dem alten Gebäude der Entbindungsanstalt wäre die Physiologie wohl auch geblieben, wenn der Ba u platz nicht für den Neubau der Pathologie gebraucht worden wäre. 988 Aus dem Schre i- ben des damaligen Dekans der medizinischen Fakultät, Professor Richard Fle i- scher , 989 geht hervor, dass Rosenthal sich in selbstloser Weise bereit erklä r te, z u- gunsten des Neubaus der Pathologie auf dem Gelände der ehemaligen Entbi n- dungsanstalt zum dritten Mal mit seinem Institut umzuziehen. 990 Dem Schriftve r-

983 Zit. n. UAE: T. IV. Pos. 8. Nr. 31, o. S. Schreiben Rosenthals an die medizinische Fakultät vom 26. November 1878. 984 Vgl. UAE: T. IV. Pos. 8. Nr. 3 1, o. S. Anweisung des Kultusministeriums an den akadem i- schen Senat vom 10. Januar 1879. 985 Ebenda. 986 Zum Neubau der Anatomie vgl. Jakob (2002), S. 515. 987 Zur Bebauung des Randbereiches des Erlanger Schlossgartens vgl. Wendehorst (1993), S. 120 und Jakob (1 993), S. 220. 988 Vgl. Rosenthal (1903), S. 9. 989 Richard Fleischer (geb. 1848 in Cleve, gest. 1909 in München) studierte in Berlin, Jena und Würzburg Medizin. 1874 wurde er Assistent an der inneren Abteilung des Städtischen Allg e- me inen Krankenhauses am Friedrichshain in Berlin, 1876 wechselte er an das physiol o gisch - chemische Laboratorium nach Bonn. 1886 wurde er in Erlangen außerordentlicher Pr o fessor der medizinisch - propädeutischen Fächer und 1898 Ordinarius. 1903 trat er in den R u hestand. Vgl. Wittern (1999), S. 43. 990 Vgl. UAE: R. Th. IV. Pos. 7. Nr. 58, o. S. Schreiben Fleischers an den akademischen Senat vom 28. März 1901. Rosenthal hatte am 16. März 1901 eine Eingabe betreffend die Verl e gung des physiologischen Instituts an den akademischen Senat gemacht. Seine Vorstellungen über den Umbau fanden ihren Niederschlag in dem Bauplan „Adaptierung der alten Anatomie in ein physiologisches Institut“ (siehe Friederich , 1993, S. 268) des Universitätsarchitekten Friedrich

172 kehr ist zu ent nehmen, dass der Umbau der alten An a tomie für die Belange des physiologischen Instituts wiederum als provisorische Lösung g e dacht war. 991 D a- her stellte das Kultusministerium auch nur entsprechend geri n ge Haushaltsmittel zur Verfügung, sodass Rosenthal seine Vorstellungen wieder nur zum Teil ve r- wirklichen konnte. Abermals war das Argument ausschlagg e bend, dass für ein Provisorium nur begrenzte Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden kön n- ten. 992 Unterstützung erhielt Rosenthal durch die medizin i sche Fakultä t, die sein selbstloses Handeln würdigte. Dennoch blieb das Ku l tusministerium hinsichtlich der zum Umbau bereit gestellten Mittel unnachgi e big und ordnete an, „dass die Adapturen auf das absolut Notwendige sich b e schränk[t]en.“ 993 Unter diesen V o- raussetzunge n sah sich Rosenthal gezwungen, mit dem Kultusministerium einen gewissen Kuhhandel abzuschließen. 994 Er machte für die Verlegung des physiol o- gischen Instituts zur Bedingung, dass der Umzug zumindest keine Verschlecht e- rung der Zustände in der ehemaligen En t bi ndungsanstalt sein dürfe. Dies beinha l- tete die Forderung nach einem neuen Hörsaal. 995 Vor dem Hintergrund einer ne u- en Prüfungsordnung hatte Rosenthal die Bedeutung des wissenschaftlichen Unte r- richts aufgewertet. Der Rose n thal´sche Umbauplan 996 sah dementsprech end den Umbau und die Erweiterung des östlichen Flügels der alten Anatomie zu einem neuen Hörsaal mit Nebe n räumen vor. Der vorhandene Hörsaal sollte in einen Kurs - und Demonstration s saal umgestaltet werden. Da es nicht mehr möglich war, dem Institutsmechan i ker Richard Hennig im Institut eine Dienstwohnung zuzuweisen, forderte R o senthal für denselben die Anhebung auf die Gehaltsstufe „Hochschuldiener 1. Ordnung“ und für den gesamten Umbau Haushaltmittel in Höhe von 36.000 Mark. Mit de r Unterstützung des Ve r waltungsausschusses der Universität und des akademischen Senats konnte der Umbau nach Rosenthals Vorstellungen dann auch verwirklicht werden, nachdem das Kultusministerium nach fast ei n jährigem zähen Verhandeln im Juli 1902 seine Zus timmung erteilt

Wilhelm Scharff (1845 - 1917). Zu diesem und seiner Bedeutung für die Erlanger Wisse n- schaftsarchitektur vgl. Jakob (2002), S. 606 u. 752. 991 Vgl. UAE: R. Th. IV. Pos. 7. Nr. 58, o. S. Mitteilung der medizinischen Fakultät an den akademischen Senat vom 28. März 1901. 992 BayHS tA. MK 39987, o. S. Schreiben des Kultusministeriums vom 5. Mai 1901. 993 Zit. n. UAE: R. Th. IV. Pos. 7. Nr. 58, o. S. Schreiben des Kultusministeriums an den ak a- demischen Senat vom 17. April 1901. 994 Vgl. UAE: R. Th. IV. Pos. 7. Nr. 58, o. S. Bedingungen, E ntwurf und Kostenvoranschlag Rosenthals zur Verlegung des physiol o gischen Instituts von 6. Juni 1901. 995 Vgl. UAE: R. Th. IV. Pos. 7. Nr. 58, o. S. Bedingungen, Entwurf und Kostenvoranschlag Rosenthals zur Verlegung des physiol o gischen Instituts vom 6. Juni 1901. 996 Eine Abbildung des Originals findet sich bei Friederich (1993), S. 269.

173 hatte. 997 Die Umwandlung des Mechanikergehalts wurde hingegen erst im Se p- tember 1906 verfügt. 998 Dadurch, dass dem Mechaniker und Experimentalgehilfen keine Wohnung im Institut mehr zur Verfügung gestellt werden konnte, wurde die Möglichkeit, d i- rekt am Institut Apparate bauen zu lassen, empfindlich eingeschränkt. Rose n thal musste letztlich den Anspruch aufgeben, die Forschung in den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit zu stellen. Von nun an lag das Hauptgewicht bei der Lehre, was sich a uch im Charakter von Rosenthals Veröffentlichungen zeigte. Die umfassende experimentelle Arbeit auf dem Gebiet der Stoffwechse l physiol o- gie kam mit dem Umzug zum Erliegen. Im Mai 1903 wurde der neue Hörsaal schließlich eröffnet, nachdem die Ve r l e- gung des I nstituts im März abgeschlossen worden war. 999 Was zunächst als Pr o- visorium gedacht war, erfüllt noch heute seinen Zweck. Auch die Vorlesu n gen finden noch in dem Hörsaal statt, den Rose n thal umbauen ließ. Das physiologische Institut hatte neben dem Institutsd iener Johann Bess mit Richard Hennig 1884 einen eigenen Experimentalgehilfen 1000 bekommen. 1001 D a- mit wurde der wachsenden Ko m pliziertheit der physiologischen Apparate Rech - nung getragen, zu der ja Rosenthal durch sein e eigenen Entwicklungen und Ba s- t e leien auch erheblich beigetr a gen hatte. Wie der Experimentalgehilfe und erste Assistent wohnte auch der Hausmeister und Diener Johann Bess bis zum Umzug des Inst i tuts 1903 im Institutsgebäude. Mit der A nstellung eines zweiten Assistenten hatte das Institut im Winters e- mester 1894 seinen größten personellen Umfang. 1002 Nachdem Rosenthal in de m- selben Jahr den XI. Internationalen Medizinischen Kongress in Rom b e sucht ha t- te, 1003 waren Kontakte zu italienischen Koll egen entstanden, sodass zum Winte r- semester 94/95 zum ersten Mal die Stelle eines zweiten Assistenten am physiol o- gischen Institut mit Dr. Zaccarias Treves besetzt wurde, der in der Gartenstraße

997 Vgl. UAE: R. Th. IV. Pos. 7. Nr. 58, o. S. Schreiben des Kultusministeriums an den ak a- demischen Senat vom 23. Juli 1902. 998 Vgl. BayHStA: MK 39390, o. S Schreiben des Kultusm inisteriums an den akademischen Senat vom 3. September 1906. 999 Vgl. BayHStA: MK 39390, o. S. Schreiben des Kultusministeriums vom 5. März 1903. 1000 Die Bezeichnung Experimentalgehilfe wurde 1899 in den „Funktionstitel ´Mechaniker´“ umgewandelt. Zit. n. BayHS tA: MK 39390, o. S. Anordnung des Kultusminister i ums vom 21. Oktober 1899. 1001 Vgl. Übersicht (1884), S. 12. 1002 Vgl. Übersicht (1895), S. 15. 1003 Vgl. Rosenthal (1895), S. XX.

174 20 wohnte. 1004 Dessen Nachfolger wurde D r. Alberico Benedicenti . 1005 Danach folgten wieder deutsche Assi s tenten. 1006

Insgesamt betrachtet ist festzustellen, dass die große Zeit der Physiologie in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts langsam ihrem Ende entg e gen ging. Verdeutlicht wird das an den erwähnten Planungen und Neubauten der I n- st i tute. Diese zeigen, in welche Disziplinen am meisten investiert wurde. Gefö r- dert wurden besonders die sich immer weiter entwickelnden Spezialfächer wie z. B. Pathologie , physikalische Chemie, Pharmakologie, Bakteriologie, Zahn - und Augenheilkunde. Sie galten als zukunftsträchtig und waren daher Gegenstand des staatlichen Interesses. 1007 Rosenthal musste wahrnehmen, dass all diese Richtu n- gen mit neuen Institutsgebäuden in Fo rm von kaiserlichen Prachtbauten bessere Arbeitbedingungen erhielten, während den Entwic k lungsmöglichkeiten seines physiologischen Instituts lediglich im Zustand des Provisorischen enge Grenzen gesteckt blieben. Die Weiterentwicklung der m e dizinischen Wiss enschaften ve r- lagerte sich in die neuen Fachgebiete. 1008

Für die Entwicklung des physiologischen Instituts war der gleiche Umstand b e- stimmend, den Rosenthal schon am Berliner Institut bei Emil Du Bois - Reymond kennen gelernt hat te, der Mangel an Haushaltsmitteln. Genauso wie sein ehem a l i- ger Lehrer sich häufig beim Kultusministerium über die unzureichenden Z u we i- sungen von Haushaltsmitteln beklagte, so sah sich auch Rosenthal genötigt, i m- mer wieder um eine Erhöhung des Etats für se in Institut zu bitten. Schon die Gründung des Erlanger physiologischen Instituts war sehr mühselig, da z u nächst für grundlegende Anschaffungen das notwendige Geld nicht zur Verf ü gung stand. 1009 Jedes Gehalt eines Mitarbeiters, jedes neu zu bescha f fende Gerät und

1004 Vgl. Übersicht (1895), S. 15. 1005 Vgl. Übersicht (1896), S. 15. Alberico Benedicenti (1866 - 1961) hatte in Bologna, Pisa und Turin Medizin studiert und war neben seinem Aufenthalt in Erlangen auch am pharmak o log i- schen Institut in Straßburg tätig. 1900 wurde er zum Professor für Pharmakologie in Camerino ernannt . Später übernahm er den Lehrstuhl für Pharmak o logie an der Univerität in Genua. Vgl. Fischer (1962), S. 95. 1006 Vgl. Übersicht (1897), S. 15. 1007 Über den Wandel staatlicher Wissenschaftsförderung vom Grundsatz der Wissenschaft um ihrer selbst willen zur Mark torientierung vgl. Goschler (2002), S. 151 - 170. 1008 Ausführlich über diese Trendwende in den medizinischen Wissenschaften siehe Acke r- knecht (1967), S. 149 ff. 1009 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32, o. S. Bericht des akademischen Senats an den bayer i- schen Kön ig vom 19. Oktober 1872

175 jede bauliche Maßnahme war von zähem Ringen um die notwendigen Mi t tel b e- gleitet.

3.4. Rosenthals Wohnungen in Erlangen

3.4.1. Das Richthaus am Holzmarkt

Die erste Wohnung der jungen Familie Rosenthal befand sich in der Hauptstr a ße 476, die heute die N ummer 20 trägt. 1010 Sie lag in dem nordöstlichen der vier Richthäuser an der Ecke Hauptstraße / Universitätsstraße am Holzmarkt, 1011 der später in Luitpoldplatz umbenannt wurde und heute Hugenottenplatz heißt. Die vier Richthäuser waren dreigeschossig und markie rten in der Neustadt den Ein - und Austritt der Hauptstraße vom Holzmarkt aus, während die benachbarten Häuser zweigeschossig waren. Außerdem zeichneten sie sich dadurch aus, dass das erste Obergeschoss höher als das der benachbarten Häuser war und der mit t- l ere, hervorspringende Gebäudeteil in einen Giebel mündete. 1012 Die Richthäuser wurden 1687, also in den ersten Jahren der Hugenottenstadt, mit Geldern des Markgrafen Christian Ernst erbaut. Die beiden Häuser Haup t- straße 20 und 21 wurd en dem Justiz - und Kommerzienrat Pierre Tholozan g e- schenkt, und nach dessen Wegzug nach Holland übernahm sie sein Bruder St. Esprit, der Prediger in der Hugenottenkirche war. 1013 1767 erwarb der Univers i- tätsbuchdrucker und Auktionator Johann Dietrich Michael Cammerer das Ec k- haus Hauptstraße 20. Seit 1783 gehörte es dem Kirche n rat Dr. Georg Friedrich Seiler. Das Haus ging 1828 aus dem Besitz von Profe s sor Carl August Gründler durch Zwangsvollstreckung an den Drechslermeister Leopold Baireuther über, 1014 dessen Witwe später den Drechslermeister Johann Ernst Drechsler he i- r a tete. 1015 Dieser erwarb Schankrechte für Bier und Kaffee und machte daraus die Gastwirtschaft „Zum Goldenen Löwen“. Doch in der folgenden Zeit setzte sich trotz wechselnder Eigentümer der Charakter eines Cafés durch. Als Rose n thal in

1010 Vgl. Übersicht (1873), S. 7. 1011 Siehe Bildteil Abb. 22 u. 50. 1012 Allgemein zu den Richthäusern siehe Jakob (2002), S. 588. 1013 Vgl. SAE: II. 5. H. 2 / 20. Erlanger Tagblatt Nr. 72 vom 2. Mai 1951, S. 2. 1014 Vgl. SAE: II. 5. H. 2 / 20. Z usammenstellung der Besitzer durch das Erlanger Stadtarchiv vom 3. August 1968, S. 1 - 2. 1015 Vgl. SAE: II. 5. H. 2 / 20. Erlanger Tagblatt Nr. 72 vom 2. Mai 1951, S. 2.

176 das erste Obergeschoss einzog, b e fand sich seit 1844 im Erd geschoss ein Café, das von 1869 bis 1881 den Namen „Café Rimrod“ trug. Sein Besitzer gliederte dem Café zusätzlich eine Weinwirtschaft an und verkaufte es an J o hann Blü m- lein , der es bis 1896 als „Café Blümlein“ führte. 1016 Das Café en tw i ckelte sich zum Treffpunkt für Männer des gutsituierten Bildungs - und Besit z bürgertums von Erlangen, den sogenannten Honoratioren der Stadt aus Politik, Wir t schaft und Bildung. Es galt als ein Ort, der „sozusagen ausgespart für die Freiheit und Lib e- ral ität“ 1017 war; 1902 wurde es in den ersten Stock verlegt und als „Café Nati o- nal“ weitergeführt. 1018 Die Räume der Wohnungen waren mit kostbaren Stuckd e- cken geschmückt. 1019 In der Wohnung im ersten Oberg e schoss die Familie R o- se n thal empfing im Jahre 1872 als erste G äste die engsten Verwandten und Freunde: Mutter Höber, Onkel Heinrich Bernhard Oppenheim und Eduard La s- ker . 1020

3.4.2. Die Enke´sche Villa auf dem Burgberg

Rosenthal bezog im Sommer 1876 mit seiner F amilie die Villa des Buchhän d lers und Verlegers Ferdinand Enke auf dem Grundstück der heutigen Burgber g straße 73. 1021 Sie hieß damals „Auf dem Berg 14“, eine Bezeichnung, die 1874 eing e- führt worden war. 1022 Der Burgberg war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nur vereinzelt mit Sommer - und Gartenhäuschen bebaut. 1023 In einem dieser Häu s- chen wohnte im Sommer 1824 der Dichter A u gust Graf von Platen . 1024 Es gab hier auch einige Obstgärten, einen Steinbruch und das bel iebte Ausflugsl o kal „Zum Wels“ mit einem großen Biergarten. 1892 wurde an der Nordseite der Isr a-

1016 Vgl. SAE: II. 5. H. 2 / 20. Erlanger Tagblatt Nr. 72 vom 2. Mai 1951, S. 2. 1017 Zit. n. SA E: II. 5. H. 2 / 20. Erlanger Tagblatt Nr. 5 vom 8. Januar 1969, S. 2. 1018 Das Richthaus musste schließlich 1969 einem neuen Geschäftshaus weichen, da das mit Fachwerk und Bruchsteinen gebaute Haus nicht mehr den behördlichen Vorschriften für San i- tär - und He izungsanlagen entsprach. Heute befindet sich hier die Firma „Schuh - Schuster“. Vgl. SAE: II. 5. H. 2 / 20. Erlanger Tagblatt Nr. 3 vom 4. - 6. Januar 1969, S. 1. 1019 Siehe Bildteil Abb. 23. 1020 Vgl. BAB: N 2167. Nr. 259, Bl. 1. Dies ist dem Brief Anna Rosenthals an Eduard Lasker vom 31. Okt o ber 1872 zu entnehmen. 1021 Vgl. SAE: 241. BA. 407, Bl. 191. 1022 Vgl. SAE: II. 11. A. 1, Bl. 1. Sammelmappe “Auf dem Berg”. Diese Bezeichnung wurde am 5. Oktober 1950 aufgeteilt in Böttigersteig, Enkesteig, P faffweg, An den Kellern und Burgbergs t raße. Vgl. Dehler (1952), S. 223. 1023 Siehe Bildteil Abb. 24. Ausführlicher zum Erlanger Burgberg siehe Jakob (1998), o. S. 1024 Das „Platenhäuschen“ ist noch heute erhalten und befindet sich in der Burgbergstraße 9a.

177 elitische Friedhof auf dem ehemaligen Grundstück des Gartenbesitzers Wasse r- mann angelegt. 1025 Der Burgberg wurde überwiegend für kleine Obst - und Lan d- wirtschaft ge nutzt und war der n a türliche Kühl - und Lagerort für die Erzeugnisse der vielen Erlanger Brauereien: Zahlreiche Stollen wurden in den Burgberg g e- trieben. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts war mit dem Wirtschafts - und Bevölk e- rungswachstum eine kleine finanzkräft ige Schicht von Fabrikbesi t zern und Kau f- leuten entstanden, deren Neubauten sich zunehmend aus der Stadtmitte an den Stadtrand verlagerten, wobei sich der Nordrand mit der Rathsberger Straße und dem Burgberg später Jahre zur exklusiven Wohngegend für das au fstrebende B e- sitz - und Bildungsbürgertum entwickelte. 1026 Der Burgberg war 1876 allerdings noch sehr spärlich besiedelt. Der Brau e re i- besitzer Wilhelm Helbig , der Professor für Mineralogie Frie d rich Pfaff und d er Gastwirt Alois Güthlein sind die bekanntesten der Burgbergbewohner. D a mals waren Rosenthal und Pfaff die einzigen Universitätsprofessoren, die auf dem Burgberg wohnten. 1027 Das Enke´sche Woh n haus 1028 war eine der ersten Villen auf dem Burgberg. Es war in den sechziger Jahren von Ferdinand Enke (1810 - 1869) gebaut worden, lange bevor der Bauunte r nehmer Martin Mußgiller um die Jahrhundertwende auf dem Kamm des Burgbergs zahlreiche Mietsvill en für Handwerksmeister und Bauunternehmer errichtete. 1029 Ferdinand Enke war der Besitzer des gleichnamigen Verlages, der sich zu einem bekannten mediz i nischen Fachverlag entwickelt hatte. Als Enke 1869 starb, wurde sein Ve r lag „als e iner der großartigsten und blühendsten in ganz Deutschland“ 1030 bezeic h net. Sein Sohn Alfred Enke verlegte 1874 Wohnsitz und Verlag nach Stuttgart, sodass das Burgberg - Anwesen frei wurde. Es blieb unbewohnt, bis Rosenthal ei n zog. 1031 Rosen thal ließ die Villa entsprechend einem Gesuch vom 5. Dezember 1876 mit einem Anbau an der Westseite umbauen. 1032 Für eine dreiköpfige F a milie bot das dreistöckige Haus sicherlich ein Überangebot an Platz. Es ist zu verm u ten, dass Rosenthal auch einige Räume z u privaten Laboratorien ausbaute, wie er es

1025 Vg l. Adreßbuch (1892), S. 54. 1026 Eine ausführliche Darstellung des Wandels der Stadtarchitektur im 19. Jahrhundert bietet Sandweg (1983), S. 405 - 450. 1027 Vgl. Adreßbuch (1885), S. 74. 1028 Siehe Bildteil Abb. 25. 1029 Vgl. Sandweg (1983), S. 442. 1030 Zit. n. Gebhardt ( 2002), S. 229. 1031 Das Verzeichnis der Hausbesitzer weist die Grundstücke Auf dem Berg 13 und 14 als E i- gentum von Adolph Enke und Ferdinand Enke aus mit dem Zusatz „Relikten“. Siehe A d re ß- buch (1875), S. 23. 1888 bezog der Buchhändler Karl Enke das Anwesen Auf dem Berg 13. Vgl. Adreßbuch (1888), S. 64. 1032 Vgl. SAE: II. 11. A. 1, Bl. 197.

178 schon bei seinen Berliner Lehrern Gustav Magnus und Emil Du Bois - Reymond kennen gelernt hatte, 1033 denn die Raumnot im ersten Stock des An a tomiegebä u- des war offensichtlich. Für eine wis senschaftliche Nutzung der Villa spricht a u- ßerdem, dass Rosenthal schon 1877 Kaninchen - und Hühnerställe so l chen Au s- maßes auf dem Grundstück baute, dass dafür eine Baugenehmigung eingeholt werden musste. 1034 Allein der Kaninchenstall war ein solider Maue r bau von über fünf Metern Länge, welchem eine Dunggrube gleicher Größe a n geschlossen war. 1035 Hier konnte der beke n nende Vivisektionist ungestört seine Tierversuche durchführen. Die Erfahrungen aus Berlin werden dazu beigetragen haben, die Tierversuche möglichst u nbemerkt von der Öffentlichkeit durchz u führen. 1036 Aus Anekdoten ist bekannt, dass Briefträger, Dienstboten und andere unerwartete B e- sucher, den Professor experimentierend auf seinem Anwesen antrafen. Auch wird überliefert, dass Rosenthal im Sommer 1878 in se inem Ga r ten Versuche mit e i- nem Fernsprecher durchgeführt habe. 1037 Rosenthal übe r ließ dem „Hüttnersthoma“, einem Erla n ger Original, auf seinem Anwesen ein Stück Land, da dieser die Gartenarbeit erledigte. Die Frau des Hüttnerthoma arbeitete als K ö- chin für die kleine Professorenfam i lie. Rosenthal ließ 1880 einen russischen Kamin in das Gartenhaus einbauen, um es beheizen zu können. 1038 Für die Pflege des Anwesens beschäftigte Rosenthal 1890 einen Hausgärtner, H. Julius Pätzold , der auch in der Villa wohnte. 1039 Fünf Jahre später verpacht e te Rosenthal den Garten an Josef Zajic . 1040 Ab 1897 lebte in der Rosenthal - Villa der Hausgärtner Johann Dietrich . 1041 Sein Verhältnis zur Familie Rosenthal muss sehr

1033 Vgl. Kap. 2.3.1., S. 65 und Kap. 2.3.2., 68 . 1034 Vgl. SAE: II. 11. A. 1, Bl. 340. 1035 Vgl. SAE: II. 11. A. 1, Bl. 341. Detaillierter Bauplan Rosenthals. 1036 Vgl. Kap. 2.3.2., S. 71 . 1037 Vgl. Göhring , L.: Der Hüttnersthoma erzählt von der Erfindung des Fernsprechers. In: Erlanger Tagblatt. Nr. 47. 24. November 1924. S. 187. Die Stilisierung Rosenthals zum Erfi n- der des Telefons entspricht sicher nicht den Tatsachen. Es war der Physiker und Lehrer J o hann Philipp Reis (1834 - 1874), der am 26. Oktober 1861 auf einer Sitzung des Physikalischen Ve r- eins in Frankfurt ein Gerä t vorstellte, das er „Telephon“ nannte und mit dem sich Schal l wellen nicht nur in elektromagnetische Schwingungen umsetzen, so n dern über 100 m weit als Strom fortleiten ließen. Vgl. Harenberg: Was geschah am...? Neuausgabe 1999, Harenberg - Verlag, S. 24 u. 849. Der Engländer Alexander Gr a ham Bell (1847 - 1922) ließ sich im Jahre 1876 seine Telefonanlage patentieren. Vgl. Zey (1997), S. 42. 1038 Vgl. SAE: II. 11. A. 1, Bl. 253. Baugenehmigung des Stadtmagistrats vom 18. März 1880. 1039 Vgl. Adreßbuch (1890), S. 65. 1040 Vgl. Adreßbuch (1895), S. 53. 1041 Vgl. Adreßbuch (1897), Teil II, S. 2.

179 g ut gewesen sein, denn er blieb hier mit seiner Frau Gertraud wo h nen, als Isidor Rosenthal verstorben war und dessen Sohn Werner 1042 für kurze Zeit wieder zu Hause eingezog. 1043 Johann Dietrich blieb bis zu seine m Tod 1932 auf dem R o- senthal´schen Grun d stück wohnen, 1044 seine Frau bis 1938. 1045 Bis 1904 fehlte eine genaue Begrenzung des Anwesens. Nun wurde eine au f- wendige Einfriedung vorgenommen. 1046 Entlang der Baulinie an der Bur g ber g- straße ließ Rosenthal eine repräsentat ive Mauer bauen, die durch ein au f wendiges schmiedeeisernes zweiflügeliges Tor unterbrochen war. Die Anlage ist noch he u- te als Begrenzung des Grundstückes an der Bur g bergstraße Nr. 73 zu sehen. Als „Villa Rosenthal“ und nicht mehr das „Enke´sche Haus“ wur de das A n w e- sen zum feststehenden Begriff in den Kreisen des gehobenen Bildungs - und B e- sitzbürgertums in Erlangen. Es war einer der gesellschaftlichen Angelpunkte in der Kleinstadt. 1047 Zu Rosenthals Nachbarn gehörte der Buchhändler Karl Enke und der Kau f mann Ernst Hofmann . 1048 Anna Rosenthal blieb nach dem Tod ihres Mannes 1915 noch bis 1921 in E r- langen wohnen, bevor sie dann nach Göttingen zu i h rem Sohn Werner zog. 1049 Testa mentarisch war sie die alleinige Erbin des Anwesens. 1050 Aus den Akten geht hervor, dass die E r langer „Kantgesellschaft“ in Besitz des Anwesens kam, bevor im August 1923 der Privatgelehrte Dr. Rolf Hoffmann letzter Eigent ü mer der Villa Rosenthal wurde. 1051 Die Villa blieb allerdings unbewohnt. Rolf Hof f- mann gründete in der Rosenthalvilla die „Philosophische Akademie zu E r langen“,

1042 Werner Rosenthal hatte in Erlangen das Gymnasium besucht und von 1888 bis 1893 in Erlangen, Berlin und Kiel Medizin studiert. Außerdem wurde er 1896 Mitglied der Physik a- lisch - Medizini schen Sozietät. Vgl. SPMSE. 28. Heft. 1896. Junge & Sohn. Erla n gen. 1897, S. VI. Nach seiner Habilitation 1907 in Göttingen wurde er erst 1921 zum nichtbeamteten auße r- ordentlichen Professor ernannt und war dort bis 1925 Kreisassistenzarzt sowie Schul - , Für so r- ge - und Pol i zeiarzt. In Hagen fand er schließlich eine Stelle als Assistenzarzt und verdiente bis zu seiner Emigration 1934 nach Indien seinen Lebensunterhalt mit gewerbehygienischen Unte r- suchungen. Vgl. Szabó (2000), S. 633. 1043 Vgl. Brandel (1920), S. 1 24. Merkwürdigerweise ist Werner Rosenthal weder als Mitglied der Universität noch in einem Ärzteverzeichnis erwähnt. 1044 Vgl. Rhomberg (1925), S. 153. 1045 Vgl. Popp (1938), S. 198. 1046 Vgl. SAE: II. 11. A. 1, o. S. „Plan über die Einfriedung des Gartens des H errn Prof. Dr. Rosenthal an der Burgbergstrasse“. 1047 Vgl. SAE: III. 72. R. 1: Erlanger Neuste Nachrichten vom 19. Oktober 1928, o. S. 1048 Vgl. Adreßbuch (1903), S. 87. 1049 Vgl. SAE: III. 72. R. 1: Erlanger Tagblatt vom 19. Oktober 1928, S. 4. 1050 Vgl. LAB: A. Pr . Br. Rep. 005 A Nr. 5088. T 51384, o. S. 1051 Vgl. SAE: II. 11. A. 1. Aktenvermerk vom 5. Juli 1923.

180 deren Ziel ein internationaler philosophischer Gedankenaustausch war. 1052 Hof f- mann war ein S chüler und Doktorand von Paul Hensel , 1053 einem guten Freund 1054 Rosenthals. Es ist wahrscheinlich, dass Hoffmann auch mit Rosenthal persönlich bekannt war. Das Projekt der Akademie scheiterte aber schon 1925, kurz nac h- dem Paul Hensel den Vorsitz übernommen hatte und Hoffmann völlig verschuldet mit seiner Familie überstürzt in die Vereinigten Staaten ausgewandert war. 1055 Die nachfolgende Eigentümerin des Grundst ü ckes wurde eine gewisse Katharina Tingley aus Point Loma in Kalifornien, 1056 die das Anwesen an die dortige The o- sophische Gesellschaft verkau f te. 1057 Die Villa selbst war schon Ende 1924 durch einen Erdrutsch so stark beschädigt worden, dass sie 1925 abgerissen wurde. 1058 Da keine Erben von Katharin a Tingley ermittelt werden konnten, wurde das A n- wesen zwangsversteigert. 1059 So verschwand ein Bauwerk, das beinahe ein halbes Jahrhundert das Bild des Burgbergs geprägt hatte und mit ihm eine Erinn e rung im Erlanger Stadtbild an das außergewöhnliche Ehepaar Rosenthal.

3.5. Forschung und Lehre

3.5.1. Der Physiologe

1052 Über das Projekt der „Philosophischen Akademie“ vgl. Thamer (1985), S. 32 - 34. 1053 Paul Hensel (1860 - 1930) war Ordinarius der philosophis chen Fakultät zu E r langen. Er wurde auch als „Sokrates von Erlangen“ bezeichnet. Vgl. Glockner, H.: Paul Hensel . Bouvier Verlag. Bonn. 1972. Titelblatt. Sein Urgroßvater war der berühmte aufgeklärte Jude Moses Mendelssohn (1729 - 1786). Seine Schwester Lilli heiratete einen Sohn des Berliner Physiol o gen Emil Du Bois - Reymond . Vgl. ebenda, S. 14. 1054 Vgl. Ewald (1915), S. 279. 1055 Vgl. Thamer (1985), S. 34. 1056 Vgl. SAE: Vgl. SAE: II. 11. A. 1, S. 179. Schreiben der Bayerischen Versicherungska m- mer an die Erlanger Stadthauptkasse vom 30. Mai 1930 und Rhomberg (1929), 1057 Vgl. Einwohnerbuch (1932), S. 198. 1058 Vgl. SAE: II. 11. A. 1. Antwortschreiben des Stadtrats vom 7. Juni 1930. 1059 Vgl. SAE: 24 1. BA. 407, o. S. Schreiben des Amtsgerichts Erlangen vom 2. Februar 1939.

181 3.5.1.1. Die Entwicklung der Tablettenpresse

Die erste wissenschaftliche Veröffentlichung Rosenthals, nachdem er im A p ril für das Sommersemester 1872 seine Tätigkeit an der Friedrich - Alexander - Universität aufgenommen hatte, findet sich in den „Sitzungsberichten der ph y sikalisch - medicinischen Societät zu Erlangen“. Rosenthal war noch im gleichen Jahr Mi t- glied dieser bedeutenden Gesellschaft gewo r den. 1060 In der Sitzung vom 3. Ju ni 1872 stellte Rosenthal einen „Apparat zur Compression voluminöser Arzneisto f- fe“ 1061 vor. Diese Erfindung war ein Ergebnis seiner letzten A r beiten in Berlin; schon im März hatte er den Prototypen der Presse in der Berliner M e dizinischen Gesellschaft vorgefü hrt. 1062 Es handelte sich um eine Art Stempe l presse, die aus einem Hohlzylinder mit Stempel und Schraubgewinde sowie Einsatzformen für die zu fertigenden Tabletten bestand. Es ist bisher völlig u n beachtet geblieben, dass diese Erfindung den Beginn der maschin ellen Table t tenproduktion in Deutschland ma r kiert. 1063 Den Anstoß zur Entwicklung der Presse hatte die Beobachtung gegeben, dass die Darreichung von Arzneimitteln, trotz der rasanten Fortschritte in der Ch e mie, seit fast hundert Jahren keinen Fortschritt erfa hren hatte. 1064 Ein Problem z. B. bei Wurmkuren war der Umstand gewesen, dass übel schmeckende Medik a mente oft in großen Dosierungen eingenommen werden mussten, um die g e wünschte Wi r- kung zu erzielen. Rosenthal nennt hier als Beispiel das Wurmmi t tel „Kusso“ (a uch Kousso), mit welchem er erfolgreich Bandwurmkuren durc h geführt hatte. Die Methode bestand darin, das Medikament u n verdünnt, also hochdosiert und ohne allen Zusatz mit der Presse zu kompr i mieren und in die Form einer Tablette zu bringen. Die grundlegend en Vorteile dieses Verfahrens waren die Volumene r- sparnis, die Möglichkeit auf Bindemittel für das Medik a ment zu verzichten und die damit verbundene Kostenersparnis sowie die Hal t barmachung ohne Konse r- vierungsstoffe.

1060 Vgl. Rosenthal (1872.2), S. IV. Zur Geschichte dieser Gesellschaft s. Kap. 3.8.1., S. 248 . 1061 Zit. n. Rosenthal (1872.1), S. 70 und Einbandrückseite. 1062 Vg l. Verhandlungen der Berliner medicinischen Gesellschaft aus den Jahren 1871, 1872, 1873. Bd. IV. Julius Sittenfeld. Berlin. 1874. 2. Teil, S. 18 und Berliner Klinische Woche n- schrift. Nr. 21. 20. Mai 1872. Sitzung vom 27. [evtl. Druckfehler: gemäß Verhandl ungen vom 20., Verf.] März 1872. 1063 Eine Patentanmeldung für die Tablettenpresse konnte nicht ermittelt werden. Erst ab 1877 wurde mit Gründung des Kaiserlichen Patentamtes auch ein einheitliches Patentgesetz für Deutschland geschaffen. Erfindungen vor dies er Zeit fielen in die Zuständigkeit der jeweiligen Länder (hier: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Bayerisches Hauptstaatsa r chiv). 1064 So die Einschätzung Rosenthals. Vgl. Rosenthal (1872), S. 70 und (1874), S. 417

182 Im August 1874 präsentierte Rosenthal i n der Berliner Klinischen Woche n- schrift ein verbessertes Gerät der Tablettenpresse. 1065 Im gleichen Beitrag verö f- fentlichte er außerdem ein Verfahren für das Gelatinieren von Tabletten, um diese länger haltbar zu machen, und fügte diesem auch erste Rezepturen für Tabletten bei. 1066 Seine Idee war es, Medikamente gerade für Schiffs - , Feld - , Reise - und Hausapotheken vor Feuchtigkeit zu schützen. Die Herstellung en t sprechender Tabletten fand schnell eine gewerbliche Nutzung. In Erlangen wurden durch den Universitäts mechaniker Friedrich Bauer die ersten Pressen herg e stellt und von hier waren sie auch direkt zu beziehen. 1067 Die Auslieferung der Tabletten erfol g- te über die mit Rosenthal persönlich bekannten Apotheker Carl August Bött i- ger 1068 in Erlangen und Dr. Julius Eduard Schacht in Berlin, den Inhaber der Po l- nischen Apotheke in der Friedrichstraße 153 a, wo Rose n thal gewohnt hatte. Sie waren die ersten Abnehmer der Tablettenpresse und b e gannen erfolgreich den Ve rtrieb der neuen Medikamente n form. 1069 Rosenthal stellte 1881 erneut ein verbessertes Modell vor. 1070 Das Verfahren der Tablettenherstellung hatte sich nach und nach durchgesetzt. Das neue Pr o dukt wurde von verschiedenen Apothekern und Fabrikanten in den Handel g e bracht. Für Erlangen sollte von großer Bedeutung werden, dass der Univers i tätsmechan i- ker Erwin Moritz Reiniger 1071 1877 eine Werkstatt zur Herstellung elektromed i-

1065 Siehe Bildteil Abb. 28. 1066 Vgl. Rosenthal (1874), S. 487. 1067 Vgl. Rosenthal (1874), S. 418. 1068 Carl August Böttiger war Mitglied der Physikalisch - Medizinischen Gesellschaft in Erla n gen (vgl. SPMSE. 4. Heft. E. T. Jakob. Erlangen. 1872, S. I.), des Gemeinn ützigen Vereins (vgl. Meidi n ger - Geise , 1986, S. 263) sowie verschiedener Projektgruppen des öffentlichen Lebens in Erlangen. 1069 Vgl. Rosenthal (1874), S. 418. 1070 Vgl. Rosenthal : Ueber die Compression von Arzneimitteln. In: SPMSE. 13. Heft. E. Th. Jakob. Erl angen. 1881. Si t zung vom 1. August 1881, S. 64 - 66. 1071 Erwin Moritz Reiniger (geb. 1854 in Stuttgart, gest. 1909 in München) erhielt nach seiner Ausbildung zum Mechaniker die Stelle eines Experimenta l gehilfen am physikalischen Institut bei Prof. Eugen Lommel (1837 - 1899, Professor der Mathematik und Ph y sik). 1877 mietete er in der Wohnung Schlossplatz 3 einen Raum, um dort eine eigene mechanische Werkstatt ei n z u- richten. Nachdem er 1878 seine Stelle als Universitätsmechaniker aufg egeben hatte, widm e te er sich ganz der Herstellung elektromedizinischer und physikalischer Appar a te. 1885 lernte er auf einer Instrumentenausstellung in Straßburg K. F. Schall und J. M. G. Gebbert kennen, mit denen er die Offene Handelsgesellschaft „Reinig er Gebbert & Schall“ gründete. Nach der En t- deckung der Röntgenstrahlen 1895 erfolgte umgehend die Produktion von Röntgenappar a ten, was die Einrichtung des damals in Deutschland größten Röntgen - Instituts zur Folge hatte. 1925 erfolgte der Zusammenschluss mi t der Wel t firma „Siemens & Halske“. Vg. Petermann

183 zinischer, physikalischer und elek t rotechnischer Geräte gegründ et hatte, aus der später die Weltfirma Reiniger, Gebbert & Schall hervorging. 1072 Reiniger hatte von Rosenthal den Auftrag bekommen, die verbesserte Table t tenpresse serie n- mäßig herzustellen. 1073 So b e fruchteten Rosenthals Aufträge den Apparatebau für einen ganze n Industriezweig. 1074 Durch die Werbung für i n dustriell gefertigte G e- räte in der Berliner Klinischen Wochenschrift wurde die Tablettenpresse b e- kannt. 1075

3.5.1.2. Die Enzymforschung

Mit Wilhelm von Leube forschte Rosenthal zeitgleich a uf dem Gebiet der Ve r- dauungsphysiologie. Gemeinsam machten sie Versuche zur Erzeugung künstl i- cher Verdauungsprodukte. 1076 Diese Arbeiten sind im Zusammenhang mit der Erforschung der Bauchspeicheldrüse zu s e hen. 1077 Schon Johannes Müller hatte zwischen den Vorgängen der Sekretion und Exkretion unterschieden 1078 und im Magensaft eine Substanz vermutet, die auf Fleisch ähnlich wirkt, wie Diast a se 1079 auf Stärke. Von Eilhard Mitscherlich hatte dieser den Begriff „Ferme nt“ übe r- nommen. Heute sprechen wir von Enzymen, 1080 einem Begriff, den Wi l helm Kü h- ne 1081 prägte. Enzyme sind Eiweißkörper, die biochemische Vorgänge beschle u-

(1999), o. S. Ein Teil des eh e maligen und heute denkmalgeschützten Firmengebäudes der RGS bildet der „Museumswinkel“ an der Ecke Gebbert - und Luitpoldstraße. 1072 Vgl. Bauernf eind (2000), S. 57. 1073 Vgl. Rosenthal (1882), S. 81. 1074 Zur Unternehmensentwicklung in Erlangen während der zweiten Industrialisierungsphase von 1870 bis 1914 unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Lage der Arbeiter vgl. Johrendt (1983), S. 259 - 328. 1075 Vgl. Rosenthal (1882), S. 81. 1076 Vgl. Rosenthal (1872.2), S. 85. 1077 Eine Zusammenschau der wissenschaftsgeschichtlich bedeutenden Ereignisse bietet die Zeittafel „Die Geschichte der Erforschung des exokrinen Pankreas und der Verwendung des Wirkstoffes Pank reatin von der Antike bis zum Ende des 20. Jahrhunderts“. Siehe http://home.arcor - online.de/heide - kuhlmann/wam_chrono.html . 27. 10. 2000. S. 1 - 11. 1078 Johannes Müller veröffentlichte 1830 seine wegweisende Arbeit „De glandularum secernentium struktura“ (d. i. Über die Beschaffenheit der ausscheidenden Drüsen). Vgl. Rothschuh (1953), S. 115. 1079 Sammelbegriff für Enzyme, die Kohlenhydrate spalten. Vgl. Roche (199 3), S. 375. 1080 griech. en zyme: in der Hefe. 1081 Wilhelm Kühne (1837 - 1900) war Sohn eines wohlhabenden Hamburger Kaufmanns. Nach seinem Studium der Medizin in Göttingen, Jena, Berlin, Paris und Wien wurde er 1859 Assi s- tent bei Claude B ernard und 1861 bei Rudolf Virchow . 1868 nahm er einen Ruf als Pr o fessor

184 nigen können. 1082 Theodor Schwann (1810 - 1882) hatte 1836 die sen Stoff aus dem Magensaft extrahiert und ihn Pepsin genannt. 1838 entdeckte J o hann Evangelista Purkinje im Pankreassekret einen Verdauungsstoff für stic k stoffhalt i- ge Körper. Claude Bernard , Ros enthals großes Vorbild, veröffentlichte ab 1849 seine Arbeiten über das Sekret der Bauchspeicheldrüse. Fragen des Stoffwechsels waren in den Blick der Physiologie geraten und die biologische Chemie begann sich langsam zu einer Leitwissenschaft zu entwickel n. 1083 Al l gemein zeichnete sich in der Physiologie eine Wende im Verständnis der L e bensvorgänge ab, s o- dass die physikalisch - mechanische Betrachtung langsam durch eine mehr biol o- gisch - chemische verdrängt wurde. 1084 Rosenthals Ause i nandersetzung mit diesem Forschu ngszweig ist als Hinweis für seine offene Wahrnehmung in Hinblick auf alle Richtungen der Physiologie zu werten. Sie zeigt auch sein Bemühen um ein universelles Verständnis der Vorgänge im menschlichen Körper, entgegen der für das 19. Jahrhundert typischen Entwic k lung zur Spezialisi e rung. 1085 Von großer Bedeutung waren diese Untersuchungen zur Verdauung zwar nicht – die Zusammenarbeit mit Wilhelm von Leube währte wegen dessen B e rufung nach Jena lediglich das Sommersemester – doch is t Rosenthals gesamtes Fo r- schen in Erlangen von Veröffentlichungen zur Verdauungsphysiologie ei n g e- rahmt. Seine letzte Mitteilung in den Sitzungsb e richten der Physikalisch - Medizinischen Gesellschaft vom 10. Dezember 1907 beschäftigt sich noch ei n mal mit der Theorie der Enzyme. 1086 Zu dieser Zeit setzte eine kontroverse Di s kussion über die Wirkungsweise der Biokatalyse ein. 1087 Wieder befanden sich die chem i- sche und die physikalische Betrachtung der Vorgänge im Wide r spruch. Rosenthal entschied sich infolge langwieri ger Versuche, bei denen er chemische Verbindu n-

der Physiologie nach Amsterdam an, wechselte 1871 als Nachfolger von Hermann v. Hel m- holtz nach Heidelberg, wo er bis zu seinem Tod wirk te. Kühne gilt als Entdecker des Myosins (stabfö r miger Eiweißkörper in der Muskelfaser), der motorischen Endplatte (1862) und des Thrypsins (Enzym des Pankreassekrets, 1875). Seine Hauptarbeitsgebiete waren die Muske l- physiologie, die chemischen Vorgänge be im Sehen und die Verdauung. Er gehörte wie Rose n- thal zum e n geren Kreis der Du Bois - Reymond - Schüler. Vgl. Rothschuh (1953), S. 143 - 145 und Schneck/Schultze (1996), S. 84 - 86. 1082 Zur Theorie der Enzyme vgl. Löffler/Petrides (1997), 83 - 118 und Koolman/Röhm (199 4), S.86 - 103. 1083 Über die Entwicklung der physiologischen Chemie zur Leitwissenschaft der Medizin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. Ackerknecht (1967), S. 142 - 147. 1084 Über die chemische Richtung in der Physiologie im 19. Jahrhundert vgl. Rothsc huh (1953), S. 168 - 181. 1085 Vgl. Kap. 2.3.1., S. 55 . 1086 Vgl. Rosenthal (1908.2), S. 557 - 560. 1087 Rosenthal ausführlich über beide Positionen s. Rosenthal (1908.2), S. 557.

185 gen durch elektromagnetische Einwirkung zerlegte, ein physikalisches Verstän d- nis der Enzymwirkung. Hier zeigt sich, wie sehr Rose n thal seiner fr ü hen Prägung verhaftet geblieben war. Er hatte nachgewiesen, dass hochmolekulare Verbindu n- gen, die durch Enzyme spaltbar sind, auch durch Einwirkung elektromagnetischer Schwingungen ze r legt werden können. Aus der Möglichkeitkeit, Nahrungsmittel durch schwankende Magnetfelder zu ze r legen, zog er den Schluss, dass die e n- zy matische Spaltung chemischer Verbi n dungen durch Energieübertragung z u- stande kommt. So erklärte er sich die Wi r kung der Fermente durch intramolekul a- re Schwingungen, die sich auf das Su b strat übertragen und definie r te, angelehnt an die Aussagen von Justus Li ebig wie folgt:

„Enzyme sind chemische Stoffe, denen eine gewisse kinetische Energie innewohnt, welche sie auf andere Stoffe übertragen und dadurch deren Zerfall herbeiführen kö n nen.“ 1088

Diese beachtliche Definition wurde am 9. Januar 1908 durch den berühmten Chemiker und Nobelpreisträger Emil Fischer 1089 in der Gesamtsitzung der K ö ni g- lich - Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin vorgetragen. 1090 Sie war ein wichtiger Anstoß für unser heutiges Verständnis der W irkung von Biokatal y- satoren. Damit ein Substrat in das Produkt umgewandelt werden kann, ist es n ö- tig, einen gewissen Energiebetrag zuzuführen. Dies geschieht durch die zwischenzeitliche Ausbildung eines Substrat - Enzym - Komplexes. 1091 Die von R o- senthal beschrie bene „innewohnende Energie“ ist nichts anderes, als der ene r- giereiche Übergangszustand, der durch Bindung des umzuwandelnden Su b strates an das Enzym entsteht. Auf dieser Grundlage entwickelte Emil Fischer die Vo r- stellung vom „kataly tischen Zentrum“. 1092 Mit anderen Worten: Die Wirkung von Enzymen besteht darin, dass sie durch einen energiereichen Übe r gangszustand die zur Stoffumwandlung nötige Aktivierungsenergie senken. 1093 Rosenthals tiefes

1088 Zit. n. Rosenthal (1908.2), S. 558. 1089 Emil Fischer (1852 - 1919) studierte im Anschluss an eine kaufmä n nische Lehre in Bonn und Straßburg Chemie bei Adolf von Baeyer. „Nach der Promotion 1874 folgte er 1875 Baeyer als Assistent nach München, wo er 1878 Privatdozent und 1879 ao. Prof. der Chemie wurde; d a- ran schlossen sich Ordinariate in Erlangen (1882 - 85), Würzburg (1885 - 92) und Be r lin (1892 - 1919) an. (...). F. war Mitglied der Preußischen und der Bayerischen Akademie der Wisse n- schaften sowie maßgeblich beteiligt an der Gründung der Ka i ser - Wilhel m - Gesellschaft. 1902 erhielt er für die Synthese des Traubenzuckers und für seine Arbe i ten über die Purinkörper, die zur Synthese des Coffeins führten, den Nobelpreis. (...).“ Zit. n. Jakob (2002), S. 261. 1090 Vgl. Rosenthal (1908.3), S. 6. 1091 Eine grafische Darstellung dieses Komplexes s. Koolman/Röhm (1994), S. 89. 1092 Zit. n. Löffler/Petrides (1997), S. 108. 1093 Vgl. Koolman/Röhm (1994), S. 88.

186 Verständnis der Thermodynamik und Energetik bah nte den Weg für die Erkenn t- nis der Prinzipien der Enzymkatalyse durch Emil F i scher .

3.5.1.3. Die Reflexforschung

Ein Gebiet, das Rosenthal immer wieder beschäftigte, war die Unters u chung von Reflexen. Schon 1873 veröffentlichte er Erg ebnisse von Versuchen über die zei t- lichen Verhältnisse der Reflexübertragung. 1094 Da diese jedoch Abwan d lungen der Experimente und Bestätigungen von Versuchen waren, die Hermann von Helmholtz schon 1854 durchgeführt hatte, soll an dieser Stelle nicht au s führlich darauf eingegangen werden. Erwähnenswert ist jedoch als Versuchse r gebnis R o- senthals die Aussage, dass zwischen Reflexauslösung und Reflexan t wort eine gewisse Zeit verstreiche. Rose n thal bezeichnete dies als „Reflexzeit“ u nd wies ihre Abhängigkeit von der Reizstärke nach. In heutigen Physiologiebüchern findet sich der Begriff Latenzzeit. So formulierte er:

„Die Zeit ist abhängig von der Reizstärke. Sieht man ganz ab von solchen Reizen, welche nicht das Maximum der Reflexw irkung geben, und vergleicht nur solche Reize, welche ger a de ausreichen, dieses Max i mum zu bewirken mit stärkeren, so findet man, dass die Reflexzeit um so kleiner ausfällt, je stärker der Reiz ist, und dass sie bei sehr kleinen Reizen unmerklich klein wer den kann.“ 1095

Beachtlich ist die Schlussfolgerung Rosenthals, dieses Verhalten „eigenthümlichen (gangliösen?) [ sic ] Elementen des Rückenmarkes“ 1096 zuz u- schreiben. Heute wissen wir, dass die Latenzzeit eines Reflexes auch von der Zahl der Interneurone im Reflexz entrum abhängt. 1097 Außerdem erkannte R o se n- thal die Medulla oblongata als Reflexzentrum und erforschte, dass die For t pfla n- zungsgeschwindigkeit der Erregung in den motorischen Nerven unabhä n gig von der Rei z stärke ist. Aus seinen Zeitmessungen über Reflexe hat te Rosenthal geschlossen, dass die einzelnen Abschnitte des Rückenmarks nicht gleich geeignet seien, die Übe r- tragung des Reflexes von den sensiblen auf die motorischen Bahnen zu vermi t- teln, sondern dass die normalen Reflexe hauptsächlich in der Medulla oblongata und im oberen Teil des Rückenmarks zustande kommen. Er führte nun Vers u che

1094 Vgl. Rosenthal (1873), S. 13 - 16. 1095 Zit. n. Rosenthal (1873), S. 14. 1096 Zit. n. Rosenthal (1873), S. 16. 1097 Vgl. Schmid t/Thews (1995), S. 98.

187 mit Schnittführungen durch einzelne Teile des Rückenmarkes durch, um die Le i- tungsbahnen festzustellen, auf denen die Reflexübertragung zustande kommt. 1098 Rosenthal hatte 18 76 für seine Untersuchungen über Reflexe ein neues Myographion 1099 entwickelt. 1100 Bei den Versuchen zur Erregungsle i tung hatte sich gezeigt, dass die von Karl Ludwig entwickelten G e räte zu ungenau waren. Die Zeitdifferenzen in Rosenthals Ve rsuchen wurden immer geringer. Zwar ha t te er schon eine Kymographiontrommel, 1101 die mit einem Uhrwerk betrieben wu r- de, eingesetzt, doch waren die Umdrehungen nicht gleichförmig genug, um noch feinere Messungen anzustellen. So gab Rosenthal den Bau seines „Kr eiselmyographion“ bei der Firma Edelmann in Mü n chen in Auftrag, das die beachtliche Messung einer Zeitdifferenz von einer tausendstel Sekunde ermö g- lichte. Prinzip des Apparates war die konstante B e schleunigung einer schweren Glasscheibe von einem halben Me ter Durchmesser mittels eines Fallgewichtes, um die Kymographiontrommel ganz gleichmäßig zu bewegen. Die Scheibe wurde in Berührung mit den Schreibhebeln gebracht; in diesem Moment ein Reiz ausg e- löst und die folgende Muskelkontraktion aufgezeichnet. Die Ze it vom Beginn des Reizes bis zum Beginn der Zuckung konnte so genauer b e stimmt werden. Nach Vollendung einer Drehung kehrte die Scheibe mittels e i nes besonderen Mech a- nismus in die Ausgangslage zurück. 1102 1882 findet sich eine kleinere Mitteilung in den Sitz ungsberichten der Phys i k a- lisch - Medizinischen Sozietät über weitere Untersuchungen zum Reflex. 1103 R o- senthal beauftragte seinen Assistenten Dr. Moritz Mendelsohn aus St. P e tersburg mit der Durchführung der Versuche, bevor dieser wieder nach St. P e tersburg z u- rü ck ging. Wieder galt es durch methodische Schnittführungen zu überprüfen, ob die Durchtrennung an einer bestimmten Stelle einen Einfluss auf das Zustand e- kommen der Reflexe hat. Hierbei wurde entdeckt, dass Abkühlung die Erregba r- keit herabsetzt und schwache Reize, die an sich unwirksam sind, bei häufiger Aufeinanderfolge Reflexe auslösen können. Auf dem Kongress für Innere Med i- zin in Wiesbaden 1884 stellte Rosenthal als Ergebnis seiner Arbe i ten vor, dass im Gegensatz zu motorischen Nerven, wo dem stärkeren R eiz die stärkere Zuckung entspricht, bei sensiblen Nerven die Reizstärke keinen Ei n fluss auf die Muskelz u-

1098 Vgl. Rosenthal (1875.1), S. 77 f. 1099 Dieser zeitgenössische Begriff beschreibt ein Gerät zur Aufzeichnung von Muskelbew e- gungen. 1100 Vgl. Rosenthal (1876.2), S. 178 u. 179. Hier erfolgt eine ausführliche Beschreibung des Gerätes. 1101 Sie he Bildteil Abb. 33. 1102 Vgl. Rosenthal (1876.2), S. 179. 1103 Vgl. Rosenthal (1883.1), S. 31 - 34.

188 ckung zeige, sondern nur auf die Zeit, in welcher die Wirkung eintritt. 1104 Dies gab den Anstoß für die Überlegungen, im Rücke n mark nach Strukturen zu s u- c hen, die für die Verzögerung der Reizwirkung ve r antwortlich seien. Auch von 1885 bis 1897 befasste sich Rosenthal noch mit der Physiologie der Reflexe, ohne jedoch Versuchsergebnisse zu veröffentlichen. 1105 Als I n strument zur Messung der Zeitdifferenzen dien te das Chronoskop 1106 nach Ma t thäus Hipp. 1107 Mit dem Buch „Allgemeine Physiologie der Muskeln und Nerven“ machte R o- senthal 1877 zum ersten Mal den Versuch, das Wissen über dieses Tei l gebiet der Physiologie zusammenhängend darzustellen, 1899 gab er eine zweite ve r besserte Fassung heraus. 1108

3.5.1.4. Die Kalorimetrie

Das größte Forschungsgebiet Rosenthals in der Erlanger Zeit war der Ene r gie - und Wärmehaushalt von Säugetieren. Die Untersuchungen dazu kamen nur sehr mühsam voran, da das Stoffgebiet schon damals ein en außerordentlichen U m fang hatte. Am 20. Juli 1872 war Rosenthal in den akademischen Senat der Univers i- tät und in die medizinische Fakultät aufgenommen worden und hatte seine Inauguralrede zu dem Thema „Zur Kenntnis der Wärmeregulirung [!] bei den warmb lütigen Thieren“ gehalten. 1109 Sie stellte die erste Veröffentlichung Rose n- thals zu diesem Thema da. Seit diesem Zeitpunkt sollte ihn der Theme n kreis der

1104 Vgl. Rosenthal (1884.1), S. 318. 1105 Vgl. SPMSE. 17. Heft. E. T. Jakob. Erlangen. 1885, S. 57 u. SPMSE. 29. Heft. Junge & Sohn. Erlangen. 1898, o. S. Hier erfolgt nur die Nennung der Beiträge in den Sitzungen. 1106 Siehe Bildteil Bild 29. 1107 Matthäus Hipp (1813 - 1893) hatte als Sohn eines Klosterbäckers in Blaubeuren Uhrm a cher gelernt und arbeitete von 1832 bis 1834 bei dem bekannten Uhrmacher V. Stoß in Ulm. 1840 eröff nete er in Reutlingen eine Uhrmacherwerkstatt und entwickelte elektrische Pende l uhren, Telegrafen (Fernschreiber) und eine Apparatur zur Bestimmung der Lichtgeschwindi g keit. 1852 wurde er der Leiter der staatlichen schweizerischen Telegrafenwerkstätte, wo er die Morsetelegraphen verbesserte. In Bern entwickelte er Signalvorrichtungen für den Eisenbah n- betrieb. Seinen Lebensabend verbrachte er in Z ü rich. Vgl. Schmid (1972), S. 199. 1108 Das Buch ist eine Darstellung der gesamten Grundlagen dieses Zweiges der Ph ysiol o gie und wandte sich neben Medizinern auch an Vertreter anderer Fachgebiete und intere s sierte Laien. Vgl. Rosenthal (1899), Vorwort. 1109 Vgl. SAE: III. 72. R. 1, o. S. Programmblatt zum Eintritt in die medizinische Fakultät und den akademischen Senat de r Friedrich - Alexander - Universität. Vgl. Rosenthal (1872.3), 39 Seiten.

189 Kalorimetrie 1110 nicht mehr loslassen. Über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren widmete sich Rosentha l den Fragenstellungen des Wärm e haushalts und des Energiestoffwechsels. Es ging darum, den Zusammenhang zwischen der Wärmeproduktion, den Atmungsprodukten und den Nahrungssto f fen sowie der Körpergröße zu e r forschen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunde rts rückten die Fragen des Stoffwec h- sels in den Mittelpunkt der physiologischen Forschung, für welche die Fo r scher um Carl Voit 1111 Herausragendes geleistet haben. Schon viele Forscher hatten sich mit Stoffwechselfragen und dem Wärmehaushalt beschäftigt. 1112 Da jedoch die Aussagen nach Rosenthals Einschätzung nur auf ungenauen calorimetrischen Messungen und zweifelhaften Berechnungen beruhten, fühlte er sich herausgefo r- dert, die Aussagen über die Wärmeproduktion mit exakten Messungen zu übe r- prüfen. Hierzu bedurft e es einer entspreche n den Apparatur. Es war Antoine Lavoisier 1113 gewesen, der 1780 ein „Kalorimeter“ konstr u ie r- te, mit dem er die Wärmeabgabe von Lebewesen bestimmte. 1114 Sein Gerät b e- stand aus einer isolierten Kammer, die von einem E ismantel umgeben war. Durch die vom Versuchstier abgegebene Wärme schmolz das Eis, und das Wa s ser wu r- de aufgefangen. Die Menge des Schmel z wassers war ein direktes Maß für die abg e gebene Wärmemenge. Doch dieses Verfahren war sehr ungenau. Für seine Untersuc hungen konstruierte Rosenthal daher 1878 ein neues Kalor i meter. 1115

1110 Die Messung von Wärme (vgl. lat. calor: Wärme). 1111 Carl Voit (1831 - 1909) begann sein Medizinstudium 1848 in München und wechselte dann nach Würzburg, wo Rudolf Virchow und Rudolf Koelliker lehrten. Zurückgekehrt nach Mü n- chen studierte er unter , zu dem sich eine lebenslange Freundschaft entwicke l- te. 1859 wurde er außerordentlicher Professor und übernahm 1863 als Ordinarius den Leh r- stuhl für Phy siologie. Mit Max von Pettenkofer entwickelte er die berühmte Mü n chener App a- ratur zur Analyse des Stoffwechsels. Ein berühmter Schüler Voits war Max Ru b ner . Vgl. Rothschuh (1953), S. 182. 1112 Als Zeitgenossen sind hier besonders Hermann Helmholtz, Adolf Fick und Rudolf He i de n- hain zu nennen. Von diesen hatte Rosenthal seine Anregungen für die Arbeiten aus dem Jahre 1877 erhalten. Vgl. Rosenthal (1878), S. 200. Dies gilt zehn Jahre später auch für He r mann Senator . Rose n thal stellt seinen Ausführungen eine kleine Geschichte der Kalorimetrie voran. Vgl. Rosenthal (1888.1), S. 1309 - 1311. 1113 Antoine Laurent Lavoisier (ge b. 1743, guillotiniert 1794 während der französischen Rev o- lution) leistete bahnbrechendes auf dem Gebiet der Atmung, des Stoffwechsels und der En t st e- hung der tierischen Wärme. Er fasste die Atmung als langsame Oxidation auf und wies nach, dass dieser Vorga ng mit der Bindung von Sauerstoff einhergeht. Mit seinem „Respirat i onsve r- such“ fand er heraus, dass in der Lunge Wasserstoff mit Sauerstoff unter Wärmebi l dung ve r- bunden und Ko h lendioxid ausgeschieden wird. Vgl. Zey (1997), S. 268. 1114 Vgl. Rothschuh (1953), S. 84. 1115 Vgl. Rosenthal (1878), S. 198.

190 Anstatt von der Menge des geschmolzenen Eises auf die vom Org a nismus abg e- gebene Wärmemenge zu schließen, wurde nun die Menge des Dampfes von Flü s- sigkeiten wie Acetylether oder Acetylaldehyd g emessen: Bei Erwärmung wec h- selten diese ebenso wie das Eis ihren A g gregatzustand. Die entstandenen Mengen des Dampfes konnten nun wesentlich genauer mit Hilfe einer Quecksilberdose geme s sen werden. 1116 Rosenthal stellte 1884 erneut ein verbessertes Luftkalor imeter vor. 1117 Vier Jahre später veröffentlichte er die weiter entwickelte Konstruktion dieses Luf t k a- lorimeters, die einen neuen Abschnitt in der Entwicklung der Kalorimetrie einle i- tete. Rosenthal erläuterte ausführlich Theorie und Methode des von ihm entw i- c kelten Doppelhüllen - Kalorimeters. 1118 Die Entwicklung dieses Ger ä tes hatte fast zehn Jahre gedauert, was an der Knappheit der finanziellen Mittel lag. Die Ko m- pliziertheit der Apparate machte die Kalorimetrie zu einem verhäl t nismäßig kos t- spieligen Forschungsge biet. Erst die Zuwendungen aus dem „El i zabeth Thom p- son Science Fund“ in Boston hatten Rosenthal die Konstruktion des neuen Ger ä- tes ermöglicht. 1119 Grundlage für Rosenthals Weiterentwicklung war das Kalor i- meter 1120 des Franzosen Jacques Arsène d´Arsonval . 1121 Neu an diesem Gerät war das Prinzip der Wärmemessung. Es handelte sich um einen Metallbehälter mit einer doppelwandigen Hülle. Die zwischen den Wänden der Hülle eingeschloss e- ne Luft nahm die Wärme des Tieres auf und leitete di ese an die Außenfläche ab. Die beiden Luf t räume des Doppelapparates konnten als Differentialthermometer genutzt we r den, sodass Rosenthal unabhängig von der Umgebungstemperatur wurde. Neu war auch, dass die Veränderung der Temp e ratur nicht aus dem V o- lumenun terschied, sondern mit Hilfe des Druckunte r schiedes bestimmt wurde. Außerdem wurde das Doppelhüllenkalorimeter mit Apparaturen zur Besti m mung der Kohlendioxid - Konzentration versehen, sodass eine Messung der Verbre n- nungsprodukte möglich war. Neue Eichmethod en mit Manometern und Therm o-

1116 Ebenda, S. 200. 1117 Das Gerät wurde in der Sitzung vom 3. August 1885 vorgestellt, ohne näher beschrieben zu werden. Vgl. Rosenthal (1885.1), S. 58. 1118 Vgl. Rosenthal (1889.2), S. 6 - 11. 1119 Vgl. Rosenthal (1889.2), S. 2 . 1120 Siehe Bildteil Abb. 32. 1121 Arsène d´Arsonval (1851 - 1940) entstammte einer alten französischen Adelsfamilie und studierte in Limoges und Paris Medizin. Von 1873 bis 1878 arbeitete er als Assistent am ph y- siologischen Institut von Claude Bernard . Er wurde Direktor des 1882 neugegründeten Inst i- tuts für Biophysik am Collège de France, das er bis 1910 leitete. Seine Arbeitsgebiete waren die Muskelphysiologie und der Wärmehaushalt. 1894 fand sein neues Kalorimeter Eingang in die klinisch e Diagnostik. Außerdem erwarb er sich bedeutende Verdienste auf dem Gebiet der Elektrotherapie. Vgl. Culotta (1970), S. 302 - 305.

