Geschichte Der Pharmazie
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ISSN 0939 - 334X | 72. Jahrgang | April 2020 | 1/2 Geschichte der Pharmazie DAZ Beilage | Redaktion Prof. Dr. Wolf-Dieter Müller-Jahncke | Prof. Dr. Christoph Friedrich Von der Mercurseife EDITORIAL Fliehe schnell, fliehe weit, bleibe lange … … war die Weisung nach dem Ausbruch zu Sublimatseife, Lysol der Pest in den Jahren 1348/49 in Mittel- europa – ein Satz, den die Autorin Fred Vargas (i. e. Frédérique Audoin-Rouzeau) zum Titel ihres 2001 erschienenen Krimi- und Lysoform nalromans „Pars vite et reviens tard“ wählte. Schon kurz nach dem Ausbruch Zur Geschichte medizinischer Seifenpräparate der Krankheit in Florenz hatte Giovanni Boccaccio die Novellensammlung „Il De- camerone“ geschrieben, die 1470 im Druck erschien. Auch im 20. Jahrhundert Ursula Lang | Seifen, die beim Ko- gepulverter „Esula- oder Wolfswurzel“ widmeten manche Autoren ihre Werke chen tierischer oder pflanzlicher [Euphorbia esula] her.1 den Seuchen: Albert Camus „La peste“ Fette mit alkalischen Laugen unter In der Pharmacopoea Wirtenbergica (Pest, 1947), Thomas Mann „Der Zauber- Freisetzung von Glycerin entstehen, 1741 findet sich eine ausführliche berg“ (Tuberkulose, 1924) oder Gabriel García Márquez „El amor en los tiempos waren jahrhundertelang wichtige Monographie zu „Sapo Medicatus“, del colera“ (Cholera, 1985). Doch während Hilfsmittel zur Körperhygiene so- aus der man ersehen kann, dass reine hier die Seuche zur sozial- und gesell- wie waschaktive Agentien, mit de- Seife im 18. Jahrhundert auch inner- schaftskritischen Interpretation der herr- schenden Verhältnisse diente, war das nen man Textilien und Alltagsge- lich angewendet wurde. Die Monogra- Ziel der Fachschriftsteller seit der Frühen genstände von fettigem Schmutz be- phie verweist auf berühmte Ärzte, wie Neuzeit die Aufklärung und Prävention. freite. Das Brennen, das ein länger- den hoch angesehenen niederländi- Kaum ein Stadtarzt oder Medizinprofes- sor, der nicht zur Feder griff, um ein „Seu- dauernder Seifenkontakt aufgrund schen Mediziner Hermann Boerhave chenbuch“ zu veröffentlichen, sei es zur der alkalischen Reaktion auf Haut (1668–1738), der Seife als wirkungs- Pest, zur „rothen Ruhr“, zur Cholera oder und Schleimhaut auslöste, wurde volles „Auflösungsmittel“ empfahl, zur Syphilis. Die Arzneibücher übernah- mit der heißen und trockenen Natur beispielsweise bei „Gallen- oder Milch- men die Rezepturen von den Ärzten und gaben den Apothekern die Möglichkeit, 2 der Seife in Verbindung gebracht. stau“ sowie bei Blasensteinen. mehr oder weniger wirksame Medika- Auch wenn die medizinische Anwen- mente herzustellen und sie an die Bevöl- dung von Seife in der antiken Materia kerung auszuliefern. Erst das 19. und 20. Reinigende medizinische Seifen Jahrhundert eröffneten durch medizi- Medica nicht beschrieben wurde, zur äußerlichen und innerlichen nisch-naturwissenschaftliche Erkenntnis- könnte damit ein humoralpathologi- se die Wege zur Bakteriologie, zu Impfun- Anwendung sches Therapiekonzept in Verbindung gen und wirksamen Arzneimitteln, wie 3 den Antisyphilitika oder den Sulfonami- Dass Seife ursprünglich nur äußerlich gebracht werden. Die Ärzte des 18. den und Antibiotika. Der