epd Dokumentation online

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Haftungsausschluss: Jede Haftung für technische Mängel oder Mängelfolgeschäden ist ausgeschlossen. Frankfurt am Main  28. August 2018 www.epd.de Nr. 35

 Versöhnung und Aufarbeitung Erstes Forum zum Bußwort des Landeskirchenrats der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland zum Buß- und Bettag 2017 Theologische Fakultät der Martin-Luther-Universität -Wittenberg, 26. Mai 2018

Impressum Herausgeber und Verlag: Geschäftsführer: epd-Dokumentation: Der Informationsdienst Gemeinschaftswerk der Direktor Jörg Bollmann Verantwortliche Redakteure: epd-Dokumentation dient der Evangelischen Publizistik (GEP) Verlagsleiter: Uwe Gepp (V.i.S.d.P.) / persönlichen Unterrichtung. gGmbH Bert Wegener Reinhold Schardt Nachdruck nur mit Erlaubnis und Anschrift: Emil-von-Behring-Str. 3, epd-Zentralredaktion: Tel.: (069) 58 098 –135 unter Quellenangabe. 60439 Frankfurt am Main. Chefredakteur: Karsten Frerichs Fax: (069) 58 098 –294 Druck: druckhaus köthen Briefe bitte an Postfach 50 05 50, E-Mail: [email protected] Friedrichstr. 11/12 60394 Frankfurt 06366 Köthen (Anhalt) 2yy35/2018yepd-Dokumentation

 Mitteldeutsche Kir- oft nicht deutlich genug wider- Zum Ende des Papieres werden che bittet um Verge- sprochen worden. »die immer noch gestörten Be- bung – »Versagen in ziehungen in unserer Gesell- Als Beispiele führt die Erklärung schaft und die Verletzungen DDR-Zeit« »zu geringe Unterstützung« für 27 Jahre nach dem Ende der Enteignete, Zwangsausgesiedelte DDR« konstatiert. Vor diesem (epd). Die Evangelische und die politischen Gefangenen Hintergrund wolle die Kirche Kirche in Mitteldeutschland in der DDR an. Beklagt wird, »das uns Mögliche für eine Hei- (EKM) hat »Irrwege, Unrecht, dass »Pfarrer und kirchliche Mit- lung der Erinnerung und für Verrat und Versagen der Kirchen arbeitende mit staatlichen Stellen Versöhnung tun«. Abschließend und ihrer Verantwortungsträger konspiriert, Vertrauen verletzt heißt es: »Wir vertrauen darauf, in der Zeit zwischen 1945 und und Anderen Schaden zugefügt dass wir mit diesem Bekenntnis 1989« eingestanden. »Wir bitten haben und dass wir unsere Ver- unserer Schuld durch Gottes Gott und die Menschen, die flochtenheit in diese Schuld bis Verheißung frei werden, heute durch die Kirchen und ihre Mit- heute nicht bekennen.« und hier als Kirche Jesu Christi arbeitenden geschädigt wurden, Verantwortung für unsere eigene um Vergebung«, heißt es in einer Bedauert werden die Fälle, in Geschichte und die Folgen unse- Erklärung des Landeskirchenra- denen Mitarbeitende in Kirche res Handelns wahrzunehmen.« tes, die am 22. November, dem und Diakonie aus politischen Buß- und Bettag, während eines Gründen drangsaliert oder gar In einer ersten Reaktion begrüßte Gottesdienstes zu Beginn der entlassen wurden. »Bis heute der Bundesbeauftragte für die Synode in der Erfurter Michaelis- übernehmen wir als Kirche nicht -Unterlagen, Roland Jahn, kirche verlesen wurde. die nötige Verantwortung für das Bußwort »als ein wichtiges Menschen, die unter Mithilfe Zeichen an die Gesellschaft, dar- Zwar seien die Machthaber in oder nach Verrat aus kirchlichen über nachzudenken, wie sich der Sowjetischen Besatzungszone Kreisen inhaftiert, gedemütigt, jeder in der SED-Diktatur verhal- und später in der DDR damit traumatisiert oder zur Ausreise ten hat«. Es sei gut, dass sich die gescheitert, den christlichen gedrängt wurden«, heißt es wei- Evangelische Kirche in Mittel- Glauben zu beseitigen oder das ter. Dazu gehöre auch, dass man deutschland mit ihrer Rolle als kirchliche Leben ihren Zielen Pfarrern und anderen kirchlichen »Kirche im Sozialismus« ausei- vollständig zu unterwerfen. Auch Mitarbeitenden, die in schwerer nandersetze. »Besser spät als hätten viele Christen widerstan- persönlicher Bedrängung keinen nie«, so der gebürtige Thüringer. den, sich nicht erpressen und anderen Weg als die Ausreise aus locken lassen. In der Erklärung der DDR gesehen hätten, die (epd-Basisdienst, 22.11.2017) heißt es dann aber: »Wir haben Freigabe zum Dienst in west- staatlichem Druck zu oft nicht deutschen Kirchen verweigert standgehalten.« Auch sei Unrecht habe.

Quellen: Versöhnung und Aufarbeitung Erstes Forum zum Bußwort des Landeskirchenrats der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland zum Buß- und Bettag 2017 Theologische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 26. Mai 2018

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Aus dem Inhalt:

Versöhnung und Aufarbeitung Erstes Forum zum Bußwort des Landeskirchenrats der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland zum Buß- und Bettag 2017. Halle, 26. Mai 2018 ► Christian Fuhrmann: Das Bußwort vom Herbst 2017 – Impuls aus der Beiratsarbeit 4

► Johannes Beleites: Wer spricht hier eigentlich? Anmerkungen zur Diskussion um das Bußwort der EKM 6

► Landesbischöfin Ilse Junkermann: Geistlicher Impuls 9

► Erklärung des Landeskirchenrats im Gottesdienst der 6. Tagung der II. Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland am Bußtag 2017 11

► Friedemann Stengel: Einführung 13

► Biographische Skizzen (Renate Ellmenreich, Hans Günther und Hermien Günther- van Dijk, Wolfgang Harnisch, Jürgen Hauskeller, Gudrun und Thomas Kretschmer, Marina Naumann, Lothar Rochau, Sibylle und Reinhard Weidner) 22 ► Thomas Naumann: »Mit meinem Gott überspringe ich Mauern?« (Psalm 18,30) 35

► Stichwörter aus den Gesprächsgruppen 43

► Ergebnisse, Perspektiven, Ausblick auf den weiteren Prozess. Voten von studentischen Beobachterinnen und Beobachtern 45

► Landesbischöfin Ilse Junkermann: Ergebnisse, Perspektiven, Ausblicke auf den weiteren Prozess. Notizen nach dem Forum zum Bußwort des Landeskirchenrats der EKM 48

► Frank-Michael Lütze: Edens bittersüße Früchte. Liturgischer Abschluss 49

► Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 50

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Das Bußwort vom Herbst 2017 – Impuls aus der Beiratsarbeit Von Christian Fuhrmann

Der Landeskirchenrat der Evangelischen Kirche in In den Jahren 2016 und 2017 haben Beiratsmit- Mitteldeutschland (EKM) hat im Jahr 2014 die glieder Gespräche mit einzelnen Menschen aus Gründung eines Beirats für Versöhnung und Auf- den betroffenen Gruppen geführt. Auffällig in arbeitung angeregt. Der Beirat hat sich im Jahr diesen Gesprächen war die Überraschung der 2015 als beratendes Gremium des Landeskirchen- Gesprächspartner. Kaum jemand von diesen amtes der EKM konstituiert. Ihm gehören stimm- Frauen und Männern hat mit einem Gesprächs- berechtigte und beratende Mitglieder an. Stimm- angebot von kirchlicher Seite gerechnet. Die berechtigt sind Mitglieder, die nicht in einem Mehrheit der Angesprochenen hat teilweise nach aktiven Dienstverhältnis mit kirchenleitenden längerer Überlegung einem Gespräch zugestimmt. Aufgaben der EKM stehen. Der Landeskirchenrat Eine ganze Reihe von Gesprächen stehen noch hat sich im Dezember 2015 mit der Aufgabenbe- aus, was den begrenzten Kräften der Beiratsmit- schreibung des Beirats befasst. glieder geschuldet ist.

Der Beirat wird in dieser Aufgabenbeschreibung Als eine Folge dieser meist sehr intensiven Ge- unter anderem gebeten, nach den Gruppen vom spräche und ihrer Auswertung ist in dem Beirat DDR-Unrecht betroffener Gemeindeglieder und im Jahr 2016 der Vorschlag diskutiert worden, kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu zum Bußtag 2017 ein Bußwort zu formulieren. fragen, die bisher in der Aufarbeitung des DDR- Ziel des Bußwortes ist es, einen Schritt der Ver- Unrechts nicht angemessen in den Blick gekom- söhnung zu gehen. Maßgeblich war die Überle- men waren. Dabei wird erläutert, dass zu diesen gung, dass der Landeskirchenrat der EKM als Gruppen die Menschen zu zählen sind, die vor Rechtsnachfolger der Kirchenleitung der beiden 1990 aus politischen Gründen in Konflikt mit den Vorgängerkirchen mit dem Bußwort einräumt, Kirchenleitungen gekommen und disziplinarisch nicht allen Menschen in ihrem Engagement und belangt worden sind oder bei Verfolgung oder den eigenen Lebensentscheidungen gerecht ge- Diskriminierung durch den Staat von ihrer Kirche worden zu sein. zu wenig Unterstützung erfahren haben. Mit dem öffentlichen Aussprechen des Bußwortes Der Beirat wird beauftragt, Anregungen für Kon- ist die Hoffnung verbunden, dem verbreiteten zeptionen der seelsorglichen Begleitung Betroffe- Schweigen einen Gesprächsimpuls entgegen zu ner vorzulegen. Ebenso wird der Beirat gebeten, setzen. Gleichzeitig legen der Landeskirchenrat die Landeskirche bei der Gestaltung von Veran- und der Beirat auf den Hinweis wert, dass sowohl staltungen zur Versöhnungsarbeit wie zur Aufar- die Synoden der beiden Vorgängerkirchen wie beitung und Erinnerung zu unterstützen. In der auch die Föderationssynode einen solchen Schritt Arbeit des Beirats soll die Rezeption wissenschaft- für noch ausstehend und notwendig erachtet licher Beiträge berücksichtigt werden. Dazu wird haben. der Beirat gebeten, auf eine Vernetzung der kirch- lichen Aufarbeitung mit Gedenkstätten, Bildungs- Das Bußwort ist zunächst von einzelnen Beirats- trägern und weiteren zivilgesellschaftlichen Akt- mitgliedern in Eckpunkten formuliert und in zwei euren zu achten. Beiratssitzungen kontrovers und konstruktiv im- mer wieder überarbeitet worden. Danach haben Der Auftrag des Landeskirchenrats an den Beirat sich das Kollegium des Landeskirchenamtes so- geht im Grundsatz davon aus, dass das Handeln wie der Landeskirchenrat jeweils zweimal in der beiden Vorgängerkirchen der EKM in der Rückkopplung mit dem Beirat mit diesem Buß- ehemaligen DDR in den zeitbedingten Umstän- wort beschäftigt. Das Bußwort wurde auf Be- den, ihren unterschiedlichen Traditionen sowie schluss des Landeskirchenrats im Eröffnungsgot- bis heute fortwirkenden Strukturen zu betrachten tesdienst der Synodaltagung im November 2017 ist. In seiner Arbeit geht der Beirat davon aus, verlesen und hat in der Folge eine sehr ausgefä- dass auf Grund des diktatorischen Handelns des cherte Resonanz erhalten. DDR-Regimes, die Kirche und ihre leitenden Gremien in ihren Entscheidungen nicht frei von Die breite Resonanz liegt zwischen vollkommener Beeinflussung waren. Ablehnung und harscher Kritik am Landeskir- chenrat einerseits und vielfältiger Zustimmung andererseits. Gleichzeitig betonen einzelne Reak- epd-Dokumentationy35/2018yy5

tionen, dass das Bußwort wohl angemessen ist, Die in den biographischen Skizzen vorgestellten aber viel zu spät kommt. Andere stellen fest, dass Personen haben, außer Hermien Günther-van es gerade noch zur rechten Zeit kommt, weil mit Dijk, Marina Naumann und Sibylle Weidner, an vielen der Menschen aus den Betroffenengruppen dem Forum teilgenommen. das Gespräch noch geführt werden kann. Nach der Mittagspause gab es die Möglichkeit für In Abstimmung mit dem Landeskirchenrat hat der alle Forumsbesucher, in zwei Tischrunden mitei- Beirat für das 1. Halbjahr 2018 einen Gesprächs- nander ins Gespräch zu kommen. Diese vier un- und Forumstag vorbereitet, der am 26. Mai 2018 terschiedlichen Tischrunden in zwei Etappen an der Theologischen Fakultät der Universität ermöglichten das Gespräch der Forumsbesucher Halle-Wittenberg stattgefunden hat. Auf diesem im Kreis von jeweils acht bis elf Teilnehmenden. Forum sollte es schwerpunktmäßig um Betroffene Die Gespräche ermöglichten Konfrontation, kriti- gehen, die die Formulierung und Veröffentlichung schen Austausch und neues Verstehen. des Bußwortes als ein Signal zu neuen Gesprä- chen im Blick auf ihre eigene Biographie verstan- Nach dieser kommunikativen Gruppenphase den haben. Da insbesondere auf der Landessyno- wurde von Prof. Dr. Thomas Naumann (Siegen) daltagung von vielen Synodalen die Bitte geäu- eine biographisch-theologische Reflexion in das ßert wurde, ausführlich zu dem Bußwort ins Ge- Forum eingebracht. In diesem Beitrag wird von spräch kommen zu können, hat sich der LKR Thomas Naumann die eigene Entscheidung, aus entschieden, zu diesem ersten Forum sämtliche der DDR auszureisen mit der Reaktion kirchenlei- Landessynodale und Mitglieder des LKR, eine tender Gremien im damaligen Osten wie Westen Reihe von Kritikern, Unterstützern des Bußwortes mit biblischen Perspektiven ins Gespräch ge- sowie Betroffene einzuladen. bracht.

Das Forum begann mit einer Andacht von Lan- Nach einer kurzen Kaffeepause wurde das Forum desbischöfin Ilse Junkermann und einer kurzen mit vier Voten von Studierenden, die als Be- Begrüßung des Vorsitzenden des Beirats für Ver- obachterinnen und Beobachter an den Gesprä- söhnung und Aufarbeitung, Johannes Beleites chen teilgenommen hatten, und einem Votum (Großkochberg). In dem eröffnenden Referat von von Landesbischöfin Junkermann beendet. PD Dr. Friedemann Stengel (Halle) wurde eine historisch-theologische Einführung in die Thema- Prof. Dr. Frank M. Lütze () gestaltete den tik des Tages gegeben. liturgischen Abschluss.

Dem Referat folgte ein Block von acht biographi- Die vorliegende epd-Dokumentation enthält ne- schen Kurzskizzen. Die biographischen Skizzen ben den schriftlich vorbereiteten und auf dem erzählen von unterschiedlichen Situationen, in Forumstag in Halle präsentierten Beiträgen auch denen kirchliche Mitarbeitende von DDR-Unrecht die Notizen und Stichwörter, die in den Ge- betroffen wurden. Sie berichten auch von den sprächsgruppen angefertigt worden sind, und die Reaktionen landeskirchlicher Gremien. Die bio- im Nachhinein verschrifteten Voten der Landesbi- graphischen Skizzen wurden von Mitgliedern des schöfin und der Studierenden. Beirats nach Gesprächen und Abstimmungen mit den jeweiligen Betroffenen vorbereitet und auf dem Forum von Beiratsmitgliedern vorgetragen.

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Wer spricht hier eigentlich? Anmerkungen zur Diskussion um das Bußwort der EKM Von Johannes Beleites

Versöhnung und Aufarbeitung. Erstes Forum und sich so zum verlängerten Arm von SED oder zum Bußwort des Landeskirchenrats der Evan- Stasi gemacht haben. Damit Betroffene noch er- gelischen Kirche in Mitteldeutschland zum reicht werden können, wollten wir rückwärts Buß- und Bettag 2017. 26. Mai 2018, Theologi- vorgehen, also zuerst die jüngeren, danach die sche Fakultät der Martin-Luther-Universität älteren Fälle betrachten. Halle-Wittenberg Die Beiratsmitglieder trugen etliche Namen poten- Möglicherweise kam für manchen des Bußwort tiell Betroffener zusammen, recherchierten in sehr überraschend. Die DDR-Vergangenheit steht Archiven und führten zahlreiche Gespräche. seit Jahren schon nicht mehr an vorderer Stelle Dennoch war bald klar, dass wir auf diese Weise öffentlicher Wahrnehmung. Betroffene politisch nicht alle erreichen konnten. Außerdem brauchte bedingter Repression – auch durch kirchliche es nicht allein die Zuwendung durch einzelne Mitarbeiter oder Institutionen – reagierten auf das Beiratsmitglieder, sondern ein klares Wort der Bußwort freudig überrascht; manche hinterfrag- EKM. ten jedoch den späten Zeitpunkt. Andere fragten, wer denn als Wir im Bußwort spricht und zwei- Als diese Erkenntnis gereift war, begann der in- felten an, dass hier die gesamte Realität der bei- terne Diskussionsprozess zum Bußwort. Entwürfe den evangelischen Landeskirchen während der wurden zunächst im Beirat, dann mehrmals mit DDR-Zeit in den Blick genommen würde. Und vor dem Landeskirchenrat diskutiert. Natürlich kam allem die mitfühlende Perspektive auf jene kirch- auch die Frage auf, ob es für ein solches Wort lichen Mitarbeiter, die die DDR gen Westen ver- nicht viel zu spät sei. Aber sollte man es jetzt lassen haben, wurde stark angegriffen. unterlassen, nur weil man vorher nicht dazu in der Lage war? Oder sollte man es aufschieben, Termin nur weil noch nicht alles bis ins letzte erforscht worden ist? Im Herbst 2017 gab es eine übergroße Welches ist nun der richtige Zeitpunkt? Im Jahr Mehrheit im Landeskirchenrat für diese Erklä- 2009 äußerte sich Landesbischöfin Ilse Junker- rung. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn es mann in ihrem ersten Bischofsbericht vor der ein solches Wort schon Anfang der neunziger Synode zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit Jahre gegeben hätte. Natürlich wäre es schöner in der EKM.1 Sie forderte Versöhnung auch mit gewesen, wenn manch inzwischen verstorbener ehemaligen Systemträgern. Daraufhin gab es brei- Betroffene noch ein solches Wort seiner Kirche ten und vernehmbaren Widerspruch. Es wurde hätte vernehmen können. Doch bisher war das deutlich, dass der mangelhafte Aufarbeitungspro- aus vielerlei Gründen nicht möglich. Ein weiterer zess in den neunziger Jahren zu viele unerledigte Aufschub schien wahrlich nicht sinnvoll. So war Aufgaben hinterlassen hatte. Die Bischöfin hatte unter der Perspektive des Machbaren der Bußtag ein Thema gesetzt, das nun – in ganz anderer 2017 genau der richtige Zeitpunkt für dieses Weise als von ihr beabsichtigt – Raum forderte. Wort.

Nach verschiedenen Ansätzen, sich diesem neuen Absender Anlauf der DDR-Aufarbeitung zu stellen, berief der Landeskirchenrat der Evangelischen Kirche in Doch wer spricht hier eigentlich, wer ist das Wir Mitteldeutschland (EKM) im Jahr 2015 einen des Bußwortes? Es ist nicht ein Wort der Landes- Beirat Versöhnung und Aufarbeitung. Nach zahl- bischöfin oder eines von 22 Mitgliedern des Lan- reichen Diskussionen über seinen Arbeitsgegen- deskirchenrats. Es ist ein Wort der Evangelischen stand entschied sich der Beirat, zunächst jene in Kirche in Mitteldeutschland. den Blick zu nehmen, die als kirchliche Mitarbei- ter oder Ehrenamtliche auf Grund ihrer politi- Kann diese Landeskirche für die Vorgängerkir- schen Einstellung von kirchenleitenden Stellen zu chen sprechen? Gelegentlich wurde dem Beirat wenig Schutz vor staatlicher Repression erfahren und dem Landeskirchenrat vorgeworfen, dass hatten oder bei denen kirchliche Mitarbeiter oder hier nur Menschen beteiligt gewesen seien, die Stellen sogar selbst repressiv tätig geworden sind weder die im Bußwort thematisierte Zeit noch die epd-Dokumentationy35/2018yy7

betroffenen Landeskirchen aus eigener Erfahrung Person bzw. der Institution einerseits und dem kennen würden. Sicher trifft das eine oder andere einzelnen Betroffenen auf der anderen Seite gibt auf einige Personen zu, allerdings sind diese in es immer ein Machtgefälle. Der Einzelne ist im- den beteiligten Gremien in der Minderheit. Wich- mer schwächer als eine Institution. Daher steht es tiger aber ist, dass diese Frage letztlich in die Irre der Institution gut zu Gesicht, hier auch großher- führt. Es geht hier nicht um die Verlautbarung zig und ohne Prüfung bis ins letzte Detail auf die einer Gruppe von Einzelpersonen, sondern um Betroffenen als natürliche Personen zuzugehen. das Wort der Institution. Ausreisen Die EKM ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts, mithin eine juristische Person. Der Lan- Welchen Schatz hatten wir doch in unseren Kir- deskirchenrat vertritt die juristische Person EKM chen, auf welch großartigem Fundament steht rechtswirksam nach außen.2 Und die EKM ist doch heute die EKM. Diese Gedanken gingen mir Rechtsnachfolgerin der beiden Vorgängerkirchen, durch den Kopf, als ich die einzelnen Biografien also der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Betroffener hörte. Doch meist steht am Ende ihrer Sachsen (KPS) sowie der Evangelisch-lutheri- Wege ein Scheitern in, mitunter auch an ihrer schen Kirche in Thüringen (ELKTh).3 Hier besteht Kirche. Und es kam die Frage, die sich vielen in eine kontinuierliche rechtliche Existenz. Der heu- der DDR irgendwann in ihrem Leben mal mehr, tige Landeskirchenrat kann also für die beiden mal mehr existenziell stellte: »Gehen oder blei- Vorgängerkirchen sprechen. Mehr noch: Niemand ben?« anderes kann für die KPS bzw. die ELKTh spre- chen. Die früheren Bischöfe, Oberkirchen- bzw. Viele beantworteten sie – wahrlich nicht leichten Oberkonsistorialräte und Mitglieder der Kirchen- Herzens – mit: Gehen! Ordinierte Pfarrer befan- leitungen sind nicht mehr in ihren Ämtern. Mit den sich in einem Dienstverhältnis mit ihrer Lan- der Rückgabe ihrer Ämter gaben sie nicht nur deskirche, sie mussten letztlich um ihre Freigabe ihre Amtskreuze zurück, sondern auch ihre Ver- bitten. Wurde diese, wie in den meisten Fällen, antwortung, ihre Rechte und ihre Verpflichtungen nicht erteilt, hatten sie vor der Ausreise ihre Or- als jeweilige Amtsträger. Sie können heute zwar dinationsurkunde zurückzugeben. Anderenfalls, mitdiskutieren, jedoch nicht mehr als Vertreter so wurde ihnen mitgeteilt, wäre das Erlöschen der juristischen Person EKM, sondern als natürli- ihrer Ordinationsrechte im Amtsblatt der EKD che Personen wie jeder andere auch. öffentlich verkündet worden. Das hätte ihre Übernahmechancen in einer westlichen Landes- Hier gibt es gelegentlich ein beiderseitiges Miss- kirche noch stärker gemindert. verständnis. Nicht wenige Betroffene erwarten bzw. erhoffen sich ein erklärendes bzw. ein ent- Entscheidend war also, wie die Herkunftslandes- schuldigendes Wort von früheren Verantwor- kirche über die Freigabe entschied. Welche Ar- tungsträgern. Und mancher frühere Verantwor- gumente hier zählten, welche Richtlinien es für tungsträger möchte sich und sein früheres Han- die Entscheidungen gab, wie transparent dieser deln heute gern rechtfertigen. Doch dieser – oft- Entscheidungsprozess verlief und wie autonom mals bis heute noch ausstehende – Verständi- die Entscheidungsgremien waren ist heute nicht gungsprozess zwischen damals beteiligten natür- immer leicht nachvollziehbar. lichen Personen kann nicht die Reflexion, das Schuldbekenntnis und die Bitte um Vergebung Diese Fälle weisen aber auch über die EKM hin- der Institution Kirche ersetzen. aus. Wie verhielten sich die westdeutschen Lan- deskirchen? Hätte man die Entscheidungen der Deutlicher als bei den Ansprüchen auf Aufklä- Herkunftskirchen hinterfragen können, hätte man rung und Verständigung wird das bei den materi- die Argumente der Betroffenen hören und ge- ellen Ansprüchen. Kein Betroffener würde mögli- wichten können? Oder hatte man Sorge vor der che Ansprüche auf Schadenersatz oder angemes- Einwanderung in die eigenen Pensionssysteme? sene Pension an einen ehemaligen Bischof oder ein ehemaliges Kirchenleitungsmitglied stellen, Die Ausreisefälle sind aus heutiger Perspektive sondern sich immer an die Institution EKM wen- am schwersten zu bewerten. Schließlich hatten ja den. Auch wenn es die verursachenden Landes- auch die ostdeutschen Landeskirchen gewichtige kirchen gar nicht mehr gibt. Argumente auf ihrer Seite. Aber haben sie sich damit vielleicht auch zum verlängerten Arm der Und noch etwas sollte in diesem Zusammenhang Staatsmacht machen lassen? Und können Ehe- berücksichtigt werden: Zwischen der juristischen partner oder Kinder zum Bleiben in der DDR 8yy35/2018yepd-Dokumentation

gezwungen werden, nur weil ein Elternteil Pfarrer rechnet im Jahr des Reformationsjubiläums damit ist? Schwierigkeiten haben, ist mir ein Rätsel. Nicht ohne Grund beginnt das Bußwort mit dem Hin- Möglicherweise wird es in diesem Bereich auch weis auf Luthers erste These, soll doch »das gan- weiterhin zwei parallele Wahrheiten geben: Die ze Leben der Glaubenden Buße sei[n]«. Und so Perspektive der Gegangenen und jene der Geblie- soll hier ein Prozess beginnen, in dem auch die benen. Wichtig scheinen mir das Gespräch dar- Institution Kirche an die dritte These Luthers über und die Lösung von Härtefällen. Die Reflexi- erinnert werden wird, denn Buße als Vorausset- on dieses Bereiches darf nicht auf die ostdeut- zung für Versöhnung ist nicht umsonst und schon schen Landeskirchen beschränkt bleiben. gar nicht kostenlos.