191 metern verbesserten die Qualität der Versuchserge b nisse erheblich. 1122 Ein weit e- rer Vorteil des Luftkalorimeters lag darin, dass Tiere nun über den Zeitraum von mehreren Tagen untersucht werden konnten, was in einem Eiskalorimeter nicht möglich war. Damit begannen die ersten Langzeituntersuchu n gen zum tierischen Stoffwechsel. Rosenthal begründete also mit seinem Doppelhüllen - Luftkalorimeter eine neue Methodik in der Kal o rimetrie. Das besondere an Rosenthals Versuchen war, dass bei d en Messungen die Wärmeproduktion mit einer von ihm abgeleiteten algebraischen Formel berec h net wurde, in welcher die Größen Manometerstand, Temperatur, Baromete r stand und eine bestimmte Apparatekonstante berücksichtigt waren, wodurch die berechn e- ten Werte die hohe Genauigkeit erhielten, welche er seinen Kollegen a b- sprach. 1123

Zunächst untersuchte Rosenthal den Einfluss der Körpergröße auf die Wärm e- produktion. 1124 Schon Hermann von Helmholtz hatte die Aussage gemacht, dass der Stof fwechsel proportional zur Oberfläche des Tierkörpers sei, konnte sie a l- lerdings nicht mit zuverlässigen Zahlen bel e gen. 1125 Auch Max Rubner hatte sich schon 1883 mit der Abhängigkeit von Wärmeproduktion und Körperobe r fläche beschäftigt. 1126 D och erst durch die Versuche mit dem neuen Kalorimeter wurden die Aussagen spez i fiziert und mit Zahlen bewiesen. Zeitgleich, jedoch ohne die Kenntnis der Arbeiten seines französischen Kollegen Rameaux stellte Rosenthal schlie ß lich den Satz auf:

„Die Wärmepr oduktion der warmblütigen Thiere ist proportional der dritten Wurzel aus dem Quadrat des Körpergewichtes. (...) Sie ist proportional der Oberfläche des Körpers, für welche das von der Körperform abhängige Verhältnis zum Köpergewichte gesetzt werden kann.“ 1127

Vor dem Hintergrund dieser Versuchsergebnisse erscheint es nicht richtig, die Entdeckung der Abhängigkeit von Stoffwechsel und Körperoberfläche au s-

1122 Vgl. Rosenthal (1889.2), S. 14 - 18. 1123 Vgl. Rosenthal (1889.2), S. 36. 1124 Ebenda, S. 23 - 36. 1125 Hermann von Helmholtz war einer der Ersten, die B e rechnungen der Wärmeproduktion durchführten. Vgl. Helmholtz , Hermann: Wärme. In: Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften. Bd. 35. Berlin. 1846, S. 523 ff. 1126 Vgl. Schneck (1999), S. 96. 1127 Z it. n. Rosenthal (1889.2), S. 31.

192 schlie ß lich Max Rubner 1128 zuzuschreiben, wie das bi s weilen geschehen ist. 1129 Dies ist auch Rose n thals Verdienst. Ein zweiter Aspekt der Untersuchungen war der Einfluss der Ernährung auf die Wärmeproduktion. 1130 Rosenthal beschrieb im Juli 1888 eine Zunahme der Wä r- meproduktion mit Beginn der 3. Stunde nach der Fütterung des Versuch s tieres und einen Höhepunkt der Wärmeproduktion für die 6. bis 9. Stu n de. 1131 In der Sitzung vom 13. Dezember 1888 der physikalisch - mathematischen Kla s- se der Königlich - Preußischen Akademie der Wissenschaften stellte Emil Du Bois - Reymond Rosentha ls Messergebnisse der kalorimetrischen Unters u chungen vor. Die entscheidende Schlussfolg e rung Rosenthals war die Aussage, dass es unmöglich sei, aus der Kohlendioxid - Ausscheidung Schlüsse auf die Wärmepr o- duktion zu ziehen. 1132 Rosenthal hatte festgestellt, da ss selbst mit gleichmäßiger Ernährung und gleichbleibendem Gewicht bei den Versuchsti e ren unterschiedl i- che Wärmemengen produziert wurden. Daraus folgerte er, „dass eine Berechnung der wirklich erfolgten Wärmeproduktion aus der Na h rung ebenso wenig möglich ist, wie die aus den Ausscheidungen.“ 1133 Diese Feststellung war der Fehdehan d- schuh, den Rosenthal seinem Marburger Koll e gen Max Rubner hinwarf. Für R o- senthal schien dies der Beweis für die Unric h tigkeit der Wärmebilanzen von Max Rubner und auch von Hermann von Hel m holtz zu sein, da sie auf Berechnungen der Wärmepr o duktion aus der Nahrung und aus den Ausscheidungen beruhten. Hier allerdings verallgemeinerte Rose n thal vorschnell. Spätere Unt ersuchungen

1128 Max Rubner (1854 - 1932) arbeitete in Carl Voits Laboratorium in München. 1880 ging er zu Karl Ludwig nach Leipzig, wo er seine Ve r suche zum Stoffwechsel fortführte, aber bei Voit e in Jahr später seine kalorimetrischen Arbe i ten 1883 mit seiner Habilitation vollendete. 1885 folgte er einem Ruf als Hygieniker nach Marburg. 1891 ging er nach Berlin, wo er R o bert Kochs Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Hygiene und 1907 der Nachfolger Theo dor Wi l helm Engelmanns am physiologischen Institut wurde. Er galt als Autorität auf dem Gebiet des Ene r- giestoffwechsels, des Wärmehaushalts sowie der Ernährungslehre, und veröffentlichte seine Versuchsergebnisse in seinem Hauptwerk „Die Gesetze des Energie verbrauchs“ (Be r lin, 1902). In seiner Schrift „Die Quelle der thierischen Wärme“ (Berlin, 1894) beanspruchte er, die Gü l- tigkeit des Energieerhaltungssatzes für den Organismus nachgewiesen zu haben. Vgl. Roth - s chuh (1975), S. 585 u. 586. Siehe Bildteil Abb. 35. 1129 Vgl. Ackerknecht (1967), S. 143 und Rothschuh (1953), S. 183. 1130 Vgl. Rosenthal (1889.2), S. 39 - 53. 1131 Vgl. Rosenthal (1889.2), S. 47. 1132 Vgl. Rosenthal (1888), S. 5. 1133 Zit. n. Rosenthal (1888), S. 7. Max Rubner zitierte drei Jahre später diese Feststellung in seiner Antwort auf Rosenthals Veröffentlichung in der Berliner Klin i schen Wochenschrift (vgl. Rosenthal , 1891.1), um den diametralen Gegensatz zu Rosenthals Anschauung hervo r zuheben. Vgl. Rubner (1891), S. 606.

193 sollten nachweisen, dass die Energi e ausbeute sehr wohl davon abhängt, welche Substrate verbrannt werden. 1134 Rosenthal ermittelte außerdem die von ihm als Wärme - Effect bezeichneten Werte für die Verbrennung von Eiweiß, Kohlenhydrat und Fett, wobe i er zw i- schen absoluter und physiologischer Verbrennungswärme unterschied. 1135 He u te spricht man vom physikalischen und physiologischen Brennwert der Na h- rungsstoffe als von Begriffen, die sein Kollege Max Rubner 1902 in der Form bekannt ma chte, wie sie sich heute noch in Physiologiebüchern finden. 1136 Im Frühjahr des Jahres 1889 reiste Rosenthal nach Berlin, um seine Ve r suche in der Physikalischen und in der Physiologischen Gesellschaft vorzuführen. 1137 B e reits 1886 hatte er das Doppelhüllenkalor imeter und seine neue Methodik auf der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Straßburg in der phys i o- logischen Abteilung vorgeführt. 1889 präsentierte er seine Forschungserge b nisse auf dem internationalen physiologischen Kongress in Basel. 1138

Im J uni 1891 kam es zu einem handfesten wissenschaftlichen Streit, den das E r- scheinen des Buches von Max Rubner über die „Calorimetrische Methodik“ au s- löste. 1139 Rosenthal hatte daran Anstoß genommen, dass Max Rubner in se i ner Veröffentlichung sämtl i che seiner Arbeiten unerwähnt ließ und überdies Un - tersuchungen ankündigte, die Rosenthal schon vorgenommen und veröffen t licht hatte. Max Rubner äußerte, dass die Versuche erst durch ein von ihm en t wicke l- tes V erfahren möglich geworden seien, 1140 was Rosenthal besonders ve r ärgerte, sah er doch sich selbst als Begründer des neuen Verfahrens mit dem Doppelhü l- len - Luftkalorimeter. Rosenthal stellte daher die Entwic k lung seines Verfahrens in der Berliner Klinischen Woch enschrift vom 1. Juni 1891 ausfüh r lich dar und ve r- wies auf die entsprechenden Vorführungen der Apparatur und deren Veröffentl i- chungen. 1141 Zum ersten Mal verteidigte Rosenthal kämpf e risch die eigenen E r- kenntnisse und grenzte sie gegen die Arbeiten eines Koll e gen ab. Fast erweckt die gegen Max Rubner geführte Auseinandersetzung den Eindruck unangemess e-

1134 Rosenthal schr änkte seine Feststellung 1892 ein. Vgl. Rosenthal (1892), S. 363. 1135 Vgl. Rosenthal (1888), S. 7. 1136 Vgl. Höper/Kessler (1994), S. 454. 1137 Vgl. Rosenthal (1891.1), S. 529. 1138 Ebenda. 1139 Vgl. Rubner, Max: Calorimetrische Methodik. Mit 2 Tafeln und 5 Holzschnitte n. N. G. Elwert´sche Verlagsbuchhandlung. Marburg. 1891, 36 Seiten. 1140 Vgl. Rubner, Max: Calorimetrische Methodik. Mit 2 Tafeln und 5 Holzschnitten. N. G. Elwert´sche Verlagsbuchhandlung. Marburg. 1891, S. 35. 1141 Vgl. Rosenthal (1891.1), S. 529 - 530.

194 ner Gelehrteneitelkeit. Doch Rosenthal war sehr korrekt, wenn es darum ging, sich auf Arbeiten seiner Kollegen zu bezi e hen oder wenn solche fü r ihn Anlass für eigene Versuche waren. Es ist ein Kennzeichen der Veröffentlichungen R o- senthals, sorgfältig den jeweiligen Sachstand und die daran beteiligten Forscher zu nennen. 1142 Außerdem verwies er stets gewisse n haft auf schon vorliegende Versuchsergebn isse seiner Kollegen. Um so mehr verstimmte ihn die Nichtbeac h- tung seiner Forschungsarbeit durch Max Rubner . In der gleichen Veröffentlichung spezifizierte Rosenthal seine Aussagen über die Abhängigkeit von Nahrungsaufnahme und Wärmepr oduktion. Seine Lan g zei t- versuche hatten ergeben, dass nach der Nahrungsaufnahme periodische Schwa n- kungen der Wärmeproduktion erfolgen, bei welchem das Maximum u n gefähr in der 7. Stunde vorliegt, während zwei Minima in der 1. und der 23. Stunde nach der Nah rungsaufnahme zu me s sen sind. 1143 Ein weiterer Vorteil von Rosenthals Doppelhüllen - Luftkalorimeter war, dass sowohl die Sauerstoffaufnahme aus den Versuchsdaten berechnet, als auch die Kohlensäureabgabe bestimmt werden konnten. Damit konnte auf den Energi e u m- satz geschlossen werden. Rosenthal verglich das Verbrennungsprodukt Ko h le n- säure mit der Wärmeproduktion oder anders ausgedrückt: Er setzte die beim Energieumsatz freiwerdende Energiemenge ins Verhältnis zum entstehenden 1144 Ko h lendioxid und nannte dies „CO 2 - Faktor der Wärme“. Aus den Vers u chen zog er den Schluss, dass wenn bei gleichbleibender Nahrung die Wärmeprodu k t i- on steigt, auch die Kohlensäure - Ausscheidung wächst. Er erkannte die A b hängi g- keit dieser Größe vom Nährstofftyp, d. h. von der Zusammensetzung der Na h- rung. Diese Erkenntnisse legten die Grundlage für die spätere Fo r mulierung des Respiratorischen Quotienten. Mit Hilfe dieser Formel, welche das Verhäl t nis zw i- schen CO 2 - Abgabe und O 2 - Aufnahme kennzeichnet, konnte auf die Art der ve r- brannten Nährstof fe und somit auf ein genaueres Energieäquivalent g e schlossen werden. Rosenthals Kollege Eduard Pflüger , der ihn in der Berliner Zeit schon um die Lorbeeren hinsichtlich des Zuckung s gesetzes gebracht hatte, sollte mit dieser Formel d er Nachwelt in Erinnerung ble i ben. 1145 Rosenthal beanspruchte schließlich, mit seinen Untersuchungen die Lücke g e- schlossen zu haben, die hinsichtlich des Nachweises der Gültigkeit des Ene r gi e- erhaltungssatzes für den Organismus bestanden hatte. 1146 Unter den zah lre i chen

1142 Als he rausragende Beispiele seien hier Rosenthal (1862), S. 1 - 20, Rosenthal (1875.2), S. 35 - 42 und Rosenthal (1881.1), S. 19 - 21 genannt. 1143 Vgl. Rosenthal (1891.1), S. 531. 1144 Zit. n. Rosenthal (1891.1), S. 532. 1145 Vgl. Höper/Kessler (1994), S. 455 ff. 1146 Vgl. Rosen thal (1891.1), S. 532.

195 naturwi s senschaftlichen Entdeckungen im 19. Jahrhundert ist das Gesetz von der Erhaltung der Energie wohl eines der wichtigsten. Es wird berichtet, dass der Heilbronner Julius Robert Mayer 1842 als Schiffsarzt ohne tie fere ph y sikalische Ausbildung die Idee von der Erhaltung der Energie wie einen Geda n kenblitz als „ein System der Physik“ 1147 von einer Tropenreise mitbrachte. Di e ses System gründete auf der Aussage, dass Energie weder gewonnen noch ve r loren gehen, sondern ein e Energieform nur in eine andere umgewa n delt werden kann. Dieser Satz stellte eine Erweiterung des Energieerhaltungssatzes der M e chanik dar. 1148 Julius Robert Mayer stand zunächst etwas hilflos vor der Herau s forderung, seinen Satz experimentell zu beweisen. Es sollte also keine Masch i ne geben, die da u- ernd Energie abgibt, ohne Energie aufzunehmen. Dem Stand der Wisse n schaft vorauseilend fand er wenig Resonanz, bis sich der Physiker Hermann von Hel m- holtz mit der gleichen Aussage 1847 in seiner Schrift „Über die Erhaltung der Kraft“ mit umfangreichen Beschreibungen physikalischer und chemischer Proze s- se durchsetzte. 1149 Sollte der Energi e erhaltungssatz (oder der Erste Hauptsatz der Thermodynamik) auch für di e „Maschine Mensch“ gelten? Schon 1842 hatte Ju s- tus Liebig in seinem Buch „Die Tierchemie oder die org a nische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie“ die Äqu i valenz der Verbrennung s- wärme der von Tier und Mensch aufg enommenen Nahrung mit der in ihnen e r- zeugten Wärme und von ihnen geleisteten Arbeit beschrieben. 1150 Aus der grun d- legenden Bedeutung dieser Aussage erklärt sich auch die verbissene Abgrenzung Rosenthals gegen die Arbeiten von Max Ru b ner so wie gegen diejenigen der Franzosen Pierre Dulong 1151 und César Despretz . 1152 Letzteren war der exper i- mentelle Nac h weis nicht geglückt. Sie glaubten gefunden zu haben, dass mehr Wärme produziert wird, als den chem i sc hen Umsätzen nach produziert werden

1147 Zit. n. Gerlach (1960), S. 246. 1148 Hierzu ausführlich s. Zeeck (1992), S. 74. 1149 Vgl. Rothschuh (1953), S. 125. 1150 Vgl. Rothschuh (1953), S. 172. 1151 Pierre Louis Dulong (1785 - 1838) war Professor der Chemie und der Physik sowie Mi t- glied der Akademie der Wissenschaften zu Paris. Als der deutsche Chemiker Berz e lius 1819 in Paris weilte, führte er mit diesem die epochemachende Bestimmung der gravimetrischen Z u- sammensetzung des Wassers durch. 1821 gewann er den Preis der Akademie der Wisse n s cha f- ten mit seiner Arbeit über tierische Wärme. 1879 erschien der deutsche Artikel „Über die B e- ziehung zwischen Wärmestrahlung und der Temperatur. I. Über die Versuche von Dulong und Petit“ in den Sitzungsberichten der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaf ten der M a them a- tisch - naturwissenschaftliche Klasse, 59, Abt. 2. Vgl. Crosland (1971), S. 238 - 241. 1152 César Mansuète Despretz (1792 - 1863) war Professor an der Sorbonne und seit 1844 Mi t- glied der Akademie der Wissenschaften zu Paris. F ür seine Arbe i ten über die tierische Wärme erhielt er 1823 den Preis der Akademie. Vgl. Poggendorff (1970), S. 562.

196 könnte. Bisher hatte es nach Rose n thals Meinung kein Fo r scher vermocht, die Versuchsbedingungen zu schaffen, in denen die gesuchte Übereinstimmung nac h- zuweisen war. 1153 Angesicht der wissenschaftlichen Bedeutung und der da mit verbundenen Schwere von Rosenthals Vorwurf konnte Max Rubner nicht umhin, seine Sicht der Dinge darzulegen. Zwei Wochen später erschien, ebenfalls in der „Berliner Klinischen Wochenschrift“, ein Beitrag, in dem Rubner den Nachweis z u e r bri n- gen suchte, dass er sehr wohl Kenntnis von Rosenthals Arbeiten gehabt h a be. 1154 Im Gegensatz zu Rosenthal vertrat Rubner alle r dings die Ansicht, dass die aus den zersetzten Nahrungsstoffen berechnete Wärmeproduktion sich im kalorime t- rischen Versuch wi ederfinden müsse, d. h. er postulierte die Überei n stimmung von Wärmeberechnung und kalorimetrischer Messung. Er versuchte den Nac h- weis zu führen, dass Rosenthal einem schwerwiegenden Irrtum erli e ge, da er die Wasserdampfausscheidung nicht in seine Überlegu ngen mit einb e zöge. 1155 Dieses in der Tat stichhaltige Argument konnte von Rosenthal nicht entkräftet werden. In seiner Erwiderung musste Rosenthal seine Äußerung z u rüc k nehmen, Rubner habe von seinen Arbeiten nichts gewusst. Er hielt jedoch an dem Vorwurf fes t, Max Rubner habe für sich beansprucht, was längst durch ihn verö f fentlicht worden sei:

„Nun, wenn er sie [Rosenthals Arbeiten, Verf.] gekannt hat, wie konnte Herr Rubner einen Satz niede r schreiben, wie der von mir schon auffallend be zeichnete (S. 35 seiner Abhandlung: Calorimetrische Methodik), dass ´solche Messungen bisher nicht ausg e führt werden konnten´? Wer unbefangen den Aufsatz von Herrn Rubner liest, muss den Eindruck empfangen, dass ´bisher´, d. h. bis zum Eingreifen des Herrn Rubner, noch kein Luftkalorimeter zu physiolog i- schen Zwecken benutzt, und dass keine calorimetrischen Messungen von längerer Dauer a n g e- stellt werden konnten. Aber gerade das habe ich gethan, und gerade darauf lege ich für me i ne Arbeiten den Hauptnachdruck .“ 1156

Dies war also der Punkt, der Rosenthals Kränkung ausmachte: Es ging ihm um die wissenschaftlichen Lorbeeren der Langzeitkalorimetrie unter Ve r wendung des Doppelhüllen - Luftkalorimeters. Die zeitgenössische Fachwelt scheint alle r dings Rosenthals Aufbegeh ren ignoriert zu haben. Noch heute heißt es von Max Ru b- ner , er habe 1894 als Erster die Gültigkeit des Energiesatzes für den Me n schen

1153 Vgl. Rosenthal (1891.1), S. 532. 1154 Vgl. Rubner (1891), S. 606. 1155 Vgl. Rubner (1891), S. 607. Bei der Verbrennung (Oxidation) der Nahrungs stoffe im Kö r- per entst e hen Kohlendioxid, Wasser und Wärme. Zur Energetik chemischer Reaktionen vgl. Zeeck (1992), S. 76. 1156 Zit. n. Rosenthal (1891.2), S. 671.

197 hinreichend gesichert. 1157 Es war sicher so, dass der Nachweis des Ene r gieerha l- tungssatzes für den Organi smus Gegenstand des Ehrgeizes vieler Ph y siologen war; die Namen der an der Frage der Wärmeproduktion Forschenden sind Leg i- on. Hier wu r den nur die Wichtigsten genannt. Kaum ein Institut, in welchem nicht Kalorimeter, Analyse - Apparaturen und Verfahren ersonn en wurden, um diesen Beweis zu erbringen. Die Argumente für die Richtigkeit se i nes Anspruchs leitete Rosenthal aus der Tatsache ab, dass er es gewesen sei, der zuerst durch seine zahlreichen Daten und Messreihen den mathematisch - korrekten Nachweis er b- racht habe. 1158 In der Tat ist das math e matische Können Rosenthals besonders erwähnenswert. Nicht nur sein Perfektionismus als Exp e rimentator wird hierbei sichtbar, sondern auch seine genaue zahlenmäßige Auswertung erscheint einzi g- a r tig. Doch Rosenthal blieb der v ergessene Kontr a hent Max Rubners. Hinsich t- lich des Verständnisses des Lebendigen bewirkten die Ergebnisse der Kalorime t- rie eine Absage an die Vorstellung von der L e benskraft. Nicht mehr ein besond e- res Lebensprinzip, ein unbekannter Leben s stoff, begründete alle Zustände des Lebendigen, sondern die Umwandlung von Energie aus der Verbrennung von Nahrungsstoffen. 1159

In der Sitzung der physikalisch - mathematischen Klasse vom 25. Juni 1891 wu r de der Königlich - Preußischen Ak a demie der Wissenschaften zu Berlin durch Emil Du Bois - Reymond erneut eine Mitteilung Rosenthals über „Calorimetrischen U n- tersuchungen“ vorgelegt. 1160 Ziel der neuen Versuchsre i hen war es, dem Stof f- wechselgeschehen des Fiebers auf die Spur zu kommen. Grundlage für desse n Verständnis war für Rosenthal die Überzeugung, dass bei der Kal o rimetrie nicht die Wärmeproduktion des Tieres, sondern lediglich die Wärmeabgabe gemessen werde. 1161 In dieser Unterscheidung konzentrierte sich der Gegensatz zu Max Rubner . Dies war auch der Grund, warum er die Berec h nungen seines Kollegen Rubner als unrichtig verwarf. Dass Rosenthal hier ric h tig lag, zeigt das heutige Verständnis vom Wärm e haushalt. 1162

1157 Vgl. Rothschuh (1969), S. 169. 1158 Vgl. Rosenthal (1888.1), S. 7. 1159 Vgl. Gerlach (1960), S. 246. 1160 Vgl. Rosenthal (1891.3), S. 587 - 599. 1161 Ebenda, S. 587. 1162 Zum Wärmehaushalt und der Temperaturregulation vgl. Klussmann (1994), S. 473 - 490. Eine übersichtliche Schautafel, welche die grundverschiedenen Vorgänge der Wärmebi l dung und Wärmeabgabe verdeutlich t, bietet S. 482.

198 Die Pathophysiologie des Fiebers war noch mit vielen Vermutungen behaftet; bis heute sind noch nicht alle Fragen des Fiebers geklärt. 1163 Ludwig Traube hatte den Satz aufgestellt, dass die erhöhte Temperatur nicht durch vermehrte Wärm e- produktion, sondern durch Wärmeretention, also durch Verminderung der norm a- l en Wärmeverluste zustande komme. 1164 Diese Traube´sche Fiebe r theorie hatte fast ausnahmslos Widerspruch erfahren. Rosenthal fütterte nun in seinen Vers u- chen über einen langen Zeitraum Kaninchen und führte kalorime t rische Messu n- gen durch. Dann injizierte er ih nen infektiöse Stoffe wie Eiter und Auswurf und bestimmte die Temperaturveränderungen bis zum Verschwi n den des Fiebers. I n- dem Rosenthal zeigte, dass „die Steigerung der Eigentemp e ratur im Initialstadium des Fiebers (...) ohne jede vermehrte Wärmeproduction (...) zu Stande kommt“, 1165 bestätigte er die Aussagen seines Freundes Ludwig Traube . Wieder einmal brach Rosenthal eine Lanze für diesen bedeutenden Kl i niker und versuc h- te ihn auch in seinem Beitrag in der Berliner Klinischen W o chensc hrift zu rehab i- litieren. 1166 Nach heutigem Verständnis muss die Gülti g keit von Traubes Satz a n- erkannt werden. Im Fieber erfolgen Mechanismen der Wärmeretention wie G e- fäßverengung der Hautgefäße, um die Wärmeabgabe zu vermi n dern. 1167

Im April 1892 erfolgte mittl erweile die fünfte Mitteilung seiner „calorimetrischen Untersuchungen“ an die Akademie der Wissenschaften in Berlin. 1168 Im Vorde r- grund seiner Forschungen stand nun das Verhältnis von Wärmeprodukt i on und der zur gleichen Zeit entstehenden Ausscheidungen wie W asser und Kohlendi o- xid. Er führte die Versuche mit nüchternen und gefütte r ten Tieren durch und stel l- te fest, dass je nach Sättigungsgrad unterschiedliche Stoffwechselvorgänge abli e- fen. Die Wärmeproduktion und Kohlendioxidau s scheidung hatten je nach Zustand der Fütterung unterschiedliche Werte. Im sa t ten Zustand fand er eine höhere CO 2 - Ausscheidung und Wärmeproduktion als im nüchte r nen. Rosenthals Erklärung dafür lautete:

1163 So ist z. B. noch nicht eindeutig geklärt, welche Substanzen das Fieber auslösen und wie sie im Zwischenhirn wirken. Vgl. Löffler/Petrides (1997), S. 722. Heute wird davon ausg e- gangen, das Fieber eine Verstellung des Sollwertes im Wärme regulationszentrum des Zw i- schenhirns ist, die durch Entzündungsstoffe ausgelöst wird. Vgl. Silbernagl/Despopoulos (1991), S. 194. 1164 Vgl. Allgemeine medicinische Centralzeitung, 1863 und 1864. Gesammelte Abhandlu n gen. Bd. II, S. 637 u. 678. 1165 Zit. n. Rosent hal (1891.3), S. 593. 1166 Vgl. Rosenthal (1891.5), S. 785 - 788. 1167 Vgl. Klussmann (1994), S. 483. 1168 Vgl. Rosenthal (1892), S. 363 - 372.

199 „Die Stoffe, welche während des Zustandes der Sättigung verbrennen, müssen eine a n dere chemische Constitution haben als diejenigen, welche während des Zustandes der Nüchternheit zur Verbrennung gelangen; sie müssen eine geringe Verbrennungswärme erzeugen, aber reic h- 1169 lich CO 2 erzeugen.“

Aus dieser Beobachtung schloss Rosenthal, dass zwei unt erschiedliche Stof f- wechsel vorliegen, worin eine Vorstufe für das heutige Verständnis von Resor p t i- ons - und Postresorptionsphase 1170 zu sehen ist. Die von Rosenthal entwickelte Vorstellung, dass Verbrennungswärmen an eine chemische Umwandlung g e ko p- pelt seien, war schon ein früher Hinweis auf Zusammenhänge, deren Au f klärung fast ein halbes Jahrhundert später den Nobelpreisträgern Otto Meye r hof 1171 und Otto Warburg 1172 gelang. Sie enthüllten die zentrale Bedeutung der energi ere i- chen Phosphate wie Adenosintriphosphat (ATP) für den Energi e stoffwechsel als „universelle Wä h rung der Energie“ 1173 im Organismus. 1174 Zu Rosenthals Zeiten war ATP allerdings noch undenkbar. Jedoch entwickelte sich langsam ein chem i- sches Verständnis von der V erbrennung und Rosenthals Vo r stellungen trugen nicht une r heblich dazu bei. Rosenthal lud 1893 die Abteilungen für Physiologie und für Hygiene, die im Rahmen der 65. Versammlung deutscher Naturfo r scher und Ärzte in Nürnberg

1169 Zit. n. Rosenthal (1892), S. 371. 1170 Hiermit ist das Stoffwechselgeschehen während der Verdauung und des Hungers gemeint. Ei ne übersichtliche Erklärung beider Vorgänge bietet Koolman/Röhm (1994), S. 272 - 275. 1171 Otto Meyerhof (1884 - 1951) studierte in Freiburg, Berlin, Straßburg und Heidelberg M e d i- zin. 1912 ging er an das physiologische Institut nach Kiel, w o er 1921 eine Professur erhielt. Beeinflusst von Warburg wandte er sich der Biochemie zu. 1924 wechselte er an das Kaiser - Wilhelm - Institut nach Berlin, wo er die Leitung der Biochemischen Abteilung übernahm. Fünf Jahre später wurde er Direktor des Kaiser - Wilhelm - Instituts in Heidelberg. Als Jude emigrierte er 1938 nach Paris und floh 1940 in die USA. Meyerhof zählt zu den bedeutendsten Biochem i- kern des 20. Jahrhunderts. Schon 1922 hatte er den N o belpreis für Medizin über das Thema der Chemie der Muskelphys iologie erhalten. 1921 hatte er zur Biochemie der organ i schen E nergieerzeugung gearbeitet. Er konnte nachweisen, dass nach der Muskelkontraktion Wärme entsteht. Vgl. Zey (1997), S. 307. 1172 Otto Heinrich Warburg (1883 - 1970), dessen Vater Emil mit Albert Ein stein und Max Planck persönlich bekannt war, fügte an sein Chemiestudium in Berlin noch ein Medizinst u d i- um in Berlin, München und Heidelberg an. Hier war er von 1912 bis 1914 Privatdozent für Physiologie. Dann erhielt er in Berlin eine Professur für Physio logie und war ab 1931 Dire k tor des neugegründeten Kaiser - Wilhelm - Instituts für Zellphysiologie. Warburgs Arbeiten wu r den bahnbrechend für die Zellatmung, deren Enzyme er entdeckte. 1921 veröffentlichte er Arbe i ten über den Kohlensäurestoffwechsel und 1928 über die an der Atmung beteiligten Enz y me. Vgl. Zey (1997), S. 441. 1173 Zit. n. Silbernagl/Despopoulos (1991), S. 21. 1174 Vgl. Rothschuh (1953), S. 180.

200 tagten, in das physiologische In stitut nach Erlangen ein, um sein weiterentw i cke l- tes K a lorimeter vorzustellen. 1175 Schon ein Jahr zuvor, im September 1892, hatte er das Gerät in seiner neuesten Form auf dem 2. internationalen physiol o gischen Kongress in Lüttich und vor der biolog i schen Abte ilung der „British Association for the Advancement of Science“ zu Edinburgh demonstriert. 1176 Wieder war das K a lorimeter technisch verändert worden. In der Werkstatt des physiologischen Instituts in Erlangen hatte Rosenthal ein Gerät bauen lassen, dessen dopp elwa n- diger kupferner Luftraum im Querschnitt nun eliptisch anstatt rund ge s taltet war. In den inneren und äußeren Luftraum eingearbeitet waren Thermometer und Di f- ferentialmanometer. Um die Wärmeübertr a gung auf den Luftraum zu optimieren, wurde der innere Z ylinder mit zahlreichen Längsrippen versehen; der dritte Z y- linder, der Schwankungen der Umgebungstemperatur ausgleichen sollte, wurde weggelassen, um die Empfindlichkeit zu erhöhen. Auch der Tierkäfig wurde ve r- ändert, um eine Berührung des inneren Zylinder s durch das Versuchstier ausz u- schließen und eine Kupferwanne eingebaut, um etwaige Ausscheidungen aufz u- fangen. Für die Bestimmung der Respiration s produkte hatte sich Rosenthal eines Verfahrens bedient, das auf Max von Pe t tenkofer 1177 zurückging und dieses mit einem abgewandelten Versuchsaufbau der Franzosen Henri Victor Regnault 1178 und Jule Reiset 1179 verbunden. Die A p paratur bestand aus Wasserstrahlpu m pen, Erlenmeyerkolben und verschi edenen anderen Röhren, deren genauere Beschre i- bung den Rahmen dieser Abhandlung sprengen würde. Um die Ventilation au f- recht zu halten, waren Quecksilbe r pumpen angeschlossen, die durch einen von

1175 Vgl. Rosenthal (1893.1), S. 1. 1176 Ebenda. 1177 Max von Pettenkofer (1818 - 1901) f orschte umfassend zur Physiologie des Stoffwechsels. Bei dem hier angesprochenen Verfahren handelt es sich um die von ihm entwickelte „Mü n ch e- ner Stoffwechselapparatur“. Zit. n. Rothschuh (1953), S. 182. Außerdem gilt er als B e gründer der wissenschaftlichen Hygiene. 1847 nahm er einen Ruf als außerordentlicher Pr o fessor für Chemie nach München an und wurde zum Hofapotheker ernannt. Einen Schwe r punkt seiner Forschung bildete die Cholera. Das Thema seiner 1859 gehaltenen Vorlesung „öffentliche Gesundheitspfleg e“ wurde zum Leitwort einer ganzen Bewegung. Mit Koch füh r te er eine le i- denschaftliche Auseinandersetzung in der Frage der Übe r tragung der Cholera. Nach dem Tod seiner Frau und zwei seiner Kinder nahm er sich vereinsamt das Leben. Vgl. Voswinckel (2001), S . 625 und Gräf (1986), S. 5. 1178 Henri Victor Regnault (1810 – 1878) war Professor der Chemie und Physik sowie seit 1840 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Paris. Sein wichtigstes Forschungsg e biet war das Verhalten von Festkörpern und Gasen bei Erwärmung. Vgl. Fox (1975), S. 352 - 354. 1179 Über Jule Reiset ist so gut wie nichts bekannt. Nur bei Poggendorff (1971), S. 600 finden sich Hinweise auf die Zusammenarbeit mit Regnault und auf seine Veröffentl i c hungen.

201 Rosenthal speziell entwickelten „Apparat für künstliche Beatmu ng“ 1180 betrieben wurden. Er nannte ihn „Resp i rationsapparat“. Dieser funktionierte wie ein Blas e- balg, der durch einen Pe n delmechanismus betrieben wurde, wie er von Standu h- ren bekannt ist. Mit Hilfe dieses Gerätes war es möglich, das Versuchstier beli e- big lan ge im K a lorimeter zu belassen, ohne dass der Sauerstoff verbraucht und damit die Messungen ve r fälscht wurden. Die von Rosenthal entwickelte Appar a- tur bildete eine bis in kleinste Einzelheiten sinnreich ausgearbeitete Versuchsa n- ordnung, die eine kaum zu übe rtreffende Sachkenntnis und Durchdachtheit verrät, ihrer Aufwendigkeit wegen jedoch kaum Verbreitung fand. Seinen Zuhörern teilte er die E r gebnisse seiner bisherigen Untersuchungen mit:

„Die Wärmeabgabe der Thiere ist keine constante, sondern erleidet peri odische Schwa n- kungen, welche hauptsächlich durch die Nahrungsaufnahme bedingt sind. Wird ein Thier r e- gelmässig alle 24 Stunden einmal gefüttert, so beginnt die Wärm e ausgabe nach Ablauf der 1. Stunde zu steigen, erreicht zwischen der 5. und 7. Stunde ein Ma ximum, sinkt lan g sam bis zur 11. oder 12. Stunde und bleibt dann bis zum Schluss der Periode nahezu constant. Entzieht man einem wohlgenährten Thier alle Nahrung, so bleibt die Wärmea b gabe in den ersten 2 - 3 Tagen noch nahezu constant; sie sinkt dann lang sam und erreicht am 5. bis 7. Tage ein Min i- mum. (...) Zwischen Wärmeabgabe und der Ausgabe von CO 2 besteht kein absolut festes Ve r- hältnis; dasse l be hängt von der Art der Nahrung ab.“ 1181

Rosenthal hatte entdeckt, dass selbst bei gleichmäßiger Ernährung nach der Na h- rungsaufnahme die CO 2 - Abgabe schneller anstieg und früher ihr Maximum e r- reichte als die Wärmeausgabe; er schlussfolgerte, dass die chemische Zusa m me n- setzung der Stoffe nicht konstant sei, sondern dass sie nach der Nahrung s aufna h- me unterschiedlich sc hnell resorbiert würden. Er machte als Erster die Entd e- ckung, dass die Nahrungsaufnahme eine Zunahme der Wärmebildung b e wirkt. Dieser Sachverhalt findet sich noch in heutigen Physiologiebüchern unter dem Fachbegriff der „postbrandialen Energieumsatzzunahme “. 1182

Die sich in Einzelheiten weiter verästelnde Beschäftigung Rose n thals mit dem Gebiet der Kalorimetrie veranlasste ihn 1894 erneut zu einer Veröffentlichung

1180 Dieses Gerät (siehe Bildteil Bild 34) hatte Rosenthal zuerst in der Sitzung der Physik a lisch - Medizinischen Gesellschaft vom 8. Juni 1885 vorgestellt. Vgl. Rosenthal (1885.1), S. 58. Seine Entwicklung war 1889 abgeschlossen. Eine detaillierte Besc hreibung findet sich bei Rosenthal (1889.1), S. 64 - 72. 1181 Zit. n. Rosenthal (1893.1), S. 13. 1182 Zit. n. Schmidt/Thews (1995), S. 650 u. 792.

202 über seine Untersuchungen. 1183 Sie knüpften inhaltlich an die ersten drei Artikel aus dem Jahre 188 9 an und stellten den Fortgang der vergangenen Jahre dar. 1184 Rosenthal veröffentlichte 1897 eine verbesserte Apparatur. 1185 Um die Te m p e- ratur im Innenraum des Kalorimeters für genauere Messungen ko n stant zu halten, war der Apparat um einen elektromagnetischen T hermoregulator erwe i tert wo r- den. In den Innenraum ragte ein Quecksilberthermometer, das bei Te m peratura n- stieg einen Stromkreis schließen konnte, einen elektromagnetischen Impuls au s- löste und einen Anker betätigte, der das Gasventil zur Flamme reg u lierte. 1186 Höhepunkt und gewissermaßen Vollendung der Versuchsanordnung zur Besti m- mung der Wärmeproduktion und der Atmungsprodukte war die En t wicklung e i- nes Registrierapparates, mit welchem die Druckänderungen des Manometers im Kalorimeter mittels einer elektromagnet ischen Vorrichtung auf eine Schreibstif t- mech a nik übertragen wurden. 1187 Auf diese Weise entstanden die ersten direkten Aufzeichnungen der Wärmeproduktion in verschiedenen Stoffwec h selphasen. Rosenthals 1902 veröffentlichte „Untersuchungen über den respirator ischen Stoffwechsel“ 1188 sind eine umfassende Darstellung des von ihm perfektionie r ten Verfahrens für die Bestimmung der Respirationsprodukte, also der Gasan a lyse, wie sie von Henri Victor Regnault und Jule Reiset begründet worden war. Rose n- thal glaubte einen Endpunkt im Verfahren der Gasanalyse erreicht zu h a ben, s o- dass er die Apparatur mit den von ihm entwickelten Bauteilen von se i nem Exp e- rimentalgehilfen und Mechaniker Richard Hennig in Auftrag gab 1189 und für deren Bezug durch andere physiologische Institute warb. 1190 Damit trat er in Konku r- renz zu dem von Felix Hoppe - Seyler 1191 entwickelten Straßburger Gerät, das o f- fensichtlich in vielen Instituten g e braucht wurd e. Rosenthal warb mit der höheren

1183 Vgl. Rosenthal (1894), S. 223 - 282. 1184 Vgl. Rosenthal (1889.2), S. 1 - 53. 1185 Vgl. Rosenthal (1897.1), S. 171 - 209. 1186 Ebe nda, S. 178. 1187 Vgl. Rosenthal (1897.1), S. 194 - 201. 1188 Vgl. Rosenthal (1902), S. 167 - 199 und 278 - 293. 1189 Siehe Kap. 3.3., S. 167 . 1190 Vgl. Rosenthal (1902), S. 174. 1191 Felix Hoppe - Seyler (1825 - 1895) studiert e in Halle Medizin und habilitierte sich 1855 in Greifswald. Ein Jahr später ging er nach Berlin zu Rudolf Vi r chow und wechselte 1861 nach Tübingen, wo er den Lehrstuhl für angewandte Chemie erhielt. 1872 wurde er Ordinarius für phy siologische Chemie in Stra ß burg. Hoppe - Seyler zählt zu den Begründern der Biochemie. Er forschte über die Sauerstoffbindung im Blut, wies 1866 das Gewebe als Ort der tierischen Ox i- dation nach und arbeitete über den Eiweißstoffwechsel. Vgl. Rothschuh (1953) , S. 174. Hier entwickelte er seinen Apparat zur Gasanalyse, den er in der von ihm gegründeten Zei t schrift für physiologische Chemie Bd. XIX., S. 574 u. 590 veröffen t lichte.

203 Genauigkeit der Messungen mit seinem Apparat, die er in se i ner Erfindung des Apparates für künstliche Beatmung begründete. Ziel der Ve r suche war es, he r- auszufinden, inwiefern der Pa r tialdruck des Sauerstoffs in der Inspira tionsluft mit der Sauerstoffaufnahme zusammenhänge. Entgegen der Meinung von Henri Vi c- tor Regnault und Jule Reiset , dass die Au f nahme des Sauerstoffs bei der Atmung innerhalb gewisser Grenzen unabhä n gig s ei vom Sauerstoffgehalt der geatmeten Luft, vertrat Rosenthal den Stan d punkt,

„dass der O 2 - Gehalt der Athemluft einer der Umstände ist, von denen die O 2 - Aufnahme in der Lunge a b hängt, und dass daher, wenigstens in einer gewissen Zeit, die O 2 - Aufnahme der Thiere durch Aenderungen im O 2 - Gehalt der Athemluft in hohem Maasse vermehrt oder ve r- mindert werden kann.“ 1192

Diese Aussage steht allerdings teilweise im Widerspruch zum heutigen Ve r stän d- nis der Sauerstoffbindungskurve, die keinen geraden, sondern einen geb o genen (sigmoiden) Verlauf aufweist. 1193 Die von Rosenthal beschriebenen Ä n derungen gelten nur für einen bestimmten Abschnitt der Sättigungskurve. Es war noch nicht bekannt, dass die unterschiedliche Sauerstoffbindung des Blutes darin begründet liegt, dass das Blutprotein Hämoglobin durch Wechsel seiner molekularen Gestalt seine Bindekraft zum Sauerstoff ändert. 1194 Rosenthal maß hinsichtlich der Saue r- stoffaufnahme dem ph y sikalischen Vorgang der Diffusion die gleiche Bedeutung bei wie der chemischen Bindung an das Hämoglobin. Zunehmend erwies sich R o- senthals Weg als Sackgasse. Sich von einem phys i kalischen Verständnis der A t- mung zu lösen und diesen Vorgang rein chemisch zu begreifen, war für Rosenthal aus seiner bisherigen wissenschaftlichen Pr ä gung he r aus nicht mö glich. Sie ließ ihn die Vorgänge der Diffusion im Hinblick auf den Gasaustausch überbewerten. Die Aufklärung der Zusammenhänge von Atmung und Blutgasen sollte der Gen e- ration nach Rosenthal aus der Schule Karl Ludwigs mit dem Dänen Christian Bohr und dem Engländer John Scott Haldane vorbehalten sein. 1195 Rosenthal musste überdies anerkennen, dass der von ihm vorgeschlagene „Kohlensäurefaktor“, also das Verhältnis von Wärme und ausgeschiedenem Ko h- lendioxid, we niger aussagekräftig war als der von Eduard Pflüger form u lierte „Respiratorische Quotient“, der das Verhältnis von Kohlendioxid und Sauerstoff darstellt. 1196 Rosenthals Beitrag zum Verständnis des Gasaustausches bei der A t-

1192 Zit. n. Rosenthal (1902), S. 197. 1193 Zur Sauerstoffbindungskurve siehe Deetjen (1 994), S. 254 - 258 und Silbe r- nagl/Despopoulos (1991), S. 101. 1194 Vgl. Koolman/Röhm (1994), S. 254. 1195 Vgl. Rothschuh (1953), S. 201 u. 208. 1196 Dies belegt Rosenthals Abkehr vom „Kohlensäurefaktor“. Vgl. Rosenthal (1902), S. 282.

204 mung im Hinbl ick auf Bindung und Fre i setzung von Sauerstoff und Kohlendioxid hatte nur ergä n zenden Charakter.

3.5.1.5. Verschiedene Forschungen

Neben den großen oben genannten Forschungsgebieten gibt es einige Frageste l- lungen und Untersuchungen, denen sich Rosenthal am Rande widmete. Er en t - wickelte den „Arbeitssammler“ 1197 weiter, den Adolf Fick konstruiert hatte, und bestimmte 1880 bei Fröschen die Arbeitsleistung von Muskeln. 1198 Eine nicht unbedeutende, wenn aber kaum wahrgenommene und nur einmal veröf fentlichte Entdeckung war die Möglichkeit, den Druck im Brustkorb zw i- schen Lungenoberfläche und Brustkorbwandung, also den intrathorak a len oder auch intrapleuralen Druck, über eine Messung des Druckes in der Speiseröhre als ö sophagealen Druck zu bestimmen. Rosenthal entwickelte hierfür ein durch einen Gummischlauch mit einem Manometer verbundenes Sondenrohr, welches er in die Speiseröhre einführte. 1199 Dieses Gerät, das Rosenthal „Schlundsonde“ 1200 nannte, war der erste Ösophaguskatheter. Schon John Hu t chinson , der berühmte britische Chirurg, hatte an Toten eine indirekte Besti m mung des intrathorakalen Druckes durchgeführt, indem er den Pleuraspalt nach Einfügen eines Manometers anstach. Karl Ludwig hatte im Tierversuc h ebe n falls die Pleurapunktion ang e- wendet. 1201 Hierbei wurde der Spaltraum zwischen Lungenfell und Brustfell ang e- stochen. Doch Rosenthal entwickelte mit seinem Verfa h ren die Möglichkeit, am Menschen den intrathorakalen Druck ohne einen operativen Eingriff zu ermi t teln. Das Rohr, welches er durch die Speiseröhre in den hinteren Mediastinalraum ei n- führte und mit einem Druckmesser verband, registrierte die Änderung der Druc k- verhältnisse bei der Ein - und Ausatmung. Dadurch, dass er anstelle des Manom e- ters eine Mar ey´sche Schreibkapsel 1202 verwendete, entstanden die ersten Druc k-

1197 Siehe Bildteil Abb. 30. 1198 Vgl. Rosenthal (1880), S. 15 - 26. 1199 Vgl. Rosenthal (1881.1), S. 19 - 23. 1200 Zit. n. Rosenthal (1881.1), S.21. 1201 Vgl. Rosenthal (1881.1), S. 19 u. 20. 1202 Siehe Bildteil Abb. 33. Etienne Jules Marey (1830 - 1904) war seit 1878 Ehrenmitglied der Physik a lisch - Medizinisch en Sozietät zu Erlangen. Vgl. Sitzungsberichte derselben. Heft 28. Junge & Sohn. Erlangen. 1897, S. VII. Er studierte in Paris und leistete als Gründer des dort i- gen physiologischen Instituts Herausragendes auf dem Gebiet der Herz - und Kreislaufphysi o- logie und entwickelte zahlreiche Methoden, um physiologische Vorgänge grafisch sichtbar zu machen und auszuwerten. Vgl. Rothschuh (1953), S. 167.

205 kurven, wie sie auch heute in den Physiologiebüchern dargestellt sind. 1203 Mit Wilhelm von Leube führte Rose n thal derartige Messungen beim Menschen durch. Sie ergaben für den intrathorakalen Druck negative Werte von 40 bis 60 Millim e- tern Wassersäule im Manometer, die ebenfalls heute noch gültig sind. 1204 Aus den Sitzungsberichten der Physikalisch - Medizinischen Gesellschaft in E r- langen lässt sich entnehmen, dass Rosenthal 1885 ein neues Galvanometer entw i- ckelt hatte. 1205 Schon zwei Jahre zuvor hatte er, angeregt durch entspr e chende Beschreibungen des Physikers Friedrich Kohlrausch 1206 Widerstand s messungen mit Hilfe eines Telefons durchg e führt, 1207 was den Anstoß für die Verbesserung der bisher von der Firma Siemens & Halske hergestellten „Rheostaten“ 1208 gab. Galvanometer waren Präzisionsinstrumente und dienten als Strommesser. In der Elektrotherapie (z. B. Reizstrom) konnten sie außerdem zur Dosierung des elek t- rischen Stroms verwendet werden. Rosenthal stellte 1886 sein Gerät auf der N a- turforscher - Versammlung in Straßburg vor. 1209 Es war von der Bauart ein kleines transportables Horizontal - Galvanometer. Wic h tigste Baugruppen ware n eine Art Kompassgehäuse mit Magnetnadeln und Kupferdrahtspulen. 1210 Zehn Jahre später war die Entwicklung eines neuen Strommessers, nun „Rheochord“ genannt, s o- weit abgeschlossen, dass Rosenthal diesen industriell bei der Firma Reiniger, Gebbert & Schall (RG S) fertigen ließ. 1211 Über die Erlanger Jahre verteilt widmete sich Rosenthal immer wieder auch pharmakologischen Fragestellungen, wobei die Beschäftigung mit Herzgiften den größten Anteil hatte. Schon 1865 hatte Rosenthal die Wirkung von Alkalo i -

1203 Vgl. Silbernagl/Despopoulos (1991), S. 81. 1204 Vgl. Silbernagl/Despopoulos (1991), S. 81. 1205 Vgl. SPMSE. Heft 17. Ju n ge & Sohn. Erlangen. 1885, S. 57. 1206 Friedrich Kohlrausch (1840 - 1910) erforschte die Leitfähigkeit von Elektrolyten und fo r m u- lierte das nach ihm benannte Gesetz von der Unabhängigkeit der Ionen. Vgl. Kohlrausch, Friedrich: Lei tfaden der praktischen Physik. 4. Auflage, S. 206. Kohlrausch gehörte auch zu den korrespondierenden Mitgliedern der Physikalisch - Medizinischen Sozietät in Erlangen. Vgl. Sitzungsberichte. Heft 15. E. T. Jakob. Erlangen. 1883, S. IX. 1207 Vgl. Rosenthal (1883 .2), S. 60 - 66. 1208 Dies waren mit veränderlichen Kontakten ausgerüstete Apparate zur Regelung des elektr i- schen Widerstandes. 1209 Vgl. Ewald (1915), S. 278. 1210 Siehe Bildteil Abb. 31. 1211 Vgl. Rosenthal (1895.1), S. 43. Die Galvanometer der RGS waren fester Bestan dteil der elektrotherapeutischen Apparate, wie Firmenkataloge (vgl. „Elektromedizinische A p parate und ihre Handhabung“, ohne Autor und Verlag, 6. Auflage, Erlangen, 1897, S. 41 ff.) ei n drucksvoll bel e gen.

206 den 1212 auf da s Nervensystem untersucht. 1213 Es folgten weitere Veröffentl i - chungen in den Jahren 1876 und 1888. 1214 1890 berichtete er über Konservi e- rungsflüssigkeiten. 1215 1895 beschäftigte er sich mit der Wirkung von Alkalo i den aus dem Rindenextrakt einer philippinischen Pfla nzengattung, die ihm sein Freund Adolf Bernhard Meyer , Direktor des Natur - und Völkerkundemuseums in Dresden, zugesandt hatte. 1216 Im März 1896 referierte Rosenthal über die Nu t- zung von Acetylengas für Beleuchtung s einrichtungen. 1217

An der Vielzahl der Veröffentlichungen zeigt sich das beachtliche Spektrum der Forschungen Rosenthals. Sein Selbstverständnis als Physiologe und Naturfo r- scher wird an den komplexen und thematisch sehr verschiedenen Fragestellu n gen deutlich, die ihn besc häftigten. Kein Bereich, der einen Bezug für das L e ben des Menschen aufwies, lag außerhalb seiner Wahrnehmung und seines Int e resses. Er wurde in seiner physikalischen Sichtweise von der Generation seiner Schüler j e- doch zunehmend als Vertreter der überholte n Schule von Du Bois - Reymond a n- gesehen. 1218 Zu offensichtlich war der Siegeszug von Biologie und Chemie in den Naturwissenschaften. 1219 Der Energiehaushalt ist das wichtigste physiologische Teilgebiet, zu welchem in heutigen, allgemein verbreiteten Lehrbüchern der Physiologie ein Hinweis auf Rosenthals Beteiligung an der Erforschung zu finden ist. 1220 Der apparative Au f-

1212 Alkaloide sind Pflanzenstoffe, die Stickstoff en thalten und daher basisch, d. h. „alkalisch“ reagieren. Das wohl bekannteste ist das aus der Mohnpflanze gewonnene Opium, aus dem B e- täubungsmittel hergestellt werden. Näheres über Opiate vgl. Lüllmann/Mohr/Ziegler (1996), S. 208 - 213. 1213 Vgl. Rosenthal (1865 .2), S. 601 - 609. 1214 Vgl. Rosenthal (1876.3), S. 178 - 182, Rosenthal (1884.2), S. 112 - 114 und Rosenthal, I.: Über die Wirkung des Chinolins. In: Deutsches Archiv für klinische Medicin. Bd. 42. 1888, S. 206 - 218. 1215 Vgl. Rosenthal (1890.1), S. 72 - 73. 1216 Vgl. Rose nthal (1895.2), S. 96 - 102. 1217 Vgl. SPMSE. Heft 28. Ju n ge & Sohn. Erlangen. 1897, S. XXI. 1218 Vgl. Höber (1915), S. 293. 1219 Zur chemischen Richtung der Physiologie der zweiten Hälfte 19. Jahrhundert in Deutsc h- land vgl. Rothschuh (1953), S. 168 - 193. Die Gründung der Farbwerke Hoechst und Bayer der Badischen Anilin - und Sodafabrik (BASF) in den Jahren 1862 bis 1865 verdeutlicht die enge Wechselwirkung von industrieller Entwicklung und Naturwissenschaft bzw. Medizin. Ähnl i- chen Symbolcharakter hat die Gründung des U nternehmens Siemens & Halske 1847 für die Dominanz der physikalischen Richtung in der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Zur Rolle von Elektroindustrie und Großchemie als Leitsektoren der industriellen Entwicklung vgl. Stürme r (1998), S. 88 - 90. 1220 Vgl. Schmidt/Thews (1995), S. 647.

207 wand und die Mühseligkeit seiner Versuche scheinen nicht im Ve r hältnis zu ihrer heutigen Bedeutung zu stehen. Doch ist es ein Kennzeichen von Wisse n schaft, dass bedeutende Entdeckungen oft zufällig und unerwartet gemacht werden, wä h- rend hingegen jahrelanges, mühevolles Forschen nicht die erwart e ten Ergebnisse bringt. 1221 Die wesentlichen Entdeckungen waren e r folgt, die fast haarspalterische Vervollkommnu ng der Versuchzahlen über Verbre n nungswärmen und Konzentr a- tionen von Atmungsprodukten leistete nun keinen entscheidenden Beitrag mehr zur Kalorimetrie. Max Rubners Arbeiten zur K a lorimetrie sind als „wegwe i- send“ 1222 bezeichnet worden, da sie für die Entwic k lu ng dieses Teilgebietes als besonders fruchtbar galten. Bei der Fülle der Verö f fentlichungen in den unte r- schiedlichsten wissenschaftlichen Zeitschriften, Mi t teilungen und Archiven ist jedoch davon auszugehen, dass ein ebenso stark a n regender, bel e bender Ein fluss auf die Kalorimetrie von Rosenthal ausgegangen ist, der seine Versuchsbeschre i- bungen und die entsprechenden Erge b nisse auch in den großen zeitgenössischen Periodika veröffentlichte. Oft Jahre vor Max Rubner publiziert, sind die Fo r- schungen Rosenthals in ihrer Bedeutung oftmals unterschätzt wo r den.

3.5.2. Der Hygieniker

Die Tätigkeit Rosenthals auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege war eine unmittelbare Fortsetzung seines Engagements aus der Berliner Zeit, dessen vorläu figer Höhepunkt die Gründung der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege gewesen war. 1223 Der Beginn der wissenschaftlichen Hygiene in Erlangen wird durch das Jahr 1866 markiert, als König Ludwig II. verordnete, dass Profes suren für Hygiene eing e richtet werden sollten. Infolgedessen fand auch das Fach Hygiene seinen Platz in der neuen Prüfungsordnung. 1224 Es war Eugen Franz Freiherr von Gorup - Besanez , der als Erster von 1866 bis 1 872 das Fach Hygiene vertrat. 1225 Dieser hatte jedoch im Juli 1872 darum gebeten, von der Verpflichtung für den Lehrstuhl der Hygiene entbunden zu werden. 1226 So wurde auf Wunsch der m e dizinischen

1221 Hier sei auf Wilhelm Konrad Röntgens Entdeckung der nach ihm benannten Strahlen ve r- wiesen. Weitere Beispiele s. Rothschuh (1969), S. 13. 1222 Zit. n. Rothschuh (1969), S. 11. 1223 Vgl. Kap. 2.6.3., S. 121 . 1224 Zur Geschichte der Hygiene in der Friedrich - Wilhelm - Universität zu Erlangen vgl. Gräf/Braun (1886), S. 7 f. 1225 Vgl. Wittern (1999), S. 55. 1226 Vgl. UAE: T 1. Pos. 9a. Nr. 68, o. S. Antrag vom 18. Juli 1872.

208 Fakultät in Erlangen Rosenthal der Unterricht für Hygiene übertr a gen, was auch ganz dessen „persönlicher Neigung“ 1227 entsprach. Ab dem Wi n tersemester 1872 hielt er zusätzlich die Vorlesung über öffentliche Gesun d heitspflege. Für die F a- kultät kon n te es keinen geeigneteren Nachfolger als den Gründer der Deutschen Gesellscha ft für öffentliche Gesundheitspflege g e ben. Rosenthal veröffentlichte 1876 die Schrift „Ziele und Aussichten der Gesun d- heitspflege“. Unter Gesundheitspflege verstand Rosenthal alle Ma ß nahmen, die eine „Verbesserung des vorhandenen, bestehenden Gesundheits z u standes einer Bevölkerung“ 1228 zu erzielen geeignet seien. Seine Absicht war es zunächst, Klarheit in die theoretischen Grundlagen eines Fachgebietes zu bri n gen, das zwar zum damaligen Zeitpunkt ein breites Interesse fand, dessen B e handlung jedoch seiner Me inung nach von mangelnder Wissenschaftlichkeit und O berflächlichkeit bestimmt war. 1229 Im Wesentlichen war die Schrift eine Widerlegung von grun d- legenden Ideen des englischen Soziologen und Philos o phen Herbert Spencer , 1230 der den Wert d er Gesundheitspflege allgemein in Frage gestellt und die Auffa s- sung vertreten hatte, durch Gesundheitsmaßregeln werde die Widerstandsfähi g- keit eines Volkes herabgesetzt und die Qualität der Rasse verschlechtert, da durch die Verminderung schädlicher Faktor en eine größere Anzahl schwächerer Individuen am Leben erhalten werde, deren schwächliches Erbgut der Entwic k- lung einer widerstandsfähigen Bevölk e rung abträglich sei. 1231 In diesem Denken sind frühe Wurzeln der Rassenhygiene zu entdecken, die im Nationalsozia lismus ihren Höhepunkt erreichen sollte. Auch entsprach es der Lehre Charles Darwins, der in seinem Werk „Struggle for Life“ Gedanken über die Durchsetzungsfähi g- keit von Pop u lationen entwickelte. Wie verheerend sich der Darwinismus auf das Sozialve r halten und das Denken der zivilisierten Welt ausgewirkt hat, kann kaum überschätzt we r den. Der Gedanke vom Schutz und der Würde des Schwachen, wie im christlichen Gebot der Nächstenliebe enthalten, begann langsam zu ve r- blassen, und die Völker Eur o pas wurden von d er Vorstellung angesteckt, sich in einem Wettstreit der Nati o nen zu befinden, an welchem teilzunehmen nur dem

1227 Zit. n. Rosenthal ( 1876.1), S. III. 1228 Zit. n. Rosenthal (1876.1), S. 3. 1229 Zit. n. Rosenthal (1876.1), S. 3. 1230 Herbert Spencer (1820 - 1903) war britischer Philosoph und S o ziologe. Er formulierte ein Gesetz der Entwicklung, w o nach sich der Fortschritt d es Lebens durch beste Anpassung an die Umwelt und Auslese der Organismen vollzieht. 1873 veröffentlichte er „Das Studium der S o- ziol o gie“. Vgl. Stein/Pust (1960), S. 759. 1231 Vgl. Marquardsen, Heinrich (Hrsg.): Einleitung in das Studium der Sociologie. Broc k h aus. Leizig. 1875, S. 174 ff. (Eine Übersetzung der Schrift “The study of sociology” von Herbert Spencer ).

209 Starken und Durchse t zungsfähigen zugestanden wurde. 1232 Eine Brutalisierung des öffentlichen L e bens war die Folge, in dem kaum Raum mehr für das sche i n- bar Schwache, nicht uneingeschränkt Leistungsfähige war. Doch geprägt durch die Erfa h rungen in seiner Berliner Zeit und durch das Vorbild Ludwig Traubes zu Beginn seines Studiums, ließ sich Rosenthal von diesem sich rasch ausbre i tenden Zeitgeist nicht an stecken. In seiner Schrift „Ziele und Aussichten der Gesun d- heitspflege“ trat er offen für die Erhaltungswürdigkeit auch des Schwachen ein, wies die Lehren Herbert Spencers zurück und versuchte sie wissenschaftlich zu widerl e gen. Er sprach der Soziologie di e Berechtigung ab, ve r bindlich zu Fragen der Gesundheitspflege Stellung bezi e hen zu können, da ihr die Voraussetzung dazu fehlte. 1233 Nur eine ganzheitliche Betrachtung der verschiedenen Fachgebi e- te von Natur - und Ingenieurwissenschaften sowie der Gewerbekund e und eine streng wissenschaftliche Kenntnis der Lebenserscheinungen könne die Grun d lage für Aussagen über Gesundheitspflege sein, was für das Gebiet der Soziol o gie nicht zuträfe. Für Rosenthal vereinte allein der Naturforscher und Physiol o ge das für die B eurteilung der Gesundheitspflege erforderliche Fachwissen. Er begriff die Gesundheitspflege als angewandte Physiologie und schenkte der Lehre von der Entstehung der Krankheiten besondere Aufmerksamkeit. 1234 Z u gänge vermi t- telten hier sowohl die Erfahrungen mit verordneten Ma ß regeln zur Hygiene als auch Schlussfolgerungen aus den Erkenntnissen der Physiologie direkt. Der m o- derne Hygieniker sollte in der Lage sein, sachverständige Gu t ac h ten abzugeben und die Möglichkeit haben, auf die Gesetzgebung einzuwi r ken. Ro senthal befü r- wortete neben der rein fachlichen auch eine politische D i mension der Gesun d- heitspflege. 1235 Auffallend ist Rosenthals große Zurückhaltung in Bezug auf die neue Diszi p lin der Statistik. Seit der Reichsgründung hatte das Interesse an diesem Gebiet einen enormen Aufschwung genommen. Rosenthal warnte vor einem unkrit i schen U m- gang mit statistischen Daten. Die Hauptschwierigkeit sah er in ihrer Deutung. Denn dazu bedürfe es der Fähigkeit, die wahren Beziehungen der Dinge zueina n-

1232 Der Gedanke des Daseinskampfes durchdrang auch Wissenschaft und Bildung. Der Wet t- streit der Nationen diente selbst dem lib eral - konservativen Kultusminister Moritz August von Bethmann - Hollweg als Begründung für Haushaltsforderungen. Die Aufbietung aller Kräfte galt als Gebot der Selbsterhaltung. Vgl. GStAPK: Rep. 89. 2.2.1. Nr. 21512 , Bl. 76. Schre i ben vom 3. August 1864. Vgl. auch Kap. 2.3.3., S. 83 . 1233 Vgl. Rosenthal (1876.1), S. 4. 1234 Vgl. Rosenthal (1876.1), S. 2. 1235 Diese Haltung zeigt eine auffällige Übereinstimmung mit dem Denken Rudolf Vi r chows, für den medizinische Erkenntnisse von normativer Kraft für politisches Handeln waren. Vgl. Goschler (2002), S. 279 ff.