Virologie gelang zu medizinischen Zwecken eingesetzt Jahrhunderts assoziierten Stauungen, es, die seit der Spanischen Grippe von wurde, kann dem Hortus sanitatis ent- Verhärtungen oder Steine mit einem 1918/20 gefürchtete Influenza zu bekämp- nommen werden. Das darin enthaltene gestörten Gleichgewicht der Körper- fen, und obwohl die Übertragung der Vo- gelgrippe (H5N1) auf den Menschen unsi- Kapitel „Sapo–seyff“ zeigt, dass man säfte. Mit auflösenden Mitteln, die das cher ist, war das antivirale Präparat Tami- im 15. Jahrhundert Seifenanwendun- Ausspülen von vermeintlich gestock- flu® 2014 in allen Apotheken heiß begehrt gen zur Wundreinigung sowie zur Be- ten Flüssigkeiten erleichterten, sollte (s. DAZ Cartoon vom 5. 3. 2020). So gilt der Merksatz aus den Zeiten der Cholera auch handlung von „grindiger“ und entzün- der Körper offensichtlich innerlich ge- bei dem jetzt grassierenden Corona-Virus, deter Haut oder Geschwüren einsetzte. reinigt werden. Der Apotheker und Be- striktes hygienisches Verhalten vorausge- Ferner stellte man seifenhaltige und gründer der Homöopathie Samuel setzt, noch immer: „Nur keine Forcht!“ W.-D. Müller-Jahncke örtlich reizende Abführzäpfchen mit Hahnemann (1755–1843) verfasste En- Nr.1/2 | April 2020 | 72. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie | 1 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202103301352-0 Geschichte der Pharmazie fen. Eine reine, wei- stopfung sowie Einreibungen mit „Sei- ße und geruchsneut- fengeist“ oder mit ätherischen Ölen rale „Sapo medica- bereitetem Opodeldok5, dem „Linimen- tus“ wurde aus Man- tum saponatum camphoratum“ gegen delöl oder arthritische und rheumatische Be- Kakaobutter mit al- schwerden, warnte aber auch vor mög- kalischen Laugensal- lichen Hautreizungen.6 zen gesiedet. Gepul- vert und in Wasser Abb. 1: Gart der Gesundheit 1485, Sapo seyff oder Milch aufgelöst, sollte sie Säure til- de des 18. Jahrhunderts ein mehrbän- gen, gegen Arsenik- oder Sublimatver- diges Apothekerlexikon und widmete giftungen helfen, Verstopfungen der dabei einen Abschnitt der „Seife Eingeweide zerteilen, Gefäße reinigen (Sapo)“, die er als „Verbindung eines und zähe Säfte verdünnen. Ferner be- sauern oder alkalischen Salzes mit schrieb Hahnemann ein seifenhaltiges Fettigkeiten zu einem in Wasser und „Klystier“ als wirksames, „den Leib Weingeist auflöslichen Mittelkörper“ eröffnendes“ Mittel sowie „Spiritus sa- definierte. Apotheker stellten „Sapo ponis“, Seifengeist, als äußerlich anzu- acidus“, saure Seife, aus Baumöl (Oli- wendende Arznei zur Erweichung und venöl), Mandelöl oder Kakaobutter und Auflösung von Geschwülsten. Vor der Vitriolsäure (Schwefelsäure) her, die innerlichen Anwendung nicht-medizi- nach längerer Reaktionszeit, Abschei- nischer Seifen, wie grüner, schwarzer dung und Auswaschen überschüssiger oder marmorierter Seife aus Frank- Säure und anschließender Trocknung reich, Spanien oder Italien, warnte gewonnen wurde. Außer zur Einrei- Hahnemann hingegen. Färbungen bung von Fußgeschwülsten wendete oder Flecken würden durch ungeeig- man diese Seife Hahnemann zufolge nete Gefäße aus Kupfer oder auch überwiegend innerlich an, beispiels- durch Beimischungen, wie „Indig“ weise als harntreibende Arznei gegen