Schatten Anmerkungen:

1 Ilse Junkermann, Wir sind Kirche – in Luthers Heimat. Bericht Und schließlich hieß es bei den Kritikern nicht der Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutsch- selten, würden im Bußwort nur die Fehler, die land auf der 3. Tagung der 1. Landessynode der Evangelischen Probleme, nicht aber die Verdienste der Kirchen, Kirche in Mitteldeutschland vom 18. bis 21. November 2009 in ihre Rolle als Zufluchtsort für politisch Bedrängte, Lutherstadt Wittenberg, Drucksachen-Nr. 2/1. als letzter Hort demokratischer Regeln in der Diktatur, als Raum für Hoffnung und Mitmensch- 2 Art. 61 Abs. 1 Nr. 2 Verfassung der Evangelischen Kirche in lichkeit beleuchtet. Doch das Bußwort ist kein Mitteldeutschland (KVerfEKM) vom 5. Juli 2008. Rechenschaftsbericht. Hier geht es nicht um eine Gesamtsicht auf die beiden Vorgängerkirchen der 3 Art. 1 Satz 2 KVerfEKM. EKM. Hier geht es nur um Fehler, Versagen und Schuld. Warum gerade Theologen und ausge-

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Geistlicher Impuls Von Landesbischöfin Ilse Junkermann

Versöhnung und Aufarbeitung. Erstes Forum heit, nur mit negativem Vorzeichen, doch weiter zum Bußwort des Landeskirchenrats der Evan- an das Selbst gebunden. gelischen Kirche in Mitteldeutschland zum Buß- und Bettag 2017. 26. Mai 2018, Theologi- Wir wissen inzwischen, das An-mich-selbst- sche Fakultät der Martin-Luther-Universität denken ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass Halle-Wittenberg ich mich frei und offen und mit Liebe anderen zuwenden kann. Den Nächsten lieben geht nur, Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm wenn ich mich auch selbst liebe im Sinn von Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen. Achtsamkeit auf und Aufmerksamkeit für mich selbst! Ohne Selbstliebe keine Nächstenliebe. Losung für heute aus Ps 141,3: »Herr, behüte Grund dieser Selbstliebe ist und kann nur sein: meinen Mund und bewahre meine Lippen.« die Gewissheit, dass Gottes Liebe auch mir, gera- Lehrtext aus Gal 5,13: »Gebt acht, dass die Frei- de auch mir, gilt; und zwar mir ganz; mir, dem heit nicht zu einem Vorwand für die Selbstsucht Fragment; mir, dem Versager. Mit Gottes Liebes- werde, sondern dient einander in der Liebe!« Augen gesehen, kann ich mich selbst lieben – (ZUB); »Ihr aber, Schwestern und Brüder, seid und mich zugleich ganz nüchtern sehen: mit zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass ihr meinen Prägungen und meinen Brüchen, in der durch die Freiheit nicht dem Fleisch Raum gebt, Person und im Lebenslauf, meinem Versagen und sondern durch die Liebe diene einer dem an- Versäumen. Solche Selbstbeschäftigung und Sicht dern.« (Luther 2017) in Freiheit und Nüchternheit bereitet mich darauf vor, den Brüchen, dem Fragmentarischen, den Liebe Geschwister, Versäumnissen und der Schuld anderer Menschen Gebt acht, dass die Freiheit nicht zu einem Vor- in Liebe zu begegnen. wand für die Selbstsucht werde, sondern dient einander in der Liebe! »In der Liebe dienen«, dies hat sehr viel mit der Frage zu tun, welche Liebe wir in uns selbst tra- Selbstsucht ist ein hartes Wort. Selbstsüchtig gen und woraus sie sich speist. möchte niemand sein. Wen der Vorwurf trifft – »Du bist nur an dir interessiert! Sie sehen nur Als Antwort fällt mir – mit Blick auf unser Vorha- allein sich selbst!« – der bzw. die scheint etwas ben heute – ein anderer neutestamentlicher Vers grundsätzlich falsch gemacht zu haben. Jemand ein. Einer, der Geschichte geschrieben hat: anderes fühlt sich nicht gesehen oder nicht ge- würdigt oder falsch wahrgenommen. Da steht »Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, ihm Raum, dass nur eine Perspektive zähle, und sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnen- zwar die eigene. Doch wir wissen, es gibt immer heit.« auch weitere Wahrnehmungen. Wo selbstsüchtig agiert wird, wird keine zweite Wahrheit akzep- Ich bin nach wie vor beeindruckt, wenn ich die- tiert. sen Worten aus 2Tim 1,7 begegne. Denn ich weiß, wie wichtig sie für Sie in der ehemaligen »Selbstsucht ist ein hartes Wort.« »Selbstorientie- DDR waren, wie viele von Ihnen diese Worte als rung«, nur auf sich sehen, ist, finde ich, ein bes- bleibenden Schatz in sich tragen. Und nicht zufäl- seres Wort, oder »Selbstbezogenheit«. Es erinnert lig ist dieses Wort das Hauswort für das Landes- an Martin Luthers prägnanter Beschreibung des kirchenamt in Erfurt geworden! allgemeinen Sünder-Seins: homo incurvatus in se ipse. Auch in diesen Worten geht es um die Wechsel- dynamik von »Liebe erfahren« und »Liebe üben«. Oft, besonders in der christlichen Tradition, wur- Allerdings: Anders als im Lehrtext des heutigen de und wird als Gegenteil die völlige Abwendung Tages wird hier deutlich, wie es gelingen kann, von sich, eine Selbst-Vernachlässigung zugunsten einander grundsätzlich mit Liebe zu begegnen des anderen bis zur Selbstaufopferung verstanden und so zu verhindern, dass aus der berechtigten – und gelebt. Dabei wissen wir: Dies ist nichts Selbstliebe eine Selbstsucht wird: anderes als eine andere Form von Selbstbezogen- 10yy35/2018yepd-Dokumentation

Gott gibt! Liebe kommt nicht aus uns selbst. So gilt auch für heute: »Herr, behüte meinen Vielmehr ist sie Geschenk, Geschenk Gottes. Sie Mund und bewahre meine Lippen …«, »auf dass gehört zu seinen »Geistgeschenken«: Kraft, Liebe ich meinem Nächsten wie mir selbst mit Liebe und Besonnenheit! begegne und diene«! Amen.

So hängt das Einander in der Liebe dienen daran, Gebet aus der Tageslosung: sich täglich neu von Gottes Geist beschenken, bewegen, lenken und leiten lassen. So wird die Herr, lehre mich das Reden und Schweigen zur Furcht, selbst zu kurz zu kommen, hinfällig. So rechten Zeit. Ich bin oft zu schnell mit meinem werden die eigenen Urteile relativiert. Der Geist Urteil bei der Hand, wenn ich Negatives erlebe, Jesu erhält breiten Raum (»Richtet nicht …!« und reagiere zu langsam, wenn es gilt, dem ande- »Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben ...«; »Hat ren ein Lob auszusprechen oder ihn zu ermuti- uns Gott so geliebt, so sollen auch wir uns unter- gen. Lass mein Reden und mein Schweigen mehr einander lieben...«). als bisher von der Liebe geprägt sein.

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Erklärung des Landeskirchenrats im Gottesdienst der 6. Tagung der II. Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland am Bußtag 2017

Erfurt, 20. Oktober 2017 ten. Wir haben Fürbitte und Fürsprache geleistet, Unrecht jedoch oft nicht deutlich genug wider- sprochen. Wir haben uns bis heute nicht in der I. nötigen Weise unserer zu geringen Unterstützung für die Menschen gestellt, die in der Landwirt- Im Gedenkjahr »500 Jahre Reformation« hören schaft, dem Handwerk und anderswo enteignet wir aufmerksam die erste der Wittenberger The- wurden, den von Zwangsaussiedlungen und Ent- sen Martin Luthers: »Indem unser Herr und Meis- heimatung Betroffenen, den politischen Gefange- ter Jesus Christus sagte: … ‚Tut Buße‘ usw. nen in der DDR und den in den Suizid Getriebe- (Matth. 4,17) wollte er, dass das ganze Leben der nen. Glaubenden Buße sei.« Wir beklagen, dem SED-Staat nicht klarer und Buße bewahrt als das Bekenntnis der Glaubenden kompromissloser entgegen getreten zu sein. Wir zu ihrem Sündersein den fundamentalen Unter- haben dabei die Erkenntnisse aus der Barmer schied zwischen Gott und Mensch, zwischen Theologischen Erklärung nicht ernst genommen. Schöpfer und Geschöpf. Die Fähigkeit zum Wir erkennen darin ein geistliches Versagen. Schuldeingeständnis und das Versprechen der Vergebung durch Gott sind Zusage und Merkmale Wir beklagen die Fälle, in denen Pfarrer und Pfar- menschlicher Würde. Mit dem Eingeständnis rerinnen und kirchliche Mitarbeitende mit staatli- unserer Schuld und der Bitte um Vergebung stel- chen Stellen konspiriert, Vertrauen verletzt und len wir uns unserer Verantwortung vor Gott und Anderen Schaden zugefügt haben und dass wir den Menschen. unsere Verflochtenheit in diese Schuld bis heute nicht bekennen. Buße führt zur Umkehr und verpflichtet uns, »Gerechtigkeit für alle Benachteiligten und Unter- Wir beklagen die Fälle, in denen Mitarbeitende in drückten zu schaffen, dem Frieden mit gewalt- Kirche und Diakonie, die aus politischen Gründen freien Mitteln zu dienen, Leben auf dieser Erde zu drangsaliert und auch in ihren Kirchen disziplina- schützen und zu fördern« (Ökumenische Ver- risch belangt, im Stich gelassen oder gar entlas- sammlung 1989 ). sen wurden. Bis heute übernehmen wir als Kirche nicht die nötige Verantwortung für Menschen, die Umkehr macht frei, das Leben verantwortlich zu unter Mithilfe oder nach Verrat aus kirchlichen gestalten. Umkehr hilft uns, mit unserem Handeln Kreisen inhaftiert, gedemütigt, traumatisiert oder in der Geschichte verantwortlich umzugehen. Bei zur Ausreise gedrängt wurden. Dazu gehört auch, dieser Aufgabe steht unser Leben unter der Ver- dass Pfarrerinnen, Pfarrern und anderen kirchli- heißung des schon angebrochenen Reiches Got- chen Mitarbeitenden, die in schwerer persönli- tes. cher Bedrängung keinen anderen Weg als die Ausreise aus der DDR gesehen haben, die Freiga- II. be zum Dienst in westdeutschen Kirchen verwei- gert wurde. Wir blicken dankbar zurück, dass wir unter staat- lichem Druck in der Zeit der SBZ und der DDR als III. Kirche dem Auftrag Jesu Christi folgen konnten. Die Machthaber und ihre Sicherheitsbehörden Wir haben versucht, Irrwege, Unrecht, Verrat und sind damit gescheitert, den christlichen Glauben Versagen der Kirchen und ihrer Verantwortungs- zu beseitigen oder das kirchliche Leben ihren träger in der Zeit zwischen 1945 und 1989 zu Zielen vollständig zu unterwerfen. Viele Christen benennen. haben widerstanden, sich nicht erpressen und Wir sehen mit Schmerz, dass Aufarbeitung und locken lassen. Dafür sind wir Gott und den Men- Schuldeingeständnis bisher nur teilweise gesche- schen dankbar. hen sind. »Wenn Schuld konkret beim Namen genannt wird, erweisen wir uns als Selbstgerech- Angesichts dieser Erfahrung bekennen wir: Wir te, die schnell ein Urteil über andere sprechen, haben staatlichem Druck zu oft nicht standgehal- 12yy35/2018yepd-Dokumentation

oder wir verharmlosen, leugnen ab, fühlen uns Unrechts unter der Verheißung unseres Herrn verkannt, wenn es um unser Versagen geht.« Jesus Christus für ein erneuertes Leben steht. (EKKPS 19951). Es konnte »nicht festgestellt wer- den […], dass eine offene, gerade bei den Opfern Wir sehen die immer noch gestörten Beziehungen Vertrauen schaffende Aufarbeitung gelungen ist.« in unserer Gesellschaft und die Verletzungen 27 (ELKTh 20052). Jahre nach dem Ende der DDR. Wir wollen das »Mehrfach mussten die Basisgruppen sich den uns Mögliche für eine Heilung der Erinnerung Raum in der Kirche gegenüber den kirchlich Ver- und für Versöhnung tun. antwortlichen erstreiten. Wir sehen heute, dass sie nicht immer als selbstverständlicher Teil unse- Wir vertrauen darauf, dass wir mit diesem Be- rer Kirche betrachtet wurden. Gleichzeitig ist kenntnis unserer Schuld durch Gottes Verheißung denjenigen in der Kirche zu danken, die diese frei werden, heute und hier als Kirche Jesu Chris- Gruppen unterstützt haben.« (Landeskirchenrat ti Verantwortung für unsere eigene Geschichte 20093). und die Folgen unseres Handelns wahrzuneh- men. IV. Anmerkungen: Wir bitten Gott und die Menschen, die durch die 1 XII. Synode der Kirchenprovinz Sachsen auf ihrer 4. Tagung am Kirchen und ihre Mitarbeitenden geschädigt wur- 17.11.1995 den, um Vergebung.

2 Abschlussbericht vor der Thüringer Synode zur Stasiaufarbei- Wir sehnen uns nach Wahrheit und Gerechtig- tung 2005 keit. Wir wollen uns unserer Schuld stellen. Wir wollen Verantwortung übernehmen. Wir wollen 3 Wort des Landeskirchenrats an die Gemeinden zur Kampagne Versöhnung ermöglichen. »Gesegnete Unruhe« (Oktober 2009) Wir glauben, dass das Bekennen unseres Irrens, unseres Versagens und des bewusst begangenen

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Einführung Von Friedemann Stengel

Versöhnung und Aufarbeitung. Erstes Forum meinen die anderen. Aus Anhalt, Sachsen und zum Bußwort des Landeskirchenrats der Evan- von anderswo ertönen solche Stimmen, die ein gelischen Kirche in Mitteldeutschland zum Bußwort nun auch in ihren Kirchen wollen, und Buß- und Bettag 2017. 26. Mai 2018, Theologi- zugleich solche, die keinerlei Veranlassung dafür sche Fakultät der Martin-Luther-Universität sehen. Begeisterte, emotional berührte Anrufe Halle-Wittenberg und Wortmeldungen von Befürwortern stehen neben solchen, die betrauern, dass Kirche schon Ich begrüße Sie als Mitglied des Beirats für Ver- wieder einmal derartig schlecht dargestellt wor- söhnung und Aufarbeitung und zugleich im Na- den sei. Und es gibt dann noch welche, die das men des Dekans der Theologischen Fakultät, die Bußwort als gänzlich zu spät und an den eigentli- hier einmal nicht Einladende, sondern Gastgebe- chen Problemen vorbeiformuliert betrachten, die rin eines Forums ist, das auch angesichts der sogar den heimlichen Versuch der Anbiederung Erinnerung an manch andere Neue Foren ihres- darin sehen – sogar an den »rechten Zeitgeist«, gleichen sucht, nicht etwa nur in der jüngsten schrieb einer. Befürworter erklären, die Aufarbei- deutschen Kirchengeschichte. Auslöser ist das tung in den 1990er Jahren sei vor allem täterori- Bußwort des Landeskirchenrats der EKM, aber entiert gewesen und habe die Kirche vor Angrif- Thema dieses Forums soll die Kommunikation fen auf ihre Integrität schützen wollen. Das wird verschiedener Perspektiven sein, vor allem öffent- man wohl kaum von der Hand weisen können. liche Mitteilung, Zursprachekommen, Gehörtwer- Die 1990er Jahre waren von einer vereinseitigen, den. Die Reaktionen nach dem Bußwort sind schon in DDR-Zeiten antrainierten, geradezu re- ausgefallen, wie es manche von uns erwartet flexhaften Haltung der Apologie geprägt – und haben, vielleicht nicht in dieser Deutlichkeit und von einem engen Fokus auf die Inoffiziellen Mit- auch Disparatheit. Das macht es nötig, einen arbeiter des MfS.1 Gesprächsprozess weiterzuführen, der mit dem Bußwort und seiner Vorbereitung begonnen und Beides hat die Perspektive von den Betroffenen nicht etwa abgeschlossen worden ist. und, jetzt kommt der problematische Begriff, »Opfern« abgelenkt und auch dazu geführt, dass Texte sind Positionsbestimmungen, nicht endgül- diese »Opfer« gezielt vernachlässigt und manche tige Aussagen über nunmehr unveränderliche erneut diskriminiert worden sind. Manche Verlet- Sachverhalte. Schon die Bekenntnisse der Alten zungen, auch von heute Anwesenden resultieren Kirche bis hin zur Barmer Theologischen Erklä- aus den 1990er Jahren, als sie sich sogar in de- rung sind in dem Moment, in dem sie verab- mokratischen Verhältnissen von ihrer Kirche, so schiedet worden sind, Streitgegenstand gewesen, sagen und sehen sie es, im Stich gelassen oder weil sie zwar einen Wortlaut fixiert, aber damit sogar erneut ins Unrecht gesetzt sahen. Dass der zugleich auch den Raum für Interpretationen Begriff »Opfer« erklärt werden muss, liegt vor geöffnet haben. Bekenntnistexte sind von ihrer allem daran, dass diese Menschen zwar den Atta- Auslegungsgeschichte nicht zu trennen, denn cken der SED-Diktatur und eben auch den Angrif- keine Erklärung enthält schon den Kontext, in fen ihrer Kirchen ausgesetzt waren, dass sie sich dem sie gelesen wird. Dass Erklärungen – theolo- aber stets als selbstverantwortliche Akteure ver- gische, politische oder beides – Wirbel auslösen standen haben, deren Rolle eben gerade nicht im und zu völlig gegensätzlichen Lesarten und Reak- Passiven verblieben ist und verbleibt. Als »Täter« tionen führen, liegt daher in der Natur der Sache haben sie sich in eigener Verantwortung kritisch und muss nicht beunruhigen. Dass uns diese positioniert und haben sich dabei entscheidende, Gegensätzlichkeit nicht spaltet, sondern ins Ge- nachhaltige Verdienste erworben. spräch bringt, wäre Ziel eines Forums als ein Ort, der bei aller Auseinandersetzung weiterhin ge- Uns war es im Vorfeld wichtig, dass nicht das meinschaftlich aufgesucht wird, ein Ort von Ver- Bußwort selbst, sondern die Betroffenen im Mit- söhnung, die nicht erfüllt oder vollendet, aber als telpunkt dieses Forums stehen. Dennoch möchte Same, in nuce, hier vorhanden ist. ich ein paar Worte sagen zu den Stellen, an de- nen die Meinungen über das Bußwort am meisten Und die Stimmen gehen mächtig gegeneinander. auseinandergingen – nicht um es zu verteidigen, Von einem »Schlag ins Gesicht« sprachen die sondern um einige Kontexte aufzutun, die die einen, längst überfällig sei das Wort gewesen, verschiedenen Wahrnehmungen erklären helfen 14yy35/2018yepd-Dokumentation

können. Das kann natürlich nicht erschöpfend »zumachen«. Das »Wir« möchte aber gerade an geschehen. dieser Kontinuität festhalten.

1. Wer verbirgt sich hinter dem Wir des Buß- Als der Beirat auf einzelne Menschen zugegangen worts? Darf Kirchenleitung stellvertretend reden ist, denen durch die Kirche Unrecht in der DDR für Jahrzehnte nicht mehr Amtierende, denen ja zugefügt worden ist, wurde schnell klar, dass damit auch ein Schuld- und Versagenseinge- dieses Feld nicht künftigen Generationen übertra- ständnis in den Mund wird, ein Schuldgeständ- gen werden kann. Es hat mich sehr überrascht, nis, das sie selbst übrigens Anfang der 1990er dass sogar diese Forderung prominent erhoben Jahre überwiegend verweigert haben, als es worden ist, nämlich dieses Geschäft Enkeln und Theologen wie Ehrhart Neubert, Rudi Pahnke2 Urenkeln zu übertragen. Einer meinte sogar, es oder Michael Beintker gefordert haben, der ein sei theologisch äußerst fragwürdig, Buße für Ge- »mindestens gesellschaftspolitisch relevante[s] schehnisse abzulegen, die länger als eine Genera- Versagen im Amt« vor 1990 diagnostiziert hatte tion zurückliegen. Wann denn dann? Und: besser und dem »schleierhaft« war, wie man behaupten jetzt und viel zu spät als nie! – sagen die ande- könne, dass von einer »Mitschuld« der Kirchen ren! Denn hier geht es um aktuelle, lebendig ge- am »politischen Debakel der letzten 40 Jahre« spürte belastende Erfahrungen, um ungesühntes, keine Rede sein könne.3 ja nicht einmal offen ausgesprochenes – und öf- fentlich auch gehörtes – Unrecht, das den konkre- Doch wer maßte sich es im Falle des Bußworts ten Einzelnen widerfahren ist und das auf ihnen, an, hier im Wir-Modus zu sprechen? Manche auf ihren Familien, ehemaligen Gemeinden und haben schnell Vorwürfe erhoben: Altbundesdeut- eben auch auf unserer Kirche lastet. Wo Versagen sche und Spätgeborene stünden dahinter. Andere kleingeredet wird, Opfer ignoriert werden und haben deutlich gemacht, dass sie doch nicht für stattdessen das eigene Verdienst hervorgehoben die MfS-Tätigkeit anderer verantwortlich gemacht wird, da besteht die Gefahr des Retuschierens werden könnten. Schließlich hätten sie selbst und des Hinnehmens personeller Kollateralschä- integer gehandelt, ja seien sogar »Opfer« gewe- den, die in Wirklichkeit Mark und Bein von Kir- sen. Und natürlich: in allen Kirchengremien von che betreffen. Selbst wenn es Einzelfälle sind – es Gemeinden bis zu den Kirchenleitungen finden geht um die Substanz. sich zahlreiche Menschen mit verweigerten Bil- dungswegen und Repressionserfahrungen, auch 2. Versöhnung können wir nicht erzwingen, aber unter denen, die das Bußwort vorbereitet und wir können die Räume für Sichtbarwerden und dann eben auch angenommen haben. eben auch bittere Erkenntnis öffnen und offenhal- ten. Ein in diesem Sinne ausgesprochenes »Wir« Es bleibt daher die Frage, ob es das Recht gibt, identifiziert sich eben auch mit »Kirche«, die sich sich dieses repräsentative »Wir« anzueignen. Wer dieser Verantwortung stellt und die sich zugleich spricht? Melanchthon hat (1559)4 Kirche als »coe- dessen bewusst ist, dass sie selbst nicht weniger tus« von Lehrenden und Hörenden bezeichnet, heterogen ist als die Gesellschaft, in der sie lebt. wohl auch um den Begriff der congregatio sancto- Und diese Heterogenität verwirrt auf den ersten rum zu vermeiden, der Gemeinschaft der Heili- Blick: gen, die vom Himmel auf die Erde reicht. Melan- chthon zielte offenbar auf die una sancta ecclesia, 2.1. Nicht wenige, aber immer Einzelne sind von die eine heilige Kirche, nicht im römischen Sinne, Unrecht betroffen worden, das ihnen in der Kir- sondern als Lehr-, Lern- und eben auch Bußge- che als Institution widerfahren und das ihnen meinschaft, wo Teile füreinander stehen, als Kol- eben auch zugefügt worden ist – nicht nur von lektiv und nicht isoliert. Wenn da nicht verant- anonymen Strukturen und Apparaten, sondern wortlich im Plural gesprochen werden darf, lösen von konkreten Personen und Kollektiven, so ver- wir diese Gemeinschaft auf und ziehen uns auf schieden und vielfältig, ganz eindeutig staatlich eine Frömmigkeit zurück, bei der jeder und jede und geheimpolizeilich gelenkt das Vorgehen je- nur noch für sich selbst spricht. Ja, für die Inoffi- weils auch war. Und in etlichen Fällen haben ziellen Mitarbeiter des MfS und für die Staatsloya- Kirchenleitungen selbstständig und übereinstim- len in der Pfarrer- und Mitarbeiterschaft tragen mend mit den Forderungen des Staates Abweich- Betroffene, Spätgeborene und Westdeutsche keine ler diszipliniert. Verantwortung, aber für Kirche als solche, jede oder jeder einzelne, der sich zu ihr zählt. Wäre 2.2. Kirche selbst ist immer heterogen gewesen. das nicht der Fall, dann könnten wir in der Tat Neben den durchschnittlichen Gemeindechristen, die sich zwischen Verweigerung und Anpassung epd-Dokumentationy35/2018yy15

bewegt haben, gab es die protestierende Genera- gendarbeit, hat immer wieder beharrlich an die tion der Jüngeren, die sich Identität aus der In- eigentlichen Machtverhältnisse in der DDR erin- szenierung von Konflikten geschöpft hat. Wir nert.5 Aber Kirche war eben auch nicht machtlos. waren jung, frech, nervig, anstrengend und von Dem Staat ist es gelungen, die Grenzen der Insti- erheblichem Selbstbewusstsein, schreibt eine tution osmotisch zu durchdringen und Personen Protagonistin; aus heutiger Perspektive haben wir zu gewinnen, die seine Interessen in ihr durch- nicht immer recht gehabt, fährt sie fort. Das führ- setzen – gegen die eigenen Leute. te zu Konflikten in den Gemeinden, gegenüber den Kirchenleitungen, die die SED für jede Form 2.3. Und da ist die Heterogenität zwischen den von Protest haftbar machte, selbstverständlich beiden Vorgängerkirchen der EKM: der Evangeli- auch gegenüber den einflussreichen MfS- schen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (KPS) Mitarbeitern in den Kirchenleitungen beider Vor- und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thü- gängerkirchen der EKM, gegenüber aktiven CDU- ringen. Thüringen war, je höher es in den kir- Vertretern und anderen offenen Parteigängern der chenleitenden Gremien ging, quantitativ weitaus SED-Diktatur oder des sie weithin stützenden stärker von Leuten des MfS durchsetzt, daran »Thüringer Weges«, die sich jetzt zuweilen hinter kommen wir nicht vorbei. Walter Schilling hat dem Thüringer Kurs nach dem Ende des »Thürin- das schon vor über 20 Jahren eindrücklich darge- ger Weges« verstecken, das Werner Leich 1978 stellt.6 Was aber nützt es, umgekehrt zu sagen: bei seinem Amtsantritt als Landesbischof einge- die KPS hatte ja nur den »OibE« Detlef Hammer läutet hat. und Marion Staude7. Ein »Offizier im besonderen Einsatz« des MfS, zugleich juristischer Konsistori- Ein an den Anpassungsbedürfnissen durchschnitt- alrat und dann Dezernent, schuf qualitativ gleiche licher Gemeinden orientiertes Volkskirchenkon- Voraussetzungen wie in Eisenach eine größere zept stand oft neben und auch gegen ein Protest- Zahl von IM. In beiden Kirchenleitungen saßen prinzip, das sich jesuanisch verstand, das den maßgebliche MfS-Leute; keine Personalentschei- Konflikt gerade suchte und nicht auf Ertragen dung ist völlig unabhängig von Kenntnis und oder Reibungsarmut aus war. Es kollidierte oft eben auch Einfluss des MfS und dessen Auftrag- mit der Lebenspraxis der Generation, die in den geber: der SED getroffen worden, wie sehr auch 1950er Jahren nicht in den Westen gegangen war Integrität und Unabhängigkeit versucht worden und ihr Christsein so gut, so mutig wie möglich, sind. aber im Interesse der eigenen Kinder eben auch so unauffällig wie nötig zu leben versuchte – auf Das Bußwort will sich daher, so verstehe ich es, der einen Seite die dagebliebene ESG der 1950er nicht grundsätzlich von den Kirchenleitungen und 1960er Jahre, die sich einrichten musste, zwischen 1949 und 1989 distanzieren, wie es vielfach Akademiker, denen die beruflichen Wege manche Kritiker vorbringen. Es will auch nicht versperrt wurden, die ganz durchschnittlichen grundsätzlich unterstellen, die Kirchen hätten Gemeinden auf der anderen Seite, und dann die nicht verantwortungsvoll gehandelt. Aber haben konsequenten Vertreter der Offenen Jugendarbeit sie frei gehandelt? Vielleicht liegt es noch vor uns oder die Pioniere der Jugendgottesdienste in neu- anzuerkennen, dass selbst die eigenen Entschei- er Form, schließlich der Jugendprotest der 1970er dungen nicht unbeeinflusst gefällt worden sind, und 1980er Jahre, der eben dieses Eingerichtet- von den Akteuren, aber auch von den Betroffenen sein in Frage stellte und oft auch attackierte. Das auf beiden Seiten. Es gehört zu den schmerzhaf- konfligierte oft, an vielen Stellen krachte es, an testen Eingeständnissen, als »Kirche im Sozialis- etlichen Stellen ging es. Und, das darf nicht ver- mus« eben Kirche in einer Diktatur gewesen zu gessen werden: es konfligierte vor allem deshalb, sein, die nur auf den ersten Blick institutionell weil die SED den Keil in den Kirchen geschickt unabhängig und ein staatsfreier Freiraum war – nutzte, um Kirche und Christsein insgesamt zu aber stimmt das und an welchen Punkten? Im unterdrücken, zu marginalisieren, gezielt zu spal- Konflikt um den Halle-Neustädter Jugenddiakon ten, geheimpolizeilich zu »zersetzen«. Lothar Rochau war es Detlef Hammer als Offizier des MfS und als Konsistorialrat, der die Informa- Bei manchen scheint der Eindruck entstanden zu tionen zwischen Kirchenleitung, Gemeinde und sein, mit dem Bußwort werde vergessen gemacht, Kirchenkreis kannte und der sie eben auch trans- dass es nicht die Kirche war, die die Diktatur portierte. Viele vertrauten ihm und er hat auch regierte, sondern die SED. Vor allem Ludwig Gro- manchen geholfen, das war die ideale Legende, ße, schon als Saalfelder Superintendent selbst ein um in den Kirchen genug Einfluss zu haben. Sie Kritiker des »Thüringer Weges« und Beschützer ist noch heute immer wieder zu hören. der staats- und kirchenkritischen Offenen Ju- 16yy35/2018yepd-Dokumentation