210 der aufzufinden. Nur den umfassend gebildeten Naturforscher und Physiologen sah Rosenthal in der Lage, wissenschaftliche Zusammenhänge gegebener Tats a- chen zu erkennen und nachzuweisen. Ein In - Beziehung - Setzen von Werten ohne genaue Kenntnis von Ursache und Wirkung, müsste unwe i ge r lich zu Fehlschlü s- sen und zu an der Wirklichkeit vorbeilaufenden Aussagen fü h ren. 1236 Entschieden trat Rosenthal in derselben Schrift für den Ausbau der Kanalis a t i- onsanlagen ein 1237 und versuchte, die in Berlin gewonnenen Erkenntnisse auch in Erlangen umzusetz en. Die Notwendigkeit, Unrat und Abfälle des Haushalts abz u- führen, hielt er für unbestritten und forderte, endlich die Erfahrungen and e rer Länder auch für Deutschland nutzbar zu machen:

„Wir müssen unsere Städte von den Abfällen des menschlichen Haushalts befreien und kö n- nen nicht warten, bis die Anhänger der Kanalisierung und die der Abfuhr sich geeinigt h a- ben.“ 1238

Dies war ein klarer Aufruf an die Öffentlichkeit. Rosenthal verband ihn mit der Forderung an den Staat, hier im eigenen Interesse durch seine Ges etzgebung ei n- zugreifen. Er forderte staatliche Gesundheitsämter, deren Aufgabe die Besei - tigung schädigender Einflüsse auf die Bürger sein sollte. Dem Staat billigte er hierbei das Recht zu, in die Belange des Einzelnen und von Gemeinden eingre i fen zu dürf en. Außerdem forderte er die Einrichtung entsprechender Lehrstü h le an Universitäten und die Aufnahme der Gesundheitspflege als Lehrfach sowohl an Gymnasien als auch an Volkssch u len. 1239 Ein Ergebnis von Rosenthals Auseinandersetzung mit der öffentlichen Gesu n d- heitspflege war die Veröffentlichung seiner Schrift „Bier und Brann t wein und ihre Bedeutung für die Volksgesundheit“ 1881. Sie war keine wisse n schaftliche A b- handlung im akademischen Sinn, sondern eine Schrift, die sich an eine breite L e- serschaft wandte. Rosenthal fühlte sich auch ungefragt berufen, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Er beanspruchte, „mit der Fackel der wisse n schaftlichen Kr i- tik bestehende Gesetze, alte wie neue, zu beleuchten und unter Umständen ihre Aenderung zu verlangen (...)“. 1240 In de r öffentlichen Ause i nandersetzung setzte er sich für Sachlichkeit und Au f klärung ein. Auslöser für die Auseinandersetzung mit dem Alkoholproblem war die ö f fen t- liche Diskussion bezüglich der Erhöhung der Braumalzsteuer, die 1881 im

1236 Vgl. Rosenthal (1876.1), S. 20 u. 21. 1237 Vgl. Kap. 2.6.3., S. 120 ff. 1238 Zit. n. Rosenthal (1876.1), S. 40. 1239 Vgl. Rosenthal (1876.1), S. 43. 1240 Z it. n. Rosenthal (1881.2), S. 7.

211 Reichstag im Zusammenhan g mit dem Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Trunksucht geführt wurde. 1241 Das gesamte Steuersystem befand sich seit der großen innenpolitischen Wende von 1878/79 in einer tiefgreifenden Veränd e- rung. 1242 Der Reichstag hatte 1879 gegen die Stimmen der liberalen Fo rtschrittspartei und einiger Nationalliberaler ein umfassendes Tarifwerk von Steuererhöhungen und Schutzzöllen verabschi e det. 1243 Rosenthals Anliegen war es, die Auswirkungen der Steuererhöhungen aus Sicht des Hygienikers aufzuzeigen. Für ihn zählte das Steu ersystem zu den L e- bensbedingungen wie Luft, Boden und Trinkwasser. 1244 Er entfaltete grundl e ge n- de E r kenntnisse aus dem Gebiet der Ernährungslehre und ordnete dabei Bier als G e nussmittel und Schnaps als Gift ein. Dabei entwickelte er den Gedanken, dass das Tri nken von Bier wesentlich unschädlicher für die Volksgesun d heit sei als der Genuss von Schnaps. Für Rosenthal waren Strafandrohung und Verteu e rung ke i- ne geeigneten Mittel, die Trunksucht zu bekämpfen. Er hielt es für e r forderlich, das Bedürfnis nach diesen Genussmitteln zu vermi n dern.

„Für einen großen Theil unserer Bevölkerung ist der ´Kampf ums Dasein´ ein sehr harter. (...) Wie kann es da wunderbar sein, dass solche Leute mit Gier nach einem Mittel greifen, welches ihnen schnell und billig verschafft, w onach sie sich sehnen, das Gefühl der Wärme und der Sättigung (...) .“ 1245

1241 Vgl. Rosenthal (1893.2), Vorwort, o. S. 1242 Dieser Kurswechsel wird häufig als „innere Reichsgründung“ bezeichnet. Auf die Grü n de r- jahre war nach dem Börsenkrach von Wien 1873 eine anhaltende Wirtschaftskrise gefolgt, zu der en Überwindung Schwerindustrie und Großagrarier staatliche Unterstü t zung in Form von Schutzzöllen, Subventionen und Steuervorteilen forderten. Dies war nur durch eine Zoll - und Steuerreform mit einer Umkehrung der Mehrheitsverhältnisse im Reichstag zu erre ichen. A t- tentate auf Bismarck und den Kaiser lieferten den Anlass zur Auflösung des Reichstags. In den Wahlen zum 4. Reichstag 1878 gewannen die Konservat i ven 38 Mandate hinzu, während die Liberalen 23 verloren. So vollzog sich d er Wechsel vom Freihandel zur staatlich gelenkten Schutzzollpolitik. An diesem Konflikt spaltete sich die liberale Partei. Der Reichstag vera b- schiedete die Sozialistengesetze, die alle sozialdemokratischen, sozialistischen und komm u ni s- tischen Aktivitäten v erboten. Bismarck benötigte umfassende Steuererhöhungen, um die staa t- lichen Sozialleistungen bezahlen zu können, mit denen das Schreckgespenst der Revol u tion verscheucht werden sol l te. Die Folge war ein tiefer gesellschaftlicher Riss zwischen Adel und Großbürgertum einerseits und der Masse des Volkes andererseits. Zur konservativen Wende 1878/79 vgl. Stürmer (1998), S. 208 - 221, Schwind (1998), S. 219 - 228. 1243 Vgl. Stürmer (1998), S. 224. 1244 Vgl. Rosenthal (1881.2), S. 5. 1245 Zit. n. R osenthal (1881.2), S. 39.

212 Überanstrengung, Sorgen und Ausschweifungen waren seiner Ansicht nach die Ursachen für das Bedürfnis nach Genussmitteln. Er folgerte, dass nur durch eine Verbesserung der wirtschaftlic hen Lage, Erziehung und Bildung, durch g e sunde Ernährung und gute Heizung der Wohnungen, „mit einem Worte durch gesunde Lebensweise“, 1246 der Alkoholismus bekämpft werden könne. Mit diesen Übe r l e- gungen war ein Aufruf an Gutsherren und Fabrikbesitzer verbunden , den A r be i- tern Gelegenheit zu geben, sich mit den nötigen Lebensbedürfnissen zu ve r so r- gen. Rosenthal forderte auf zur „Gründung von Consumvereinen, Sparka s sen, Altersversorgungsanstalten und andern nützlichen Einrichtungen.“ 1247 Au s drüc k- lich e r mutigte er daz u, Einfluss auf die Steuergesetzgebung zu nehmen. Insgesamt betrachtet wollte Rosenthal den Genuss von Schnaps durch den von Bier als g e- ringeres Übel verdrä n gen. Er meinte, dass alles, was die Ernährung erschwerte, also auch die Besteuerung von Lebensmitte ln und Heizmaterial, die Trunksucht fördere. 1248 So setzte Rosenthal sich gegen die Erhöhung der Mal z steuer ein und vertrat den Standpunkt, dass die Bekämpfung der Trunksucht z u erst durch die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der unteren Bevölk e rungsschi chten erfo l- gen müsse. An dieser Forderung wird deu t lich, wie sehr Rosenthal sich auch der politischen Tragweite seiner T ä tigkeit als Hygieniker bewusst war. Für ihn bildete sein Beruf ein lebendiges Miteinander von wisse n schaftlicher Einsicht und polit i- sch em Handeln. Er konnte nicht eines vom and e ren trennen:

„(...) denn eine Wissenschaft, vor allen [!] eine so unmittelbar mit dem öffentlichen Wohl zusammenhängende wie die Hygiene, lässt sich nicht in den Studirstuben [!] gefangen ha l- ten.“ 1249

So wuchs er la ngsam in die Rolle eines Kommunalpolit i kers hinein. Es sollte nur noch drei Jahre dauern, bis er als Gemeindebevollmächtigter Veran t wortung in Gesundheitsfragen für Erlangen übernahm. 1250

Nachdem Rosenthal fünfzehn Jahre lang Vorlesungen über „öffentliche u nd pr i- v a te Gesundheitspflege“ gehalten hatte, veröffentlichte er diese 1887 als Buch. Bis zu diesem Zeitpunkt mangelte es an brauchbaren, den Lehrstoff hi n reichend darstellenden Lehrbüchern. 1251 Dieser Umstand und die Nachfrage se i ner Stude n-

1246 Zit. n. Rosenthal (1881.2), S. 29. 1247 Zit. n. Rosenthal (1881.2), S. 42. 1248 Vgl. ebenda, S. 40 1249 Zit. n. Rosenthal (1881.2), S. 7. 1250 Vgl. Kap. 3.6.3., S. 240 . 1251 Vgl. Rosenthal (1887), S. IV. Max Rubner veröffentlichte sein „Lehrbuch der Hygi e ne“ im Jahre 1888. Vgl. Labisch (1992), S. 121.

213 ten hatten den Ans toß dazu gegeben. Das Ergebnis war ein fast sechshundert Se i- ten umfassendes „Lehrbuch der Hygiene“. Kaum ein Leben s bereich war von den Betrachtungen aus hygienischer Sicht ausgenommen: B o den, Grundwa s ser, Luft, Klima, Heizung, Beleuchtung, Sanitäranlagen, Möbel, Nahrung, Kö r perpflege, Schuhwerk, Kleidung, Leichenbestattung, Bauweise von Krankenhäusern, Infe k- tionskrankheiten – all das war Gegenstand von R o senthals Ausführungen. 1252 Auch hier zeigt sich die ganzheitliche Ausrichtung seines Denkens, wie durch fol genden Satz zutreffend belegt wird:

„Wie mannichfaltig aber auch die Bausteine sein mögen, aus denen sich das Lehrgebäude der Hygiene aufbaut, das Fundament kann nur eines sein: die Kenntniss [!] vom L e ben und seinen Bedingungen. Und dieser Grund wird es w ol [!] auch rechtfertigen, warum es gerade ein Physiologe ist, welchem dieser Zweig der wissenschaftlichen Medizin an unserer Hoc h- sch u le übe r tragen ist.“ 1253

Die Errichtung von Volksbädern erwartete er von Gemeinden und gemeinnütz i- gen Vereinen. Besonders den ärmeren Bevölkerungsschichten sei die Wichti g keit sorgfältiger Haut - und Körperpflege durch entsprechende Belehrung zu vermi t- teln. 1254 Mit besonderem Nachdruck forderte er den Bau öffentlicher Schlach t- häuser, er setzte diese sogar an die Spitze seiner hygien ischen Ford e rungen. 1255 Um eine lückenlose Kontrolle des Fleisches sicherzustellen, trat er für ein priv a- tes Schlachtverbot und eine Zentralisierung des Schlac h tens ein. Die Vorlesungen zur Gesundheitspflege wurden 1890 noch einmal aufgelegt. Dazu hieß es in der Münchener Medicinischen Wochenschrift:

„Noch sind es kaum 2 Jahre her, dass Rosenthal´s Lehrbuch der Hygiene erschien, und schon hat der Beifall, den es fand, eine neue Auflage nöthig gemacht. Die Tüchtigkeit des G e- botenen, wie nicht minder das Bedürf nis nach derartigen Erscheinungen wird dadurch in gle i- cher Weise documentiert.“ 1256

1252 In der Physikalisch - Medizinischen Gesellschaft trug Rosenthal gelegentlich auch techn i sche Verbesserungen vor, die im Zusammenhang mit „häuslicher G esundheitspflege“ sta n den. So berichtete er über eine neue Ofenkonstruktion oder die Verwendung von Acetylengas für B e- leuchtungseinrichtungen. Vgl. Rosenthal (1885.2), S. 58 und SPMSE. 28. Heft. 1896. Ju n ge & Sohn. Erlangen. 1897, S. XXI. 1253 Zit. n. Rosenth al (1887), S. 4. 1254 Vgl. Rosenthal (1887), S. 225. 1255 Vgl. Rosenthal (1887), S. 288. 1256 Zit. n. Münchener Medicinische Wochenschrift. 36. Jahrgang. Nr. 48. 26. November 1889, S. 830.

214 Außergewöhnlich an Rosenthal ist, dass er nicht nur ein Mann der Le h re und des Wortes war. Es war ihm vergönnt, seine Ideen tatkräftig umzusetzen. Viele seiner Forderungen wär en nicht verwirklicht worden, wenn Rose n thal ihnen nicht durch seine politische Tätigkeit Nachdruck hätte verleihen können. In der Person des Bürgermeisters Georg von Schuh 1257 fand er einen idealen Partner für die Umse t- zung se iner hygienischen Vorstellungen. Von der Ausführung se i ner Lehren als Hygieniker wird das Kapitel „Der Politiker Rosenthal“ ha n deln. 1258 Seine erste Tätigkeit auf diesem Gebiet war die Mitgliedschaft in der „Commission zur B e- aufsichtigung des Univers i täts - Was serwerks“ von 1879 bis 1881. 1259 Rosenthal überarbeitete 1892 seine Schrift „Bier und Branntwein und ihre B e- deutung für die Volksgesundheit“. Auch hier war die geplante erneute Erh ö hung der Brausteuer der Auslöser. In Rosenthals Denken hatte sich allerdings e in Wandel vollzogen. Im Verlauf seiner politischen Tätigkeit begriff er die ö f fentl i- che Gesundheitspflege nun als „Teil der Sozialwisse n schaft“. 1260 Hatte er früher den Standpunkt vertreten, die Hygiene sei als angewandte Physiologie eine rein naturwissenscha ftliche Disziplin und hatte er diese von Philosophie und Soziol o- gie scharf getrennt, so hatten ihn die Erfahrungen in der Komm u nalpolitik eines Besseren belehrt. Die verwickelten sozialpolitischen Beziehu n gen, die zu bede n- ken waren, wenn Probleme im Bereic h der Ernährung, der Wohnungen oder der A b fallbeseitigung zu lösen waren, hatten Rosenthals Blick für die Verflechtungen des gesellschaftlichen Lebens geweitet. Bemerkenswert an der neuen Au f lage war Rosenthals Forderung, die Verbreitung von Kaffee, Tee un d Kakao als Volksgetränke zu fördern: Fabrikbesitzer, militärische Vo r gesetzte, Guts - und Bauherren sollten in ihren Kantinen durch ein günstiges Angebot dieser nichta l- koholischen Getränke dem Genuss von Bier und Brann t wein entgegenwirken. Überdies sollten „Volkskaffeehäuser[n], in denen Kaffee, Thee, Kakao und Chocolade mit Ausschluss aller geistigen G e tränke zu billigen Preisen feilgeboten werden“, 1261 eingerichtet werden, um mit dieser hygien i schen Maßnahme den Konsum von Alkohol einzudämmen. Die Anregung h atte Rosenthal aus England mitgebracht. Die „Lockharts Cocoa [!] rooms“ hatten ihn offensichtlich nachha l- tig beeindruckt. 1262 Zu Hause hatte er es sich zur A n gewohnheit gemacht, Brie f- trägern, Boten und dergleichen eine Tasse heißen Tee anzubieten. Er verwies auf

1257 Siehe Bildteil Abb. 40. 1258 Siehe Kap. 3.6., S. 22 1 ff. und Kap. 3.8.5., S. 260 . 1259 Vgl. Übersicht (1879), S. 13. 1260 Zit. n. Rosenthal (1893.2), S. 1. 1261 Zit. n. Rosenthal (1893.2), S. 48. 1262 Ein Hinweis, bei welcher Gelegenheit Rosenthal auf diese Einrichtung aufmerksam wu r de, ist nicht zu ermitteln.

215 die erfreuliche Entwicklung beim Militär, die tägliche Schnapsration durch Kaffee zu ersetzen. Auch in Führungskreisen der Armee hatte er eine breite Unterstü t- zung bei der Bekämpfung des Alkoholismus gefunden: Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Molt ke z. B. war eine tre i bende Kraft der Antialkoholbew e- gung innerhalb des deutschen Militärs. 1263 Mit dieser Schrift kam Rosenthals B e- mühen im Rahmen der Antialkoholbewegung zum Abschluss. Rosenthals Vorlesungsverpflichtungen f ür das Fach Hygiene endeten zum Wi n- tersemester 1897/98. Mit einem Brief an den Dekan der medizinischen F a kultät hatte er darum gebeten, nach 25 Jahren vom Unterricht und den Vorl e sungen der Hygiene entbunden zu werden. 1264 Das Kultusministerium übertrug diese Aufgabe Professor Ludwig Heim , 1265 der seit dem Sommersemester Ex t raordinarius für Bakteriologie war. 1266

3.5.3. Der Pädagoge

Ein anderes wissenschaftliches Fachgebiet, dem sich Rosenthal mit großem Ei n- satz widmete, war die Erziehungswissen schaft. Schon in den sechziger Ja h ren hatte er versucht, durch seine lebhafte Vortragstätigkeit beim Berliner Handwe r- kerverein und durch seine Mitarbeit im Vorstand des Berliner Gewe r bemuseums, die Allgemeinbildung der Arbeiterschaft zu heben. 1267 Die Volk s bi ldung war für ihn mehr als eine sittliche Aufgabe. Sie stellte seiner Auffa s sung nach eine No t- wendigkeit für die Zukunft des gesamten Vo l kes dar. Das 19. Jahrhundert wurde außerordentlich von den Bemühungen um das deu t- sche Bildungswesen geprägt. Einen ers ten Höhepunkt erreichte die Ause i nande r- setzung um Schule und Un i versität nach der Niederlage Preußens in den Jahren 1806/07, die zum Auslöser der deutschen Reformära wurde. August Graf Nei d-

1263 Vgl. Weindling, Paul: Die Preußische Medizinalverwaltung und die Rassenhygiene. In: Zeitschrift für Sozialreform 30, 1984, S. 675 - 687. 1264 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Brief Rosenthals an den Dekan der medizin i- schen Fakul tät vom 30. April 1897. 1265 Ludwig Heinrich Wilhelm Heim (1857 - 1939) hatte von 1876 bis 1880 in Erlangen Med i- zin studiert. Als Militärarzt hatte er sich am hygienisch - bakteriologischen Institut in München weitergebildet. 1889 war er Leiter der bakteriologis chen Untersuchungsanstalt beim II. A r- meekorps in Würzburg und hatte sich dort 1890 für Bakteriologie habilitiert. 1898 wurde er Direktor des neuen hygienisch - bakteriologischen Instituts in Erlangen und 1902 ordentlicher Pr o fessor. Vgl. Wittern (1999), S. 7 2 u. 73. 1266 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S.Verfügung des Kultusministeriums vom 30. Mai 1897. 1267 Vgl. Kap. 2.7.1., S. 128 .

216 hardt von Gneisenau fo rmulierte 1814 in einem Brief an Ernst Moritz Arndt die Schwerpunkte der Reformbem ü hungen:

„Der dreifache Primat der Waffen, der Constitution, der Wissenschaft ist es allein, der uns aufrecht zwischen den mächtigsten Nachbarn ha lten kann.“ 1268

Hier ist deutlich erkennbar, dass Bildung als politische Aufgabe begriffen wu r- de. 1269 Diese Reformtrias mit den Inhalten Militär, Verwaltung und Bildung bi l d e- te den Mittelpunkt für die geistigen Auseinandersetzungen eines ganzen Jahrhu n- derts. 1270 D as Ziel sollte eine funktionierende Gesellschaft von münd i gen Staat s- bürgern sein. Es war Wilhelm von Humboldt , der als preußischer U n terrichtsm i- nister ein Bildungskonzept vo r stellte, das noch bis in die Zeit nach dem Zweiten W eltkrieg hineinwirken sollte. Humboldt rückte, angeregt von J o hann Heinrich Pestalozzi (1746 - 1827) und Johann Gottlieb Fichte (1762 - 1814), das Individuum in den Mittelpunkt. 1271 Der Ei n zelne sollte zum unabhängigen und freien Denken erzogen und seine Persönlichkeit vielseitig gebildet werden. Dabei waren die I n- halte der Bildung z u nächst zweitrangig, solange sie nur zur Vervollkommnung und Veredelung mitwirken konnten. Besonders geeignet schien en hierfür antike Vorbilder zu sein. 1272 Theater, Kunst und Handwerk ha t ten darin ebenso ihren Platz wie die alten Sprachen, in denen die antiken He l densagen verfasst waren. Die Freude an der Antike fand ihren Ausdruck im deutschen Philhellenismus und wurde i n den zwanziger Jahren durch politische Bindungen an das sich von türk i- scher Herrschaft befreiende Griechenland ve r tieft. 1273 Besonders der bayerische König Ludwig I. war ein Förderer des Gri e chentums mit breiter Wirkung für ganz Deutschland . Infolge des griechischen Freiheitskampfes bestieg 1832 sein Sohn als Otto I. von Bayern den griech i schen Thron. Berlin entwickelte sich archite k- tonisch zum Spree - Athen, Mü n chen wurde als Isar - Athen b e kannt. 1274 Bildung war für Wilhelm von H umboldt Selbstzweck. Eine Auswirkung der Humboldt´schen Ideen war die Festlegung auf drei Schulstufen. Der Elementa r u n- terricht sollte die grundlegenden Kultu r techniken Lesen, Schreiben, Rechnen und den Gebrauch der Muttersprac he vermitteln. Der weitere Schulunterricht hatte die Aufgabe, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, welche die Vorraussetzung

1268 Zit. n. Langenwiesche (1996), S. 184. 1269 Zur Reform der Universitäten und Schulen in der Zeit von 1815 bis 1848 vgl. Böhm (1998.1), S. 61 - 70 und Lutz (1998), S. 146 - 156. 1270 Vgl. Langenwiesche (1996), S. 189. 1271 Vgl. Böhm (1998.1), S. 64. 1272 Vgl. Lutz (1998), S. 151. 1273 Vgl. Lutz (1998), S. 58. 1274 Zur Entwicklung beider Städte vgl. Lutz (1998), S. 343 ff. u . 371 ff.

217 für wissenschaftliche Erkenntnis und Kunstfertigkeit bilden. Der Universitätsu n- terricht sollte schließlich dazu dienen, Wissen schaft gan z heitlich zu verstehen und die Geisteskräfte allseitig zu entfalten. Durch ve r schiedene Examen und Reifepr ü- fungen sollte ausgeschlossen werden, dass sich Ungeeignete in der Bildungs - und Erziehungslandschaft niederließen. Neue Prüfungsordnungen r egelten den Zugang zum Lehramt und zu den Universit ä ten, an denen Lehrende und Lernende gleic h- berechtigt sein sollten. 1275 Dieses stark idealistisch geprägte Verständnis von Bildung geriet in der zwe i- ten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend in eine Krise. 1276 Der universell g e bi l- dete Akademiker entsprach immer weniger den Erfordernissen einer durch wac h- sende Industrialisierung, Technisierung und Aufsplitterung der Wisse n schaften geprä g ten Gesellschaft. Handel und Industrie verlangten immer mehr Fachkräfte, soda ss zahlreiche Fachhochschulen und Technische Hochschulen en t standen. Für das aufstrebende Bürgertum dagegen war die humanistische Bildung vielfach mehr Prestigeobjekt als berufliche Notwendigkeit. So erfol g reich auch die Volksbildungsbestrebungen bis zur M itte des Jahrhunderts gew e sen waren, so heftig set z te ab den achtziger Jahren eine umfassende Bildungs - und Kulturkritik ein. 1277 Neben der ganzheitlichen wissenschaftlichen Erzi e hung des Einzelnen entwickelte sich die fachliche Ausbildung einer beginne n den M asse n gesellschaft. Von staatlicher Seite wurde zunehmend Einfluss auf die Inhalte von Schul - und Universitätsunte r richt genommen. Von beachtlicher Wirkung war die Aussage des sozialistischen Politikers Wilhelm Liebknecht (1826 - 1 900), der 1872 in e i- nem Vortrag ausrief: „Wissen ist Macht – Macht ist Wissen“. 1278 Sein Ziel war es, einfachen Arbeitern Zugang zu Kunst und Bi l dung zu verschaffen, weil er d a- rin die Vorraussetzung sah, politische Macht zu erringen. Die Bildungsreform wurde als Sozialreformverstanden. In der Arbe i terbewegung verblasste zune h- mend die Auffassung, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse nur durch Revol u- tion zu verändern seien: Bildung und nicht mehr Revolution sollte die gesel l-

1275 Vgl. Böhm (1998.1), S. 68. 1276 Über das deutsche Bildungswesen in den Jahren um 1900 vgl. Böhm (1998.2), S. 367 - 373. Zur Funktionalisierung von Bildung als Staatsinteresse von der Reichsgründung bis zum Er s ten Weltkrieg vgl. Stürmer (1998), S. 12 0 - 140. 1277 Vgl. Böhm (1998.1), S. 70. 1278 Vgl. Liebknecht, W: Wissen ist Macht – Macht ist Wissen. Vortrag gehalten zum Sti f- tungsfest des Dresdner Arbeiterbildungsvereins am 5. Februar 1872 und zum Sti f tungsfest des Leipziger Arbeiterbildungsvereins am 24. Feb ruar 1872. Verlag der Genossenschaftsdruck e rei. Leipzig. 1873.

218 schaftlichen Verhältnisse veränder n. 1279 Bildung wurde zu einem Thema der Ma s- sen. „Der Staat wollte durch verbreiterte Volksschul - und Volksschullehrerbi l- dung bess e re Arbeiter und Soldaten, durch Gewerbeschulen bessere Techniker, durch Realgymnasium und Oberrealschule besseres mittleres Manag ement, durch wi s senschaftliche Institute eine bessere Patent - und Leistungsbilanz im Verhältnis zum Ausland erzielen.“ 1280 Univers i täten wurden zu Wachstumsfaktoren für die Wir t schaft. Aufstiegsmöglichkeiten boten sich dem Einzelnen am ehesten über den Bildun gsweg. Besonders der Arztberuf war im 19. Jahrhundert ein typischer Aufsteigerberuf, da seine wi s senschaftliche Aufwertung mit gesellschaf t lichem Prestigegewinn verbunden war. 1281 Unter dem nationalliberalen Kultusminister Adalbert Falk 1282 wurden ab 1872 neue Bildungsrichtl i nien in Kraft gesetzt, deren Ziel die Erziehung und Ausbildung erwerbs - und urteilfähiger Menschen war, womit gleichzeitig der Ausbreitung ungebildeter revolutionärer Massen vorg e- beugt werden sol l te. 1283 Aus dem Widerspru ch gegen zunehmende staatliche Vereinheitlichung und Gängelung der Bildung entwickelten sich neue Ansätze zu Erziehungsfragen, die u n ter dem Begriff „Reformpädagogik“ bekannt wurden. Insgesamt verschob sich der Schwerpunkt von den humanistischen zu den sog enannten realen F ä chern, was zur Gründung von Realschulen, Realgymnasien und Technischen Hochsch u- len führte. 1284 Die Streitfrage in der Auseinandersetzung um Ziele und Inhalte von Bildung war das Verhältnis von vermitteltem Stoff und den ausz u bildenden F ä- higk eiten des Kindes oder des Studenten sowie die Frage nach der Brauchbarkeit

1279 Vgl. Stürmer (1998), S. 120. Zur Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie vgl. Roedig (1998), S. 260 - 276. 1280 Zit. n. Stürmer (1998), S. 121. 1281 Über die Wechselwirkungen von wissenschaftliche r Karriere und sozialem Aufstieg am Beispiel Rudolf Virchows vgl. Goschler (2002), S. 150 ff. Allgemein zu den Verflec h tungen von Bildung, sozialem Aufstieg und Staatsinteresse siehe Stürmer (1998), S. 133 - 140. 1282 Adalbert Falk (1827 - 1900) war Sohn eines evangelischen Pfarrers aus Breslau. Von 1844 bis 1847 hatte er dort Jura studiert und promoviert. 1861 wurde er Staatsanwalt beim Berliner Kammergericht. Seit 1868 war er Geheimer Justizrat und Vortragender Rat im Justizminist e r i- um. 18 72 trat er die Nachfolge Heinrich von Mühlers als Kultusminister an. Als Verehrer Bi s- marcks war er dessen zuverlässiger Gehi l fe im Kulturkampf und der eigentliche Schöpfer der Kampfgesetzgebung. Unter Androhung seines Rücktritts setzte er 1873 die Einführu ng der Zivilehe durch. Ziel seiner Bemühungen war vor allem die Trennung von Staat und Kirche. Bleibende Verdienste erwarb er sich um die Hebung des Le h rerstandes und der Volksschule. Nach Bismarcks Abkehr vom Nationalliberalismus reichte er 1879 seinen Ab schied ein. Vgl. Skalweit (1961), S. 6. 1283 Vgl. Stürmer (1998), S. 134. 1284 Vgl. Böhm (1998.2), S. 367.

219 der Bildung für praktische Zwecke. Sollte der Mensch oder das Wissen im Vo r- dergrund stehen, der Einzelne oder die Masse, Einheit der Wi s senschaft oder Zergliederung der Fachgebiete, Selbstentfaltung des Lernenden oder Formung durch den Lehrenden? Friedrich Nietzsche (1844 - 1900) gehö r te zu den ersten Kritikern, die eine wachsende Zweckbindung der Bildung sowie deren Vermar k- tung, Vermassung und mangelnde Ei nheitlichkeit brandmar k ten. 1285 Während dieser Auseinandersetzungen erhielt Rosenthal im Frühjahr 1885 vom „Allgemeinen deutschen Realschulmänner - Verein“ die Einladung, auf der 9. Ja h- resversammlung in Hannover einen Vortrag über „Die Vorbildung zum Univers i- tä tsstudium“ zu halten. 1882 waren die ersten Realgymnasien gegrü n det worden, die auf Naturwissenschaften und moderne Sprachen mehr Gewicht legten, alle r- dings noch am Lateinischen festhielten. 1286 Ebenso gab es seit dieser Zeit die R e- alschule und die Höhere Bür gerschule ohne Oberstufenklassen und Abitur. 1287 Hierbei ist interessant, dass ein Abitur, das auf diesen neuen Bi l dungsanstalten abgelegt wurde, immer noch vom Zugang zum Medizinstudium ausschloss, s o- dass das Gymnasialreifezeugnis nachgeholt werden musste. 1288 Mit den Oberrea l- schulen entstanden alternat i ve Abiturtypen zur Hochschulreife des klassischen Gymnasiums. Der Kampf um die Gleichberechtigung endete erst zur Jahrhu n- dertwende, als ein kaiserlicher Erlass auch den Oberrealschulen genehmigte, die Hochschulre ife zu erteilen. Dies war das Ergebnis der Anstre n gungen von Le h- rern und Gemeindevertretern, die Oberrealschule zur „vollgü l tigen Höheren Sch u- le“ zu machen. 1289 Rosenthal hatte an dieser Entwicklung einen bedeutenden A n- teil. In seinem Vortrag vor den Realsch ullehrern entfaltete er seine pädagogischen Grundsätze und Ansichten über die erforderlichen Änderungen im Lehrplan. Im Gegensatz zu den Grundschulen bestand bei den Höheren Sch u len keine feste Organisation hinsichtlich des Unterrichtes. Die Lehrpläne wurd en nicht von al l- gemein anerkannten pädagogischen Erkenntnissen abgeleitet, sondern aus einer Fülle von Einzelverordnungen „zusammengestrickt“, die sich aus dem polit i schen Tagesgeschäft der gerade leitenden Behörden ergaben. 1290 Die über fün f un d- zwanzigjährige Erfahrung als Unterrichtender und Prüfender veranlasste Rose n- thal, den Mangel an Vorstellungsvermögen bei den Studenten als Haup t mangel der Gymnasialerziehung zu beklagen. Das Wesen der Begriffe konnte seiner

1285 Vgl. Böhm (1998.2), S. 368. 1286 Zur Entwicklung des Schulwesens im Kaiserreich vgl. Stürmer (1998), S. 137 - 140. 1287 Vgl. Stürmer (1998), S. 138. 1288 Vgl. Rosen thal (1885.2), S. 1. 1289 Vgl. Stürmer (1998), S. 139. 1290 Vgl. Rosenthal (1885.2), S. 6.

220 Meinung nach nicht durch die Beschäftigung mit einer toten Sprache vermittelt werden. Der „geistige Besitz des Begriffs“ 1291 war für ihn Vorausse t zung für die Kenntnis des Namens. Daher erhob er die Forderung, dass der U n terricht wesen t- lich dazu beitragen müsse, das Vorstellungsvermögen auszubi l den. Rose nthal stellte fest, dass Sprache niemals Vorstellu n gen und Begriffe lehren könne. In der Gegebenheit, dass die höhere Bildung von zwei toten Spr a chen her en t wickelt wurde, sah Rosenthal das Hauptproblem für eine lebendige, wirklichkeitsnahe Entwicklung des Vorstellungsvermögens. Aus der Verbi n dung von Anschauung und Namensgebung e r wachse der Begriff:

„So wächst also die Kenntnis der Sprache gleichsam mit der Kenntnis der Dinge und una b- hängig von ihr. Und da es sich hier um ein psychologisches Grundgesetz [! ] handelt, so dürfen wir dasselbe bei der Erziehung nicht außer acht lassen, sondern müssen es zur Richtschnur jedes Unterrichts machen.“ 1292

Die Forderung nach Anschaulichkeit des Unterrichts war die Grundlage für alle weiteren Überlegungen. Wie also konnte bei den Schülern die Vorstellung s kraft, d. h. die Menge der Begriffe gemehrt werden? Hier machte Rosenthal sehr prakt i- sche Vorschläge. Zunächst sollte der Pflege der Muttersprache mehr Raum geg e- ben werden. Dabei legte er besonderen Wert auf die Wahrnehmung , wie sich Sprache über die Jahrhunderte entwickelt und forderte einen Literatu r kanon, der sich über die verschiedenen Epochen deutscher Literaturgeschichte erstrecken sollte. 1293 Auch das Zeichnen schien ihm hervorragend g e eignet für die Bildung von Begriffe n, da sich manche Sachverhalte besser durch eine Zeichnung als durch Worte darstellen lassen. Im Erlernen des Zeichnens sah Rosenthal eine gute Möglichkeit, die Fähigkeit zu fördern, komplexe Gedanken vereinfacht darzuste l- len. Die Fertigkeit des Schreibens sollte sozusagen im Zeichnen seine weitere Entwicklung finden. Für diesen Zweck empfahl er die Anstellung methodisch g e- schulter Zeichenlehrer. Schließlich sah Rosenthal in der Schulung der Beobac h- tungsgabe ein wesentliches Ziel des Schulunterrichts. Das K ind sollte lernen, se i- ne Sinne zu gebrauchen. 1294 Zu diesem Zweck hielt er das Fach Naturkunde für sehr geeignet. Die Beschäftigung mit einfachen phys i kalischen, ch e mischen und geologischen Erscheinungen und mit Beispielen aus der Pflanzen - und Tierkunde

1291 Zit. n. Rosenthal (1885.2), S. 9. 1292 Zit. n. Rosenthal (1885.2), S. 10. 1293 Vgl. ebenda, S. 12. 1294 Vgl. Rosenthal (1885.2), S. 15.

221 soll te dadurch Zusammenhänge verdeutlichen, dass an die Stelle lehrbuchhafter Beschreibung die lebendige Beobachtung tr e ten sollte. 1295 Mit diesen klaren Vorstellungen forderte Rosenthal allerdings auch Wide r- spruch heraus. Schnell sah er sich zum „Vertreter eine s krassen Utilitari s mus“ 1296 abgestempelt. Die Befürworter des traditionellen Humanismus fühlten sich in i h- rer Bedeutung hinsichtlich der klassischen Sprachen herabgesetzt, ja sie sahen sich letztlich in ihrem Wert für eine zeitgemäße Bildung einer ganzen Sch ülerg e- neration in Frage gestellt. Rosenthal bestritt die Bedeutung einer überwiegend philologischen Bildung in ihrer Verwertbarkeit für das Univers i tätsstudium und damit für die Wissenschaft. Er begründete dies mit dem Mangel an „wisse n- schaf t licher Methode “. Der Umgang mit den alten Sprachen war se i ner Meinung nach von der scholastischen, 1297 d. h. engstirnigen Vorstellung g e prägt, dass Wi s- senschaft dialektisch aufzufassen sei. Was Rosenthal damit g e meint hat, lässt sich nur aus dem Gegensatz zur „wissenschaft lichen Meth o de“ entwickeln. Dieser in der damaligen Zeit zum Modewort gewordene und fes t stehende Begriff b e- schreibt, dass beim Vorgang der Erkenntnis ausschlie ß lich Aussagen zugelassen werden, die das Ergebnis einer zuverlässigen Beobac h tung sind. Zurückge wiesen wurde alles, was nicht Gegenstand zuverläss i ger Wahrnehmung und objektiver Beobachtung sein konnte. Hier erwies sich R o senthal als getreuer Müller - Schüler. 1298 Die Auseinandersetzung um die Meth o de, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die Univers itäten bestimmt hatte, wurde nun in die Schulen getr a- gen. Durch den Naturkundeunterricht sollte das Kind lernen, zwischen willkürl i- cher Annahme und sicherer Beobachtung zu u n terscheiden, um damit fähig zu werden, aus einzelnen Kenntnissen allgeme i ne Zusamm enhänge abzuleiten. 1299 Dieser gedankliche Vo r gang wird Induktion genannt. Darin bestand für Rosenthal das Prinzip menschlicher Erkenntnis überhaupt, und er versuchte dieses zum Leitgedanken für den Unterricht zu m a chen. Er maß dabei der richtigen Unte r- ric htsmethode, also der wissenschaftl i chen Methode, einen höheren Stellenwert bei, als dem Unterrichtsinhalt. Sie stellte das Fund a ment dar, auf welchem alle anderen Fächer, egal ob Theologie, Jura oder Wir t schaft zu gründen waren. Mit ihrer Hilfe sollten auc h zukünftige Geistliche, Juristen, Philologen, Staatsmänner und Historiker in die Lage ve r setzt werden, „den weltbewegenden Ideen wenig s-

1295 Vgl. ebenda, S. 16. 1296 Zit. n. Rosenthal (1885.2), S. 17. Hierunter ist die einseitige Betonung des Grundsatzes der Nützlic h keit als normgebend für sittliches Verhalten zu verstehen. 1297 Scholastik: die auf die antike Philosophie gestützte, christliche Lehrsätze verarbeite n de Philosophie und Theolo gie des Mittelalters; hier verstanden als dogmatische Schu l weisheit. 1298 Vgl. Kap. 2.3.1., S. 56 . 1299 Vgl. Rosenthal (1885.2), S. 19.

222 tens einigermaßen fo l gen zu können.“ 1300 Er sprach sich dafür aus, den Umfang der schriftlichen Hausaufg a ben einzuschränken , um die Schüler nicht zu überla s- ten. Die Schule sollte mehr ein Ort des Lernens als des Abfragens sein. 1301 Was das Schulsystem betrifft, so begrüßte Rosenthal die Einrichtung von Mi t- telschulen, d. h. von Bürgerschulen und die Umgestaltung der Zugangsb e recht i- gung zu den Gymnasien durch neue Prüfungsordnungen. 1302 Diese sollten verhi n- dern, dass Unbegabte zum Gymnasium zugelassen würden und dadurch die En t- wicklung der Leistungsstärkeren hemmten. Hier zeigt sich Rosenthals elitäres Verständnis von Bildung. Die wirk lichen Talente sollten in ihrer En t wicklung durch einen falschen Gleichheitsgrundsatz nicht behindert werden. 1303 Auch der Aufbau der Oberstufe war Gegenstand einiger Überlegungen. R o se n- thal machte für die Gliederung der Höheren Schule den Vorschlag, die Sch ü ler am Ende des siebten Schuljahres, der Obersekunda, einer Abgangsprüfung zu unterziehen. Nach heutiger Klasseneinteilung entspricht dies der elften Kla s se; damals hatte sie die Bezeichnung Progymnasium. Die Prüfung sollte darüber en t- scheiden, wer in die Prima, d. h. in die gymnasiale Oberstufe einzutreten b e - rechtigt war. Diese sollte aus einem „zweijährigen Oberkursus“ best e hen, der nach Bestehen einer weiteren Abschlussprüfung berechtigen sollte, ein Unive r s i- tätsstudium zu beginnen. Neben den Fächern D eutsch, Geschichte, Mathem a tik und Naturwissenschaften sollten hier auch alte und neue Sprachen unterric h tet werden. Die Ausführungen zeigen, wie wichtig Rosenthal die Qualität der Schüler war, die zum Universitätsstudium zugelassen werden sollten. Rosenth al sprach sich dafür aus, dass den Abiturienten des Realgymnasiums der Eintritt in die Oberklasse des Gymnasiums ohne weiteres gewährt werde. 1304 Schlagwo r te, we l- che die Auseinandersetzung der Schulreformdebatte kennzeichneten, w a ren schon damals die Klage n über die „mangelhaften Kenntnisse“ und die „gei s tige Ap a- thie“ der angehenden Studenten sowie den „Schu l zwang“. 1305 Sie sind uns aus unserer Zeit gleichfalls bekannt. Auch schon zu Rosenthals Zeit wurde Bildung als zentrale nationale Aufgabe begriffen, von d eren Bewältigung die Zukunft Deutschlands abhängig sein würde. Rosenthal scheute sich nicht, seine Überze u- gung in aller Entschiedenheit zu äußern. Die Entwicklung der Bildungsreform schien seine Auffassungen zu bestät i gen. Schon vier Jahre später konnte e r seine Genugtuung darüber ausdrücken, dass

1300 Zit. n. Rosenthal (1885.2), S. 17. 1301 Ebenda, S. 21. 1302 Ebenda, S. 22. 1303 Ebenda, S. 22. 1304 Vgl. Rosen thal (1885.2), S. 23. 1305 Zit. n. Rosenthal (1885.2), S. 23.

223 sich die Vertreter verschiedener Fachgebiete der „naturwissenschaftlichen Fo r- schungsmethode“ 1306 bedienten und in ihrer Disziplin anwendeten. Alle r dings war Rosenthal kein Vertreter eines platten Evolutionismus, wie er sich in den einze l- nen Fächern ausbreitete. Zunehmend wurden diese Vorstellungen zur Erklärung aller Erscheinungen des Lebens zu Hilfe genommen. Ernst Haeckel hatte 1868 seine „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ als Gegenentwurf zum bi b lischen Schöpfungsbericht formuliert und dabei ganze Stammbäume für die A b stammung der verschiedenen Arten aufgestellt. 1307 Sein „biogenetisches Grun d gesetz“ b e- stand in der Aussage, dass die Entwicklungsgeschichte eines einze l nen Individ u- ums eine Rekapitu lation der Entwicklung s geschichte des ganzen Stammes sei. 1308 Von den Ideen Ernst Haeckel s ging eine ungeheure Wirkung aus. 1309 Die Ause i- nandersetzungen über dieselben, oft gefühlsbezogen und u n sachlich geführt, hi n- terließen einen tiefen g esellschaftlichen Riss. Rosenthal kämpfte gegen eine pa u- schale Ausdehnung des Entwicklungsgedanken auf j e des wissenschaftliche Fac h- gebiet. Gerade die Anwender der „wissenschaftl i chen Methode“ stünden in der Gefahr, durch den einseitigen Umgang mit dem Entw icklungsgedanken denselben zum neuen unantastbaren und immer anz u wendenden Grundsatz zu m a chen. 1310 Für Rosenthal stand allerdings fest, dass Ernst Haeckels „biogenetisches Grun d- gesetz“ bestenfalls als geistreiche Hyp o these taugte, die jedoch „nicht einmal fü r dasjenige Geschöpf, dessen Entwic k lungsgang am besten bekannt ist, für das Hühnchen, bewiesen ist.“ 1311 Diesen einseitigen Umgang mit den neuen Denkm o- dellen empfand Rosenthal als G e fahr für die Wissenschaft, sodass er sich nicht scheute, die Scheinwissensch af t lichkeit von Kollegen bloßzuste l len. In Hans Vaihinger , 1312 dem Professor für Philosophie an der Universität Ha l le, sah Rosenthal ein Musterbeispiel für einen Gelehrten, der naturwissenschaf t liche Grundsätze falsch anwendete. Diese r machte den Entwicklungsgedanken zur Grundlage für eine Pädagogik, die in der Entwicklungsgeschichte des ei n zelnen menschlichen Individuums die kulturhistorischen Stufen der Menschheit rekapit u-

1306 Zit. n. Rosenthal (1889.3), S. 225. 1307 Vgl. Kap. 2.3.2., S. 75 . 1308 Vgl. Rosenthal (1889.3), S. 227. 1309 Vgl. Gerlach (1960), S. 237. 1310 Vgl. Rosenthal (1889.3), S. 226. 1311 Zi t. n. Rosenthal (1889.3), S. 227. 1312 Hans Vaihinger (1852 - 1933) war Pfarrerssohn und „studierte Philosophie, Theologie und Philosophie in Tübingen, Leipzig und Berlin (...) und habilitierte sich 1877 in Stra ß burg für Philosophie. 188 3 wurde er a. o. Prof., ging nach Halle, war seit 1894 o. Prof. und lehrte bis zur Entbindung von seinen Lehrverpflichtungen 1906 wegen ex t remer Kurzsichtigkeit, die zur Erblindung führte.“ Zit. n. Killy/Vierhaus (2001), S. 176.

224 liert sah. Vaihinger verknüpfte Embryol o gie und Abstammungsleh re und wandte sie auf die Stufen der schulischen Bi l dung an. 1313 Er nannte diese Hypothese das „psychogenetische Grundgesetz“, 1314 wonach die Erziehungsg e schichte des Ei n- zelnen den kulturhistor i schen Stufen der ganzen Menschheit entsprechen sollte. Diese Annahme wurde zum Gegenstand einer leidenschaftl i chen Auseinanderse t- zung auf der 61. Ve r sammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Köln 1888 und wirkte sich bis in die Fachzeitschriften der Päd a gogen aus. 1315 Sie stand in direktem Zusammenhang mit der Diskussion um I n halte der gymnasialen Schu l- bildung, wie sich schon ein Jahr zuvor auf der N a turforscherversammlung in Wiesbaden gezeigt hatte. Entsprechend der kultu r historischen Entwicklung sol l- ten nach Vaihingers Meinung die Schüler z u nächst in die griechisch - römis che Welt, dann in den christlich - germanischen Gedankenkreis und schließlich in die naturwissenschaftlich - literarische Geda n kenwelt eingeführt werden. 1316 Rosenthal verwarf dies als „unphysiologisch“. 1317 Anstatt die Pädagogik mit der Absta m- mungslehre zu verknüpf en, trat Rosenthal für eine enge Verbindung mit der Ps y- chologie ein:

„Wenn sie ihre Aufgabe erfüllen soll, muß sie an die Psychologie anknüpfen, muß festz u ste l- len suchen, wie sich in dem menschlichen Gehirn die Vorstellungen entwickeln, und muß ze i- gen, wie beim Unterricht derselbe Weg eingeschlagen werden kann, damit das Gelehrte auch wirklich erfaßt und die Fähigkeit zur selbständigen Weiterentwicklung ausgebildet we r de.“ 1318

Hier zeigte sich, wie praktisch Rosenthal in seinen Auffassungen war. Er ließ se i- ne Geda n ken nicht von den Anschauungen fesseln, die viele Gelehrten seiner Zeit verblendeten. Anstatt die Schüler mit den Ideen einer kulturhistorischen Entwic k- lung der Gesellschaft zu überfrachten, war sein zentrales Anliegen die Aufwe r- tung der Begriffsbildu ng durch die Anschaulichkeit des Unterrichts. Für den Lehrplan an Höheren Schulen forderte er mehr Raum für das handwerkliche A r- beiten der Schüler. Diese sollten durch den Umgang mit Holz, Metall und Ton eine l e bendige Vorstellung ihrer Umwelt erhalten. Au f der Lehrer - Bildungsanstalt in Leipzig wurden Lehrer für den Werkunterricht von pädag o gisch geschulten Handwerkern in „Handfe r tigkeits - Seminaren“ 1319 ausgebildet. Rosenthal wollte

1313 Dieses wird ausführlich e ntfaltet bei Vaihinger, H.: Naturforschung und Schule. Albert Ahn. Köln/Lei p zig. 1889, 30 Seiten. 1314 Zit. n. Rosenthal (1889.3), S. 228. 1315 Vgl. Rosenthal (1889.3), S. 226. 1316 Ebenda. S. 229. 1317 Ebenda. S. 230. 1318 Ebenda. S. 232. 1319 Zit. n. Rosenthal (1889.3), S . 251.

225 diesen und ähnlichen Fortbildungseinrichtungen zu weiterem Ansehen verhelfen u nd den Lehrern die Idee vermi t teln, dass Unterricht als eine praktische Kunst zu begreifen sei. Die Schüler sollten nicht durch den Umgang mit starren grammat i- schen Formen abgerichtet, sondern durch das tatsächliche „Begreifen“ in ihrer Begriffsbildung gef ördert werden. 1320 Damit ist die Zielse t zung Rosenthals in der Auseinandersetzung um die Bildungsreform zusamme n gefasst. Die Auseinandersetzung mit der Scheinwissenschaftlichkeit seiner Zeit ve r a n- lasste Rosenthal, Grundsätze der Naturforschung zu entwickeln. Sein zentr a les Anliegen war hierbei, dem unpräzisen Gebrauch wichtiger naturwisse n schaftl i- cher Begriffe entgegenzuwirken. Aussagen wurden oft mit Begriffen ve r bunden, die den verwendeten Wörtern nicht entsprachen. Daher definierte Rosenthal die Begriffe I nduktion, Deduktion, Axiom, Hypothese, Experiment, Theorie und N a- turgesetz 1890 in einem Artikel in der Deutschen Run d schau. 1321

Die Nachfrage an Gymnasialbildung zum Ende des 19. Jahrhunderts war sehr groß. 1322 Das aufstrebende Bürgertum schickte seine Söhne, ob geeignet oder nicht, auf die bestmögliche Schule, um ihnen den Zugang zur höheren Beamte n- laufbahn zu ermöglichen. Außerdem wurde eine beträchtliche Anzahl von Sch ü- lern einfach bis zur elften Klasse „durchgeboxt“, nur um damit die Berecht i gung zum einjäh rig - freiwilligen Militärdienst zu erhalten. 1323 Der Staat hatte diese R e- gelung gefunden, um Studienwillige nicht durch die Länge der Weh r dienstzeit gegenüber den handwerklichen Berufen zu benachteiligen. Das E r gebnis war eine hohe Anzahl abgebrochener gymnasi aler Schülerkarrieren, die für die beruflichen Anforderungen von Verwaltung und Industrie kaum ve r wertbar waren. Zudem begann sich der Einfluss des Staates auf immer mehr B e reiche des Lebens ausz u- dehnen, seine Mitsprache wurde immer umfassender, eine weitr eichende Ve r- staatlichung der Gesellschaft setzte ein, die einen en t sprechend u m fangreichen Beamtenapparat erforderte. Hier sahen viele aus der Schicht des unteren bis mit t- leren Bürgertums die Möglichkeit eines gesicherten Einkommens. Diese Situation führte zu einer Schwächung des mittleren Bi l dungsweges, die Qualität der höh e- ren Bildung wurde durch die steigende Ve r massung beeinträchtigt. Es gestaltete

1320 Ausführlich über die „Knabenhandarbeit“ vgl. Rosenthal (1889.3), S. 250 - 256. 1321 Vgl. Rosenthal (1890.3), S. 237 - 250. 1322 Das Realgymnasium hatte seit seiner Gründung 1882 bis zum Jahre 1911 einen A n stieg der Schülerzahlen um 80 % zu verzeichnen. Die Schülerzahlen an den Oberrealschulen ha t ten sich verzehnfacht. Die Abschlüsse beider Schulen erteilten die Hochschulreife. Vgl. Stü r mer (1998), S. 139. 1323 Rosenthals Bewertung der Folgen des einjährig - freiwilligen Militärdienstes s. Rosenthal (1890.1), S. 6 - 8.

226 sich schwierig, einen allgemeinen Sta n dard der Mittelschulen zu bestimmen, da sie sich aus einer Vielzahl unte r schie d licher Schultypen wie Gewerbeschulen, Handelsschulen und Realschulen entwickelt hatten. 1324 Daraus ergab sich eine allgemein empfundene Notwe n digkeit, die Mittelschulen zu reformieren. Die Bi l- dungsreform wurde umso energischer in Angriff genommen , als Kaiser Wilhelm II. die Schule zum Hauptkampfplatz gegen die Sozialdemokratie erklärt hatte, nachdem im April und Mai 1889 ein Massenstreik im Gelsenkirchener Ber g- werksrevier ausgebr o chen war, an dessen Beilegung der Kaiser mit per sönlichem Vermittlungsve r such beteiligt war. 1325 Seine Überlegungen zur Schulreform en t- faltete Rosenthal in einem Vortrag, den er 1890 anlässlich einer Zusammenkunft des Erlanger G e werbevereins hielt. 1326 Rosenthals forderte, die Qualität der Mittelschulen sowe it zu verbessern, dass sie eine vollwertige Unterstufe für die gymnasiale Oberstufe sein konnten. D a für sollte ein einheitlicher, in sich geschlossener Lehrplan erarbeitet werden, der s o- wohl die für das praktische Leben notwend i gen Kenntnisse vermitteln, a ls auch auf die drei oberen Klassen der Gymnasien vorbereiten müsste. 1327 Die verschi e- denen Mittelschulen sollten eine gemeinsame Unterstufe der Gymnas i en bi l den, insgesamt sechs Jahre umfassen und nach unten an die Volksschule und nach o ben an das Gymnasium anschließen. 1328 Eine zu lange Zeit auf dem Gymnasium würde damit vermieden und ein Schüler, der wegen mangelnder Eignung das Gymnasium würde verlassen müssen, hätte anstatt einer au s schließlich studienb e- zogenen Schulbildung eine praktisch verwertbare erhalt en, die ihm für eine a n- schließende Berufsausbildung von größerem Nutzen sein würde. Damit verbu n- den war der Gedanke, das Kind nicht zu früh auf eine b e stimmte berufliche En t- wicklung festzulegen, sondern die persönliche Entwic k lung des Schülers abz u- warten, um dann eine Berufswahl zu ermöglichen, die den jeweiligen Ne i gungen und Fähigkeiten entsprach. Auf den Mittelschulen sollte Französisch als erste Fremdsprache unterrichtet werden. Deutsch und L i teratur, Geschichte, Geogr a- phie, Mathematik sowie Zeichnen so llten feste B e stan d teile im Lehrplan sein. 1329 Mit der Reform der Mittelschulen sollte eine Akademisierung der Bildung ve r- mieden werden. Handel und Gewerbe würden besser auf das praktische Leben

1324 Die Vielfalt der Schulformen war ein Ergebnis ihrer privaten Gründungen, in denen sich die einzelnen Interessen der verschiedenen Gewerbezweige widerspiegelten. 1325 Vgl. Conze (1996), S. 201. 1326 Vgl. Rosenthal (1890.1), S. 1 - 16. 1327 Vgl. Rosenthal (1890.1 ), S.12. 1328 Ebenda. 1329 Vgl. Rosenthal (1890.1), S. 14.

227 vorbereitete Kräfte erhalten und Ungeeignete von den Universität en ferngehalten werden. Rosenthal schloss seine Ausfü h rungen mit der Auss a ge:

„Ich halte diese Schulen für notwendig, wenn wir nicht in dem Wettbewerb der Völker z u- rückbleiben wollen, und darum hoffe ich, dass ihre Zeit bald kommen we r de.“ 1330

Hier lässt sic h erkennen, dass Rosenthal auch ein Kind seiner Zeit war. In der Auseinandersetzung mit Bildungfragen sah er einen wichtigen Antrieb für die Z u- kunftsfähigkeit des deutschen Volkes im Kampf um das Bestehen mit den and e- ren eur o päischen Mächten. 1331

Dass die B eschäftigung mit der Reformpädagogik und Bildungspolitik Rose n thals Art zu le h ren selbst entscheidend beeinflusst hat, zeigt die Rede, die er am 5. Mai 1903 anlässlich der Eröffnung des neuen Hörsaals 1332 im physiolog i schen Institut hielt. Studierenden und Le hrenden entfaltete Rosenthal seine grundsätzlichen Vorstellungen über den physiologischen Unte r richt. Sogar in der Architektur der neuen Räumlichkeit fanden diese ihren Niederschlag. Für Rosenthal war die Nähe zu den zu Unterrichtenden wichtig. Deshalb erh ielt der Hö r saal in der Breite eine größere Ausdehnung als in der Tiefe. So wurde die Entfernung zwischen den hi n- teren Bänken und der Tafel sowie dem Experime n tiertisch möglichst gering g e- halten. Durch die einem Amphitheater nachgeah m te Anordnung der Sitzr eihen wurde auch den hinten sitzenden Studenten noch eine gute Übersicht gewährt. Viele Fenster und elektrische Beleuchtung sor g ten für gutes Licht. 1333 Seinem Grundsatz der Anschaulichkeit entsprechend nutzte Rosenthal einen modernen Proje k tionsapparat und Wandtafeln, dazu eine Fülle makroskopischer und mikroskopischer Präparate. 1334 Eine Besonderheit war auch die große A n zahl von Modellen physiologischer Vorgänge, die Rosenthal einfallsreich ko n struiert hatte. 1335 Mit ihrer Hilfe wurden Funktionen des Körpers dar gestellt, sodass der St u dierende eine anschauliche Vorstellung entwickeln konnte. Fester Bestandteil seines Unterrichts war auch die Vivisektion, also der Tierversuch. Was kein Lehrbuch vermitteln konnte, war z. B. „die lebendige Anschauung des schlage n- den Herzens, welche sie erst in den Stand setzen wird, bei Ihren spät e ren klin i- schen Studien und bei Ihren zukünftigen Patienten von dem Zustand dieses O r-

1330 Zit. n. Rosenthal (1890.1), S. 16. 1331 Eine Bezugnahme auf den Kampf ums Dasein s. Rosenthal (1890.1), S. 9 u. 15. 1332 Siehe Bildteil Abb. 37. 1333 Vgl. Rosenthal (1903), S. 10. 1334 Vgl. Rosenthal (1903), S. 3 . 1335 Siehe Bildteil Abb. 36.

228 gans in normalen und pathologischen Fällen sich Rechenschaft zu g e ben.“ 1336 Die Studenten sollten aus eigene r Anschauung lernen und durch selbstständiges De n- ken wissenschaftlich geschulte Ärzten werden. Einen b e de u tenden Anteil nahmen auch die praktischen Übungen ein. Für physiolog i sche Untersuchungen, chem i- sche und physikalische Versuche standen besond e re Arbei tsräume und ein weit e- rer Hörsaal zur Verf ü gung. 1337

Die Beschäftigung Rosenthals mit Fragen des physiologischen Unterrichts ve r a n- lasste ihn 1904, die wichtigsten seiner Vorträge, also die schon e r wähnten aus den Jahren 1885, 1889 und 1903 im Thieme - Verlag z u veröffentl i chen. 1338 Das Buch bildete eine der breiten Fachwelt zugängliche Zusammenfassung der A r be i- ten Rosenthals im pädagog i schen Bereich. Auslöser hierfür war zum einen der Umzug der Erlanger Physiologie in die Räumlichkeiten der alten Anatomie in der U niversitätsstraße und zum anderen der Umstand, dass eine neue Pr ü fungsor d- nung für Mediziner in Kraft gesetzt worden war. Fragen der Methodik und D i- da k tik des Physiologieunterrichts wurden auch von Professor William Tow n send Porter 1339 an der Harvard Medical School in Cambridge diskutiert, der einen ne u- en Lehrplan aufgestellt und R o senthal damit angeregt hatte, den eigenen Lehrplan zu überprüfen. 1340 Die neue Prüfungsordnung forderte in der Vorpr ü fung nach dem fünften Semester von dem Studenten, „dass er sich mit der gesamten Physi o- logie einschließlich der physiologischen Chemie vertraut gemacht, sowie die wichtigeren Apparate und Untersuchungsm e thoden kennen gelernt hat.“ 1341 Nun galt es, den Unterricht mit den neuen Belangen abzusti m men. Zwischen den Forderungen, die Rosenthal in seinem Vortrag auf der Rea l- schulmänner - Versammlung in Hannover hinsichtlich der Vorbildung zum St u dium stellte und der Veröffentlichung seines Buches lag beinahe ein Jahrzehnt. Intere s- sant ist, dass Rosenthal den Vo r trag ungekürzt in sein Buch aufnahm. Aus seiner Sicht hatte sich an der Situation wenig geä n dert! Die Schulreform schien nicht

1336 Zit. n. Rosenthal (1903), S. 6. 1337 Vgl. ebenda, S. 12. 1338 Vgl. Rosenthal (1904), 96 Seiten. 1339 William Townsend Porter (1862 - 1949) studierte in Philadelphia, Kiel, Breslau und Berlin. Von 1893 bis 1906 war er Professor für Physiologie an der Harvard University. Er gründete eine Firma für den Bau physiologischer Apparate und machte das experimentelle Arbeiten im Laboratorium zum Gegenstand der medizinischen Ausbildung und Prüfung. Er beschäftigte si ch mit Studien zur Füllung des Herzens sowie zur Regulation der Atmung und begründete das American Journal of Physiology. Vgl. G a lishoff (1984), S. 603. 1340 Vgl. Rosenthal (1904), S. 5. 1341 Zit. n. Rosenthal (1904), S. 11.

229 recht voranzukommen. Die Hauptmängel bestanden noch immer. Im Sog der wachsenden Bürokratisierung und Verstaatlichung des öffentlichen Lebens schwand der Einfluss reformpädagogischer Gedanken. Zu mächtig wu r de das I n- teresse des Staates an der Bildung mit dem Zweck, brauchbare Unte r tanen zu e r- ziehen. Der Einfluss des Staates wirkte einer fortschreitenden Indiv i dualisierung vo n Erziehung und Unterricht entg e gen, sodass sich Schulen und Universitäten zunehmend zu „pädagogischen Massenfabriken“ 1342 entwickelten. Erst nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges kamen die Ideen der Refor m pädagogen wi e- der mehr zur Geltung. Rosenthals Z iel blieb es, „seine Schüler zu Persönlichke i- ten heranzubilden.“ 1343 Abschließend bleibt zu bemerken, dass Rosenthal auch als Pädagoge kein Mann der Theorie war. Hatte er Dinge erkannt, die ihm wichtig schi e nen, wollte er sie auch verwirklichen. Er war eine P ersönlichkeit, bei der in besonderer We i- se Wort und Tat übereinstimmten. Dies gilt auch in beachtlichem Maße für seine polit i sche Tätigkeit, von der im Folgenden berichtet wird.

3.6. Der Politiker Rosenthal

Neben der Tätigkeit als Arzt und Forscher war Ros enthals Leben von seinem Wirken als Politiker b e stimmt. Das Judentum in Deutschland hatte eine starke Bindung an den Liberalismus: Schon in der Revolution von 1848 hatten sich for t- schrittlich gesinnte Juden im Streben nach Emanzipation mit den Liberalen ve r- bunden, die gegen das reaktionäre Staatssystem kämpften. 1344 Die liberale, bü r- gerliche Revolution hielten viele Juden für „einen gewaltigen Culturfortschritt“ 1345 auf dem Weg zu vollständiger Emanzipat i on. Schon früh erhielt Rosenthal eine liberale Ausrichtung. Rosenthals Onkel Heinrich Ber n hard Oppenheim und dessen Freund Ludwig Bamberger vertraten radikale d e mokrat i- sche Ideen und mussten nach ihrer Beteiligung an der badisch - pfälzischen Rev o- lution 1848 ins Ausland emigrieren. 1346 Beide schlossen sich nach ihrer Rückkehr der Nationalliberalen Partei an. Einen bedeutenden Ei n fluss liberaler Prägung wird Rosenthal schon als Schüler durch den Direktor des Bromberger Gymnas i-

1342 Zit. n. Böhm (1998), S. 368. 1343 Zit . n. FN. 32. Jahrgang. Nr. 4. 6. Januar 1915, S. 1. 1344 Vgl. Volkov (2000), S. 36. Über die Bedeutung der Revolution für die Emanzipation der Juden siehe S. 107 - 112. 1345 Zit. n. Schoeps (1988), S. 109. 1346 Vgl. Püschel (1990), S. 11 u. 24.