oder Kupfervitriol als Färbemittel, in Nieren- und Blasensteine sowie bei die Seifenmasse eingebracht.4 Abb. 3: Vierkantflasche (SPIRITUS): / „inflammatorischer Wassersucht“, also 1826 verfasste der Wiener Mediziner SAPON, Glas, 2. Hälfte 18. Jh. Ödemen mit Wassereinlagerungen im und Professor Leopold Franz Herr- Gewebe. Gewöhnliche Hausseifen, wie mann (1785–1839) das dreibändige Seifen als Gegenstand „Sapo mollis“, „Sapo vulgaris“ oder System der practischen Arzeneymittel- chemisch-pharmazeutischer „Sapo communis“, konnte man aus lehre. Im zweiten Band handelte er die Talg, Hanf-, Lein- oder Rüböl gewin- Besondere Arzeneymittellehre ab und Wissenschaft nen, Heringstran und Olivenöl stellte widmete im Kapitel der „Lymphatisch- Erst der französische Chemiker Mi- man durch Kochen mit „potaschlau- auflösenden Arzeneystoffe“ den „me- chel Eugene Chevreul (1786–1889) gensalziger Seifensiederlauge“ her. Bei dicinischen Seifen“ einen längeren konnte zeigen, dass Fette durch che- Zusatz von Kochsalz zum Ende des Abschnitt. Herrmann beschrieb aus- mische Reaktion mit Alkali und Erd- Siedens entstanden feste Natron-Sei- führlich Indikationen zur Einnahme alkali beim Kochen in Wasser in Fett- von Seife, beispielsweise zum Lösen säuren und „glycérine“ (griech. gly- von Gallen- oder Nierensteinen oder kerós, süß) zerlegt werden. 1823 be- zum Binden von Säure, erwähnte je- richtete er in den Recherches doch auch Fälle, bei denen die Einnah- chimiques sur les corps gras d´origine me von Seife nicht angezeigt war, wie animale über seine umfangreichen bei „fauligen Colliquationen“, unter Versuche zur Aufklärung der Versei- denen eitrige und nekrotische Gewe- fungsreaktion.7 Der Apotheker Sigis- beveränderungen zu verstehen sind. mund Friedrich Hermbstaedt (1760– Hingegen lobte Herrmann die äußerli- 1833) mit seinem großen Interesse an che Anwendung von Seifenbädern als der Weiterentwicklung chemisch-tech- wirksames Mittel zur Regelung ge- nischer Gewerbe erkannte sofort die störter Hautfunktionen, erwähnte Sei- Bedeutung dieser Entdeckung für die fenpflaster zum Auflegen auf Ge- Wissenschaft. 1824 gab er eine zweite, Abb. 2: Sapo medic. pulv. schwülste, Seifenklystiere gegen Ver- neu bearbeitete Auflage seines Buches 2 | Geschichte der Pharmazie | 72. Jahrgang | April 2020 | Nr.1/2 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202103301352-0 Geschichte der Pharmazie Chemische Grundsätze der Kunst alle umcarbonat aus Natriumchlorid, Arten harte und weiche Seifen zu fabri- Schwefelsäure, Kohle und Kreide (Cal- ciren heraus, in die er die neuen Er- ciumcarbonat) erfunden, das der tech- kenntnisse zur chemischen Zusam- nischen Chemie zu industriellem Maß- mensetzung von Fetten und zur Theo- stab verhalf.9 Um eine ausreichende rie der Seifenbildung einfließen ließ. Reinheit von technisch gewonnenem Im Vorwort erläuterte er, dass seit Er- Soda zu gewährleisten, wurden maß- scheinen der ersten Auflage im Jahr analytische Methoden eingesetzt. Die 1808 die Naturwissenschaften „auch Chemiker Carl Remigius Fresenius über die Gegenstände der Seifensie- (1818–1897) und Heinrich Will (1812– derey vielfältig ein helleres Licht ver- 1890), Assistenten des in Gießen leh- breitet haben“. renden Professors der Chemie