In Thüringen hat die Kirchenleitung aus rein poli- Noch nach Jahrzehnten kursieren Gerüchte über tischen Gründen vom Staat verhängte Bußgelder tatsächliche oder erfundene Geschehnisse; sie für Pfarrer wie Hans Günther und Jürgen Haus- verhindern Aufarbeitung und Sühne und sie wer- keller gegen deren Willen und ohne deren Kennt- den oft kolportiert, um die eigene Entsolidarisie- nis bezahlt und ihnen das dann vom Gehalt ab- rung zu legitimieren. »Na, der war ja auch ...«, gezogen. Von innerkirchlichen Disziplinarverfah- »... na, die hat ja ...«, »... na, der wollte doch eh ren wie gegen Hauskeller oder Walter Schilling in den Westen ...«, »... na, wirklich ein ‚Handkof- als Protagonist der Offenen Jugendarbeit der DDR fer‘ war der, hätte er nicht etwas zurückhaltender wussten Staatsvertreter; Kirchenleute haben sie ...«, »... der Ton machte die Musik auch bei den vorher mit ihnen abgesprochen und sogar ein Genossen ...«. Das ist zu hören bis heute, selbst hartes Vorgehen des Staates gegen die Amtsbrü- bei denen, die damals Kinder waren, als ihre der gefordert. Das sind keine Ausrutscher. In der Eltern sie warnten, sich der Jungen Gemeinde Kirchenleitung saßen eben wirklich auch Hand- geschweige der Offenen Arbeit in Braunsdorf, langer. Es spielt keine entscheidende Rolle, dass Halle-Neustadt oder zu nähern, damit sie auch die Staats- und Stasi-Leute Einzelne waren, ohne Probleme Abitur machen konnten. denn sie befanden sich an entscheidenden Stellen neben den anderen, und es wäre eine gefährliche Bis heute hält das an; der lange Arm der Diktatur und irreführende Tendenz, geschehenes Unrecht straft die Widerständigen nach wie vor. Und wir diesen einzelnen zuzuschieben und die Kirche wissen längst, dass die Anstrengungen von SED ansonsten freizusprechen. und MfS dort am stärksten waren, wo die kirchli- che Aktivität am größten war: 500 Leute in Ju- 2.4. Entscheidungen konnten auf gesteuerte Ma- gendgottesdiensten oder Werkstatttagen, »June«- nipulationen zurückgehen, gezielt wurde Miss- Festival der Offenen Jugendarbeit in Rudolstadt, trauen gesät, Denunziationen bis hin zu Falschin- charismatische Pfarrerinnen und Pfarrer in der formationen, die eine Entsolidarisierung selbst Elternschaft und in Umweltgruppen, wo 150 zwischen Inhaftierten bewirkt – mit Folgen bis Schülerinnen und Schüler sonntags Bäume heute. Wir haben von dieser Praxis längst gehört pflanzten. Da waren die Heimstätten der kriti- – aber nehmen wir sie auch ernst und sind wir schen Ränder, des »Strandguts« des Sozialismus – bereit, uns im Blick auf sie zu korrigieren? Stim- und da lief der Apparat auf Hochtouren gegen mung gegen Einzelpersonen wurde gemacht; ja unsere Leute und gegen unseren Verkündigungs- menschliche Schwächen ausgenutzt, bis hin zur auftrag. Manchmal kommt es so vor, als wäre das Verführung zu Geschäften in der Grauzone, die Ziel erreicht worden: Kirche auseinanderzubrin- die Stasi geschickt eingefädelt hat, um einflussrei- gen, zu zersetzen mit dem Ziel, sie zu liquidieren. che Pfarrer in der Kirche zu isolieren und zur Wollen wir das zulassen? Ausreise zu treiben. 3. An das Bußwort ist der Vorwurf gemacht wor- Und wie gehen wir damit um, dass Gerüchte über den, nicht die gesamte Wirklichkeit in den Blick sexuelle Unregelmäßigkeiten verbreitet worden zu nehmen und überdies Partei zu ergreifen. Da- sind, die immer wieder zu innerkirchlichen Dis- von abgesehen, dass niemand die gesamte Wirk- ziplinierungen geführt haben? Moralische Abwei- lichkeit in den Blick nehmen kann: natürlich wird chungen oder Nonkonformität waren hochpoli- Partei ergriffen für die Einzelnen, denen Unrecht tisch, wo sie sich eine Geheimpolizei zunutze getan worden ist. Wir reden über Einzelfälle, das machen konnte, um gegen die Kirche als solche Bußwort hat nicht den Anspruch, Kirche in der vorzugehen und wo sie sich dabei eben auch auf DDR total und erschöpfend zu erklären. Und ein innerkirchlich geltende Moralmaßstäbe stützen Bußruf ist gerade keine Verdienstbescheinigung konnte. Auch wenn kein moralisches Fehlen zu- und kein Versuch, alles und alle zu Wort kom- grunde lag, kam es vor, dass vom MfS angefertig- men zu lassen. te despektierliche Zeichnungen in Briefkästen von Amtsgeschwistern landeten oder Postkarten mit Es kann auch nicht darum gehen, geradezu per- fingiertem Dank für angeblich gemeinsam ver- fekt alle Einzelfälle erschöpfend zu klären. Als brachte Stunden verschickt wurden. Wie schwer Beirat ging es uns allerdings darum, so viele wie lassen sich solche Wunden aufklären und heilen, möglich ans Licht zu bringen. Wir haben daher wenn man eine Unterstellung nicht als Unterstel- die Kirchenleitungsprotokolle Thüringens und der lung entlarven kann! Müssen Betroffene etwa die KPS seit Anfang der 1970er Jahre durchgesehen vom MfS gegen sie angelegten Akten vorlegen, und alle Fälle notiert, die mit politisch begründe- um ihre Unschuld zu beweisen? ten Disziplinierungen oder Verfahren oder mit Ausreise von Pfarrern und anderen kirchlichen epd-Dokumentationy35/2018yy17

Mitarbeitenden zusammenhingen, die hier ver- den politischen Auseinandersetzungen gestellter handelt worden sind. Das ist nicht vollständig; Ausreiseantrag ohne Aberkennung der Ordinati- nicht alles scheint hier protokollarisch erfasst onsrechte. Vielfach überschneiden sich die Moti- worden zu sein und manche Fälle erschließen ve aus dem »persönlichen« und dezidiert politi- sich nicht eindeutig aufgrund der knappen Noti- schen Bereich, zuweilen sind die Notizen nicht zen. Die folgenden Angaben sind nicht endgültig. auskunftsfähig genug. Es scheint allerdings auch, dass nicht alle Fälle in den Unterlagen der ent- Oft, aber keinesfalls immer, sind die Ausreisefälle sprechenden kirchenleitenden Gremien akten- auch mit schon im Vorfeld liegenden politischen kundig geworden sind. Hier besteht noch For- Auseinandersetzungen verbunden gewesen. In schungsbedarf. Aber die Tendenz, dass die KPS manchen Fällen sind Mitarbeitende und Pfarrer deutlich mehr Ausreisefälle aufweist als Thürin- dazu gedrängt worden, einen Ausreiseantrag zu gen und Thüringen mehr politische Fälle ohne stellen, wie im Falle des Jugenddiakons Lothar Ausreise, ist unverkennbar. Rochau durch den prominenten Rechtsanwalt Wolfgang Schnur, der politische Gefangene im 4. Wir haben aus den verschiedenen Bereichen Auftrag des MfS häufig zum Ausreiseantrag ver- Menschen eingeladen und müssen um Verständ- anlasst hat.8 Auch durch andere »Zersetzungs- nis bitten, dass in diesem ersten Forum nur Ein- maßnahmen« des MfS haben Pfarrer erst nach zelne berücksichtigt werden können. Wir sind am politischen Konflikten einen Ausreiseantrag ge- Anfang und erhoffen weitere Foren und Debatten. stellt. In den 1980er Jahren haben nach zermür- Im Anschluss werden wir einige Menschen vor- benden Auseinandersetzungen mit dem Staat stellen auf der Basis von Texten, die wir als Bei- allein zwei Pfarrer aus Weißenfels einen Ausrei- ratsmitglieder mit ihnen abgestimmt haben. Bitte seantrag gestellt – einem sind nach einer politisch haben Sie Verständnis, dass wir uns kurzfassen begründeten Verurteilung und Konflikten mit der müssen. Kirchenleitung vor der Ausreise die Ordinations- rechte entzogen worden, dem anderen wurden Mehrere bekannte Persönlichkeiten, die zentral in sie belassen. den theologisch-politischen Auseinandersetzung in der DDR standen, sind inzwischen verstorben. Eine in dieser Deutlichkeit nicht erwartete Ten- Stellvertretend möchte ich Hans-Jochen Tschiche denz lässt sich feststellen. Ab der zweiten Hälfte (1929-2015) aus der KPS und Walter Schilling der 1970er Jahre bis 1989 gibt es nach momenta- (1930-2013) aus Thüringen nennen. Eva Schilling nem Stand in Thüringen 14 Ausreisefälle von ist für heute eingeladen gewesen, sie hatte einen Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern, denen die schweren Verkehrsunfall, wir denken an sie. Ordinationsrechte aberkannt wurden, sofern sie Jahrelangen erheblichen Problemen in der KPS erteilt worden waren. Die KPS verzeichnet ab war Eduard Stapel (1953-2017) ausgesetzt, der Anfang der 1970er Jahre 44 Fälle von Ausreise Mitgründer des Arbeitskreises »Solidarische Kir- mit Aberkennung, davon 1984 (als Egon Krenz che« und seit den frühen 1980er Jahren Pionier auf einen Schlag 40.000 Ausreiseanträge geneh- bei der Emanzipation Homosexueller in der Kir- migen ließ und dadurch die Zahl der Neuanträge che war und dem aus diesem Grund die Ordinati- noch einmal anstieg) bis 1989 19 Fälle, von die- on verweigert worden ist. sen 19 liegen allein seit September 1989 sieben Fälle. Die genauen Umstände von sieben weiteren 5. Schließlich möchte ich noch ein Thema an- Fällen sind im Moment nicht genau aufzuklären. sprechen, dass für besonders viel Aufregung ge- In den Zahlen beider Landeskirchen befinden sich sorgt zu haben scheint und dass noch stärker für mehrere Pfarrer und Mitarbeitende, die einen die Heterogenität in Kirche und Gesellschaft steht Ausreiseantrag erst in der Folge schwerer politi- als andere: Die Geher und die Bleiber. Nicht un- scher Konflikte gestellt haben. erwähnt darf bleiben, dass auch bei dieser Frage nicht durchweg Freiwilligkeit herrschte, sondern Anders sieht es bei den politisch konnotierten viele Menschen gegen ihren ursprünglichen Fällen ohne Ausreise aus: Thüringen weist ab der Wunsch und oft durch gezielte Manipulation von zweiten Hälfte der 1970er Jahre mindestens 13 Juristen wie Wolfgang Schnur oder auch Kirchen- klar politisch motivierte Fälle auf und ca. 15 noch juristen in den Kirchenleitungen zur Ausreise genauer aufzuklärende Fälle, bei denen die Ver- gedrängt oder überredet worden sind. Das MfS mutung politischer Konnotationen sehr naheliegt, hat tatkräftig dabei mitgeholfen. Und wo die Ma- also insgesamt ca. 30 Fälle. In der KPS zählen wir nipulation nicht gelang, sind Menschen wie aus ab 1970 mehr als 10 politisch motivierte Fälle der Thüringer Oppositionsszene gegen ihren Wil- ohne Ausreise, dazu noch ein einige Zeit nach 18yy35/2018yepd-Dokumentation

len und mit Handschellen in »Interzonenzüge« Manche fühlen sich mit dieser Unterstellung noch gesetzt worden. schwerer gedemütigt als durch die Konflikte, die sie im Osten hinter sich zu lassen glaubten. Als Als ob man in ein Wespennest gestochen hätte, 1980 bekannt wurde, dass ein hallescher Pfarrer so sehr frappiert es, wie im 28. Jahr nach der kurz nach seiner Ausreise als Seelsorger wieder- DDR die Ansicht darüber auseinandergehen. Es angestellt werden sollte, beschloss die Kirchenlei- ist kein völlig tabuisiertes Thema, denn mit »Ge- tung der KPS, mit einem Telegramm an die Kir- hen oder Bleiben« von 2002 liegt für die KPS eine chenleitung in Hannover dagegen zu protestieren, allerdings einmalige Dokumentation vor, in der weil damit die Vereinbarungen zwischen EKD von 1961 bis 1989 61 Ausreisefälle von Pfarrern und dem Kirchenbund der DDR unterlaufen wür- genannt werden, von denen insgesamt 41mal die den. Einige haben aber sehr gute Erfahrungen in Freigabe,9 also die Beibehaltung der Ordinations- den Kirchen der Altbundesrepublik oder der rechte nicht gewährt worden ist, in der Regel für Schweiz gemacht und erinnern das noch heute. mindestens zwei Jahre, in deutlich mehr als er- warteten Fällen noch länger. Die beiden Räte der Wir stehen hier am Anfang von Diskussionen, die EKU in der DDR und in der BRD hatten 1977 eine aus sehr unterschiedlichen, auch gegensätzlichen Vereinbarung getroffen, dass Pfarrerinnen und Perspektiven geführt werden. Sie haben mit exis- Pfarrer, sowie auch ordinierte Pastoren im Hilfs- tentiellen Begründungsmustern und Argumentati- dienst, die ohne die Zustimmung ihrer Heimatkir- onsnetzen zu tun, die das Geblieben- oder eben che in der DDR oder unter Verlust der Ordinati- Gegangensein noch Jahrzehnte danach theolo- onsrechte ausgereist waren, von »besonderen gisch und lebensgeschichtlich absichern. Und Fällen« abgesehen, nicht vor Ablauf einer Frist diese Perspektiven waren schon zu DDR-Zeiten von zwei Jahren und nicht ohne Zustimmung der ausgesprochen verschieden, ja sie haben Familien Heimatkirche in einer Westkirche wiederange- zerrissen. Denn wer ging, trennte sich in einer stellt werden könnten.10 aktiven (Weg-) Bewegung und immer wurden die Motive der Trennung beurteilt und bewertet. Trotz dieser Dokumentation scheint das Thema in der kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlich- Als die DDR 1975 die Schlussakte der Konferenz keit kaum besprochen worden zu sein. Im Wes- über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ten kommt es nicht vor. Die EKD-Arbeitsgemein- (KSZE) unterzeichnete, wo unter den Allgemei- schaft für Kirchliche Zeitgeschichte hat sich mit nen Menschenrechten das freie Verlassen des der Übersiedelung bundesdeutscher Theologen in Landes und das Wiederkommen subsumiert wur- die DDR11 befasst, nicht aber mit diesen de, war der Görlitzer Bischof Hans-Joachim Frän- schmerzhaften und bis heute überaus wirkungs- kel nach meiner Kenntnis der einzige Bischof, der vollen Verfahren, die zur protestantischen Ver- sich offen für das Recht auf Ausreise aussprach. dienstgeschichte allerdings nicht taugen. Dabei Ansonsten herrschte eine »Bleiber«-Stimmung, sie haben sich die westlichen EKD-Gliedkirchen galt nicht nur Pfarrern, sondern auch der Gesell- überwiegend an die Beschlüsse der Freigabeaus- schaft, so sehr sich vor allem dann auch in den schüsse gehalten, die der jeweilige Bischof in 1980er Jahren Menschen in der Kirche für An- jedem Einzelfall einberief und die die Triftigkeit tragsteller eingesetzt haben. Die Bleiber- der Anträge auf Beibehaltung der Ordinations- Stimmung ging von Bischöfen bis in die Oppositi- rechte prüften, eben auch die Ordinationsrechte onsgruppen; Zeugnis, Bekenntnis, Widerstehen entzogen und zur Einsendung der Ordinationsur- standen im Vordergrund. Gehen wurde vielfach kunden aufforderten. Mehrere Betroffene berich- als Zurückweichen, im Stich lassen, ja sogar Ver- ten, dass sie bei der Ausreise von ihren Bischöfen rat und »Fahnenflucht« interpretiert. Gerade die- nicht darüber informiert wurden, dass sie ihre sen Begriff hört man öfter, er ruft Assoziationen Ordinationsrechte verlieren würden. Sie berich- zu einem Kampf hervor, der dem Militärischen ten, dass ihnen in Darmstadt oder Stuttgart mitge- analog zu sein scheint, und zuweilen werden teilt wurde, man wolle keine Hirten, die ihre Ge- Parallelen zum Kriegsende gezogen, als in der meinde verlassen hätten, zudem störe die fehlen- Bekennenden Kirche die Tradition des Bleibens de Anpassungsbereitschaft und das Konflikpoten- bei der Gemeinde begründet wurde, in Preußen tial der DDR-Pfarrrer. Es gab, in Ost und West, schon im April 1944 mit einem Aufruf des Berli- die offene oder klammheimliche Unterstellung, ner Provinzialbruderrats der Bekennenden Kirche das seien nur Wirtschaftsflüchtlinge, die in die zum »Verbleiben der Pfarrer in gefährdeten Ge- westlichen Sozialsysteme einwandern wollten. bieten«, als »Weisung des Preußischen Bruder- rats« im September 1944 vom Rat der Bekennen- den Kirche Schlesiens übernommen, und dann epd-Dokumentationy35/2018yy19

ein Wort des Evangelischen Oberkirchenrats der burg) nach dem Studium und akademischer Qua- Evangelischen Kirche der altpreußischen Union lifikation selbst aus dem Westen in die DDR zu- »An unsere Gemeinden und Geistlichen« vom rückgekommen war? Schon 1992 hat er sein Ge- März 1945.12 Pfarrer verloren ihr Leben, weil sie hen aus der BRD in die DDR als »Entscheidung bei ihrer Gemeinde blieben. Bei allem Schmerz des Nachfolgegehorsams« bezeichnet, wiewohl es über den Verlust, wenn Pfarrer nach ihrem dama- damals »keine Ostzuschläge und Karrieregaran- ligen Verständnis des Ordinationsgelübdes vor tien« gegeben habe und »unsere Frauen [!]« da- der Front nicht flohen und das Bleiben bei der mals »buchstäblich Vater und Mutter, Schwester Gemeinde und die Treue zur Kirche höher zu und Brüder verlassen« hätten und »ins Ungewisse setzen schienen als das Überleben gemeinsam mit um Jesu willen« mitgegangen seien.14 Und in ei- der Familie: mit dieser Gefühlslage dürfte ein Teil nem berühmten Passionsbrief hat er 197615 – üb- der Geschichtsdeutung zwischen Theologie und rigens wenige Monate vor den (kirchen-) politi- Familiengeschichte(n) zusammenhängen. Da schen Umbrüchen um die Selbstverbrennung von wurde noch Jahrzehnte später ein Amtsverständ- Oskar Brüsewitz und die Ausbürgerung von Wolf nis auf die politische Lage in der DDR übertragen, Biermann – darum geworben, zu bleiben und das tief von der Vertreibungssituation zwischen nicht zu gehen, wegen der Gemeinden, wegen Leben und Tod geprägt war. Ohne die damaligen des Auftrags und Nachfolgegehorsams. Denn, so Motive der Geher im Nachhinein bewerten zu seine Einschätzung, dieser Weg des Gehens wer- wollen, noch bis in den Herbst 1989 wurden Pfar- de auch den Kindern nicht zum Verhängnis wer- rerinnen und Pfarrer wie Reinhard Weidner, die den. »Weise mir, Herr, Deinen Weg« legte er als keinen anderen Weg sahen als zu gehen, mit Aufforderung zum Bleiben in der DDR aus, so Entzug der Ordinationsrechte, meistens zeitlich lange das Vertrauen reiche. befristet, aber bis zum Beginn der 1990er Jahre, bestraft. Das konnte und kann man so sehen; aber es ist nicht die einzig mögliche Auslegung! Und man Kann man darüber reden, dass es in der KPS nach darf zur Debatte stellen, ob es wirklich nur das 1945 nur ein, zwei Fälle gegeben hatte, in denen Bleiben war, das als Treue zum Evangelium gel- Pfarrer wegen ihrer NS-Vergangenheit aus dem ten durfte. Ich selbst gehöre zu den Bleibern, aus Amt entfernt wurden und ganz wenige andere Krusches Gründen damals, und aus Trotz und zeitlich stark befristet belangt worden sind (nicht Widerstandswillen. Aber wird es nicht Zeit, die etwa, weil es so wenig gegeben hätte)? Die Thü- Mauern niederzureißen, die zwischen Gehern ringer Kirche entließ bis 1948 81 Mitglieder der und Bleibern bestehen? In den Vorgesprächen zu Deutschen Christen und/oder der NSDAP, beließ diesem Forum war ich erschüttert, auch bestürzt, aber 79 von ihnen die Ordinationsrechte. In allen über die zutiefst biblische Kritik und Selbstkritik, Provinzial- und Landeskirchen auf dem Gebiet der sich die Geher ausgesetzt haben, nach dama- der ehemaligen DDR sind bis Ende 1996 etwas ligen Zeugnissen übrigens, nicht etwa nur nach mehr als 20 Pfarrer und Pfarrerinnen entlassen heutigen. War Gott, war christlich-pastoraler oder amtsenthoben worden, weil sie als Inoffiziel- Gehorsam nur Bleibe-Gehorsam und Bleibe-Gott? le Mitarbeiter für das MfS gearbeitet hatten, da- Stand Gott nicht über den Systemen und konnten von elf mit zeitlicher Befristung.13 Es ist völlig und mussten Geh-Entscheidungen nicht theolo- klar, dass es sich um verschiedene politische gisch verantwortlich von den Akteuren selbst Kontexte handelte, aber gehören die über den gefällt werden? jeweiligen historischen Kontexten stehenden pastoraltheologischen – und immer auch politi- Selbstverständlich sind Staatsgrenzen keine Gren- schen – Maßstäbe des Umgangs mit den eigenen zen kirchlichen Lebens und schon gar nicht gött- Amtsträgern nicht auf den Prüfstand? Ich bin zu licher Wirksamkeit und eben auch nicht christli- dieser Assoziation übrigens ausdrücklich von chen Glaubens; und Gott stellt das verantwortli- Studierenden angeregt worden, die einen inneren che einzelne Leben eben nicht unveränderbar in Abstand zu beiden Zeitkontexten haben und fern eine kommunistische Diktatur. Gibt es eine Blei- davon sind, hier Diktaturenvergleiche oder Rela- be- und Widerstandspflicht? Immer wieder ziehen tivierungen vorzunehmen. und zogen die Betroffenen die Sorge um ihre Kinder als Hauptgrund für das Gehen heran. Das Muss man für die KPS in Betracht ziehen, dass hat man in vielen Fällen nicht gelten lassen. Als der aus Sachsen stammende, allseits verehrte Vater frage ich mich: war und ist es legitim, nicht Bischof Werner Krusche wie übrigens seine Bi- nur den Pfarrvätern und Pfarrmüttern, sondern schofskollegen Werner Leich, Johannes Hempel auch deren Kindern ein solches Bleibe-Gewicht (Sachsen) oder Gottfried Forck (-Branden- umzuhängen? Können wir nicht wenigstens im 20yy35/2018yepd-Dokumentation

Nachhinein und nach Jahrzehnten, nach vielfach das ein Grund sein, es zu unterlassen? Eine Bitte sehr gelungenen Biographien, die sich unter gött- um Vergebung wird unabhängig davon getan, ob lichem Schutz verstehen, nach Kontaktzonen der oder die andere sie auch annimmt oder Dritte suchen, nach gegenseitiger Anerkennung? Und das verspotten oder als Zeichen von Schwäche innerlich Abschied nehmen von den alten Vor- auslegen. Können, dürfen – und durften – mögli- würfen der Flucht und des Verrats, die ich jeden- che Reaktionen von Staat und Gesellschaft wirk- falls immer wieder höre, quer durch alle Lager? lich Kriterien für das Handeln einer Kirche sein, deren Auftrag das Evangelium ist – zu dem eben Werner Krusche hat 1976 offengelegt, dass diffe- auch die Buße gehört? renziert entschieden wurde, wenn jemand bean- tragt hatte, in den Westen zu gehen und die Kir- che bat, ihr und ihm die Ordinationsrechte zu belassen. Krusche forderte zu dem Vertrauen auf, Anmerkungen: dass der »Gehorsamsweg« in der Nachfolge auch 1 Belege dazu in Friedemann Stengel: Kirchen-DDR-Geschichte den eigenen Kindern »nicht zum Verhängnis« zwischen Gedächtnispolitik und Erinnern. In: Abgeschlossen? werde, sondern Erfahrungen bereithalte, »die ihr Stand und Folgen der Aufarbeitung der Geschichte der Kirche in Leben tief und reich und sinnhaft machen«. Im der DDR. Tagung an der Theologischen Fakultät der Martin- unausgesprochenen Blick auf die KSZE-Debatte Luther-Universität Halle-Wittenberg, 12.-13.6.2015. EPD- stellte Krusche zugleich fest, dass es in der Nach- Dokumentation 2015, Heft 40, 4-15; Michael Beleites Heimliche folge des Herrn »im übrigen die Freiheit« gebe, Machthaber oder missbrauchte Abhängige? Zur Rolle der inoffizi- »bestimmte Menschenrechte für sich selbst nicht ellen Stasi-Mitarbeiter vor und nach der Wende. In: Evangelische in Anspruch zu nehmen und sie nur für andere Theologie 70 (2010), 106-115. geltend zu machen«. Man solle beten, dass uns Gott nicht nur den »Fluchtweg in den Westen«, 2 Vgl. Ehrhart Neubert: Vergebung oder Weißwäscherei? Zur sondern »auch die anderen Fluchtwege« verweh- Aufarbeitung des Stasi-Problems in den Kirchen. Freiburg i.Br. re, auch den »Weg der totalen Anpassung«.16 Wa- 1993. ren das die Alternativen?

3 Michael Beintker: Die Schuldfrage im Erfahrungsfeld des gesell- Trotzdem hat nicht der oder die Einzelne, son- schaftlichen Umbruchs im östlichen Deutschland. Annäherungen. dern die Kirchenleitung entschieden, ob die In: Kirchliche Zeitgeschichte 1991 (2), 445-461, hier: 459. Gründe zu gehen für die Beibehaltung der Ordi- nationsrechte und die Freigabe für den Dienst in 4 In der letzten Ausgabe der Loci communes. Vgl. dazu Georg einer Westkirche legitim waren oder nicht. Denn Kretschmar: Der Kirchenartikel der Confessio Augustana Melan- hier ging es nicht nur um die Entlassung aus dem chthons. In: Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsbur- Amt der jeweiligen Landeskirche, sondern um ger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche. Internationales eine ostwestliche Sanktion, die nichts anderes Symposium der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Ca- war als ein mindestens befristetes Berufsverbot. tholicorum in Augsburg vom 3.-7. September 1979, hg. von Das sind amtstheologische Probleme, jenseits von Erwin Iserloh und in Verb. mit Barbara Hallensleben. 2. Aufl. Kirchenbeamtenrecht. Münster 1980, 411-439. 6. Oft ist die Rede vom stellvertretenden Handeln 5 Ludwig Große: Einspruch! Das Verhältnis von Kirche und Staats- von Kirche – hier für eine Öffentlichkeit und Ge- sicherheit im Spiegel gegensätzlicher Überlieferungen. 2. Aufl. sellschaft, in der juristische Rehabilitationen ge- Leipzig 2010. schehen, aber doch viel weniger angekommen und debattiert worden sind – , als man 28 Jahre 6 Walter Schilling: Die »Bearbeitung« der Landeskirche Thüringen nach der Wende annehmen könnte. Es sieht so durch das MfS. In: Die Kirchenpolitik von SED und Staatssicher- aus, als ob die Benennung des Unrechts die Dul- heit: eine Zwischenbilanz, hg. von Clemens Vollnhals. Berlin dung oder das Schweigen der Gesellschaftsmehr- 1996, 211-266; sowie: Ders.: Kirche und Stasi in Thüringen – Ein heit aufschrecken könnte. Ob Kirche mit einem Blick von der Basis. In: EPD Dokumentation 16 (2007): Stasi- solchen Forum etwas in der Gesellschaft erreicht, Aufarbeitung in der Thüringer Landeskirche, 17-19. wissen wir nicht. Aber sie tut es auch unabhängig von der Gesellschaft. Ich war erstaunt, von pro- 7 Vgl. Harald Schultze und Waltraut Zachhuber: Spionage gegen minenter Seite den Einwand gegen das Bußwort eine Kirchenleitung. Detlef Hammer, Stasi-Offizier im Konsistori- zu hören, die Gesellschaft reagiere doch ehedem um Magdeburg. Gespräche, Dokumente, Recherchen, Kommen- mit Häme, weil sie so anders mit Schuld und tare. Magdeburg 1994; sowie Harald Schultze: Die Stasi- Versagen umzugehen pflege. Davon abgesehen, Aufarbeitung der Kirchenprovinz Sachsen. In: EPD Dokumentation dass solche Stimmungen eher erfühlt sind, kann epd-Dokumentationy35/2018yy21

16 (2007): Stasi-Aufarbeitung in der Thüringer Landeskirche, stellungen (1990-1996). In: Kirchliches Jahrbuch 123 (1996), 27-33. 285-407, hier: 395f.