230 ums Johann Heinrich Deinhardt 1347 und als Student durch seinen Freund und Le h- rer Ludwig Traube 1348 erfahren haben. In dessen Haus verkehrten Werner von Siemens und Rudolf Virchow , dem bekanntesten Ve r tr e ter des liberalen bürgerl i- chen Honoratiorentums. 1349 Hinzu kam für die Zeit nach seiner Habilitation, dass unter den Berliner Privatdozenten und naturwi s senschaftlichen Gelehrten ein b e- sonders starker Drang nach politischer Betät i gung vorhanden war. 1350 Auch der Berliner Handwerkerverein, wo Rosenthal Vorträge hielt, war vom Fortschrittsl i- beralismus unter der Führung bürgerlicher Honorati o ren bestimmt. 1351

3.6.1. Politische Betätigung bis zur Gründung des Freisinnigen Vereins

Die Hinwendung Rosenthals zur Nationalliberalen Partei innerhalb der Ban d bre i- te liberaler Gruppierungen dürfte eine Folge der tiefen Freundschaft zu Eduard Lasker gewesen sein. Ein erster Hinweis auf Rosenthals politische T ä tigkeit fi n- det sich in e inem Brief an denselben, den Rosenthal im Oktober 1870 aus Bonneuil schrieb, als Paris belagert wurde. Daraus geht hervor, dass Rose n thal ebenfalls Mitglied der Nationalliberalen Partei war. 1352 Eduard Lasker war von 1867 bis 1880 im Pa rteivorstand und bis zu seinem Tod 1884 Mitglied des Reichstages. 1353 Auch Rosenthal identifizierte sich ganz mit dem Ziel der Scha f- fung eines deutschen Nationalstaates unter Pre u ßens Führung und wirkte an der

1347 Vgl. Kap. 1.2., S. 34 . 1348 Vgl. Kap. 2.3.1., S. 63 . 1349 Vgl. Goschler (2002), S. 130. 1350 Über die Rolle der Privatdozenten bei der Revolution und zur naturwissenschaftlichen G e- lehrtenpol i tik am Beispiel Rudolf Vichows vgl. Goschl er (2002), S. 73 u. 211 ff. 1351 Vgl. Goschler (2002), S. 223. 1352 Vgl. BAB: N 2167 / 260, Bl. 1. Einen weiteren Beleg für Rosenthals frühe Mitgliedschaft in der Nationalliberalen Partei liefert Göhring (1930), S. 119. Die Mitgliedschaften in polit i- schen Gruppi erungen und Parteien in der „parlamentarischen Urzeit“ erschließen sich nicht durch Namensverzeichnisse oder Parteilisten, sondern aus den Nachlässen ihrer führenden Köpfe. Parteien in der Frühzeit des Parlamentarismus gleichen eher informe l len Netzwerken, die nicht anhand von Parteinachlässen oder Parteiarchiven zu recherchieren sind. Eine syst e m a- tische Sammlung setzt erst um die Jahrhundertwende ein. Dies lag am preußischen Ve r ein s- recht, das eine überregionale Parteiorganisation nicht verbot. Eine Zusamme nfassung des Preußischen Vereinsrechts von 1850 siehe Vereinskalender (1886), S. 31. Zur Entstehung der Parteien i n folge der Einberufung der deutschen Nationalversammlung 1848 in Frankfurt vgl. Lutz (1998), S. 262 - 271 und Pleticha (1998), S. 129 - 131. 1353 Vgl . Kieseritzky (2002), S. 510.

231 Redaktion der National - Zeitung mit. 1354 Außerdem bes tand schon in der Berl i ner Zeit ein intensiver Kontakt zu Ludwig Bamberger . 1355 Die Nationalliberale Partei hatte sich 1867 unter der Führung von Rudolf von Bennigsen von der Deutschen Fortschrittspartei abgespalten. 1356 Unter dem Ei n- druck des preußischen Sieges über Österreich 1866 bei Königgrätz war es inne n- politisch zu einem Stimmungsumschwung zugunsten Bismarcks geko m men. 1357 Von den politischen Parteien gehörte besonders die Deutsche For t schrittspartei mit Rudolf Virchow zu den Verlierern. Ihr Ziel war es, die Ideale der Revolution von 1848 der Freiheit und der Einheit zu verbinden und Pre u ßens Verfassung nach dem Vorbild Englands in Form einer liberal - parlamentarischen Monarchie umz ugestalten. 1358 Als Bismarck im Parl a ment den Antrag stellte, den Haushalt, d. h. vor allem die illegalen Militärausgaben, nachträglich zu genehm i gen (auch „Indemnitätsvorlage“ genannt), kam es zu Spaltungen im liberalen und konserv a- tiven Lager. Überhaupt wurde die Gesel l schaft in bismarckfreundlich und bi s- marckfeindlich polarisiert. 1359 Als der Landtag am 3. September 1866 schließlich das Indemnitätsgesetz annahm, war damit der seit 1860 schwelende Verfassung s- konflikt um Haushaltsrecht und Heeresreform beigelegt, doch hinterließ er einen tiefen Riss bei den Liber a len. 1360 In der sich neu bildenden Nationalliberalen Pa r- tei sammelten sich nun vor allem Professoren und Unternehmer. Nach der Reichsgründung, zwischen 1871 und 1877, ve r fügte sie im Reichstag über die absolute Mehrheit. 1361 Nachdem Rosenthal durch seine Berufung nach Erlangen von seinen persö n l i- chen Kontakten zu Heinrich Bernhard Oppenheim , Ludwig Bamberger und Ed u- ard Las ker abgeschnitten war, fanden seine politischen Ko n takte zunächst ihre Fortsetzung durch die Freundschaft zu Heinrich von Marquardsen , der ihm wegen

1354 Vgl. BAB: N 2167 / 260, Bl. 2. 1355 Vgl. Höber (1915), S. 294. 1356 Ein berühmtes Mitglied dieser schon 1861 gegründeten Partei war Rudolf Vi r chow . Vgl. Kieseritzky (2002), S. 516. 1357 Über die Folgen des Deu tschen Krieges vgl. Haupt (1998), S. 191 f. und Stürmer (1998), S. 143 - 165. 1358 Zit. n. Stürmer (1998), S. 146. 1359 Vgl. Stürmer (1998), S. 147. Dies zeigt auch die Zusammensetzung der Berliner Salons. So galt der Salon von Fanny Lewald , wo Rosenthals Freunde Ludwig Traube , Ludwig Ba m- berger , Eduard Lasker und sein Onkel Heinrich Bernhard Oppenheim verkehrten, als „bi s- marckfreundlich “. Vgl. Wilhelmy (1989), S. 723. 1360 Vgl. Haupt (1998), S. 193. 1361 Vgl. Stürmer (1998), S. 450.

232 seiner „jovialen und trockenen Art vortrefflich“ 1362 gefiel. Marquardsen war Mi t- glied des La n desausschusses der Fortschrittspartei in Bayern 1363 und gehörte mit Rudolf von Bennigsen und Franz Buhl zur Führungsgruppe der N a tionalliberalen Partei, sodass Rosenthal auch in Erlangen unmittelbaren Kontakt zur Parteifü h- rung hatte. 1364 Diese ve r suchte durch Einsatz von publizistischen Mitteln, Einfluss auf die programmat i sche und organisatorische Ausrichtung der Partei zu nehmen. So schrieb Rosenthal auf Heinrich von Marqu ardsens Bi t te für die Wochenschrift der Bayerischen Fortschrittspartei 1872 verschiedene Art i kel. 1365

Mit der Reichsgründung wurden grundlegende liberale Ideen verwirklicht: Ein einheitlicher Nationalstaat, allgemeines, gleiches und geheimes Wahlrecht, Emanzipation der Juden, einheitliche Währung und einheitliches Recht sowie wirtschaftliche und politische Einheit des Reiches. All das war durch die Z u sa m- menarbeit des Reichskanzlers Bismarck mit den Nationalliberalen umg e setzt worden. Sie zerbrach jedoch an den Gegensätzen, die sich nach der großen i n- nenpolitischen Wende von 1878/79 aus Bismarcks Kampf gegen den polit i schen Katholizismus („Kulturkampf“), seine G e setze gegen die Sozialisten und seine Schutzzollpolitik entwickelte n. 1366 Hierbei ist zu beachten, dass Bismarck b e- wusst die Spa l tung der Nationalliberalen betrieben und die Annäherung an die katholische Zentrumspartei gesucht hat. 1367 Zwei Attentate auf Kaiser Wi l helm I.

1362 Zit. n. BAB: N 2167 / 260, Bl. 4. Brief Rosenthals an Eduard Lasker vom 28. Dezember 1872. 1363 Dem Ausschuss gehörten auch die Erlanger Ada m Bücking , Jakob Herz , Franz Makowiczka, Roderich von Stintzing und Johann Christian Konrad von Hofmann an. Vgl. Wochenschrift der Fortschrittspartei in Bayern. Nr. 45. 6. November 1869, S. 45. Die For t- schrittspartei in Bayern war das süddeutsche Pendant der Nationalliberalen Partei. Zur G e- schichte der Fortschrittspartei in Erlangen vgl. SAE: 32. Nr. 442. T. 1: Papellier, Heinrich: Die Fortschrittspartei in Erlangen. Zeh´ sche Verlagsbuc h handlung. Nürnberg. 1869. 1364 Zur Organisation und Führung der Nationalliberalen Partei vgl. Kieseritzky (2002), S. 152. 1365 Dies ist dem Brief Rosenthals an Eduard Lasker vom 28. Deze m ber 1872 zu entnehmen. Vgl. BAB: 216 7 / 260, Bl. 5. 1366 Vgl. Conze (1996), S. 200. 1367 Vgl. Stürmer (1998), S. 211. In einem Brief an den bayerischen König Ludwig II. vom 4. August 1879 schreibt Bismarck : „ (...) Die nationalliberale Partei wird, w ie ich hoffe, durch die letzte Reichstagssession ihrer Scheidung in eine monarchische und eine fortschrittliche, also republikanische Hälfte entgegengeführt werden. (...) Die Brandreden an die Adresse der besit z- losen Klassen von Lasker und Richter haben di e revolutionäre Tendenz dieser Abgeor d neten so klar und nackt hingestellt, daß für die A n hänger der monarchischen Regierungsform keine politische Gemeinschaftsform mehr mit ihnen möglich ist. (...). Die Vorarbeiter der R e volution rekrutieren sich bei uns z iemlich ausschlie ß lich aus dem gelehrten Proletariat (...). Es sind die studierten und hochgebildeten Herren ohne Besitz, ohne Industrie, ohne Erwerb, we l che en t-

233 im Mai und Juni 1878 verhalfe n Bismarck dazu, im Reichstag das „G e setz gegen die allgemeingefährlichen Bestrebungen der Socialdemokratie“ durchzubringen, dessen Ziel jedoch auch die Liberalen waren. 1368 1880 spalt e ten sich tatsächlich die Linksliberalen als Lib erale Vereinigung unter der Fü h rung Eduard Laskers von den Nationalliberalen ab. 1369 Lu d wig Bamberger und Franz Freiherr Schenk von Stauffenberg 1370 gehörten auch zu den „Sezessioni s ten“, wie die Liberale Vereinigung auch genannt wurde. 1371 In dem von beiden verfassten „Sezession s- papier“ wurden die Gründe für die Abkehr vom Kurs Bismarcks dargelegt, deren Hauptpunkte der Widerstand gegen die Reaktion, die Einschränkung der religi ö- sen Freiheit, die Schutzzollpolitik, die Steuerla s ten und die Änderungen des Wahlrecht waren. 1372 Mit seinen Freunden vollzog Rosenthal den politischen Schwenk nach links. Unter dem lokalen Agitatorengespann Stauffenberg und R o- senthal, sollte sich Mittelfranken nun zu einer Hochburg der Sezessionisten en t- wickeln. 1373 Der Umgang beider Mä n ner war vertraut und freimütig, wie der Briefwechsel erkennen lässt. 1374

Rosenthal merkte bald, dass die Sezession nur dann politisches Gewicht e rha l ten könne, wenn es ihr gelänge, die öffentliche Meinung durch entsprechende Publ i- kationen zu beeinflussen. Er begriff die wachsende Macht des Mediums Zeitung

weder vom Gehalt im Staats - und Gemeind e dienst oder von der Presse, häufig von beidem leben. (. ..).“ Zit. n. Bismarck (1928), S. 326. 1368 Vgl. Krockow (2000), S. 295. Siehe auch die Karikatur von Wilhelm Scholz (1878): Mit Pfeil und Bogen zielt Bismarck auf eine Gruppe Liberaler, vor denen eine Zie lscheibe steht, auf der ein Sozialdemokrat mit gezogenem Revolver abgebildet ist. Dabei ist unklar, wen Bismarck eigentlich treffen will. Vgl. Stürmer (1998), S. 219. 1369 Ausführlich über Ursachen und Wi r kungen der Sezession vgl. K ieseritzky (2002), S. 181 ff. Diese umfassende und detailreiche Arbeit ist eine brilliante Darstellung des Liberalismus im Zei t raum von 1878 bis 1893. 1370 Franz Freiherr Schenk von Stauffenberg (1834 - 1901) war Gutsbesitzer des Rittergutes Rißtissen in Oberschwaben und bis 1866 Staatsanwalt in Augsburg. Von 1868 bis 1893 war er Mitglied des Reichstages. Bis zur Seze s sion gehörte er der Nationalliberalen Partei an, war Vizepräsident des Reichstages und Mitglied de s Eisenbahnrates Bayern. Vgl. Kieseritzky (2002), S. 515. 1371 Vgl. Kieseritzky (2002), S. 193. 1372 Vgl. BAB: N 2292 / 181, o. S. Sezessionspapier. 1373 Zu regionalen Unterschieden hinsichtlich der Folgen der Sezession vgl. Kieseritzky (2002), S. 235. In der Reich stagswahl 1881 erhielt die Liberale Vereinigung auf Anhieb die gleiche Anzahl Stimmen wie die Nationalliberale Partei. Vgl. Hirschfelder (1991), S. 103. 1374 Dies verdeutlicht die Korrespondenz beider Männer im Vorfeld des Wahlkampfes von 1884. Vgl. BAB: N 22 92 / 63, Bl. 7.

234 und wandte sich daher mit einem Brief vom 10. November 1883 an Stauffenberg , um ihn für die Neugründung eines liberalen Blattes zu gewi n nen:

„Die Ankaufsverhandlungen mit dem alten, schwachen Besitzer des ´Erlanger Tagblatts´ h a- ben zu keinem Resultat geführt. Nun will aber der Buchdruckereibesitzer P feiffer den Ve r such machen, ein neues anständiges Blatt zu gründen. Die Hauptschwierigkeit, die Gewi n nung eines geeigneten Redakteurs ist behoben, da wir in dem Herren Jordan, welcher Reda k tionssekretär bei dem von mir herausgegebenen ´Biologischen Central blatt´ ist, eine geeignete Persönlic h keit haben. Herr Pfeiffer wünscht nur ein Kapital bis zur Höhe von 1000 M. etwa für die Einric h- tung geliehen zu haben (...).“ 1375

Dabei wollte Rosenthal durch einen Kredit Karl Pfeiffer persönlich an die Pe r son Stauffenbergs binden. Er war sich überdies gewiss, das Erlanger Tagblatt ausst e- chen zu können, da er nach Berlin durch Ludwig Ba m berger und nach München durch Franz Freiherr Schenk von Stauffenberg die besseren Kontakte zu Korre s- pondenten hatte. Rosenthal fragte Stauffenberg , ob ihm der Name Fränkische Nachrichten für die neue Zeitung gefallen würde. Stauffenberg stimmte zu und wies Rosenthal 1.300 Mark für den Verleger und 200 für den Redakteur zu. R o- senthal schrieb zurück:

„ (...) Wir haben auch auf diese Weise beide Beteiligte durch ein materielles Band gefe s selt, was nichts schadet.“ 1376

Hier zeigt sich, wie strategisch kühl Rosenthals dachte. Auch der Erlanger Bü r - germeister Johann Gerhard Ritter von Schuh 1377 und andere Parteifreunde unte r- stützten seine Idee. 1378 So wurde Rosenthal zum Gründer der Fränkischen Nac h- richten. Die bisher nur unzureichend bekannten Gründungsmotive der Fränk i- schen Nachrichten erschließen sich allein aus dem Nac h lass Stauffenbergs: Sie liegen ausschließlich in Rosenthals polit i schem Instinkt begründet, der sich mit dem Willen zur gezielten Einflussnahme verb and. Rosenthal wollte „den ele n den Zustand unserer politischen Presse“ verändern und „hierin eine Besserung“ erzi e-

1375 Zit. n. BAB: N 2292 / 63, Bl. 2. 1376 Zit. n. BAB: N 2292 / 63, Bl. 5. 1377 Johann Gerhard Ritter von Schuh (1846 - 1918) hatte 1881 die Nachfolge des linksliberal orientierten August Papellier angetreten, der in heftige Auseina n dersetzungen mit Heinrich von Marquardsen geraten war. Schuh stammte aus einfachen Verhältnissen und hatte in Mü n chen und Berlin Jura studiert, promovierte 1874 in Gießen und legte ein Jahr später sein Staatex a- men ab. Seit 1878 gehörte er der Nürnberger Stadtverwaltung an. 1892 wurde er Bü r germei s- ter von Nürnberg. 1913 wurde er in den erblichen Adel gehoben. Eine umfassende, detailreiche Biographie hat Martina Bauer n feind (2000) verfasst. 1378 Vgl. Hirschfelder (1991) , S. 107.

235 len. 1379 Auslöser hierfür war die wahrgenommene Untätigkeit auch Stauffenbergs, während die Nationalliberalen politisch sehr rege waren. Beso n der e Beachtung verdient, dass die Fränkischen Nachric h ten der äußeren Form nach ein zunächst unpolitisches Lokalblatt zu sein schienen, jedoch in Rose n thals Konzeption und Zielsetzung eindeutig als Instrument der politischen Ag i tation gedacht war. 1380 Politische Meinungsbildung und Berichterstattung wu r den durch unterhaltsame Fortsetzungsgeschichten im Feuilleton und einen breitgefächerten Anzeigenteil in eine Form gekleidet, die von einer vielschic h tigen Leserschaft aufgenommen wurde. Die Redaktion der Fränkisch en Nac h richten befand sich in der Spitalstr a- ße 43, wo der leitende Redakteur Hermann Jordan wohnte. Die Versandabteilung (Expedition) war in der Spitalstraße 28 bei dem Verlag von Ernst Theodor Jakob unt ergebracht. 1381 Hier wohnte auch der Buchdruckere i besitzer Karl Pfeiffer . 1382 Die Gründung dieses als Tageszeitung herausgegebenen Lokalblattes neben dem 25 Jahre älteren Erlanger Tagblatt rief in Erlangen viel Unfrieden hervor. Z u nächst w urde der Vorwurf erhoben, „daß Redaktion und Expedition unseres Blattes in jüdischen Händen seien, und daß die Fränkischen Nachrichten da r um für höchstgefährlich erachtet werden müssten.“ 1383 Dies konnte nur eine Anspi e- lung auf Rosenthal sein, gegen die er si ch dann auch in einer Erklärung in den Fränk i schen Nachrichten öffentlich verwahrte. 1384 Beide Zeitungen kämpften um Abonnementen und Inserenten, wobei die Fränkischen Nachrichten trotz aller Wide r stände und Verleumdungen das Erlanger Tagblatt bereits nach ei nem Jahr überrundet hatten. 1385 Wie vergiftet das politische Klima in E r langen zu dieser Zeit war, lässt sich aus einer Äußerung Adolf von Strümpell s ersehen, der anläs s- lich der Berufung nach Erlangen seinen Eindruck mit folgenden Wo r ten b e- schrieb:

„Rosenthal hatte in der Zeit vor meiner Berufung nach Erlangen schwierige Kämpfe durc h- zumachen gehabt. Er war ein eifriger, oft sogar recht leidenschaftl i cher Politiker, Mitglied der Freisinnigen Partei in Bayern und als solches in Gege nsatz stehend zu den meist stark konse r- vativ denkenden Erlanger Professoren. Als ich nach Erlangen kam, hatten sich die Wogen der

1379 Zit. n. BAB: N 2292 / 63, Bl. 2. 1380 Ebenda. 1381 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Anzeige des Redakteurs für den Stadtmagistrat über die Versammlung des Freisinnigen Vereins vom 14. Dezember 1887. 1382 Vgl. Adreßbuch von Erlangen. Gefertigt 1885 vom Stadtmagistrate Erlangen. Selbstverlag des Stadtmagistrats. Junge & Sohn. Erlangen. 1885, S. 116. 1383 Zit. n. Fränkische Nachrichten. Nr. 49. 28. Februar 1884, S. 1. 1384 Vgl. Fränkische Nachrichten. Nr. 275. 22. November 1884, S. 3. 1385 Ausführlicher über die Fe indschaft zwischen beiden Redaktionen siehe Hirschfelder (1991), S. 110 u. 111.

236 vorangegangenen politischen Kämpfe bereits geglättet, und nur hier und da fühlte man ein kle i- nes Nac h zittern von ihnen.“ 1386

Die Entfremdung der einzelnen Gru p pen war nicht auszugleichen, was durch die Veröffentlichungen der zwei konkurrierenden Zeitungen sogar unmöglich wurde. Als Rosenthal merkte, dass die liberalen Kräfte sich immer mehr ze r splitte r ten, suchte er einen Ausgleich der einzelnen Richtungen zu fördern. Den bestehenden Schwierigkeiten sollte durch eine Sammlungspolitik organisat o risch und öffen t- lichkeitswirksam begegnet werden. 1387 Man wollte eintreten für „Wahrheit, Fre i- heit und Recht“. 1388 Damit führte Rosenthal das polit ische Ve r mächtnis Eduard Laskers weiter, der am 5. Januar 1884 in New York verstorben war und als „u n- ermüdlicher Anwalt einer gesamtliberalen Einigung“ 1389 galt. Hauptantriebsfeder für eine Fusion war das Ideal einer großen liberalen Volk s partei. So schrieb R o- senthal in den Fränkischen Nachrichten:

„Nicht Fortschritt, nicht Sezession, nicht Nationalliberal soll unsere Parole sein. Sondern einfach und schlichtweg: Liberal. Vergessen wir kleinlichen Hader und kleine Meinungsve r- schiedenheiten und halten wir fest, was uns gemeinsam ist. Dann werden wir stark dastehen und eine Macht bilden, welcher der ihr gebührende Einfluß auf die weitere Entwicklung des Vaterlandes nicht entgehen kann.“ 1390

Für Franz Freiherr Schenk von Stauffenberg war Rosenthal eine wichtige I n fo r- mationsquelle über den Wahlkreis Mittelfranken. Über die Stimmung hi n sichtlich der Verschmelzung der Liberalen Vereinigung mit der von Eugen Richter gefüh r- ten Fortschrittspartei bericht ete Rosenthal auf Stauffenbergs A n frage im März 1884:

„Andere [hier sind die eher nationalliberal eingestellten Parteifreunde und Wähler gemeint, Verf.], die nur halb mit uns gingen, werden stutzig werden, weil ihnen Eugen Richter al s der leibhaftige Gottseibeiuns erscheint. Die Reaktionäre werden ein Triumpfgeschrei erheben: sie hätten es ja schon längst gesagt, dass zwischen Stauffenberg und Richter kein U n terschied sei. Aber auf diese kommt es nicht an; es hört kein Mensch auf sie. Die Mehrzahl endlich, vie l leicht nicht hier in Erl., aber doch die Mehrzahl im Wahlkreis wird den Schritt billigen, soweit es Sie

1386 Zit. n. Strümpell (1925), S. 173. 1387 Zur linksliberalen Sammlungspolitik als Bündnis gegen die staatliche Intervention vgl. Ki e- seritzky (2002), S. 291 - 294. 1388 Zit. n. Fränkisc he Nachrichten. Nr. 294. 14. Dezember 1884, S. 1. 1389 Zit. n. Kieseritzky (2002), S. 291. 1390 Zit. n. Fränkische Nachrichten. Nr. 56. 7. März 1884, S. 1.

237 a n geht, weil sie eigentlich im Grunde fortschrittlich oder gar volksparteilic h gesinnt sind, also Sie ihr dadurch etwas näher zu treten scheinen.“ 1391

Die Unsicherheit in der Wählerschaft scheint groß gewesen zu sein, da Rose n thal Stauffenberg sichtlicht nötigte nach Erlangen zu kommen, um persönlich zu den Leuten zu reden und sie für die Fusion zu gewinnen: „Ich möchte Sie etwa bis zum 15. hier sehen.“ 1392 Wolther von Kieseritzky ist nicht zuzustimmen, wenn er die Aussage macht, Eugen Richter , der Führer der Deutschen For t schrittspartei, habe Rosenthal (!) als der „leibhaftige Gottseibeiuns“, d. h. der Teufel, gego l- ten. 1393 Das Gegenteil ist der Fall. Das Zitat belegt allerdings, dass nicht alle S e- zessionisten dem Zusammenschluß unter Führ ung Eugen Richters zustimmten. Im März 1884 vereinigten sich schließlich die bismarc k feindliche, von Eugen Richter geführte linksliberale Deutsche Forstschrittspa r tei und die Liberale Vereinigung zur Deutsch - Freisinnigen Volkspartei, was ein Ergebnis der liberalen Sam m- lungsbewegung gegen den konservativen Kurs Bismarcks darstellte. 1394 Die pa r- lamentarischen Fraktionen der Deutschen Fortschrittspartei und der Liberalen Vereinigung hatten an ihre Gesinnungsgenossen den Vo r schlag gerichtet, beide Fraktionen unter dem Namen Deutsche Freisinnige Pa r tei zu vereinigen. Das Pa r- teiprogramm enthielt folgende Pun k te:

„I. Entwicklung eines wahrhaft konstitutionellen Verfassungslebens in gesichertem Z u sa m- menwirken zw i schen Regierung und Volks - Vertretu ng (...).

II. Wahrung der Rechte des Volkes: Erhaltung des geheimen, allgemeinen, gleichen und d i- rekten Wahlrechts; Sicherung der Wahlfreiheit, (...), Gleichheit vor dem Gesetz ohne Ansehen der Person und der Partei, volle Gewissens - und Rel i gionsfreiheit ; (...).

III. Förderung der Volkswohlfahrt auf Grund der bestehenden Gesellschaftsor d nung. (...).

IV. Im Steuersystem Gerechtigkeit und Schonung der Volkskraft; (...); keine Zoll - und Wirthschaftspolitik im Dien s te von Sonderinteressen; keine Monopole; (. ..). V. Erhaltung der vollen Wehrpflicht des Volkes; (...).“ 1395

1391 Zit. BAB: N 2292 / 63, Bl. 7. 1392 Ebenda. 1393 Vgl. Kieseritzki (2002), S. 292. 1394 Zur linksliberalen Sammlung spolitik vgl. Kieseritzky (2002), S. 291 - 294. 1395 Zit. n. Vereinskalender (1886), S. 2 u. 3.

238 Zu den Vorstandsmitgliedern der Reichstagsfraktion gehörten ab 1884 Lu d wig Bamberger , Rudolf Virchow , Eugen Richter , Maxi milian von Forckenbeck , 1396 Albert Hänel und Franz Freiherr Schenk von Stauffenberg . 1397 Der ehemalige E r- langer Bürgermeister August Papellier 1398 war Fraktionsmitglied der Deu t schen Freisinnigen Pa r tei im Reichstag. 1399 Rosenthal wurde in den Kreis der Urwähler für Erlangen zur Landtagswahl am 14. Juli 1884 gewählt. 1400 Als sich am 20. Juli 1884 als Ergebnis der Fus i on die Deutschfreisinnige n auf einem Parteitag in Nürnberg zur Partei organisie r ten, wurde Rosenthal in den engeren geschäftsführenden Ausschuss der Deu t schen Freisinnigen Partei im rechtsrheinischen Bayern gewählt, dem die Parte i führung übertragen wurde. 1401 Er gehörte also zu den M ännern der ersten Stu n de und zu der Zahl der Vertrauensmänner, die aus den 17 bayerischen Wah l kreisen entse n- det waren. Franz Freiherr Schenk von Stauffenberg selbst hatte als erster Vorsi t- zender des Ausschuss es den Parteitag einberufen. Insgesamt 100 Vertrauensmä n- ner waren aus ganz Bayern gekommen. 1402 Am 22. Oktober 1884 hielt die Deutsche Freisinnige Partei im Redoutensaal eine Wählerversammlung ab, in der sich Stauffenberg als Reichstagskandidat vo r- stellte. 1403 Es war Rosenthal gewesen, der Stauffenberg beschworen hatte, nach Erlangen zu kommen, da sonst die Wahl gegen Friedrich von Schauß , 1404 den

1396 Maximilian von Forckenbeck gehörte zu den B e gründern der Fortschrittspartei und seit 1866 mit Eduard Lasker und Ludwig Bamberger zum linken Flügel der Nationalliberalen Pa r- tei. Er gilt als typischer Vertreter des Honoratiorenliberalismus und billigte die Ausnahmeg e- setzgebung gegen die Sozialdemokratie. 1878 wurde der frühere Oberbür germeister von Bre s- lau als Nachfolger von Arthur Hobrecht zum Oberbürgermeister von Berlin gewählt und lei s t e- te Bedeutendes für die Hygienisierung der Stadt. Vgl. Angermann (1961), S. 296 - 298. 1397 Vgl. Vereinskalender (1886), S. 20. 1398 August Papellier (1834 - 1894) gehörte mit Heinrich von Marquardsen , Karl von Raumer, Johann Christian Ko n rad von Hofmann , Adam Bücking , Franz Makowiczka, Roderich von Stintzing u. a. zu den Erlanger Begründern des 1863 ins Leben gerufenen „Schleswig - Holsteinischen Vereins“. Von 1866 bis 1872 war er Erlanger Bürgermeister und Reichstag s- mitglied und gehörte der Fortschrittspartei an. Vgl. Hirschfelder (1983) , S. 219 - 255. Zur Gründung des Schleswig - Holsteinischen Vereins und über die Fortschrittspartei in Erlangen verfa s ste Papellier eine Denkschrift. Siehe SAE: 32. Nr. 442. T. 1. 1399 Vgl. Vereinskalender (1886), S. 19. 1400 Vgl. Vereinskalender (1886), S. 14. 1401 Vg l. Hirschfelder (1991), S. 107. 1402 Siehe Flugblatt der Deutschfreisinnigen Partei im rechtsrheinischen Bayern. Bericht über den Parteitag. Vgl. BAB: N 2292 / 182, o. S. 1403 Vgl. Verwaltungsbericht (1886), S. 62. 1404 Friedrich von Schauß (1831 - 1893) war ein Rechtsanwalt aus München und gehörte von 1871 bis 1881 dem Reichstag an. Er befürwortete die Schutzzollpolitik Bismarcks. Als Ve r tr e-

239 „Fürther Demag o gen“, 1405 nicht gewonnen werden könne. Schauß war zwei Tage zuvor in einer Veranstaltung der Nationalliberalen Partei in gleicher E i genschaft aufgetreten. 1406 Als die Deutsch - Freisinnigen in der Wahl vom 28. Oktober viele Sti m men verlor, sc hrieb Rosenthal an Stauffenberg :

„(...) Aber traurig ist es doch, was uns der Wahltag gebracht hat. Nicht nur, dass wir so vi e le Mandate verloren haben, ist es, was mich tief schmerzt. Mehr noch geht mir zu Herzen, dass die sogenannten gebildeten Klassen so tief gesunken sind, dem ekelhaftesten Demagogentum in Gestalt der Christlich - Sozialen Heeresfolge zu leisten, und dass in breiten Volksschichten die sozialistischen Ideen solchen Anklang fi n den. Ich bin so nst kein Pessimist. Aber diesmal glaube ich, dass wir der sozialen Revolution entgegeng e hen. Wenn nicht bald eine Wendung eintritt, dann müssen ja die Gemüter, deren Begehrlichkeit immer mehr gereizt wird, zu Gewalttätigkeiten angestachelt werden, und dann erleben wir von neuem die Contrerevolution und die Staatsrettung von denen, welche das Gift selbst bereitet und eing e- flösst haben. Zuweilen glaube ich sogar, dass dies bewusste A b sicht ist. (...). Ich sehe schwarz und ich fühle, dass unsere Kräfte erlahme n, denn es fehlt an Nac h wuchs. Wir arbeiten uns ab, und die dummen Jungen, welche nicht erlebt haben, was eine preußische Reaktion bedeutet, rümpfen die Nase. Aber was auch kommen möge, wir wollen aushalten bis zum letzten Blut s- tropfen. Und wenn wir den Er folg nicht mehr erleben sollten, hoffentlich sehen unsere Ki n der bessere Zeiten (...).“ 1407

Aus diesen Äußerungen spricht die tiefe Enttäuschung über den vergeblichen Kampf der Liberalen gegen den „Staatssozialismus“. Dieser politische Kamp f b e- griff meinte die staatlich gelenkte Sozialpolitik Bismarcks. Die Arbeiter - , Kra n- ken - und Unfallversicherungsgesetze der Jahre 1880 bis 1884 sollten ein Gege n- gewicht zur Sozialdemokratie schaffen und die Industrie weitgehend von den Kosten der Sozialpolitik verschonen, um gegenüber dem Ausland konku r renzf ä- hig zu bleiben. 1408 Die Arbeiter sollten so dem Einfluss der Sozialdem o kratie en t- zogen und fester an den Staat und seine Führung gebunden werden. Mit „Demagogentum der Christlich - Sozialen“ meinte Rosenthal die antisemit i sche Hetze des Berliner Hof - und Dompredigers Adolf Stoecker , der 1878 die Chris t- lich - Soziale Arbeiterpartei gegründet hatte und eine staatliche Sozialpol i tik fo r-

ter des rechten Flügels hatte er 1879 vorübergehend die N a tionalliberale Partei verlassen und war 1884 als Gegenkandidat seines Duzfreundes Stauffenberg für den Wahlkreis Fürth - Erlangen a n getreten. Vgl. Hirschfelder (1991), S. 104. 1405 Zit. n. BAB: N 2292 / 63, Bl. 9. 1406 Vgl. Verwaltungsbericht (1886), S. 6 1. 1407 Zit. n. BAB: N 2292 / 63, Bl. 10. 1408 Vgl. Stürmer (1994), S. 227. Über den Kampf der Liberalen gegen den staatlichen Inte r- ventionismus siehe Kieseritzky (2002), S. 274 ff.

240 derte. 1409 Sehr feinsinnig und fast politisch hells e herisch hat Rosenthal mit seinem Gedanken der „Contrerevolution“, d. h. des Staatsstreiches, form u liert, was dann 1890 tatsächlich Gegenstand von Bismarcks Überlegungen g e wesen ist. 1410 Doch Rosenthal hatte den Erfolg der F u sion der liberalen Parteien falsch eingeschätzt. Das Konzept der Sammlungspolitik sollte nicht aufgehen. Die Ergebnisse der Reichstagswahlen zeigen, dass der Einfluss der Liberalen zu Gunsten der Sozia l- demokraten immer mehr a b nahm. 1411 In der Stichwahl am 11. November 1884 konnte sich zwar Franz Fre i herr Schenk von Sta uffenberg dann tatsächlich gegen Friedrich von Schauß durchsetzen, 1412 doch zeigt sich die tiefe Spaltung der Lib e- ralen darin, das sich nun zwei ehemals politisch gleichgesin n te Par teigenossen als Gegner um die Wählergunst bemü h ten. Der Wahlkampf des Jahres 1884 war in besonderem Maße von der Konfrontation rechts - und linksliberaler Kandidaten und von zunehmendem Antisemitismus geprägt, 1413 der die Freisinnigen mit J u- dentum gleichsetzte . 1414 Der Wah l sieg Stauffenbergs im Wahlkreis Fürth - Erlangen - Lauf - Hersbruck stand im Widerspruch zu der Niederlage auf Reich s- ebene und beweist den Erfolg Rosenthals als Stauffenbergs Wahlkampfmanager. Erlangen und Berlin, wo sich Rosenthals Parteigenosse Rudo lf Virchow gegen Adolf Stoecker durchsetzen konnte, ze i gen wieder ein merkwürdige Ähnlichkeit: Beide Städte waren Hochburgen der Linksliberalen. Dennoch waren die Linksl i- beralen insgesamt gesehen die gr o ßen V erlierer der Wahl von 1884, denn sie ve r- loren mehr als ein Drittel ihrer Mandate. 1415 Es war ihnen nicht gelungen, die s o- ziale Frage angemessen in ihr politisches Programm aufzunehmen und den Arbe i- tern verständlich zu machen. Rosenthals Befürchtungen sollten sich bewahrhe i- ten.

3.6.2. Der Freisinnige Verein

1409 Vgl. Conze (1996), S. 200. 1410 Vgl. Krockow (2000), S. 359. Ausführliche Literat urangaben zu Bismarcks Staatsstreic h- plänen in den Anmerkungen S. 459. Bismarcks Wille zur Eskalation fand seinen Niede r schlag in seinem „Kampfprogramm“ gegen die Sozialdemokratie. Zit. n. Bismarck (1928), S. 639. 1411 Eine graphisch e Darstellung der Ergebnisse der Reichstagswahlen von 1871 bis 1912 si e he Stürmer (1994), S. 452 u. 453. 1412 Vgl. Hirschfelder (1991), S. 112. 1413 Vgl. Kieseritzky (2002), S. 299. 1414 Ebenda. Siehe hierüber ausführlicher am Beispiel von Rudolf Virchow Goschler (2002), S. 230. 1415 Vgl. Kieseritzky (2002), S. 300.

241 Die Gründung des Freisinnigen Vereins durch Rosenthal und seine polit i schen Freunde 1884 war eine direkte Fortsetzung der liberalen Sammlungspolitik. Als Mitglied des überregionalen Parteiausschusses der De utschen Freisinnigen Pa r tei setzte Rosenthal nun auf lokaler Ebene die politischen Vorgaben um. Hierbei ist anzumerken, dass der Freisinnige Verein dem Wesen nach eher den Chara k ter einer politischen Ortspartei aufwies, obwohl der Name dies zunächst nicht ve r- m u ten lässt. Das liegt daran, dass die heutigen Vorstellungen von einer pol i t i- schen Partei nur sehr vage dem nahe kommen, was eine Partei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts darstellte. Doch kennzeichnet der Begriff „Verein“, was Pa r teien damals im Wesentlichen waren, eher Gesinnungsgemeinschaften als wirkliche Volksparteien. „Sie gaben mehr gegensätzlichen Sozialmilieus Au s- druck als feindlichen sozialen Klassen, sie repräsentierten strukturelle Ko n flikte, die bereits vor dem Kaiserreich und der E ntfaltung der industriellen G e sellschaft existiert hatten.“ 1416 Erst nach der Reichsgründung begannen die Pa r teien mit dem Aufbau organisierter Strukturen: „Mit Einführung des allgeme i nen und gleichen Wahlrechts galt es nun, die Wähler zu mobilisieren, was di e Parteien zum Aufbau schlagkräftiger Organisationen zwang. Den Wahlkampf führten in erster Linie die Honoratioren auf der lokalen Wahlkreisebene. Von ihrem Engagement und ihren Fähigkeiten hing der Erfolg der nationalen Partei wesentlich ab. Dies ging im Grunde zunächst sehr einfach vonstatten: Örtliche Honoratioren, die sich als A n- hänger einer liberalen Gesi n nungsgemeinschaft empfanden, gründeten anlässlich der Wahlen Komitees oder Vereine und stel l ten auf Versammlungen Vertrauen s- männer und ausgewählte Ka ndidaten vor. ´Rekrutiert´ wurden sie aufgrund pe r- sönlicher Freundschaften in Vereinen, Ortsgruppen (...) oder in Gemeindegremien (...). Eine eingetragene Mitglie d schaft gab es nicht, man befand sich in einem g e- meinsamen beruflichen und sozialen Netzwerk, und das Verhältnis beruhte wei t- gehend auf persönlicher R e putation und Autor i tät.“ 1417 Für die Anhänger der linksliberalen Richtung in Mittelfranken nahm diese H o- noratiorenaufgabe Rosenthal wahr. Er ist von Heinrich Hirschfelder al s „e i ner der bekanntesten und rührigsten Vertreter des Linksliberalismus in Erla n gen“ 1418 b e- zeichnet worden. Die linksliberal g e prägten Fränkischen Nachrichten werden die politische Meinungsbildung so mitgestaltet haben, dass schließlich im Winter 1884 die Ze it reif war, den „Freisinnigen Verein zu Erlangen“ zu gründen, wobei Rosenthal die treibende Kraft war. In einem Nachruf von Lu d wig Göhring heißt es:

1416 Zit. n. Stürmer (1998), S. 119. 1417 Zit. n. Kieseritzky (2002), S. 148. 1418 Zit. n. Hirschfelder (1991), S. 107.

242 „Er, der frühere Nationalliberale, hatte mit dem ihm befreundeten Frhr. v. Stauff enberg die Wendung nach links mitgemacht und war Mitbegründer und eigentliche Seele des hiesigen Freisinnigen Ve r eins.“ 1419

Die konstituierende Sitzung fand am 6. Dezember 1884 statt. 1420 Die Statuten la s- sen zunäc hst die politische Dimension des Vereins nicht erke n nen:

§ 1: Der freisinnige Verein zu Erlangen hat den Zweck, das Verständnis öffentlicher Ang e- legenheiten und die Entwicklung gesunder A n schauungen über dieselben zu fördern.

§ 2: Zu diesem Zweck veranstal tet er Versammlungen, in welchen durch belehrende Vo r- träge, Beantwortung einlaufender Fragen und Diskussionen die Angelegenheiten unserer Stadt, des Landes und des Reiches beleuchtet we r den sollen. (...).

§ 3: Mitglied des Vereins kann jeder mündige unbesc holtene Mann werden, welcher die Vereinszwecke zu fördern bereit ist. (...). 1421

Kennzeichnend ist hier die allgemeine Zielsetzung des Vereins. Von Liberali s mus findet sich kein Wort, auch wenn die Begründer diese politische Richtung vertr a- ten. Obwohl Rosenth al zu den Begründern zählte, ließ er sich nicht in den Vo r- stand wählen. 1422 Diesem gehörten der Elfenbeinfabrikant Gerry Bücking , der Buchhändler Eduard Besold und der Malermeister und spätere Magistratsrat Ko n- rad Schmidtill an. 1423 Die Wahl des Vereinslokales und die gesellschaftliche He r- kunft der Mitglieder zeigen deutlich, dass bei allem Bemühen um Volkstü m lic h- keit, der Hintergrund fast ausschließlich das gehobene Bildungs - und B e sitzbü r- g ertum gewesen ist: Als Vereinslokal diente der Gasthof „Wa l fisch“ 1424 neben der Bayerischen Staatsbank in der damaligen Bankstraße 5, die heute Calvinstr a- ße heißt. Dieser Gasthof war damals das vornehmste Hotel in Erla n gen. 1425 Noch heute erinnert eine Gedenktaf el daran, dass Johann Wolfgang von Goethe hier in der Nacht vom 16. auf den 17. November 1797 übe r nachtete.

1419 Zit. n. Göhring (1930), S. 119. 1420 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. S tatuten des Freisinnigen Vereins zu Erlangen. Titelblatt. 1421 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Statuten des Freisinnigen Vereins zu Erlangen. 1422 Rosenthals Name erscheint in keinem der Sitzungsprotokolle, die Auskunft über die B e se t- zung der Vorstandsposi tionen geben. Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125. 1423 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 8.Dezember 1884. 1424 Siehe Bildteil Abb. 42. 1425 Vgl. Gebhard, Walter: Walfisch. In: Erlanger Stadtlexikon, W. Tümmels, Nürnberg, 2002, S. 734.

243 Rosenthals Beteiligung schlug sich in lebhafter Vortragstätigkeit nieder. Ebenso war es seine Aufgabe, schr iftlich eingegangene allgemeine und spezie l le Fragen zu beantworten. Zu diesem Zweck war ein Fragekasten eingerichtet wo r- den, in welchem unterschiedlichste Fragen anonym gestellt werden konnten, um dann meistens von Rosenthal beantwortet zu werden. 1426 Die Be antwortung war fester Bestandteil der Vereinssitzungen. So war z. B. in der von über ei n hundert Personen besuchten Sitzung vom 17. Januar 1885 gefragt worden, was die Mö g- lichkeiten und Bedingungen für eine Reichstagsauflösung seien. 1427 Themen der Mitgliederv ersammlungen waren die Bildungspolitik, die Bi s marck ´sche Schut z- zollgesetzgebung, im Bundesrat eingebrachte Gesetzentwü r fe, Haushaltsfragen und Erörterungen zur Entwicklung der Sozialdemokr a tie. Dabei war der Freisinnige Verein nicht nur ein Debattierclub. Die erste von Rosenthal im Februar 1885 initiierte öffentliche Stellungnahme war die Petition gegen eine Erhöhung der Getreidezölle. 1428 Nach der Reichsgrü n dung waren die deutschen Landwirte und die Eisenindustrie in eine tiefe St rukturkrise ger a ten. 1429 Der Weltmarkt hatte sich verändert, nachdem amerikanischer und russ i scher Weizen mit Billigpreisen den europäischen Markt überschwemmte. 1430 Techn i- sche Neuerungen in der Schwer - und Textilindustrie hatten auch hier zu einem Überangebot g eführt, für das die Nachfrage nicht ausreichte. Außerdem war der Eisenbahnbau, der Motor der Industrialisierung, seit 1880 rückläufig. Um die deutsche Wirtschaft vor der Auslandskonkurrenz abzuschirmen, griff Bismarck zum Mittel der Schutzzölle. 1431 Die Zeit des Freihandels, der zu den Hauptinha l- ten des Liberalismus gehörte, ging zu Ende. Der eigentliche Kern in der Ause i- nandersetzung um die Schutzzollpolitik war allerdings weniger die wirtschaftliche als vielmehr die soziale Frage. Hinter der Strukturkrise standen ja die Begleite r- scheinungen von Arbeitslosigkeit und Preisverfall, also letztlich die Verelendung der Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund konnten die Vertr e ter des Freihandels ihre Vorstellungen nicht an den Mann bringen. Zu stark war der Ruf nach dem starken Staat, der in das unbequeme Spiel der freien Mark t wirtschaft eingreift. 1432 Rosenthal jedoch argume n tierte, nur ein kleiner Teil von Gutsbesitzern profitiere von den Schutzzö l len, während eine Verteuerung des Brotpreises und anderer

1426 Vgl. Hirschfel der (1991), S. 107. 1427 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 17. Januar 1885. 1428 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 5. Februar 1885. 1429 Zur Handelspolitik in den achtziger Jahren vgl. Stürmer (1998), S. 266 - 275. 1430 Vgl. Stürmer (1998), S. 186. 1431 Über Bismarcks Wirtschafts - und Handelspolitik nach Ende der Freihandelsphase vgl. Schatt (1998.1), S. 287 - 296. 1432 Vgl. Schatt (1998.1), S. 291.

244 Lebensmittel, die von den Massen der Arbeiter kons u miert würden, die Folge w ä- re. 1433 Rosenthal forderte die Mitglieder auf, der R e solution durch eine Unte r- schriftensammlung in der Bevölkerung entspreche n den Nachdruck zu verle i- hen. 1434 Doch bot die öf fentliche Meinung keine Plat t form für seine Ansicht. Im gleichen Jahr wurde die Erhöhung der Getreidezölle beschlossen. 1435 Ein Jahr später, im Februar 1886, war es eine „Resolution gegen das Brann t- weinmonopol“, deren Verabschiedung Rosenthal durchsetzte. 1436 Ro senthals Pa r- teifreund Emil Kränzlein 1437 hatte durch entspr e chende Vorträge versucht, hierfür die Voraussetzung zu schaffen. Schon im Dezember 1885 hatte die Deutsche Freisinnige Partei im Reichstag den Antrag eingebracht, „das Brann t w ei n monopol für verwerflich zu erklären.“ 1438 Der dem Bundesrat vorgelegte Gesetzentwurf sah ein Reichsmonopol für Ankauf, Ha n del und Verarbeitung von Rohspiritus vor. Die Resolution begründete die Ablehnung des En t wurfs mit der Vernichtung von Hunderttausende n gewerblicher Arbeitsplätze. Auße r dem würde der Schnapsgenuss künstlich vermehrt. Schließlich wurde ausg e führt, „daß der Staat grundsätzlich nicht seine Hand legen soll auf eine voll entwickelte Industrie und einen blühenden Handel, in denen die Existenz vieler Staatsbürger begründet ist.“ 1439 Die Freisinnigen lehnten die Schutzzollpolitik generell ab. 1440 Sie mac h- ten die deutsche Regierung dafür verantwortlich, „durch ihre protektionistischen Maßnahmen die schutzzöllnerische Strömung in der ganzen Welt entfesse lt und gesteigert“ 1441 zu haben und verwiesen darauf, dass es infolge der Schutzzollpol i- tik in vielen Großbetrieben zu Lohnsenkungen gekommen sein, die mit dem Hi n- weis auf die erhöhten Eingangszölle im Au s land b e gründet wurden. 1442

1433 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 5. Februar 1885. 1434 Ebenda. 1435 Vgl. Conze (1996), S. 200. 1436 Die Resolution wurde vollständig abgedruckt in den Fränkische Nachrichten. 3. Jahrgang. Nr. 31. 6. Februar 1885, S. 3. 1437 Emil Kränzlein (1850 - 1936) gründete nach seiner Teilnahme am Deutsch - Französische n Krieg in Erlangen eine Bürstenfabrik. Neben reger Tätigkeit in verschiedenen Kredit - und Handelsvereinen gehörte er zum Verwaltungsrat der Bayersichen Landesgewerbeanstalt und wurde wie Rosenthal 1884 ins Kollegium der Gemeindebevollmächti g ten gewählt. A ußerdem war er Mitglied des Landesauschusses der Freisinnigen. Vgl. Jakob, R.: Kränzlein, Emil. In: Erlanger Stadtllexikon. Tümmels Verlag. Nürnberg. 2002. S. 435. 1438 Zit. n. Vereinskalender (1886), S. 27. 1439 Zit. n. Fränkische Nachrichten. 3. Jahrgang. Nr. 31. 6. Februar 1885, S. 3. 1440 Ausführlich zum Anti - Interventionismus der Linksliberalen s. Kieseritzky (2002), S. 274 ff. 1441 Zit. n. Fränkische Nachrichten. 3. Jahrgang. Nr. 31. 6. Februar 1885, S. 1. 1442 Vgl. Fränkische Nachrichten. 3. Jahrgang. Nr. 31. 6. Fe bruar 1885, S. 1.

245 Durch ihren politischen Einflu ss war es den Großgrundbesitzern gelungen, die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage als nationales Problem zu ve r kaufen und ihre Forderung nach einem Getreideschutzzoll durchzuse t zen. 1443 Die Folge war ein Anstieg des binnenländischen Getreidepreises in den Ja h ren 1885 und 1887. Gegen diesen „Brotwucher“ kämpften Sozialisten und städt i sche Liber a- le 1444 ohne Erfolg. Außerdem wurde 1886 auch eine Zuckersteue r vorlage b e- schlossen und der Petroleumfasszoll erhöht. 1445 All diese Steuererh ö hungen trafen den kleinen M ann, wodurch dessen Lebensbedingungen ve r schlec h tert wurden. Eduard Lasker hatte schon 1879 Bismarck im Reichstag scharf angegriffen und ihm vorgeworfen, eine „Finanzpolitik der Besitzer gegen die Nichtbesi tzer“ 1446 zu betre i ben. Der Zeitgeist wehte jedoch den Freisinnigen entgegen. Ein für den Verein l e- bensbedrohlicher Mitgliederschwund setzte ein. Ende 1886 beschäftigte sich R o- senthal mit der Frage, ob der Verein überhaupt weiterbestehen könne, da die Veranst altungen bereits auf knapp ein Dutzend Besucher zusammengeschmo l zen war. 1447 Nun, er sollte bis zum Jahr 1910 bestehen bleiben.

Im Dezember 1887 wies Rosenthal in der Versammlung im Gasthof „Zum gr ü nen Baum“, 1448 der als Vereinslokal den „Walfisch“ abgelöst ha tte, auf die Fo l gen der Getreidezollerhöhung hin. 1449 Er geißelte die Forderung nach Erhöhung des G e- treidezolls als Interesse weniger unersättlicher Großgrundbesitzer und wies d a- rauf hin, dass eine Minderheit die gesamte Landwirtschaft als hilfsb e dürftig hi n- s tellte, die Massen der Landarbeiter und Tagelöhner jedoch von den Schutzzöllen keinen Vorteil gewönnen. Auf einer Veranstaltung des Nürnberger Freisi n nigen Vereins hatte Rosenthal am Schluss des Vortrages einen bissigen Vergleich ang e- stellt, in dem von mit telalterlichen Raubrittern und modernen Agrariern die Rede war. Rosenthal erhielt auf sein freimütiges Auftreten hin einen anonymen Dro h- brief aus Stettin, in welchem ihm mit Anzeige beim Pr o rektor gedroht wurde, „wenn er sich noch einmal erlaube, die Agrar ier öffen t lich mit Raubrittern zu ve r- gleichen“. 1450 Hier wird erkennbar, welchen gesel l schaftlichen Sprengstoff die Bismarck ´sche Finanzpolitik enthielt und wie au f geheizt die öffentliche Stimmung

1443 Vgl. Schatt (1998.1), S. 291. 1444 Vgl. Stürmer (1998), S. 270. 1445 Vgl. Vereinskalender (1886), S. 28. 1446 Zit. n. Stürmer (1998), S. 223. 1447 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 13. November 1886. 1448 Siehe Bildteil Abb. 41. 1449 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 19. Dezember 1887. 1450 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 19. Dezember 1887.

246 war. Doch auch wenn sich die Linksl iberalen für die Rechte der Besitzlosen ei n- setzten, gelang es ihnen nicht, die Arbeiter zu überzeugen. Mit den Wahlen zum 6. Reichstag 1884 hatte der von nun ab nicht mehr zu bremsende Zuwachs der Sozialdemokraten begonnen. 1451 Mochten auch Freisinnige und So zialisten gegen die Finanz - und Sozialpolitik Bismarcks aufbegehren, gegen die konservativen Interessen konnten sie sich nicht durc h setzen. 1452 Die Mitgliederentwicklung hatte sich zum Ende des Jahres 1887 durch zahlreiche Neuanmeldungen wieder en t- spannt, 1453 wa s sicherlich ein Ve r dienst von Rosenthals unermüdlichem Engag e- ment war, der seinem Verspr e chen treu blieb, „bis zum letzten Blutstropfen“ 1454 im Kampf gegen „das „Demogoge n tum in Gestalt der Christlich - Sozialen“ 1455 und „die sozialistischen Ideen“ 1456 auszuha r ren . Bei den Landtagswahlen im Juni 1888 beteiligte sich Rosenthal wieder aktiv am Wahlkampf. In der Urwahl für den Landtag am 21. Juni 1887 war er für den B e zirk Erlangen - Fürth (5. Urwahlbezirk) zum Wahlmann gewählt worden und hatte sich am Wahltag in Fürth einzufinden. 1457 Nationall i berale und Freisinnige hatten sich in der Zeit ihres Aderlasses wieder einander angenähert und ve r stä n- digten sich auf eine gemeinsame Zusammenarbeit. Als die Wahl des Fürther d e- mokratischen Abgeordneten Wilhelm Evora „wegen vorgekommener Wahl - Unregelmäßigkeiten“ 1458 für ungültig erklärt worden war, bot sich noch einmal die Möglichkeit, neue Fakten zu schaffen. 1459 Am Vorabend der Wahl teilte der Fürther Rechtsanwalt und Landtagsabgeordnete Wolf Gunzenhäuser Rosenthal mit, „die Nationa l liberalen seyen der Ansicht, er [Rosenthal, Verf.] habe so viel Einfluss, daß Notar Schätzler gewählt werden könne, wenn er nur wolle.“ 1460 Ernst Georg Schätzler (1823 - 1905) war von 1879 bis 1886 nationalliberaler Landtagsabgeordneter gewesen. 1461 Rosenthal wollte aber nicht. Sein Wunsc h- kandidat war der ihm freundschaftlich verbundene Erlanger Bürgermei s ter Dr. Georg Ritter von Schuh, 1462 der den Freisinnigen nahe stand, auch wenn er sich – gerade zur Zeit der Grabenkämpfe im Erlanger Zeitungskrieg zwischen Erla n ger

1451 Vgl. Kieseritzky (2002), S. 500. 1452 Vgl. Kieseritzky (2002), S. 467. 1453 Vgl. Kieseritzky (2002) , S. 467. 1454 Zit. n. BAB: N 2292 / 63, Bl. 10. 1455 Zit. n. BAB: N 2292 / 63, Bl. 9. 1456 Zit. n. BAB: N 2292 / 63, Bl. 9. 1457 Vgl. Verwaltungsbericht (1889), S. 66. 1458 Zit. n. Verwaltungsbericht (1889), S. 10. 1459 Vgl. Bauernfeind (2000), S. 126. 1460 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 13. Juli 1888. 1461 Vgl. Bauernfeind (2000), S. 455. 1462 Siehe Bildteil Abb. 40.

247 Tagblatt und Fränkischen Nachrichten – wohl um des lieben Friedens willen b e- tont unpolitisch darstellte. 1463 Unter großer Mühe versuchte Rosenthal Wolf Gunzenhäuser zu überzeugen, dass nur eine Kandidatur Georg von Schuhs Au s- sicht auf Erfolg hätte und organisierte für diesen erfolgreich den Wah l kampf. In der Nachwahl vom 5. Juli 1887 konnte Schuh die meisten Stimmen auf sich ve r- einen, und er zog in den Land tag ein. 1464 Das wichtigste politische Ereignis des Jahres 1888, das auch „Dreikaise r jahr“ genannt wird, war der Thronwechsel nach dem Tod Kaiser Wilhelms I. Sein schwerkranker Sohn, der mit der ältesten Tochter der Königin Victoria von Großbritannien verheir atet und den Liberalen zugeneigt war, regierte als Frie d rich III. für nur 99 Tage. Er verstarb unter dramatischen Umständen an Keh l kop f- krebs, sodass mit der Thronbesteigung seines Sohnes Wilhelm II. am 14. Juni 1888 eine Herrschergeneration übersprungen wurde. 1465 An eine liberale Verfa s- sungsreform nach englischem Vorbild war nicht mehr zu denken. 1466 Wilhelm II. war ausgesprochen antiliberal eingestellt und paradoxerwe ise s o wohl von einer irrationalen Ablehnung als auch Bewunderung Englands g e prägt, die teilweise als Ergebnis des schwer belasteten Verhältnisses zur Mutter gedeutet wird. 1467 Übe r- dies schrieben breite Kreise der deutschen Öffentlichkeit die Fehldiagnose und den Aufschub der Kehlkopfoperation Friedrichs III. dem auf Victorias Betreiben und gegen den Willen Wilhelms II. konsultierten engl i schen Arzt Sir Dr. Morell Mackenzie zu. 1468 Die familiären Verwerfungen des Kaiserhauses scheinen die weltpolitischen vorweggenommen zu h a ben. Der neue politische Kurs brachte das ganze Deutsche Reich in Bewegung. R o- senthal empfand ein dringendes Informationsbedürfnis und gewann im D e zember 1888 Stauffenberg zu einer allgemeinen politischen Vortragsveransta l tung, die einen Rekordbesuch von über dreihundertfünfzig Personen aufwe i sen konnte. 1469 Als 1889 der bis dahin größte Bergarbeiterstreik in Deutschland ausbrach, ve r- suchte Wilhelm II. dur ch einen persönlichen Vermittlungsversuch und Zug e-

1463 Zu Schuhs politischem Selbstverständnis siehe Hirschfelder (1991), S. 108 und Bauer n- feind (2000), S. 125. 1464 Vgl. Verwaltungsbericht (1889 ), S. 10. 1465 Vgl. Conze (1996), S. 201. 1466 Ausführlicher über den Kurswechsel durch Kaiser Wilhelm II. vgl. Häusler (1998.2), S. 308 - 331. Bismarck über Wilhelm II. siehe Bismarck (1928), S. 669 - 688. 1467 Ein e ausführliche Analyse hierzu und die Umstände der Erkrankung Friedrich III. bietet Massie (1991), S. 23 - 46. 1468 Weitere Quellenangaben zu diesem die deutsche Öffentlichkeit aufwühlenden Vo r gang siehe Goschler (2002), S. 478. 1469 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 10. Dezember 1888.

248 ständnisse an die Arbeiter zu schlichten und sie zu gewinnen. 1470 Dies leitete den Bruch mit Bismarck ein, der einen kompromisslosen Kurs gegen die Arbeiterb e- wegung vertrat, da ihm d ie Sozialdemokr a ten als die „schlimmsten Feinde“ 1471 der Monarchie galten. Von nun an wurde die Politik von der Frage der Verläng e- rung und Verschärfung des Sozialistengesetzes und den Kampa g nen des Staates gegen angebliche „Reichsfeinde“, 1472 Katholiken, Soziali sten, liberale Intellekt u- elle und Juden, beherrscht. Doch Bismarcks Kartell begann zu bröckeln: Am 25. Januar lehnte der Reichstag eine Verlängerung des Soziali s tengesetzes ab. 1473 Am 27. Januar 1890 hielt Rosenthal im Siebenkes´schen Gasthaus einen Vo r- trag über „die Sicherung der geheimen Wahl“. Rosenthal wandte sich hierbei auch entschieden gegen die Veränderung des Wahlrechts und die Einschrä n kung der persönlichen Meinungsfreiheit. In besonderer Weise kritisierte er die „Ka r- tellbrüder“ 1474 des Reichstages und verwahrte sich gegen den Vorwurf, reich s- feindlich zu sein: Die Freisinnigen hätten dieselbe „Liebe zum Vaterlande und dieselbe Begeisterung für Kaiser und Reich wie die Regierungsparte i en“, 1475 auch wenn sie nicht alle Maßnahmen der Regierung befürworteten. R o senthal rief alle Mi t glieder „zur fleißigen Agitation auf dem Lande“ 1476 auf. Anlässlich der Wahlen zum 8. Reichstag 1890 besuchte der Reichstagsabg e- ordnete Franz Freiherr Schenk von Stauffenberg am 12. Februa r 1890 erneut den Erlanger Freisinnigen Verein und trug die Hauptaufgaben des neu zu wä h lenden Reichstages vor. 1477 Stauffenberg sah die größten Herausforderungen in der L ö- sung der schwierigen Finanzfragen, der Auseinandersetzung um das S o zialiste n- gesetz und der Sozialpolitik. Die jüngsten kaiserlichen Erlasse, das Verbot der Sonntagsarbeit und die Einschränkung der Ki n derarbeit, wurden als erfreulich

1470 Vgl. Stürmer (1998), S. 244. 1471 Zit. n. Bismarck (1928), S. 676. 1472 Zit. n. Bismarck (1928), S. 634. 1473 Vgl. Stürmer (1998), 245. 1474 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 27. Januar 1890. Der rhetor i- sche Begriff der „Kartellbrüder“ leitete sich von dem Wahlkartell von 1887 ab. Als die Gese t- zesvorl a ge Bismarcks zur Heeresvermehrung im Reichstags scheiterte, ha tte er den Reichstag auflösen lassen. Unter propagandistischer Ausnutzung der Kriegsgefahr (Revanchismus des neuen französischen Kriegsministers Georges Boulanger und Balkankrise) schuf sich Bi s marck in den Neuwahlen mit dem Kart ell von Konservativen und Liberalen eine neue Meh r heit, die eine Verlängerung der Wahlperiode von drei auf fünf Jahre, die Truppenvermehrung und das Septennat (Festlegung der Heeresstärke auf sieben Jahre) sowie das Branntweinm o nopol b e- willigte. Vgl. Stürm er (1998), S. 234. 1475 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 27. Januar 1890. 1476 Ebenda. 1477 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 13. Februar 1890.

