15/Stasi-Verweigerer (Page

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15/Stasi-Verweigerer (Page Deutschland STASI „Warum ausgerechnet ich?“ In der DDR gab es nicht nur 600000 Stasi-Spitzel, sondern auch Zehntausende aufrechter Bürger, die sich geweigert haben, andere zu denunzieren – stille Helden, über die kaum einer spricht. s passiert es schon mal, daß sich Fen- sagen die Dorfbewohner, wenn das be- offiziere prüften das „Menschenmaterial“ ster und Hoftüren schließen, wenn kannt wird?“ (MfS-Jargon) erst einmal vor, ehe sie EReinhold Katzberg, 67, mit seiner Katzberg gehört zu den stillen Helden Akten anlegten. Frau Charlotte, 70, die Dorfstraße ent- der DDR, die es im real existierenden So- Erstmals hat die Potsdamer Diplom- langgeht. Die Katzbergs, die seit 53 Jah- zialismus zu Zehntausenden gab, von de- Archivarin Roswitha Kaiser jetzt in einer ren im 300-Seelen-Flecken Wutike in nen aber bis heute kaum einer spricht – repräsentativen wissenschaftlichen Studie der Prignitz wohnen, sind den Nachbarn jene Menschen, die sich standhaft gewei- die Lebensläufe von 167 Stasi-resistenten fremd geworden, seit der ehemalige Prü- gert haben, für Staat und Partei andere zu Männern und Frauen untersucht*. Ihr Fa- fer für Feuerlöschgeräte, einst wegen bespitzeln und an die Stasi zu verpfeifen. zit: Zivilcourage im Osten war „kein Mar- Das Ministerium des Erich kenzeichen, das erst im Herbst 1989 Kon- Mielke hatte im letzten Jahr seiner junktur hatte“. Existenz flächendeckend 174 000 Zu allen Zeiten der Deutschen Demo- IM im Einsatz; insgesamt waren kratischen Republik gab es Menschen, die es im Laufe von 40 DDR-Jahren ihre Angst vor der Rache der Regierenden rund 600 000. Jährlich heuerten überwanden und sich nicht anwerben nach Schätzungen des Politolo- ließen. „Ich habe gebibbert, geredet und gen Helmut Müller-Enbergs etwa gebibbert“, erinnert sich Katzberg alias 10000 DDRler mehr oder weniger „Radebeul“. Dreimal setzten ihn die An- freiwillig als Spitzel an, doch im- werber unter Druck, dreimal blieb er stur. merhin nicht weniger als 1500 wei- Mit schwejkscher Pfiffigkeit erfand er tere verweigerten sich Jahr für Gründe, weshalb er kein Zimmer für die Jahr den unsittlichen Anträgen der Stasi frei habe – weil die Heizung defekt Stasi-Werber. Der wissenschaft- liche Mitarbeiter der Gauck-Be- * Roswitha Kaiser: „Stille Helden – Eine empirische Un- hörde glaubt sogar, daß es in tersuchung über Verweigerung und Ablehnungsgründe zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS am Bei- Wahrheit noch weit mehr waren, spiel der Bezirksverwaltung Potsdam“. Diplomarbeit, Stasi-Chef Mielke (1985): 10000 neue Spitzel im Jahr denn pflichtbewußte Führungs- Potsdam 1997. seiner leutseligen Hilfsbereit- schaft im ganzen Dorf beliebt, fünf Inoffizielle Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aus dem dörflichen Umfeld in seiner Stasi-Akte entdeckte. Haarklein hatten die Pro- vinzagenten ihrer Zentrale über die „Zuverlässigkeit“ des parteilosen Kontrolleurs be- richtet. „Radebeul“, so Katz- bergs Deckname, sei stets „freundlich und einsatzbereit“. Letzteres war Katzberg in- des nicht in dem gewünschten Maße, als die Stasi von ihm verlangte, er solle ein Zimmer seines Hauses für konspirative Treffs zur Verfügung stellen und außerdem Kollegen in sei- nem Betrieb ausspionieren. Nach zwei Monaten intensiver Werbungsarbeit wird der IM- Vorgang „Radebeul“ am 27. Juni 1985 mit dem Hinweis ge- schlossen: „Der Kandidat ver- weigert die Zusammenarbeit. K. MEHNER Er brachte zum Ausdruck: Was Stasi-Gegner Katzberg, Ehefrau: „Der Kandidat verweigert die Zusammenarbeit“ der spiegel 15/1998 57 Deutschland sei, das Haus renoviert werde, der Kretschmer. „Ich könne es doch Sohn zu Besuch komme. viel besser haben.