8 Vgl. Alexander Kobylinski: Der verratene Verräter. Wolfgang 14 Vgl. Werner Krusche: Gnadenlohn der Nachfolge. Matthäus Schnur: Bürgerrechtsanwalt und Spitzenspitzel. Halle (Saale) 19,27+29. In: Ders.: Die Schönen Gottes. Predigten, hg. von 2015. Rudolf Landau. Waltrop 2006, 75-80. Allerdings parallelisierte Krusche 1992 das Kommen aus der BRD in die DDR nicht aus- 9 Rudolf Schulze, Eberhard Schmidt und Gerhard Zachhuber: drücklich mit dem Glaubensgehorsam derer, die in der DDR Gehen oder bleiben. Flucht und Übersiedlung von Pfarrern im geblieben waren, sondern mit denen, die »in der Kirche« geblie- geteilten Deutschland und die Gesamtverantwortung der Kirchen- ben waren und dafür auf Karriere verzichtet hatten und ihren leitungen; Bericht und Dokumentation. Leipzig 2002, 93. Kindern »zugemutet haben, oft als einzige in der Klasse zur Christenlehre zu gehen und sich konfirmieren zu lassen«. 10 Vgl. ebd., 66-68. 15 Pastoralbrief Werner Krusches an die Mitarbeiter im Verkündi- 11 Claudia Lepp: Wege in die DDR. West-Ost-Übersiedlungen im gungsdienst in der Kirchenprovinz Sachsen (1976), abgedruckt in kirchlichen Bereich vor dem Mauerbau. Göttingen 2015. Gehen oder bleiben, wie Anm. 9, 216-220.

12 Abgedruckt in Gehen oder bleiben, wie Anm. 9, 17-19. 16 Ebd., 217-219.

13 Vgl. Harald Schultze: Stasi-Belastungen in den Kirchen? Die Debatten in den Evangelischen Kirchen. Zu Befunden und Unter-

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Biographische Skizzen

Renate Ellmenreich Johannes Beleites, auf dem Forum vorgestellt von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Renate Ellmenreich, Jahrgang 1950, stammt aus strafen, die Drohung, sie werde ihre Tochter erst Löwenberg in Brandenburg. 1962 musste ihr Va- wiedersehen, wenn diese sie gar nicht mehr ken- ter seine Landwirtschaft aus gesundheitlichen ne. Aber auch Einbrüche, bei denen nichts ge- Gründen aufgeben und ging nach Berlin als stohlen, aber auffällige Spuren hinterlassen wur- Hausmeister des Missionshauses. Ihre erste Be- den. gegnung mit der Stasi hatte sie im Alter von 15 Jahren in der Schule in Berlin. Dort hing im Klas- Während ihres Vikariats ab 1977 in Nöbdenitz, senraum eines Morgens ein Plakat, das an den 17. einem kleinen Dorf zwischen Schmölln und Gera, Juni 1953 erinnerte. Anschließend wurden die bekam sie keinen Krippenplatz für ihre Tochter; Schüler im Direktorenzimmer einzeln vernom- dringend notwendige Baumaßnahmen am Pfarr- men. Seitdem »begleitete« die Stasi ihr Leben bis haus wurden staatlicherseits nicht genehmigt. In Ende 1989. Renate Ellmenreich studierte ab 1968 dieser Zeit war die gesamte Linie ihrer Vorgesetz- Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. ten – Superintendent Gerhard Eisner, Kreiskir- Dort trat sie – in dem Gefühl politischen Drucks chenrat Martin Kirchner und OKR Christoph durch den Praktischen Theologen Heinrich Fink – Thurm als Visitator für den Kirchenbezirk Ost – in die CDU ein und konnte mit dieser vermeintli- als IM der Stasi tätig. chen »gesellschaftlichen Tätigkeit« in Ruhe ihr Diplom und erstes Examen ablegen. Anschlie- Als Vikarin lernte Renate Ellmenreich 1978 einen ßend erhielt sie als einzige ihres Jahrganges kei- Vikar aus Frankfurt a.M. kennen, ihren späteren nen Vikariatsplatz in der Berlin- Mann. Auch als sie schwanger war, beabsichtigte Brandenburgischen Landeskirche. sie nicht, die DDR zu verlassen. Vielmehr ver- suchten beide eine dauerhafte Einreise ihres Ver- Über Freunde kam sie 1974 nach Jena, wo für die lobten in die DDR zu erreichen. Nach längeren Arbeit im Neubaugebiet Neu-Lobeda noch eine Verhandlungen, in die auch die Thür. Kirchenlei- Katechetin gesucht wurde. Diesen Dienst versah tung einbezogen war, wurde ihnen Weihnachten Renate Ellmenreich zwei Jahre und kam in dieser 1979 die endgültige und dauerhafte Ablehnung Zeit auch mit der Jungen Gemeinde Jena- beschieden. Anschließend legte ihr OKR Wolfram Stadtmitte in Kontakt: Eine prägende Zeit, war Johannes (alias IM »Nettelbeck«) ihre Ausreise doch die offene Arbeit in Jena eines der oppositi- nahe. Er versprach ihr einen reibungslosen Ab- onellen und widerständigen Zentren der DDR. lauf und sicherte ihr auch das Belassen ihrer Or- Jürgen Fuchs und Wolf Biermann, Roland Jahn, dinationsrechte zu. Im Sommer 1980 reiste sie Matthias Domaschk und Walter Schilling stehen endgültig in die Bundesrepublik aus. Nach der noch heute als Namen für diese Zeit in Jena. Aus Geburt ihres Sohnes trat sie in Frankfurt a.M. ihrer Beziehung mit Matthias Domaschk wurde eine Pfarrstelle an. 1976 ihre gemeinsame Tochter Julia geboren. In dieser Zeit hatte sie intensive Kontakte zu ande- Mit der Jenaer Oppositionsszene war sie nach wie ren Oppositionellen in der DDR oder zu solchen, vor eng verbunden. Etliche von ihnen waren die die DDR schon verlassen hatten, aber sie nach starken Repressionen durch das Ministerium knüpfte auch Kontakte zur Charta 77 in Prag. für Staatssicherheit inzwischen nach Westberlin ausgereist. Einschneidend für alle Jenaer Opposi- Der Stasi blieben diese Aktivitäten nicht verbor- tionellen, besonders aber für Renate Ellmenreich, gen; Renate Ellmenreich hatte zahlreiche Ver- war der April 1981. Auf einer Reise nach Berlin nehmungen zu bestehen. Mit Eröffnung des Ope- wurde Matthias Domaschk von der Stasi festge- rativen Vorgangs »Kanzel« gegen sie begannen nommen und in die Stasi-Untersuchungshaft- auch aktive Zersetzungsmaßnahmen. Daran be- anstalt nach Gera gebracht. Nach stundenlangen teiligt waren auch etliche kirchliche Amtsträger, Vernehmungen starb Matthias Domaschk am Pfarrer, Superintendenten und Oberkirchenräte. 12. April 1981 im Gefängnis. Die Umstände seines Zu den Zersetzungsmaßnahmen gehörten Ver- Todes sind bis heute ungeklärt; die Stasiversion nehmungen mit der Androhung langjähriger Haft- eines Suizids scheint aber sehr unwahrscheinlich. epd-Dokumentationy35/2018yy23

Inmitten der politisch motivierten Drangsalierun- in der Stasi-Unterlagen-Behörde und versuchte gen, an denen kirchliche Amtsträger beteiligt Spuren und Informationen zum Tod von Matthias waren, ist ihr Bischof Werner Leich immer eine Domaschk zu finden. Dieses Unterfangen war nur große Stütze gewesen. Sie gehörte zu seinem von mäßigem Erfolg gekrönt; auch ihre Hoffnung ersten Ordinations-Jahrgang. Auf ihn konnte sie auf Informationen von früheren Stasi-Mitarbeitern sich verlassen, auch wenn sie gerade von der erfüllte sich nicht. Sie stieß hier auf eisiges Stasi vernommen wurde. Einmal gelang es ihm Schweigen und noch immer feindselige Ableh- sogar, sie von der Stasi während einer Verneh- nung. 1999 ging sie mit ihrem Mann in ein missi- mung für eine halbe Stunde zum Mittagessen in onarisches Projekt nach Nigeria. Nach seinem den Bischofssitz nach Eisenach bringen zu lassen. plötzlichen Tod kehrte sie 2004 zurück und ver- Obwohl ihr gerade zwölf Jahre Haft angedroht sah bis zu ihrer Pensionierung eine Pfarrstelle in worden waren, sagte Leich ihr zu, solange an Mainz. Heute lebt Renate Ellmenreich in einer seinem Schreibtisch sitzen zu bleiben, bis sie Kommunität in Joachimsthal am Rande der wieder draußen sei. Die Stasi entließ sie noch am Uckermark nördlich von Berlin. Sie engagiert sich selben Abend. Auch nach ihrer Ausreise blieb ihr weiterhin für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, Kontakt zu Werner Leich bestehen; wenn er in vor allem aber für humanitäre Projekte in Nigeria. der Bundesrepublik war, rief er sie gelegentlich an und erkundigte sich nach ihrem Wohlergehen. Mit Unterstützung durch den Thüringer Minis- Sie erlebte ihn immer wieder als hilfreich, unter- terpräsidenten Ramelow arbeitet sie aktuell noch stützend, seelsorgerlich aufbauend und sensibel. in einer Arbeitsgruppe zur Aufklärung der Todes- umstände des Matthias Domaschk mit. 1993 kehrte sie mit ihrem Mann, Pfarrer Gunnar Berndsen, nach Thüringen zurück. Sie arbeitete

Hans Günther und Hermien Günther-van Dijk Christian Fuhrmann

Hans Günther wird im Jahr 1939 in Meiningen zieht den Betrag von Hans Günthers Gehalt ab. geboren. Seit 1968 ist er Thüringer Pfarrer, zu- Damit bestätigt die Landeskirche die Bewertung letzt in Themar. 1969 heirateten Hermien Gün- der staatlichen Organe. ther-van Dijk und Hans Günther. Hermien Gün- ther-van Dijk siedelt aus den Niederlanden in die Ein weiteres Konfliktfeld mit dem SED-Staat DDR und übernimmt bis 1987 die Pfarrstelle eröffnet sich mit der Einschulung des ältesten Marisfeld bei Themar. Zu der Familie gehören Sohnes. Das Ehepaar Günther kümmert sich vier Kinder. Wie ihre Mutter besitzen sie die in trotz aller Probleme um ein gutes Verhältnis zur der DDR zunächst nicht anerkannte niederländi- Schule und der Lehrerschaft. Zu einzelnen Leh- sche Staatsbürgerschaft. Hermien Günther-van rern besteht ein gutes Verhältnis, das allerdings Dijk kann regelmäßig in die Niederlande reisen. von Seiten der Schulleitung und Schulbehörde Das nutzt übrigens auch der Diakonie. unterbunden wird. Trotz ausgezeichneter Schul- leistungen werden die beiden ältesten Kinder Zu ersten tieferen politischen Auseinanderset- nicht zur EOS zugelassen. zungen kommt es zwischen dem Pfarrer von Themar und dem Kreis Hildburghausen im Zu- Im Sommer 1987 lässt Pfarrerin Günther-van sammenhang mit der Selbstverbrennung von Dijk sich beurlauben, um den hochbetagten Va- Oskar Brüsewitz im August 1976. Als er später ter in den Niederlanden begleiten zu können. mit einem römisch-katholischen Amtskollegen Für die Sommerferien ist ein Besuch der ganzen Gemeindeveranstaltungen durchführt, die der Familie in den Niederlanden beantragt. Hans Staat nicht als gottesdienstliche Veranstaltungen Günther nimmt als Elternvertreter an einer Klas- anerkennen will, kommt es zu weiteren Ausei- senfahrt der zweitältesten Tochter teil. Er erhält nandersetzungen auch mit dem Landeskirchen- großen Zuspruch durch die Kinder – und es tref- amt. Beide Pfarrer weigern sich, diese abzuset- fen Beschwerden bei Schule und Parteileitung zen und die verhängten Geldstrafen zu bezahlen. über die Teilnahme eines Pfarrers ein. Die Aus- Das Landeskirchenamt übernimmt die Zahlung sprache dazu führt zur Eskalation. Schuldirektor, der Geldstrafe an den Kreis Hildburghausen und Schulparteisekretär und Kreisschulrat entziehen 24yy35/2018yepd-Dokumentation

Hans Günther mündlich das Recht, an schuli- für den 20jährigen Pfarrdienst werden aberkannt schen Veranstaltungen teilzunehmen und drohen Anfang Februar 1988 reist Hans Günther aus. damit, Pfarrer Günther die verfassungsgemäßen Hans Günther sieht diese Entscheidung als per- Rechte als Vater zu entziehen. Der Staat besitze sönliches Scheitern, aber auch als Gewinn für das Erziehungsmonopol über die vier Kinder und die Familie. Er sieht für sich und insbesondere er habe die Möglichkeit, seinen Willen auch für seine Kinder keine Perspektive zwischen gegen den der Eltern durchzusetzen. Außenseitertum einerseits und Anpassung ande- rerseits. Hans Günther geht diesen Weg verzwei- Hans Günther erklärt daraufhin öffentlich, dass felt und schreibt in einem Brief: »[...] Ich könnte er solange der aktuelle Schuldirektor amtiert, zur Not den Rest meines Lebens damit fertig seine Kinder nicht mehr auf die Schule in The- werden, wenn ich mich auf den Fernseher, die mar schicken wird. Daraufhin wird ihm gedroht, Trauerfeiern, die Mahlzeiten und das Bett be- dass die Polizei eingeschaltet würde, um ihm die schränken würde. Aber der Gedanke, dass meine Erziehungsbefugnis für die Kinder zu entziehen. Kinder angepasste Strolche oder verbitterte Au- Es ist bekannt, dass es solche Fälle des Kinder- ßenseiter sein werden, macht mich rasend. [...] entzugs in der DDR immer wieder gegeben hat. Jetzt habe ich verloren. Und daran ist nichts zu In dieser Situation wird der Antrag einer Be- rütteln.« suchsreise in die Niederlande für Hans Günther und seine Kinder genehmigt. In diese Zeit fallen In den Niederlanden absolviert der inzwischen die Überlegungen Hans Günthers, die DDR als 49jährige Hans Günther eine einjährige theologi- Familie ganz zu verlassen. Parallel zu diesem sche Ausbildung an der Universität Amsterdam, Vorhaben wird Hans Günther klar, dass er mit um in den Dienst der Lutherischen Kirche in den der weiteren Perspektive, als Pfarrer arbeiten zu Niederlanden eintreten zu können. Die Evange- können, abschließen muss. Noch heute bezeich- lisch-Lutherische Kirche in den Niederlanden net Hans Günther seinen Entschluss, die DDR zu beantragt bei der Thüringer Kirche, dass Hans verlassen, als »Abhauen«. Gegen Ende des Ur- Günther und Hermien Günther-van Dijk die Or- laubes in den Niederlanden einigt sich das Ehe- dinationsrechte wieder zugesprochen werden. paar Günther, dass Hans Günther allein nach Dem wird durch den Landeskirchenrat für Hans Themar zurückfahren wird. Zurück in der DDR Günther im August 1989 entsprochen. Pfarrerin stellt Hans Günther einen ordentlichen Ausreise- Hermien Günther-van Dijk erhält die Ordinati- antrag und teilt sowohl der Gemeinde wie dem onsrechte erst Jahre später. Hans und Hermien Landesbischof den Plan und seine Begründung arbeiten bis zum Ruhestand in zwei Pfarrstellen mit. in den Niederlanden.

Hans Günther wird unmittelbar aus dem Pfarr- Bis heute ist für Hans Günther schmerzlich und dienst entlassen und aufgefordert, das Pfarrhaus unverständlich, dass ein Schreiben aus dem Jahr zu räumen. Die Gemeindeleitung protestiert un- 2006, in dem er darum bittet, seine Pensionsan- ter der Androhung zurückzutreten. Hans Gün- sprüche aus seiner insgesamt fast 20jährigen ther verschenkt und verkauft alles Hab und Gut Tätigkeit als Pfarrer der ELKTh zu prüfen, nicht und kann im Pfarrhaus bleiben. Ein Nachfolger beantwortet wird. versieht den Dienst. Hans Günther ist dankbar, dass er bei all den Das Leben von Hans Günther wird durch per- Auseinandersetzungen um die Ausreise Freunde manente anonyme Drohungen belastet. Er be- und Kollegen hatte, die ihn mit kritischer Dis- ginnt ein 40tägiges Fasten, das in der Öffentlich- tanz begleiteten und ehrliche Ratgeber bleiben. keit als Hungerstreik bekannt wird. Für Hans Er ist erschrocken, mit wieviel Vorurteilen und Günther war klar, dass er keine Freigabe für den Unterstellungen er aus dem Kreis der Kollegin- Dienst in einer westlichen Kirche erhalten wird. nen und Kollegen im Sommer 1987 konfrontiert Sowohl ihm wie auch seiner Frau wird die Frei- wird. gabe verweigert. Auch die Pensionsansprüche

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Wolfgang Harnisch Friedemann Stengel

Wolfgang Harnisch, geb. 1953, ist ursprünglich hold selbst befürchtete, Harnisch habe die »fal- Mitglied der Evangelisch-Freikirchlichen Gemein- schen Schritte getan« und tue sie noch. de in Halle (Baptisten, Friedenskirche) gewesen. Durch Abstimmung der Schülerinnen und Schüler Von September 1983 bis zu seiner Ausreise im seiner Schulklasse wurde ihm bei einer Stimm- März 1984 wurde Wolfgang Harnisch als Pastor enthaltung die Studienzulassung verweigert. Er im Hilfsdienst im Kirchenkreis Calau-Lübben hatte sich bei der Musterung für den Wehrdienst (Berlin-Brandenburg) eingesetzt und wohnte hier als Bausoldat verpflichtet. 1974 nahm er ein The- ohne seine Familie. Die Versorgung mit einer ologiestudium an der Kirchlichen Hochschule Stelle in der Nähe Naumburgs war offenbar un- Sprachenkonvikt in Ost-Berlin, später am Kate- erwünscht. chetischen Oberseminar Naumburg (KOS) auf und wurde in dieser Zeit auch Mitglied der evan- In einem Briefwechsel mit Bischof Forck bat Har- gelischen Kirche. Von politischen Auseinander- nisch um die Erklärung, warum sein »Konflikt mit setzungen in Naumburg insbesondere über die der Obrigkeit und die daraus erwachsende Ent- Frage, in einer »Kirche im Sozialismus« Pfarrer scheidung im Gegensatz zum Ordinationsgelüb- sein zu können, berichtet Wolfgang Harnisch. de« stünden. Wenn sein Verständnis der Confes- sio Augustana (Art. 16) und der Barmer Theologi- In Naumburg trat er eine Repetentenstelle in der schen Erklärung (These V)2 »wider Gottes Wort« Systematischen Theologie an und begann sein und seine Haltung »politische Schwärmerei« sei, Vikariat 1980 in Goseck und Pödelist. Am solle ihm das deutlich mitgeteilt werden. 31.10.1982 wurde er in der Berlin-Brandenburg- ischen Kirche von Bischof Gottfried Forck ordi- Gottfried Forck bat ihn, dem von ihm als »uner- niert. träglich empfundene[n] Zustand« im Bildungswe- sen der DDR als »Signum dieser Welt« nicht Bei der Einschulung des ersten von drei Kindern durch einen »Protest des sich Entziehens (,den es 1981 hatten sich seine Sorgen im Bezug auf die faktisch nicht gibt)« zu begegnen, sondern »unter Zukunftschancen seiner Kinder im repressiven und mit« Christus zu leben, der die Mächte dieser Bildungswesen der DDR erheblich verstärkt. Er- Welt besiegt habe. Schließlich hätten alle unter folglos und ohne Antwort bat er Erich Honecker 50jährigen die sozialistische Schule besucht und als Staatsratsvorsitzenden in einer Eingabe, seine viele seien dennoch Christen geblieben. Har- Tochter von der Schulpflicht zu entbinden und nischs Argumentation und seine fehlende Zuver- den Unterricht durch deren Mutter erteilen zu sicht für seine eigenen Kinder trage hingegen dürfen. Der hohe »Konformitätsdruck« in der einen »Zug mangelnden Realitätssinnes, der der Schule sei schädlich und fördere statt »kritischen Güte Gottes über jede Situation zu wenig zu- Denkens Opportunismus«. Immerhin berief sich traut«. Ausdrücklich als Frage formulierte Forck, Harnisch auf die Allgemeine Erklärung der Men- ob die »ordinierten Zeugen Jesu« nicht durch ihr schenrechte, die die DDR unterzeichnet habe und Bleiben bezeugen sollten, dass der Herr bei aller die den Eltern das Recht einräume, die Art der Kritik am weltanschaulichen Bildungssystem hier Bildung ihrer Kinder in erster Linie selbst zu be- dennoch »am Werk« sei. Im Blick auf Harnischs stimmen.1 Argumentation mit den Bekenntnisschriften hielt es Forck für »unbarmherzig«, sein Kind nicht in Anfang 1983 stellte er für sich und seine Familie die Schule zu schicken; schon in der Frage des einen Ausreiseantrag. Ende April 1983 wurde ihm Schulbesuchs die »Grenze des Gehorsams« zu vom Rektor des KOS Naumburg, Arndt Meinhold, erblicken, betrachtete er namens der Kirchenlei- der Beschluss des Kuratoriums des KOS mitge- tung für »falsch«. Der »Staat der DDR« werde der teilt, dass ihm die Assistentenstelle und der Lehr- im Neuen Testament, von Reformatoren und auftrag entzogen und ihm zudem die weitere Bekennender Kirche respektierten Obrigkeit »ana- Forschungsarbeit untersagt werde. Harnisch habe log« gesetzt. Die Kirchenleitung schätze ihn als den Rektor vor Antragstellung nicht über seine »Menschen und Bruder«; er solle »hier in unserem Absicht informiert; und ihm hätte bekannt sein Lande seinen wichtigen Auftrag« wahrnehmen, müssen, dass Studierende, die ohne Vorinforma- nicht im Westen, wo die Zahl der Pfarrer bald so tion des Rektors einen Ausreiseantrag stellten, groß sein werde, dass er nicht mehr angestellt »bei uns sogleich exmatrikuliert« würden. Mein- werden könne. Durch seinen Weggang werde er 26yy35/2018yepd-Dokumentation

seine Amtsbrüder und die Gemeinden betrüben, zu entsprechen, ihm die Ordinationsrechte wieder »die zu wenig Hirten haben«. zuzusprechen. Gerade in der Kirche im Rheinland erfuhr Wolfgang Harnisch nach seiner Erinnerung Wolfgang Harnisch sah in seiner Antwort seine freundliche Unterstützung. Seit Anfang 1987 ist er Fragen nicht als erledigt an, sondern bekräftigte, Pfarrer im Bonner Westen. dass er es für eine »Verletzung unserer Eltern- pflicht und der staatsbürgerlichen Pflichten« hal- Im Rückblick betrachtet Wolfgang Harnisch seine te, den »Konflikt zwischen Elternrecht und Schul- Übersiedlung für sich und seine Familie, insbe- pflicht zu verschweigen oder gar zu verharmlo- sondere für seine Kinder, als lebensbiographisch sen«. richtige Entscheidung. Doch beschäftigt ihn das Verhalten der zuständigen kirchlichen Stellen in Die Ordinationsrechte und seine »Ansprüche auf der DDR bei seiner Ausreise bis heute. In Bonn Besoldung und Versorgung« wurden ihm mit hat er in depressiven Phasen auch unter einem Schreiben vom 14.3.1984 aberkannt. Wolfgang belasteten Gewissen gelitten. Insbesondere der Harnischs Antrag, ihm die Ordinationsrechte zu Vorwurf, »Fahnenflucht« begangen zu haben, hat belassen, lehnte die Berlin-Brandenburgische ihn lange bedrückt und bedrückt ihn bis heute. Kirchenleitung im März 1984 mit der Begründung ab, sie habe die »Konfliktsituation«, die Wolfgang Die disziplinarischen Maßnahmen bei seiner Aus- Harnisch in Gesprächen mit OKR Ulrich Schröter reise waren für ihn in ihrer Härte unerwartet; er und Propst Friedrich Winter angeführt habe, nicht empfand insbesondere in Naumburg eine »Äch- als unzumutbare »Belastung« anerkennen kön- tung« nach seinem Ausreiseantrag, die sich auch nen. Die aus dem Verkündigungsauftrag resultie- darin ausdrückte, dass sein Kontakt zu dortigen renden »Spannungen zu den eigenen politischen Studierenden sofort unterbunden wurde. Die Überzeugungen« seien »vom Pfarrer auszuhal- mehr als drei Jahrzehnte zurückliegenden Ereig- ten«. Harnisch hatte in seinem Antrag auf Belas- nisse sind für ihn nach wie vor sehr lebendig und sung der Ordinationsrechte ausdrücklich mitge- auch belastend. teilt, dass seine Entscheidung zur Ausreise »Ein- geständnis von Hilflosigkeit und Scheitern« sei Anmerkungen: und »Schuld« bedeute. Trotz seiner politischen 1 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948), Konflikte wolle er jedoch das Evangelium nicht Art. 26 Abs. 3: »In erster Linie haben die Eltern das Recht, die verschweigen. Art der ihren Kindern zuteil werdenden Bildung zu bestimmen.« Nach seiner Ausreise wurde Wolfgang Harnisch 2 Beide beziehen sich auf die Anerkennung der Obrigkeit als studentische Hilfskraft und später wissenschaftli- Gottes Ordnung oder Auftrag nach göttlicher Anordnung, Barmen cher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät V darüber hinaus auf eine klare Trennung der Machtbefugnisse Bonn. Im Juni 1986 beschloss die Kirchenleitung des Staates und der Kirche. Berlin-Brandenburg, dem Antrag des Landeskir- chenamts der Evangelischen Kirche im Rheinland

Jürgen Hauskeller Friedemann Stengel

Jürgen Hauskeller ist 80 Jahre alt und blickt auf von Beginn an, seine Versetzung aus Zella-Mehlis einen vierzigjährigen Dienst als Thüringer Pfarrer zu erreichen. Der Staat ordnete die Absetzung der zurück. Seit seinem Vikariat in der Nähe von Jena Gottesdienste an. Hauskeller weigerte sich. Und hatte er es mit dem »Strandgut des Sozialismus« er weigerte sich auch, die Bußgelder zwischen zu tun, hier waren es zwangsenteignete Bauern, 50,- und 300,- Mark zu bezahlen. Das tat die Kir- später Wehrdienstverweigerer und Ausreisean- chenleitung einschließlich des Bischofs Braecklein tragsteller. Seit Anfang der 1970er Jahre hielt er ohne sein Wissen für ihn, sie zog aber die Beträge mit Kollegen monatliche Jugendgottesdienste »in von seinem ehedem dürftigen Pfarrgehalt ab und neuer Form«, die jeweils von 400 bis 500 Jugend- stellte sich damit gegen Hauskeller auf die Seite lichen besucht worden sind. Offizielle kirchliche des Staates, ja sie forderten den Staat auf, hart und staatliche Stellen und das MfS versuchten gegen Hauskeller vorzugehen. epd-Dokumentationy35/2018yy27