249 gewertet. 1478 Rosenthal organisierte den Wahlkampf vor Ort. Am Sc hluss der Versammlung forderte er dazu auf, sich g e schlossen hinter Franz Freiherr von Stauffenberg zu stellen und ließ Kaiser und Reich hochleben. 1479 Die Wahlen am 20. Februar 1890 brachten den Ruin des „Karte lls“. Die Fre i sinnigen und die S o- zialdemokraten konnten ihre Stimmen beinahe verdoppeln, während Nationallib e- rale und Konservative die Hälfte verloren. Doch stärkste Partei wurden die Soz i- aldem o kraten. 1480 Damit war Bismarck mit sei ner Politik und an den Gegensätzen zu Wilhelm II. gescheitert und reichte im März das Entlassungsg e such ein. 1481 Bismarck wollte seine Gegner bekämpfen, Wilhelm II. sie g e winnen. 1482 Auffällig an Rosenthals politisc her Einstellung ist seine klare Ablehnung der Sozialdemokratie, obwohl ihm ein Eintreten für die Rechte der Arbeiter immer wichtig war. 1483 Am 14. Oktober 1891 hatte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands auf ihrem 2. Parteitag in Erfurt „vulgärmarxistis che Grundsä t ze“ 1484 in ihr Parteiprogramm aufgenommen. Die Linksliberalen führten ab 1892 einen regelrechten Feldzug gegen die Sozialdemokraten. 1485 So rief R o se n thal in der Versammlung vom 7. November 1892 dazu auf, „gegen die hier zwar winzige, aber sehr rühri ge sozialdemokratische Partei entschieden vorz u gehen.“ 1486 Im August hatte August Bebel 1487 als sozialdemokratischer Reich s tagskandidat des

1478 Ebenda. Bei den Linksliberalen herrschte hinsichtlich der Erlasse all gemeine Zusti m mung. Über die Stellung der Freisinnigen zu Frauen - , Kinder - und Sonntagsarbeit vgl. Kies e ritzky (2002), S. 344 - 354. Bismarck hingegen verurteilte das Nachgeben des Kaisers hinsich t lich der „sozialistischen Forderun gen”. Zit. n. Bi s marck (1928), S. 619. 1479 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 13. Februar 1890. 1480 Vgl. Kieseritzky (2002), S. 500. Tabelle der Reichstagswahlen 1878 - 1893. Auswe r tung des Wahlausgangs siehe S. 3 83 - 389. 1481 Vgl. Stürmer (1998), S. 246. Über die Sicht Bismarcks hinsichtlich seiner Entlassung vgl. Bismarck (1928), S. 640 - 622. Wilhelm II. hatte vor allem Angst vor Bismarcks Kampfpr o- gramm und dessen Staatsstreichplänen, da er seine Regierungszeit nicht mit einem Blutbad beginnen wollte. Vgl. Kieseritzky (2002), S. 377. 1482 Vgl. Bismarck (1928), S. 606. 1483 Über das Verhältnis der Linksliberalen zur Sozialdemokratie vgl. Kieseritzky (2002), S. 449 - 457. 1484 Z it. n. Conze (1996), S. 226. 1485 Vgl. Kieseritzky (2002), S. 447. 1486 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 7. November 1892. 1487 August Bebel (1840 - 1913) war die beherrschende Figur der deu t schen Sozialdemokratie. Nac h Wanderjahren als Drechslergeselle in Süddeutschland ließ er sich 1860 in Leipzig nieder und gründete ein Kleinunternehmen. Als Marxist lehnte er im Gegensatz zu Ferdinand Lassa l le den Reformgedanken ab und prägte das Selbstverständnis der Sozialdemokrati e als revol u ti o- näre Klassenpartei. 1875 erfolgte die Vereinigung von Lassalles Allgemeinem Deutschen A r- beiterverein und Bebels Sozialdemokratischer Arbeiterpartei zur Sozialistischen Arbeite r partei,

250 Wahlkreises Erlangen - Fürth im Gasthaus „Deutscher Hof“ e i ne Partei - und G e- werkschaftsversammlung abg ehalten. 1488 Was Rosenthal und seinen Parteifreu n- den jedoch zutiefst widerstrebte, war die Vorstellung eines revolutionären Gesel l- schaftsumbruchs, also der Gedanke des Klasse n kampfes. Auch er fürchtete das Schreckgespenst der sozialen Revolution. Rosenthal wo l l te die Freisinnigen für die Arbeiter durch „Bele h rung“ und „ohne Ausübung von Druck“ 1489 anziehend machen und öffnen, was jedoch eindeutig nicht g e lang. Vor dem Hintergrund der wachsenden Macht der Sozialdemokratie erfol g te eine erneute liberale Sam m- lungsbe wegung: Der g e meinsame Kampf gegen die Sozialdemokratie bewirke eine Integration zerstrittener Parteiflügel. 1490 Auch Rosenthal forderte ein gemei n- sames Vorgehen von Nationalliberalen und Freisinn i gen bei der Landtagswahl 1892. 1491 Die größte Versammlung in der Geschichte des Freisinnigen Vereins wurde im März 1895 durchgeführt. 1492 Grund für die überparteiliche Zusamme n kunft, die von mehr als sechshundert Personen besucht wurde, war die gemeinsame Vera b- schiedung einer Resolution gegen die sogenannte Umsturzvorlage. Vor dem Hi n- tergrund des ungebremsten Wachstums der Sozialdemokraten erwog Kaiser Wi l- helm II. nun selbst Staatsstreichpläne und versuchte gegen den W i derstand Leo Graf von Caprivis, dem Nachfolger Bismarcks als Reichskanzler, ein entspr e- chendes Kampfgesetz gegen die Sozialdemokratie im Reichstag durchzubri n- gen. 1493 Doch Leo Graf von Caprivi war hierfür nicht zu gewinnen und reichte seinen Abschied ein. Wegen der Umsturzvorlage kam es zu erbitte r ten politischen Aueinandersetzungen. Die unter Federführung des Freisinnigen Vereins vera b- schiedete Resolution beschrieb das geplante Gesetz als „eine B e drohung der Freiheit des Gedankens, des Gewissens und des Wortes sowie der Wissenschaft

die seit 1890 Sozialdemokratische Partei Deutschlands hie ß. Seit 1884 wohnte der zum Gro ß- unternehmer aufgestiegene pragmatische Politiker in einer Villa am Züricher See. Sein literar i- sches Hauptwerk war das 1883 erschiene Buch „Die Frau und der Sozialismus“. Vgl. Roedig (1998), S. 260 - 274. 1488 Vgl. Jakob (2000), o . S. 1489 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 7. November 1892. Diese Ha l- tung ist typisch für den „individuelle[n], bedingt interventionistische[n] Liberalismus“ Eduard Laskers. Zit. n. Kieseritzky (2002), S. 484. Sie war von der Vorste llung bestimmt, die soziale Frage durch Erziehung der Arbeiter lösen zu können. Dabei sollte die Selbstverantwortung des Einzelnen erhalten und gefördert werden, ohne durch den „Staatssozialismus“ gehemmt zu werden. 1490 Vgl. Kieseritzky (2002), S. 445. 1491 Vg l. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 7. November 1892. 1492 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 18. März 1895. 1493 Vgl. Stürmer (1998), S. 255 u. 274.

251 und der Lehre und ersucht[e] de n hohen Reichstag um Deutsc h lands Kulturste l- lung willen, die Vorlage abzulehnen.“ 1494 Tatsächlich scheiterte die Vorl a ge im Reichstag. Rosenthals Name erscheint 1901 noch einmal im Zusammenhang mit einer R e- solution gegen die Erhöhung der Getreidezölle an den Reichstag. 1495 Weit e res Engagement ist für die Folgezeit nicht mehr dokumentiert. Rosenthal b e gann sich von nun an aus den politischen Kämpfen zurückzuziehen. Die Aufl ö sung des Freisinnigen Vereins 1910 vollzog sich ganz im Kielwasser der U m wan d lung der Freis innigen Volkspartei in die Fortschrittliche Volkspartei. 1496

1494 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 18. März 189 5. 1495 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 125, o. S. Sitzungsprotokoll vom 3. Mai 1901. 1496 Die Freisinnige Volkspartei, Die Freisinnige Vereinigung und die Fortschrittliche Volk s pa r- tei vereinigten sich 1910 zur Fortschrittlichen Volkspartei. Dieser Zusammenschluß ergab s ich aus dem Protest gegen die konservativ - agrarische Machtkonzentration. Vgl. Stürmer (1998), S. 344.

252 3.6.3. Das Koll e gium der Gemeindebevollmächtigten

Rosenthals Tätigkeit als Gemeindebevollmächtigter 1497 der Stadt Erlangen b e gann mit seiner Wahl am 17. November 1884. 1498 Die Wahl erfolgte für die Dauer von neun Jahren. Für die Wahlperiode 1894/1902 wurde Rosenthal wi e derg e wählt, doch schied er auf eigenen Wunsch 1897 vorzeitig aus. Er machte für sein Au s- scheiden den Paragraphen 80 der Gemeindeordnung geltend:

„(1) Bürgerliche Magistratsmitglieder sind w egen erwiesener körperlicher oder geistiger Dienstunfähigkeit oder wegen zurückgelegten sechzigsten Lebensjahres zum Austritte berec h- tigt.

(2) Der Austritt muß erfolgen, wenn ein bürgerliches Magistratsmitglied die zur Wählba r- keit erforderlichen Eigenschaf ten verliert, oder wenn Verhältnisse eintreten, welche die For t- führung des Amtes unmöglich machen.

(3) Ueber die Zulässigkeit oder Nothwendigkeit des Austrittes entscheidet der Magistrat mit Zustimmung der Gemeindebevollmächtigten.“ 1499

Die beiden Kollegien g enehmigten sein Gesuch unter größtem Bedauern. 1500 Im Jahresabschlussbericht vom Dezember 1897 heißt es:

„Im Monat Juni verlangte der Hr. Professor Dr. Rosenthal ebenfalls unter Beziehung auf die vorher genannten Paragraphen [gemeint sind die vorher erwähnten §§ 80 und 100 der G e mei n- deordnung., Verf.] seine Entlassung. So mußte das Kollegium zu seinem tiefsten Beda u ern für die Zukunft auf die Dienste (...) des langjährigen ungemein eifrigen u. v. Wohlwollen für d. Gemeinwesen erfüllten Mi t glieds verzichten.“ 1501

1497 Das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten war die Vertretung der Einwohner mit Bü r- gerrecht. Sie bestand aus ehrenamtlichen Gemeindebürgern, die nach de m Zensuswah l recht, d. h. nach dem höchsten Steuersatz und seit 1869 in direkter geheimer Wahl gewählt wurden. Mit dem Magistrat als Exekutivorgan bildete das Kollegium das Zweikammersystem der Stadtve r- waltung. Vgl. Rimscha (2002), S. 305 u. 665. 1498 Vgl. Ver waltungsbericht (1886), S. 66. 1499 Vgl. Kahr (1896), S. 750. 1500 Vgl. SAE: 7. B. 10, o. S. Sitzungsprotokoll vom 31. Dezember 1897. 1501 Ebenda.

253 Rosenthal wurde noch einmal der „Dank und die vollste Anerkennung für die langjährige ersprießliche Thätigkeit“ 1502 ausgesprochen. Rosenthal begründ e te zwar seinen Schritt mit seinem fortgeschrittenen Alter, doch ist sein Aussche i den in direktem Zusammenhang mit seiner „Gotteslästerung“ zu sehen, wie nachfo l- gend aufgezeigt wird.

3.7. Rose n thals Fehltritt

Der Vorfall, der 1897 in Erlangen sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Ku l- tusministerium für einigen Wirbel sorgte, war eine unbedachte Äußerung, die R o- se nthal im Rahmen einer Vorlesung gemacht hatte und die ihm den Vorwurf der „Kränkung religiöser Gefühle“ 1503 einbrachte. Es war der antisemitische Zeitgeist, der seiner Äußerung eine dem Sachverhalt nicht unbedingt angeme s sene Schwere gab und zu einem anderen Zeitpunkt sicherlich weniger Wide r spruch hervorger u- fen hätte. Seit den achtziger Jahren jedoch war eine beachtl i che Veränderung des politischen Klimas zu spüren, zumal die andauernde wir t schaftliche Depression seit dem Gründerkrach 1873 dem Einfluss des Ju de n tums angelastet wurde. 1504 Einer der bekanntesten Historiker Deutschlands, Heinrich von Treitschke , 1505 ha t- te im November 1879 den sogenannten Antisemitismusstreit ausgelöst, nachdem er den sich zum Schlagwort entw i ckelnden Sa tz „die Juden sind unser U n- glück“ 1506 in seinem Aufsatz „Unsere Aussichten“ zitiert hatte. 1507 An den Reichskanzler Bismarck war eine Antisemitenpetition gerichtet worden, die im folgenden Jahr durch ganz Deutschland lief und von einer Viertelmillion Bürgern

1502 Zit. n. Verwaltungsbericht (1897), S. 12. 1503 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Meldung des Prorektors Osk ar Eversbusch an das Kutusministerium vom 25. Mai 1897. 1504 Vgl. Volkov (2000), S. 47. 1505 Heinrich von Treitschke (1834 - 1896) war Professor für Geschichte in Berlin. Von 1871 bis 1884 war er Reichstagsmitglied, gehörte zunächs t der N a tionalliberalen Partei an, ab 1881 war er fraktionslos. Vgl. Kieseritzky (2002), S. 515. Er gab die „Preußischen Jahrbücher“ he r aus. Sein bekanntestes Werk ist die „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert“, die ebenfalls 1879 erschien. Vgl. Stürmer (1998), S. 262. 1506 Treitschke, Heinrich von: Unsrer Aussichten. In: Preußische Jahrbücher. Bd. 44. Be r lin. 1879. S. 559 - 576, hier 575. Zit. n. Trepp (1996), S. 137. 1507 Über das Judentum zwischen formaler Gleichberechtigung, Zionismus und Antisemiti s mus in de n Jahren 1871 bis 1918 vgl. Wolff (1988), S. 127 - 130.

254 unterschrieben wu r de. 1508 Der Berliner Hofprediger Adolf Stoecker vergiftete z u- dem die öffentl i che Meinung mit seiner Hetze gegen das Judentum. 1509 Auch die Konservative Partei nahm auf ihrem Parteitag im Dezember 1892 antijüdische Paragraphen in ihr Parteiprogramm auf. 1510 Als direkte Reaktion auf den Antis e- mitismus hatte sich gegen Ende des Jahres 1890 auf Initiative einer Gruppe fü h- render liberaler Politiker der Verein zur Abwehr des Antisemitismus gebildet. 1511 Parall el wuc h sen außerdem die öffentlichen Bestrebungen der Juden, wieder e i- nen eigenen Staat in Palästina zu gründen, wie dies auf dem von dem österreich i- schen Jou r nalisten Theodor Herzl einberufenen ersten zionistischen Wel t kongress in B asel im August 1897 zum Ausdruck kommen sol l te. 1512 In diese wachsende antijüdische Stimmung hinein machte Rosenthal am 18. Mai 1897 vor den Teilnehmern seines physiologischen Kolloquiums im Ra h men eines elektrophysiologischen Versuchs die Bemerkung: „Sehen S ie, der Frosch ist so befestigt wie Christus am Kreuze.“ 1513 Er hatte Zusammenziehung und Au s- dehnung des Herzens darstellen wollen und daher den Frosch an einem Holzg e- stell befestigt. Dieser Vergleich hatte dazu geführt, dass der zweite Stadtpfarrer von Erlan gen und Älteste im Kirchenvorstand (Senior) Konrad Matthias Ittameier beim akademischen Senat sowie dem Prorektor der Univers i tät Oscar Eversbusch 1514 Beschwerde einlegte und beantragte, Rosenthal „ dera r tige Aeuß e- rungen auf das Entschiedenste zu verweisen.“ 1515 Diese Anzeige war der eigentl i- che Auslöser für das universitäre Disziplinarverfahren. Außerdem verbreitete sich die Angelegenheit rasch über die lokale Presse hinaus in ve r schiedenen Gegenden

1508 Dr. Bernhard Förster, Lehrer am Friedrich - Wilhelm - Gymnasium in Berlin und späterer Schwager von Friedrich Nietzsche , hatte mit dem Leipziger Pr o fessor Friedrich Zöllner di ese Petition initiiert. Der Wortlaut der Petition findet sich bei Wolff (1988), S. 140 - 142. 1509 Vgl. Trepp (1996), S. 172. 1510 Vgl. Volkov (2000), S. 51. 1511 Vgl. Volkov (2000), S. 60. 1512 Ausführlicher zum Zionismus siehe Wolffsohn, Michael: Die ungeliebten Juden . Israel – Legenden und Geschichten. Diana Verlag. München. 1998. 1513 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Abschlussbericht des Kultusministeriums vom 16. September 1897. 1514 Oscar Eversbusch (1853 - 1912) hatte zunächst in Tü bingen Evangelische Theologie und Klassische Philologie studiert und war ab dem WS 1872/73 zum Medizinstudium nach Stra ß- burg, Berlin und Bonn gewechselt. 1882 habilitierte er sich für Augenheilku n de in München. Zum SS 1886 wurde er Ordinarius für Augenheil kunde und Leiter des Augenheilkundlich - klinischen Instituts an der Chirurgischen Klinik in Erlangen. 1900 wechselte er als Professor der Augenheilkunde und Direktor der Augenklinik nach Mü n chen. Vgl. Wittern (1999), S. 38. 1515 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Schreiben des Prorektors Eversbusch an das Königliche Staatsministerium des Innern für Kirchen - und Schulangelegenheiten vom 25. Mai 1897.

255 des Deutschen Reiches: Die in Barmen - Elberfeld e r schienene Westdeutschen Ze i tung Nr. 119 veröffentlichte am 22. Mai einen A r tikel, aufgrund dessen nun auch die königliche Staatsanwaltschaft gegen Rose n thal „wegen Vergehens wider die Religion gemäß § 166 des R eichsstrafgeset z buches“ 1516 öffentlich Klage e r- hob. Daraufhin leitete der Untersuchungsrichter beim Königlich - Bayerischen Landgericht Fürth die Voruntersuchungen ein. Bei der Anklage hat höchstwah r- scheinlich auch Denunziation mitgewirkt. 1517 Übe r dies war das Ger ücht verbreitet worden, dass die katholische Studentenverbi n dung „Gothia“ Rosenthal angezeigt hätte, wogegen dieselbe sich jedoch en t schieden verwahrte. 1518 Nachdem „die Sache bereits in der Presse verschiedener Gegenden des deu t- schen Reiches zur Sprache geko mmen“ 1519 war, hielt Prorektor Oscar Eversbusch sich und den akademischen Senat für nicht mehr berechtigt, von eigenen diszipl i- naren Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Da er sich wohl auch scheute, eine eigene Entscheidung zu treffen, le i tete er am 25. Mai 1897 die Beschwerde an das Staatsministerium des Innern für Kirchen - und Schula n gelegenheiten we i- ter. 1520 Rosenthal hatte bereits am 24. Mai in der Vorlesung erklärt, wie der Ve r- gleich gemeint war und sein Bedauern über den entstand e nen Unmut ausg e- drückt, 1521 doch hatte dies nicht verhindern kö n nen, dass in der Presse falsche Darstellungen verbreitet wurden: Am 25. Mai erschien in der konservativ - antisemitischen Süddeutschen Landpost ein Artikel, der behaupt e te, „die Bu r- schenschaft Bubenrut ia beabsichtige, gegen Herrn Professor Rose n thal vorzug e- hen“. 1522 Da dies nicht der Wahrheit entsprach, wandte sich die Burschenschaft

1516 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Schreiben des Untersuchungsrichters Krüger an den Pror ektor der Universität Erlangen vom 5. Juni 1897. 1517 Grundlage für die Zeitungsartikel waren offensichtlich Briefe an die entsprechenden R e da k- tionen. Aus den Fränkischen Nachrichten vom 25. Mai 1897 ist z. B. ersichtlich, dass die Ze i- tung Bayerisches Vaterla nd einen Brief erhielt, der den Vergleich Rosenthals anzei g te und die Vorlage beim Kultusministerium forderte. Im „Protokollbuch der Ehrengerichte der Bu r sche n- schaft der Bubenreuther“ findet sich unter dem 30. Mai 1897 der Eintrag, dass ein g e wisser Herr S cherler aus Friedeburg in Preußen die Burschenschaft aufgefordert habe, „den Fall R o- senthal bei der Staatsanwaltschaft anhängig zu machen“. Zit. n. SAE: III. 72. R. 1, o. S. Brief der Burschenschaft der Bubenreuther an Frau Ilse Sponsel vom 15. März 1978. 1518 Vgl. Frankfurter Zeitung. Zweites Morgenblatt. Nr. 151. 41. Jahrgang. 1. Juni 1897. S. 2. 1519 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Schreiben des Prorektors Ebersbusch an das Königliche Staatsministerium des Innern für Kirchen - und Schulangelegenheiten vom 25. Mai 1897. 1520 Ebenda. 1521 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Abschlussbericht des Kultusministeriums vom 16. September 1897, S. 3. 1522 Zit. n. Korrespondenzbuch . Schreiben der Burschenschaft der Bubenreuther an die Red a k- tion der Süddeutschen Landpost vom 27. Mai 1897.

256 an die Redaktion der Süddeutschen Landpost und fo r derte eine Berichtigung in der nächsten Ausgabe sowie den Urheber der Fals c h angabe zu nennen. Am 26. Mai erschien in den Fränkischen Nachrichten eine entspr e chende Notiz, dass sie [die Burschenschafter, Verf.] „weder die Absicht hätten gegen Herrn Professor Rosenthal vorzugehen, noch sich in irgendeiner Weise in die Angelegenhei t ei n- mischen wollten“. 1523 Auch an Rosenthal ging ein Brief gleichen Inhalts. Doch dass damit die Angelegenheit noch nicht au s gestanden war, belegt ein Artikel, der in der Akademischen Turnzeitung veröffentlicht wurde:

„Erlangen. Einen berechtigten Sturm des Unwillens und der Entrüstung hat Professor R o- senthal gegen sich heraufbeschworen, indem er im Kolleg bei den D e monstrationen an einem vivisezierten Frosch einen blasphemischen Vergleich mit Christus am Kreuze gezogen hatte. Seine Freunde suchten ihn zu ver theidigen und die Sache als mö g lichst harmlos hinzustellen, doch selbst das Organ des ´Vereins zur Abwehr des Antisemiti s mus´ ließ den Herrn Professor fallen und schrieb: ´So sehr jetzt auch der genaue Sachverhalt die Worte des Professors R o se n- thal mildert , es bleibt bestehen, daß dieser Mann durch eine schändliche Aeußerung die Em p- findungen der christlichen Mitbürger tief verletzt hat. Wenn irgend ein hergelaufener galiz i- scher Schnorrer aus der Tiefe seiner Unbildung he r aus ein freches Wort gebraucht, kann man ihm mildernde Umstände zuschreiben. Aber ein Mann, der auf der Höhe moderner Bi l dung steht, der als Jude im Leh r amt seine Pflicht doppelt streng nehmen muß, kann für seine That nichts ins Feld führen. Der Unwille, der durch ganz [!] Deutschland geht u nd sich schmer z lich auf seine Glaubensgenossen ergießt, wird nun und nimmer durch die harmlose Erklärung b e- sänftigt, er habe Niemandes Religion verletzen wollen.´ - Eine Nachricht, daß Rosenthal, gegen den die Staatsanwaltschaft infolge dieses häßlichen Vo rganges eine Unte r suchung eingeleitet hat, auf seine Professur verzichtet hat, wird von der ´Frankf. Zeitung´ als unrichtig bezeichnet. Nichts desto weniger ge l ten die Tage des Rosenthalschen Lehramtes als gezählt.“ 1524

Hier wird deutlich, welche Kreise Rose nthals Äußerung gezogen hatte. Rose n thal musste sogar mit seiner Entlassung aus dem Staatsdienst rechnen. Die Frankfurter Zeitung bewertet den Pressewirbel als „eine förmliche Hetze gegen Professor R o- senthal.“ 1525 Der Untersuchungsrichter beim Königlich - Bayer ischen Landgericht Fürth, Krüger, forderte schließlich am 5. Juni eine Li s te der am Kolloquium tei l- nehmenden Studenten an und kündigte Vernehmu n gen für den 16. Juni 1897 an; Rosenthal wurde gebeten, um 10 Uhr vorstellig zu werden. 1526 Die Vernehmu n-

1523 Vgl. Korrespondenzbuch . Schreiben der Burschenschaft der Bubenreuther an die Redakt i- on der Süddeutschen Landpost vom 27. Mai 1897. 1524 Akademische Turnzeitung. Band 14. 1897/98, S. 213, zit. n. Schindler (1 987), S. 66. 1525 Zit. n. Frankfurter Zeitung. Zweites Morgenblatt. Nr. 151. 41. Jahrgang. 1. Juni 1897, S. 2. 1526 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Schreiben des Untersuchungsrichters Krüger an den Prorektor der Universität Erlangen vom 5. Juni 1897.

257 gen wurden in einem Raum des Kollegienhauses durchgeführt. Rosenthal beteue r- te in der Untersuchung, er habe den Vergleich lediglich ange - wandt, um den en t- fernt sitzenden Studenten die Art der Befest i gung deutlich zu machen. 1527 Nach Ablauf der Voruntersuchungen hielt di e Staatsanwaltschaft die Klage gegen R o- senthal aufrecht, da sie Rosenthals Äuß e rung als Vergehen wider die Religion gemäß § 166 des Reichsstrafgesetzbuches und „eventuell wegen groben Unfugs nach § 366 Ziffer 10 des Reichsstrafg e setzbuches“ 1528 betrachtete. D ie Stra f- kammer des Landgerichts Fürth stellte j e doch das Verfahren mit Beschluss vom 14. Juli ein. Gegen diesen Beschluss legte die Staatsanwaltschaft Widerspruch ein, sodass das Verfahren an das Oberlandesgericht in München abgegeben wurde. Dieses wies ebenfalls die Klage gegen Rosenthal am 22. Juli als unb e- gründet ab. Im Abschlussbericht des Staatsministeriums des Innern für Kirchen - und Schulangelegenheiten findet sich der Hinweis, dass in der betreffenden Vo r- lesung 47 der anwesenden 56 Zuhörer die Be merkung Rosenthals rein sachlich verstanden und nicht den Ei n druck hatten, dass er Christus mit dem Frosch ve r- gleichen, sondern nur die Art der Anbringung des Frosches veranschaulichen wollte. Allerdings wurde auch festgestellt: „ (...) 9 Hörer waren über die Äuß e- rung teils erstaunt, teils entrüstet und fühlten sich – manche nur für den Auge n- blick, manche auch später – in i h ren religiösen Empfindungen unangenehm b e- rührt beziehungsweise verletzt“ 1529 und hatten dies „auf studentische Weise durch Scharren mit de n Füßen“ 1530 zum Ausdruck gebracht. Von dem Vorwurf, ein ö f- fentliches Ärgernis bewirkt zu h a ben, wurde Rosenthal freigesprochen, weil die Äußerung im Rahmen eines wi s senschaftlichen Kolloquiums erfolgte. Obwohl das Verfahren schließlich eingestellt wurde, br achte das Staatsmini s t e- rium dem Prorektor und Rosenthal gegenüber unmissverständlich seinen Ä r ger über den Vorfall zum Ausdruck. Es hielt dessen Bemerkung für „vollständig u n- angebracht und geeignet, die religiösen Empfindungen seiner Zuhörer zu ve r le t- zen.“ 1531 Rosenthal hätte dies durch größere Vorsicht vermeiden können und so l- len, und das Staatministerium könne „nicht umhin, seinem Bedauern und Mißfa l-

1527 Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Abschlussbericht des Kultusministeriums an den Prorektor der Universität Erlangen vom 16. September 1897, S. 3. 1528 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Abschlussbericht des Kultusministeriums an den Pror ektor der Universität Erlangen vom 16. September 1897, S. 2. 1529 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o S. Abschlussbericht des Kultusministeriums an den Prorektor der Universität Erlangen vom 16. September 1897, S. 3. 1530 Zit. ebenda. 1531 Zit. n. UAE: R. Th . II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Abschlussbericht des Kultusministeriums an den Prorektor der Universität Erlangen vom 16. September 1897, S. 5.

258 len über das fragliche Vorkommnis Ausdruck zu geben.“ 1532 Aus dem Sachve r- halt „Kränkung religiöser Gefühle“ war a uf dem Dienstweg beim Staatsminister i- um schließlich „Anklage wegen Gotteslästerung“ 1533 geworden.

Wie sehr diese Unachtsamkeit Rosenthals weiterem Ansehen und Fortkommen geschadet hat, belegt der Umstand, dass Rosenthal zehn Jahre lang keine köni g l i- che Ausze ichnung erhielt. Erst 1908, als über zehn Jahre vergangen waren, b e- kundete das Staatsministerium in seinem Antrag an den Prinzregenten Lui t pold , dass nun wohl genug Zeit seit dem bekannten Vo r fall vergangen sei und einer Ausze ichnung Rosenthals nichts mehr im Wege stehe. 1534 Rosenthal war nur deswegen noch nicht früher mit dem Titel eines „Geheimen Hofrats“ 1535 ausg e- zeichnet worden, weil 1897 ein Disziplinarverfahren gegen ihn ang e strengt wo r- den war, das trotz des Freispruchs zweier Gerichte vom Kultusm i ni s terium als „Verfehlung“ 1536 betrachtet wurde. Dass Rosenthal im Juli 1897 aus dem Kollegium der Gemeindebevollmäc h ti g- ten in Erlangen ausschied, steht hiermit höchstwahrscheinlich in Zusamme n- hang. 1537 Es ist denkbar, dass Rosenthal wegen des heftigen Echos in der Presse ein öffentliches Amt mit Verantwortung für die Stadt nicht mehr bekleiden konnte oder wollte. Für sein Rücktrittsgesuch machte er den § 80 der Bayer i schen G e- meindeordnung geltend. Rosenthal war gerne Mitglied im Kollegium d er G e- meindebevollmächtigten. Dies kam unmissverständlich in dem Dan k schreiben zum Ausdruck, das er anlässlich der Verleihung des Ehrenbürgerrec h tes an M a- gistrat und Gemeindekollegium richtete:

„ (...) Unvergessen wird mir die Zeit bleiben, während ich als Mitglied des Kollegiums der Gemeinde - Bevollmächtigten selbst mitwirken konnte, das was die umsichtige Leitung der stä d- tischen Angelegenheiten erstrebte ins Leben zu rufen und zur Wirkung zu bringen. Aber auch nachher hat meine lebhafte Teilnahme an allem, was das Wohl der Stadt betrifft nicht nachg e- lassen (...).“ 1538

1532 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Abschlussbericht des Kultusministeriums an den Prorektor der Univers ität Erlangen vom 16. September 1897, S. 1. 1533 Ebenda. 1534 Vgl. BayHStA: MK 40510, o. S. Antrag des Kultusministeriums an den Prinzen Luitpold vom 20. Juni 1908, S. 4. 1535 Zit. ebenda. S. 6. 1536 Ebenda. 1537 Vgl. Verwaltungsbericht (18 99), S. 12. 1538 Zit. n. SAE: 6. A. II. 711, o. S. Dankschreiben Rosenthals an den Magistrat und das G e- meindekollegium vom 19. Juli 1906.

259 Aus dieser Formulierung ist zu schließen, dass Rosenthal selbst den Austritt aus dem Kollegium nicht ohne äußeren Sachzwang vollzogen hat. Es ist unwah r- scheinlich, dass er ohne äußere Notwendigke it – egal, ob nur selbst empfunden oder dem Drängen anderer nachgebend – eine Betätigungsfeld preisgab, auf dem er sich so glänzend entfalten konnte. 1539 Außerdem waren Magistratsmi t glieder oder Gemeindebevollmächtigte nur im Falle körperlicher oder geistiger Dienstu n- fähigkeit zum Austritt berechtigt oder wenn sie das sechzigste Leben s jahr z u- rückgelegt hatten. 1540 Dabei ging man von der Vorstellung aus, dass die Fortfü h- rung des Gemeindeamtes eine Pflicht sei, deren sich der G e wählte nur aus den genannten Gründen entziehen konnte. Rosenthals ausgeprägtem Pflichtgefühl wird ein grundloses Ausscheiden zutiefst widersprochen haben. Zudem entschied entsprechend dem Artikel 3 des § 80 der Magistrat und das Kollegium der G e- meindebevollmächtigten über die Zulässigkeit des Aussche i dens. Rosenthals G e- such wurde „mit tiefstem Bedauern“ 1541 entsprochen. M a gistrat und Gemeind e- kollegium sahen wohl bei dem Wirbel um die vermeintl i che Gotteslästerung ke i- nen Umstand, der Rosenthal zum Rücktritt gezwungen hätte. Denn gemäß Artikel 2 de s genannten Paragraphen hätte ein Rücktritt e r folgen müssen, wenn ein Mi t- glied „die zur Wählbarkeit erforderlichen Eige n schaften verliert, oder wenn Ve r- hältnisse eintreten, welche eine Fortführung des Amtes unmöglich m a chen“. 1542 Allerdings darf nicht überseh en werden, dass dieser Standpunkt von Magistrat und Gemeindekollegium erst formuliert wurde, als sich die Wogen schon geglä t- tet hatten und ein Vierteljahr vergangen war. Möglicherweise stellte sich die Lage auf dem Höhepunkt der Veröffentl i chung in der Pre sse anders dar. Aus heutiger Sicht stehen die Folgen der Äußerung Rosenthals sicher nicht in angemessenen Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Bedeutung. Allerdings wird man wohl nicht umhin können, auch heute noch eine gewisse Geschmacklosi g keit an der Form ulierung zu finden. Doch lässt sich eine derartig überschieße n de Reakt i- on nur im Hinblick auf das zunehmend antisemitische Klima dieser Zeit verst e- hen. Es ist ferner sehr wahrscheinlich, dass die Pressemeldungen von konservat i- ven Kreisen aus dem einfachen Grunde aufgebauscht wurden, um Rosenthal, der wegen seines Redetalents als politischer Agitator allgemein b e kannt war, 1543 pa r- teipolitisch auszuhebeln und seinen Einfluss in Erlangen ei n zudämmen, da wieder Wahlen anstanden. Der Vorfall zeigt zudem eindruck s vo ll die zunehmende Macht der M e dien und ihre Wirkung auf die öffentliche Meinung.

1539 Vgl. Kap. 3.6.3., S. 240 . 1540 Vgl. Kahr (1896), S. 751. 1541 Zit. n. SAE: 7. B. 10, o. S. Sitzungs protokoll vom 31. Dezember 1897. 1542 Zit. n. Kahr (1896), S. 751. 1543 Vgl. SAE: 6. A. Nr. II, o. S. ET 58. Jahrgang. Nr. 2. 4. Januar 1915.

260 3.8. Gesellschaftliche Wirkungskreise Rose n thals

3.8.1. Die Physikalisch - Medizinische Sozietät zu Erlangen

Untrennbar mit Rosenthals Wirken als Naturwissenschaftler, Forscher und Ph y s i- ologe ist das Bestehen einer Erlanger Gruppe von Gelehrten, die zu den älte s ten dieser Art in Deutschland überhaupt gehörte. 1544 Als Rosenthal 1872 seine Täti g- keit in Erlangen begann, wurde er sogleich in diese Gesellschaft, die Ph y sik a- lisch - Medizini sche Sozietät zu Erlangen, aufgenommen. 1545 Sie blieb die Einric h- tung, welcher er seine gesamten Versuchs - und Forschungsergebnisse mitteilte und zu deren Mitgliedern er feste und über den universitären Rahmen weit hi n- ausgehende Beziehungen und Freundschaften aufbaute, wie z. B. die schon e r- wähnte zu Wilhelm von Leube , der seit 1869 Privatdozent für Innere Medizin war und später hierfür die Professur b e kleidete. 1546 Die Physikalisch - Medizinische Sozietät war der Ort, wo Rosenthal seine wissenschaftlichen A r beiten zuerst vo r- stellte und im Kollegenkreis disk u tierte. Sein Forscherleben lässt sich an Hand der Sitzungsberichte der Gesellschaft gut reko n struieren. Sie dokumentieren sein gesamtes Werk. Seine ersten und letzten Veröffentlichu n ge n sind hier zu finden. Sie beginnen mit der Mitteilung über Versuche zur e n zymatischen Spaltung von Eiweißen, 1547 die er mit Wilhelm von Leube durchg e führt hatte, und enden mit der Festrede 1548 bei der Jahrhundertfeier der Physik a lisch - Medizinischen Sozietät in der Aula der Universität am Vormittag des 27. Juni 1908. Die Festrede zu ha l- ten, muss für Rosenthal eine besondere Au s zeichnung und Ehre g e wesen sein, wenn in Betracht gezogen wird, wie viele andere verdienstvolle Ärzte und Fo r- sc her aus der Gesellschaft hervorgegangen waren. Mit der Festr e de allerdings verstummte Rosenthal als Wissenschaftler, in ihr kam zum A b schluss, was sein Lebenswerk ausgemacht hatte. Wie war diese Gesellschaft entstanden, auf deren Boden so viele Forscher r e i- che Erträge ihrer wissenschaftlichen Arbeit ernten durften? Max Noether 1549 b e-

1544 So urteilte Wilhelm von Leube anlässlich des 75. Stiftungsfestes der Gesellschaft. Vgl. Leube (1883), S. VI. 1545 Vgl. Ka p. 3.5.1.1., S. 175 . 1546 Vgl. Kap. 3.2., S. 156 . 1547 Vgl. Kap. 3.5.1.2., S. 176 . 1548 Vgl. Rosenthal (1908.1). 1549 Max Noether (1844 - 1921) war seit 1888 ordentlicher Professor der Mathematik in Erla n- gen. Nach seiner Tätigkeit an der Mannheimer Sternwarte hatte er 1866 in Heide l berg unter

261 schrieb sie 1908 anlässlich des hundertjährigen Jubiläums als „die älteste u n ter den kleineren Gesellschaften in Deutschland, die zugleich die Medizin und die Naturwissenschaften gepflegt haben.“ 1550 Sie war ein Kind der französ i schen B e- satzung, welche auf viele Gelehrte in Deutschland eine anregende Wirkung au s- geübt und eine nationale Erweckung eingeleitet hatte. 1790 wurde dem preuß i- schen Freiherrn Karl August v on Hardenberg (1750 - 1822) die la n desherrliche Gewalt über die Fürstentümer Ansbach und Ba y reuth übertragen, nachdem Fürst Alexander, der letzte fränkisch - brandenburgische Markgraf, se i ne Gebiete in e i- nem geheime n Vertrag an den preußischen König Friedrich Wilhelm II. abgetr e- ten hatte. 1551 Als Gegenleistung hatte er eine Pension und ein Anwesen in En g- land erhalten. Karl August von Hardenbergs Name ist u n trennbar mit den preuß i- schen Refor men verbunden, deren Einfluss sich später auch auf die Erlanger U niversität bemerkbar machte. 1552 Besonders die med i zinische Fakultät und die ihr zugeordneten Naturwissenschaften wurden von Hardenberg gefö rdert, was zur Neubesetzung ein i ger Professuren führte. 1553 Nach dem Sieg Napoleon s über Preußen in der Schlacht von Austerlitz wurde Preußen 1806 gezwungen, die Fürstentümer Ansbach und Bayreuth, zu we l chem ja auch Erlangen gehört e, an Frankreich abzutreten. 1810 wurden sie Ba y ern a n- gegliedert. Unter der Fürsorge des französ i schen Intendanten Camille de Tournon konnte sich die Universität trotz der politischen Verwicklungen gut entwickeln und gehörte nac h dessen Einschätzung bald zu den bedeutendsten in Deutsc h- land. 1554

Gustav Robert Kirchhoff ein Studium der theoretischen Physik begonnen und in Gießen und Göttingen fo rtgesetzt. 1870 habilitierte er sich in Heidelberg und wurde 1875 außerordentl i- cher Professor in Erlangen. Vgl. Geyer, W. - D.: Max Noether . In: Erlanger Stadtlexikon. Tümmels Verlag. Nürnberg. 2002, S. 525. Seine Familie hatte eine enge Beziehung zum Ha u se Rose n thal. 1550 Noether, Max: Geschichte der Physikalisch - Medizinischen Sozietät zu Erlangen im ersten Jahrhundert ihres Bestehens 1808 – 1908. In: Festschrift der Physkalisch - Medizinischen Soz i e- tät zu Erlangen zur Feier ihres 100jährige n Bestehens. Erlangen. 1908, S. 1. Zit. n. Weisser (1986), S. 3. Schon 1903 hatte Adolf von Strümpell, der damalige 1. Vorsitzende, die Gesel l- schaft „zu den ältesten wissenschaftlichen Gesellschaften Deutsc h lands“ (zit. n. BayHStA: MK 40510, o. S. Budgetfo rderung vom 2. April 1903) gezählt. Ursula Weisser hat die bisher u m- fassendste Geschichte der Gesellschaft von ihrer Gründung bis zu Jahrhundertmitte ve r fasst. Die folgenden wesentlichen Aussagen sind hier entnommen. 1551 Vgl. Wendehorst (1993), S. 55. Allgem ein zum Werk Hardenbergs siehe Möller (1998), S. 612 f. 1552 Zu den Auswirkungen der Hardenberg ´schen Reformen auf die Erlanger Universität siehe Wendehorst (1993), S. 56 - 64. 1553 Vgl. Wendehorst (1993), S. 60. 1554 Vgl. Wendehorst (1993), S. 68.

262 In dieser Zeit wurde nun 1808 durch die Ärzte Christian Friedrich Harless und Adolph Henke die „Physikalisch - Medicinische Societät“ mit dem Zweck gegrü n- det, zur „Cultivierung, Beförderung und Erweiterung der Medicin und Physiol o- gie in ihrem ganzen Umfange mit Einschluss der nächstverwandten Hülfswissenschaften und mit Ausschluss aller rein speculativen in die Sphäre der Erfahrung nich t eingre i fenden Versuche und Philosopheme“ 1555 beizutragen. In dieser Au s sage sind die zwei großen Gebiete benannt, die zu vereinigen das Ziel der Gesellschaft war: Medizin und Naturwissenschaft, vertreten seitens der Mi t- glieder durch Ärzte und Naturwissensch aftler. Die Physikalisch - Medizinische Sozietät kann in dieser Zielsetzung als regionaler Vorläufer der späteren überr e- gionalen, d. h. national ausg e richteten „Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte“ gesehen werden, die erst vierzehn Jahre später g e gründet wurde. Tatsäc h- lich folgte letztere Gesellschaft der Einladung der „Physico - medica“ und berief die 18. Versammlung im Jahr 1840 nach Erlangen ein. 1556 Vom Beginn ihres B e- stehens an waren die Gesellschaftsberichte, heute Sitzungsberichte, das publizi s- ti sche Organ der Gesel l schaft. 1557 Zu den berühmten ersten Mitgliedern gehörten der Anatom Gottfried Fleisc h mann (1777 - 1850) und der Chirurg Bernhard Nathanael Gottlob Schreger (1766 - 1 825). Gründungsmitglieder der Gesellschaft waren auch Mitglieder der „Kaiserlichen Akademie der Naturforscher Leopoldina“, so die Professoren J o hann Christian Daniel von Schreber (1739 - 1810) und Friedrich von W endt (1738 - 1818), dem schon erwähnten B e gründer des „Institutum clinicum“, auf dessen Betreiben das Universitätskrankenhaus gebaut wu r de. 1558 Die wirtschaftliche Not während der Besatzungszeit bewirkte ein verstärktes Streben nac h Gemeinschaft in allen Schichten und Berufszweigen. In der Ph y si o- logie zeigte sich eine deutliche Abkehr von der bisherigen naturphilosoph i schen Betrachtungsweise hin zu einem wissenschaftlichen, auf Erfahrung g e gründetem Zugang zur Naturerkenntnis. Die U rsache dieses Gesinnungswa n dels in Deutsc h- land wird in der gängigen medizingeschichtlichen Literatur be i nahe ausschließlich Johannes Müller zugeschrieben, dessen Umdenken von e i ner romantischen N a- turdeutung zur empirischen Naturbeo bachtung sich aber erst in den dreißiger Ja h- ren des 19. Jahrhunderts vol l zog. 1559 Die Grundlagen des neuen Verständnisses der Lebensvorgänge wurden schon ungefähr ein Vie r teljahrhundert früher von

1555 Zit. n. Leube (1883), S. VI. 1556 Vgl. Weisser (1986), S. 64. 1557 Vgl. Leube (1883), S. VI. 1558 Vgl. Weisser (1986), S. 15 u. 59. 1559 Ausführlicher über diese Entwicklung und ihre Bedeutung für die Gesellschaft s. Weisser (1986), S. 68 - 84.

263 verhältnismäßig unbekannt gebliebenen Ärzten aus dem unscheinb aren Univers i- tätsstädtchen Erlangen formuliert! Es wurde eine bewusste Grenze zur Philos o- phie gezogen. Sie blieb trotzdem Bestandteil der geistigen Auseinandersetzung. Wissenschaftliche E r kenntnis sollte ein Ergebnis von überprüfbaren Erfahrungen sein. 1560 De m Gründungsmitglied Johann Chri s tian Friedrich Harless (1773 - 1853) war die Gleichwertigkeit von philosoph i scher und empirischer Betrachtung b e- sonders wichtig. So schien zunächst e i nem einseit i gen Materialismus gewehrt, der allerdings im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bestimmend wurde. Bei einer Übe r arbeitung der Statuten 1830 wurde als Zweck der Gesellschaft formuliert, sie solle dem „Austausch von Ideen, Beobachtungen und Erfahrungen in Bezug auf Medicin und Natur ku n de“ 1561 di e nen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren verdienstvolle Mitglieder unmittelbare Vorgänger Rosenthals im Amt des 1. Vorsitzenden: Joseph von Ge r- lach , Eugen Franz Freiherr von Gorup - Besanez , einer der Pioniere der ph y siol o- gischen Chemie sowie Jakob Herz , der erste Jude, der ordentlicher Profe s sor in Bayern wurde. 1562 Bereichert wurde der fachliche Austausch durch die Mitgliedschaft von Ge o l o- g en, Biologen, Ingenieuren, Apothekern und Fabrikanten. Unter den korre s - pondierenden Mitgliedern befanden sich als Ehrenmitglieder Ernst von Br ü cke, Robert Wilhelm Bunsen, Hermann von Helmholtz , Albert von Kölliker , Adolf Kussmaul , Karl Ludwig , Max von Pettenkofer , Rudolf Virchow und Carl von Voit , um nur die bekanntesten zu ne n n en. 1563 Seit den sechziger Jahren waren die Sitzungsberichte, die sozusagen das ö f- fen t liche Organ darstellten, regelmäßig erschienen. Sie hatten den Zweck, „der Forscher - Thätigkeit ihrer Mitglieder ein Organ der Verbreitung zu geben.“ 1564 Außerdem hatte sich ein reger Austausch mit anderen wissenschaftlichen G e sel l- schaften in der ganzen Welt entwickelt, deren Zahl bis zur Jahrhundertwe n de auf mehr als zweihundert anstieg. 1565 Die eingehenden Schriften wurden der Unive r-

1560 Zu Johannes Müller vgl. Kap. 2.3.1., S. 55 . 1561 Zit. n. BayHStA. MK 40510, o. S. „Satzungen der Physikalisch - medicinischen Societät zu Erlangen“. Junge & Sohn. Erlangen. 1904. Anlage zur Budgetforderu ng der Gesellschaft vom 10. August 1907. 1562 Vgl. Weisser (1986), S. 72. 1563 Vgl. SPMSE. 15. Heft. E. T. Jacob. Erlangen. 1883, S. IX. 1564 Zit. n. BayHStA: MK 40510, o. S.. Budgetforderung Adolf Strümpells an das Kultusm i ni s- terium vom 2. April 1903. 1565 Vgl. SPMSE . 34. Heft. Junge & Sohn. Erlangen. 1903. Verzeichnis der vom 1. Januar bis 31. Dezember 1902 eingegangenen Druckschriften, S. XIII. - XXIV.

264 s i tätsbibliothek überlassen. 1566 Gerade dieser umfa ngreiche Tauschve r kehr, g e- nauer die steigenden Druckkosten und größeren Auflagen, verschlang fast den gesamten Haushalt der Sozietät, sodass sich der Vorstand veranlasst sah, von der Königlich - Bayerischen Staatsregierung ab 1903 einen jährlichen Finanzzusc huss zu erbitten. 1567 Dieser wurde der Gesellschaft auch in Form e i nes jährlichen a u- ßerordentlichen Zuschusses von 600 Mark gewährt. 1568 In seiner Eigenschaft als 1. Vorsitzender der Gesellschaft erbat Rosenthal 1909 beim Kultusministerium einen ständigen Beitr ag von 1.000 Mark, den doppelten Betrag der Summe, die noch sein Vorgänger beantragt hatte. 1569 Die hohen Druckkosten hatten zu einer regelrechten Finanzkrise geführt, die allein mit den Mitgliedsbeiträgen nicht mehr zu bewältigen war, da ja die Mitgliede r zah l im G e- gensatz zum Umfang des Tauschverkehrs immer verhältnismäßig gleich blieb. Schon bei Rosenthals Ankunft 1872 war der Schriftverkehr der Gesellschaft von beeindruckender Internationalität. Der Tausch von Veröffen t lichungen ähnlicher naturwissenschaftl icher Gesellschaften in Boston, Brüssel, Bu e nos Aires, Dorpat, Helsingfors, Kopenhagen, Lausanne, London, Madrid, Mailand, Moskau, Ode s- sa, Palermo, St. Petersburg, Paris, Prag, Rom, Stoc k holm, Washington und Z ü- rich lässt auf die engen Beziehungen der Wisse n schaftler untereinander schli e- ßen. 1570 1872 umfasste die Gesellschaft 29 Mi t glieder und wurde von einem dre i- köpfigen Vorstand geführt, dessen 1. Vorsi t zender Eugen Freiherr von Gorup - Besanez war. Zwei Jahre später wurde R o senthal 2. Vorsitzender, um schließl ich 1877 zum ersten Mal das Amt des 1. Vorsitzenden (auch Direktor genannt) zu übernehmen. 1571 Es war nie Rose n thals Eigenschaft, in seinem Umfeld längere Zeit Zaungast zu sein. Wo er eine Aufgabe sah, dort setzte er bald seine ganze Kraft ein, um die Verhält nisse mi t zugestalten. 1572 1883 gab er das Amt an den jüdischen Professor für Mathem a tik, Max Noether , ab. In den Jahren 1907 und 1908 findet sich wieder Rosenthal als 1. Vorsitzender der Gesellschaft. 1573 R o-

1566 Vgl BayHStA: MK 40510, o. S. Bericht des Kultusministeriums an den Prinzen Luitpold ü ber die Gesellschaft anlässlich ihrer Einhundertjahr - Feier. Schreiben vom 17. Juni 1908. 1567 Zit. n. BayHStA: MK 40510, o. S. Budgetforderung Adolf Strümpells an das Kultusmini s- terium vom 2. April 1903. 1568 Vgl. BayHStA. MK 39390, o. S. Bewilligung des Kultusm inisteriums vom 22. November 1905. 1569 Vgl. BayHStA: MK 40510, o. S. Budgetforderung Rosenthals an das Kultusministeriu m vom 1. Mai 1909. 1570 Vgl. SPMSE. 4. Heft. E. T. Jacob. Erlangen. 1872, S. V. - VIII. 1571 Vgl. SPMSE. 7. Heft. E. T. Jacob. Erlangen. 1875, S. I V und 9. Heft. Erlangen. 1877, S. VII. 1572 Vgl. Kap. 3.6.1., S. 221 ff. 1573 Vgl. SPMSE. 39. Band. 1907. Max Mencke. Erlangen. 1908, S. XI.

265 senthals Sohn Werner war als Doktor der Medizin 1894 Mitglied der Gesellschaft geworden. Er war ganz in die Fu ß stapfen des Vaters g e treten. Krönender Abschluss der Tätigkeit Rosenthals als 1. Vorsitzender der Phys i k a- lisch - Medizinischen Sozietät war die Auszeichnun g mit dem Titel eines „K ö nigl i- chen Geheimen Hofrats“ anlässlich der Einhundertjahrfeier der Gesel l schaft im Jahr 1908. 1574 Professor Eilhard Wiedemann erhielt als 2. Vorsitze n der den Ve r- dienstorden vom Heiligen Michael III. Klasse. 1575 Das Kultusmini s terium hatte dem Prinzregenten den Vorschlag gemacht, die Gesellschaft durch eine Au s- zeichnung ihrer beiden Vorsitzenden zu ehren. Der Festakt fand vo r mittags am 27. Juni 1908 in der Aula des heutigen Kollegienhauses der Unive r sität statt. Am frühen Nachmittag wurde zu e i nem Festessen eingeladen. Letzter Programmpunkt war um sieben Uhr abends ein gesell i ges Zusammensein auf dem Birkner´s Keller auf dem Burgberg. 1576 So endete für den zweiundsiebzi g jährigen Rosenthal das öffentliche Wirken als F orscher und Gelehrter. Zwar brachte Rosenthal in seinem Dankschreiben an den Staatsminister zum Au s druck, dass es sein Bestreben sei, auch in der restlichen Zeit dem Staat zu di e nen, doch sah er sich veranlasst, die Einschränkung vorzunehmen, soweit es sei ne Kräfte zuließen. 1577 Von nun an wurde es ruhig um Rosenthal. Im Mai 1909 gab Rose n thal schließlich das Amt als Vorsitzender der Physikalisch - Medizinischen Sozi e tät an Professor Eilhard Wiedemann vom Lehrstuhl der Physik ab. 1578

3.8. 2. Die Synagogen - Gemeinde

Ein Bereich in Rosenthals Leben, der überwiegend im Verborg e nen bleibt, ist sein Judentum. Kaum, dass es Hinweise auf einen persönlich ausgeübten Gla u ben gibt – die Mitgliedschaft in den jüdischen Ortsgemeinden lässt sich ebenso w enig lückenlos nachweisen. Es verwundert, dass Rosenthals Name im „Ve r zeichnis der wahlfähigen Mitglieder der jüdischen Gemeinde zu Berlin“ 1579 nicht zu finden

1574 Hierzu ausführlicher siehe Kap. 3.10., S. 276 . 1575 Vgl. BayHStA: MK 4 0510, o. S. Antrag des Kultusministeriums an den Prinzregenten Luitpold vom 20. Juni 1908, S. 1 - 7. 1576 Vgl. BayHStA: MK 40510, o. S. Rosenthals persönliche Einladung und Programm an den Kultusminister von Wehner vom 6. Juni 1908 . 1577 Vgl. BayHStA. MK 40510, o. S. Dankschreiben Rosenthals an den Kultusminister vom 30. Juni 1908. 1578 Vgl. SPMSE. 41. Band. 1909. Max Mencke. Erlangen. 1910, S. XII. 1579 Vgl. ACJ: PB 268 / 933, S. 89.

266 ist, obwohl jeder Jude zur jeweiligen Ortsgemeinde gehören musste, was als G e- meindezwang bezeichnet wird. 1580 Für die frühe Erlanger Zeit ist Rosenthals Mitgliedschaft in der Erlanger „I s- ra e litischen Kultusgemeinde“ 1581 belegt, die sich 1873 neu formierte, nachdem in Erlangen wieder eine genügende Anzahl Juden wohnte, um eine selbstständ i ge Ortsgemeinde zu b ilden. Unter den Namen der fünfundzwanzig „selbständ i gen männlichen Israeliten“ in Erlangen befindet sich n e ben Rosenthal auch der Name Fleischmann. 1582 Die Gottesdienste der jüdischen Kultusgemeinde wu r den bis 1878 im Haus des Kaufmanns Levin in der Friedric hstraße 6 gefeiert. 1583 D a nach wurden zwei Betsäle und ein Versammlungsraum im Haus des Johann Burger in der Dreikönigsstraße 1 eingeric h tet. 1584 Als im Juli 1878 der Vorstand der Kultusgemeinde die Mitglieder aufforde r te, mit ihrer Unter schrift der Übertragung der staatlichen Aufsicht vom Bezirk s amt auf den Stadtmagistrat zuzustimmen, fehlte Rosenthals Name auf den Mi t glied s- listen. 1585 Die Ausübung seines jüdischen Glaubens hat bei Rosenthal scheinbar nur e i ne untergeordnete Rolle gespielt. Seine Religion war eine praktisch gelebte Me n- schenfreundlichkeit und Ethik, die einer konfessionellen Bindung nicht b e durfte. Die Mi t gliedschaft in einer Freimaurerloge ist nicht belegt.

1580 Juden konnten nur aus einer Gemeinde austreten, wenn sie gleichzeitig einer anderen Gla u- bensgemeinschaft beitraten. Erst 1873 verabschiedete der preußische Landtag für die Lande s- kirchen ein Austrittsgesetz, wodurch es möglich wurde, aus der Kirche ausz u treten, ohne die christliche Religion zu verlassen. Vgl. Offenberg (1986), S. 13. Dies galt jedoch nicht für J u- den, da es ja keine „jüdischen Landeskirchen“ gab. Daher verloren Juden ihre Zughörigkeit zum Judentum, d. h. sie galten als „Dissidenten“ oder als relig i onslos, wenn sie schriftlich beim Amtsgericht i hren Austritt erklärt hatten. Am 28. Juli 1876 wurde nach dem Entwurf Eduard Laskers ein neues Gesetz verabschiedet, das den Austritt aus den jüdische Synagogengemeinden regelte. Das Gesetz führte zur Entstehung sogenannter Austrittskarte i en. Ausführlicher zur Austrittsgesetzgebung und die Entstehung der Berliner Austritt s kartei vgl. Honigmann (1988), S. 11 - 19. Bedauerlicherweise ist weder in den Stadtarchiven von E r langen und Nürnberg noch im Bayerischen Hauptstaatsarchiv eine derartige Kartei erha l ten. 1581 Vgl. SAE: 6. A. III. 12506, Bl. 15. 1582 Ebenda. Leider sind in der Liste der „selbständigen männlichen Israeliten“ nicht die Vo r- namen angeben. Ob es sich um einen Sohn des kinderreichen Professors für Anatomie und Physiologie Friedrich Gottfried Fleischmann (vgl. Wittern, 1999, S. 44) handelt, ist nicht nac h- vollziehbar. Im Einwohnerverzeichnis für Erlangen aus dem Jahr 1875 sind allein sec h zehn Einträge unter dem Namen Fleischmann verzeichnet. Vgl. Adreßbuch der kgl. Univers i tät sstadt Erlangen (1875), S. 46. 1583 Vgl. Stadtmuseum Erlangen (1988), S. 10. 1584 Ebenda, S. 11 1585 Vgl. SAE: 6. A. III. 12506, Bl. 21.

267 3.8.3. Der Gemeinnützige Verein

In den siebziger Jahren des 19. Jah rhunderts zählte Erlangen kaum 14.000 Ei n- wohner. 1586 Die Universität hatte wenig über 400 Studenten und eine Profess o- renschaft von ungefähr 30 Professoren. 1587 „Von der Entfaltung eines eige n stä n- digen kulturellen Lebens konnte keine Rede sein. Die Anregungen, di e das so viel größere und reichere Nürnberg zu bieten hatte, lag für jeden Erlanger in une r- reichbarer Ferne, es sei denn, er hätte über eine Pferdekutsche verfügt.“ 1588 Diese bescheidene Situation wurde von Rosenthal schmerzlich wahrgenommen. Rose n- thal beschr ieb nach seiner Versetzung in einem Brief an seinen Freund Eduard Lasker die Trostlosigkeit des Erlanger kulture l len Lebens:

„Theurer Freund! Mitten in das Gewühl des Reichstagslebens hinein sende ich Dir aus u n s e- rem stillen Städtche n herzlichen Gruß und Händedruck. Ja, still ist es hier; auf den Strassen hört man jeden Tritt eines Gehenden, weil das das einzige Geräusch ist, das überhaupt hörbar wird; auch die Stimmen der Sprechenden kann man deutlich unterscheiden. Aber es gehen und sprechen eben sehr wenige. Und dabei wohnen wir an der Hauptstrasse, Ecke des Hol z mar k- tes, der Hauptverkehrsgegend (wenn der Ausdruck erlaubt ist) der Stadt. Nur in der ve r gang e- nen Woche war Lärm hier, nur zu viel. Es war nämlich Rekrutenaushebung, und di e junge Mannschaft hat die Tradition noch nicht vergessen. Sie zog lärmend und schreiend durch die Strassen, fiel in alle Schenken ein und wurde immer lärmender. Das ist nun vorüber und die alte Stille ist wiedergekehrt. Aber nächste Woche ist Kirchweih, d a wird’s wieder lustig hergehn. (...). Die Professoren leben sehr still. Am Tage sieht man hie und da einen über die Stra s se gehen, (...).“ 1589

Die Rekrutenaushebung und die Bergkirchweih im Mai scheinen also die einz i gen Abwechslungen im kleinstädtischen All tag gewesen zu sein. Für einen an das Berliner Leben gewöhnten Großstädter war das ein wahrer Kulturschock! Doch der empfundene Mangel trieb Rosenthal zum Ha n deln. Die Entstehung des Gemeinnützigen Vereins ist unmittelbar mit Rosenthals Person verbunden. Er war es, der in einer ersten Besprechung am 29. N o vember 1875 einen Kreis von Bekannten und Freunden zusammenrief, um Aufgaben und

1586 Vgl. Friederich/Hess (2002), S. 778. 1587 Vgl. Wendehorst (1993), S. 135. 1588 Zit. n. Meidinger - Geise (1986), S. 262. 1589 Zit. n. BAB : N 2167 / 260. Brief Rosenthals an Lasker vom 13. Mai 1872. Nr. 2.

268 Ziele des zu gründenden Vereins festzulegen. 1590 Am 2. Januar des Jahres 1876 erging ein „Aufruf an die B e wohner Erlangens“. D ort hieß es:

„Die Unterzeichneten sind zusammengetreten, um die Gründung eines ´Erlanger gemei n nü t- zigen Vereins´ zu betreiben, dessen Zweck sein soll, gemeinnützige Unternehmungen aller Art, welche zur Hebung der Stadt und des Lebens in ihr beitragen könne n, anzuregen zu fö r dern und zu betreiben. Zu den Aufgaben, deren Inangriffnahme uns besonders wünschen s werth e r- scheint, gehört der Ausbau und die Nutzbarmachung unseres The a ters. (...).“ 1591

Außerdem sollten Instrumentalkonzerte angeboten werden, was bisher v ollstä n dig fehlte, bildende Vorträge gehalten, Fortbildungsschulen und Kunstausste l lungen gefördert werden. Weiteres Ziel war eine fruchtbare Zusammenarbeit mit schon bestehenden Vereinen, als Konkurrenz wollte man nicht verstanden we r den. 1592 Zu den Unterze ichnern gehörten u. a. der Bürgermeister Edmund Re i chold , der Buchhändler Eduard Besold , die Fabrikbesitzer Adam Bücking und Gottschalk von Loewenich , d er Apotheker Carl A u gust Böttiger , die Professoren Wilhelm von Leube und Karl Lueder , 1593 der Brauereibesitzer Paul Reif und der Pfarrer Otto Haßler sowie der Stadtkantor Conrad Preis . 1594 Bereits am 14. Januar fand die konstituierende Sitzung im Saal des Gasthofes „Blaue Glocke“ in der Haup t- straße 46 statt, ganz in der Nähe von Rose n thals Wohnung. Anwesend waren bei dieser G ründungsversammlung achtzig Personen, insgesamt lagen schon 230 Be i- trittserkläru n gen vor. 1595 Es fällt auf, dass Rosenthal nicht Mitglied des Vorstandes wurde. Er hatte zwar den entscheidenden Anstoß gegeben, überließ dann aber die weitere G e sta l- tung des Ver einslebens anderen Verantwortlichen, ganz ähnlich der Art und We i- se, wie er sich im Verein „Harmonie“ beteiligte. 1596

1590 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 170. Hiltl, Otto: Festschrift 100 Jahre Gemeinnütziger Verein. E r- langen. 1976, S. 4. 1591 Zit. n. Meidinger - Geise (1986), S. 263. 1592 Vgl. Meidinger - Geise (1986), S. 2 63. 1593 Karl Johann Friedrich Ludwig Lueder (1834 - 1895) hatte in Göttingen, Berlin und Paris Rechtswissenschaften studiert und sich 1861 in Halle habilitiert. Seit 1874 war er ordentlicher Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Enzyklopädie und Methodo logie der Rechtswi s- senschaften in Erlangen. Vom 1876 bis 1878 war er Prokanzler der Unive r sität. Vgl. Wittern (1993.2), S. 143. 1594 Vgl. Meidinger - Geise (1986), S. 263. 1595 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 170. Hiltl, Otto: Festschrift 100 Jahre Gemeinnütziger Verein. E r- langen. 1976, S. 4 f. Hier findet sich eine detaillierte Jahreschr o nik. 1596 Vgl. Kap. 3.8.4., S. 257 f.

269 Mit Genehmigung des Magistrats konnten die Bauarbeiten am Theater b e go n- nen werden. 1597 Die Winterspielzeit 1876 wurde unter der Leitung des D i re ktors des Regensburger Stadttheaters eröffnet. Die erste Kunstausstellung fand im A u- gust 1877 im Saal der Harmonie - Gesellschaft im Gasthof „Walfisch“ statt. Ken n- zeichnend für den Gemeinnützigen Verein war die enge Zusamme n arbeit mit di e- ser Gesellschaft und dem Gewerbeverein Erla n gen, was zum Teil auch daran lag, dass einige Mitglieder jeweils in allen drei Vereinen Mitglieder waren. Rosenthal und Adam Bücking sind dafür nur Beispi e le. Der Gemeinnützige Verein bereicherte das kulturelle Leben Erlangens durch viele Veranstaltungen. Hier seien nur Gartenkonzerte, die Opern von Giacomo Meyerbeer , Konzerte mit den Bamberger Sy m phonikern oder Liederabende mit dem Komponisten Max Reger genannt. Sog ar der Tierforscher Alfred Brehm konnte 1881 für Vorträge gewonnen worden. 1598 1890 wurde in Zusammena r beit mit dem Gewerbeverein Edisons Phonograph vorgestellt. 1599 Auch bauliche A n- regungen wurden durch den Verein umgesetzt. Abgesehen von Verbesseru n gen am Theater sind die Aufstellung von Ruhebänkchen im Eichwald, die U n terstü t- zung der Badeanstalten und der Ausbau von Aussichtpunkten auf dem Burgberg zu ne n nen. 1600 Die Vielfalt der Unternehmungen des Vereins scheint die Vielfalt des Charakters ihres Begründers wiederzuspiegeln. Es hatte nur der Initiative e i- nes Einzelnen bedurft, um einen von vielen Bürgern wahrgenomm e nen Mangel in der Öffentlichkeit bewusst zu machen und Anregungen für de s sen Beseitigung zu g e ben.

3.8.4. Der Verein Harmonie

D er für Erlangen zur Zeit Rosenthals älteste und gesellschaftlich bedeutendste Verein war die „Harmonie“. Sie war 1809 aus einem Z u sammenschluss der seit 1794 bestehenden „Mittwochsgesellschaft“ und dem Leseverein „Museum“ he r- vorgegangen. 1601 Hier pflegten nah ezu alle in Politik, Wirtschaft, Militär, Kunst

1597 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 170. Hiltl, Otto: Festschrift 100 Jahre Gemeinnütziger Verein. E r- langen. 1976, S. 4 1598 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 170. Hiltl, Otto: Festschrift 100 Jahre Gemeinnütziger Verein. E r- langen. 1976, S. 9. 1599 Vgl. ebenda, S. 11. 1600 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 170. Hiltl, Otto: Festschrift 100 Jahre Gemeinnütziger Verein. E r- langen. 1976. S. 13. 1601 Vgl. Beyer, Jutta. / Christop h, Verena: Harmonie. In: Friederich, C., v. Haller, B., Jakob, A. (Hrsg.): Erlanger Stadtlex i kon. W. Tümmels. Nürnberg. 2002, S. 342.