“ Kaisers Untersuchung widerlegt Der junge Mann brach schließ- zudem die im Osten nach wie vor lich zusammen und willigte ein, gängige Ausrede vieler ehemaliger nach der Haftentlassung unter sei- DDR-Einwohner, im anderen deut- nen Glaubensbrüdern und -schwe- schen Staat habe niemand eine stern zu spionieren. Die Werber fei- Wahl gehabt, wenn die Stasi ihn rief. erten ihren Erfolg im Knast mit ei- Das „Nein“ blieb für die Spitzel- ner Flasche Sekt – Kretschmer muß- dienstverweigerer meist folgenlos, te mittrinken. nur in Ausnahmefällen mußten sie Doch schon bald plagten den dafür büßen. neuen IM Gewissensbisse: „Ich Als Katzberg auch beim dritten fühlte mich als Verräter.“ Drei Mo- Anlauf kategorisch ausschloß, sich nate quälte sich Kretschmer mit schriftlich zur Zusammenarbeit mit Selbstmordgedanken, dann schrieb der Stasi zu verpflichten, protokol- er seinen Anwerbern einen Brief. lierte Oberstleutnant Stutzke ent- „IM Kaplan“, den seine Stasi-Offi- nervt: „Hier brachte der Kandidat ziere als „überdurchschnittlich in- zum Ausdruck, daß er nichts unter- telligent“ einschätzten, wollte mit schreibt. Und wenn es mit seiner be- den Praktiken, „die mich an die In- ruflichen Tätigkeit zusammenhängt, quisition im Mittelalter erinnern“, dann müsse er dort eben aufhören.“ lieber doch nichts mehr zu tun ha- Kurz darauf legte die SED-Kreis- ben: „Ich verabscheue Sie. Ich habe leitung Katzberg nahe, seinen gut- Angst, gegen meinen Auftrag als dotierten Job aufzugeben und sich Priester, gegen meine Freunde ar- fortan als Hausmeister zu verdingen. beiten zu müssen. Ich bin so naiv, Penibel haben die tschekistischen ernstlich zu glauben, daß Sie mich Buchhalter festgehalten, mit welchen in Frieden gehen lassen.“ Finessen umworbene Bürger ver- Tatsächlich ließ die Stasi ihre sucht haben, sich ihrer staatsbür- Neuerwerbung laufen. Nach seiner gerlichen Pflicht zum Petzen zu Entlassung aus dem Knast arbeite- entziehen. Am häufigsten waren te Kretschmer zunächst als Pfleger schlichte „Ausreden“ wie die von in einem Behindertenheim, dann „Radebeul“, am effektivsten war die begann er, Theologie zu studieren, „Dekonspiration“: die Belästigung brach jedoch nach zwei Jahren ab. durch die Stasi öffentlich zu machen K. MEHNER Er wollte kein Priester mehr wer- – eine Taktik, die auf die tschekisti- Bildhauer Kretschmer: „Ich verabscheue Sie“ den. An ihm nagte das Schuldge- schen Geheimniskrämer „eine ähn- fühl. Als er seiner Braut von seiner lich verheerende Wirkung gehabt haben nicht vergessen, daß er diesem Staat sein kurzzeitigen IM-Verpflichtung erzählte, sei muß wie das Kreuz auf Dracula“, sagt Kai- Betriebsstipendium verdanke. Herbert er „zweimal gestorben“. ser. Denn strikte Geheimhaltung war ober- blieb standhaft, ihm passierte nichts. Auch heute fällt es dem Neinsager stes Gebot für jeden