Im Zuge der geheimpolizeilichen »Zersetzungsar- Abendmahl ohne Vorbedingung angeboten. Doch beit« gelang es dem MfS, durch gezielte Aufde- das Verfahren wendete sich nach einer zehnstün- ckung eines vorübergehenden außerehelichen digen Verhandlung plötzlich zu seinen Gunsten, Verhältnisses Hauskellers Versetzung in den War- es war von OKR Friedrich Vogel von Fromanns- testand zu erreichen. Auch seine damalige Ehe- hausen-Schubart geführt worden. Pfarrer Haus- frau wurde durch gezielte Versendung von de- keller wurde wieder in den aktiven Dienst einge- nunziatiorischen Briefen durch das MfS eines setzt, aber der politische Konflikt mit dem Super- außerehelichen Verhältnisses beschuldigt – intendenten setzte sich unvermindert bis 1989 fälschlicherweise. Die Ehe blieb bestehen, Haus- fort. keller wurde in den Wartestand versetzt. Noch Jahre später schrieb sich das MfS es als Erfolg zu, Am 2. Januar 1992 war Hauskeller der erste Thü- das erwirkt zu haben. ringer, der seine MfS-Akte las. Aus seiner um- fangreichen Akte, dem Operativen Vorgang (OV) Im Wartestand begann Hauskeller 1975 in Son- »Hai« und aus der Deck- und Klarnamenkartei dershausen-Stockhausen mit den Jugendgottes- geht klar die IM-Tätigkeit von »Storch«/«Papst« diensten, die in der gesamten nordthüringischen hervor. Trotz seines schon vorhandenen Ver- Region zu den am meisten Aufsehen erregenden dachts empfand Hauskeller die Enthüllung von sozialmissionarisch-gottesdienstlichen Projekten IM-Tätigkeit in der Kirche als einen Schock, so als überhaupt gehörten, mit einer bis tief in Kirche ob er seine Heimat verloren habe, der er vertrau- und Gesellschaft wirkenden Prägekraft – weit te. Kirchenleitung und Bischof informierte er über das Ende der DDR hinaus. Das Verhältnis daher schnell. Hauskeller wurde von kirchenlei- zwischen Hauskeller und dem Sondershausener tender Seite gebeten, mit seinem Wissen keines- Superintendenten Reinhold Adebahr wurde des- falls an die Öffentlichkeit zu gehen – um der Ge- halb sehr schnell belastet, dieser besaß enge Kon- meinde willen. Als er dem neuen Bischof Roland takte zu verschiedenen staatlichen Stellen in Son- Hoffmann und der Kirchenleitung mitteilte, dass dershausen, arbeitete als IM »Storch« und »Papst« er mit dem Sondershausener Superintendenten für das MfS und wurde insbesondere von den nicht mehr zusammenarbeiten und ihn wegen Oberkirchenräten Walter Saft, Wolfram Johannes seiner IM-Tätigkeit auch nicht als Vorgesetzten und Gerhard Lotz unterstützt, die alle auch Inof- anerkennen könne, bekundete die Kirchenleitung, fizielle Mitarbeiter des MfS waren. Weitere Kon- dem Superintendenten mehr zu glauben als den flikte brachen auf, als Hauskeller Oskar Brüsewitz MfS-Akten. Sie forderte stattdessen Hauskeller nach dessen Selbstverbrennung im August 1976 auf, sich auf eine neue Pfarrstelle zu bewerben, im Konvent verteidigte. Er forderte Kirche und den Konvent zu wechseln oder seine Pfarrstelle Pfarrerschaft öffentlich zur kritischen Selbstprü- einer anderen Superintendentur zuzuordnen. fung auf und wandte sich gegen »Angsthasen« Hauskeller wechselte den Konvent und er emp- und »Relativierer« in der Kirche. Im Zuge dieses findet es noch heute als eine Demütigung, dass sowohl politischen als auch persönlichen Zer- anstelle des Superintendenten er gehen musste würfnisses erwirkte der Superintendent die Ver- und dass die neuen Konventsgeschwister über längerung des Wartestandes von Jürgen Hauskel- seine Aufnahme sogar abstimmten. ler bis 1978. Hauskeller sah sich in unsicherer Perspektive und mit gekürzten Bezügen in einem Ebendiese Position der Kirchenleitung empfand Zustand der Erpressung und vom Superintenden- und empfindet Hauskeller als eine weitere Ernied- ten angedrohten Entlassung, damit er sich der rigung. Kirche wurde für ihn etwas Beängstigen- kirchlichen Ordnung unterwürfe. des. Drangsalierende Täter blieben geschützt, wurden selten zur Rechenschaft gezogen, manche Nach aktenmäßig nachweisbarer Absprache zwi- blieben völlig unbehelligt wie der Sondershause- schen dem Superintendenten und dem Rat des ner Superintendent. Hauskeller hingegen musste Kreises wurde gegen Hauskeller 1978 plötzlich erneut mit dem Image eines »Nestbeschmutzers« ein Amtszuchtverfahren eröffnet, mit dem Ziel, leben – noch nach der Wende. Er konnte seinen ihn ganz aus dem Dienst zu entfernen. Die Initia- Dienst bis zum Ruhestand 2000 nur versehen, tive ging vom Superintendenten aus, der mit dem weil er in seiner Gemeinde bis zuletzt einen star- MfS zusammenarbeitete, was Hauskeller schon ken Rückhalt und das uneingeschränkte Vertrau- damals vermutete und in den 1980er Jahren auch en der Gemeindeglieder gefunden hat. Innerkirch- Landesbischof Werner Leich mitteilte. Hauptge- lich wurde seine Wirksamkeit ignoriert, ja er genstand des Amtszuchtverfahrens war Hauskel- empfindet es bis heute als schmerzhafte Loslö- lers vermeintlich »häretische« Abendmahlslehre, sung von seiner Kirche als seiner Heimat, und das denn in den Jugendgottesdiensten wurde das bezieht er deutlicher noch auf seine Erfahrungen 28yy35/2018yepd-Dokumentation

in den 1990er Jahren als auf die DDR-Zeit, in der insbesondere die Jugendpfarrkonvente wie eine ihm trotz aller Schikanen im Amtszuchtverfahren Familie waren. ja sogar Recht gegeben worden war und ihm

Gudrun und Thomas Kretschmer Curt Stauss

Sie erzählen zu Beginn ihres Berichts von einem Betreiben vom Theologiestudium entfernt«). Er Gemeindeabend vor drei Jahren zum »Tag des wird zu vier Jahren und vier Monaten Haft verur- politischen Häftlings«, in der eigenen Kirchenge- teilt; dreieinhalb Jahre hat er noch, unter An- meinde: Thomas Kretschmer soll von seinen rechnung der U-Haft, abzusitzen. Er wird einige Haftzeiten erzählen, großes Interesse ist bei de- Monate vorzeitig entlassen aufgrund eines Briefes nen, die gekommen sind, erkennbar – und dann von Bischof Scharf an Honecker (mündliche stellt jemand fest, die Kirche habe sich doch im- Nachricht Heinrich Albertz an Lothar König). Er mer gut um bedrängte Menschen in der DDR wird in die Abschiebehaft nach Karl-Marx-Stadt gekümmert, und sie, Gudrun Kretschmer, sei gefahren. Dort war er schon einmal nach drei doch sicherlich, als ihr Mann im Gefängnis saß, Jahren Haft mit dem Angebot vorzeitiger Entlas- unterstützt worden. Sie sagt, dieser Abend sei das sung, das lehnte er ab, Gudrun Kretschmer lehnte erste Mal, dass sie »nach diesem Unglück vor 35 ebenso ab, in die BRD auszureisen; daraufhin Jahren« in einem kirchlichen Kreis gefragt wer- bleibt er in Leipzig in der Kästnerstraße weitere den! sechs Monate in Haft, dann noch einmal Karl- Marx-Stadt, Abschiebehaft, die Aufforderung Thomas Kretschmer studierte nach einer Ausbil- auszureisen. Er lehnt erneut ab. Erst dann wird er dung zum Krankenpfleger an der Predigerschule nach Hause nach Liebschütz entlassen. Erfurt von 1976 bis zum Frühjahr 1979, als er exmatrikuliert wurde durch Rektor Ludwig Am- Während der Haftzeit erhielt Thomas Kretschmer mer mit der schriftlichen Begründung, er sei für keinen Besuch von kirchlichen Mitarbeitern. Dies das Theologiestudium ungeeignet, er solle sich hat er der Kirchenleitung der Evangelisch- lieber in der Jugendarbeit umsehen. Diese Ent- Lutherischen Kirche in Thüringen vorgetragen; er scheidung sorgte für Überraschung unter Dozen- blieb ohne Antwort, ohne ein rehabilitierendes ten und Kommilitonen. Thomas Kretschmer ver- Wort auch für die Relegierung von der Prediger- mutet hier schon OKR Schäfer im Hintergrund schule. (IME »Gerstenberger«). Gudrun Kretschmer, ausgebildete Kinderkranken- Er bewirbt sich nun zum Theologiestudium in schwester, musste, nachdem ihr Mann inhaftiert Jena. Dort wird er nach der Freistellung vom worden war, mit ihren vier kleinen Kindern aus Wehrdienst gefragt; die hat er nicht. Sogleich dem Pfarrhaus Apfelstädt, wo sie zur Miete wird das Wehrkreiskommando aktiv, und die wohnte, ausziehen; der neue Pfarrer forderte sie Einberufung erfolgt sofort (er vermutet einen dazu auf, weil er – als Alleinstehender – dort kurzen Draht von der Theologischen Fakultät einziehen wollte. Warum er dies verlangte, ob- zum Wehrkreiskommando). 15 Monate der insge- gleich die Stelle eigentlich nicht wieder besetzt samt 18 als Bausoldat hat er hinter sich, da wird werden sollte, war nicht erkennbar. Sie bat da- er im Januar 1982 verhaftet. Man wirft ihm zu- rum, wohnen bleiben zu können, bis ihr Mann nächst staatsfeindliche Hetze und Wehrkraftzer- aus der Haft entlassen wird, damit er den Umzug setzung vor, als dies nicht zu belegen ist‚ »öffent- mitmachen könne. Sie erhielt das Angebot, in die liche Herabwürdigung und Beeinträchtigung kleine Küsterwohnung (zwei Zimmer) im Haus staatlicher Maßnahmen«. Er sitzt ein Dreiviertel- ohne Mietvertrag, als Notquartier einzuziehen. jahr in U-Haft. Bei der Vernehmung erfährt er, Sie hatte, als ihr Mann bei den Bausoldaten war, dass die Relegierung von der Predigerschule ein- bereits 15 Monate allein mit den Kindern gelebt gefädelt war; der Vernehmer sagt: »Wir mussten und den Alltag bewältigt; 1983 ist sie dann aus vermeiden, dass Sie als Pastor auf die Kanzel dem Pfarrhaus Apfelstädt ausgezogen, zuerst zu kommen« (Beleg in einer Aktennotiz »auf unser den Eltern nach Rudolstadt, nachdem Woh- epd-Dokumentationy35/2018yy29

nungsanträge bei Kommune und Kirche (durch IM im Kreiskirchenamt) – aber die konnten unge- Inge Schütz, die zuständige Mitarbeiterin im hindert tätig sein, da die kirchlichen Systeme Kreiskirchenamt und zugleich Inoffizielle Mitar- nicht funktionierten: ein Gemeindekirchenrat, der beiterin des MfS »Martina Straßmann«) abgelehnt die Vermietung und Entmietung zu beschließen wurden. Die Entscheidung, aus dem Pfarrhaus hatte, eine Dienstaufsicht im Kirchenkreis und im auszuziehen, traf Gudrun Kretschmer auch unter Kreiskirchenamt; ein Ausbildungsdezernent, die sozialem Druck: der Befürchtung, eine Stimmung Leitung der Predigerschule. So wenig kirchliche im Dorf werde aufkommen, dass der neue Pfarrer Aufmerksamkeit nach der Verhaftung für Thomas nicht seine Stelle antreten könne, weil sie die Kretschmer, so wenig gab es nun auch für die aus Wohnung blockiere. der Wohnung gedrängte Frau mit vier kleinen Kindern! Sie hat dann in Liebschütz einen kleinen Bauern- hof gekauft und wohnte dort; der Ortspfarrer Was sollte geprüft werden? Die Umstände der fragte sie, wie es ihr gehe, der Bischof habe ihn damaligen Besetzung der Pfarrstelle Apfelstädt; gefragt (Pfarrer Vollbrecht, IMV »Manfred Rilat«– ebenso die der Relegierung von Thomas Kret- der sie »unter Kontrolle« halten soll). Diese Nach- schmer. Ist eine Rehabilitierung, und ist eine fragen kamen zustande, weil amnesty internatio- Entschuldigung der Kirche gegenüber der Familie nal Thomas Kretschmer zum »Häftling des Jah- Kretschmer zu erwarten? res« erklärt hatte und beim Bischof Auskunft zu seinem Ergehen erbeten hatte. In den Blick genommen werden sollte auch die Altersversorgung: Thomas Kretschmer kommt Plötzlich erhielt Gudrun Kretschmer ein Brieftele- knapp über die Mindestrente; er arbeitet noch als gramm von Rechtsanwalt Wolfgang Vogel: sie Bildhauer therapeutisch in einer Klinik mit psy- möge am nächsten Tag nach Berlin kommen. Es chisch kranken Menschen. Gudrun Kretschmer gebe für sie eine Sondersprecherlaubnis für eine hat bis vor kurzem ihren Bauernhof betrieben; Stunde mit ihrem Mann, es gehe um die Ausreise. das ist aus gesundheitlichen Gründen nicht weiter Wenn er nicht auszureisen bereit sei, müsse er möglich. zurück in den Knast! Sie telefonierte deswegen mit Rechtsanwalt Vogel, nutzte dazu das Telefon Thomas Kretschmer ist ehrenamtlich als Geistli- im Pfarrhaus. Der Pfarrer fragte sie, worum es cher Begleiter tätig; er hat die Ausbildung dafür in denn gehe – sie hatte geweint – sie erzählte es der Christusbruderschaft Selbitz, und er hat an ihm, dem Seelsorger; der berichtete darüber der Fortbildung Geistliche Begleitung für politisch schriftlich seinem Führungsoffizier. Der Bericht Verfolgte und für politisch traumatisierte Men- liegt vor. Am Entlassungstag kam dieser Pfarrer schen teilgenommen. zu ihr, um ihr mitzuteilen, dass ihr Mann heute entlassen werde. Die Abteilung Inneres beim Rat Gudrun Kretschmer hat Pfarrer Vollbrecht – sie des Kreises wusste dies später als der IM. war an seinem Grab – vergeben.

Was ist festzuhalten? Zwar waren IM des MfS aktiv (der Ortspfarrer IM »Manfred Rilat« und die

Marina Naumann Marie Anne Subklew

Marina Naumann studierte von 1975 bis 1979 an kirchlichen »Bürgerbewegung« in Halle aktiv. der Humboldt-Universität in Ost-Berlin Deutsch 1978 war das Fach Wehrerziehung als obligatori- und Englisch für das Lehramt. Nach Beendigung sches Schulfach für alle Schülerinnen und Schüler ihres Studiums begann sie 1979 als Lehrerin an der 9. und 10. Klassen an den Schulen der DDR einer »Polytechnischen Oberschule« in Halle zu eingeführt worden und Marina Naumann wurde arbeiten. als neue und junge Kollegin gedrängt, dieses Fach provisorisch zu unterrichten. Dieser Forderung Seit den frühen 1980er Jahren war Marina hat sie sich mit Hinweis auf ihren christlichen Naumann gemeinsam mit ihrem Mann in der Glauben widersetzt. Als 1982 in der DDR ein 30yy35/2018yepd-Dokumentation

neues Wehrdienstgesetz verabschiedet wurde, sierungsbewegung mit den Inhaftierten bildete, nach dem auch die Frauen im Verteidigungsfall in hatten Marina und Thomas für den Fall ihrer die allgemeine Wehrpflicht einbezogen werden Verhaftung in ihren Personalausweisen eine Ver- konnten, gründete Marina mit anderen Frauen in fügung, in der sie Hallenser Freunden die Voll- Halle die Gruppe »Frauen für den Frieden«, ab macht zur Betreuung ihrer Kinder übertrugen. 1984 dann als »Christliche Frauen für den Frie- Damit wollten sie verhindern, dass ihre Kinder im den« innerhalb der evangelischen Kirche. Bis zu Falle der Inhaftierung der Eltern in ein Heim ein- ihrer Ausreise 1989 war Marina in dieser Bürger- gewiesen würden. rechtsgruppe aktiv. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder 1980 und 1981 und der damit verbunde- Als Marina im Januar 1988 eine Besuchsreise nen Mutterschutz-Zeit wurde Marina nicht wieder zum 65. Geburtstag ihrer inzwischen als Rentne- in den Schuldienst aufgenommen. Berufsverbote rin im Westen lebenden Mutter beantragte, wurde wurden in der DDR nicht ausgesprochen, sondern dies schriftlich »aus Gründen des Schutzes der realisiert. Fortan unterrichtete sie auf Honorarba- Nationalen Sicherheit der DDR« abgelehnt. Bei sis an der Volkshochschule Englisch, was ihr dieser Formulierung dachten Naumanns noch, die nach zwei Semestern ebenfalls verwehrt wurde. Behörden hätten sich sprachlich vergriffen. Doch Daraufhin verließen zwei der von ihr unterrichte- bestätigen die Akten der Stasi, dass Marina ten Klassen aus Protest die Volkshochschule und Naumann als »nationales Sicherheitsrisiko« gese- trafen sich nun im Wohnzimmer der Familie hen wurde. Naumann um miteinander Englisch zu lernen. Dies aber erfüllte einen doppelten Straftatbestand, Diese sogenannten Zersetzungsmaßnahmen der den illegaler Gruppenbildung sowie unerlaubter Stasi, die berufliche Aussichtslosigkeit und die Erwerbsarbeit. Marina war faktisch seit 1983 politische Unfreiheit sowie die Erfahrung, dass arbeitslos und fand erst 1987 eine Anstellung am ihre beiden Kinder die gleiche Schulmisere erleb- kirchlichen Proseminar Naumburg, wo eine vom ten wie schon ihre Eltern, brachte zuerst Marina Staat nicht anerkannte Gymnasialausbildung für dazu, über eine Ausreise nachzudenken. Nach angehende Studierende der Kirchenmusik oder einem monatelangen, schmerzhaften Abwägen der Theologie an Kirchlichen Hochschulen ange- der Fragen von Gehen oder Bleiben stellte Familie boten wurde. Naumann im August 1988 einen Ausreiseantrag. Die Hoffnung, dass sich in den nächsten zehn Jahrelang stand Marina unter intensiver Beobach- Jahren etwas in der DDR verändern würde, war tung der Stasi, die über sie den Operativen Vor- kleiner als die Verzweiflung über die bedrängen- gang (OV) »Kurs« anlegte und verschiedene Maß- de und zunehmend aussichtslose Situation in der nahmen der »Zersetzung« organisierte sowie DDR. Da Marina als Lehrerin am Kirchlichen Sachverhalte für eine Anklage zusammen stellte. Proseminar in Naumburg auch Angestellte der Ich nenne einige Details: So wurde Familie Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen Naumann u.a. von den Nachbarn, mit denen sie war, kam es im September 1988 zu einem Ge- sich einen Wohnungsflur und die Toilette teilen spräch mit Vertretern der Magdeburger Kirchen- mussten, bespitzelt. Nachbarin Frau B. erstattete leitung und der Schule. Marina konnte ihre halbe über Jahre regelmäßig Bericht und übergab der Stelle behalten, weil sich der Schuldirektor für Stasi auch selbst aus dem Nachbarzimmer ange- ihre Weiterbeschäftigung aussprach, während ihr fertigte Tonbandmitschnitte von Gesprächen aus Ehemann Thomas nach Beendigung seines Vika- Marinas Englischkursen im Wohnzimmer. In riates im September 1988 aus dem kirchlichen Abwesenheit der Familie war die Stasi mehrfach Dienst ausschied. in der Wohnung und hinterließ offensichtliche Anzeichen ihres »Besuchs«. Das waren Inszenie- Am 22. Februar 1989 wurde Familie Naumann rungen mit der Botschaft: »Auch in euren vier die Ausreise genehmigt und mit ihren zwei klei- Wänden sollt ihr Angst haben. Jederzeit können nen Kindern und sechs Koffern verließen sie die wir zugreifen.« Auch am Kirchlichen Proseminar DDR. in Naumburg gab es inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi, die die Observierung von Marina Marina Naumann stellte 2005 einen Antrag auf Naumann an ihrer neuen Wirkungsstätte über- berufliche Rehabilitation nach dem SED- nahmen. Das Ehepaar Naumann war sich der Unrechtsbereinigungsgesetz, in dem festgelegt Gefahr bewusst. Als sich nach den Verhaftungen wurde, dass Menschen, die durch willkürliche im Zusammenhang der Berliner Rosa-Luxemburg- oder politisch motivierte Maßnahmen, die mit Demonstration im Januar 1987 die Situation zu- den Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin spitzte, sich gleichzeitig auch eine breite Solidari- unvereinbar sind, eine Benachteiligung im Beruf epd-Dokumentationy35/2018yy31

erlitten haben, rehabilitiert werden können. Ma- Die Familie lebte von 1989 bis 1997 in rina Naumann erhielt 2009 den positiven Be- Bern/Schweiz, wo Marina auf Honorarbasis an scheid, dass sie vom 15. November 1982 bis zum verschiedenen Privatschulen Englisch und 22. Februar 1989 als Verfolgte des SED-Staates Deutsch unterrichtete. Nach dem Umzug nach gilt. Dieser Entscheid bestätigt und würdigt ihre Siegen in Nordrhein-Westfalen (1997) erlernte sie damalige Lebenssituation und ist für sie persön- den Beruf der Logopädin, den sie noch gegenwär- lich von großem Gewicht. tig ausübt.

Lothar Rochau Birgit Neumann-Becker

1977 wird der damals 25-jährige Jugenddiakon Mit der Eröffnung eines weiteren Operativen Vor- Lothar Rochau für die Offene Arbeit in der Ge- gangs (OV) »Konventikel« 1981 beabsichtigte der meinde Halle-Neustadt verpflichtet. Die Offene Staat nun die endgültige Zerschlagung der Offe- Arbeit – orientiert an dem thüringischen Pfarrer nen Arbeit in Halle-Neustadt. Friedemann Rösel Walter Schilling – war ein neuer Ansatz der und Gunter Preine wurden verhaftet. Sie hatten – evangelischen Jugendarbeit in den 1970er Jahren gemeinsam mit Rochau – regimekritische Texte und antwortete auf die Umfeldbedingungen in der diskutiert und über Veränderungen in der DDR DDR. 1967 – nur zehn Jahre zuvor – war die nachgedacht. evangelische Gemeinde Halle-Neustadt gegründet worden. Lothar Rochau und sein Team entwickel- Ein Mitglied der Gruppe war der IMB »Frank Krü- ten schnell einen Alltagsbetrieb aus Themen- ger« alias Lothar Niederehe. abenden, Seelsorge und praktischer Hilfe mit Sprechstunden, Hauskreisarbeit und Rüstzeiten. Nach der Verurteilung von Preine und Rösel zu je Schätzungen der Staatssicherheit zufolge sammel- zwei Jahren und sechs Monaten Haft beschloss ten sich wöchentlich bis zu 150 Jugendliche und die Gemeindeleitung Mitte Oktober 1982, dass junge Erwachsene zwischen 15 und 25 Jahren. »die Jugendarbeit von Rochau nicht mehr ver- Die Offene Arbeit wuchs schnell weiter, die antwortet werden kann«. Ein Votum des Konsis- »Kunden« reisten bei den jährlich zweimal statt- toriums bestätigte diese Einschätzung. findenden Werkstatt-Treffen mit 400 bis 800 jun- gen Menschen von weither an. Daraufhin forderte die Gemeindeleitung Halle- Neustadt nun vom Kreiskirchenrat die Entbin- Für die Kirchengemeinde entstanden nun nicht dung Rochaus von seinem Amt. Der Kirchenkreis nur logistische Probleme und Konflikte. Die als Arbeitgeber des Jugenddiakons empfahl Ro- Staatsmacht schaltete sich sehr früh ein, als die chau daraufhin – ohne Zustimmung seiner Dia- bereits mit Auftrittsverbot belegte Liedermacherin konen-Bruderschaft – am 15. Februar 1982 den Bettina Wegner und der Erfurter Karikaturist Ali Stellenwechsel, dem er zuvor nur unter Vorbehalt Kuhn zur vierten Werkstatt 1979 eingeladen wur- zugestimmt hatte. Der Kirchenkreis strebte weiter den. Im Anschluss erfolgten Aussprachen, neue eine einvernehmliche Lösung mit Lothar Rochau Konflikte, Auflagen, Untersagungen. außerhalb von Halle-Neustadt an und wollte die Jugendarbeit in Halle-Neustadt fortführen. Ro- Die Geheimpolizei und ihre Helfershelfer insze- chau entschied sich dennoch für das Weiterma- nierten mit den Methoden der »Differenzierung« chen in Halle-Neustadt. und »Zersetzung« mehrere Konflikte und organi- sierten Zwietracht zwischen Kirchenleitung, Ge- Den zunehmend eingeschränkten Kontakt zur meinde und Offener Arbeit. Schlüsselfiguren wa- Kirchengemeinde unterhielt maßgeblich Katrin ren dabei Oberkonsistorialrat Detlef Hammer Eigenfeld als Mitglied der Gemeindeleitung. Der (Offizier im besonderen Einsatz, Deckname »Det- Kirchenkreis leistete Unterstützung. lef«) und Rechtsanwalt Wolfgang Schnur (IMB »Torsten«). Für Rochau, nun offiziell zu Weiterbildungszwe- cken beurlaubt, begann eine erfolglose Suche nach neuen Arbeitsmöglichkeiten im gesamten 32yy35/2018yepd-Dokumentation

Gebiet des Bundes der Evangelischen Kirchen der Am 31. Oktober 1983 setzte sich eine Delegation DDR. Aber wo auch immer er hinkam, immer gab der westdeutschen Bundestagsfraktion »Die Grü- es Gründe, die gegen ein Arbeitsverhältnis spra- nen« bei Erich Honecker für die Freilassung von chen. Katrin Eigenfeld und Lothar Rochau ein. Am 1. November 1983 wurde Katrin Eigenfeld aus der Die Kirchenleitung schien nicht nur auf Grund Haft entlassen. Am 10. November 1983 stellte des Zersetzungs- und Differenzierungsprozesses Lothar Rochau den Antrag auf Entlassung aus der der Staatsmacht der Entwicklung machtlos ge- DDR-Staatsbürgerschaft, am 1. Dezember 1983 genüber zu stehen. Vermeintlich blieb dem Kir- wurde er in die Bundesrepublik abgeschoben. chenkreis nur die fristgemäße Kündigung zum Seine Familie folgte Anfang 1984. Ende Februar 1983 – vor 35 Jahren. Das staatliche Ziel der Personifizierung des Konfliktes war er- Das erste Kapitel der Offenen Arbeit Lothar Ro- reicht und mit der Entlassung des Jugenddiakons chaus endete 1982/1983 mit seiner Entlassung als erfolgreich beendet worden. kirchlicher Mitarbeiter, seiner erst darauf folgen- den Verhaftung und im Gefängnis erzwungenen Der nun ehemalige Jugenddiakon und seine Fa- Ausreise. Das zweite Kapitel wurde mit seiner milie wurden offen durch die Staatssicherheit Rückkehr nach 1990 mit der erneut verweigerten observiert. Am 23. Juni 1983 erfolgte die Verhaf- Wiederanstellung durch den Kirchenkreis begon- tung Rochaus. Er wurde in die MfS- nen. Erst 2016 erfolgte eine finanzielle Wieder- Untersuchungshaftanstalt »Roter Ochse« in Halle gutmachung durch den Kirchenkreis, die der Tan- gebracht und wochenlang verhört. Dabei wurde sania-Stiftung Rochaus zugutegekommen ist. Die eine über 1.000 Seiten starke Anklageschrift er- strafrechtliche und berufliche Rehabilitierung stellt. durch den Staat ist auf Antrag direkt 1991 ge- schehen, durch die Kirche fehlt sie bis heute. Zusätzlich war am 31. August 1983 Katrin Eigen- feld als Mitglied des Vorbereitungskreises für den Zum Kapitel Lothar Rochau und Offene Arbeit Weltfriedenstag festgenommen worden. Die Offe- gehören die Verhaftung und Verurteilung weiterer ne Arbeit in Halle-Neustadt war zerschlagen. Mitglieder der Offenen Jugendarbeit in Neustadt: Friedemann Rösel, Gunther Preine, Katrin Eigen- Am 6. September 1983 wurde der Prozess gegen feld. Diese Ereignisse gehören zu den umstrittens- Lothar Rochau vor dem Bezirksgericht Halle er- ten, schmerzhaftesten und folgenreichsten Kapi- öffnet. Am 16. September 1983 erfolgte die Ur- teln der KPS-Kirchengeschichte überhaupt. Es teilsverkündung im Prozess gegen Rochau: Drei war einer der herausragenden Fälle des zerset- Jahre Freiheitsentzug wegen »staatsfeindlicher zenden und brutalen Vorgehens des Staates gegen Hetze« sowie »Beeinträchtigung der staatlichen kirchliche Jugendopposition im letzten Jahrzehnt und gesellschaftlichen Tätigkeit«. der DDR.