270 und Bildung maßgeblichen Persönlichkeiten der Stadt geselligen U m gang. Bü r- germeister Georg von Schuh , die Professoren Max Reess , Emil Selenka und der liberale Politiker Heinrich von Marquardsen seien hier als die Personen genannt, mit denen Rosenthal engeren Kontakt ha t te. 1602 Vereinslokal war das exklusive Hotel „Walfisch“ 1603 neben der damaligen Bay e- rischen S taatsbank in der Bankstraße 5. Die „Harmonie“ hatte schon eher den Status einer öffentlichen Einrichtung. Dies wird dadurch belegt, dass sie in Stad t- plänen als einziges Vereinsgebäude besonders ausgewiesen wurde. 1604 R o senthal hat sich in diesem Verein nicht durch die Übernahme von Verantwo r tung ausg e- zeichnet. Er wird nirgends als Vorstandsmitglied oder sonstiger Ve r antwortlicher erwähnt. 1605 So ist davon auszugehen, dass die „Harmonie“ für das Ehepaar R o- senthal in erster Linie ein geselliger Ausgleich zu Rosenth als sonstiger verantwo r- tungsvoller Beteiligung am öffentlichen Leben war.

3.8.5. Der Gewerbeverein

Schon 1848 gegründet, gehörte auch der Gewerbeverein zu den ältesten Erla n ger Vereinigungen. 1606 Zwar hatte er 1880 nur etwa 200 Mitglieder, obwohl über 600 Ge werbetreibende in Erlangen gezählt wurden, doch in den folgenden zehn Ja h- ren verdoppelte er seine Mitgliederzahl und entwickelte sich zu einem der grö ß- ten Gewerb e vereine Bayerns. 1607 Rosenthal trat dem Verein erst 1885 in der Zeit seiner stürmischen Aufwärt s- e ntwicklung bei, sodass seine Beteiligung an Fragestellungen aus Industrie und Handwerk keine nahtlose Fortsetzung seiner Mitgliedschaft im Deutschen G e- werbemuseum aus der Berliner Zeit bedeutete. 1608 Er nahm allerdings nach über zwölf Jahren wieder das Engage ment für Ziele auf, die er schon mit Gründung des Deutschen Gewerbem u seums 1867 verfolgt hatte. 1609 Die Entstehung des Vereins war das Ergebnis staatlicher und privater Bem ü- hungen, den trostlosen Zustand des Gewerbes zu verändern und den darniede r li e-

1602 Vgl. SAE: 32. No. 248. R. 728, o. S. Einhebungsregister der Harmonie - Gesellschaft. 1603 Siehe Bildteil Abb. 42. 1604 Vgl. SAE: IV. E. 100. Siehe Bildteil Abb. 50. 1605 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 170, o. S. Anzeige der Vorstandsmitglieder der Gesellschaft vom 18. April 1896. 1606 Vgl. Johrendt (1983), S. 264. 1607 Vgl. SAE: 32. 37. T. 2. Jahresbericht 1891, S. 4. 1608 Vgl. SAE: 32. 37. T. 2. Jahr esbericht 1885, S. 4. 1609 Vgl. Kap. 2.5.3., S. 114 und 2.7.1., S. 128 .

271 gen Hand el zu beleben. 1610 Der Niedergang der Strumpfwirkerei lähmte G e werbe und Handel. Das Textilgewerbe befand sich seit der Jahrhundertwende in einer Strukturkrise. 1611 Die französische Revolution, die Kontinentalsperre der Napol e- onischen Zeit, Russlands Absperrung von ausländischen Waren sowie die Rev o- lution von 1848/49 und die Blockade deutscher Häfen durch Dänemark im er s ten Deutsch - Dänischen Krieg 1612 von 1848 bis 1850 hatten die Abnahme Erlanger Textilerzeugnisse empfindlich getroffen. 1613 Außerdem hatte die A g rarkris e der Jahre 1846/47 die Probleme verstärkt. Kleinliche Gewerbeordnu n gen und Zunf t- vorschriften behinderten den freien Wettbewerb. 1614 Letztlich ve r schlang auch der monumentale Ausbau der Hauptstadt München gewaltige Summen, die dem Staat zur Unterstützung der Pr o vinzen fehlten. 1615 In dieser Situation forderten weitblickende Bürger Erlangens die Handwerker zu einem engeren Zusammenschluss, gegenseitiger Förderung und Unterstü t zung des Geschäftslebens auf. Auch die bayerische Staatsregierung versuchte, die überh olten Berufsinnungen zu gewerblichen Vereinigungen zusammenz u schli e- ßen und unterstützte die Bildung von Gewerbevereinen. 1616 Aufgrund di e ser B e- mühungen wurde am 3. August 1848 der Erlanger Gewerbeverein g e gründet. In den Satzu n gen des Vereins heißt es:

1610 Ausführlich zur Entstehung des Vereins s. SAE: 32. 37. T. 2. Hedenus, Hermann: Aus der Geschichte des Erlanger Gewerb e vereins. In: Be richt über die Tätigkeit des Gewerbe - Vereins zu Erlangen 1911. E. T. Jacob. E r langen. 1912, S. 18 - 28. 1611 Hierzu ausführlicher Johrendt (1983), S. 264 - 266. 1612 Dieser Krieg ist aus dem geschichtlichen Bewusstsein unserer Zeit fast völlig verschwu n- den. Als der dänische König Friedrich VII. infolge der auch in Kopenhagen ausgebrochenen Revolution ein Eider - dänisches Kabinett berief (das Gebiet nördlich der Eider, das Herzogtum Schle s wig, hatte einen hohen dänischen Bevölkerungsanteil, getrennt von Holstein seit d em 8. Jahrhundert durch eine Art „deutsch - dänische Zonengrenze“, das Dannewerk), brach ein schleswig - holsteinischer Volksaufstand los. Schleswigsche und holsteinische ständische Ve r tr e- ter forderten eine freie Verfassung, die Vereinigung beider Herzo g tümer und die Aufnahme in den Deutschen Bund. In den eher einem Bürgerkrieg ähnlichen Krieg griffen auch Truppen anderer Bundesstaaten ein. Unter russisch - französischem Druck wurden erste Annexionsg e lü s- te Preu ß ens abgewiesen. Vgl. Kinder/Hilgemann (1994), S. 339 u. 362. Eine Darstellung aus dänischer Sicht bietet Johs. Nielsen: Die Schleswig - Holsteinische Erh e bung. Haderslev. 1993. 1613 Vgl. Sandweg (1986), S. 7 - 10. 1614 Vgl. Johrendt (1983), S. 267. 1615 Vgl. SAE: 32. 37. T. 2. Hedenus, Hermann: Aus der Geschichte des Er langer Gewerb e- vereins. In: Bericht über die Tätigkeit des Gewerbe - Vereins zu Erlangen 1911. E. T. Jacob. E r langen. 1912, S. 19. 1616 Vgl. ebenda, S. 21.

272 „(...) Der Gewerbeverein, ein anerkannter Verein mit dem Sitze in Erla n gen, hat den Zweck der Hebung und Belebung der Gewerbe und der Besserung der g e werblichen Zustände. Der Verein wirkt beispielsweise für seinen Zweck: Durch Erforschung des gegenwärtigen Zusta n- des der Gewerbe in Beziehung auf den Grad ihrer Vollkommenheit und ihrer Mängel; durch Befestigung und Förderung derjenigen Gewerbezweige, welche bereits gut b e trieben werden; durch Erweiterung des Betriebes; durch Verbesserung wahrgenommener Mängel in de r Hervorbringung einzelner Gewerbserzeugnisse, oder im Betriebe eines G e werbes überhaupt; durch Anregung und Beihülfe zur Einführung noch nicht heimischer Gewerbszweige; durch Beförderung einer genauen Bekanntschaft mit gemachten neuen Erfindungen, oder mi t Ve r be s- serungen von Erzeugniswe i sen. (...).“ 1617

Mitglied konnte jeder „unbescholtene Mann werden“, 1618 der im Vereinsgebiet wohnte und den Jahresbeitrag entrichtete. Eine wesentliche, den allgemein fo r m u- lierten Zielen entsprechende Leistung des Vereins bestand beispielsweise darin, bedürftigen Betrieben Darlehen und Vorschüsse zu gewähren, Lehrling s arbe i ten auszustellen und Bestenpreise zu vergeben, Kurse zu verschiedensten Themen wie z. B. Zeichnen und Buchhaltung durchzuführen, Lesezirkel für Fachzeitschri f- te n zu gründen und Vorträge zu organisieren. Ein weiterer Schwerpunkt der Ve r- einstätigkeit waren Gewerbeausstellungen, die 1876 im Redoutensaal und von 1883 bis 1890 in der Realschule durchgeführt wu r den. 1619 Der erste Hinweis auf Rosenthals Vortragstätigkeit findet sich 1886. Gege n- stand des Vortrags war das Thema „Beleuchtung“. 1620 Den Stoff dazu entnahm er se i nen Aufzeichnungen der Vorlesungen über öffentliche Gesundheitspflege, die als Buch im gleichen Jahr erschienen. 1621 Seine Arbeiten als Hygieniker konnte er i m Gewerbeverein unmittelbar anwenden. So wurden sie nicht nur einer akadem i- schen Zuhörerschaft erschlossen, sondern kamen auch den G e werbetreibenden unterschiedlichster Berufe zugute. Ebenso ließ Rosenthal seine Bestrebungen für die Reform des Bildungsw e se ns mit einfließen. 1890 hielt er einen Vortrag über die „Reformbestrebungen für die Mittelschulen in Deutsc h land.“ 1622

1617 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 292. Statuten des Gewerbe - Vereins in Erlangen. E. T. Jacob. E r- langen. 1884, S. 3. 1618 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 292. Statuten des Gewerbe - Vereins in Erlangen. E. T. Jacob. E r- langen. 1884, S. 3. 1619 Vgl. SAE: 32. 37. T. 2. Hedenus, Hermann: Aus der Geschichte des Erlanger Gewerb e- vereins. In: Bericht über die Tätigkeit des Gewerbe - Vereins zu Erlangen 1911. E. T. Jacob. E r langen. 1912, S. 24. 1620 Vgl. SAE: 32. 37. T. 2. Jahresbericht 1886, S. 4. 1621 Vgl. Rosenthal (1887), S. 445 - 463. 1622 Vgl. SAE: 32. 37. T. 2. Jahresbericht 1890, S. 11. Siehe auch Rosenthal (1890.1).

273 Im gleichen Jahr regte Bürgermeister Georg von Schuh , der zum Vereinsau s- schuss gehörte, den Bau einer eigene n Gewerbehalle an. 1623 Sie sollte denjen i gen Gewerbetreibenden die Möglichkeit zur Ausstellung ihrer Erzeugnisse g e ben, die sich den Unterhalt eines eigenen L a dens nicht leisten konnten. Nach Planungen des Kommerzienrats Emil Kränzlein wurde das Gebäude des alten Bezirksamtes erwo r ben und unter dem städtischen Baurat Karl Söldner für den neuen Zweck umgebaut. 1624 Doch eine einsetzende Krise des Handwerks führte zu einem stet i- gen Rückgang der Umsätze. Nürnbergs aufstre bende Industrie hatte die größere Anziehungskraft. Drei Jahre später musste die G e werbehalle wieder geschlossen werden. 1625 1891 beteiligte sich Rosenthal an den Planu n gen zum Bau der städt i- schen Wasserleitung. Bei einer Feldbegehung im Regnitzgrund waren 188 9 Que l- len entdeckt worden, deren Nutzbarmachung für die Trinkwasserversorgung E r- langens Bürgermeister Georg von Schuh mit gr o ßem Eifer vorantrieb. 1626 Rose n- thal trug durch seine Vortragstätigkeit über „die Erlanger Wasserleitun g“ zur Umsetzung des Projektes bei, indem er die Öffen t lichkeit über dessen Vorzüge au f klärte. 1627 Im Oktober 1891 schließlich stellte Rosenthal Neuigkeiten von der Elektriz i- tätsausstellung in Frankfurt vor. 1628 Diese hatte er zusammen mit Bürgermeister Georg v on Schuh besucht, was auf die enge Zusammenarbeit der beiden Mä n ner hinweist. Zu dieser Zeit hatte der wirtschaftliche Aufschwung Mittelfrankens seinen Höhepunkt erreicht. Dies spiegelte sich auch in der Mitgliederbewegung des G e- werbevereins wider. In diesem Jahr erreichte der Verein mit 423 Mitgliedern se i- nen Höchststand. 1629 Obwohl Bayern allgemein unter den Folgen von Aus - und Abwanderung litt, erfreute sich Erlangen eines bedeutenden Bevölkerung s z u- wachses. 1630 In den folgende n Jahren hielt Rosenthal Vorträge über „die Beziehungen des Bodens zu epidemischen Krankheiten“, „Heizung“ und „die Reinigung der A b-

1623 Vgl. SAE: 32. 37. T. 2. H edenus, Hermann: Aus der Geschichte des Erlanger Gewerb e- vereins. In: Bericht über die Tätigkeit des Gewerbe - Vereins zu Erlangen 1911. E. T. Jacob. E r langen. 1912, S. 25. 1624 Vgl. SAE: 32. 37. T. 2. Jahresbericht 1890, S. 11. 1625 Vgl. SAE: 32. 37. T. 2. Jahresb ericht 1893, S. 5. 1626 Vgl. Bauernfeind (2000), S. 80. 1627 Vgl. SAE: 32. 37. T. 2. Jahresbericht 1891, S. 7. 1628 Ebenda. 1629 Vgl. SAE: 32. 37. T. 2. Jahresbericht 1891, S. 4. 1630 Vgl. Johrendt (1983), S. 267.

274 wässer von Städten“. Sie alle waren seinen Vorlesungen über öffentliche Gesundheitspflege entnommen. 1631 Das ausschließliche V erdienst Rosenthals ist die Gründung einer Volksb ü che r- halle. Mit einem Zuschuss des Gewe r bevereins von 1.000 Mark wurde sie ins Leben gerufen und erfreute sich großer Beliebtheit. Als „öffentliche Volk s bibli o- thek und Lesehalle“ 1632 wurde sie in zwei hellen Zi mmern im Erdgeschoss des Schulhauses am Luitpoldplatz, dem heutigen Hugenottenplatz, eingerichtet und am 1. Dezember 1902 eröffnet. Mit Hilfe des Vereins und der beiden städt i schen Kollegien wurden Beleuchtung und Heizung zur Verfügung gestellt, und vom Ge werbeverein wurde ein weiterer jährlicher Zuschuss von 500 Mark g e währt. Die Bibliothek umfasste über 3.000 Bände, die nach Unterhaltungsliter a tur, Kla s- sikern, Geschichte, Länder - und Völkerkunde, Reisen, Naturwisse n schaften und Technik, Wirtschaft, Recht und Medizin geordnet waren. Im Les e saal lagen über sechzig Zeitungen verschiedenster politischer Ric h tungen aus, dazu Lexika und Atlanten. Der Besuch der Lesehalle war außerordentlich gut und kann als ein Beweis für die Notwendigkeit dieser Einrichtung gel ten. 1921 gingen die Bestä n- de in die neue Volksbücherei über. 1633 Außerdem wurde Rosenthal mit Unterstützung durch den Gewerbeverein der B e- gründer dessen, was wir heute unter Volkshochschule verstehen. Der „Hoc h- schullehrerverband für volkstümliche Hochschulku rse“ 1634 hatte Rosenthal wi e- derholt aufgefordert, auch in E r langen solche Kurse anzubieten. Rosenthal hatte daraufhin die Anregung aufgegriffen, wofür ihm seitens des Vorsitzenden Emil Kränzlein ein besonderer Dank ausgesprochen wurde:

„(...) Herrn Rosenthal, dessen Initiative nicht nur die Errichtung der Hochschulkurse, so n- dern auch die Errichtung einer Volkslesehalle in hiesiger Stadt zu ve r danken ist und der sich überhaupt jederzeit in den Dienst der Gewerbetreibenden stellt, sei auf richtiger Dank g e- bracht.“ 1635

Der Vorstand hatte bei der Umsetzung der Idee tatkräftig mitgeholfen. Die e i- gen t liche Seele des Vereins war jedoch nicht der Vorstand, dem die rechtl i che Vertretung des Vereins oblag, sondern ein si e benköpfiger Ausschuss. Er wur de jährlich von der Generalversammlung gewählt und hatte die B e schlussgewalt über Kapitalanlagen, Prämien, Reisestipendien, Anschaffu n gen, Ausstellungen und

1631 Vgl. Rosenthal (1887), S. 44 - 51, 187 - 211 und 363 - 389. 1632 Zit. n. Verwaltungsbericht (1903), S. 77. 1633 Vgl. Friederich (2002.1), S. 181. 1634 Zit. n. SAE: 32. 37. T. 2. Jahresbericht 1903, S. 11. 1635 Ebenda.

275 Vorträge. 1636 Mit den Herren Erdmann, Fritz, Holl, Jäger, Resenscheck, Romein und Steffen wurde Rosent hal 1903 in diesen Au s schuss gewählt. Hier war er bis zu seinem Ausscheiden 1911 ein treuer Mi t arbeiter. 1637

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gewerbeverein für Rosenthal die Plattform war, auf welcher er seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fo r - schungen auf dem Gebiet der Hygiene und der öffentlichen Gesundheitspflege die notwendige außerunive r sitäre Zuhörerschaft verschaffte. Hier verließ er den Kreis des akadem i schen Lebens und erschloss sich Möglichkeiten, mit denen er seine aus wissensch aftlichem Arbeiten abgeleiteten gesellschaftlichen Ford e rungen u m- setzen konnte. So konnte er seinen Vorstellungen die zur Verwirkl i chung erfo r- derliche Kraft verleihen, indem er eine erfolgreiche Öffentlichkeit s arbeit betrieb, die auf die Träger von Ansehen und Kapital abzielte. Der Gewe r beverein bildete die Grundlage seines öffentlichen Wirkens und war ein wicht i ges Instrument, um seine Ideen zu verwirklichen.

3.9. Rosenthals Wirken für die Allgemeinheit

3.9.1. Der Pauli - Brunnen

Ein geschwätziger Zeuge Rose nthals, der heute noch das Stadtbild prägt, ist der Kunstbrunnen auf dem Schlossplatz. Er heißt Paulibrunnen, 1638 benannt nach dem Kaufmannsehepaar Julie und Friedrich Salomon Pauli , welches kinderlos gebl i e- ben und die Stadt Erlangen zum Haupterben bestimmte. Als Frau Pauli 1878 starb, fiel der Stadt ein Vermögen von 275.000 Mark zu, das für den Bau einer Brücke über die Regnitz und einer Wasserleitung mit Springbrunnen ve r wendet werden sollte. 1639 Für die Ve rwirklichung des Vorhabens ergaben sich Schwierigkeiten hi n sich t- lich der Versorgung des geplanten Brunnens mit Wasser. Bürgermeister Georg von Schuh wandte sich zunächst an Rosenthal, der 1881 Dekan der m e dizin i-

1636 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 292. Statuten des Gewerbe - Vereins in Erlangen. J. T. Jacob. Erla n- gen. 1884, S. 7. 1637 V gl. SAE: 32. 37. T. 2, o. S. Jahresbericht 1911 1638 Siehe Bildteil Bild 43. 1639 Vgl. SAE: 399 / 168, Bl. 5 - 6. Beschreibung des Testaments.

276 schen Fakultä t war und seit dem Wintersemester 1878/79 der „Commiss i on zur Beaufsichtigung des Universitäts - Wasserwerkes“ gehörte, 1640 und erö r terte mit ihm das Problem in einer privaten Besprechung am 7. Juni 1881. 1641 In der Ko m- mission waren auch die Professoren Max Reess 1642 und Walter Heinecke 1643 ve r- treten. 1644 Schuh hatte die Idee, den Brunnen aus der Univers i tätswasserleitung zu speisen. Das scheiterte jedoch am Widerstand des akad e mischen Senats, sodass die A n gelegenheit erst 1883 wieder aufgegriffen wurde, als die Stadt eine neue Wasserle i tung gebaut hatte. 1645 Noch im gleichen Jahr beauftragte Georg von Schuh den Direktor der Nür n- berger Kunstgewerbeschule Adolf Gnauth , 1646 einen Entwurf für den geplanten Kuns tbrunnen vorzulegen, der dann auch von Magistrat und Gemeindebevol l- mächtigten genehmigt wurde. Allerdings entbrannte über Adolf Gnauths En t wurf eine heftige öffentl i che Auseinandersetzung. Das Erlanger Tageblatt rügte, der Brunnenentwurf sei viel zu monume ntal ausgefallen. 1647 Öffentlich ausg e stellte Modelle der Entwürfe waren nicht geeignet, die Gunst des Publikums zu gewi n- nen. Adolf Gnauth wurde gebeten, den Entwurf zu überarbeiten. Doch bis zum Tode des in seiner Ehre tief gekränkten K ünstlers im Jahre 1884 lag das Vorh a- ben Kuns t brunnen brach. Erst am 8. Dezember 1885 fand sich eine Brunnenkommission, bestehend aus den Herren Rosenthal, dem Apotheker August Böttiger , August Vollrath , dem Malermeister Konrad Schmidtill und dem Gymnasiallehrer und 1. Vorsi t zenden des Kollegiums der Gemeindebevollmächtigten Gustav Bissinger , wieder zu einer

1640 Übersicht (1879), S. 13. 1641 SAE: 399 / 168, Bl. 8. 1642 Max Reess (1845 - 1901) hatte sich 1869 in Halle für Botanik habil i tiert. 1872 wurde er ordentlicher Professor in Erlangen. 1899 trat er von seinem Amt zurück. Vgl. Jaenicke (1993), S. 658. 1643 Walter Hermann von Heinecke (1834 - 1901) hatte in Göttingen, Berlin, Leipzig und Gre ifswald Medizin studiert, wo er sich für Chirurgie und Anat o mische Chirurgie habilitierte. 1867 wurde er ordentlicher Professor für Chirurgie und Augenheilkunde in Erlangen und b e- kleidete ab 1875 das Amt des Direktors der neuen chirurgischen Klinik. 1877/7 8 war er Pr o- rektor der Friedrich - Alexander - Universität. Vgl. Wittern (1999), S. 73 u. 74. 1644 Vgl. Übersicht (1881), S. 14. 1645 Eine Beschreibung der Entstehung des Paulibrunnens im Hinblick auf Georg von Schuhs Wirken vgl. Bauernfeind (2000), S. 108 - 110. 1646 Ad olf Gnauth (1840 - 1884) war Architekt und Maler und wurde 1876 nach Nürnberg ber u- fen. Ein Grund für die Ablehnung seines Brunnenentwurfs ist höchstwahrscheinlich in seiner Vorliebe für orientalischen Stil zu sehen, den zu verwirklichen er „meist nur außerhalb Nür n- bergs“ Gelegenheit hatte. S. Luther (1999), S. 367. 1647 Vgl. SAE: 399 / 168, Bl. 81. ET. 32. Jahrgang. Nr. 127 vom 4. Juni 1883, S. 518.

277 Besprechung bei Bürgermeister Schuh zusammen. 1648 Im August 1887 endlich beauftragten die städtischen Kollegien dann den Nürnberger Kunstpr o fessor Friedrich Wanderer , 1649 dessen Entwurf ang e nommen worden war. Der Pauli´sche Kunstbrunnen konnte unter großer Anteilnahme der Bevölk e- ru ng am 8. September 1889, einem strahlenden Sonntagmorgen, enthüllt we r- den. 1650 Nach dem Festakt auf dem Schlossplatz wurden in den Redoutensaal zu einem Weinfrühschoppen mit Morgenimbiss über hundert Ehrengäste eingel a den. Unter den Festrednern befand sich au ch Rosenthal. Das Erlanger Tagblatt beric h- tete:

„Herr Professor Dr. Rosenthal toastete auf die städtischen Beamten und die guten Bezi e- hungen zwischen Bürgerschaft, städtischer Vertretung und Universität“. 1651

Künstlerische Bestandteile des Brunnens sind zwei Frauengestalten in a n tiken Gewändern am Nord - und Südrand eines mehrstufigen Brunnenbeckens, die j e- weils Universität und Gewerbe versinnbildlichen. Das Wasser aus der prach t voll verzierten Brunnensäule ergießt sich aus Löwenköpfen in vier Musche l schalen, die von vier spärlich bekleideten Figuren beiderlei Geschlechts getr a gen werden. In die Zwischenflächen sind die Reliefportraits der beiden Mar k grafen Ernst und Alexander und des Prinzregenten Luitpold sowie eine Tafel mit den für die Un i- versität bedeutenden Profe s soren Christian Friedrich von Glück , Johann Christian Konrad von Hofmann , Friedrich Rückert und Franz von Dit t rich eingelassen. 1652

1648 Vgl. SAE: 399 / 168, Bl. 150. 1649 Friedrich Wilhelm Wanderer (1840 – 1910) war Maler, Zeichn er, Illustrator und Kuns t- schriftsteller. 1868 wurde er Professor an der Nürnberger Kunstgewerbeschule. Stilistisch nei g te er zur Spätgotik und Renaissance. Nach Adolf Gnauths Tod wurde er sehr pop u lär und 1888 zum Ehrenbürger ernannt. Vgl. Winter (1999), S . 1157. 1650 Vgl. SAE: 399 / 168, Bl. 246. ET. 32. Jahrgang. Nr. 211. 9. September 1889, o. S. 1651 Zit. n. SAE: 399 / 168, Bl. 246. ET. 32. Jahrgang. Nr. 211. 9. September 1889, o. S. Es mag heute verwundern, wieso das „Toasten“ überhaupt wert schien, in der Ze itung erwähnt zu werden. Doch gab es zu dieser Zeit eine in besonderen Formen bestehende Trinkspruch - Kultur, die fester Bestandteil feierlicher Gesellschaften war. Der Toast war eine rhetorisch - geistige Leistung und gleichermaßen Hinweis auf die gesellscha ftliche Bedeutung des Toa s te n- den. Dies verdeutlicht sehr schön die Schilderung der Hochzeitstafel in dem ebe n falls im Jahre 1889 erschienenen Roman „Jenny Treibel“ von Theodor Fontane . Vgl. Lincke (1962.2), S. 824. In der Deutschen Marine wird das Toasten im Rahmen von Verabschiedungen („Farewell - Diners“) noch heute gepflegt. Zur Bedeutung des Diners als Ritual bürgerlicher Selbstdarste l- lung siehe Stürmer (1998), S. 28. 1652 Vgl. Bach - Damaskinos, Ruth: Paulibrunnen. In: Friederich, C., Haller, B. Frh. v., Jakob, A. (Hrsg.): Erlanger Stadtlexikon. Tümmels Verlag. Nürnberg. 2002, S. 545.

278 Mit der Fertigstellung dieses noch heute zu den Wahrzeichen Erlangens g e h ö- renden Kunstwerkes ist der Name Rosenthals unlösbar ve r bunden. Er war der Erste, der an der Planung beteiligt wurde, und gehörte zu denen, die nach ach t jä h- riger zäher Mühe um dieses Werk bei der Vollendung das Recht hatten, e i nen Trinkspruch auf das gemeinsam Geschaffene auszubringen. Die Verhan d lungen mit den Künstlern und die Beratungen der Entwürfe zeigen, dass Rose n thal auch eine künstlerische Ader hatte. Ohne eine Begeisterung für die bilde n den Künste ist seine ausdauernde Mitarbeit kaum zu erklären. Als die Zusa m mense t zung von Kommissionen, Arbeitsgruppen und anderen Verantwortlichen schon längst g e- wechselt hatte, war es R o sentha l, der mit Ausdauer dem Projekt Pauli - Brunnen zur Vollendung verhalf. Außerdem entsprach sein Mitwirken dem B e dürfnis des gehobenen Bürgertums, sich durch öffentliche Bauwerke Geltung zu verscha f- fen. 1653

3.9.2. Der Schlachthof

Knapp ein Jahr später, nachdem R osenthal von Bürgermeister Georg von Schuh in der Frage der Wasserversorgung des Kunstbrunnens zu einer Besprechung ei n- geladen worden war, wurde er von Schuh für das nächste Vorhaben in Ve r an t- wortung gezogen. Nachdem der Bez irksarzt Gustav Dorsch 1876 auf die No t- wendigkeit eines Schlachthofes hingewiesen hatte, war es Schuh, der Erh e bungen über die Anzahl der Erlanger Schlachtereien und deren Umfang an Schlachtungen durchführen ließ. 1654 Auslöser war in di esem Fall eine neue Reichsgewerbeor d- nung, die für öffentliche Schlachtungen den Schlachtzwang einführte. Verstöße gegen die neue Schlach t vorschrift sollten demnach sogar mit dem bayerischen Polizei - Strafgesetz geah n det werden. 1655 Rosenthal war Vorsitzender d er Erlanger Gesundheitskommission, zu we l cher auch der Apotheker August Böttiger , der Vorsitzende des Kollegiums der G e- meindebevollmächtigten Gustav Bissinger , die Professoren Walter von Heinecke ,

1653 Über die besondere Bedeutung von Symbolen und Monumenten im Kaiserreich vgl. Stü r- mer (1998), S. 95 - 98. 1654 Über Georg von Schuhs Verdienste um den Bau de s Erlanger Schlachthofs vgl. Bauer n- feind (2000), S. 80 - 83. 1655 Vgl. SAE: 410a / 45: § 23 Abs. 2 Reichsgewerbeordnung. Vgl. Schuh/Söldner: Der städt i- sche Schlachthof Erlangen. Junge & Sohn. Erlangen. 1892, S. 1.

279 Albert Hilger 1656 und Wilhelm von Leube , der praktische Arzt Wi l helm Hetzel , der Stadtbaurat Karl Söldner und der Militärarzt Friedrich Zick gehörten. 1657 Georg von Schuh traf sich mit den Mitgliedern der Gesundheit s kommi s sion am 8. März 1882 zu einer Besprechung, deren Zweck es war, die Möglichkeiten für den Bau einer Kanalisation zu erörtern , um die Vorausse t zung für die Errichtung eines städtischen Schlachthofes zu schaffen. 1658 Rose n thal setzte sich hierfür besonders ein, indem er in öffentlichen Vorträgen die notwendigen Arbeiten einem mö g- lichst großen Teil der Erlanger Bürger erklä r te. Es d auerte jedoch noch bis zum 17. Januar 1888, bis die städtischen Kolleg i en, d. h. der Magistrat und das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten, b e schli e- ßen konnten, eine Kommission zur Planung und Durchführung einzuse t zen. Diese Schlachthofkommission bestan d aus Rosenthal sowie Gustav Bissi n ger , August Vollrath und Michael Höfling . 1659 Sie muss sich der Aufgabe als nicht gewachsen erwiesen haben, denn zwei Jahre später gehörten ihr z u sä tzlich Bürgermeister Georg von Schuh , Rechtsrat Emil Fränger , Baurat Karl Söldner , Magistratsrat Heinrich Hartmann , Bezirksarzt Dr. August Maurer und die Metzgermeister Ma r- tin Christian Vierzigmann , Ferdinand Wolf und Christian Cazalet an. 1660 Mit dem Bau des Schlachthofes wurde am 1. April 1889 beg onnen. 1661 Vo r her waren zahlreiche andere städtische Schlachthöfe besichtigt worden, so zum Be i- spiel in Frankfurt, Würzburg, Erfurt und Leipzig. Nun entstand an der Dechsendorfer Straße eine zweckmäßige und leistungsfähige Anlage, zu der ein zweistöckiges Ver waltungsgebäude mit Räumlichkeiten zur Trichinenschau, Sta l- lungen für die verschiedenen Arten Vieh, ein Kühl - und Maschinenhaus, Schlachthallen, Kuttlerei 1662 und ein Brühhaus gehörten. 1663 Überdies wurde der Schlachthof mit modernster Kühltechnik der Wiesbadene r Firma Linde ausg e sta t- tet. Am 9. Juni 1890 wurde der Schlachthof eingeweiht. 1664 Mit 300.000 Mark

1656 Albert Hilger (1839 - 19 05) hatte sich 1869 in Würzburg für Ch e mie habilitiert, war 1872 außerordentlicher Professor und 1876 Ordinarius in Erlangen gewo r den. Vgl. Kolde (1910), S. 527. 1657 Vgl. SAE: 396 / 10, Bl. 45. 1658 Ausführlich über den Ausbau der Erlanger Kanalisation siehe Ba uernfeind (2000), S. 68 - 75. 1659 Vgl. SAE: 396 / 10, Bl. 150. 1660 Vgl. Bauernfeind (2000), S. 82. 1661 Vgl. SAE: 410a / 45. Schuh/Söldner: Der städtische Schlachthof in Erlangen. Junge & Sohn. Erlangen. 1892, S. 1. 1662 Kutteln, weibl., Mz.: Eingeweide. 1663 Ein detaill ierter Bauplan findet sich bei SAE: 410a / 45, o. S. Siehe Bildteil Abb. 44. 1664 Vgl. SAE: 410a / 45. Schuh/Söldner: Der städtische Schlachthof in Erlangen. Junge & Sohn. Erlangen. 1892, S. 2.

280 hatte er zwar die geplanten Haushaltsmittel um ein Drittel überschritten, doch ve r fügte nun auch Erlangen über eine Einrichtung, die den Anforderungen mode r- ner städtischer Sauberkeit und Lebensmittelhygiene entsprach. Jetzt konnte von öffentlicher Seite die Qualität von Fleisch und dessen Verarbeitung überprüft und Verstöße geahndet we r den. Als Mitglied der Schlachthofkommission brachte Rosenthal seine Kenntniss e aus der öffentlichen Gesundheitspflege ein. Inhalte seiner Vorlesungen waren ja Fr a gen des Grundwassers, der Verunreinigung durch Fäkalien, der Kanalisation, der Ventilation, des Fleisches und seiner Behandlung sowie die Wasserverso r- gung. 1665 So verwundert es nicht, dass Rosenthal erster Ansprechpartner für Schuh war, der in diesem beschlagenen Fachmann für die Umsetzung seiner Pl ä- ne eine echte Hilfe hatte. Ein Vergleich zwischen den Bemühungen Rudolf Vi r- chows hinsichtlich des Neubaus eines Schlachthauses in Be r lin - Lichterfelde 1877 und der Kampf um die Einführung des Schlachtzwangs mit Fleischb e schau mit dem Wirken Rosenthals in Erlangen zeigt eine erstaunliche Parallel i tät. 1666 Der schon zu Lebzeiten zum Volkshelden gewordene Rudolf Virchow diente Rose n- thal offensichtlich als Vorbild. Fast scheint es, als habe Georg von Schuh in R o- senthals Engagement als Hygieniker eine Garantie für das Gelingen seiner Vo r- haben gesehen. In seiner Eigenschaft als Bürgermeis ter waren Schuh freilich die größeren Lorbeeren vergönnt. Das mag auch für den Bau der S e kundä r bahn 1667 von Erlangen nach Gräfenberg gelten, wie im folgenden Kapitel ausgeführt wird. Die Hygienisierung Erlangens im Virchow´schen Sinne war dennoch das Erge b- nis der fruchtbaren Zusammenarbeit beider Männer. Dies wurde auch später in der Ö f fentlichkeit entsprechend anerkannt:

„Wenn Erlangen schon frühzeitig zu kanalisieren anfing, im Handumdrehen fast ein pra k- tisch und schöngebautes Schlachthaus und eine gute, bi llige Wasserleitung bekam, so dankt es das der Tatkraft zweier Männer, die lange Jahre hindurch zusammenwirkten, einer den andern stützend und ergänzend: jenem früheren unvergessenen Bürgermeister Dr. v. Schuh und Dr. Rosenthal. Was der eine auszuführen ha tte, das bereitete der andere durch aufklärende Vortr ä- ge vor, und die Einwohnerschaft war einsichtig genug, den wohlbegründeten Plänen ihre Z u- stimmung zu geben.“ 1668

1665 Vgl. Rosenthal (1887), S. VII - XIII. 1666 Zur Bedeutung Rudolf Virc hows für die Fleischbeschau vgl. Tiarks - Jungk (1984), S. 84 - 89 und Goschler (2002), S. 256 - 260. 1667 Umfassendere Darstellung siehe Bauernfeind (2000), S. 90 - 99. 1668 Zit. n. FN. 32. Jahrgang. Nr. 1. 2. Januar 1915, S. 1.

281 3.9.3. Die Sekundärbahn

Ein halbes Jahr, nachdem die Planungen für den Schlachthof begonnen ha t ten, war es Rosenthal, der Bürgermeister Georg von Schuh einen Brief schrieb, der von diesem mit dem Aktenvermerk vom 6. Oktober 1882 „ganz vertraulich“ ve r- sehen wurde. Rosenthal hatte Schuh mitgeteilt, „dass sich ein Fra nkfurter F i- nanzmann um die Herstellung einer elektrischen Eisenbahn von hier nach Gräfenberg bekümmere und dass es sich darum handele, zu erwägen, ob dieses Unternehmen Aussicht habe, sich zu renti e ren“. 1669 Beide Männer einigten sich in einer geheimen Unterr edung darauf, dass Schuh zunächst vertrauliche Erh e bu n- gen über den Verkehr einholen und dann eine erneute Besprechung erfolgen solle. Das Ergebnis muss günstig au s gefallen sein, denn nach einem Gespräch mit dem Bezirksamtmann Hauer in Forchheim berief Schuh am 26. Oktober 1882 eine B e- sprechung mit den Bürgermeistern von Dormitz, Hetzles, Neunki r chen, Gräfenberg und anderer an der geplanten Strecke liegender Orte ein. Eine weitere Sitzung folgte am 22. November im Erlanger Ratha us, bei der eine Pr o jektko m- mission gebildet wurde. 1670 Diesem „Exekutivkomité“ unter Vorsitz von Bürge r- meister Schuh gehörten Rosenthal, Apotheker August Böttiger , der Vo r sitzende des Gemeindekollegiums Gustav Bissinger , Regierungsrat Hugo Döderlein , B e- zirksamtmann Hauer aus Forc h heim und etliche Bürgermeister an, deren Orte von der geplanten Streckenführung betroffen w a ren. 1671 Mit großem Eifer hatte Schuh st atistisches Material für das Projekt zusammengestellt und veröffentlichte die Ergebnisse seiner U n tersuchungen im Januar 1883 in einer „Denkschrift über die Errichtung einer Sekundärbahn von Erlangen nach Eschenau“. 1672 Die Or t- schaft Gräfenberg hatte vo rerst ihre Beteiligung abg e sagt, da man mit einer A n- bindung an das wirtschaftlich stärkere Nürnberg lie b äugelte. 1673 Die Umstände, die Rosenthal dazu brachten, das Unternehmen einer Lokalbahn anzustoßen, fa n- den ihren Niederschlag in Schuhs Denkschrift. 1674 Im Mi ttelpunkt stand die Frage, wie die landwirtschaftlichen Erzeugnisse und B o denschätze des Erlanger Umla n-

1669 Zit. n. SAE: 288 / 1, Bl. 1. Aktenve rmerk Georg von Schuhs vom 6. Oktober 1882. 1670 Vgl. SAE: 288 / 1, Bl. 22. Sitzungsprotokoll vom 22. November 1882. 1671 Ebenda. 1672 Vgl. SAE: 288 / 1, Bl. 166. 1673 Vgl. SAE: 288 / 1. Mitteilung Georg von Schuhs an Rosenthal vom 22. Dezember 1882. 1674 Vgl. SAE: 288 / 1. Schuh, Georg von: Denkschrift über die Errichtung einer Sekundä r bahn von Erlangen nach Eschenau und darüber hinaus. Junge und Sohn. Erlangen. 1883, S. 2. Grundlegende Ideen wurden auch über die Presse der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Vgl. SAE: 288 / 2. Fränkische Nachrichten. 1. Jahrgang. Nr. 5. 21. Dezember 1883. S. 1. und e benda 22. Dezember 1883, S. 1.

282 des vermarktet werden könnten. Von staatlicher Seite war der Ausbau des Eise n- bahnnetzes abgeschlossen. 1675 Der Staat als Hauptinvestor fiel also aus. Gege n- d en ohne Anbindung an die Eisenbahn bli e ben vom Kreislauf der Wirtschaft a b- geschnitten. Mit dem Konzept einer priv a ten Finanzierung sollten nun klein e re und kostengünstigere Lokalbahnen die Aufgabe übernehmen, abgelegene, aber dennoch volkswirtschaftlich wi chtige Regionen, verkehrstechnisch an die Ha n- delszentren anzubinden. Mit den L o kalbahnen sollte auch eine bestmögliche A n- passung an die individuellen Ve r hältnisse der zu erschließenden Region ermö g- licht werden. Man versprach sich durch die Loslösung vom sc hwerfälligen staa t- lichen Eisenbahnbau einen schnelleren und billigeren Anschluss an den Markt. Auch der Staat hatte an di e sen Lokalbahnen Interesse, da der Staatshaushalt durch die Beteiligung von Pr i vatkapital entlastet wurde. Dies zeigt sich in den bayer ischen Gesetzen über den Bau von Lokalbahnen aus den Jahren 1882 und 1884. 1676 Alle Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit und technischen Ausführbarkeit wu r- den von der Frage der Finanzierung des Projektes bestimmt. Hier war es wieder Rosenthal, der durch persön liche Kontakte dem Vorhaben zum Durc h bruch ve r- half. Der oben erwähnte Frankfurter Finanzmann war Ludwig Baron von Erla n- ger . Rosenthal befand sich im April 1883 in Berlin und wohnte – vermutlich a n- lässlich des ersten Kongr esses für Innere Medizin – bei einem gewissen Herrn Friedberg Unter den Linden 42. Hier hatte er eine Unterredung mit Ludwig Baron von Erlanger , deren Ergebnis Rosenthal am 7. April 1888 umg e hend Georg von Schuh brieflich mitteilte:

„Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Berlin NW, 42 Unter den Linden.

Soeben habe ich den Baron von Erlanger persönlich gesprochen. Derselbe ist bereit, die F i- nanzierung unserer Bahn zu übernehmen. Sobald das technisch durchgearbeitete Detailprojekt fertig sein wird, will er weiter mit mir verhandeln. In etwa 8 Tagen gedenke ich nach Erl. z u- rückzukehren. Vielleicht haben Sie die Güte, mir mitzuteilen, wann der Ingen i eur kommt, da ich gern an den Besprechun gen mit diesem teilnehmen möchte.

Mit besten Grüßen Ihr hochachtungsvoll ergebener I. Rosenthal.“ 1677

1675 Ebenda. 1676 Vgl. SAE: 288 / 2. Fränkische Nachrichten. 1. Jahrgang. Nr. 5. 21. Dezember 1883. S. 1. und e benda 22. Dezember 1883, S. 1. 1677 Zit. n. SAE: 288 / 1, Bl. 248. Brief Rosenthals an Georg von Schuh vom 7. April 1883.

283 Rosenthal hatte folglich eine Schlüsselposition inne: Von seinem Verhan d lung s- geschick hing die Zukunft des Projektes ab. Er war sozusagen Georg von Schuhs Ge sandter bzw. Diplomat in der heiklen Frage der Finanzierung. Als Stimmen laut wu r den, die Strecke noch weiter bis nach Schnaittach zu führen, hielt Schuh die Schnaittacher Lokalbahn - Kommission so lange hin, bis die F i nanzierung des eigenen Bahnabschnittes gesichert war. Er fürchtete, dass sich Ludwig Baron von Erlanger bei einer weiteren Ausdehnung des Projektes aus der Finanzierung z u- rückziehen kön n te. 1678 Am 30. Mai 1883 fand eine Konferenz der Techniker mit dem Bezirksinge n i- eur Gustav Ebermayer aus München statt, zu der auch Rosenthal eingeladen wo r- den war. 1679 Gustav Ebermayer unterstand die Bauleitung der Lokalbahnen, und er hatte ein besonders enges Verhältnis zu Schuh. 1680 N ur eine Woche vo r her ha t- te der Erlanger nationalliberale Abgeordnete des bayerischen Landtags und des Reichstags, Professor Heinrich von Marquardsen , in München das Bahnprojekt mit Staatsminister Krafft Freiherr von Crails heim besprochen und die Genehm i- gung des Antrags mitgebracht, den das „Executivcomité“ im April 1883 g e stellt hatte. Nun konnten die schwierigen Verhandlungen über den Grunderwerb begi n nen. Diese wurden bis zum Oktob er 1883 abgeschlossen. Das Erlanger Tag e blatt b e- richtete am 4. Oktober, dass die Eigentümer des Grund und Bodens, auf dem die Bahnstrecke verlaufen sollte, das Land abgetreten hätten. 1681 Rosenthal unternahm mit sorgfältig erstellten Prospekten eine weitere V e r- han d lungsreise nach Frankfurt, um mit dem Bankier Baron von Erlanger die nächsten Schritte hinsichtlich der Finanzierung der L o kalbahn zu besprechen. Aus dem „Grand Hotel de Francfort“ Fran k furter Hof schrieb er an Schuh:

„Das Haus Erlanger & Söhne ist b ereit, den Bau und Betrieb der Bahn Erlangen - Forth zu übernehmen, falls die zum erfolgreichen Betrieb notwendigen Subventionen von Staat und Gemeinden ges i chert sind (...)“. 1682

Der weitere Verlauf der Verhandlungen ergab, dass auch eine Verlängerung der Bahn strecke bis nach Gräfenberg mitfinanziert werden würde. Georg von Schuhs Befürchtungen hatten sich als unbegründet erwiesen. Die Verhan d lungskunst R o-

1678 Vgl. Bauernfeind (2000), S. 95. 1679 Vgl. SAE: 288 / 1, Bl. 25. 1680 Vgl. Bauernfeind (2000), S. 93. 1681 Vgl. SAE: 288 / 1, Bl. 26. Erlanger Tagblat t. Nr. 232. 4. Oktober 1883, S. 1. 1682 Zit. n. SAE: 288 / 1, Bl. 29. Brief Rosenthals an Georg von Schuh vom 18. Oktober 1883.

284 senthals und die sorgfältig z u sammengestellten Unterlagen hatten ihre Wirkung nicht ve r fehlt. Das Erlanger Lokalbahnprojekt erhielt allerdings Konkurrenz durch eine a n d e- re Kommission, die eine Bahnlinie von Nürnberg nach Gräfenberg befürwo r tete und nun ebenfalls ihre Interessen in den Sitzungen des Landtages in Mü n chen vertrat. 1683 Auch für dieses Unternehmen gab es gute Gründe: Nürnberg als Haupthopfenmarkt würde so Anschluss an das Gebirgshopfenland bis Betzenstein mit Gräfenberg als dem Zentrum der Fränkischen Schweiz erhalten. Außerdem würden ohnehin die Erträge des Obstanbaus und der Geflügelzucht nach Nür n- be rg abgeführt, wobei Erlangen für die Waren ein Umweg war. 1684 In den Deba t- ten der bayerischen Abgeordnetenkammer wurden um beide Vorh a ben harte Auseina n dersetzungen geführt. Auch die lokale und überregionale Presse nahm daran regen Anteil. Letztlich siegte da s Erlanger Projekt. Im Fe b ruar 1884 wurde der Gesetzentwurf für die Strecke Erlangen - Gräfenberg von der bayerischen A b- geordnetenkammer angenommen. 1685 Dies ist offensichtlich den besseren polit i- schen Ko n takten Schuhs nach München zu verdanken: Georg von Schuh hatte das Wohlwollen des Minist e riums des Innern und gute, auch verwandtschaftliche Beziehungen zur Generaldirektion der bayerischen Staat s eisenbahn: Gustav Ebermayer war Schuhs Vetter. 1686 Darüber hinaus wurde Schuh durch die b e- kannten Erlanger Politiker Heinrich von Marquardsen und Franz Freiherr Schenk von Stauffenberg sowie den Staatsminister des kgl. Ha u ses und de s Äußern, Krafft Freiherr von Crailsheim , unterstützt. 1687 Die frühe und sorgfältige Ve r- mar k tung des Projektes wird zusätzlich zum Erfolg beig e tragen haben. Auch darf die Einflussnahme auf die Öffentlichkeit durch die P resse nicht unterschätzt we r- den. 1688 Von den Ge g nern des Gesetzentwurfes wurde besonders bemängelt, dass das Land durch die staatlichen Zuschüsse in Millionenhöhe schwer belastet wü r- de und die Erwartungen hinsichtlich des E r trages völlig unrealistisch seien. Man betrachtete das Erlanger Lokalbahnpr o jekt als wirtschaftlich unsinnig und wertete es als lokalen Interessenklüngel ei n zelner Vertreter und Günstlinge des bayer i-

1683 Vgl. Bauernfeind (2000), S. 96. 1684 Vgl. SAE: 288 / 2, Bl. 123. Nürnberger Anzeiger. 27. Jahrgang. Nr. 60. 29. Februar 1884, S. 1. 1685 Vgl. SAE: 288 / 2, Bl. 122. Fränkischer Kurier. 51. Jahrgang. Nr.108. 28. Februar 1884, S. 1. 1686 Vgl. Bauernfeind (2000), S. 94. 1687 Vgl. Bauernfeind (2000), S. 95 - 97. 1688 Besonders die Fränkischen Nachrichten waren von Rosen thal dazu genutzt worden, die öffentliche Meinung von der Notwendigkeit der Sekundärbahn zu überzeugen. Vgl. SAE: 288 / 2. Fränkische Nachrichten. 1. Jahrgang. Nr. 5. 21. Dezember 1883, S. 1.

285 schen E i senbahnausschusses, womit in erster Linie natürlich Gustav Ebermayer und Georg von Schuh gemeint w a ren. 1689 Am 17. November 1886 wurde die Eisenbahntrecke eingeweiht. 1690 Sie b e gann am Erlanger Bahnhof und führte entlang der Ringstraße – der heut i gen Werner - von - Siemens - Straße – in die Luitpoldstraße, an deren Kreuzung mit der Loewe n- ichstraße ein kleiner, inzw i schen abgerissener Bahnhof gebaut worden war. Eine illustre Festgesellschaft dampfte, da man sich gegen den von Rose n thal empfo h- lenen elektrischen B etrieb entschieden hatte, über die festlich g e schmückten Dö r- fer Buckenhof, Uttenreuth, Dormitz, Neunkirchen, Kleinsendelbach, Eschenau, Forth, Igensdorf und Weißenohe nach Gräfenberg, wo ein Festessen und ein Volksfest veranstaltet wurden. 1691 Angesichts der gr o ßen planerischen, jurist i- schen und technischen He r ausforderungen des Projektes war eine verhältnismäßig kurze Zeit vom Beginn der Planungen bis zur Ve r wirklichung vergangen. Die schwierigen Fragen der Finanzierung und des Grunderwerbs sowie die Bauau s- fü hrung der 28 Kilometer langen Strecke waren bewältigt worden. Erhebt man die Finanzierung zur Kardinalfrage, ist unbestri t ten, dass in Rosenthals Beteil i- gung in der Lokalbah n kommission die Ursache für die geglückte Ausführung zu sehen ist. Im Verwaltungsbe richt des Stadtm a gistrats Erlangen wurde Rosenthals Ve r dienst besonders hervorgehoben. 1692 Die Sekundärbahn – bei den Erlangern auch als „Seekuh“ bekannt – war bis zur Streckenstilllegung am 16. Februar 1963 in B e trieb. 1693 Rosenthals Wirken für die Allgemeinhei t ist in vielen Nachrufen beschrieben worden. Er e r scheint als ein Gelehrter, der sein Wissen und seine Erfahrung in den Dienst des Allgemeinwohls gestellt hat. Oskar Schulz , Rosenthals langjä h r i- ger und vertrauter Mitarbeiter, beschri eb 1897 das Wi r ken seines Lehrers mit den Worten:

„(...) Wer die Entwicklung unserer Stadt in den letzten zwei Decennien näher ve r folgt, wer nach den treibenden Kräften fragt, die zur Hebung der öffentlichen Wohlfahrt beitragen und die Schaffung segensreic her communaler Einrichtungen gefördert haben, wird seiner [d. i. Rose n- thal, Verf.] selbstlosen Thätigkeit auf Schritt und Tritt bege g nen. “ 1694

1689 Vgl. SAE: 288 / 2, Bl. 122. Fränkischer Kurier. 51. Jahrgang. Nr. 108. 28. Februar. 1884, S. 1. 1690 Vgl. Bauernfeind (2000), S. 98. 1691 Ebenda. 1692 Vgl. Verwaltungsbericht (1885), S. 15. 1693 Vgl. Metzner (1885), S. 248. Siehe Bildteil Abb. 45. 1694 Zit. n. Schulz (1897), S. 509.

286 Sein Wirken ist Ursache und Begründung für die zahlreichen Ehrungen, die R o- senthal im Alter zuteil wurden.

3.10. Ro senthals Ehrungen

Das Eiserne Kreuz am weißen Bande, 1695 das Rosenthal im Deutsch - Französischen Krieg 1871 verliehen wurde, ist im Sinne der Ordenskunde (Phaleristik) kein Orden, sondern ein Ehrenzeichen. „Eingebettet in das histor i- sche Geschehen und die exi stenzielle Bedrohung des Königreiches Preußen kommt ihm jedoch als Fanal eine für den Aufbruch Preußens gegen die napol e o- nische Herrschaft größere Bedeutung zu. (...) Niemals wieder und niemals a n- derswo hat ein Symbol, bei seiner Stiftung nur für einen, de n Befreiungskrieg, gedacht, unmittelbar eine staatspolitisch so integrierende Kraft ausgestrahlt und behalten! Die herausrage n de Manifestation (...) des Eisernen Kreuzes läßt sich allein schon an den Erneuerungen der Jahre 1870, 1914 und 1939, wenn auch u n- ter veränderten Vorze i chen, ablesen. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die Feldzüge von 1864 und 1866 diese Auszeichnung nicht kannten, weil die polit i- schen Ansprüche dafür nicht vo r handen waren.“ 1696 Das Eiserne Kreuz war 1813 durch den preußischen Köni g Friedrich Wilhelm III. als Auszeic h nung „für alle Preußen“ 1697 nach einem Entwurf des berühmten Architekten Karl Friedrich Schinkel erstmals gestiftet worden. Es lehnte sich in seiner G e staltun g an das Vorbild des Deutschordenskreuzes an, dessen erstes Vorko m men schon als Tatzenkreuz ähnlich dem Kreuz der Tempelritter im Siegel 1698 des livländischen Schwertbrüderordens 1699 aus dem Jahr 1232 verwendet wurde. Damit hat es se i- nen U r sprung in Preußens frü hester Geschichte. Noch heute ist das Eiserne Kreuz das nationale Erkennungszeichen an den gepanzerten Fah r zeugen, Flugzeugen

1695 Siehe Bildteil Abb. 20. 1696 Zit. n. Nimmergut (1 997), S. 1007. 1697 Zit n. Nimmergut (1997), S. 1010. 1698 Vgl. Benninghoven (1990), Abbildung S. 58. 1699 Der Schwertbruderorden war 1202 von Bischof Albert von Riga gegründet worden und den livländischen Bischöfen Gehorsam schuldig. Konrad, der Herzog von Masowie n, rief 1226 den Deutschen Orden gegen den aufständischen Stamm der baltischen Pruzzen zu Hilfe. Er versprach als Gegenleistung das noch zu erobe r nde Kulmerland als nur vom Kaiser und Papst abhängiges Gebiet. Kaiser Friedrich II. best ätigte dem Deutschen Orden diese Sche n kung und trug ihm die Eroberung Preußens auf. Durch eine päpstlicheVerfügung wurden 1236 beide Orden vereinigt, nachdem die Schwertbrüder durch die Litauer eine existenzbedrohliche Ni e- derlage erlitten ha t ten. Vgl. Häus ler (1998.1), S. 256.

287 und Schiffen der Bundeswehr und erscheint als deren al l gemeines „Markenze i- chen“ in der Öffentlichkeit, zum Beispiel in Werbefilmen und auf Information s- broschüren. Die Neustiftung 1870 durch König Wilhelm I. unterstrich die nationale B e de u- tung des Krieges g e gen Frankreich. Sein Ergebnis, die Kaiserproklamation und die Gründung des Zweiten Deutschen Re i ches belegen dies. Denn auch hier ging es um einen Krieg, der das gesamte deutsche Volk betraf, ähnlich wie in den B e- freiungskriegen gegen Napoleon . 1700 Das schwarze Band mit weißer Einfassung wurde für Verdienste im Kampf verliehen, das weiße Band mit schwarzer Einfassung war für Verdienste der Nichtkämpfer bestimmt. Die Verleihung des Eisernen Kreuzes für Nichtkäm p fer blieb außerordentlich spärlich. Neben Rosenthal erhielten es z. B. der Lei b arzt des Königs, Generalstabarzt Gustav von Lauer , die Generalärzte der pre u ßischen Armee Bernhard von Langenbeck und Adolf von Bardeleben sowie die Genera l- ärzte der bayerischen und sächsischen Armee von Johann Nepomuk Ri t ter von Nussbaum und Wilhelm August Roth und schließlich der Divisionsarzt der 1. Bayerischen Infanteriedivision Oberstabsarzt Carl Ritter von Lotzbeck . 1701 An den Verle ihungen wird deutlich, dass das seinen Ursprüngen nach preuß i- sche Eiserne Kreuz in seiner Wirkung und Bedeutung eine nationale Tapfe r keit s- auszeichnung war, die allen deutschen Soldaten verliehen werden konnte. Es symb o lisierte auch das Gedankengut der preu ßischen Reformer hinsichtlich der Beseitigung der Standesunterschiede. Die Verleihung erfolgte nach dem Grun d- satz der Anerkennung von Leistung und Tapferkeit, ohne dass Herkunft, Bildung und Religion berücksichtigt wurden. 1702 Die Tatsache, dass diese Au s zeic hnung auch Juden erhielten, bestätigt dies. Damit war gleichzeitig der Ö f fentlichkeit bewiesen, dass auch die Juden bereit waren, ihr Leben für den K ö nig und die deutsche Einigung einzusetzen und somit auch beanspruchen kon n ten, als vol l- wertige deu t sche St aatsbürger anerkannt zu werden. Das Vorurteil des jüdischen „Schnorrertums“ (ein zeitgenössisches Schlagwort, das eine D a seinsform ohne Bindung an Volk und Staat bezeichnete) wurde hiermit wide r legt. 1703 Die Beseit i- gung des Standesdenkens wird auch an der Bez eichnung der Ausgezeichn e ten

1700 Vgl. Potempa (2003), S. 11. 1701 Vgl. Pflugk - Harttung (1894), S. 351, 455, 368, 371, 372, 373. 1702 Vgl. Potempa (2003), S. 6 - 8. 1703 Dieses Schlagwort wurde auch von emanzipierten, bürgerlichen Juden und Mitgliedern des „Vereins zur Abwehr des Antisemitismus“ im Hinblick auf die Ostjuden verwendet (vgl. Ak a- demische Turnzeitung. Bd. 14. 1887/1888, S. 213) und wird selbst in neuerer Zeit durch den bekannten jüdischen Schriftsteller und Satiriker Ephraim Kishon lebendig gehalten. Vgl. Ki s- hon, E phraim: Kishons beste Geschichten. 1. Auflage. Lübbe. Be r gisch - Gladbach. 2004, S. 97.

288 deutlich. Sie waren nicht Ritter eines Ordens, sondern Inhaber des Eisernen Kreuzes. 1704 Für Rosenthal war diese Auszeichnung eine Empfehlung, die von seinem U m- feld bis zu seinem Tod stets registriert wurde. Es kann nicht verwu n dern, dass sich die Erwähnung dieser Auszeichnung in sämtlichen Lebensläufen, bi o graf i- schen Darstellungen und sonstigen Empfehlungsschreiben 1705 findet. Sie galt in der bürgerlich - nationalen Gesellschaft als Beweis einer patriotischen G e sinnung, Zuverlässigke it und Ehrbarkeit und schuf gewissermaßen ein Gege n gewicht zu se i ner jüdischen Herkunft. Dem Judentum haftete das antisemitische Vorurteil der Feigheit und Wehruntüchtigkeit an und galt in seiner Internation a lität als Inbegriff für Heimatlosigkeit und staa tliche Entwurzelung. Das Eiserne Kreuz machte aus dem Juden Rosenthal einen tapferen Helden, der sich mit se i nem Leben für das Vate r land eingesetzt hatte. Für die Teilnahme an allen drei deutschen Einigungskriegen hatte Rosenthal außerdem die Kriegsgedenkm ünzen verliehen bekommen. 1706

Rosenthal wurde 1884 das Ritterkreuz 1. Klasse älterer Ordnung des Verdienst - Ordens vom heiligen Michael verliehen. 1707 Diese Auszeichnung war 1837 von König Ludwig I. von Bayern gestiftet wo r den und löste den Hau s - Ritter - Orden ab. 1708 Der neugeschaffene Orden konnte jedem In - und Ausländer, der „sich durch Anhänglichkeit, durch Vaterlandsliebe und durch ausgezeichnetes nützl i- ches Wirken irgend einer Art die besondere Zufriedenheit des Königs erworben hat[te]“ 1709 ohne U nterschied des Standes, der Geburt und der Religion verli e hen werden. Die Verleihung war zunächst begrenzt auf 24 Großkreuze, 40 Komture und 300 Ritter. 1855 wurde eine Unterteilung der Ritter in eine erste und zweite Klasse vorgenommen. Der Begriff „älter e Ordnung“ trägt dem U m stand Rec h- nung, dass 1887 der Orden auf Anregung des Staatsmini s ters Krafft Freiherrn von

1704 Vgl. Nimmergut (1997), S. 1012. 1705 Bei der Berufung zum ordentlichen Professor ist eine ausgleichende Wirkung des Eise r nen Kreuzes im Hinblick auf Rosenthals mosaischen Glauben unverkennbar. Vgl. UAE: R. Th. II. Pos. 1. Nr. 32, o. S. Empfehlungsschreiben des Dekans der medizinischen Fakultät Professor Friedrich Albert von Zenker an den akadem i schen Senat (Anlage für den Antrag des Sena ts an das Kultusministerium zur Berufung R o senthals) vom 31. Dezember 1871. 1706 Vgl. SAE: III. 72. R. 1, o. S. Vita Rosenthals. Siehe Bildteil Abb. 21. 1707 Vgl. BayHStA: MK 40510, o. S. Bericht des Kultusministeriums an den Prinzregenten Lui t pold vom 17. Juni 1908. 1708 Zur Geschichte des Ordens vgl. Nimmergut (1997), S. 164 - 174. 1709 Zit. n. Nimmergut (1997), S. 164.

289 Crailsheim auf vier Klassen erweitert wurde. Die R e vision sollte den Orden dem preußischen Rote - Adler - Orden angle i chen. 1710 Der Orden besteht aus einem blau emaillierten Kreuz, in dessen Kreuzarmen die Buchstaben PFFP eingelassen sind, die für den Wahlspruch des Ordens st e- hen: PRINCIPI FIDELIS FAVERE PATRIA, dem Fürsten treu, dem Vaterlande dienstbar. 1711 Die Verdienste, für die Rosenthal geehrt wurde, waren seine Lei s- tungen als Forscher und Lehrer. Er zählte schon zu seinen Lebzeiten zu den „a n- gesehensten Physiologen Deutschlands“ 1712 und hatte „auch als Lehrer große Verdienste sich erworben“. 1713 Dies mac h te ihn zum Ritter des Verdienstordens vom Heiligen M ichael, dessen Großmeister 1884 noch der exzentrische König Ludwig II. war, der Förderer des Komponisten Richard Wagner . Anlässlich seines 70. Geburtstages, am 16. Juli 1906, wurde Rosenthal das E h- renbürgerrecht d er Stadt Erlangen „in dankbarer Anerkennung seiner ausg e zeic h- neten und verdienstvollen Wirksamkeit in unserer Stadt und für unser G e meinw e- sen“ 1714 verliehen. Die Ehre n bürgerurkunde wurde in einer kunstvoll gearbeiteten Mappe übe r reicht, für deren Herstellung der Finanzausschuss die beträchtliche Summe von 200 Mark einstimmig bewilligte. 1715 An Rosenthals Geburtstag e r- schien eine sechsköpfige Abordnung der Gemeindekollegien unter Leitung von Bürgermeister Emil Fränger zur Überreichung von Kun s t mappe und Urkunde. Das besondere an dieser Auszeichnung war, dass sie die Zeit b e endete, in we l- cher Rosenthal keinerlei Ehrung für sein Wirken erhalten hatte. Rosenthal b e- dankte sich in einem Schreiben an den Magistrat mit den besche i denen Worten:

„Ich b in mir bewusst, dass ich diese höchste Ehre, welche ein städtisches Gemeinwesen ve r- leihen kann, weniger durch das, was ich geleistet habe, verdient habe als durch den guten Wi l- len, den ich von Beginn meines Aufenthalts in dieser Stadt gehabt habe, nach mei nen Kräften meine Schuldigkeit als Bürger zu erfü l len. “ 1716

1710 Ebenda, S. 165. 1711 Siehe Bildteil Abb. 46. 1712 Zit. n. BayHStA: MK 40510, o. S. Bericht des Kultusministeriums an den Pr inzregenten Luitpold vom 17. Juni 1908. 1713 Ebenda. 1714 Zit. n. SAE: 6. A. Nr. II. 711, o. S. Ehrenbürgerbrief der Stadt Erlangen vom 23. Juni 1906. 1715 Vgl. SAE: 6. A. Nr. II. 711, o. S. Gutachten des Finanzausschuss vom 19. Juni 1 906. 1716 Zit. n. SAE: 6. A. Nr. II. 711, o. S. Dankschreiben Rosenthals vom 19. Juli 1906.

