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Bios Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen Inhalt Heft 2/2005 (18. Jahrgang) Schwerpunkt: „Biographie und Sportgeschichte“ Frank Becker und Michael Krüger Einleitung zum Schwerpunktthema .........................................................................155 Frank Becker Perspektiven einer Carl-Diem-Biographie ..............................................................157 Wolfgang Kruse Gibt es eine Weltkriegsgeneration? .........................................................................169 Ewald Frie Pluralisierte Biographien .........................................................................................174 Friedrich Lenger Netzwerkanalyse und Biographieforschung – einige Überlegungen .......................180 Karl Lennartz Karriere durch Kontakte? Carl Diem und seine „Beziehungspflege“ ......................186 Hans Joachim Teichler Altrock und Diem – zwei vergleichbare Biographien .............................................191 Jürgen Court Zum Beispiel Alfred Peters (1888–1974)................................................................199 Volker Kluge Lebensläufe von Sportlern und Sportfunktionären zwischen Sport, Politik, Kultur, Medien und Gesellschaft Eine kurze Geschichte von Sport-Autobiographien ................................................206 Weitere Aufsätze Kai Dröge und Irene Somm Spurlose Leistung. Langsicht im flexiblen Kapitalismus .........................................215 Stefan Weyers „Sünder“, „Dummer Junge“, „Opfer“, „Held“ … Biographische Selbstpräsentationen inhaftierter Jugendlicher ................................236 Wiebke Lohfeld „Du bist nicht mehr Teil Deutschlands“. Die Flucht nach Shanghai 1939 Einzelfallanalyse aus einem DFG-Projekt ...............................................................264 Projektbericht Thomas Forstner und Michael Volpert Katholische Priester im Nationalsozialismus Forschungsbericht zu einem Oral-History-Projekt ..................................................287 Tagungsbericht Östliche Empirie mit westlichen Methoden Bericht zur Tagung: Oral History und (post)sozialistische Gesellschaften (Christoph Thonfeld) ...............................................................................................304 Eingesandte Bücher .................................................................................................311 Autoren dieses Heftes ..............................................................................................314 Einleitung zum Schwerpunkt „Biographie und Sportgeschichte“ Frank Becker und Michael Krüger Die Beiträge dieses Heftes gehen auf eine Tagung zurück, die Anfang Juli 2005 in Münster stattfand und am Anfang eines auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekts zu „Leben und Werk Carl Diems“ stand. Carl Diem war eine Zentralfigur für die Entwicklung und den Aufbau des Sports in Deutschland. Als Journalist, Funktionär, Organisator, Ideengeber und Wissenschaftler arbeitete er in den unterschiedlichen Epochen und Regimes des 20. Jahrhunderts in Deutschland für die Anerkennung des Sports in Staat und Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft. Trotz oder gerade wegen der Komplexität dieser Sport- und Sportfunktionärsbiographie sind bisher alle Versu- che einer wissenschaftlichen Biographie Diems gescheitert. Die Tagung in Münster hatte deshalb den Zweck, grundlegende konzeptionelle Überlegungen zum Genre der Biographie im Allgemeinen und zu einer Diem- Biographie im Besonderen anzustellen. Ein beabsichtigter Nebeneffekt bestand darin, einen Dialog zwischen Theoretikern und Praktikern des Biographischen aus Sportge- schichte und allgemeiner Geschichte zu führen; zum einen im Hinblick auf das gene- relle Problem der Vorgehensweise bei einer biographischen Untersuchung, die ihren Schwerpunkt im 20. Jahrhundert hat, zum anderen mit Bezug auf die Frage nach (möglichen) Besonderheiten des Untersuchungsfeldes „Sport“. Die Beiträge dieses Heftes bilden im Wesentlichen die Struktur der Tagung in Münster und die dort gehaltenen Vortragsthemen ab. Die bewusst knapp gehaltenen Impulsreferate sollten auch in der schriftlichen Form diesen Charakter beibehalten; auf Fußnoten wurde also verzichtet, aber die Autoren wurden gebeten, die Anregun- gen aus den ausführlichen und lebendigen Diskussionen in ihren Texten aufzugreifen. Im einleitenden Beitrag geht Frank Becker (Münster), einer der Leiter des Diem- Projekts, auf die wesentlichen Fragen und Probleme einer Diem-Biographie ein. Hie- ran knüpfen die jeweiligen Experten an: Wolfgang Kruse (Hagen) fragt nach der Bedeutung, die dem Faktor „Generation“ in einer Biographie allgemein und speziell bei denjenigen zukommt, die den Ersten Weltkrieg miterlebten. Dazu gehörte auch Carl Diem. Er steht jedoch