Ende September 1983 informierten westdeutsche Heute arbeitet der Jugenddiakon Lothar Rochau Medien über die Verurteilung. Lothar Rochau unter anderem als Zeitzeuge in seiner ehemaligen ging in Revision vor das Oberste Gericht der Stasi-Untersuchungshaftanstalt und heutigen DDR. Nach der Ablehnung durch das Oberste Gedenkstätte »Roter Ochse« in Halle (Saale) und Gericht der DDR nötigte Rechtsanwalt Schnur berichtet Jugendlichen über seine Erfahrungen dem Verurteilten den Antrag auf Ausbürgerung mit der SED-Diktatur. Außerdem ist er als Om- zu stellen, da auch seine Kirche keinerlei Mög- budsmann der Stadt Halle(Saale) und als Stif- lichkeiten einer Weiterbeschäftigung nach einer tungsvorsitzender der »Lothar Rochau-Stiftung« Verbüßung der Haftstrafe sähe. tätig, die sich im Süden von Tansania um behin- derte Kinder und Jugendliche kümmert.

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Sibylle und Reinhard Weidner Johannes Beleites

Reinhard Weidner, Jahrgang 1947, zog Mitte der kussionen und erreichten so eine immer größere 70er Jahre gemeinsam mit seiner Frau Sibylle als Öffentlichkeit. Im August thematisierten die Ost- junger Pfarrer nach Dittersdorf in Thüringen. Berliner Umweltblätter die Zustände rund um Dittersdorf ist ein kleines Dorf am Ostrand des Knau und Dittersdorf. Im Oktober veranstalteten Naturschutzgebietes der Plothener Teiche, unweit die Pfarrer Weidner und Taeger in Plothen zum der A9 südlich von Triptis. Erntedankfest einen Umweltgottesdienst. Jetzt hatten sie die volle Aufmerksamkeit von SED und Ebenfalls Mitte der 70er Jahre begann westlich Staatssicherheitsdienst auf allen Ebenen. An der von Dittersdorf der Bau einer riesigen Mastanlage Umweltsituation änderte sich jedoch nichts. Wie für bis zu 185.000 Schweine. Größtes Problem erschreckend diese war, schilderte Peter Pragal neben den Haltungsbedingungen – die aber nur am 3. November 1988 in einer Reportage für den Insidern bekannt waren – war die riesige Menge Stern. Er war mit Reinhard Weidner einen Tag von täglich 2.700 Kubikmetern Gülle – dem Klär- lang rund um den Schweinebetrieb unterwegs anfall einer Stadt wie Leipzig. Auf 200 ha befan- gewesen. den sich zahlreiche Gülleseen, die durch ihre Ausdünstungen die Wälder ringsum absterben Spätestens jetzt, Weidner war mit Foto und Zita- ließen. Den Bewohnern und Besuchern der um- ten im Stern erschienen, kümmerte sich die Stasi liegenden Dörfer bot sich ein geradezu apokalyp- nicht nur um die Umweltgruppe insgesamt, son- tisches Bild, die Schweinerei stank zum Himmel. dern speziell um Sibylle und Reinhard Weidner. Im Februar 1989 legte die MfS-Kreisdienststelle Reinhard und Sibylle Weidner nahmen die Sorgen Schleiz den Operativen Vorgang »Drohne« zu den ihrer Gemeindeglieder auf und initiierten Mitte Eheleuten Weidner an. Ausschlaggebend war der 80er Jahre gemeinsam mit dem zehn Jahre auch die Herstellung einer eigenen Samisdat- jüngeren Pfarrer Peter Taeger aus dem Nachbar- Publikation des Umweltkreises, der »Leidplanke«. dorf Knau die »Christliche Ökogruppe Knau/ Dit- Die Stasi verstärkte Weidners Einkreisung durch tersdorf«. Inoffizielle Mitarbeiter sowie durch Post- und Telefonüberwachung, aber sie planten auch ge- Im Frühjahr 1987 ging die Gruppe in die Öffent- zielte Zersetzungsmaßnahmen, u.a. die »Diffa- lichkeit. Es gab Gespräche kirchlicher Amtsträger mierung des Pfarrers gegenüber der ELKT« mit dem Rat des Kreises und der SED-Kreisleitung (Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen). Schleiz. Die Umweltgruppe veranstaltete Baum- Daran und an der innerkirchlichen Disziplinie- pflanzaktionen, beteiligte sich am Öko-Kirchentag rung Weidners beteiligt waren auch zwei Ober- in Gotha und veranstaltete den ersten Umwelttag kirchenräte: Christoph Thurm, Visitator des Kir- in Knau. Reinhard Weidner hielt im Rahmen der chenbezirks Ost und IM »Bruno Köhler«, sowie Friedensdekade Vorträge in Altenburg. Martin Kirchner als juristischer Oberkirchenrat und IM »Hesselbarth«. 1988 eskalierte die Situation. Zwar gab es weiter- hin Gespräche zwischen staatlichen und kirchli- Jetzt leistete die Stasi ganze Arbeit. Bei der im chen Vertretern, die Umweltgruppe wurde jedoch Frühjahr 1989 anstehenden Wahl eines neuen nicht akzeptiert. Im Februar gab es eine Einwoh- Landesjugendpfarrers galt Weidner als aussichts- nerversammlung, zu der Pfarrer Weidner und reichster Kandidat. Auch wenn nicht ersichtlich anderen aus seiner Umweltgruppe der Zugang ist, wer dafür verantwortlich ist, scheiterte Weid- verweigert wurde. Die SED-Kreisleitung Schleiz ners Kandidatur. klassifizierte in internen Informationen Reinhard Weidner nunmehr als Staatsfeind. Der Thüringer Zuvor war es schon zu einer einschneidenden Landesbischof Werner Leich stellte sich aber Begegnung von Weidners mit Landesbischof gleichzeitig in einem Schreiben an den Rat des Leich gekommen. Beim 6. Thüringer Basisgrup- Bezirkes Gera hinter seine Pfarrer und die Mit- pentreffen im März 1989 in Weimar reagierte glieder der Umweltgruppe. Leich nur sehr ausweichend auf eine Frage Sibyl- le Weidners nach dem Schutz der Landeskirche Auf Jugendtagen und Kirchentagen waren die gegen staatliche Übergriffe auf ihren Mann und Gruppenmitglieder weiterhin aktiv, sie zeigten ihren Sohn. Nach Weidners Erinnerung sagte er Ausstellungen, beteiligten sich an Podiumsdis- vor allen Anwesenden, dass die Kirche sie nicht 34yy35/2018yepd-Dokumentation

schützen könne und sie letztlich den Leidensweg Landeskirche die Ordinationsrechte wieder zuer- Christi gehen müssten. Weidners mussten diese kannt wurden. Äußerung als deutliche Entsolidarisierung auffas- sen; sie fühlten sich schutzlos der DDR- Er erinnert sich, dass er auf der Grundlage eines Staatsmacht ausgeliefert. Diese kam auch in Per- »Reinigungsgesetzes« aus der Nachkriegszeit, das son zweier Stasi-Mitarbeiter ins Pfarrhaus und ursprünglich für die ehemaligen DC-Pfarrer ge- drohte Reinhard Weidner mit Verhaftung. schaffen worden war, wieder in den thüringi- schen Pfarrdienst übernommen und dann zum Gleichzeitig eröffnete ihnen eine Nachbarin, dass Dienst in Württemberg befristet freigestellt wur- sich einer von Weidners Söhnen ihr anvertraut de, jedoch mit der Auflage der Rückkehr nach hätte und angesichts des massiven politischen Thüringen. Im Dezember 1991 bekam er eine Drucks der Schule gegen ihn vom Kirchturm befristete Pfarrstelle zur Anstellung in Sindelfin- springen wolle. Spätestens jetzt sahen sie nur gen. Verschiedene Gespräche mit Bischof Leich noch einen Ausweg: Am 16. Mai 1989 stellte Fa- sowie die Vorlage seiner Stasi-Akten führten zwar milie Weidner einen Ausreiseantrag. Sibylle zu einer Entschuldigung des Thüringer Landesbi- Weidner erkrankte angesichts dieses Druckes schofs, entgegen den damit erfolgten Zusicherun- schwer; unter den Folgen leidet sie bis heute. gen jedoch nicht zu einer Übernahme Weidners in die Württembergische Kirche. Diese Unsicher- Auch wenn die Stasi damit eigentlich einen Erfolg heit beendeten Weidners mit ihrer Entscheidung, verbuchen konnte, ließ sie nicht locker. Über den ein Stellenangebot der Kurhessischen Landeskir- Landeskirchenrat sollte die Aberkennung der che anzunehmen. Im Oktober 1992 konnte Rein- Ordinationsrechte Weidners betrieben werden. hard Weidner in einem befristeten Angestellten- Mit Erfolg: Am 30. August 1989 konnte die Fami- verhältnis die Pfarrstelle Wichmannshausen bei lie ausreisen, zuvor musste Reinhard Weidner Eschwege übernehmen. Zehn Jahre später wurde seine Ordinationsurkunde zurückgeben. ihm diese Pfarrstelle endgültig übertragen, so dass er dort bis zu seinem Ruhestand seinen Wie von der Stasi beabsichtigt, erwartete ihn im Dienst versehen konnte. Westen keine neue Pfarrstelle, sondern die Ar- beitslosigkeit. Von ihrer Partnergemeinde in der Heute leben Weidners nicht weit von Wich- Württembergischen Landeskirche wurden sie mannshausen auf Thüringer Seite im Eichsfeld. herzlich aufgenommen und unterstützt; beim Die Nichtübernahme in den beamteten Pfarr- Oberkirchenrat in Stuttgart fand Weidner kein dienst spüren sie monatlich in einer nicht uner- Gehör. Nach dem Ende der SED-Diktatur brauch- heblichen Differenz bei den Ruhestandsbezügen. te es noch eine Weile, bis ihm von der Thüringer

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»Mit meinem Gott überspringe ich Mauern?« (Psalm 18,30)1 Von Thomas Naumann

Versöhnung und Aufarbeitung. Erstes Forum Stasispitzel und bekamen ihren Wohnraum zu zum Bußwort des Landeskirchenrats der Evan- diesem Zweck zugewiesen. Nach Jahren der Ar- gelischen Kirche in Mitteldeutschland zum beitslosigkeit fand meine Frau Marina dann 1987 Buß- und Bettag 2017. 26. Mai 2018, Theologi- eine 50%-Anstellung als Lehrerin am Kirchlichen sche Fakultät der Martin-Luther-Universität Proseminar in Naumburg. Angesichts unseres Halle-Wittenberg erfolglosen Engagements, staatlicher Drangsalie- rung und zunehmender Verbitterung entschlossen Liebe Schwestern und Brüder, verehrte Anwe- wir uns im August 1988 schweren Herzens, den sende, Antrag auf Ausreise zu stellen. Wir haben diesen Antrag ausschließlich mit den politischen Ver- ich danke der Evangelischen Kirche in Mittel- hältnissen in der DDR begründet. Wir wollten ein deutschland für ihr Bußwort vom November Zeichen setzen. 2017, das mich sehr berührt hat, und auch dafür, dass dieses Forum heute stattfinden kann. Ich II. möchte Sie sehr ermutigen, diesen Weg weiter zu gehen und den mit dem Bußwort begonnenen Davon, dass ausgereiste kirchliche Mitarbeiter im Prozess fortzusetzen. Ich bin um eine theolo- Westen Anstellungsschwierigkeiten bekamen, gisch-biografische Reflexion meiner Erfahrungen hatten wir vage gehört. Von einer Vereinbarung mit der evangelischen Kirche im Zusammenhang jedoch zwischen den Ost- und Westkirchen dar- unserer Ausreise gebeten worden und stelle sie über, dass ausgereiste Pfarrer im Westen nicht unter einen Satz aus Psalm 18,30: »Mit meinem mehr angestellt würden oder in einem Diszipli- Gott überspringe ich Mauern«. Allerdings habe narverfahren ihre Ordinationsrechte verlieren und ich diesen Satz – anders als es in Psalm 18 ge- nicht wieder erlangen konnten, davon wussten schieht – nicht mit einem Jubelton und Ausrufe- wir damals nichts. Es hat mich auch nicht so zeichen versehen, sondern mit einem Fragezei- interessiert. Wir waren innerlich so mit dem »Ge- chen. Davon soll nun die Rede sein. hen oder Bleiben«, beschäftigt, dass wir Pläne für das, was beruflich später einmal sein könnte, gar I. nicht machten. Vollkommen gebannt und in An- spruch genommen von der politischen Situation Meine Frau Marina und ich haben von 1978-1988 in der DDR, die wir als extrem bedrängend und bis zu unserer Ausreise in Halle gelebt. Ich bin in zunehmend als aussichtslos empfanden, und der einer Görlitzer Pfarrfamilie aufgewachsen, Jahr- wir entrinnen mussten und wollten, machten wir gang 1958, habe in Halle Theologie studiert, war uns über ein Leben jenseits der Grenze kaum danach hier 4 Jahre wissenschaftlicher Mitarbei- Gedanken. Eigentlich wussten wir nur, wie wir ter, wurde 1988 promoviert, war Vikar der Kir- nicht mehr leben konnten und dass wir die Zeit chenprovinz Sachsen und habe verantwortlich bis zur Ausreise auch wirtschaftlich irgendwie den Kirchentag im Juni 1988 in Halle mit organi- überstehen mussten. Wir rechneten mit drei bis siert. Hier sind unsere Kinder geboren und einge- vier Jahren Wartezeit. Es ging dann schneller als schult worden. Da meine Frau Marina zu den gedacht. Am 23. Februar 1989 kamen wir mit Gründungsmitgliedern der »Frauen für den Frie- zwei kleinen Kindern und sechs Koffern auf dem den« in Halle gehörte, geriet sie schon frühzeitig Bahnhof in Fulda an. ins Visier der Stasi, wurde 1983 aus dem Schul- dienst entfernt und bekam keine Anstellung Zum Zeitpunkt des Ausreiseantrages waren meine mehr. Berufsverbote wurden in der DDR nicht Frau als Lehrerin und ich als Vikar im kirchlichen ausgesprochen, sondern realisiert. Die Stasi legte Dienst. Ich war in der DDR nur insgesamt zwölf einen »Operativen Vorgang« an2 und leitete die Monate als Vikar in einem kirchlichen Anstel- üblichen Zersetzungsmaßnahmen ihrer Person lungsverhältnis. Vor unserer Ausreiseentschei- ein, mit Beschattung und Kontrolle, Zerrüttungs- dung haben wir das Gespräch mit der Kirchenlei- versuchen des persönlichen Umfelds, heimlichen tung der Evangelischen Kirche der Kirchenpro- Wohnungsdurchsuchungen bis hin zu »Inoffiziel- vinz Sachsen (KPS) nicht gesucht, sondern ihr len Mitarbeitern« (IM) in der gemeinsamen Teil- erst danach unsere Entscheidung mitgeteilt. Die wohnung, in der wir lebten. Die Nachbarn, mit Kirchenprovinz Sachsen hat auf unseren Ausrei- denen wir Flur und Toilette teilten, waren unsere seantrag so reagiert, dass meine Frau nach einem 36yy35/2018yepd-Dokumentation

Gespräch mit der Kirchenleitung und der Schullei- charakterlich problematische, konfliktbereite tung in Naumburg im kirchlichen Dienst verblei- Personen. Schwöbel hat nicht einmal gesagt, dass ben konnte, also nicht entlassen wurde. Ich sel- er es bedauere, mir eine solche Auskunft geben ber schied nach Beendigung des Vikariats im zu müssen. Das zwischen Ost- und Westkirchen September ohnehin aus dem kirchlichen Dienst abgestimmtes Verfahren oder eine Empfehlung aus, konnte aber im Herbst 1988 noch das Zweite der Kirchenprovinz Sachsen wurden nicht er- Theologische Examen ablegen. Im September wähnt. Schwöbel hat auch keine anderen berufli- oder Oktober 1988 wurden wir von Bischof Chris- chen Wege im Raum der Kirche, der Diakonie toph Demke zu einem persönlichen Gespräch oder als Religionslehrer in der Schule erwähnt, nach Magdeburg eingeladen. Er kannte uns beide, geschweige denn eröffnet. Er wollte einfach nur Marina durch die »Frauen für den Frieden«, mich »ohne Ansehen der Person« die Tür zuschlagen. vom Kirchentag. Ich habe dieses Gespräch in Ich habe dann noch nachgefragt, ob diese Aus- guter Erinnerung. Demke zeigte Verständnis für kunft nur für die augenblickliche Situation gelte unsere Bedrängnisse und wollte einfach Näheres und ob ich in späteren Jahren noch einmal vor- hören. Er bedauerte unsere Entscheidung sehr als stellig werden könne. Ich bekam zur Antwort, einen Verlust für die evangelische Kirche und dass dies eine endgültige Auskunft sei. Daraufhin wünschte uns alles Gute und Gottes Segen. Dem- habe ich das Gespräch abgebrochen und sinnge- ke verlor aber auch kein Wort darüber, dass es mäß gesagt: Ich war vor wenigen Wochen mit seit Jahren in der Kirchenprovinz Sachsen etab- meiner Frau bei Bischof Demke in Magdeburg lierte Disziplinarverfahren gegen ausreisewillige und habe mich verabschiedet. Demke hat uns Pfarrerinnen und Pfarrer gab, und dass die West- zumindest verstanden und er hat mich nicht als kirchen ausgereiste DDR-Theologen nicht oder »Hirten, der die Herde verlassen hat«, gesehen. nur in seltenen Ausnahmefällen wieder anstell- Von einem Oberkirchenrat in Darmstadt kann ich ten.3 Das hat uns dann erst in der Bundesrepublik mir diesen Vorwurf nicht machen lassen. Ich wies eingeholt. noch darauf hin, dass ich weder ordiniert sei noch je in Gemeindeverantwortung gestanden III. und auch keine Gemeinde verlassen habe. Dann verließ ich den Raum und brauchte eine ganze Nachdem wir uns in der für uns ganz neuen und Weile, um mich zu beruhigen, so dass ich mit fremden Umgebung einigermaßen sortiert hatten, dem Auto an unseren Wohnort zurück fahren habe ich mich in verschiedenen Richtungen um konnte. Am meisten hat mich die Verweigerung Arbeit bemüht. Unter anderem schrieb ich an die gedemütigt, unsere konkreten Lebensverhältnisse Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, der auch nur anzusehen. Ich habe diese Unterredung Partnerkirche der Kirchenprovinz Sachsen. In als kirchlich verhängtes und sehr weit reichendes diesem Brief schilderte ich unsere Lage und bat Berufsverbot verstanden. Denn es war nicht nur um einen Vorstellungstermin. Es dauerte acht auf Tätigkeiten als ordinierter Pfarrer bezogen, Wochen, bis ich eine Antwort bekam und zu sondern auf alle Tätigkeiten bei einem so großen einem Termin ins Landeskirchenamt nach Darm- Arbeitgeber wie der Evangelischen Kirche in der stadt eingeladen wurde. Offenbar hatte man in Bundesrepublik. Es ging noch darüber hinaus, der Zwischenzeit Rücksprache mit der Kirchenlei- weil auch der Weg als Religionslehrer im staatli- tung in Magdeburg gehalten. Wie ich heute weiß, chen Schuldienst durch die Notwendigkeit einer hat in Magdeburg wahrscheinlich ein sogenannter kirchlich erteilten »vocatio« ausgeschlossen war.4 »Freigabeausschuss« beraten und im Blick auf Und ich verstehe alle ähnlich Betroffenen, die meine Person einen Beschluss gefasst, der der nach solchen Erfahrungen ihrer evangelischen hessischen Partnerkirche übermittelt wurde. Das Kirche, in der sie einmal als Pfarrerin oder als Gespräch in Darmstadt führte ein Oberkirchenrat Pfarrer arbeiten wollten, ganz den Rücken ge- Schwöbel, es waren aber mehrere Personen der kehrt haben. Kirchenleitung anwesend. Nach meiner Erinne- rung waren Ton und Ziel dieses Gesprächs ganz Dies war meine erste Begegnung mit der evange- klar: Ich sei ein »Hirte, der die Herde verlassen lischen Kirche in der Bundesrepublik. Und da ich habe«. Aus Solidarität mit den Schwestern und dann bald eine befristete Assistentenstelle an der Brüdern in der DDR stelle man keine »entlaufe- Theologischen Fakultät der Universität in Bern nen Pfarrer« ein. Und man tue dies ausdrücklich antreten konnte, habe ich nicht wieder als Bitt- ohne Ansehen der konkreten Person und ihrer steller bei kirchlichen Stellen irgendwo anklopfen individuellen Lage. Überdies habe man in Hes- müssen. Jahre später habe ich meinem Siegener sen-Nassau auch keine guten Erfahrungen mit Kollegen Martin Stöhr gegenüber, der die Kirche Pfarrern gemacht, die es in der DDR nicht aus- in Hessen-Nassau sehr gut kennt, weil er lange hielten. Sie seien nicht anpassungsfähig und oft Studienleiter an der Akademie der hessischen epd-Dokumentationy35/2018yy37

Kirche in Arnoldshain war, mein Darmstädter abzubrechen, und angesichts der unabsehbaren Erlebnis knapp angesprochen. Er meinte, die Folgen auch natürlich gewesen wäre. Ich kannte Kirchenleitung hätte so reagieren müssen, weil es zwar das Bild aus Psalm 18,30: »Mit meinem Gott diese Absprache mit den ostdeutschen Kirchen überspringe ich Mauern.« Aber der Gott, den ich gegeben habe. Und er könne das angesichts der kannte, das war der Gott, der bei denen blieb, die damals dramatischen Umstände auch verstehen. wir zurück ließen. Für mein damaliges Empfin- Schließlich seien die ostdeutschen Kirchen regel- den galt eher: wenn schon Mauern überspringen, recht ausgeblutet. Dieses Argument habe ich seit- dann ohne Gott und womöglich gegen Gott. her vielfach gehört. Wann immer ich dieses The- Die DDR-Theologie war in der Frage von »Gehen ma im Westen unter Kollegen oder Kirchenleuten oder Bleiben« eine ganz ortsfixierte »Theologie angesprochen habe, was selten geschah, gab und des Bleibens« einer leidensbereiten Gemeinschaft gibt es bis heute immer die gleiche Reaktion. Die von unerschütterlichen Aufrechten an einem Ort. entsprechende Vereinbarung zwischen Ost- und Die Hirtenbriefe, in denen die Ausreisethematik Westkirchen wird als alternativlos gerechtfertigt, angesprochen wurde, sprechen hier eine sehr die Folgen für die Betroffenen geraten dabei gar klare Sprache. Ich nenne als Beispiel den heute nicht in den Blick. Und es berührt mich tief, schon mehrfach erwähnten Brief des Magdebur- wenn ich heute auf diesem Forum höre, dass die ger Bischofs Werner Krusche »Weise mir Herr Repressalien, denen ausgereiste Pfarrerinnen und deinen Weg«, den er in der Passionszeit 1976 an Pfarrer durch die Westkirchen bei ihren Versu- die kirchlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen chen ausgesetzt waren, die Ordinationsrechte geschrieben hat. Bleiben in der DDR, das war wieder zu erlangen, als bedrückender erlebt wur- nicht nur das ethisch und moralisch Gebotene aus den als die Drangsalierungen durch die Stasi. Solidarität mit den Menschen und der Gemeinde, sondern auch das, was Gott will, »der Gehor- IV. samsweg des Glaubens«, schrieb Werner Krusche. Und wer die Ausreise erwog, weil er von jahre- Der Vorwurf vom »Hirten, der die Herde verlas- langen Repressalien erschöpft seine Hoffnung sen hat« hat mich tiefer getroffen, als ich mir verlor und sich und seinen Kindern ein anderes damals eingestehen wollte. Er berührte einen Leben wünschte, der bekam gesagt, dass dies sensiblen und tiefsitzenden Nerv in mir, eine Art selbstsüchtige Motive seien: »Weise mir, Herr Dauerschmerz. In der Tat war in der DDR theolo- deinen Weg«, das bedeute die Bitte an den göttli- gisch alles auf das »Bleiben« eingestellt gewesen. chen Herrn der Kirche »verwehre mir alle Wege, »Bleibe an dem Ort (an den dich Gott gestellt hat) auf die ich aus bin, weil das Vertrauen nicht und wehre dich täglich«, war einer der Slogans, mehr reicht. Weise mich ein in deinen Passions- die halfen, die oft bedrängende Situation, als weg […]«. »Verwehre mir alle eigenen Wege. Christ in der DDR zu leben, anzunehmen. Mit Nicht nur den Fluchtweg in den Westen«,, son- dieser Haltung haben schon meine Eltern in ih- dern auch den Weg der totalen Anpassung oder rem Pfarramt in der DDR gelebt. Manchmal kam der inneren Emigration. Denn der Herr sagt: »Ich noch hinzu, dass man die Gemeinde nicht im brauche dich hier […] geh nicht weg.« Und wenn Stich lassen und verraten könne. Solche Sprach- du in der DDR bleibst, dann wird »der Gehor- muster kannte ich schon seit frühester Kindheit samsweg, den du gehst, […] auch deinen Kindern und so dachte ich auch noch, als wir uns dann nicht zum Verhängnis werden, sondern er hält dennoch zur Ausreise entschlossen. Erfahrungen für sie bereit, die ihr Leben tief und reich und sinnhaft machen.« Werner Krusche Es wäre mir auch nie in den Sinn gekommen, schließt seinen Pastoralbrief an die Mitarbeiter im unsere Ausreise in irgendeiner Weise theologisch Verkündigungsdienst mit dem Wunsch: »Ich zu begründen, obwohl biblische Texte dazu viel möchte mit Ihnen bewahrt bleiben vor dem fal- Stoff geboten hätten. Dass der biblische Gott auf schen Weg oder von ihm zurück geholt werden.«5 den Wegen ins Offene mitgeht, dass er aus der Knechtschaft in die Freiheit führt, dass er fürsorg- Wenn man diesen Brief, den ich 1988 nicht kann- lich ist und ein großer Helfer auf der Flucht aus te, als ein Mensch liest, der sich in der Frage dem Elend, das war für uns damals überhaupt »Gehen oder Bleiben« für den Antrag auf Entlas- kein Thema, auch nicht für mich. Niemals wäre sung aus der Staatsbürgerschaft der DDR mit ich auf die Idee gekommen, für unseren Ausrei- allen Konsequenzen entschieden hat, dann er- sewunsch biblische Texte oder göttlichen Bei- kennt man in den sanften Worten eine ungeheure stand in Anspruch zu nehmen, was ja eigentlich Übergriffigkeit und Stigmatisierung abweichender nahe gelegen hätte und angesichts dieser schwe- Lebensentscheidungen. Die kirchlichen Barrieren ren Lebensentscheidung, alle bisherigen Lebens- werden auf der moralischen wie auf der theologi- brücken ohne Rückkehroption ein für alle Mal schen Ebene unverrückbar einzementiert, die 38yy35/2018yepd-Dokumentation