290 Als „Zeichen der Erinnerung“ überließ Rosenthal den Gemeindekollegien ein Portrait 1717 und eine Geldspende von 300 Mark, das der Wellhöfer´schen Sti f- tung 1718 zugewiesen wurde.

Auf Antrag des Kultusminist eriums vom 17. Juni 1908 wurde Rosenthal durch Seine Königliche Hoheit, den Prinzregenten Luitpold , der Titel und Rang eines Königlichen G e heimen Hofrates verliehen. 1719 Anlass war die Einhundert - Jahr - Feier der Physikalisch - Mediz inischen Sozietät zu Erlangen. In der Begründung hieß es, weniger die Person Rosenthals, sondern vielmehr die Gesellschaft selbst, deren 1. Vorsitzender Rosenthal war, solle durch die Verleihung des T i tels geehrt werden. Die Ursache dafür, dass Rosenthal n icht schon früher ausg e zeichnet wurde, war dessen „Gotteslästerung“ im Jahre 1897 gewesen. So fo r mulierte das Kultusministerium:

„Nachdem nunmehr elf Jahre nach dem Vorkommnis vergangen sind und inzwischen Dr. Rosenthal zu keinerlei Beanstandungen mehr An lass gegeben hat, dürfte jene frühere Verfe h- lung einer Allerhöchsten Auszeichnung, deren Rosenthal als Forscher und Lehrer gleich wü r dig erscheint, nicht mehr hindernd im Wege stehen, zumal zunächst nicht einer Ehrung seiner Pe r- son, sondern vielmehr eine s olche der Gesellschaft, der er vo r steht, in Frage kommt.“ 1720

An dieser diplomatischen Wortwahl ist zu sehen, wie behutsam bei der Au s- zeichnung eines Juden verfahren wurde und wie gegenwärtig noch die einmal i ge „Ve r fehlung“ war. Der 2. Vorsitzende, Professor Eilhard Wiedemann , erhielt den Verdienstorden vom heiligen Michael IV. Klasse. Die Auszeic h nungen wurden vormittags am 27. Juni im Rahmen eines Festaktes in der Univers i tätsaula bekannt gegeben. 1721

1717 Siehe Bildteil Abb. 2. 1718 Der ledige Zinngießermeister Johann Georg Wellhöfer stiftete 1891 für ein Heim zur B e- treuung mittelloser älterer Bürger ein Kapital von 5.00 0 Mark, das in den folgenden Jahren durch Vermächtnisse, Schenkungen, Zinserträge und die Stiftung des Strumpfwirkers Ernst Barthelmeß aufgestockt wurde. Auf dieser finanziellen Grundlage konnten die Anwesen Nür n- berger Straße 36 und 38 mit einem Garten bis zur Schuhstraße angekauft und das Bü r gerstift dort am 1. April 1901 eröffnet werden. Vgl. Loos, Edeltraud: Bürgerstift. In: Erlanger Stadtl e- xikon. Tümmels Verlag. Nürnberg. 2002, S. 186. 1719 Vgl. BayHStA: MK 40510, o. S. Antrag vom 17. Juni 1908. 1720 Zit. n. BayHStA: MK 40510, o. S. Antrag des Kultusministeriums an den bayerischen Prinzregenten Luitpold vom 17. Juni 1908. 1721 Vgl. BayHStA: MK 40510, o. S. Anweisung des Kultusministeriums an den akadem i schen Senat vom 21. Juli 1908.

291 Im Juli 1909 wurde Rosenthal m it der Ehrendoktorwürde der philosophischen Fakultät ausgezeichnet, deren Dekan Professor Eilhard Wiedemann war. 1722 Dies war ein Ergebnis der engen Zusammenarbeit und Freundschaft der beiden Mä n- ner in der Physikalisch - Medizinischen Sozietät und im Rahmen der Fo r schungen Rosenthals auf dem Gebiet der Kalorimetrie. Wiedemann war Profe s sor für exp e- rimentelle Physik und 1886 nach Erlangen gekommen. Seine Spez i algebiete w a- ren die Wärmelehre und Leitung von Elektrizität in Gasen. 1723 W e sentl iche Anr e- gungen zum Bau seiner Kalorimeter wird Rosenthal durch Wi e demann erhalten haben. Er selbst sah in der Au s zeichnung eine Anerkennung seines Bestrebens, neben seiner Fachwissenschaft „auch die verwandten natu r wissenschaftlichen Fächer nach Kräften z u pflegen und den Zusammenhang der verschiedenen Wi s- senschaften untereinander (...) zur Geltung zu bri n gen.“ 1724 Nur einen Monat später, am 4. August 1909, erhielt Rosenthal einen weiteren Orden, diesmal aus den Händen des Prorektors der Univers i tät, Gustav Hauser . Vom bayerischen Staatsministerium des Innern war dem akademischen Senat ein Paket mit dem „Kommandeurkreuz des Ordens der Italienischen Krone“ 1725 zug e- sandt worden, den der König von Italien, Victor Emanuel III. , Rosenthal im Juli verliehen hatte. Die italienische Gesandtschaft hatte in München dem Staatsm i- ni s terium Urkunde und Orden überbracht, wobei es dem König von Bayern, Prinzregent Luitpold , vorbehalten war, die Trag eerlaubnis zu erteilen. Diese Au s- zeichnung war eine Anerkennung der guten Beziehungen zu italien i schen Fo r- schern. 1726 Schon für das Jahr 1876 gibt es einen Beleg, dass in R o se n thals Inst i-

1722 Vgl. UAE: 3 / 46 / 3147. Urkunde vom 10. Juli 1909. 1723 Vgl. Wachter, C.: Wiedemann. In: Friederich, C. / Stadtmuseum (Hrsg.): Die Friedrich - Alexander - Universität Erlangen - Nürnberg 1743 – 1993. W. Tümmels. Nür n berg. 1993, S. 746. 1724 Zit. n. UAE: 3 / 46 /314 7, o. S. Dankschreiben Rosenthals an die philosophischen Fakultät vom 28. Juli 1909. 1725 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32, o. S. Schreiben des Kultusministeriums an den S e- nat der Universität Erlangen vom 26. Juli 1909. Der Orden der Krone Italiens war am 20. Fe b- ruar 1868 durch König Victor Emanuel II. zum Andenken an die Einigung Italiens gestiftet worden und belohnte außerordentliche Verdienste von Itali e nern und Ausländern zum Wohle Italiens. Das Kleinod bestand aus einem goldbordierten, weißemaillier ten schmalen Ruppertkreuz, durch dessen Winkel sich goldene Liebesknoten schlingen und in dessen gol d- bordierten himmelblauen Herzschild sich die Krone Italiens und auf der Rückseite ein gekrö n- ter schwarzer Adler befinden. Das Band ist kirschrot und hat in der Mitte einen weißen Stre i- fen. Der Orden besteht aus fünf Klassen: Großkreuze (60), Großoffiziere (150), Kommande u re (500), Offizi e re (2000) und Ritter ohne Beschränkung der Anzahl. Das Kommandeurkreuz wurde um den Hals getragen. Vgl. Gritzner (1893), S. 176 - 178. 1726 Ein genauer Anlass der Verleihung lässt sich nicht nachweisen, da die Akten im BayHStA über „Fremde Titel und Orden“ erst ab dem Jahr 1912 dokumentiert sind.

292 tut italienische Studenten forschten und promovierten. 1727 Seitdem Rosentha l 1890 am XI. internationalen medizinischen Kongress in Rom teilg e nommen hatte, waren noch engere Kontakte zu italienischen Forschern entsta n den. Rosenthal hatte junge italienische Physiologen am Erlanger Institut als wisse n schaftliche Mitarbeiter angestel lt. 1728 Anlässlich seines Rücktritts vom akademischen Lehramt mit Wirkung vom 1. Oktober 1913 wurde Rosenthal von seiner Majestät, dem bayerischen König Ludwig III. schließlich der Titel eines Königlich Geheimen Rates „in Anerke n- nung seine r vorzüglichen Dienstleistung“ 1729 verliehen. Der Bürgermeister Ho f rat Emil Fränger und der zweite Vorstand des Gemeindekollegiums, der Buc h händler Rudolf Merkel machten einen Besuch auf dem Burgberg, um Rosenthal zu dieser Auszeichnung zu beglückwünschen, so wie es auch zu jedem Geburt s tag eines Ehrenbü r gers üblich war. 1730

Welche Bedeutung Rosenthal seinen Auszeichnungen beimaß, lässt sic h nicht bestimmt sagen. Es ist nur verwunderlich, dass es keine einzige Abbi l d ung von Rosenthal gibt, auf welcher er mit seinen Auszeichnungen zu sehen ist. Das ist für die damalige Zeit ungewöhnlich. Viele Geehrte seiner Zeit ließen sich in vollem Ordensschmuck fotografieren. 1731 Im Bürge r tum spielte das Bedürfnis zu zeigen, was man d arstellte, vielfach eine große Bedeutung. Nicht so bei R o senthal. Es existieren keine Fotografien oder Bilder, die ihn mit angelegtem Ri t terkreuz des Ordens vom Heiligen Michael oder dem Eisernen Kreuz am we i ßem Bande ze i- gen. Dies mag ein Hinweis auf Rosen thals Selbstverständnis sein: Für ihn zählte nur die Leistung um ihrer selbst willen und nicht die Wi r kung, die damit in der Öffen t lichkeit zu erzielen war.

1727 So arbeitete z. B. ein Medizinstudent namens Guilini über die Wirkung von Alkalo i den . Vgl. Rosenthal (1876.3), S. 181. 1728 Die Stelle des zweiten Assistenten am physiologischen Institut war im WS 1894/95 mit Herrn Dr. Zaccaria Treves und im WS 1895/96 mit Dr. Alberico Benedicenti besetzt. Vgl. Ü bersicht (1895) , S. 15 und Übersicht (1896), S. 15. 1729 Zit. n. UAE: R. Th. II. Pos. 1. No. 32, o. S. Allerhöchste Verfügung vom 13. Juli 1913. 1730 Vgl. SAE: 6. A. Nr. II. 711, o. S. ET. 16. Juli 1913. Dankschreiben Rosenthals an Magis t- rat und Gemeindeko l legium vom 18. Juli 1913. 1731 Vergleiche Abbildungen von Georg von Schuh oder Ludwig von Gerngros bei Bauer n- feind (2000), Anhang Bild 30 u. 37.

293 3.11. «Cherchez la femme!»: Anna Rosenthal

„Die Frau macht den Mann“, so i st manchmal zu hören. In der Tat kann eine gute Partnerschaft Schwächen eines Charakters mildern und Stärken fö r dern. Anna Rosenthal ist von Zeitgenossen als „von gleichem Streben beseelte G e fährtin“ 1732 und die Ehe der beiden als beso nders harmonisch beschrieben wo r den. Anna R o- senthal galt als „verständnisvolle und liebenswürdige Frau“, 1733 deren Haus in Erlangen „im Vordergrund des gesellschaftlichen Lebens“ 1734 der kleinen Unive r- sitätsstadt darstellte. 1735 Noch fünfzeh n Jahre nach Rosenthals Tod wurde die Ausstrahlungskraft und Harmonie dieser Ehe g e rühmt. 1736 Es bleibt im Dunkeln, wie diese offensichtlich glückliche Beziehung entsta n den ist. Anna Jeannette Amalie Höber wurde am 5. September 1841 geboren. 1737 Ihr Vater Eduar d Höber war ein angesehener, wohlhabender jüdischer Kau f mann aus Karl s ruhe, wo derselbe früh verstorben war. 1738 Annas Mutter war eine geborene Oppenheim, die Schwester des bekannten jüdischen liberalen Parlamentariers Heinrich Bernhard Oppenheim . 1739 Anna kam mit ihrer verwi t weten Mutter 1861 nach Berlin. Sie wohnten unter der Obhut und Nähe des b e kannten Verwandten in der Dorotheenstraße 56. 1740 Heinrich Bernhard Oppe n heims Wohnung lag nicht weit entfernt in der Dorotheenstraße 84. 1741 Wah r scheinlich ist, dass Anna Höber über die politischen Kontakte ihres Onkels zu Rosenthal mit diesem in Ko n takt

1732 Zit. n. Höber (1915), S. 294. 1733 Zit. n. Ewald (1915), S. 279. 1734 Zit. n. SAE: III. 72. R. 1, o. S. Er langer Tagblatt. 19. Oktober 1928, S. 4. Aus der Gra b- r e de Ernst Grasers. 1735 Vgl. Kap. 3.4.2., S. 173 . 1736 Vgl. Göhring (1930), S. 119. 1737 S. die Inschrift des Grabobelisken auf dem Erlanger Zentralfriedhof. 1738 Vgl. LAB: A. Pr. Br. Rep. 005A. Bd. 6841, S. 122. 1739 Ebenda. Annas Bruder Anselm Emil Höber war ein Kaufmann aus Stettin. Aus dessen Ehe mit Elise Köhlau ging Rudolf Höber hervor, der in Kiel von Rosenthals Freund Victor Hensen den Lehrstuhl für Physiologie ü bernahm und das physiolog i sche Institut von 1914 bis 1933 seiner Glanzzeit zuführte. Er heiratete Josephine Marx, die Schwester von Rosenthals Pfleg e- sohn Erich Marx . Wegen seiner jüdischen Herkunft verlor er seinen Lehrstuhl und em i grie rte nach England, dann in die Vereini g ten Staaten, wo er 1953 in Philadelphia verstarb. Zu seinen Schülern gehörte u. a. der Nobelpreisträger Otto Meyerhof . Höber gilt als Begründer der m o- dernen Membranphysiologie. Vgl. Trincker, D.: Höber. In: Neue Deutsche Biographie. Neu n- ter Band. Duncker & Humblot. Be r lin. 1972. S. 301. 1740 Vgl. LAB: A. Pr. Br. Rep. 005A. Nr. 5088. T. 53184, o. S. Testament der Eheleute R o- se n thal vom 17. April 1873. 1741 Vgl. ZLB - ZfBS: Adressbücher von Berlin 1861 - 187 2 (Microfiche, o. S., o. J.).

294 kam, da zu Rosenthals engsten Freunden in Berlin Eduard Lasker u nd Heinrich Bernhard Oppenheim zählten. 1742 Lasker und Oppenheim waren seit den sechz i- ger Jahren häufige Gäste im Salon von Fanny Lewald in der Matthäikirchstraße 18 (Tierga r ten), wo auch Rosenthals F reund Ludwig Traube verkehrte. 1743 Einen direkten Hinweis auf die gesel l schaftlichen Verbindungen Rose n thals gibt es aber nicht. Die Eheschließung fand am 30. September 1869 in einer Verhandlung vor dem königlichen Stadtgericht statt, wie ein Eintrag im Heiratsregister der Juden b e- legt. 1744 Da ein entsprechender Eintrag im Heiratsregister der Dissidenten fehlt, ist davon auszugehen, dass sie zum Zeitpunkt der Eheschli e ßung noch Mitglieder der jüdischen Gemeinde waren. 1745 Auch die jüdische Ge meinde ist ein möglicher Ort, an dem sie sich kennen gelernt haben kön n ten. Neun Monate nach der Hochzeit wurde der Sohn Werner geboren. Im G e burt s- regi s ter der Juden findet sich dazu der Eintrag:

„Laut Verhandlungen vom 4. Juni 18 70 (...) ist die Ehefrau des zur Religionsgemeinschaft der Juden gehörigen Professor Dr. med. Isidor Rosenthal hierselbst Anne Jeannette Amalie geb o rene Höber am vierundzwanzigsten Juni achtzehnhundertsiebzig um sieben Uhr morgens von einem Kinde männliche n Geschlechts, welches die Vornamen Werner Hei n rich Eduard Samuel erhalten hat, entbunden worden.“ 1746

Es fällt auf, dass die Vornamen des Onkels Oppenheim und des Freundes La s ker noch vor dem Vornamen von Rosenthals Vater genannt werden. Hierin ist vie l- leic ht ein Hinweis dafür zu sehen, welch hohen Stellenwert beide in den Augen Rosenthals und seiner Frau eingenommen haben. Werner blieb das ei n zige Kind, obwohl beide Partner ausdrücklich von der Möglichkeit weiterer Nachkommen ausgingen. 1747 Stattdessen nahm da s Ehepaar Rosenthal den Ne f fen und späteren Leipziger Professor Erich Marx 1748 als Pflegesohn an. 1749 Wie schon an anderer

1742 Vgl. Höber (1915), S. 294. 1743 Vgl. Wilhelmy (1989), S. 722 - 731. Hier S. 728. 1744 Vgl. LAB: A. Pr. Br. Rep. 005A. Bd. 6841, S. 122. 1745 Vgl. LAB: A. Pr. Br. Rep. 005A. Bd. 6846. Heiratsregister der Dissidenten. 1746 Zit. n. LAB: A. P r. Br. Rep. 005A. Bd. 6853, S. 97. 1747 Vgl. LAB: A. Pr. Br. Rep. 005A. Nr. 5088. T. 53184, o. S. Testament der Eheleute R o- se n thal vom 17. April 1873. 1748 Erich Marx wurde 1874 in Berlin als Kind des jüdischen Aktienma k lers Jakob Marx und de ssen Frau Marie Höber, einer Schwester Anna Rosenthals, geboren. Von 1893 bis 1898 ha t- te er in Erlangen, Berlin und Göttingen Chemie, Physik und Mathem a tik studiert. Danach war er Assistent bei Professor Philipp Lenard in Kiel. Seit 1903 war er Privatdozen t für Ph y sik an der Universität Leipzig. 1907 wurde er außerordentlicher Professor für Radiophysik. 1914 heiratete er Gertrude Lasker (1888 - 1970). 1920 wurde er Direktor des radiologischen Instituts

295 Stelle erwähnt, zog das junge Paar noch im gleichen Jahr in die geräumige Wo h- nung an den Landwehrkanal in Tiergarten. 1750 Für Anna Rosenthal war die Zeit des Deutsch - Französischen Krieges siche r lich eine enorme Belastung. Täglich muss sie in großer Sorge gewesen sein, ob ihr Mann aus dem Feldzug unversehrt heimkommen würde. Die Einsatzorte wechse l- ten und der Krieg erhielt eine räumliche und zeitliche Ausdehnung, die kaum e i- ner geahnt, vor der Generalstabschef Helmuth von Moltke jedoch schon gewarnt hatte. 1751 In der Zeit von Rosenthals Abwesenheit war „der alte feste Freun de s- kreis“ 1752 um Eduard Lasker für Anna Rosenthal eine so entscheidende Hilfe, dass aus ihm nie wieder erfahrene, tiefe persönliche Bindungen entsta n den. Wä h- rend des Feldzuges war es Eduard Lasker , der Anna häufig besuc h te. 1753 Der Umzug nach Erlangen machte dem jungen Paar einen tief empfundenen Mangel an guten Freundschaften bewusst. Anna Rosenthal litt darunter am mei s- ten, und sie hat die Qualität der Berliner Freun d s chaften in Erlangen laut eigenen Aussagen immer entbehren müssen. 1754 Eine besondere Rolle scheint Eduard Lasker als Seelentröster gehabt zu haben. So gestand sie ihrem „vereh r ten Freund“ in einer Stimmung tiefer Niedergeschlage n heit:

„(...) schon durch die Vorstellung, mich mit Ihnen zu unterhalten, glaube ich Ihr ruhiges, wohltuendes Zureden zu vernehmen, das mich schon öfters zur Vernunft g e bracht hat. (...) Daß wir uns diesen Sommer nicht gesehen haben, kann ich i m mer noch nicht ver schmerzen. (...).“ 1755

in Leipzig, das 1940 von den Nationalsozialisten geschlos sen wurde. Marx emigrierte ein Jahr später in die USA. 1944 wurde er Professor für Physik am Rensselaer Polytechnic Institut in New York. Er gehört zu den herausragenden Röntgenphysikern seiner Zeit und trug maßge b- lich zur Entwicklung der Fernsehröhre („Ma rx´sche Röhre“) bei. Marx starb 1956 in New York. Vgl. Ahrens (1990), S. 323 - 324. 1749 Vgl. SAE: III. 72. R. 1, o. S. Erlanger Tagblatt. 19. Oktober 1928, S. 4. 1750 Vgl. Kap. 2.4.2., S. 95 . 1751 Vgl. Kap. 2.8., S. 140 . 1752 Zit. n. BAB: N 2167 / 259, Bl. 1. Brief Anna Rosenthals an Eduard Lasker vom 31. Okt o- ber 1872. 1753 Vgl. BAB: N 2167 / 260. Brief Isidor Rosenthals an Eduard Lasker vom 26. Dezember 1870. 1754 Zit. n. BAB: N 2167 / 259, Bl. 1. Brief Anna Rosenthals an Eduard Lasker vom 31. Okt o- ber 1872. 1755 Zit. n. BAB: N 2167 / 259, Bl. 1. Brief Anna Rosenthals an Eduard Lasker vom 31. Okt o- ber 1872.

296 Während sich ihr Mann mit ganzem Eifer an den Aufbau des physiologischen I n- stituts machte und in der neuen Herausforderung aufging, 1756 war es für Anna R o- senthal schwer zu verkraften, dass sie aus den festen sozial en Bindungen der Be r- liner Zeit herausgerissen worden war. Doch mit ihrem praktischem Sinn machte sie das Beste aus der Situation. Als begabte Gastgeberin verstand sie es, den Ve r- lust der Berliner Freunde durch eigene Initiative au s zugleichen. So war die e rste Zeit in Erlangen von zahlreichen Besuchen aus Berlin g e prägt. Eduard Lasker wurde in Briefen regelmäßig b e drängt, sich dem Betrieb und dem ruhelosen politischen Geschehen in Berlin durch einen Besuch in E r langen zu entziehen. 1757 A nnas alleinstehende Mutter und der fast zum Vatere r satz gewo r- dene Onkel Oppenheim waren die ersten Gäste in Erlangen. 1758 Im Dezember 1872 schrieb Anna Rosenthal an Eduard Lasker und erinnerte ihn an sein bisher nicht eingehaltenes Verspr e chen, noch vor den großen Ferien nach Erlangen zu kommen:

„(...). Ich kann Sie so [durch den Brief, Verf.] recht eindringlich an Ihr Versprechen eri n- nern, uns noch ´vor den großen Ferien´ zu besuchen und die wenigen Tage bis zu den Feiert a- gen gestatten es Ihnen nicht, meine herzlichste Bitte um Erfüllung dieses Versprechens zu ve r- gessen. (...).“ 1759

Ihre erste Initiative, in Erlangen ein gesellschaftliches Umfeld aufzubauen, war ein Lesekränzchen, zu dem sie einlud. Hier wurde auch im kleinen Kreis Laie n- theater gespielt, wobei sich „Isi“, so Annas Kosename für ihren Mann, als „The a- terdirektor“ hervortat. 1760 In späteren Briefen an Lasker schildert sie R o senthal als ihren „Hausphilosoph“ 1761 und „naturforschenden Herrn und Berather“, 1762 wo r i n sich ihr Witz und die Gabe der Selbstironie zeigen.

1756 Vgl. BAB: N 2167 / 259, Bl. 2. Brief Anna Rosenthals an Eduard Lasker vom 31. Oktober 1872. 1757 Vgl. BAB: N 2167 / 259, Bl. 3. Brief Anna Rosenthals an Eduard Lasker vom 18. D e ze m- ber 1872. 1758 Ebenda. 1759 Ebenda. 1760 Zit. n. BAB: N 2167 / 259, Bl . 4. Brief Anna Rosenthals an Eduard Lasker vom 18. D e- zember 1872. 1761 Zit. n. BAB: N 2167 / 259, Bl. 5. Brief Anna Rosenthals an Eduard Lasker vom 9. D e ze m- ber 1880. 1762 Zit. n. BAB: N 2167 / 259, Bl. 10. Brief A nna Rosenthal an Eduard Lasker vom 20. März 1873.

297 Die Konkretisierung der eigenen Vorstellungen und der erste Schritt in die Ö f- fentlichkeit erfolgte mit einer Vereinsgründung. Anna Rosenthal gründete am 11. März 1879 den „Zweig verein Erlangen des Bayerischen Frauenvereins vom R o- ten Kreuz“, in dem sie das Amt der 1. Vorsitzenden bis zum Jahre 1918 b e kleid e- te. 1763 Dem Vereinsausschuss gehörten die Frau des Regierungsrates H u go Döderlein , die Frau des Landwehrb ezirkskommandeurs Oberstleutnant Paul Hi r- schmann , Anna von Krempelhuter und die Frau von Professor Albert Hilger an. Gemäß den Satzungen bestand der Zweck des Vereins darin, Kra nke n schwestern „zur Pflege und Unterstützung im Felde verwundeter und erkrankter Krieger“ 1764 auszubilden und Sanitätsmaterial zu bewirtschaften. Die Verein s entwicklung zeigt, dass Anna Rosenthal den Verein weit über seine eigentliche Aufgabenste l- lung hinausführte. Sie machte ihn zur rechtlichen und sozialen Grundlage, um e i- gene Ideen zu verwirklichen: Am 1. Oktober 1880 wurde in den Räumlichkeiten der ehemaligen Lilienkaserne in der Loschgestraße 9 eine Volksküche eingeric h- tet. 1765 Nachde m das 6. Jägerbataillon seit 1877 in der I n fanteriekaserne 1766 an der Bismarckstraße unterbracht worden war, dienten die freigewordenen Räume der Lilienkaserne zunächst als städtisches Armenhaus. Außerdem wurde vier Ja h- re später im gleichen Gebäude eine Kripp e n anstalt für Kinder bis zum Alter von zwei Jahren eingerichtet. 1767 Das Betreuungsangebot erstreckte sich von morgens um acht bis abends um sieben Uhr und war sozus a gen eine Ganztagsbetreuung besonders für arme Arbeite r kinder. Für diese Einrichtung war der B edarf so groß, dass 1897 ein selbstständiger Krippenverein gegründet wurde, um den Aufgaben der Kinderbetreuung gerecht werden zu können. 1768 Motor für die Neugründung dieses Vereins war das b e st e-

1763 Vgl. SAE: 32. No. 258. T. 1, o. S. Protokoll über die Vereinsgründung vom 11. März 1879. 1764 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 336. Revidierte Satzungen des Bayerisch en Frauenvereins 1878. Gotteswinter. München, S. 1. 1765 Vgl. SAE: 32. No. 258. T. 1, o. S. Protokollbuch des Bayerischen Frauenvereins Zweig - Verein Erlangen. Sitzungsprotokoll vom 22. Oktober 1880. Ausführlicher zur Volksküche siehe Steven M. Zahlaus: Volksk üche. In: Erlanger Stadtlexikon. Tümmels Verlag. Nür n berg. 2002, S. 729. 1766 Sie wurde nach dem Ersten Weltkrieg als städtische Notunterkunft verwendet und 1955 abgerissen, um Universitätsneubauten Platz zu machen. Heute b e finden sich hier Gebäude der jurist ischen und theologischen Fakultät. Vgl. Bauernfeind, Martina: Infanteriekaserne. In: E r- langer Stadtlexikon. Tümmels Verlag. Nürnberg. 2002, S. 384. 1767 Vgl. SAE: 32. No. 258. T. 1, o. S. Protokollbuch des Bayerischen Frauenvereins Zweig - Verein Erlangen. Sitz ungsbericht vom 15. Januar 1884. 1768 Ebenda.

298 hende Krippen - Komitee unter der Le i tung von Frau Maria von Schu h . 1769 Schon am 18. Juni 1884 war vom Frauenverein eine Krippenanstalt ins Leben gerufen worden. 1770 Es verdient Beachtung, dass die Krippenanstalt nicht ei n fach nur der Verwahrung der Kinder diente, sondern dass Anna Rosenthal den Anspruch ha t- te, die Gesamtsituation der Familien aus der unteren Bevölk e rungsschicht zu ve r- bessern. Hier schimmert das Bemühen ihres Mannes hi n sichtlich der öffentlichen Gesundheitspfl e ge durch. Es wurden auch Kurse für Mütter angeboten, in denen Fragen der Hygiene und Ernährung erörtert wurden. Unter der Leitung von Un i- versitätsprofessor Franz Penzoldt 1771 wurde ein ärz t licher Besuchsdienst eing e- richtet, der von den Ärzten Hagen und Schrenk ve r sehen wurde. Das Diakon i s- sen - Mutterhaus in Augsburg unterstützte die Arbeit der Krippenanstalt durch zwei Schwestern. 1772 Durch Näh - und Handarbeitsku r se wurden Soldaten und arme Kinder mit Socken und anderen nützlichen B e kleidungsstücken versorgt. Für Jungen und Mädchen wurden Sch wimmkurse angeboten, die an den Flussb a- deanstalten auf den Egelanger - Inseln an der Re g nitz stattfanden. In Zusammena r- beit mit Militärärzten wurden im Lazarett Kurse für Krankenpflege abgehalten. Zu Weihnachten wurden Armenbescherungen durchgeführt, zu dene n auch der Pastor eine Ansprache hielt. 1773 Mit den guten Kontakten ihres Mannes zur Un i- versität war es für Anna Rosenthal nicht schwierig, das Vereinsleben durch en t- sprechende Vortr ä ge zu bereichern. So sprach zum Beispiel Dr. Ernst G raser 1774 1892 über Krankenpflege. 1775

1769 Vgl. BayHStA: MInn 53340, o. S. Jahresberichte der Krippenanstalt in Erlangen. Vgl. Schuh (1889), S. 2. 1770 Verwaltungsbericht (1886), S. 7. 1771 Franz Penzoldt (1849 - 1927) war seit 1875 Priva tdozent für Inn e re Medizin und seit 1884 als außerordentlicher Professor für Klinische Propädeutik kommissarischer Leiter der Mediz i- nischen Klinik in E r langen. Vgl. Wittern (1999), S. 141. 1772 Vgl. BayHStA: MInn 53340, o. S. Schuh (1889), S. 3. 1773 Ebenda, S. 2. 1774 Ernst Graser (1860 - 1929) hatte von 1879 bis 1883 in Erlangen M e dizin studiert, war also ein Schüler Rosenthals. Nach seiner Habilitation für das Fach Chiru r gie 1886 wurde er im Juni 1892 Extraordinarius für Chirurgische Propädeut ik und Oberarzt an der Chirurgischen Polikl i- nik. Vgl. Wittern (1999). S. 56. Eine minutiöse Biografie verfasste Wittmann, G. M i chael: Ernst Graser . Ein Erlanger Chirurgenleben zwischen Katheder und Operationssaal. E u ropä i- sche Hochschu lschriften Reihe III. Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Bd. 978. Peter Lang. Frankfurt am Main. 2003. 1775 Vgl. SAE: 32. No. 258. T. 1, o. S. Protokollbuch „Sitzungsbeschlüsse des Bayerischen Frauenvereins Zweig - Verein Erlangen“.

299 Als Ergebnis der Bemühungen, für das Wohl der unterprivilegierten Bevölk e- rungsschichten einzutreten, kann auch die Einrichtung des Volksbades anges e hen werden. 1776 Im Dezember 1888 wurden erste Pläne fü r eine Warmbadea n stalt e r- stellt. Das Projekt fand die Unterstützung von Bürgermeister Georg von Schuh . Als Grundstück wurde vom Magistrat der Schrannenhof 1777 an der Ecke Spita l- straße / Heuwaagstraße bewilligt. 1778 Heute trägt es den Namen Goeth e straße 1. Unter diesem Volksbad ist allerdings nicht eine Badeanstalt in heut i gem Sinne zu verstehen. Vielmehr sollte es eine Einric h tung zur Körperpflege für diejenigen Bevölkerungsschichten sein, die nicht die finanziellen Mittel für ents prechende Brause - oder Wannenbäder in ihren Wohnungen hatten. Dafür standen drei Wa n- nen und zwei Brausen für Männer und drei Wannen und drei Brausen für Frauen zur Verfügung, die von der Nürnberger Firma Brochier i n stalliert wurden. 1779 Den Bau des Volksbades übernahm die Stadt, während sich der Frauenverein ve r- pflichtete, Unterhalt und Betrieb, z. B. die Versorgung mit Seife und Handtüchern zu überne h men. 1780 Im September 1889 wurde das Bad eröffnet. Ein Wannenbad kostete 20 Pfe n- nige, ein Brausebad 10 Pfennige. 1781 Es dauerte indessen nicht lange, bis das Volksbad Anlass zu öffentlichem Ärger gab. Im Mai 1891 erschien in den Fränk i- schen Nachrichten ein Artikel, in welchem sich Anwohner über die Rauchbeläst i- gung durch den zu niedrigen Schornstein der Warmbadeanstalt b e schwe r ten. 1782 Einen Monat später musste sich Bürgermeister Georg von Schuh in einer Ortsb e- sichtigung vom Pilzbefall des Bades überzeugen. 1783 Für bede u tend mehr Unruhe sorgte allerdings ein im gleichen Monat veröffentlichter B e richt der Fränkischen Tagespost in Nürnberg. Es wurde behauptet, dass „auf einmal dieses Bad im Volksmund ´Professorenbad´ benamst“ 1784 und seinem Zweck „vollständig en t- fremdet“ worden sei.

„Während dort sonst ausschließlich die ärmsten Classen eines erfrisc henden Bades sich e r- freuten, (...) kann man nun täglich Professorin X, die Frau Rath Y, die Frau Bürgermeister Z (...) und aus der Herrenwelt gleiche Qualitäten das Bad frequentieren sehen, so dass schlie ß lich

1776 Vgl. SAE: 415a / 73, o. S. Sitzungsprotokoll vom 4. Dezember 1888. 1777 Siehe Bildteil Abb. 47. 1778 Vgl. SAE: 415a / 73, o. S. Sitzungsprotokoll vom 20. Dezember 1888. 1779 Vgl. SAE: 415a / 73, o. S. Sitzungsprotokoll vom 31. Januar 1889. 1780 Vgl. Bauernfeind (2000), S. 85. 1781 Ebenda. 1782 Vgl. SAE: 415a / 73. FN. 9. Jahrgang. Nr. 108. 11. Mai 1891, S. 1. 1783 Vgl. SAE: 415a / 73, o. S. Sitzungsprotokoll vom 18. Juni 1891. 1784 Zit. n. SAE: 415a / 73. Datum und Ausgabe des Artikels sind nicht näher genannt.

300 das eigentlich hierzu berechtigte Publikum fro h sein darf, durch oft stundenlanges Warten zum Ziele zu gelangen.“ 1785

Damit war klar, wer mit den genannten Personen zuerst gemeint war: Anna R o- senthal und ihre Freundin Frau Bürgermeister Maria von Schuh so wie die Frau des Baurats Karl Söldner . Der Bademeister musste sich schließlich den Vorwurf gefallen lassen, bestechlich bei der Vergabe der Badekabinen zu sein. 1786 Es ist nicht nachzuweisen, inwieweit die Beschuldigungen gerechtfertigt waren. Ta t- sächlich war der Artikel Auslöser für eine Untersuchung, mit der sich die E r la n- ger Gemeindekollegien befassen mussten. 1787 Georg von Schuh stritt alle r dings die Vorwürfe ab und sah sich lediglich zu der Feststellung v eranlasst, die Benu t- zung durch alle Bevölkerungsschichten sei eine besondere Empfe h lung für das Bad. 1788 Je länger desto mehr hatte das Bad sich der Frage der Wir t schaftlichkeit zu stellen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges sollte seinen Fortbestand g e- fährd en. Anna Rosenthal kämpfte jedoch für den Erhalt des Volksbades. Es blieb bis weit über ihren Tod bestehen und wurde erst 1970 g e schlossen. 1789

Für ihre Verdienste im Bayerischen Frauenverein des Roten Kreuzes wurde Anna Rosenthal 1899 anlässlich des Geburtstags des Kaisers mit der „Rot - Kreuz - Medaille 3. Klasse“ ausg e zeichnet. 1790

Neben Anna Rosenthals Vorsitz im Frauenverein ist auch noch die Mitglie d schaft im „weiblichen Armenfrauenverein“ erwähnenswert. Dieser schon 1860 gegrü n- dete Verein hatte den Zweck, „alte, kranke oder arbeitsunfähige einzelne weibl i- che Personen, Witwen mit Kindern oder bei besonderen Nothständen auch vol l- ständige Familien zu unterstützen.“ 1791 In den St a tuten ist ferner zu lesen:

„Die akti ven Mitglieder verpflichten sich zum persönlichen Besuch der Armen, um ihnen so viel als möglich leiblich und geistig aufzuhelfen, was wohl am meisten durch ein Wirken in Li e-

1785 Ebenda. 1786 Vgl. SAE: 415a / 73. Sitz ungsprotokoll vom 8. Juli 1891. 1787 Ebenda. 1788 Vgl. SAE: 415a / 73. Sitzungsprotokoll vom 9. Juli 1891. 1789 Vgl. Baier, Jutta: Volksbad. In: Friederich, C., v. Haller, B., Jakob, A. (Hrsg.): Erlanger Stadtlexikon. Tümmels Verlag. Nürnberg. 2002, S. 727. 1790 Vgl. Sponsel (1978), S. 3312. 1791 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 334. Statuten des Frauen - Vereins für Armen - und Krankenpflege in Erlangen, S. 1.

301 be, aber in der Liebe geschieht, die aus dem christlichen Glauben kommt, also gepa art ist mit Wei s heit, Wahrheit und Ernst (...)“. 1792

Vielleicht ist es die konfessionelle Ausrichtung des Vereins gewesen, die Anna Rosenthal von einer intensiveren Mitarbeit abhielt. Jedenfalls wurde sie 1889 l e- diglich als zahlendes u nd nicht als aktives Mitglied g e führt. 1793 Ein interessantes Detail besteht darin, dass Anna Rosenthal ab dem Jahr 1896 begann, mit dem Doppelnamen Rosenthal - Höber zu unterschreiben. 1794 Es ist deswegen auffällig, weil sie sich mit diese r Art der Unterschrift von dem g e sa m- ten Kreis der Erlanger Honoratiorenfrauen a b hob. Sie ist so die einzige, der es wichtig war, sich nicht ausschließlich über den Mann zu definieren, sondern der es etwas bedeutete, auch ihre eigene Herkunft und Familie na ch außen zu repr ä- sentieren. Damit beschrieb sie ihre Rolle als Professorenga t tin und Mutter anders, als es dem damaligen Zeitgeist entsprach. Durch die Hinzufügung ihres Geburt s- namens vertrat sie einen Anspruch auf Eigenständigkeit und Selbstb e wusstsein, w as im Denken ihrer Zeitgenossinnen noch keinen Raum hatte. Anna Rosenthal erscheint als Vorkämpferin einer Richtung der bürgerlichen Fraue n bewegung, die eine allgemeine Verbesserung der Bildungssituation anstrebte. Ihr wurde alle r- di ngs nachgesagt, die „in den 90er Jahren stark hervortretende streberhafte Fra u- enemanzipation“ 1795 abg e lehnt zu haben. Es ist auch denkbar, dass sie von dieser Zeitströmung eine zei t lang beeinflusst wurde, sich später dann aber wieder von ihr distanzierte, den n sie war nicht konsequent in der Pr a xis, mit dem Doppeln a- men zu unterschreiben: Nach 1906 verschwindet er wi e der ganz aus dem G e- brauch. 1796 Was blieb, war die Absicht, die gesellschaftl i che Situation der Fra u en zu verbessern.

Folgerichtig führte die persönl iche Entwicklung Anna Rosenthals zur Neugrü n- dung eines Frauenvereins. 1906 gründete sie den Verein „Frauenwohl“. 1797 War der von ihr gegründete Frauenverein des Roten Kreuzes schwerpunktmä - ßig fü r- sorglich ausgerichtet und in seiner Zielsetzung abhängig von ei nem Dac h verband,

1792 Ebenda. 1793 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 334. Jahresbericht 1889. 1794 Vgl. SAE: 32. No. 258. T. 1. Protokollbuch des Bayerischen F rauenvereins Zweig - Verein Erlangen. Protokoll vom 6. Januar 1896, o. S. 1795 Zit. n. SAE: III. 72. R. 1. Erlanger Neueste Nachrichten. 19. Oktober 1928. 1796 Vgl. SAE: 32. No. 258. T. 1, o. S. Protokollbuch „Sitzungsbeschlüsse des Bayerischen Frauenvereins Zwei g - Verein Erlangen“. 1797 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 332, o. S. Anzeige der Verein s gründung vom 3. Mai. 1906.

302 so formulierte Anna Rosenthal in den Satzungen des Vereins „Fra u enwohl“ selbstständig dessen Zweck:

„§ 1. Der Verein Frauenwohl hat seinen Sitz in Erlangen u. ist in das Vereinsregister einz u- tragen. Sein Zweck beste ht in der Förderung des weiblichen Geschlechts in geistiger, sittl i cher, und wirtschaftlicher Beziehung.

§ 2. Dieser Zweck soll erreicht werden: a) durch Versammlungen, die während des Wi n te r- halbjahres in bestimmten Zwischenräumen stattfinden u. teils bele hrenden, teils unterha l tenden Charakter tragen. b) durch Veranstaltung von Vorträgen und Unterrichtskursen auf wisse n- schaftlichem, praktischem und kunstg e werblichem Gebiet. (...).“ 1798

Die Mitgliedschaft war ab dem 16. Lebensjahr möglich. Anna Rosenthal ließ sich von der Vereinsversammlung als Vorsitzende b e stätigen und meldete den Verein beim Magistrat der Stadt Erlangen an. Der er s te Vorstand bestand aus den Frauen bekannter Erlanger Professoren wie Luise Kiesselbach , Anna Kolde , Valerie Penzoldt und Helene Varnhagen . 1799 Im Ausschuss finden sich die N a men weit e- rer namhafter Erlanger wie Buchhändler Enke, Aline von Eheberg , Emelie Ge r- lach , Elise Göhring und Sophie Jordan , ebenso Pauline Graser und Katharina Hensel , deren Mann als Rosenthals Freund erwähnt wird, 1800 Frau Bürgermeister Helene Klippel und Ida Noether , die Frau des jüdischen Math e matikprofessors Max Noether und deren Tochter Emmy , die seit 1904 in Erla n gen Mathematik studierte und ab der Zulassung von Frauen zum Hochschulst u dium im Winters e- mester 1903 zu den ersten Studentinnen in Bayern gehörte. 1801 Zweifellos gibt die Zusammensetzung von Vorstand und Ausschuss des Vereins einen Hinweis auf den engeren Fre undeskreis des Hauses Rosenthal, denn die Grundl a ge für jede Vereinsgründung ist ein festes Gefüge von Bekanntschaften und Freundschaften, die auf dem Hintergrund gleichen Denkens und Empfi n dens entstanden und g e- wachsen sind. Der Magistrat überließ dem neu gegründ e ten Verein einen Raum im alten Schulhaus 1802 am Holzmarkt (seit 1887 Luitpoldplatz, heute Hugenotte n- platz). 1803

1798 Zit. n. SAE: 6. A. IV. d. 332. Satzungen des Vereins Frauenwohl, o. S. 1799 Ebenda. 1800 Vgl. Ewald (1915), S. 279. Weder im UAE, BAB noch im BayHStA konnte e in Nachlass von Paul Hensel ermittelt werden. Es existieren lediglich die Persona l akten. Einen genauere Darstellung des Verhältnisses beider Männer war nicht möglich. 1801 Vgl. Lehmann (1993), S. 488. 1802 Diese Bezeichnung wurde nach dem N eubau der Schule in der heutigen Loschgestraße üblich. Das alte Schulhaus befand sich im ehemaligen Buiretteschen Palais, wo heute die Spa r-

303 Erste praktische Maßnahme des Vereins war die Einrichtung eines Mädche n- horts, in dem ungefähr sechzig Mädchen betreut wurden, wobei die Zahl d erer, die das Angebot wahrnehmen wollten, bei über 250 Angemeldeten lag. 1804 Anna Rosenthal bat den Magistrat um Bewilligung eines Schulra u mes mit Heizung und Beleuchtung. 1805 Dabei fand sie die großzügige Unterstützung von Schulrat He r- ma nn Hedenus , der auch Magistratsmitglied war. Der Mädchenhort konnte Rä u- me im alten Töchterschulgebäude, 1806 dem ehemaligen Lynckerschen P a lais, 1807 in der Friedrichstraße 35 nutzen, 1808 auch die Geschäftstelle wurde nun dort u n- tergebracht. Eine Lehrerin und freiwillige Helferinnen halfen den Kindern bei den Hau s au f- gaben, zusätzlich wurden Näh - und Handarbeitskurse durchgeführt. Inzw i schen war der Mädchenhort um eine Jungengruppe und eine Kleinkinderschule erwe i- tert worden. 1910 kamen Sprach kurse in Französisch, Englisch und Itali e nisch dazu, außerdem fanden Kochkurse im Schulhaus und Turnkurse in der Sporthalle der Luitpoldschule statt. 1809 Literaturkurse führte Dr. Ebner durch, der Lehrer an der Erlanger Realschule war. In dieser Zeit der enor men Aufg a benerweiterung gab Anna Rosenthal die Leitung des Vereins Fraue n wohl an Luise Kiesselbach ab. Nach dem Tod ihres Mannes lebte Anna Rosenthal noch bis 1921 in Erla n gen. Dan n zog sie nach Göttingen um, wo ihr Sohn Werner und zunächst auch ihr Pflegesohn Erich Marx lebten. 1810 Dort verstarb sie am 13. Oktober 1928. Bee r-

kasse steht. Vgl. Loos, E.: Schulen. In: Friederich, C., Haller, B. v., Jakob, A. (Hrsg.):Erlanger Stadtlexikon. Tümm els Verlag. Nür n berg. 2002, S. 626. 1803 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 332, o. S. Magistratsbeschluss vom 29. März 1906. 1804 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 332, o. S. Bericht über den Mädchenhort vom 7. Dezember 1908. 1805 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 332, o. S. Antrag Anna Rosenthals an den Magistrat vom 6. Juli 1906. 1806 Siehe Bildteil Abb. 50. 1807 Heute befindet sich hier die städtische Sing - und Musikschule. Vgl. Jakob, Andreas: Lynckersches Palais. In: Friederich, C., Haller, B. v., Jakob, A. (Hrsg.): Erlanger Stadtlexikon. Tümmels Ve rlag. Nürnberg. 2002, S. 472. 1808 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 332, o. S. Antrag Anna Rosenthals vom 17. Oktober 1909. Magis t- ratsbeschluss vom 19. Oktober 1909. Hedenus hatte 1904 die seit 1887 bestehende Höhere Töchterschule mit einem Lehrerinnenseminar zusammeng elegt. 1909 konnte ein Neubau in der Schillerstraße 12 bezogen werden. Heute b e findet sich dort das Marie - Therese - Gymnasium. Vgl. Loos, E.: Marie - Therese - Gymnasium. In: Erlanger Stadtlexikon. Tümmels Verlag. Nür n- berg. 2002, S. 477. 1809 Vgl. SAE: 6. A. IV. d. 332, o. S. Jahresbericht des Vereins “Frauenwohl” vom 4. März 1910. 1810 Vgl. SAE: III. 72. R. 1. ET. 16. Oktober 1928, S. 4.

304 digt wurde Anna Rosenthal am 18. Oktober 1 928 in Erlangen in der Fam i liengruft auf dem Zentralfrie d hof. 1811 Es war Professor Ernst Heinrich Graser, der von den Familienangehörigen g e- beten wurde, die Trauerrede zu halten. 1812 Er hatte aufgrund langjähriger e n ger Beziehungen zum Hause Rosenthal einen tie fen Einblick in das Familienl e ben erhalten. Besonders herausgestellt wurde die gesellschaftliche Rolle, die das Eh e- paar Rosenthal in Erlangen wahrgenommen hatte. Anna Rosenthals Gastfreun d- schaft und Konversationstalent machten die Villa auf dem Burgberg du rch Ga r- tenfeste und Gesellschaften für lange Zeit zu einem Mittelpunkt des sozialen L e- bens der Universitätsstadt. Dabei muss sie die Eigenschaft besessen haben, das in geistigen Auseinandersetzungen zu Rechthaberei und Starrsinn neigende Temp e- rament ihres Mannes mit weiblicher Feinsinnigkeit auszugle i chen. Anna Rose n- thal gelang es, für ihren Mann ein Netz gesellschaftlicher B e ziehungen zu knü p- fen, von dem der oft in seinem Laboratorium zurückgezogen arbeitende Physiol o- ge offensich t li ch profitierte. Spezielle Erwähnung fand ihre religiöse Einstellung. So schrieb das Erlanger Tagblatt:

„In dem Kreise ihrer Bildung gehörte auch eine intensive Beschäftigung mit religiösen Fr a- gen. Sie war eine gute Kennerin der Bibel und hat mit ihrem Soh n in den Jugen d jahren wohl täglich in der Bibel gelesen. Nicht der Konfession nach, aber in der G e sinnung und in der Tat war sie eine gute Christin.“ 1813

Auch das gute Verhältnis zu Mitgliedern der evangelischen und katholischen Ki r- che wurde betont, das sich in einem regem geistigen Austausch mit deren Mi t- gliedern niederschlug. Zudem wurde sie als „vortreffliche Hausfrau“ 1814 g e lobt, deren Verdienst es war, dass das Haus Rosenthal auf dem Berg zum g e sellschaf t- lichen Mittelpunkt der Stadt wurde. 1815 Abschließend kan n festgestellt werden, dass Anna Rosenthal für ihren Mann ein Leben lang das gewesen ist, was allgemein unter „einer guten Partie“ ve r sta n- den wird. Umfassend gebildet und belesen war sie ihrem Mann ein geistiges G e- genüber. Ihre hera usragende soziale Kompetenz war geeignet, Schwächen in R o- senthals Charakter auszugleichen. Die grundl e genden Ideen seiner Tätigkeit trug sie vollständig mit und wirkte so als Multiplikatorin seines Wissens. Ihr welta n-

1811 Vgl. SAE: III. 72. R. 1. ET. 16. Oktober 1928, S. 4. 1812 Diese ist abgedruckt bei SAE: III. 72. R. 1. Erlanger Neueste Nachrichten. 19. Oktober 1928. 1813 Zit. n. SAE: III. 72. R. 1. ET. 19. Oktober 1928, S. 4. 1814 Ebenda. 1815 Vgl. SAE: III. 72. R. 1. Nürnberger Nachrichten. 19. Oktober 1928.

305 schaulicher Hintergrund war dabei völli g identisch mit dem ihres Ma n nes, wenn auch die gesellschaftliche Herkunft sehr verschieden war: Ein e m porgekommener vollwaiser Ostjude hatte eine gebild e te Bankierstochter aus den Kreisen des für einige Zeit tonangebenden Berliner Judentums geheiratet. S eit 1998 erinnert eine Straße, der „Anna - Rosenthal - Weg“, auf dem Gelä n de der ehemaligen US - Garnison östlich der Hartmannstraße, dem heutigen Röthelheimpark, an diese herausragende Frau. 1816

3.12. Rosenthals letzter Gang

Fast genau ein halbes Jahr nach dem Aus bruch des Ersten Weltkrieges starb R o- senthal am 2. Januar 1915 im Alter von 79 Jahren an Herzversagen. Das war ein hohes Alter nach einem erfüllten Leben. Der mit dem Haus Rosenthal b e freundete Ludwig Göhring , Schriftsteller und Red akteur der Fränkischen Nac h richten, b e- richtete in einem 1930 veröffentlichten Portrait Rosenthals, dass di e ser vom Au s- bruch des Krieges „aufs schmerzlichste (...) betroffen“ 1817 gewesen sei. Zwar wird der plötzliche Tod nicht allein dem Kriegsgeschehen zuzusc hre i ben sein, doch war mit Kriegsbeginn ein deutlicher Kräfteschwund bei Rose n thal festz u- stellen: Noch 1913 versicherte er in einem Dankschreiben vom 18. Juli an die Gemeindekollegien, sich auch fernerhin für das Wohl der Stadt ei n setzen zu wo l- len. 1818 Ein Ja hr später, in den unheimlichen Tagen der Julikrise 1914 war davon keine Rede mehr. Rosenthal schrieb an Bürgermeister Emil Fränger :

„(...) Kann ich auch in meinem Alter nicht mehr tätig an dem Wohl der Stadt und Univers i- tät mitarbeit en, so sind doch meine guten Wünsche unverändert dieselben wie bisher (...).“ 1819

Zwei Wochen später zogen die ersten Erlanger Studenten ins Feld. Rosenthal klagte nun über körperliche Alterserscheinungen und litt besonders seelisch u n ter dem Kriegseintritt E nglands. Zahlreiche Freundschaften, die Folge seiner häuf i- gen Aufenthalte und guten Kontakte zu englischen Wissenschaftlern w a ren, ve r- banden ihn mit dem Vereinigten Köni g reich. 1820

1816 Siehe Bildteil Abb. 49. 1817 Zit. n. Göhring (1930), S. 119. 1818 Vgl. SAE: 6. A. Nr. II. 711, o. S. Brie f Rosenthals an Magistrat und Gemeindekollegium vom 18. Juli 1913. 1819 Zit. n. SAE: 6. A. Nr. II. 711. Brief Rosenthals an den Bürgermeister vom 18. Juli 1914. 1820 Vgl. SAE: 6. A. Nr. II. 711. FN. 32. Jg. Nr. 1. 2. Januar 1915, S. 1.

306 Am 5. Januar 1915 fand die Beerdigung Rosenthals auf dem Zentralfriedhof „ohne kirchlichen Beistand“ 1821 statt, da Rosenthal aus dem Judentum ausgetr e ten war. 1822 Der Trauerzug war eine bunte M i schung unterschiedlichster Berufe und gesellschaftlicher Schichten. 1823 Die Amtsträger der Universität erschienen in i h- rer Tracht. Weiter reihten sic h Vertreter des Offizierskorps und der Ärzt e schaft, Mitglieder der städtischen Kollegien und des Liberalen Volksvereins, der For t- schrittlichen Volkspartei, Vorstände von Zivilbehörden, Abordnungen des G e- werbevereins, des Soldaten - und Kriegerbundes, Vetera nen und Kamer a den s o- wie zahlreiche Freunde in die Trauerversammlung ein. Überdies erschi e nen zehn 1824 Erlanger farbentr a gende Korporationen. Nachdem der ehemalige Prorektor der Universität Geheimrat Wilhelm Ge i ger in Vertretung des Pr orektors einen Nachruf geha l ten hatte, sprachen Professor Gustav Hauser , der Dekan der medizinischen Fakultät und der Direktor des ph y- siologischen Instituts Professor Ernst Friedrich Weinland , der im Ja h re 1913 als Nachfolger Rose n thals für den Lehrstuhl der Physiologie berufen worden war und der 2. Bürgermeister Emil Fränger . Rosenthals Parteifreund Emil Kränzlein wü r- digte Rosenthals Verdienste als Politi ker. 1825 Zuletzt hielt noch der Neffe und Pflegesohn Erich Marx eine Grabrede, wobei er besonders – wohl unter dem Ei n- druck des Krieges (im Westen waren die Fronten seit September 1914 im Ste l- lungskrieg erstarrt) 1826 – die Verdienste Rosentha ls als Soldat he r ausstellte. Schließlich sang ein kleiner Chor der Erlanger Liedertafel den von Felix Mende l- sohn - Bartholdy komponierten Choral „Es ist bestimmt in Gottes Rat“, dann wu r- de der Sarg zum Grab getragen und versenkt. 1827 So kam dieses reiche, von b ruchloser Entwicklung gekennzeichnete Forscherleben zum A b schluss. Besondere Beachtung verdient, dass in den Grabreden R o senthals Wirken mit dem Rudolf Virchows gleichgesetzt wurde. 1828 Dies geschah sowohl im Hi n blick auf die politischen Kämpfe, als auch auf die Verdienste im Hinblick auf die hyg i- enischen Verhältnisse der Stadt, d. h. auf die Kanalisation, die Wasse r leitung und

1821 Zit. n. FN. 32. Jahrgang . Nr. 4. 6. Januar 1915, S.1. 1822 Ebenda. 1823 Vgl. ET. 58. Jahrgang. Nr. 4. 6. Januar 1915, S. 1. 1824 Vgl. ET. 58. Jahrgang. Nr. 4. 6. Januar 1915, S. 1. 1825 Ebenda. 1826 Über den Kriegsverlauf vom Bewegungskrieg zum Stellungskrieg an der Westfront vgl. Neugebauer (1 993), S. 239 f. 1827 Vgl. FN. 32. Jahrgang. Nr. 1. 2. Januar 1915. S. 1. 1828 Ebenda.

307 den Schlachthof. Wie im Testament festgelegt, fiel das gesamte Vermögen Isidor Rose n thals an seine Frau Anna. 1829

Die städtischen Kolle gien ehrten ihren Ehrenbürger, indem sie an seiner Ruh e stä t- te ein stattliches Grabmal errichteten und auch in den darauffolgenden Ja h ren an Rosenthals Todestag einen Kranz an seinem Grab niederlegten. 1830 Es ist das Verdienst von Frau Ilse Sponsel , der Beauftragten für die ehemaligen jüd i schen Mitbürgerinnen und Mitbürger der Stadt Erlangen, dass Rosenthals R u hestätte an der Südmauer des Zentralfriedhofs an der heut i gen Äußeren Brucker Straße durch die Stadt gepflegt und dem verdienten Er langer Bürger ein ehre n des Gedenken bewahrt wird. Befand es sich auch um 1950 in einem verwahrlo s ten und trostl o- sen Zustand, so wurde es auf Anregung von Regierung s rat Hans Rhomberg durch das Stadtgartenamt instand gesetzt und gepflegt. 1831 Der Gra b platz wurd e 1966 in seine heutige Form umgestaltet. 1832 Frau Ilse Sponsel setzte sich 1977 für die E r- neuerung der Inschrift in der Grabplatte ein, sodass für j e den Besucher des Frie d- hofes zu lesen ist:

HIER RUHT

I. ROSENTHAL PROFESSOR DER PHYSI OLOGIE GEB. 16. JULI 1836 ZU LABISCHIN GEST. 2. JAN. 1915 ZU ERLANGEN EHRENBÜRGER DER STADT

ANNA ROSENTHAL GEB. HOEBER GEB. 5. SEPT. 1842 ZU KARLSRUHE VERHEIRATET 3. OKT. 1860 GEST. 13. OKT. 1928 ZU GOETTINGEN VORSITZENDE DES FRAUENVEREINS VOM ROTEN KREUZ 1897 – 1918

1829 Vgl. LAB: A. Pr. Br. Rep. 005 A Nr. 5088. T 51384, o. S. 1830 Vgl. SAE: 6. A. Nr. II. 711, o. S. Magistratsbeschluss vom 6. Juli 1916. 1831 Vgl. SAE: 6. A. Nr. II. 711, o. S. Niede rschrift über die Sitzung des Ältestenrates vom 23 November 1966. 1832 Siehe Bildteil Abb. 48.

308 DAS GEDAECHTNIS DER GERECHTEN BLEIBT IM SEGEN

Bedauerlich ist nur, dass das Datum der Verheiratung nicht richtig ist. Sie fand am 30. September 1869 statt.

309 Zusammenfassung

1. Versuch eines Charakterbildes

Aus der großen Anzahl der Veröffent lichungen Rosenthals lassen sich einige grundlegende Aussagen zu seinem Charakter ableiten, die auch zu Rückschlü s sen auf seine Arbeitsweise berechtigen. A l len Arbeiten gemeinsam ist das hohe Maß an Genauigkeit und eine Sorgfalt, die teilweise schon einen Zug von P e danterie aufweist. Die kompromisslose Akkuratesse seiner Arbeitsweise machte Rose n- thal nicht immer zu einem umgänglichen Mitarbeiter. Wenn Emil Du Bois - Reymond ihn im Lauf der Berliner Jahre als „unbequemes Möbel“ 1833 b e zeichn e- te, so ist dies darauf zurückzuführen, dass Rosenthal im Umgang mit seinen wi s- senschaftlichen Kollegen eine gewisse Neigung zur Rechthaberei an den Tag le g- te. Das „Besserwissen“ lag teilweise auch in seinem Selbstverstän d nis begründet, der bessere Experimentator zu sein. 1834 Emil Du Bois Reymond musste das ane r- kennen, auch wenn es ihn in seiner Ehre kränkte. Rosenthals Gründlichkeit brac h- te ihn dabei oft um den Erfolg seiner wissenschaftl i chen Arbeit, so widersinnig das klingt. Zu groß war seine Vorsic ht und Scheu, E r gebnisse zu veröffentlichen, die seiner Ansicht nach noch nicht hieb - und stic h fest waren. Seine Kollegen w a- ren hier großzügiger, teilweise auch skrupelloser. Dadurch kamen sie Rose n thal oft zuvor. 1835 Rosenthals Kollege Karl Ludwig schrieb an Emil Du Bois - Reymond :

„Wie nun Deine Stellung zu Rosenthal sein mag, eins bleibt sicher, daß er ein Mann ist, der Grundsätze hat. Aus seinem Munde habe ich nie eine Äußerung gehört, die er nicht auch au f die Waagschale des jüngsten Tages legen könnte.“ 1836

Diese Beurteilung legt den Schluss nahe, dass Rosenthal den Streit mit Max Ru b- ner in aller Aufrichtigkeit und ohne Hintergedanken geführt hat. Es ist eine große Auszeichnung, wenn von einem Menschen gesagt wird, dass seine Worte von solcher Qualität sind, dass sie sogar vor Gott bestehen können. Gerade u n ter G e- lehrten ist es manchmal üblich, die Arbeiten von Kollegen herabzusetzen oder zu

1833 Zit. n. Du Bois - Reymond, Estelle (1927), S. 160. 1834 Vgl. Kap. 2.3.4., S. 90 . 1835 Vgl. Höber (1915), S. 294. 1836 Zit. n. Du Bois - Reymond, Este lle (1927), S. 161.

3 10 ignorieren, um selbst in besserem Licht da zu st ehen. Rosenthal e r scheint als ein Mann, der frei von dieser Gelehrteneitelkeit war. Die Stärke, fe s te Grundsätzen zu haben, beinhaltet gleichzeitig die Gefahr von Starrsinn oder Dogmatismus. Die scheinbare Kantigkeit seines Charakters war eine Folge des un bedingten Bem ü- hens um Wahrheit. Völlig überzeugt von der Richtigkeit se i ner Ansichten, vertrat Rosenthal seine Versuchsergebnisse oft mit einem Au s schließlichkeitsanspruch, der andere herausfordern musste. Seine Zielsicherheit als Experimentator vermi t- telt e ihm ein Überlegenheitsgefühl, das in seinem Wissen und praktischen G e- schick begrü n det lag. Es ist nicht zu übersehen, dass Rosenthal eine Persönlichkeit von beachtl i cher Bindekraft war. Er hatte die besondere Gabe, Einfluss auf andere Me n schen au s- zuüben . Damit ist nicht die Art von Suggestivkraft gemeint, wie sie z. B. Adolf Hitler zugeschrieben wird, sondern vielmehr die Eigenschaft, Me n schen von e r- kannten Notwendi g keiten zu überzeugen und sie dazu zu bewegen, die eigenen Vorstellungen in die Tat umzuse tzen. Dazu gehörte auch seine B e gabung, persö n- liche Überzeugungen in eine Sprache zu kleiden, die von der Zielgruppe versta n- den wurde. Rosenthal gebrauchte seine Beredsamkeit in e i nem tugendhaften Sinn. Emil Du Bois - Reymond be argwöhnte Rose n thal wegen seines Einflusses auf die Studierenden, den der durch seine Vorlesungen g e wann. Als Politiker galt Rose n- thal bei se i nen Gegnern sogar als gefürchteter Agitator. Er hatte die Fähigkeit, unterschiedliche Interessen zu einem gemei n sa men Ziel zusammenzuführen, was die Ursache für Rosenthals Erfolge bei se i nem Bemühen um das Allgemeinwohl war. Hier sei nur auf die Verwirklichung der Sekundärbahn oder des Schlachth o- fes verwiesen. Auffallend ist auch Rosenthals Konfliktfreudigkeit in wis senschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen, bei denen er seine Gegner häufig mit „scha r- fen Kampfworte[n]“ 1837 angriff. Dabei ließ er sich von Anschauu n gen leiten, die das Ergebnis eigenen mühevollen Durchdringens der jeweiligen Sache waren. Er war e ine kämpferische Natur, jedoch kein Ehrgeizling. Wenn er zu dem Schluss gekommen war, dass ein Kollege Aussagen getroffen hatte, die auf Fehlern in der Methode oder auf falschen Voraussetzungen beru h ten, so scheute er sich nicht, in entsprechenden Veröffen tlichungen diese vermeintlichen Fehler schonungslos zu benennen und die Aussagen zu widerlegen. Diese Eigenschaft trat schon bei den ersten Arbeiten zu Tage, wie die Widerlegung Claude Be r nards in der Frage der Wirkung von Curare auf die Tetanisierbarkeit von Mu s keln zeigt. Die Art der Auseinandersetzung war vielfach von einer Leide n schaftlichkeit geprägt, mit der

1837 Zit. n. SAE: III. 72. R. 1. Erlanger Neueste Nachrichten vom 19. Oktober 1928, S. 1.

311 er bei seinen Mitmenschen aneckte. 1838 Seine Frau verstand dieses charakterliche Defizit bemerken s wert auszugleichen. Ein weiteres Charaktermerkmal Rosenthals war sein ausgeprägtes Veran t wo r- tungsgefühl. Sein Verständnis, das als richtig und notwendig Erkannte auch zu tun, trieb ihn jahrzehntelang in die politische Tätigkeit. Sein Verantwo r tungsb e- wusstsein veranlasste ihn, die Grundsätze, die er in se inen Vorlesungen vertrat, auch praktisch durchzuführen. Dabei ist auffällig, dass Rose n thal frei von dem Gefühl der eigenen Wichtigkeit zu sein erscheint. Er blieb oft im Hi n tergrund. Seine Bescheidenheit verhinderte, dass er sein Wirken durch Ämte r häufung b e- hinderte, wie es bei Emil Du Bois - Reymond der Fall war. Rosenthal war nicht in jedem Vorstand der Vereine, die er gründete und führte nicht den Vorsitz in jeder Kommission, die er einberufen hatte. Vielmehr war er ein he r vo rragender Initi a- tor, der ein G e spür dafür hatte, wann eine Aufgabe an andere abgegeben werden kon n te. Zähigkeit war eine weitere Eigenschaft Rosenthals. Seine Frau litt teilweise d a- runter, dass er sich an wissenschaftlichen Fragestellungen regelrecht festb e i ßen konnte und sich dann ausschließlich seiner Laboratoriumsarbeit widmete. Er b e- gnügte sich nicht mit Stichproben, sondern ging den Fragen auf den Grund. Selbst als Greis beschäftigte er sich noch mit erstaunlicher Ausdauer mit der Frage der Wirkung von Enzymen. Er konnte sich um einer Sache willen auf das Äußerste anspannen. Sein Verhalten als Soldat war von Mut bestimmt. Auch unter Umständen, die offensichtlich von persönlicher Ohnmacht und Unterlegenheit beherrscht waren, sagte er dennoch, was er dac hte, ohne sich von empfundener eigener Machtl o si g- keit niederdrücken oder von vermeintlichen Erfolgsaussichten bestimmen zu la s- sen. Was er für richtig hielt, das sagte er. Dies galt für sein gesamtes Leben und machte ihn zu einem Mann mit Zivilcourage. Rose n thals Handeln war nicht von der Frage des persönlichen Nutzens geprägt, sondern von der Frage der Notwe n- digkeit. Er tat die Dinge um ihrer selbst willen, was durch sein ausg e prägtes Pflichtgefühl gestützt wurde. Eine Aussage Rosenthals, die über seinem g anzen Leben steht und sich wie ein roter Faden durch sein Forschen, Lehren und Wirken für die Allgemei n heit zieht, lautet:

„Ich will sagen, was ich für recht halte. Wo ich irre, nehme ich gern Belehrung an.“ 1839

1838 In einem Brief an Eduard Lasker beschreibt Anna Rosenthal ein Gespräch ihres Mannes mit dem Rektor d er Universität Johann Chri s tian Konrad von Hofmann , der ihm mitteilte, dass er noch 100 Gulden mehr als Gehalt bekäme, was Rosenthal „aber mit seinem ganzen Feuer“ b e- stritt. Zit. n. BAB: N 2167 / 259. Brief Nr. 1. vom 31. Oktober 1872.