gleichzeitig für eine Generation, die ein in Deutschland neuartiges „sportliches“ Lebensgefühl verkörperte und verbreitete. Gemeinsam mit seiner Generation traf Diem das Schicksal, dass er in seiner Le- bensgeschichte gewaltige politische und gesellschaftliche Umbrüche zu verarbeiten hatte. Ihm gelang dies im Durchgang durch vier grundverschiedene politische Syste- me mit erstaunlichem Geschick und Erfolg. Möglicherweise, weil er den Sport zu einer Konstante in seinem Leben machen konnte. Dies galt im Übrigen für weite Teile der Bevölkerung, deren Sympathie für den Sport von demselben Empfinden getragen war, mit dem Sport etwas im Leben zu haben, das unabhängig von den Verwerfungen in Politik, Staat und Gesellschaft Nachhaltigkeit zu garantieren schien. Ewald Frie (Essen) setzt sich mit einem Phänomen auseinander, das besonders auf das Leben moderner Menschen zutrifft. Die Vorstellung einer geschlossenen Persön- lichkeit mit fester Lebensplanung und geregelten Beziehungen tritt in den Hinter- BIOS, Jg. 18 (2005), Heft 2 © Verlag Barbara Budrich 156 Frank Becker und Michael Krüger grund. Stattdessen agieren die Menschen in verschiedenen sozialen Rollen, deren Diskursregeln und Handlungsanweisungen sie direkt oder indirekt zu folgen haben. Ihre Handlungen sind stärker von sozialen Interdependenzen und Zwängen bestimmt und hängen weniger von frei getroffenen subjektiven Entscheidungen ab. Insofern handelt es sich auch bei Diem nicht um eine Biographie, sondern um mehrere. Der Biograph muss die Perspektive unterschiedlicher Sinnwelten nachvollziehen, die sich in den entsprechenden sozialen Rollen spiegeln, die ein moderner Mensch zu spielen hat; und am Ende auch zu verstehen versuchen, wie sie in einer Person zusammen kommen können. Friedrich Lenger (Gießen) führt diese Überlegungen weiter, indem er zeigt, dass und wie sich Karrieren im Kontext von sozialen Beziehungen entwickeln. Seine Ana- lyse macht deutlich, dass nicht allein die Dichte eines sozialen Netzwerks bestim- mend ist, sondern dass es auch darauf ankommt, wie weit die Beziehungen reichen, wie tief oder flüchtig sie sind, und wie der einzelne bei Bedarf in einer konkreten historischen Situation darauf zurückgreifen kann. Dass solche sozialen Netzwerke gerade auf dem Gebiet des Sports wirksam sind, lässt sich an der Tatsache festmachen, dass sich die Turner und Sportler seit jeher als eine Art „Familie“ angesehen haben, in der sich die „Turnbrüder“ und „Sportsfreun- de“ über soziale Grenzen hinweg mit „Du“ anredeten und besondere Beziehungen zueinander pflegten. Diem hat dazu beigetragen, dieses Verständnis einer großen „Sportsfamilie“ (laut IOC-Charta „olympische Familie“) zu entwickeln, zu der aller- dings nicht alle gehören, sondern von der auch einige ausgeschlossen bleiben, die dem von der Familie und deren Oberhäuptern definierten Sportsgeist nicht entspre- chen (oder von denen dies behauptet wird). In den sportnäheren Beiträgen des Heftes wird dieses soziale Netzwerk „Sport“, das über Generationen hin aufgebaut wurde, im Detail beschrieben; auch im Fall Carl Diems „trug“ es, wobei er selbst die Fäden spann, die zum Teil bis heute halten. Karl Lennartz (Köln) ist als ehemaliger Leiter des Carl und Liselott Diem-Archivs ein Kenner der vielfältigen sozialen Beziehungen im Kontext des Sports, in deren Mittelpunkt über viele Jahre Carl Diem stand. Hans Joachim Teichler (Potsdam) legt den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf einen Vergleich der Karrieren von Her- mann Altrock und Carl Diem, die beide für die Entwicklung einer Wissenschaft vom Sport und der „Leibeserziehung“ eine große Rolle spielten, obwohl sie im Detail auch sehr unterschiedlich verliefen. So gesehen lassen sich im Vergleich erhellende Er- kenntnisse zur (Sport-)Biographik gewinnen. Dies gilt auch für den Beitrag von Jür- gen Court (Erfurt), der Diems Biographie auf dem Hintergrund der Karriere von Carl Peters beleuchtet, der 1927 eine, wenn nicht die erste „Psychologie des Sports“ ver- fasste. Am Ende wendet sich der Blick von den Sportfunktionären, Sportpolitikern und Sportwissenschaftlern weg und hin zu denen, deren Lebensgeschichten für die meis- ten Menschen von größtem Interesse sind, weil sie Vorbilder, Idole, um nicht zu sa- gen „Helden“ verkörpern: den Sportlerinnen und Sportlern selbst. Volker Kluge (Ber- lin) weiß, wovon er spricht. Er ist Autor mehrerer erfolgreicher Sportlerbiographien, deren letzte Max Schmeling gewidmet war. In seinem Beitrag mit dem Titel Lebens- läufe von Sportlern und Sportfunktionären zwischen Sport, Politik, Kultur, Medien und Gesellschaft geht es aber auch um die Genese eines ganzen literarischen Genres: der Sport(auto)biographie. Perspektiven einer Carl-Diem-Biographie Frank Becker Dass es keine Erkenntnis ohne Interesse gibt, ist ein beliebter Topos der Siebzigerjah-