Spitzel. Andere unterschrieben zunächst aus Kretschmer schwer, über das Vergangene Wer dagegen verstieß, war draußen, wie Furcht vor Repressalien die Verpflich- zu sprechen. Er ist damit nicht allein: Vie- etwa der 16jährige IM-Aspirant „Igel“. tungserklärung, hielten sich dann aber le Stasi-Verweigerer bleiben lieber „stille Dessen Mutter suchte 1985 die MfS-Kreis- nicht an die Abmachung. Helden“. Ihnen ist es heute peinlich, mit dienststelle Königs Wusterhausen auf und Thomas Kretschmer, 42, heute Holz- der „Firma“ in Verbindung gebracht zu verwahrte sich gegen weitere Gespräche bildhauer im thüringischen Liebschütz, war werden. mit ihrem Sohn. Der Führungsoffizier no- mit 17 ein „flippiger Bursche“. Der gläubi- Mancher hat es wie der Rostocker Her- tierte pikiert: „Grundlegende Regeln der ge Jungkatholik pflegte enge Kontakte zur bert nie ganz verwunden, daß die Stasi in Konspiration verletzt, da unter Beeinflus- „Jungen Gemeinde“ in Jena, der evangeli- ihm einen potentiellen Denunzianten ge- sung der Mutter.“ Die Akte „Igel“ wurde schen Keimzelle der lokalen Protestbewe- sehen hat. „Warum haben die ausgerech- geschlossen. gung. Das Fernweh und die Sehnsucht zur net mich angesprochen?“ fragt sich Her- In anderen Fällen half schlichtes Mau- Großmutter im fernen Allgäu trieben den bert noch heute. Nicht einmal enge Freun- ern. Der Rostocker Geschichtsstudent Her- Krankenpflegerlehrling zu einem folgen- de hat er eingeweiht: „Ich fürchte, daß sie bert, heute 34, renovierte im Winter 1988 schweren Fluchtversuch: Am 17. Juni 1973 mir nicht glauben.“ seine Wohnung, als unvermittelt ein Mit- nahmen ihn tschechische Soldaten 500 Me- Auch die Kollegen einer 43jährigen Leh- arbeiter des MfS anklopfte. Der Stipen- ter vor der österreichischen Grenze fest. rerin aus Berlin-Hellersdorf wissen bis heu- diat, Sproß einer linientreuen SED-Familie, In der Isolationshaft des Untersu- te nicht, daß sie von der Stasi umworben war ins Visier der Werber geraten, als sein chungsgefängnisses Gera setzten Stasi-Of- wurde. Die Pädagogin will nicht mehr dar- Artikel über mecklenburgische Landesge- fiziere den schmächtigen Jüngling unter an erinnert werden. „Ich habe nein gesagt schichte für ein DDR-Fachblatt in der Bun- Druck: Er solle sich als Spitzel in der ka- – fertig.“ Sie fürchtet, daß sie im Kolle- desrepublik nachgedruckt wurde. Überdies tholischen Kirche verdingen. Kretschmer gium für eine „Angeberin“ gehalten wird, hatte Herbert durch seine Archivarbeit hatte den Vernehmern erzählt, er wolle „dabei habe ich mich noch nie aus dem Kontakte zu westdeutschen Wissenschaft- Priester werden. Fenster gelehnt“. lern, die in der DDR über die Hanse forsch- Wenn er sich weigere, drohte der Sta- Die Katzbergs gehören zu den wenigen, ten. „Die sollte ich ausspionieren.“ si-Mann, seien ihm 15 Monate wegen die für ihren Mut bis heute bezahlen. Weil Als der Student sich weigerte, wurde der versuchter Republikflucht sicher. Der er damals zum Hausmeister herabgestuft Stasi-Offizier deutlicher. Ob er noch etwas Vernehmer habe gefragt, „ob ich mein wurde, muß Reinhold Katzberg jetzt mit werden wolle in seinem Beruf? Er solle Leben verpfuschen wolle“, erinnert sich einer Rente von 900 Mark auskommen. ™ 60 der spiegel 15/1998.
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