312 Diesem Leitsatz ist Rosenthal sein Leben lang g efolgt. Auch in der Auseina n de r- setzung mit Max Rubner über die Ergebnisse der Kalorimetrie ist das festz u ste l- len. Rose n thal nahm es nicht wortlos hin, wo Dinge seiner Meinung nach nicht der Wahrheit entsprachen. Unübersehbar ist auch R osenthals Sinn für Kunst und Musik. Seine Liebe zur klassischen Musik war der Motor für viele Konzerte, die durch den Gemeinnü t z i- gen Verein ausgerichtet wurden. Bekannt war er auch für seine Vorliebe für kla s- sische Dichter. Insgesamt ist Rosenthals Natur nach der Einteilung von Wi l helm Ostwald dem „Typ der Klassiker“ 1840 zugeordnet worden. Damit wird seine Liebe zur Liter a tur und Musik der entsprechenden Stilepoche beschrieben und auf die damit verbu n- denen klaren Vorstellungen vom Sch önen und Guten sowie den hohen Anspruch von Sit t lichkeit verwiesen. Hinweise auf einen persönlichen, praktizierten Glauben Rosenthals existieren nicht. Doch lassen die aus dem Krieg überlieferten Aussprüche erke n nen, dass in seinem Denken der Glaube an ein e übergeordnete, fügende Größe vorhanden war. Das Bewusstsein, dass das eigene G e schick in Gottes Hand liegt, wird im Judentum im Wesentlichen durch den selbstverständlichen Umgang mit den Te x- ten des Alten Testaments geprägt. Sie vermitteln die Vorstellung , dass eig e nes Handeln nicht losgelöst von Gottes Wirken ist. Die Frühgeschichte des Volkes Israel, die im Alten Testament bis zum 5. Jahrhundert v. Chr. dargestellt ist, en t- faltet eine Sicht der Welt, die eine Aufspaltung geschichtlicher Ereigni s se in Pr o- fanes und Sakrales nicht kennt. Miteinander verwoben sind Gottes Handeln und menschliches Tun. Gott handelt durch Menschen und auch im N a turgeschehen. Als Rosenthal auf dem Schlachtfeld aufgefordert wurde, sich be s ser vor dem feindlichen Beschuss zu decken , erwiderte er:

„Das ist ganz egal, mein Sohn, wenn´s sein soll, kommt es auch so!“ 1841

An dieser Aussage lässt sich erkennen, dass Rosenthal sein Leben als ein von Transzendenz bestimmtes Sein ansah. Bei aller materialistischen Prägung durch den Zeitgeist und seine Lehrer hatte er diese Größe nicht aus seinem Denken g e- strichen. Die Bibel war für die ganze Familie Rosenthal von normativer Kraft. Rosenthal hat auch wichtige Impulse von seiner Frau Anna erhalten, die für ihre ausgezeichnete Bibelkenntnis b e kan nt war.

1839 Zit. n. Rosenthal (1881), S. 8. 1840 Zit. n. Höber (1915), S. 294. 1841 Zit. n. Steinberg (1892), S. 173.

313 Die Frage nach Werten, die Rosenthals Charakter formten, ist also nur im Hi n- blick auf seinen jüdisch - christlichen Hintergrund zu beantworten. Der fo r male Austritt aus der jüdischen Gemeinde ist dabei nicht als Ausdruck eines Bruches mit dem Gedank engut des Judentums bzw. der Heiligen Schrift zu we r ten, so n- dern lediglich als Befreiung von dem Korsett einer konfessionell - religiösen Bi n- dung zugunsten eines freien, allein der eigenen Person veran t wortlichen Denkens und Handelns. Rosenthals Charakter wa r nicht spannung s reich, sondern in sich sehr geschlossen. Seine Entwicklung erscheint frei von Brüchen und grundlege n- den Gesinnungsänderungen. Schon seine Erziehung unter Johann Heinrich Deinhardt zeichnete die Linien vor , denen Rosenthal sein Leben lang treu gebli e- ben ist.

2. Wertung und Einordnung von Leben und Werk Isidor R o- se n thals

Die Aufgabe, Leben und Werk Isidor Rosenthals medizin - und lokalgeschich t lich einzuordnen, ist nicht einfach, vielmehr eine große Herausfo rderung und nicht frei von der Möglichkeit, falsche Schlüsse zu ziehen. Die Ausführungen von Karl Eduard Rothschuh zum Thema „Wer ist groß und was ist bedeutend in der G e- schichte der Wissenschaft?“ waren hierbei ein brauchba res Han d werkszeug. 1842 Das zeitgenössische medizinische Wissen erfuhr durch Rosenthal eine b e ach t- liche Erweiterung. Vereinfachend lassen sich Rosenthals wissenschaftliche Lei s- tungen auf zwei Hauptgebiete begrenzen: In der Berliner Zeit war es die Elektr o- physi ologie und in der Erlanger Zeit die Stoffwechselphysiologie. Nac h dem es der Generation von Johannes Müller und Emil Du Bois - Reymond ve r gönnt gew e- sen war, unbeackerten Boden zu pflügen und die bahnbrech e n den Erkenntnisse über die tierische Elektrizität gewonnen waren, konnte Rosenthal noch unbewi e- sene Aussagen durch seine Untersuchungen überprüfen. Dies trifft beispielsweise für Robert Remaks Bemerkungen über die Erregbarkeit von Muskel und Nerv zu. Er w iderlegte Claude Bernard und Albert von Kölliker , die behaupteten, Curare erhöhe die Reizbarkeit von Nerven. Rosenthal bewies das Gege n teil. Die Überprüfung der Aussagen von Johann Wilhelm Ritter über die Einwi r- kungen konstanter Ströme auf motorische Nerven hatte über ein halbes Jah r hu n- dert brachgelegen. Unter dem Einfluss der romantischen Naturphilosophie Sche l- lings waren es unvollständige und wieder in Vergessenheit gerat ene En t decku n- gen geblieben. Rosenthal systematisierte und stellte allgemein gültige Lehrsätze

1842 Vgl. Rothschuh (1969), S. 1 - 15.

314 auf, wo bisher nur Vermutungen ausgespr o chen worden waren. So formulierte Rosenthal 1857 nach eingehender Überprüfung ein Zuckungsgesetz, das wegwe i- send für die A rbeiten Eduard Pflügers wurde. Während Eduard Pflüger das G e- setz für ve r schiedene Stromstärken formulierte, hatte Rosenthal sein Gesetz für gleiche Ströme, jedoch in Abhängigkeit von der Zeit und für den Ort der Err e- gung aufgestellt . Dies war klinisch von weitreichenderer Bede u tung, da es zu der Fragestellung führte, ob am Muskel auch Strukturen von u n terschiedlicher Erre g- barkeit vorhanden sind. Emil Du Bois - Reymond hatte d a mals als Einziger die fundamen tale Wichtigkeit von Rosenthals Entdeckung richtig eingeschätzt, dass es unterschiedlich erregbare Strukturen an motor i schen Nervenfasern gibt. Damit war die Grundlage für die Entdeckung der m o torischen Endplatte gelegt. Überli e- fert aber wurde Eduard Pflüg ers Gesetz. Di e ser hatte das Glück, dass seine Fo r- mulierung des Zuckungsgesetzes zu einem günstigeren Zeitpunkt bei seinen Zei t- genossen die notwendige Resonanz he r vorrief, die Rosenthal versagt geblieben war. Die Bedeutung der Leistung R o senthals wurde noc h nicht wahrgenommen, da sie gewissermaßen eine vorzeit i ge Entdeckung war, sonst würde heute in der Literatur vom „Rosenthal´schen Zuckungsgesetz“ die Rede sein. Als Versuchse r- gebnis eines Studenten fand es kaum Gehör. Jedenfalls trugen Rosenthals Unte r- suc hungen über die Erregba r keit dazu bei, dass noch heute das „Zuckungsgesetz“ in jedem Medizinlexikon zu finden ist. Diese Abläufe sind in der Geschichte ke i- ne Seltenheit, die gesa m te Geschichte ist voll von derartigen Launen. 1843 G e- schichte fragt nicht nach Fe inheiten, sie überliefert das Grobe, das Laute. Rose n- thal hat daru n ter gelitten, dass ihm Kollegen mit seiner Meinung nach noch nicht reifen oder unvollstä n digen Arbeiten zuvorkamen, während er in seiner ausg e- prägten Gründlichkeit glaubte, seine Aussagen e rst veröffentlichen zu können, wenn sie wissenschaf t liche exakt bewiesen w a ren. 1844 Die Bedeutung von Rosenthals Doktorarbeit war die Klärung einer Frage in der Physiologie, über die seit Volta gestritten wurde: Die Lehre von den spezif i schen Energien der Sin nesnerven, wie sie Johannes Müller aufgestellt hatte. Damit war der berühmte Leipziger Anatom und Physiologe Ernst Heinrich W e ber widerlegt, nachdem Rosenthal über Untersuchungen des Geschmackssinnes d ie Richtigkeit

1843 Es war z. B. eigentlich Oskar Minkowski, der große Bre s lauer Internist, der das Insulin entde ckte, ungefähr vierzig Jahre bevor der Kanadier Frederick Grant Banting und seine Mi t- arbeiter ihre Arbeiten zum Insulin veröffen t lichten. Kannte Minkowskis Zeit doch weder den Begriff Hormon (ein von Ernest Sarling erfundenes Kunstwort, das aus dem griechi schen Zeitwort hormao für antreiben abgeleitet ist), noch hatte man eine Vorstellung von seinen Funktionen. Erst 1921 war die Zeit reif für die Th e sen der Kanadier. Vgl. Bamm (1972), S. 46. 1844 Vgl. Höber (1915), S. 294.

315 der Aussagen Johannes Müllers nachgewiesen hatte. Die Do k torarbeit bewirkte, dass Rosenthal als wissenschaftlicher Nachwuchs bekannt und g e fördert wurde. Grundlegend auf dem Gebiet der Atmungsphysiologie waren Rosenthals A r be i- ten über den Ne rvus vagus. Eigens für diese Untersuchungen hatte er einen App a- rat entwickelt, mit welchem die Bewegungen des Zwerchfells aufgezeic h net we r- den konnten, den Phrenographen. Er war eine Weiterentwicklung des von He r- mann von Helmholtz 1850 in Königsberg entwickelten Myographions. Nach Hunderten von Versuchen machte Rosenthals Habilitationsschrift „Die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus“ ihn auf einen Schlag als einen der herausragenden Experimentalphysiologen De utschlands b e- kannt, obwohl sie Rosenthals großen Irrtum enthielt: Die Theorie, dass der Nervus laryngeus superior als Hemmungsnerv des Atmungsapparates zu b e trac h- ten sei. Die Fortsetzung der Arbeiten zur A t mungsphysiologie erbrachte durch eine umfangreiche Reihe von Tierversuchen 1875 zum ersten Mal den Beweis von der vorher schon angenommenen Automatie des Atemzen t rums. Der Forschungsschwerpunkt der Erlanger Zeit lag auf den Gebieten der Wä r- melehre und des Stoffwechsels. Es war Rosenthal nicht vergönnt, f ür seinen B e- weis, dass der Energieerhaltungssatz auch für den Menschen gültig sei, die ihm angemessene Anerkennung zu erhalten. Die fundamentale Bedeutung di e ser Au s- sage erfuhr im exponentiellen Anstieg der physiologischen Entdecku n gen kaum Beachtung. Sein e wegweisenden Arbeiten zur Kalorimetrie fanden bei seinen Zeitgenossen ebenfalls wenig Resonanz. Es war Max Rubner , der zu einem sp ä- teren Zeitpunkt und in einem anderen wissenschaftsgeschichtlichen Zusamme n- hang den gleichen Stoff veröf fentlichte und sich damit einen festen Platz in der Geschichte der Medizin erobern sollte. Dennoch ist Rosenthal als einer der B e- gründer der heutigen Auffassung von der Wärmeregulation zu s e hen. Die bisher i- ge Engführung der Verdienste um die Stoffwechselph ysiologie auf die Person Max Rubners erscheint unangemessen und sollte einer Neub e wertung unterzogen we r den. Rosenthals Bedeutung als Autor medizinischer Fachbücher überragt im Hi n- blick auf das Fach der Hygiene seine Zeitgenossen, da er mit der Veröffentl i- chung seiner Vorlesungen zur öffentlichen Gesundheitspflege einem offensich t l i- chen Mangel abhalf. Die erste Auflage erfolgte 1887. Die gute Annahme durch die Studierenden machte drei Jahre später eine überarbeitete Auflage e r forde r lich. Zwei Auflagen erle bte auch sein Lehrbuch „Elektrizitätslehre für Mediziner“, die erste 1862, eine zweite 1882. Wenig Verbreitung hingegen fand das von R o- senthal 1901 herausgebrachte „Lehrbuch der allgemeinen Physiologie“, das spä r- lich bebildert ausführlich Wesen und Ablauf der Lebenserscheinungen schilderte. Verglichen mit anderen zeitgenössischen Lehrbüchern, wie z. B. dem Physiologiebuch des Greifswalder Professors Leonard Landois , entsprach es nicht mehr der damaligen Methode und dem Wissen. Die E ntwicklung der Ph y s i- ologie hatte längst den klassischen Weg, die „alte Schule“, womit hier die phys i-

316 kalische Ausrichtung gemeint ist, ve r lassen. Darin liegt auch ein Stück weit die Tragik von Rosenthals Forschen: Er konnte sich nur schwer von se i nem physik a- lischen Verständnis der Lebensvorgänge lösen und wurde so z u nehmend als V e- teran der a l ten Schule wahrgenommen. Seine außerordentliche Sorgfalt ließ ihn noch lange Sand sieben, als andere schon mit den wisse n schaftlichen Goldkö r- nern abgez o gen waren. Rosent hal hat darunter gelitten, dass viele seiner Kollegen so bedenkenlos mit Wissenschaft umgingen, musste sich allerdings damit abfi n- den, dass ihm oft die Anerkennung versagt blieb. Seinen Zeitgenossen war Rosenthal als Begründer und Herausgeber eines wichti gen wissenschaftlichen Periodikums, des „Centralblatts für die medizin i- schen Wissenschaften“, bekannt. Schon 1869 hatte er mit einem jüdischen Ko l l e- gen aus dem Schülerkreis Emil Du Bois - Reymonds, dem Physiologen He r mann Senator die Redaktion übernommen und bis 1880 geleitet. 1881 begrü n dete R o- senthal das „Biologische Centralblatt“. Die Professoren Max Reess , Pr o fessor der Botanik und Pharmakognosie und Emil Selenka , Professor der Zo o logie und vergleichenden Anatomie, konnte er zur Mitarbeit g e winnen. Übersehen wurde bisher, dass Rosenthals Erfindung der Tablettenpresse den Beginn der Tablettenproduktion in Deutschland markiert. Die Verabreichung e i- nes Medikaments in Form einer komprimierten Ta blette ist für uns heute so selbstve r ständlich, dass niemand auf die Frage verfällt, wer sich das überhaupt ausgedacht hat. Auch das Verfahren des Gelatinierens geht auf Rosenthal z u rück. Die Verbesserung des Galvanometers, mit dem kleinste Nervenströme m essbar wurden, hat für die Physiologie keine größere Bedeutung mehr erhalten. De n noch ist festzuhalten, dass Rosenthals Mikrogalvanometer zu den empfindlich s ten Strommessern se i ner Zeit zählte.

Isidor Rosenthal ist schnell in Vergessenheit geraten. Unter Zeitgeno s sen war er zwar noch als einer der bedeutenden Physiologen Deutschlands bekannt. Als Ve r- treter der physikalischen Richtung der Physiologie verloren seine Aussagen j e- doch im raschen Anstieg der medizinischen Entdeckungen zur Jahrhunder t wende und i m Strudel des Ersten Weltkrieges an Gewicht. Die von ihm entw i ckelten Apparate und Versuchsinstrumente waren infolge der rasanten Entwic k lung der E lektrotechnik bald veraltet. Es ist eine Laune der Geschichte, dass Rosenthals Nebengebiet, die Beschä f t i- gun g mit dem intrathorakalen 1845 Druck, ihn zum Erfinder der Ösophagussonde machte. Er stellte als Erster fest, dass der ösophageale Druck gleich dem

1845 Der Druck im Brustraum.

317 intrathorakalen, also dem intrapleuralen 1846 Druck ist. Diese E r kenntnis findet sich in jedem guten Physiologiebuch . Die Messung des Ösophagusdr u ckes ist noch heute von klinischer Bedeutung für die Beurteilung des Magenschlussm e- chanismus und der mechanischen Eigenschaften der Lu n ge. Rosenthals Schlundsonde war der Vorläufer des Ösophagoskops, das sieben Jahre später, i m Jahre 1887, von Johann von Mikulicz 1847 vorgestellt wurde.

Isidor Rosenthals Bedeutung für die Universitätsstadt Erlangen liegt in deren Hygienisierung nach dem Vorbild Rudolf Virchow s. Hierbei sind der Bau der Kanalisation, der Wasserleitung und des Schlachthofs zu nennen. Die Begrü n- dung e i ner Volksbücherhalle und eines Lesesaals zeigen sein Bemühen um die Bildung breiter Bevölk e rungsschichten. Auf politischem Gebiet zeichnete er sich als Gründer der lin ksliberalen Fränkischen Nachrichten und als örtlicher Parte i- gründer der Freisinnigen Partei aus. Durch sein Wirken im Gemeinnütz i gen Ve r- ein machte er sich darum verdient, das kulturelle Leben Erlangens zu fördern. Von Rosenthals Wirken in Erlangen zeugt no ch heute ein Bauwerk, das zu den Wahrzeichen der Stadt zählt: Jeder, der einen Bummel durch die Erla n ger Al t- stadt macht, kann sich auf dem Marktplatz an einem he i ßen Sommertag am Pauli - Brunnen erfrischen, der als letzter Zeuge, neben seiner Grabstelle vom Leben R o- senthals erzählt. Ein Detail, das Aufmerksamkeit verlangt, ist die Tatsache, dass Rosenthal trotz aller Ehrungen und aller Wertschätzung, die er erfahren hat, nie Verantwortung in der Universitätsleitung übernommen hat oder übernehmen konnte.

Die Wirksamkeit von Isidor Rosenthals Leben sehe ich in seiner jüdisch - christlichen Weltsicht begründet. Sie war der Boden für sein Handeln und den Umgang mit seinen Mitmenschen. Heute wird vielerorts der Ruf nach Reformen laut, jedoch tönen die Klagen über d ie Unfähigkeit zum Wirken lauter. Was ruft die Handlungs - und Antriebsarmut unserer Zeit hervor? Albert Schweitzer hat in seiner 1926 erschienenen und heute wieder hochaktuellen, kulturphilosoph i schen Schrift „Verfall und Wiederaufbau der Kultur“ (S. 50 f. ) ausgeführt, dass der Mangel an Weltanschauung die Ursache für Niedergang sei. Nach dem Z u sa m- menbruch der Ideologien des 20. Jahrhunderts und angesichts ihres Vers a gens ist zu klären, welche Anschauungen heute überhaupt noch brauchbar sind. An R o- senthals Leben ist deutlich geworden, welches Welt - und Menschenbild ihn e r-

1846 Der Druck zwischen den Lungenblättern. 1847 Johann Freiherr von Mikulicz (1850 - 1905) war ein berühmter Chirurg aus Breslau. B e- kannt ist bis heute die in der Chirurgie verwendete eins - zu - zwei - gezahnte Klemme.

318 füllte. Ich sehe den Verfall des jüdisch - christlichen Werteg e bäudes als Ursache für die Kraftlosigkeit Europas an. Die Frage nach einem gesellschaf t lich releva n- ten Leben ist meines Erachtens nur vor diesem Hintergrund zu b e antworten. R o- senthals ausgeprägtes Wirken für das Allgemeinwohl war die Umsetzung des j ü- disch - christlichen Gebotes der Nächstenliebe. Dies war der Kern und Antrieb seines Handelns, aus dem heraus sich alle gesellschaftliche Relevanz seines L e- bens en t wickelte. Isidor Rosenthals Leben kann ein Hinweis für die Bedingungen von persönl i- cher Wirksamkeit sein. Es kommt heute darauf an, das scheinbar überholte j ü- disch - christliche Welt - und Menschenbild wieder glaubwürdig und nutzba r zu m a chen.

Die Wirksamkeit eines Menschen ist die seiner Werte.

Mit diesem persönlichen Urteil soll die Auseinandersetzung mit Rosenthals L e- ben abgeschlossen sein.

319

320 Literaturverzeichnis

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Übersicht des Personalbestandes bei der Königlich Bayerischen Friedrich - Alexander - Universität Erlangen nebst dem Verzeichnis der Studierenden im Wi n- ter - Semester 1895/96. Erlangen: E. T. J a kob, 1896

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Korrespondenzbuch der Burschenschaft

Archiv der Humboldt - Universität zu Berlin (AHUB)

AZ 386 : Personalakte Isidor Rosenthal

Med. Fak. 37 : Acta der Königl. Friedrich Wilhelms Universität zu Berlin betre f- fend: Protokolle der Fakultäts - Sitzungen 1852 - 1867

Med. Fak. 1327 : Acta betreffend den Privatdocenten bei der Medicinischen F a- kultät Dr. med. et chir. Isidor Rosenthal

Med. Fak. 1502 : Reglement für die Staatsprüfungen

Med. Fak. 1605 : Acta betreffend das Blumenbach - Stipendium

R 216 : Universitätskurator/Personal: Acta betreffend: den Prof. extr. in der m e dic. Facultät Dr. I. Rosenthal. Universitätskurator/Personal

Archiv der Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ (ACJ)

PB 268 / 933. 72 (431) : Verzeichnis der wahlfähigen Mitglieder der jüdischen Gemeinde zu Berlin im Jahre 1868

Bundesarchiv Berlin (BAB)

N 2167 / 186 : Nachlass Eduard Lasker . Fanny Lewald

N 2167 / 364 : Nachlass Eduard Lasker . Nachrufe

N 2167 / 138 : Nachlass Eduard Lasker . Hofmann v. Fallersleben

N 2167 / 225 : Nachlass Eduard Lasker . Heinrich Bernhard Oppe n heim

351 N 2167 / 259 : Nachlass Eduard Lasker . Anna Rose n thal

N 2167 / 260 : Nachlass Eduard Lasker . Isidor Rose n thal

N 2183 / 14 : Nachlass Heinrich v. Marquardsen. Eduard Lasker

N 2292 / 63 : Nachlass Franz Freiherr Schenk v. Stauffenberg. R o senthal

N 2292 / 181 : Nachlas s Franz Freiherr Schenk v. Stauffenberg. Nationalliberale Partei

N 2292 / 182 : Nachlass Franz Freiherr Schenk v. Stauffenberg. Deutsche Fre i si n- nige Partei

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Dahlem (GStAPK)

Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. IV. 46. Bd. IV : Acta betreffend die Anstellung und B e- soldung der außerordentlichen und ordentlichen Professoren in der medicinischen Facultät Juli 1865 - 1869

Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. X. 11. Bd. VI - VIII : Acta betreffend das anatomische Museum der Universität zu Berlin sowie das damit verbundene physi o logische Laboratorium und die Einrichtung eines physi o logischen Instituts

Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XI. 1. Bd. III : Acta betreffend die von den einzelnen F a- kultäten der Universität zu Berlin den Studierenden jährl ich vorzul e genden Preis - Aufgaben und Vertheilung der zu di e sem Behufe bewilligten Prämien

Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. 9. Bd. I : Acta betreffend die Einrichtung, Benü t- zung und Vertheilung der Auditorien bei der Universität zu Berlin

Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. 16 : Acta betreffend die Erbauung eines Gebäudes für das Physiologische Institut zu Berlin vom Juni 1868

Rep. 76. Va. Sekt. 2. Tit. XIX. 18. Bd. 1 : Acta betreffend die Neuba u ten auf dem Grundstück Dorotheen - Strasse No. 35 und zwar für 1. das physiolog i sche 2. das physikalische 3. das chemische und 4. das technologische Institut. Vom August 1871 bis März 1873

Rep. 76. VIIIb. Nr. 4421 : Acta betreffend das militärärztliche Bildungsw e sen. Chirurgische Pépinière.1867 – 1890

352 Rep. 89. H 2.2.1. Nr. 2 1509 . Bd. 1.: Acta betreffend die verschieden Instit u te der Universität zu Berlin 1810 - 1865 wegen der Locale di e ser Institute

Rep. 89. Nr. 23699 : Acta des Kön. Civil - Kabinets betr.: die Angel e genheiten der Juden in der Provinz Posen. Vol. II.

Landesarch iv Berlin (LAB)

A Pr. Br. Rep. 005A Nr. 5088, T 51384 : Acten des Königl. Stadtgerichts zu Be r- lin, betreffend das Testament des Königlichen Professors Dr. med. Isidor R o se n- thal und seiner Ehefrau Anna Jeannette Amalie geb. Höber

A Pr. Br. Rep. 005A. Bd. 6 841 : Heiratsregister der Juden 1867 – 1871. Vol IV.

A Pr. Br. Rep. 005A. Bd. 6846 : Heiratsregister der Dissidenten 1866 – 1872. Vol. II.

A Pr. Br. Rep. 005A. Bd. 6853 : Geburtsregister der Juden 1869 – 1871. Vol. VI.

B. Rep. 202. Nr. 2945 : Acta der Städt ischen Baupolizeiverwaltung zu Berlin b e- treffend das Grundstück des Eigenthümers Louis Ku c zynsky Moßner

Universitäts - Archiv der Friedrich - Alexander - Universität zu Erlangen (UAE)

Goldenes Buch der Friderico - Alexandrina - Erlangensis

3 / 46 / 3147 : Dekanat Wiedemann. Ehrenpromotion Zahn, Rosenthal

R. Th. II. Pos. 1. No. 32 : Dr. Rosenthal 1872 - 1928: Acta der königlichen Un i ve r- sität Erlangen: „Die Errichtung und Besetzung einer ordentlichen Professur der Physiologie an der hiesigen Universität durch den bish erigen außerordentl i chen Professor an der Universität Be r lin Herrn Dr. Isidor Rosenthal“

R. Th. IV. Pos. 7. Nr. 58 : Die Adaptierung des alten Anatomiegebäudes betr. II. zu einem physiologischen Institut

T. I. Pos. 9a. Nr. 68 : Med. Fak.: Dekanat Zenker 18 71/72

353 T. I. Pos. 9a. Nr. 69 : Med. Fak.: Gründung einer ordentlichen Professur für Ph y- siologie 1872

T. IV. Pos. 7. Nr. 25 : Neubau der Anatomischen Anstalt

T. IV. Pos. 8. Nr. 31 : Die Verwendung der freiwerdenden Räume des bisherigen hebärztlichen Institut s

Stadtarchiv Erlangen (SAE)

II. 11. A. 1 : Sammelmappe „Auf dem Berg“

II. 5. H. 2 / 20 : Acta des Stadtmagistrats zu Erlangen. Hauptstrasse 476

III. 72. R. 1 : Sammelmappe Rosenthal

6. A. Nr. II. 711 : Magistratsakte Rosenthal

6. A. III. 12506 : Acta de s Stadtmagistrats Erlangen. Die Zuteilung der Stadt E r- langen zu einer Israelitischen Cultus - Gemeinde 1872

6. A. IV. d. 125 : Acta des Stadt - Magistrats Erlangen. Gründung eines freisinn i gen Vereins. 1884

6. A. IV. d. 170 : Acta des Stadtmagistrats Erlangen. Der Verein Ha r monie

6. A. IV. d. 292 : Der Gewerbeverein Erlangen

6. A. IV. d. 332 : Verein Frauenwohl

6. A. IV. d. 334 : Weiblicher Armenfrauenverein

6. A. IV. d. 336 : Bayerischer Frauenverein. Zweigverein Erlangen. Stat u ten und Jahresberichte

7. B. 10 : Gemeindekollegium 1893 – 1912

32, 37. T. 2. : Gewerbeverein, Satzungen und Mitgliederverzeic h nisse

32, 37. T. 3. : Gewerbeverein, Gelegenheitsschriften

354 32. No. 248. R. 728 : Einhebungsregister der Harmonie - Gesellschaft

32. Nr. 258. T. 1 : Bayerischer Fra uenverein vom Roten Kreuz. Zweigverein E r- langen

32. Nr. 248. R. 728 : Einhebungsregister der Harmoniegesellschaft

32. Nr. 442. T. 1. : Fortschrittspartei

240. A. 10 : Errichtung eines Volksbades1888 – 1921

241. BA. 407 : Bauvorhaben im Anwesen Auf dem Berg Nr. 14

288 / 1 : Errichtung einer Secundärbahn

288 / 2 : Errichtung einer Secundärbahn

396 / 10 : Errichtung einer Kanalisation

399 / 168 : Errichtung eines Kuns t brunnens auf dem Marktplatz

401 / 1 : Errichtung einer Wasserleitung.

410a / 45 : Errichtung eines Schlachthauses

Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA)

Abteilung II. Neuere Bestände 19./20. Jh. Ministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst

MK 39390 : Diener für das Prorektorat. Kanzlei und Hauptkasse

MK 39977 : Physikalisches Kol loquium

MK 39987 : Universität Erlangen. Anatomisches Institut. Gebäude

MK 40510 : Medizinische Gesellschaften

355 356 Anhang

357 358 Abkürzungsverzeichnis ACJ: Archiv der Stiftung „Neue Synagoge – Centrum Juda i cum“ AHUB: Archiv der Humboldt - Universität Berlin BAB: B undesarchiv Berlin BayHStA: Bayerisches Haup t staatsarchiv BKW: Berliner Klinische W o chenschrift BPK: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz DHM: Deutsches Historisches Museum DSM: Deutsches Schifffahrt s museum EDBR: Emil Du Bois - Reymond ET: Erlanger Tagblatt F AU: Friedrich - Alexander - Universität FN: Fränkische Nachrichten FWU: Friedrich - Wilhelm - Universität GStAPK: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz KPAW: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften LAB: Landesarchiv Berlin MedFak: Medizinische Fa kultät MKW: Münchener Klinische Wochenschrift SAE: Stadtarchiv Erlangen SPMSE: Sitzungsberichte der Physikalisch - Medizinischen Sozietät Erla n gen SS: Sommersemester UAE: Universitätsarchiv E r langen WS: Wintersemester ZfBS: Zentrum für Berlin - Studien ZLB: Ze ntral - und Landesbi b liothek Berlin

359 360 Lebenslauf Rosenthals 16. 07. 1836: Geburt in Labischin, Regierungsb e zirk Bromberg

17. 10. 1855: Immatrikulation an der Berliner Universität

01. 04. 1859: Anstellung als Assistent am Berliner physiologischen Institut

IX. 1860: Teilnahme an der 35. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in K ö- nigsberg

12. 03. 1863: Habilitation als Privatdozent

III. - VI. 1864: Deutsch - Dänischer Krieg; Assistenzarzt im 2. schweren Feldlazarett des 3. A r- meekorps

IV. - VI. 1866: Deutscher Krieg; Inspektion der Cholera - Lazarette des 3. Arme e korps

13. 07. 1867: Ernennung zum außerordentlicher Professor (bis 31. 03. 1872)

SS 1868: Blumenbachstipendium; Reise nach Paris und London

30. 09. 1869: Heirat mit Anna Amalie Höber; Umz ug nach Tiergarten Blumes Hof 1

24. 06. 1870: Geburt des Sohnes Werner Heinrich Eduard Samuel

07. - 17. 12. 1870: Französische Gefangenschaft nach der Schlacht von Loigny

1871: Verleihung des Eisernen Kreuzes II. Klasse am weißen Band (Nich t kämpfer)

361 30. 03. 1872: Entlassung aus dem Amt in Berlin gemäß Entlassungsgesuch von R o senthal an den Rektor der Universität Prof. Dove mit Dienstbeginn in Erlangen zum 1. A p ril 1872

XII. 1872: Reise nach Leipzig: Vereinbarungen mit Verlegern und Mechan i kern

Som mer 1876: Umzug vom Richthaus an der Hauptstraße 20 in die Enke´sche Vi l la Auf dem Berg 14

24. 04. 1877: Erwerb des Bürgerrechts

1884: Verleihung des „Ritterkreuzes 1. Klasse älterer Ordnung des Verdiens t ordens vom heiligen Michael“ Wahl in das Erlange r Kollegium der Gemeindebevol l mächtigten

21. 04. 1884: Teilnahme am 3. Kongress für Innere Medizin in Wiesbaden: Vortrag über R e fl e- xe

06. 12. 1884: Rosenthal gründet den „Freisinnigen Verein zu Erlangen“

1885: Beitritt in den Erlanger Gewerb e verein

I X. 1886: Vorstellung des Mikrogalvanometers auf der Versammlung Deutscher Natu r fo r- scher und Ärzte in Straßburg

1889: Teilnahme am Physiologischen Kongress in Basel

IX. 1890: Teilnahme an der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Br e men

362 X. 189 1: Reise zur Elektrizitätsausstellung nach Frankfurt

IX. 1892: Vorstellung des neuen Kalorimeters auf dem 2. internationalen physiolog i schen Kongress in Lüttich

IX. 1893: Vortrag über Kalorimetrie bei der 65. Versammlung Deutscher Natu r forscher und Ärzte in Nürnberg

VI. 1894: Teilnahme am XI. Internationalen Medizinischen Kongress in Rom

30. 04. 1897: Gesuch um Entbindung vom Leh r stuhl für Hygiene

V. - VI. 1897: Frosch - Skandal

XII. 1897: Ausscheiden aus dem Kolleg i um der Gemeindebevollmächtigten

23. 0 6. 1906: Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Erlangen

27. 06. 1908: Einhundert - Jahr - Feier der Physikalisch - Medizinischen Gesellschaft zu Erlangen Verleihung des Titels und Ranges eines Königlichen Geheimen Hofr a tes

10. 07. 1909: Ernennung zum Ehrendokto r

26. 07. 1909: Verleihung des „Kommandeurkre u zes des Königlichen Italienischen Ordens der Krone von Italien“

21. 04. 1913: Gesuch um Entbindung vom Leh r stuhl für Physiologie

363 30. 10. 1913: Befreiung von der Verpflichtung zur Abhaltung von Vorlesungen Ve rleihung des Titels eines Königl i chen Geheimen Rates

02. 01. 1915: Tod durch Herzversagen

05. 01. 1915: Beerdigung auf dem Zentralfriedhof in Erlangen

364 Zeittafel 1836: Charles Darwin mit der „Beagle“ auf Fo r schungsreise 1845: Einf ührung der Weh r pflicht für Juden in Preußen 1848/49: Deutsche Revolution 1858: Beginn der „Neuen Ära“ mit der Regentschaft Wilhelms I. 1859: Preußische Heeresreform 1861: Gründung der Deutschen Fortschrittspartei 1863: Gründung des Schleswig - Holsteinischen Vereins in Erlangen 1864: Deutsch - Dänischer Krieg 1866: Deutscher Krieg 1867: Gründung der Nationall i beralen Partei 1869: Gründung des Norddeutschen Bundes; Gleichstellung der J u den 1870/71: Deutsch - Französischer Krieg 1871: Gründung des Deutschen Reiches 1872: Cholera - Epidemie in Be r lin 1873: „Gründerkrach“ (Wir t schaftskrise) 1876: Austrittsgesetzgebung 1878: Sozialistengesetze, B e ginn des Kulturkampfs 1880: Antisemiten - Petition 1884: Gründung der Deutsc h freisinnigen Partei 1888: Dreikaiserjahr; Thronb e st eigung Wilhelm II. 1890: Entlassung Bismarcks 1892: Cholera - Epidemie in Be r lin 1893: Gründung der Freisinn i gen Volkspartei 1897: Erster zionistischer Weltkongress in Basel 1910: Gründung der Fortschrit t lichen Volkspartei 1914: Ausbruch des Ersten Weltkrieg es

365 366 Bildteil

367

368

Abb. 1: Isidor Rosenthal (1836 - 1915).

Abb. 2: Isidor Rosenthal (1836 - 1915).

369

Abb. 3: Isidor Rosenthal (1836 - 1915).

Abb. 4: Isidor Rosenthal (1836 - 1915).

370

Abb. 5: Straße in Bromberg.

Abb. 6: Friedrichstraße 153. Ehemals Polnische Apoth e ke.

371

Abb. 7: Das Schöneberger Ufer. Ehemals Blumes´ Hof.

Abb. 8: Westflügel der Berliner Universität.

372

Abb. 9: Johannes Müller (1801 - 1858).

Abb. 10: Emil Du Bois - Reymond (1818 - 1896).

373

Abb. 11: Vorreiberschlüssel, Mitte 19. Jahrhundert.

Abb. 12: Multip likator nach Du Bois - Reymond um 1850.

Abb. 13: Rosenthal´scher Versuchsaufbau zur „chemischen Re i zung“.

374

Abb. 14: Der Rosenthal´sche Phrenograph.

Abb. 15: Das Hutchinson´sche Spirometer.

375

Abb. 16: Charlottenstraße 36. Ehemals Wagner´sches Bierhaus.

Abb. 17: Heinrich Gottfried Grimm (1804 - 1884).

376

Abb. 18: Rosenthal auf dem Schlachtfeld.

Zeic hnung von Carl Müller.

Abb. 19: Schwesterschiff des NDL - Dampfers „Berlin“ in Bremerh a ven.

377

Abb. 20: Eisernes Kreuz am weißen Bande (Nichtkämpfer).

Abb. 21: Kriegsgedenkmünze 1870/71.

378

Abb. 22: Das Richthaus am Holzmarkt. Hauptstraße 20.

Abb. 23: Stuckdecke in Rosenthals Wohnung a m Holzmarkt.

379

Abb. 24: Burgberg mit Rosenthal - Villa (unter „Burgberg“).

Abb. 25: Die Rosenthal´sche Villa auf dem Burgberg.

380

Abb. 26: Das anatomische Institut Erlangen. Universitätsstraße 17.

Abb. 27: Die Entbindungsanstalt in der Krankenhausstr a ße.

381

Abb. 28: Die Tablettenpresse. Zweites Modell.

Abb. 29: Chronoskop nach Hipp.

382

Abb. 30: Arbeitssammler nach Fick.

Abb. 31: Mikrogalvanometer.

383

Abb. 32: Tierkalorimeter nach d´Arsonval.

Abb. 33: Uhrwerkskymographion mit Marey´scher Kapsel.

384

Abb. 34: Der Rosenthal´sche Apparat für künstliche Beatmung.

Abb. 35: Max Rubner (1854 - 1932).

385

Abb. 36: Rosenthal´sches „Modell zur rhythm. Tätigkeit des Atemzentrums“ von 1875.

Abb. 37: Der Rosenthal´sche Hörsaal in seiner heutigen Gestalt.

386

Abb. 38: Eduard Lasker (1829 - 1884).

Abb. 39: Heinrich von Marquardsen (1826 - 1897).

387

Abb. 40: Georg Ritter von Schuh (1846 - 1918).

Abb. 41: Gasthof „Grüner Baum“.

388

Abb. 42: Hotel Walfisch.

Abb. 43: Pauli - Brunnen.

389

Abb. 44: Der Erlanger Schlachthof.

Abb. 45: Sekundärbahn.

390

Abb . 46: Ritterkreuz des Verdienstordens vom heiligen Michael.

Abb. 47: Schrannenhof.

391

Abb. 48: Grabobelisk an der Südmauer des Zentralfriedhofs.

Abb. 49: Anna - Rosenthal - Weg an der Hartmann - Straße nach Norden.

392 Entbindungsa n stalt

„Harmonie“

Anatomie

Töchterschule

Hauptstraße 20

Abb. 50: Stadtplan von Erlangen

393 394 Bildquellennachweis Die kursiven Namen bezeichnen Werke im Literaturverzeichnis.

Titelbild: Öl auf Leinwand, 1908: Clara Ewald (1859 - 1949) Foto: Amelie Star linger. Abb. 1: SAE: V.C.b.647 Abb. 2: SAE: V.A.b.175 Abb. 3: SAE: VI.Sch.b.409 Abb. 4: Universitätsbibliothek Erlangen. Porträtsammlung Abb. 5: Foto: Marco Ritter Abb. 6: Foto: Marco Ritter Abb. 7: Foto: Marco Ritter Abb. 8: Foto: Tobias Pohlman Abb. 9: Winau, R.: In: Johannes - Müller - Institut, S. 10 Abb. 10: Winau, R.: In: Johannes - Müller - Institut, S. 12 Abb. 11: Foto: Christoph Knoch. In: Johannes - Müller - Institut , S. 72 Abb. 12: Foto: Christoph Knoch. In: Johannes - Müller - Institut , S. 70 Abb. 13: EDBR: Abhandlungen der KPAW. Berlin.1862. Taf. III. Abb. 14: Rosenthal (1862). Taf. I. Fig. 1 Abb. 15: Rosenthal (1862). Taf. III. Abb. 16: Foto: Tobias Pohlman Abb. 17: Pflugk - Harttung . S. 350 Abb. 18: Steinberg . S. 179. Zeichnung von Karl Müller Abb. 19 : DSM. Fotoarchiv 93 - 2. Neg. Nr. MF 20 Abb. 20: DHM. Inv. - Nr.: O.54/306. Foto: Klaus - Peter Merta Abb. 21: DHM. Inv. - Nr.: O.54/110. Foto: Klaus - Peter Merta Abb. 22: SAE: XIII.4.L.4 Abb. 23: SAE: VI.N.b.297. Foto: Carolin Styber Abb. 24: SAE: XIII.3.F 1a Abb . 25: SAE: Eigentum Renate Wünschmann Abb. 26: SAE: VI.P.b.1

39 5 Abb. 27: UAE: Kolde , o. S. Abb. 28: BKW: 11. Jahrgang. Nr. 34. 24. August 1874. Titelseite Abb. 29: Eigentum Marco Ritter Abb. 30: Eigentum Marco Ritter Abb. 31: Foto: Marco Ritter Abb. 32: Foto: Christoph Knoch. Johannes - Müller - Institut , S. 44 Abb. 33: Foto: Christoph Knoch. Johannes - Müller - Institut , S. 85 Abb. 34: Rosenthal (1894), S. 250 Abb. 35: Winau, R.: In: Johannes - Müller - Institut, S. 16 Abb. 36: Foto: Marco Ritter Abb. 37: Foto: Marco Rit ter Abb. 38: BPK: 10.005.643 - 1 Abb. 39: SAE: V.C.b.1260 Abb. 40: SAE: V.C.b.239 Abb. 41: SAE: VI.M.b.144 Abb. 42: SAE: VI.M.b.127 Abb. 43: SAE: VI.N.b.8 Abb. 44: SAE: 33.Nr.5 Sch 1/138 Abb. 45: SAE: VI.R.b.481 Abb. 46: Bayerisches Armeemuseum Ingolstadt A bb. 47: SAE: VI.M.b.3217 Abb. 48: Foto: Marco Ritter Abb. 49: Foto: Marco Ritter Abb. 50: SAE: IV.E.100

396 Personenregister

Aeby, Christoph 122 Böttiger, C arl August 185, 273 Arndt, Ernst Moritz 219 Brehm, Alfred 274 Arnim, Bettina von 137, 138, 139 Brücke, Ernst von 92 Arsonval, Jacques Arsène d´ 194 Büchner, Ludwig 82 August II., der Starke 19, 21 Bücking, Adam 235, 242, 273, 274 Baireuther, Leopold 179 Bücking, Gerry 246 Bamberger, Ludwig 133, 138, 233, Buhl, Franz 236 234, 235, 237, 238, 241 Bunsen, Georg von 128 Bar Kochba 23 Burger, Johann 271 Bardeleben, Adolf von 292 Cammerer, Johann Dietrich Michael Bebel, August 254 179 Benedicenti, Alberico 177, 297 Campe, Julius 11 Bennigsen, Rudolf von 235, 236 Cap rivi, Leo Graf von 255 Bernard, Claude 75, 90, 105, 110, Cazalet, Christian 284 187, 194, 318 Chamisso, Adalbert von 96 Beseler, Georg von 74 Chmielnicki, Bogdan 33 Besold, Eduard 246, 273 Christian Ernst 158, 178 Bess, Johann 176, 177 Christian IX. 141 Bethmann - Hollweg, Moritz August Cohnheim, Julius 123 von 70, 86, 212 Crailsheim, Krafft Freiherr von 288, Bezold, Albert von 68, 73, 86, 89, 289 94, 107, 112 Darwin, Charles 11, 78, 84, 369 Billroth, Theodor 61, 153 Deinhardt, Johann Heinrich 31, 233, Bismarck, Otto von 46, 52, 53, 72, 318 82, 127, 133, 136, 142, 146, 214, Delbrück, Rudolf von 133, 136, 137 215, 235, 236, 237, 244, 247, 249, Despretz, César 199 250, 251, 252, 253, 257 Dietrich, Johann 182 Bi ssinger, Gustav 281, 283, 284, Dittrich, Franz von 282 286 Döderlein, Hugo 286, 302 Bleichröder, Gerson Jacob 50 Dorsch, Gustav 283 Blume, Johann Carl 99 Dove, Heinrich 61, 94 Blümlein, Johann 179 Drechsler, Johann Ernst 179 Boerhaave, Hermann 170 Dreyse, Johan n Nicolaus 144 Bohr, Christian 207 Du Bois - Reymond, Emil 61, 64, 65, Boll, Franz 94 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, Börne, Ludwig 96 75, 76, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 85, Borsig, August 44, 96 87, 88, 91, 92, 93, 94, 101, 102, Böttiger, August 281, 283, 286 104, 106, 107, 109, 110, 113, 114,

397 117, 119, 120, 124, 133, 136, 137, Friedrich II. 34, 291 178, 181, 183, 196, 201, 314, 315, Friedrich II., der Große 17, 22, 29, 316, 318, 319 30, 33, 43, 57 Dulong, Pierre 199 Friedrich III., Kronprinz und Dunant, Henri 141 Deutsch er Kaiser 46, 251 Ebermayer, Gustav 288, 289 Friedrich III., Kurfürst 42, 95, 251 Eheberg, Aline von 307 Friedrich Wilhelm I., Soldatenkönig Engels, Friedrich 96 43, 56, 98 Enke, Alfred 181 Friedrich Wilhelm II. 57, 265 Enke, Ferdinand 179, 180, 181 Friedrich Wilhelm III. 34, 50, 66, Enke, Karl 181, 183 291 Erlanger, Ludwig Baron von 287, Friedrich Wilhelm IV. 46, 139, 141 288 Friedrich Wilhelm, der Große Esmarch, Johanne s Friedrich August Kurfürst 42, 47, 95, 158 von 153 Gabler, Henriette 144 Eulenburg, Albert von 122 Gaffky, Georg 128 Eulenburg, Philipp Graf zu 53 Galvani, Luigi 100 Eversbusch, Oscar 258, 259 Gans, Eduard 49, 50 Evora, Wilhelm 250 Geiger, Wilhelm 311 Ewald, Ernst 133 Gerlach, Emelie 307 Ewald, J. Richard 135 Gerlach, Joseph von 163, 172, 173, Falk, Adalbert 128, 222 267 Faraday, Michael 100 Glück, Christian Friedrich von 282 Fichte, Johann Gottlieb 44, 50, 96, Gnauth, Adolf 281 220 Gneisenau, August Graf Neidhardt Fick, Adolf 92, 192, 207 von 219 Fischer, Emil 188, 189 Goethe, Johann Wolfgang von 50, Fleischer, Richard 175 246 Fleischmann, Gottfried 172, 266, Göhring, Elise 307 270 Göhring, Ludwig 245, 310 Flottwell, Eduard 35, 36 Gorup - Besanez, Eugen Franz Fontane, Theodor 97, 98, 99, 139, Freiherr von 168, 211, 267 282 Gorup - Besanez, Franz Freiherr von Forckenbeck, Maximilian von 241 168, 348 Fränger, Emil 284, 294, 297 , 310, Graefe, Albrecht von 125 311 Graser, Ernst 303 Fränkel, Bernhard 122 Grase r, Pauline 307 Frerichs, Friedrich Theodor 89 Grimm, Heinrich Gottfried 141, 143 Friedländer, Adolph 62 Grimm, Jacob u. Wilhelm 98 Friedländer, David 49 Gropius, Martin 133 Friedrich I. von Nürnberg 41 Gründler, Carl August 179

398 Grunfeld, Frederic 25 Herzl, Theodor 258 Gunzenhäuser, Wolf 250, 251 Hetzel, Wilhelm 283 Gusserow, Adolf Ludwig 122, 124 Heydt, August Freiherr von der 53 Gustav Adolf 29 Hilger, Albert 283, 302 Güthlein, Alois 180 Hirsch, August 127 Haeck el, Ernst 76, 226, 227 Hirschfelder, August 245 Haldane, John Scott 207 Hirschmann, Paul 302 Hallmann, Eduard 67, 77, 78, 79, 87 Höber, Anna Amalie 97, 98, 119, Halske, Johann Georg 65, 133 139, 298 Hänel, Albert 242 Höber, Eduard 98, 298 Hardenberg, Karl August Freiherr Hobrecht, James 127 von 160, 265, 266 Hoffmann, E. T. A. 96 Harless, Christian Friedrich 266, 267 Hoffmann, Rolf 183 Harnack, Adolf von 136 Höfling, Michael 284 Hartmann, Heinrich 284 Hofmann, Ernst 183 Haßler, Otto 273 Hofmann, Johann C hristian Konrad Hauer, Bezirksamtmann 286 von 166, 235, 242, 282, 316 Hauser, Gustav 296, 311 Hoppe - Seyler, Felix 206 Hedenus, Hermann 308 Hufeland, Christoph Wilhelm 55, 66, Heidenhain, Rudolf 73, 94, 192 96 Heim, Ludwig 219 Humboldt, Alexander von 77, 131 Heine, Heinrich 11, 49, 50 Humboldt, Wilhelm von 30, 44, 49, Heinecke, Walter von 281, 283 96, 220 Heinrich I. 41 Hutchinson, John 208 Helbig, Wilhelm 180 Ittameier, Konrad Matthias 258 Helmholtz, Hermann von 71, 77, 79, Jacobi, Moritz H ermann von 100 92, 120, 136, 189, 194, 195, 196, Jagor, Fedor 117 198, 267, 320 Jakob, Ernst Theodor 239 Henke, Adolph 171, 266 Joachim II., Kurfürst 42 Hennig, Julius von 133 Johann Sigismund 42 Hennig, Richard 176, 206 Jordan, Hermann 239 Henoch, Eduard 61 Jordan, Sophie 307 Hensel, Katharina 307 Karl IV. 157 Hensel, Paul 183, 307 Kasimir der Große 28 Hensen, Victor 105, 298 Kastan, Isidor 58, 123 He rmann, Ludimar 68, 73, 85, 92, Kemlein, Sophia 33, 36, 39 94, 118, 119, 122, 124 Kesselhuth, Johann 28 Hertz, Heinrich 136 Kieseritzky, Wolther von 241 Herz, Henriette 49 Kiesselbach, Luise 307, 308 Herz, Jakob 162, 163, 235, 267 Kirchhoff, Gustav Robert 100, 120, Herz, Marcus 49 265

399 Kleist, Heinrich von 96 Liebreich, Oscar 128 Klippel, Helene 307 Liszt, Franz 138, 139 Knobelsdorff, Georg Wenzeslaus von Loewenich, Gottschalk von 273 98 Löffler, Friedrich 128 Koch, Robert 127 Lotzbeck, Divisionsarzt 292 Kohlrausch, Kohlrausch 208 Ludwig I. 220, 293 Kolde, Anna 307 Ludwig II. 211, 236, 294 Köll iker, Albert von 110, 267, 318 Ludwig III. 297 Konrad von Masowien 21 Ludwig, Karl 66, 67, 77, 78, 79, 85, Kopernikus 84 87, 92, 104, 120, 190, 195, 208, Kränzlein, Emil 248, 278, 279, 311 268, 314, 328 Krempelhuter, Anna von 302 Lueder, Karl 273 Kühne, Wilhelm 73, 107, 118, 123, Luitpold, Prinzregent 11, 262, 268, 187 269, 282, 293, 294, 295, 296 Kuhnheim, Hugo 133 Luther, Martin 21 Kussmaul, Adolf 121, 268 Lutz, Johann Freiher r von 164 Kyros I. 23 Mackenzie, Morell 251 Landois, Leonard 163, 321 Magnus, Heinrich Gustav 64, 136 Langenbeck, Bernhard von 59, 62, Marquardsen, Heinrich von 164, 63, 65, 123, 141, 144, 153, 292 168, 235, 238, 242, 275, 288, 289 Lasker, Eduard 51, 52, 53, 137, 138, Martin, Eduard 122 147, 164, 179, 234, 235, 236, 241, Marx, Erich 298, 299, 308, 311 249, 272, 299, 300, 301, 316, 355, Marx, Karl 78 356 Matteucci, Carlo 100, 102 Lauer, Gustav von 292 Maurer, August 284 Lavoisier, Antoine 193 Mayer, Robert Julius 198 Legallois, Julien Jean César 109 Mendelssohn, Moses 43, 49, 183 Leibniz, Gottfried Wilhelm 43 Mendelssohn - Bartholdy, Robert von Lenné, Peter Joseph 98 136 Leopold I. 24 Merkel, Rudolf 297 Leopold von Hohenzollern - Mettrie, Julien Offray de La 78 Sigmaringen 146 Meyer, Adolf Bernhard 209 Lessing, Gotthold Ephraim 43 Meyerbeer, Giacomo 274 Leube, Wilhelm von 163, 186, 188, Meyerhof, Otto 202, 298 208, 264, 273, 283 Middeldorpf, Albrecht Theodor 144 Levin, Rahel 50 Mieszko I. 18 Lewald, F anny 137, 138, 139, 235, Mikulicz, Johann von 322 299 Mitscherlich, Eilhard 61, 88, 187 Leyden, Ernst von 123, 136 Mitscherlich, Karl Gustav 88 Liebig, Justus 81, 188, 198 Moleschott, Jakob 82, 92, 105, 112 Liebknecht, Wilhelm 221

400 Moltke, Helmuth Graf von 88, 141, Pettenkofer, Max von 127, 169, 192, 146, 218, 300, 329, 336, 351 204, 268 Mommsen, Theodor 13, 136 Pfaff, Friedrich 180 Moser, Moses 49 Pfeiffer, Karl 238, 239 Mo ßner, Louis Kuczynsky 99 Pflüger, Eduard 94, 106, 107, 198, Mühler, Heinrich von 53, 89, 93, 207, 319 143 Pirogoff, Nicolai 140 Müller, Johannes 56, 60, 61, 63, 65, Pius V. 24 66, 67, 68, 69, 76, 78, 79, 101, Platen, August Graf von 180 104, 108, 110, 125, 186, 187, 267, Preis, Conrad 273 318, 319 Purkinje, Johann Evangelista 187 Munk, Hermann 68, 69, 85, 121, Ranke, Leopold von 136 124 Rathenau, Emil 50 Mußgiller, Martin 180 Ratibor, Viktor Herzog von 133 Nansen, Fridtjof 131 Raumer, Karl Otto von 60 Napoleon III. 146 Recklinghausen, Friedrich Daniel von Napoleon, Bonaparte 20, 22, 30, 43, 122, 123 44, 160, 266, 292 Reess, Max 275, 281, 321 Nicolai, Friedrich 43 Reger, Max 274 Nietzsche, Friedrich 144, 222, 258 Regnault, Henri Victor 204, 206 Nobili, Leopoldo 101 Reichert, Karl Bogislaus 58, 61, 69, Noether, Emmy 307 70, 88, 107 Noether, Ida 307 Reichold, Edmund 273 Noether, Max 265, 269, 307 Reif, Paul 273 Nussbaum, Johann Nepomuk Ritter Reiniger, Erwin Moritz 186 von 292 Reiset, Jule 204, 206 Oken, Lorenz 130 Remak, Robert 104 Ollenroth, Carl Friedrich 26 Richter, Eugen 240, 241 Oppenheim, Heinrich Bernhard 52, Richter, Johann Moritz 158 137, 138, 139, 164, 179, 233, 235, Rindfleisch, Eduard von 122 298, 299 Ritter, Johann Wilhelm 105, 318 Ostwald, Wilhelm 131, 317 Roon, Albrecht Graf von 88, 143 Otto I. 18, 220 Rosenthal, Anna 183, 298, 300, 301, Papellier, August 238, 242 302, 303, 305, 306, 307, 308, 309, Pätzold, H. Juliu s 182 316, 356 Pauli, Friedrich Salomon 280 Ros enthal, Julius 54 Pauli, Julie 280 Rosenthal, Ludwig 54, 96 Penzoldt, Franz 303 Rosenthal, Samuel 34, 41 Penzoldt, Valerie 307 Rosenthal, Werner 131, 182, 183, Pestalozzi, Johann Heinrich 220 269, 299, 308 Rosshirt, Johann Eugen 172

401 Roth, Wilhelm August 292 Söldner, Karl 278, 283, 284, 305 Rothschuh, Karl Eduard 66, 318 Spencer, Herbert 212 Rubner, Max 192, 195, 196, 197, Sponsel, Ilse 12, 259, 312 199, 200, 201, 211 , 216, 314, 317, Stauffenberg, Franz Freiherr Schenk 320 von 138, 237, 238, 240, 242, 243, Rückert, Friedrich 282 244, 246, 251, 252, 253, 289 Rudolphi, Carl Asmund 56, 66 Stoecker, Adolf 82, 243, 244, 258 Ruff, Peter W. 78 Streiter, Karl Heink 19, 20, 22, 28, Salomon, Gottfried 62 34, 36 Sander, Wilhelm 122 Strümpell, Adolf von 156, 239 Saphir, Moritz Gottlieb 96 Superville, Danie l de 170 Schacht, Julius Eduard 97, 185 Tholozan, Pierre 178 Schätzler, Ernst Georg 250 Tieck, Ludwig 96 Schauß, Friedrich von 242, 244 Tietz, Hermann 50 Scheffel, Joseph Viktor von 96 Tingley, Katharina 183 Schiff, Moritz 112 Tournon, Camille de 266 Schinkel, Karl Friedrich 96, 291 Townsend Porter, William 232 Schlegel, Friedrich 50 Traube, Ludwig 57, 61, 63, 110, Schleiermacher, Friedrich David 114, 115, 125, 139, 201, 233, 235, Ernst 50, 138 299 Schmidtill, Konrad 246, 281 Treitschke, Heinrich von 257 Schreber, Johann Christian Daniel Trepp, Leo 25 von 266 Treves, Zaccarias 177 Schreger, Bernha rd Nathanael Tucholsky, Kurt 13 Gottlob 171, 266 Vaihinger, Hans 227 Schröder, Karl 173 Varnhagen, Helene 307 Schuh, Georg Ritter von 217, 275, Varnhagen - Ense, Rahel 96 278, 280, 281, 283, 284, 285, 286, Veit, Salomon 49 287, 288, 289, 297, 304, 305 Victor Emanuel III. 296 Schuh, Maria von 303, 305 Vierordt, Karl von 68 Schulz, Oskar 290 Vierzigmann, Martin Christian 284 Schwann, Theodor 187 Virchow, Rudolf 58, 60, 61, 65, 69, Schwartz, Claus 12 76, 81, 82, 117, 120, 121, 122, Selenka, Emil 173 , 275, 321 123, 125, 126, 127, 128, 131, 133, Senator, Hermann 128, 193, 321 152, 153, 187, 192, 206, 233, 235, Seydel, Karl Theodor 53 241, 244, 268, 285, 322 Siemens, Ernst Werner von 64, 65, Vogt, Carl 81, 82 101, 102, 120, 127, 131, 137, 186, Voit, Carl von 268 209, 210, 233, 290 Volkmann, Richard von 153 Sigismund II. 19 Volkov, Shulamit 38 Sigismund III. 19 Vollrath, August 281, 284

402 Volta, Allessandro 108 Wilhelm II. 230, 251, 252, 253, 254 Wagner, Richard 137, 294 Wittern - Sterzel, Renate 12 Wanderer, Friedrich 282 Wladislaw IV. 24 Warburg, Otto 202 Wolf, Ferdinand 284 Weber, Ernst Heinrich 108, 320 Wrangel, Friedrich Heinrich von 52 Weilshäuser, Emil 75 Wundt, Wilhelm 113, 165 Weinland, Ernst Friedrich 311 Zajic, Josef 182 Wendehorst, Alfred 161 Zenker, Friedrich Alb ert von 163, Wendt, Friedrich von 171, 266 165, 166, 167, 168, 293 Wichern, Johann Heinri ch 127, 144 Zick, Friedrich 283 Wiedemann, Eilhard 269, 270, 295, Zunz, Leopold 49 296 Zweifel, Paul 173

403 404 Danksagung

Mein erster Dank gilt meinem Gott und Vater im Himmel, der mir alles g e schenkt hat, was überhaupt als Vo r aussetzung für diese Arbeit denkbar ist. Für die freundliche Aufnahme des Themas danke ich besonders Frau Profe s sor Dr. Renate Wittern - Sterzel. Ihr verdanke ich wertvolle Hinweise zur Meth o dik und Didaktik einer wissenschaftlichen Arbeit und zur deutschen Spr a che. In allen Archiven und Bibliotheken hatte ich freundliche und fac h kundige Hilfe und Beratung . Hier seien besonders Frau Wünschmann vom Stadtarchiv in E r la n- gen, Frau Quade vom physiologischen Institut der Humboldt - Universität in Be r- lin, Frau Beuscher vom Institut für Physiologie in Erlangen sowie die D a men und Herren der Univers i tätsbibliotheken i n Berlin und Erlangen erwähnt. Herr Major Popp vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam hat mich bei der R e- cherche zu Rosenthals Zeit als Soldat unterstützt. Frau Ilse Sponsel sei herzlich für die Überlassung des Materials ihres Leben s bi l- des von Rosenthal gedankt. Herr Dr. Klaus - Peter Merta vom Deutschen Hi s tor i- schen Museum war so freun d lich, die Abbildungen des Eisernen Kreuzes und der Kriegsmedaille herz u stellen. Herrn Dr. Hoffmann danke ich für die Möglichkeit, das ehemals Rosenthal´sche Grund stück besichtigen und fotografieren zu dürfen. Fruchtbare Anregungen und Hinweise verdanke ich Herrn Professor Dr. Karl - Heinz Plattig vom Institut für Physiologie in Erlangen. Herr Pr o fessor Dr. Wolf Keidel war so freundlich, mir Abbildungen des einzigen G emäldes von Isidor R o- senthal zukommen zu lassen. Herrn Christoph Knoch danke ich für die E r laubnis, seine hervorragenden Fotos der „Historischen Instrumentensammlung“ verwe n- den zu dürfen und ebenso Frau Carolin Styber für die Genehm i gung, das Foto von der Stuckdecke des früheren Richthauses in der Hauptstraße 20 zu veröffentl i- chen. Schließlich danke ich Herrn Oberstabsarzt Dr. Rembert Müller, der mir im Ra h- men der dienstlichen Möglichkeiten Freiräume geschaffen hat, um die A r beit bald fertig zu stellen. Es waren Herr Hauptbootsmann Michael Bredehorst und Herr Hauptbootsmann Jörg Arendt, die mich mit ihrer Fachkenntnis im Hinblick auf die Datenverarbe i tung mit Rat und Tat unterstützt haben.

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