Mauer wird buchstäblich bis an den Himmel er- und demokratischer Freiheitsrechte, das ökologi- richtet. Gott ist bei den Bleibenden, »die den Weg sche Desaster. All dies waren keine Gründe, die des Gehorsams gehen«. Die anderen gehen einen kirchlicherseits akzeptiert wurden. Pfarrer, die falschen Weg der Selbstsucht, egal, was ihre dennoch einen Ausreise-Antrag ohne kirchlich Gründe sind. Gott ist nur mit Euch, wenn Ihr gerechtfertigte Gründe stellten, bekamen ein Dis- bleibt. Denn Gott ist bei uns in unserem Leiden, ziplinarverfahren, das in die Aberkennung ihrer nicht bei denen, die uns verlassen. Und überdies: Ordinationsrechte mündete. Wer angesichts die- wer bleibt, wählt den »schwereren Weg«, wer den ser kirchlichen Verfahrensweise einen Ausreise- Weg der Ausreise geht, wählt den »leichteren antrag stellte, ohne den kirchlichen Arbeitgeber Weg«. Völlig beiseite gewischt werden die trau- und Dienstherrn vorher zu kontaktieren, dem matischen Erfahrungen einer Ausreise. Schon das wurden alle Aussichten auf eine »Freigabe« und Wort »Ausreise« ist für das, was sie bezeichnet, Wiedererlangung der Ordinationsrechte genom- eine grobe Verharmlosung. Es ging um den Ab- men. Zwar heißt es in den kirchlichen Kriterien, bruch tragender Sozialbeziehungen, ohne Aus- dass um der Gerechtigkeit willen Einzelfallprü- sicht auf weitere Kontaktpflege, die Unsicherhei- fungen durchzuführen sind. Aber wie die nur ten für das, was kommt (s.o.). Dies galt als »der enden konnten, ist klar festgelegt. Das sind die leichtere Weg«.6 Hier gewinnt eine seelsorgerlich Verfahrensregeln, welche in der Kirchenprovinz gewiss berechtigte Ermutigung zum Bleiben in Sachsen im Oktober 1974 beschlossen wurden der DDR die Gestalt einer repressiven Bleibe- und die sie »fortan als strenge Richtschnur« (S.65) Ideologie, die (nach dem Zwei-Wege-Modell bib- nutzte und bis 1989 ihrem Umgang mit ausreise- lischer Weisheitslehre) den Weg der Gerechten willigen Pfarrern zugrunde legte. gegen den Weg der Frevler stellt. Auch die offene biblische Bitte hinter der Jahreslosung 1976 Der politische Hintergrund dieser »Neuregelun- »Weise mir Herr, deinen Weg«, ist in diesem Hir- gen« war die »Konferenz für Sicherheit und Zu- tenwort längst beantwortet. Es ist ein Ausgren- sammenarbeit in Europa« (1973-1975), deren zungsdiskurs, der mit religiöser Vollmacht genau Schlussakte von Helsinki auch von der DDR- weiß, was richtig und falsch ist. Wer den falschen Regierung unterzeichnet wurde. In diesem Zu- Weg wählt, schließt sich selbst aus: aus der Ge- sammenhang beriefen sich vermehrt auch kirchli- meinschaft der Gerechten, aus der Nachfolge che Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf das Christi, aus Gottes Heil. Recht der Reisefreiheit und der ständigen Ausrei- se, weshalb aus Sicht der Kirche eine Neurege- Ich habe erst durch die Dokumentation von lung des alten, aus den 1950er Jahren stammen- Schulze/Schmidt/Zachhuber (s. Anm. 3) gelernt, den Disziplinarverfahrens notwendig geworden dass hinter diesem Hirtenwort von 1976 ein be- war. So bat Bischof Albrecht Schönherr im Auf- reits seit 1974 neu geregeltes und mit der EKD trag der ostdeutschen Kirchenleitungen 1974 in abgestimmtes Disziplinierungsverfahren zum einem Brief an den EKD-Ratsvorsitzenden Lan- Umgang mit ausreisewilligen Pfarrerinnen und desbischof Helmut Claß um »verschärfte diszipli- Pfarrern stand.7 In den kirchlichen Verfahren gab narische Maßnahmen für den Umgang mit ausge- es nur drei Gründe, die eine Wiederanstellung im reisten Pfarrern in der EKD nach Vorgabe der Westen nach einem oder zwei Jahren nach der deutschen Bischöfe«, wie Veronika Albrecht- Ausreise rechtfertigten: eigene schwere Krank- Birkner in ihrem neuen Buch über den ostdeut- heit, die in der DDR nicht sinnvoll behandelt schen Protestantismus schreibt.8 Sie fährt dann werden konnte, Eheschließung oder die Pflegebe- fort: »Als sich Claß und Schönherr im November dürftigkeit alter Eltern in der Bundesrepublik 1977 auf der EKD-Synode gegenseitig erneut des (Familienzusammenführung). Nur in diesen Fäl- Zusammenstehens von Ost- und Westkirche in len hat die ostdeutsche Kirche eine »Freigabe« der Ausreisefrage versicherten, brachte Schönherr erteilt. Für Rückfragen westdeutscher Kirchen im zudem das für die Folgezeit maßgebliche theolo- Blick auf ausgereiste Pfarrer, die um Anstellung gische Argument ein, dass ‚für die ostdeutschen und Wiedererlangung ihrer Ordinationsrechte Christen die DDR der von Gott vorgegebene Ort ansuchten, wurden in den ostdeutschen Landes- sei‘. Weder ,äußere‘ noch ‚innere‘ Emigration kirchen »Freigabeausschüsse« eingesetzt, die ent- kämen für sie in Frage.«9 Bei Schönherr galt der sprechende Beschlüsse fassten und Empfehlungen kirchliche Bleibe-Imperativ nicht allein ordinier- abgaben. Politische Gründe für Ausreisewünsche ten Pfarrerinnen und Pfarrern, sondern für alle wurden kirchlicherseits in keinem Fall akzeptiert. Christenmenschen in der DDR. Was für eine An- Das aber waren die entscheidenden Gründe, die maßung. auch Menschen im kirchlichen Dienst zur Ausrei- se getrieben haben, die staatlichen Repressionen, Dieses disziplinarische Verfahren wurde von ost- die Schulmisere, die Vergewaltigung individueller deutschen Kirchenjuristen gebilligt und dienst- epd-Dokumentationy35/2018yy39

rechtlich begründet. Die westlichen Kirchen ha- er die individuelle Freiheit des Einzelnen, und ben die Freigabeentscheidungen ihrer ostdeut- mutige Gewissensentscheidungen, die abwei- schen Partnerkirchen respektiert und ehemaligen chendes Verhalten begründen, in hohem Maße DDR-Pfarrern die Wiedererlangung ihrer Ordina- respektiert. In den bedrängenden Debatten um tionsrechte je nach den Beschlüssen der ostdeut- die Ausreise, um Gehen oder Bleiben, war von schen Kirchen entweder zugestanden oder ver- dieser Würde freier Gewissensentscheidung nie weigert. Im Vorwort der erwähnten Dokumenta- die Rede. Würde hatte nur der, der blieb. Wer tion wird dankbar vermerkt: »Die Leitungen der ging, folgte selbstsüchtigen, niedrigen Motiven. westlichen Gliedkirchen der EKD haben die Ent- Dabei hätte es durchaus andere sprachliche Mög- scheidungen der DDR-Kirchen immer respektiert lichkeiten gegeben, unterschiedliche Gewissens- und im Einvernehmen mit ihren Partnerkirchen entscheidungen zu respektieren. So sprach man gehandelt. Diese Solidarität ist umso höher zu in der ostdeutschen Kirche im Blick auf den werten, als oft genug in Westdeutschland gefor- Wehrdienst seit den 1960er Jahren davon, dass dert wurde, doch denen sofort zur Wiederanstel- der »Dienst ohne Waffe« (als Bausoldat) ein lung zu verhelfen, die die DDR – endlich! – ver- »deutlicheres Zeugnis« in der Nachfolge Christi lassen konnten.« (S. 12) Als Betroffener steht man sei.10 Dies ließ auch die Möglichkeit zu, sich an- einigermaßen fassungslos vor diesem gesamt- ders zu entscheiden, ohne diskreditiert zu wer- deutschen kirchlichen Repressionsapparat, der den. In den Fragen von Gehen oder Bleiben gab über Jahrzehnte offensichtlich bestens funktio- es nur den harten Kontrast von Licht und Fins- niert hat, und von dem ich damals, als mich der ternis, von Nachfolge Christi und Selbstsucht. Bannstrahl aus Darmstadt traf, überhaupt keine Ahnung hatte. Ein ähnliches Denken war interessanterweise auch in den bürgerbewegten Protestbewegungen Das Hirtenwort von Bischof Krusche hatte das verbreitet: Wer geht, entzieht sich dem Engage- geschilderte und damals vermutlich nicht offen ment, sucht das bessere Leben und ist für uns gelegte disziplinarische Verfahren im Hinter- und für eine Reform der DDR-Gesellschaft verlo- grund, denn es bezieht sich auf einige der ge- ren. Und ich gestehe, ich habe lange Zeit auch so nannten Kriterien. Damit hat die Kirche letztlich gedacht. Wir waren der Meinung, dass die zur genau das Geschäft des Staates unterstützt, der Ausreise Entschlossenen genauso wie die aus Ausreisewillige stigmatisiert und kriminalisiert dem Knast in den Westen abgeschobenen Dissi- hat. Ich unterstelle nicht, dass sie dies beabsich- denten letztlich für die Sache der Reform der tigt hat, aber wenn das Bleiben in der DDR theo- DDR-Gesellschaft verloren waren. Und dass die logisch derart als einzig möglicher Gotteswille Zurückbleibenden denen, die »in den Westen« überhöht wird, fallen diejenigen, die sich trotz- gingen, gerne unterstellten, die gemeinsamen dem anders entscheiden, aus dem Segen Gottes Ziele und Beweggründe des Engagements zuguns- und aus der Gemeinschaft der Kirche, und zwar ten kleinlicher persönlicher Interessen zu verra- durch schuldhaften Selbstausschluss. D.h., sie ten, das haben wir in dieser Zeit nicht selten ge- tragen für diese Ausgrenzung, die sie erleben, die sagt bekommen und auch gehört, noch lange, alleinige Verantwortung. Von hier ist es nicht nachdem die Mauer 1989 gefallen war. Denn wer weit bis zur Rede von den »Hirten, die die Herde sich an die damaligen Debatten erinnert – auch verlassen haben«, schon in der Bibel ein unge- das Bleiben in der DDR brauchte starke, sehr heuerlicher Vorwurf des Verrats an Gott und an starke Beweggründe. seinem Volk. Was wir in Kirchenkreisen oder kirchlich gepräg- V. ten Freundeskreisen selten gehört haben, das ist wenn schon nicht eine Ermutigung, so doch ein Im Hintergrund steht eine – vorsichtig gesagt – Wort des Respekts angesichts einer doch schwe- vordemokratische Gemeinschaftstheorie, in der ren Lebensentscheidung, und der Wunsch, dass Lebensvollzüge kollektiv vorgegeben werden und Gott uns auch dort begleiten möge, wohin wir abweichenden Lebensentscheidungen Anerken- gehen. Auch hier bestimmte der Bleibe-Imperativ nung versagt wird. Im günstigsten Fall werden die Wahrnehmung, die ganz auf die Situation der diese geduldet, d.h. ertragen und ausgehalten, im Bleibenden, die wir verlassen mussten, gerichtet schlimmeren Fall werden sie als Verrat an der blieb. Doch gibt es Ausnahmen, von denen ich Gemeinschaft oder in einem militärischen Bild meine im kirchlichen Dienst befindlichen Eltern gesprochen, als »Fahnenflucht« stigmatisiert, mit und Brüder mit ihren Familien erwähnen möch- den entsprechenden sehr weitreichenden Folgen te.11 für die Betroffenen. Dabei hat sich der Protestan- tismus immer viel darauf zu Gute gehalten, dass 40yy35/2018yepd-Dokumentation

Für mich wurde der Liedtext von Klaus-Peter Kantons Bern-Jura« und besonders unserem Hertzsch »Vertraut den neuen Wegen, auf die der wunderbaren Gemeindepfarrer Markus Wyss und Herr euch weist«, den er für eine Eisenacher dem Gemeindediakon Matthäus Michel und ihren Hochzeit im August 1989 schrieb, einer der ersten Ehefrauen verdanke ich, dass ich mich noch im- und wenigen Impulse einer Theologie in der mer als Mitarbeiter und selbst als Mitglied der DDR, die nicht nur an die Bleibenden dachte, evangelischen Kirche empfinden kann. Ich habe sondern den Horizont in Richtung einer Exil- und aber jedes Verständnis für ähnlich betroffene, Exodustheologie des Unterwegsseins auch für ausgereiste Kolleginnen und Kollegen, die der Flüchtlinge und Migranten öffnete, auch wenn evangelischen Kirche den Rücken gekehrt haben. dies von Hertzsch gar nicht intendiert war.12 »Ver- traut den neuen Wegen, auf die der Herr euch Als sich meine befristeten Arbeitsverhältnisse in weist«. Das hätten wir sehr gern gehört, als wir Bern mit meiner Habilitation ihrem Ende näher- uns im Dilemma von »Gehen oder Bleiben« für ten und ich realistischerweise nicht erwarten das Gehen entschieden. Da aber gab es kein sol- konnte, dass ich auf eine Professur berufen wer- ches Wort, nirgends. Und wir konnten es uns den würde, habe ich mich in Bern als Pfarrer damals leider auch selbst nicht sagen. ordinieren lassen, damit ich in der Lage war, mich auf freiwerdende Pfarrstellen in der Schweiz VI. zu bewerben. Und das wäre auch unser Weg gewesen, wenn es mit der Uni-Karriere nicht wei- Dies sind einige Dimensionen, die verständlich tergegangen wäre. In dieser Zeit (1995 oder 1996) machen, warum der Vorwurf dieses Oberkirchen- habe ich noch einmal an meine alte Heimatkirche rats aus Darmstadt tiefer getroffen hatte, als ich in Magdeburg geschrieben. Der Mauerfall lag mir eingestehen konnte. Auch ich hatte diesen schon mehr als fünf Jahre zurück. Ich schilderte kirchlichen Bleibe-Imperativ seit meiner Jugend- meine Lage und fragte an, ob die Kirchenprovinz zeit tief verinnerlicht. Er motivierte mich einst Sachsen Interesse daran hätte, wenn wir nach zum Pfarrerberuf, dann hielt er uns lange, zu unseren Jahren in der Schweiz für ein Pfarramt in lange, in der DDR und machte uns das Weggehen die Kirchenprovinz Sachsen zurückkämen. Dieser überaus schwer. Nach unserer Ausreise wurde er Brief wurde prompt beantwortet. Man schrieb in für mich noch für viele Jahre zum inneren Vor- knappen Zeilen, man könne sich an mich gut wurf, zu einem Instrument der Selbstbeschädi- erinnern, müsse mir aber mitteilen, dass die Kir- gung. chenprovinz Sachsen kein Interesse an meiner Anstellung als Pfarrer habe. Auch dieser Brief Im Blick auf unsere konkreten Erfahrungen mit klang so, als gäbe es einen Kirchenleitungsbe- der Evangelischen Kirche in Ost- und West- schluss, keine Rückkehrer anzustellen.13 deutschland in den bewegten Jahren 1988/89 muss ich sagen: Durch unsere Ausreise in die Am 12. Januar 1997 wurde ich in Bern ordiniert. Bundesrepublik waren wir dem langen Arm der Nur wenige Tage später erhielt ich den Ruf auf Staatssicherheit glücklich entronnen, nicht aber die Professur in Siegen, die ich mit dem Sommer- dem längeren Arm der ostdeutschen Kirche und semester 1997 antrat. Wieder überschritten wir ihrer westdeutschen »Solidarpartner«. Das wurde Landesgrenzen. Meine frisch erworbenen Ordina- für uns erst anders in der Schweiz. tionsrechte habe ich selbstverständlich behalten, denn ich wurde für die Aufgabe der Verkündi- Wir zogen im September 1989, zwei Monate vor gung des Evangeliums und die Verwaltung der dem Fall der »Mauer«, nach Bern. Der Reformier- Sakramente ordiniert und nicht in eine besondere te Pfarrkonvent hat mich sofort als »Bruder aus Ortskirche hinein. dem Oschtblock« herzlich aufgenommen. Schließ- lich seien in früheren Jahren schon ungarische Nur noch einmal habe ich einen Versuch ge- und tschechische Kollegen ins Asylland Schweiz macht, in die »neuen Bundesländer« zurück zu gekommen und man sei stolz auf diese humanitä- kehren und mich auf eine Professur für Altes re Tradition. Die Pfarrernotkasse half mit einem Testament an einer ostdeutschen Universität be- Überbrückungskredit aus, weil ich mein erstes worben. Ich wurde zu einem Probevortrag einge- Gehalt erst rückwirkend Ende des Anstellungs- laden. Der dortige Fachkollege, den ich aus DDR- monats bekam und wir sonst keine Mittel hatten. Zeiten ganz gut kannte, begrüßte mich und stellte Ich habe mich in der Pfarrerschaft und in der mich vor. Er sprach dabei auch von unserem Berner Kirche sofort aufgenommen gefühlt und bürgerrechtlichen Engagement in Halle und dann während der acht Jahre in Bern immer gern auch von unserer Ausreise in den Worten: »1988 hat pfarramtliche Dienste (oft Gottesdienstvertretun- Herr Naumann wie viele andere auch die Fronten gen) übernommen. Der »Reformierten Kirche des gewechselt.« Ich bin mir nicht mehr sicher, ob er epd-Dokumentationy35/2018yy41

von »Fronten« oder von »Barrikaden« gesprochen lich hinweist. Das ist überhaupt das erste Mal, hat. In jedem Fall war es das militärische Voka- dass ich erlebe, dass sich die Leitung einer Evan- bular der »Desertation« oder des Überläufers. gelischen Kirche den Lebensgeschichten von Be- Wieder schlug der kategorische Bleibe-Imperativ troffenen aussetzt und diese wahrnimmt. Dafür zu. Nur wer geblieben ist, gehört zu uns, zum danke ich sehr und auch für die Aufrichtigkeit in Klub der ‘friedlichen Revolutionäre‘, zu den auf- den Beiträgen und in den Gesprächen. Ich möchte rechten Wegbereitern der ‚Wende‘. Die anderen eine Anregung von Renate Ellmenreich aus der sind ‚desertiert‘. Sie haben uns verraten und ver- Schlussdiskussion aufnehmen, die auch in mei- lassen, weil sie sich damals in den gleichen pre- nem Vortrag unbeachtet geblieben ist, und für kären Verhältnissen anders entschieden haben als mich und meine Frau Marina und vielleicht auch wir, die geblieben sind. Und das verzeihen wir für viele andere festhalten: Wir waren nicht nur ihnen nicht. Meine Bewerbung habe ich dann Opfer von staatlicher und oft auch kirchlicher zurückgezogen und auch keinen weiteren Ver- Repression. Wir waren auch Täter. Wir haben such mehr in dieser Richtung unternommen. etwas gewagt, Widerstand geleistet, mit hohem Risiko und Leidensdruck, wir waren oft tapfer, VII. aber nicht immer, haben viel, manchmal zu viel aushalten müssen, aber dazu auch die Stärke In Nordrhein-Westfalen leben wir jetzt in einigem gefunden, uns einander unterstützt, sind den räumlichen Abstand zu den Orten früherer Erfah- Weg gegangen, den wir meinten, gehen zu müs- rungen. Und das ist gut so. Ich bin immer noch sen, trotz eines beschädigten Lebens. Zwangsläu- leidenschaftlich gern Theologe, bin beruflich mit fig haben wir auch Fehler gemacht, anderen der Ausbildung von evangelischen Religionslehre- Schmerzen zugefügt, weil »nicht immer ritterlich« rinnen und -lehrern und alttestamentlicher For- kämpft, wer mit dem Drachen kämpft. (Wolf schung beschäftigt, arbeite im theologischen Aus- Biermann).15 Wir haben Zeichen gesetzt und da- schuss der Westfälischen Landeskirche, im Vor- ran mitgewirkt, dass die Mauer fiel und die Dikta- stand der Gesellschaft für Evangelische Theologie tur an ihr Ende kam und Freiheit, Offenheit, und in anderen Gremien der Evangelischen Kir- Selbstbestimmung und demokratische Lebens- che mit. formen für viele, auch für die ostdeutschen Kir- chen und Gemeinden, möglich wurden. Diese Glücklicherweise war ich beruflich nie abhängig Würde als Betroffene – als Täter wie als Opfer – von den Entscheidungen der evangelischen Kir- reklamieren wir für uns. che.14 Deshalb hält sich mein Groll trotz der er- wähnten Beschädigungen in Grenzen. Anderen Anmerkungen: mag es da ganz anders ergangen sein. Allerdings 1 mache ich wie andere Betroffene auch die Erfah- Der Text bietet den leicht bearbeiteten und besonders um die rung, dass die vergehende Zeit keine Wunden Darstellung der kirchlichen Disziplinierungsmaßnahmen und ein heilt. Im günstigsten Fall vernarben sie, immer Postscriptum ergänzten Vortrag vom 26. Mai 2018 in Hal- auf dem Sprung wieder aufzubrechen. Dennoch le/Saale. Der Vortragsstil wurde beibehalten. bin ich, wenn ich auf mein Leben zurück blicke, 2 »Operativer Vorgang« (OV) war ein Verfahren des Ministeriums von einer staunenden Dankbarkeit erfüllt. Denn für Staatssicherheit (MfS) zur Bearbeitung feindlich-negativer Gott war mit uns auf unseren Wegen und wir Personen oder Kräfte (d.h. Gruppen) wie es im Stasi-Jargon heißt. erkannten es nicht. Als wir 1988/89 über die Er wurde angelegt, um verdeckt gegen Einzelne oder Gruppen zu Mauer geworfen wurden, habe ich nicht für mög- ermitteln und geheimpolizeilich vorgehen zu können. Gegenüber lich gehalten, dass Gott mit uns ist, und auch der »Operativen Personenkontrolle« (OPK) bildete der OV die nicht darum gebeten oder auf Gottes neue Wege intensivste Form geheimpolizeilicher »Feindbearbeitung«, die vertrauen können. Aber er war mit uns, er hat einen umfangreichen Maßnahmenkatalog von »Zersetzungsmaß- uns »rettend angesehen«, wie er die aus der nahmen« vorsah. Dazu gehörten permanente Beobachtungen Knechtschaft in die Wüste flüchtende Hagar ret- durch inoffizielle Mitarbeiter (IM), Maßnahmen zur Zerrüttung des tend angesehen hat, ohne dass sie darum bat persönlichen Umfelds, Sammlung von Hinweisen, die nach DDR- (Gen 16, Jahreslosung 2017). Er hat uns und un- Strafrecht eine Anklage möglich machten (Kriminalisierung), sere Kinder bewahrt und uns geholfen, weil er ein gezielte Verunsicherungen (in unserem Fall: heimliche, aber Gott ist, der auch Flüchtlingen und Migranten erkennbare Wohnungsbesuche durch die Stasi), u.a.m. seinen Beistand nicht versagt. 3 Zu der Thematik gibt es bis heute nur wenig Literatur. Für die P.S. Auf dem heutigen Forum ist viel von Be- Kirchenprovinz Sachsen kann aber auf einen höchst aufschluss- troffenen und Opfern auch kirchlicher Repression reichen Band verwiesen werden: Rudolf Schulze / Eberhard die Rede gewesen, auf die das Bußwort der Evan- Schmidt / Gerhard Zachhuber: Gehen oder bleiben. Flucht und gelischen Kirche in Mitteldeutschland ausdrück- Übersiedlung von Pfarrern im geteilten Deutschland und die 42yy35/2018yepd-Dokumentation

Gesamtverantwortung der Kirchenleitungen. Leipzig 2002. Das Text von Abrahams Aufbruch aus Ur in Chaldäa »Geh in ein Land, Buch stellt die kirchlichen Regelungen seit den 1950er Jahren das sich dir zeigen will« (Gen 12,1) als Predigttext gewünscht. dar, bietet Einzeldarstellungen von betroffenen Pfarrerinnen und Dies schien Hertzsch »ein guter Trautext: denn bei einer Trauung Pfarrern, sowie einen instruktiven Dokumentationsteil. Die von mir geht es um Aufbruch, Aufbruch ins Künftige, Aufbruch unter zitierten Dokumente sind diesem Band entnommen. Gottes Aufruf und Zusage. Ich habe mir Mühe gegeben, all das in meinem Lied zur Sprache zu bringen.« (S.15) Hertzsch war dann 4 Dass auch die kirchliche »vocatio« für den staatlichen Schul- selbst überrascht, wie stark sein Lied den Nerv des Jahres 1989 dienst ausgereisten DDR-Theologinnen und Theologen verweigert traf und überall gesungen wurde, »weil es eben nicht nur einem wurde, ist der in Anm. 3 genannten Studie zu entnehmen. Trautext entsprach, sondern zugleich dem Lebens- und Zeitge- 5 Der Brief von Werner Krusche ist in dem Anm. 3 erwähnten fühl, das uns in jenem bewegten Jahr der Wende beherrschte.« Band als Dokument Nr. 11, S. 216-220, abgedruckt. (S.16) An anderer Stelle bemerkt er: »Man merkt schon, wie in seinen Zeilen unbeabsichtigt die Erregung jener unruhigen Zeit 6 Wie beschämend und zynisch ein solches Urteil über den leich- mit vibriert.« (S.231) Auf die Fragen von Gehen oder Bleiben, auf ten Weg einer Ausreise ist, mag ein anonymes Auswandererlied die Massenfluchten nach Ungarn im Sommer 1989, auf die vom Ende des 19. Jh.s zeigen, als viele aus Europa in die Neue Ausreisethematik hat er selbst seinen Text nicht bezogen. Auch Welt aufbrachen, das uns damals aus der Seele sprach, und das Hertzsch war ein öffentlicher Verfechter des kirchlichen Bleibe- man sich in der Zupfgeigenhansl-Version bei youtube anhören Imperativs. Er erinnert sich an sein Eröffnungsreferat auf dem kann. Die ersten beiden Strophen lauten: »And‘re, die das Land Kirchentag in Erfurt im Juni 1988 unter dem Motto »Umkehr führt so sehr nicht liebten / war’n von Anfang an bereit zu geh’n. / weiter« und daran, »dass eine Bemerkung darin geradezu tosen- Ihnen – manche sind schon fort – ist besser / Ich doch müsste den Beifall erhielt: Umkehr könne nicht heißen, Rückkehr ins mit dem eig'nen Messer / meine Wurzeln aus der Erde dreh'n. / Gewesene, aber auch nicht einfachen Umsteigen in der Hoffnung, Keine Nacht hab' ich seither geschlafen / Und es ist mir mehr als damit in eine ganz andere Lebenssituation zu kommen, zum weh zumut – / Viele Wochen sind seither verstrichen / Alle Kraft Beispiel von einem Land in ein anderes auszureisen; denn es ist längst aus mir gewichen / Und ich fühl', dass ich daran ver- könne sein, dass man bald feststellt, man sitzt dort noch immer blut'!« im selben Zug nur in einem anderen Abteil, […] aber der Zug 7 Die ab 1973 neu erarbeiteten Regelungen sind in dem Anm. 3 fährt mit allen weiterhin in der falschen Richtung.« (S. 229f.) genannten Band, S. 61ff., ausführlich dargestellt. Dieses letztere Argument findet sich auch in Heino Falckes Ermutigung zum Bleiben in der DDR von 1984 (abgedruckt im 8 Veronika Albrecht-Birkner: Freiheit in Grenzen. Protestantismus Anm. 3 erwähnten Band als Dokument 12, S.220-225.) Ich danke in der DDR, Christentum und Zeitgeschichte, Bd. 2, Leipzig 2018 Klaus-Peter Hertzsch dennoch für seinen Liedtext, den ich auf (im Erscheinen, in Kap. 7.1.) Ich danke meiner Siegener Kollegin eine für mich befreiende Weise missverstehen konnte. Aber eine für Einsicht in das noch unveröffentlichte Manuskript. Der Brief theologische Kritik am Bleibe-Imperativ hat Hertzsch, wie ich von Albrecht Schönherr ist in dem Anm. 3 erwähnten Band als hoffte, offenbar nicht beabsichtigt. Klaus-Peter Hertzsch, Sag Dokument Nr. 10, S. 214-216, abgedruckt. meinen Kindern, dass sie weiterziehn. Erinnerungen, Stuttgart 9 Albrecht-Birkner, ebd. (im Erscheinen, in Kap. 7.1.). Das 2002. Schönherr-Zitat stammt aus einem Grußwort Schönherrs auf der 13 Auf dem Hallenser Forum sprach mich der damalige Personal- EKD-Synode 1977 in Saarbrücken und findet sich bei Claudia dezernent der Kirchenprovinz Sachsen an, der diesen Brief Lepp, Einübung in die Partnerschaft. Die Evangelische Kirche in geschrieben hatte. Er sagte, dass es keinen Kirchenleitungsbe- Deutschland und der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. schluss gegeben habe, Rückkehrer nicht anzustellen. Vielmehr In: Andreas Stegmann (Hg.): Die Evangelische Kirche in Deutsch- stand die KPS damals in tiefgreifenden Umstrukturierungen und land in den 1970er Jahren. Beiträge zum 100. Geburtstag von konnte nicht einmal die eigene Pfarrerschaft in dem neuen Stel- Helmut Claß. Leipzig 2015, S.268. lenplan unterbringen. 10 Vgl. Justus Vesting: »ein deutlicheres Zeugnis«? Bausoldaten 14 Das stimmt nicht ganz. Denn auch bei meiner Berufung auf die und Kirchen in der DDR. In: Friedemann Stengel / Jörg Ulrich Professur für »Biblische Exegese und Biblische Theologie« an der (Hg.): Kirche und Krieg. Ambivalenzen in der Theologie. Leipzig Universität Siegen 1997 musste die Evangelische Kirche in 2015, 139-159. Westfalen nach den Staatskirchenverträgen zustimmen. Dabei ist 11 Ich erwähne das deshalb, weil ich auf dem Forum hörte, dass es nach Auskunft des Landeskirchenamts in Bielefeld aber offen- in Pfarrfamilien nicht selten die eigenen Väter oder beide Eltern bar nicht mehr zu einem Briefwechsel mit der Kirchenleitung der sich zu unnachsichtigen Verfechtern des kirchlichen Bleibe- Kirchenprovinz Sachsen gekommen. Imperativs gegenüber ihren ausreisewilligen Söhnen und Töch- 15 Die Zeile »Wer halt den Kampf wagt mit den Drachen / Der tern aufgeschwungen haben. Das war bei mir glücklicherweise kämpft nicht immer ritterlich« findet sich in Biermanns Lied »Mir nicht der Fall. selber helfen kann ich nicht.« 12 In seinen Lebenserinnerungen erzählt Klaus-Peter Hertzsch die

Geschichte dieses Liedes: Die jungen Trauleute hatten sich den

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Stichwörter aus den Gesprächsgruppen

Stichwörter Blatt 1  Thema zur Weiterarbeit (des Beirats) aber bereits auf dem Schirm: Verfolgte Schüler-innen  Theologie  Zum »Wir«:  Archivierung der Geschichte der Betroffenen – Es gibt nicht nur verschiedene Möglichkei-  Härtefallfonds ten, die Wirklichkeit wahrzunehmen, son- dern es gibt auch verschiedene Wirklichkei-  »Sie hatten Böses mit Dir im Sinn, Du aber ten (mit Schnittmengen) hast es zum Guten gewendet« – Dass »Wir« war wohltuend und mutig ?  Erwartung an die Kirchenleitung: andere Institutionen haben sich das nicht ge- traut, diese Verantwortung zu übernehmen – Wiederbeilegung der Ordinationsrechte – Respekt vor Gewissensentscheidungen des – Finanzielle Unterstützung einzelnen durch Kirche(n)leitung hat es /Wiedergutmachung nicht zu wenig gegeben.

– Prozess mit langem Atem weiterführen – Durch das Bußwort und das Forum gab es zum ersten Mal ein Gespräch mit offiziellen – Akteneinsicht Vertretern der Kirche zu der Situation der Betroffenen damals  Das entlastet.  Wahrnehmung als Teil eines Heilungsprozes- ses ______

 Kriterium Staatssicherheit? – Kirche + Gewissen + Menschenrechte + (KSZE-Helsinki)  Wir müssen mal darüber reden.  Ausreise  Recht auf Gerechtigkeit  Berufsverbot Stichwörter Blatt 2  Rückkehr  Wann kommen kirchliche Gremienvertreter von damals zu Wort? – Das Thema hat Bedeutung über Kirche hinaus  sollte öffentlich werden  für /als eventuelle  Weitere Perspektiven auf andere Menschen Signalverstärkung an andere gesellschaftliche eröffnen. Bereiche

 Berufsverbot = Menschenrechte  Es fehlt im Bußwort ein Appell an die Gesell- schaft, um diese vor Dingen zu schützen, die hier  Biografische Impulse waren zu viele. passiert sind!

 Viele haben im Osten mehr gelitten als kirchli-  Fixierung auf d … MA lösen und andere Per- che MA und sind doch geblieben. sonen mit in den Blick nehmen.

 Das, was an Unrecht geschehen ist, ist nicht  Bußwort hat Tonlage, die ihm nicht angemes- im Sinne des Evangeliums geschehen. sen ist.

 Es ist belastend, dass man viele Dinge in  Geht es um eine Beschäftigung mit Einzelbio- Rücksicht auf Gemeinden getan hat, was nicht graphien oder um eine Situation, aus der gespro- gesehen wird. chen wird Wir haben uns als KL eingesetzt und kein positi- Beide Linien sollten entflochten werden. ves Feedback erfahren A) Betroffene B) gesellschaftlicher Horizont 44yy35/2018yepd-Dokumentation

Stichwörter Blatt 3 Stichwörter Blatt 4

 Gibt es Täter, die sich entschuldigen müssen?  Ritual oder Liturgie

 Eine weitere Tagung  Bußwort »im Prinzip«

 Zu spät?  Unterschied – Bußwort – Schuldbekenntnis Bußwort als seelsorgerliches Signal Wie geht Kirche mit Schuld und Vergebung  Diejenigen, die die Entscheidung zum Gehen um? getroffen haben, in ihrer Entscheidung würdigen!

 Betroffen sein  Bußwort mit allen Unzulänglichkeiten und offenen Fragen, ohne zu urteilen (Wort der jetzt  Angstfrei in den nächsten Schritt kirchenleitenden Verantwortlichen)

 Öffentlichkeit herstellen  Es braucht besondere Seelsorgeangebote! Vor- handene bekanntmachen!  Zeit für Lebensgeschichten

 Buß-Versöhnungsgottesdienst  Disparate Wahrnehmung des Bußwortes Siebenbürgen – Versöhnungsordnung  Infragestellung der Lebensleistung – auch der »Schweigen der Vergangenheit« »aufrechten«  Verunglückt  Was tut die KL mit dem Bußwort künftig?  Wer ist das »wir«?  »Profan«historiker einbeziehen  Anerkennung gebrochener Biografien Wunsch: Zur Kenntnisnehmen Aussprechen des Unrechts  Auch finanziell sich der Verantwortung stellen Vom Makel befreien Sprache verschlagen  Warum konnten wir nicht schon damals über Berichte waren (!) unter Verschluss das »Bleiben« offen diskutieren?

 Respekt zollen  Theologische Auseinandersetzung um GEHEN und BLEIBEN jetzt führen  Korrektur des Geschichtsbildes  Last auf den Schultern nehmen  Zu milde Überprüfungen u. Verfahren  Spiegelgefecht  Keine Benennung des Schadens  Freikauf aufarbeiten  Wagenburgmentalität  Kirchengeschichte nicht nur Mittelalter son-  Manchen reicht Bußwort dern »jetzt«

 Aber auch personalisieren  Persönliche Bußworte in den Familien

 Gehen würdigen!

 Interesse und Entschuldigung von Seiten d. Landeskirche (persönlich)! epd-Dokumentationy35/2018yy45

Ergebnisse, Perspektiven, Ausblick auf den weiteren Prozess. Voten von studentischen Beobachterinnen und Beobachtern zum Ersten Forum zum Bußwort des Landeskirchenrats der EKM am 26. Mai 2018

I. Nora Blume

Der Blick geht in Richtung der Jungen – das ist und als Menschen begegnet und haben der Mei- mir in den Gruppenarbeiten, die ich besucht ha- nung und Wahrnehmung des Anderen zugehört be, aufgefallen. Der Blick ging in meine Richtung. und so einen zutiefst christlichen Gestus vollzo- Ich wurde angesprochen: Der Blick geht in Rich- gen: Nämlich den Anderen wahrnehmen und tung der jungen Generation. Das heißt für mich, respektieren. Das war beeindruckend und hilf- dass es ein großes Bedürfnis nach Weitergeben, reich und – so habe ich die Rückmeldung aus den Erzählen und Zuhören gibt. Es gibt den Wunsch Gruppen wahrgenommen – das sollte und muss nach Teilhabe und Anteilnahme, an den Biogra- erneut in weiteren Foren passieren. fien, an dem Vergangenen. Es gibt ein Bedürfnis nach Aufarbeitung. Das Bußwort war gut und hilfreich. Es reicht aber für die Betroffenen nicht aus. Insofern muss es Meine Mutter zitiert gern den Satz: »Wer sich eine tatsächliche Anerkennung des Schadens und einsetzt, setzt sich aus.« Und ich finde, dieser des Schmerzes geben, denen Menschen ausge- Satz hat sich in dem Forum bewahrheitet und setzt waren. Und darüber hinaus muss das dama- erwiesen. Betroffene, Verantwortliche, Zeitzeu- lige Engagement anerkannt und gewürdigt wer- gen, aber auch die durchaus betroffene (!) junge den, und zwar in persönlicher Ansprache. Generation haben sich der Situation, (eigene) Geschichte und insbesondere die (eigene) Ge- Neben dieser Geste und Anerkennung braucht es schichtsdeutung anfragen und in Frage stellen zu weitere, persönliche Aussprachen und Bußworte: lassen, ausgesetzt. Diese Bereitschaft steht für Einige sind gemeinsam mit mir Zeuge einer sehr mich für einen beeindruckenden Einsatz für eine intimen und wunderbaren Geste geworden, wel- Kirche der Begegnung und gegenseitigen Aner- che verdeutlicht, dass durch die damaligen Ereig- kennung. Hier haben sich Menschen für einen nisse »Zersetzung« (über den »MfS-Sprech« bin Erhalt und eine geeinte Kirche eingesetzt und sich ich mir an dieser Stelle durchaus bewusst) und in die schwere und die, das eigene Selbst in Frage Spaltung in Beziehungen und Familien stattge- stellende, Auseinandersetzung begeben. funden haben: Es gab, so schien es mir, oftmals nicht die Möglichkeit, Amt und Familie gleicher- Und diese Bereitschaft, dieses Wagnis hat sich im maßen zu bedienen, sondern entweder die Ehe, Forum als überaus wertvoll erwiesen. entweder die Familie, entweder die Beziehung oder die Kirche, oder die Gemeinde, oder die Dennoch stand die Frage im Raum, ob wir über- Theologie. Insofern benötigt es im Rahmen sol- haupt miteinander tatsächlich, ehrlich und offen cher beschädigten Familien und Beziehungen reden können. Oder sind es nicht eher »Spiegelge- ganz private und persönliche Bußworte. Und im fechte«, wie es in einer der Gruppen genannt größeren Kontext womöglich auch eine theologi- wurde, die ausgefochten werden, weil auf Grund sche Reflexion des Verhältnisses: Familie und der individuellen Emotionalität in Bezug auf das Amt. Thema und die eigene biografische Betroffenheit ein tatsächlich »rationaler« Umgang mit der Mate- Es benötigt darüber hinaus weitere theologische rie nicht möglich ist? Ich meine, dass das viel- Auseinandersetzungen: In einer der Gruppen kam leicht auch in Ordnung ist. Vielleicht darf man an die Frage auf, wieso nicht schon damals die theo- dieser Stelle nicht zu hart mit sich ins Gericht logische Deutung von »Gehen« und »Bleiben« gehen. Was kann »Rationalität« eigentlich heißen? problematisiert und in Frage gestellt wurde. Eine absolute Befriedung mit der Wahrnehmung Wieso gab es darüber keine Diskussion? Insofern und der Meinung des anderen kann es womöglich muss diese Debatte nachgeholt werden und eine nicht geben und wird es nicht geben. Eine Lösung theologische Auseinandersetzung über das The- gibt es nicht (jedenfalls nicht in dieser Welt). ma heute stattfinden (und auch in Bezug auf Aber in diesem Forum haben wir uns auf einen heutige Praxen diskutiert werden, wo die wenigs- Weg begeben und Menschen sind einander wie ten Landgemeinden tatsächlich noch »ihre Pfarre- 46yy35/2018yepd-Dokumentation

rin/ ihren Pfarrer« als »Hirten« vor Ort haben). Der Blick geht in Richtung der Jungen. An dieser Gleiches gilt für die Frage nach den Ordinations- Stelle will ich mich abschließend noch aus dem rechten. Und für mich muss eine solche Ausei- landeskirchlichen Kontext in einen mehr gesell- nandersetzung mit den beiden großen Fragen schaftlichen Kontext begeben und so meine eige- beginnen: Wer hat eigentlich das Recht, Ordinati- ne Betroffenheit offenlegen, die sich in der Erfah- onsrechte zu gewähren? Und wer kann sich an- rung mit dem »nach-wende« Bildungssystem, den maßen, diese Ordinationsrechte zu entziehen? »nach-wende« Schulen, den »nach-wende« Leh- (Die großen theologischen Themen spielen mit in rern und auch den »nach-wende« Universitäten diese Fragestellung hinein: Gottesbild, Men- niedergeschlagen hat. Meine Erlebnisse mit die- schenbild, Amtsverständnis u.a.). sen haben mir gezeigt, dass eine (Ab-) Wertung von Christlichkeit und Kirchlichkeit, von persön- Weitere Anfragen und Debatten wurden in Bezug licher Betroffenheit in Bezug auf eine, noch im- auf die größere Kirche, deren Mitglied die EKM mer nicht überall als solche geltende, Diktatur als ist, genannt: In welcher Art und Weise werden selbstverständlich gelten. Das heißt es gibt einen eigentlich die Signifikanten »Ost« und »West« im größeren Kontext, in welchen diese Debatte ge- Rahmen der EKD verwendet. Und wo haben die, stellt werden muss und es braucht neben der im Forum besprochenen, Themen in der EKD kirchlichen, eine gesellschaftliche Auseinander- ihren Ort (auch angesichts dessen, dass gerade setzung, für welche dieses Forum auch ein Zei- das Thema: »Gehen und Bleiben« ganz besonders chen setzen kann. Diese Wahrnehmung impliziert auch ein Thema der »West-Kirchen« war und ist). einen Auftrag und eine Herausforderung für die Ebenso wurde der Wunsch nach dem Weitertra- kommenden Jahrzehnte … und der Blick geht in gen der Debatte in die anderen Landeskirchen Richtung der jungen Generation. geäußert.

II. Deborah Haferland

Am Ende dieses Tages überwiegen bei mir zwei Gemeinschaft von Christenmenschen in der Kir- Gefühle. che und die manchmal unergründlichen Wege Gottes. Zum einen bin ich dankbar dafür, dass ich heute hier sein und diesen ersten Forumstag zum Buß- Ich wünsche mir, dass der heute aufgenommene wort erleben durfte. Gesprächsfaden weitergesponnen wird. Dass wir uns ohne Angst diesem Prozess aussetzen, uns Zum anderen bin ich betroffen, so wie wir alle – die Erfahrungen des Gegenübers zumuten, vonei- und ich weiß, dass man ein »wir« nur mit Vor- nander lernen und uns nicht scheuen vor den sicht formulieren sollte – betroffen, manche sogar Konsequenzen, zu denen uns der nächste Schritt schwer getroffen, sind. vielleicht führt. Dazu gehört auch das Nachden- ken über einen Umgang mit entzogenen Ordinati- onsrechten und Pensionsansprüchen. Als Kind von Eltern, die selber gegangen und Geschichte schreibt sich fort, sie wird geschrieben nicht geblieben sind, hat mich manches, das heu- – auch von uns. te hier gesagt worden ist, auch ganz persönlich bewegt. Wollen wir, dass es die Geschichten von Entsoli- darisierung, Diskreditierung und bleibenden Be- Betroffen bin ich aber auch, weil ich mit vielen hier in der Runde teile, dass Kirche Heimat ist. schädigungen sind, die weiterwirken? Oder wol- Und es mich trifft, wenn Menschen genau in die- len wir in dieser Kirche daran arbeiten, Geschich- sem Kontext Erfahrungen von Entfremdung, Aus- ten zu schreiben, die von Umkehr, Versöhnung schluss und Heimatlosigkeit machen. und Geschwisterlichkeit erzählen?

Betroffen bin ich nicht zuletzt als Studentin der Viel gäbe es noch zu sagen, für das die Zeit fehlt Theologie, weil ich wahrnehme, dass die Themen oder mir die Worte. Ich spüre deutlich: ich bin die heute besprochen wurden, zutiefst theolo- damit noch nicht fertig. Und es scheint mir heute, gisch sind. Da geht es um Gerechtigkeit und als wären wir alle damit noch nicht fertig und das Rechtfertigung, um Schuld und Versöhnung, um ist wohl auch gut so. epd-Dokumentationy35/2018yy47

III. Lea Klischat

Im Worldcafé höre ich die Teilnehmenden dieses spüre auf der Synode, in den Gemeinden, bei Forums fragen »Wer sind wir eigentlich?« und meinen Kommilitoninnen: Da ist doch was. Was »Wer ist das Wir im Bußwort?« und »Wer ist das sonst immer nur durchschimmert, hat hier einen Ihr?« eigenen Raum. Die EKM hat mit diesem Forum der Aufarbeitung Relevanz zugesprochen. Denn Was ich weiß, ist folgendes: Ich, ich bin eine es ist wichtig über das zu sprechen, was noch Spätgeborene. Und ich bin auch von BRD- immer Menschen bewegt. Deshalb höre ich genau sozialisierten Eltern. Aus dem Westen also. hin. Auf das besser-zu-spät-als-nie und das zu- Dadurch wird mir eine Perspektive zugeordnet, allgemein, das zu-speziell. Und von Heilung und der ich schwer entkomme. Das merke ich, wenn tiefen Wunden, nicht aufhörenden Demütigungen ich von der Älteren gesagt bekomme: »Eure Gene- und neuer Orientierung. Und ich nehme eine tiefe ration muss das alles nicht mehr interessieren.« Betroffenheit bei Anhörung der Biografien wahr, Oder wenn es in großen Runden heißt: »Die Mau- die es nicht erlaubt, Geschehenes kleinzureden. er ist gefallen.« Die es allen erlaubt, sich zu interessieren und einzusetzen. Ich sage dagegen: Meine Kirche interessiert mich! Die Menschen. Die Themen. Ich höre und

IV. Georg Krämer

In der Vorbereitung unserer Beiträge wurde uns Eingeständnis daran, dass sich »Kirche« nie paral- gesagt, dass wir jeweils drei Minuten Sprechzeit lel, neben oder unabhängig von der sie umgeben- hätten. Daher möchte ich auch nur drei kurze den Gesellschaft gestaltet. Es stärkt somit unser inhaltliche Punkte ansprechen. Bewusstsein, dass wir Menschen auch in kirchli- chen Räumen nie frei von gesellschaftlichen Fehl- Erstens: Im Lauf des Tages habe ich viel positives entwicklungen sind, sondern ihren Zwängen oft Feedback für das Forum wahrgenommen; vor erliegen. Dadurch ruft uns dieses Bußwort auf, allem dafür, dass endlich eine Anerkennung der uns unserer Verantwortung bewusst zu werden, Betroffenen und (an einem der Worldcafé-Tische zu erkennen, dass jede und jeder Einzelne selbst fiel das Stichwort) »Archivierung« ihrer Leidens- »Kirche« ist, und dementsprechend verantwor- geschichten für die hier anwesenden und nächs- tungsvoll zu handeln! ten Generationen ermöglicht wird. Der dritte Punkt kam mir als Gedanke während Dass dabei nicht alle Zeitzeugen der damaligen des theologischen Vortrags von Bruder Naumann Situationen gehört werden, was auch kritisch gerade eben. Dort haben wir gehört, dass GOTT beäugt wird, ist klar. Und um eine allumfassende bei den Menschen auf der Flucht ist, so wie er bei Erzählung geht es in diesem ersten Forum ja auch dem Volk war, das aus der Sklaverei floh. Zu- gar nicht. Daher fand ich den Vorschlag interes- gleich ist GOTT auch bei den Menschen, welche sant, in den (hoffentlich) kommenden Foren wei- in der Sklaverei sind und nicht entkommen. Man terhin spezifische Perspektiven zu hören; bei- kann also zusammenfassen: Ja, unser GOTT ist spielsweise die von hohen kirchlichen Verantwor- bei den Schwachen und Leidenden, GOTT für die tungsträger*innen oder von Nicht-Amtspersonen Freiheit und gegen die Unterdrückung! Was ich der Gemeinden in der DDR. mich daher und auch angesichts der heute erzähl- ten Leidensgeschichten frage: Warum begibt sich Zweitens möchte ich den Blick auf das hier the- unsere Kirche seit ihrem Bestehen, seit fast 2000 matisierte Bußwort lenken, mit Zitaten aus den Jahren, immer wieder und auf‘s Neue in die Rolle Gesprächsrunden. Denn dort wurde – für mich der Unterdrückung selbst, auf die Seite gegen die sehr treffend – gesagt: Das Bußwort ist auch ein Freiheit?

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Ergebnisse, Perspektiven, Ausblicke auf den weiteren Prozess. Notizen nach dem Forum zum Bußwort des Landeskirchenrats der EKM Von Landesbischöfin Ilse Junkermann

Versöhnung und Aufarbeitung. Erstes Forum nahmen, die kirchliche Entscheidungen beein- zum Bußwort des Landeskirchenrats der Evan- flusst haben; oder in den West-Ost-Absprachen gelischen Kirche in Mitteldeutschland zum betr. der Übernahme bzw. Freigabe von Pfarrern Buß- und Bettag 2017. 26. Mai 2018, Theologi- und Pfarrerinnen: die Einhaltung der Regel ist sche Fakultät der Martin-Luther-Universität wichtiger als die Folgen für die Betroffenen; die Halle-Wittenberg Regel gilt unter Absehung der individuellen Ge- schichte und Situation; theologische Begründung Erfahrungen am heutigen Tag: und Rechtfertigung für die DDR als Staat, in dem man bleiben muss.  Ich bin tief berührt von den Lebens- und Leid- Geschichten, die ich heute gehört habe. Der  Es fehlt immer etwas. Auch der heutige Tag ist Schmerz über Erfahrungen mit Staat und Kirche Fragment, er konnte nicht alle Perspektiven zu- in der DDR ist präsent. gleich in den Mittelpunkt rücken.

 Die bisherige (weitgehende) Situation der Perspektiven und Ausblicke auf den weiteren Sprachlosigkeit und des Nicht-Miteinander- Prozess: Redens wurde geöffnet. In der langen Zeit der Sprachlosigkeit und in der Mühe des Austauschs  Die Beiträge dieses Forumstages sollen doku- sehe ich auch Wirkungen von DDR-Kultur bis mentiert und veröffentlicht werden, auch, um heute. Solche Sprachlosigkeit blockiert und bin- weitere Gespräche zu befördern. det. Heute war in konkreten Menschen präsent,  Weitere Gesprächsrunden wie heute sind nö- dass Leugnen, Verdrängen oder Verschweigen tig: Wie kommt es zu einem »Rundblick«? zum Hinnehmen »personeller Kollateralschäden« führen kann (Beitrag F. Stengel).  Die damals kirchenleitend Verantwortlichen sollen zu Wort kommen (ähnlich vorbereitet, ggf.  Einzelne Menschen mit ihren Biographien sind auch vorgetragen, wie heute durch eine dritte wichtig und nicht zu vernachlässigen, sie dürfen Person). Viele von ihnen haben sich damals ein- nicht im Großen der Geschichtsschreibung unter- gesetzt und dafür kein positives Feedback erhal- gehen. ten, oft hatten sie eine Gratwanderung zu bewäl-  Wir sind einen wichtigen Schritt gegangen, in tigen. christlicher Freiheit und Nüchternheit Wirklich-  Wie nehmen wir (auch heute) die Spannung keit wahrzunehmen, auch Wirklichkeit, die der zwischen individueller Verantwortung und insti- und die andere jeweils anders erlebt hat. tutioneller Anonymität wahr?  Individuelle Lebensgeschichten sind heute  Das Format, sich gegenseitig Geschichten zu öffentlich geworden; darin liegt auch Anerken- erzählen, soll (dabei) weitergeführt werden. Der nung von Leid und Unrecht im Raum der Kirche Kreis soll erweitert werden auf Synodale und (z. B., dass manchem Engagement als Handeln weitere ehrenamtlich engagierte Gemeindeglieder. im Auftrag des Evangeliums bestritten worden Dabei sollen weniger Biographien vorgestellt war). »Wir sind schuldig geworden, auch wenn werden, damit mehr Zeit für das Gespräch dar- wir alles getan haben, was wir konnten«. Aner- über ist. kennung von Leid befreit.  Auswertungen: Was bedeuten bzw. bedeutet  Die schmerzliche Einsicht steht im Raum, dass Kirche Teil der Gesellschaft war und ist, in der sie diese Geschichte(n) für unser öffentliches Han- lebt; das bedeutet auch die Einsicht, dass die deln, unser Tun und Lassen heute? Diktatur auch in der Kirche wirksam war. Eine  Es braucht eine (mehrperspektivische) theolo- Diktatur zerstört alle individuellen und (anders) gische Reflexion der damaligen theologischen gemeinschaftlichen Werte und Strukturen; Wir- Linien und Hermeneutik des Handelns. kung der Diktatur z. B. in den Zersetzungsmaß- epd-Dokumentationy35/2018yy49

Edens bittersüße Früchte – Liturgischer Abschluss Von Frank-Michael Lütze

Versöhnung und Aufarbeitung. Erstes Forum keit nicht gestillt; und heil kann nur werden, wer zum Bußwort des Landeskirchenrats der Evan- verwundet sein darf. gelischen Kirche in Mitteldeutschland zum Buß- und Bettag 2017. 26. Mai 2018, Theologi- Der heutige Tag verdankt sich dieser Einsicht. sche Fakultät der Martin-Luther-Universität Dass wir Brot und Wein miteinander teilen, das Halle-Wittenberg kennen wir in der Kirche: Früchte vom Baum des Lebens, wie es eine altkirchliche Typologie nennt. Und Gott der Herr pflanzte einen Garten gegen Dass wir Früchte vom Baum der Erkenntnis mit- Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er einander teilen, bittere Früchte, die nach Einsam- gemacht hatte. Und Gott der Herr ließ aufwachsen keit und Verrat, nach Mutlosigkeit und billigem aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzuse- Opportunismus schmecken, das passiert selten – hen und gut zu essen, und den Baum des Lebens vielleicht viel zu selten – in der Kirche. Verlieren mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis doch diese Früchte einen Teil ihrer Bitterkeit erst, des Guten und Bösen. Gen 2,8 f. wenn sie geteilt werden. Und wer nicht bereit ist, sich hier mit an den Tisch zu setzen, wo bittere So beginnt die alte Erzählung vom Garten Eden. Wahrheiten geteilt werden, wer nicht die Ge- Ihre Fortsetzung kennen wir alle: Die verbotene schichten von Schuld – auch von kirchlicher Frucht, das Wissen um Gut und Böse, nimmt dem Schuld – hören möchte, braucht von Vergebung Paradies bald seine Unschuld. Der Baum des nicht erst zu sprechen. Lebens wird eingemauert, der Mensch muss das Weite suchen, und Adam und seinen Kindern Aber machen wir uns nichts vor: Die Wahrheit, und Kindeskindern bleibt aus Eden nichts außer auch die geteilte Wahrheit, trägt den Keim der der Sehnsucht nach Frieden im Herzen und der Versöhnung nicht schon in sich wie die Frucht Frucht der Erkenntnis in der Hand. den Samen. Wahrheit ist von Haus aus nicht gütig; und wo Schuld beim Namen genannt wird, Vielleicht ist es dieser uralte Mythos, der manche kann leicht auch die Bitterkeit das letzte Wort vom wiedergefundenen Paradies träumen lies, als behalten. Versöhnung setzt Wahrheit voraus; die Mauer in unserem Land fiel. Vielleicht hat er aber sie ist selbst keine Frucht vom Baum der uns verführt zu meinen, alte, böse Geschichten Erkenntnis. Wir haben sie nicht zur Hand wie die kämen nun an ihr Ende und wir könnten einan- Entscheidung, Schuld beim Namen zu nennen. der wieder in naiver Unschuld und Unwissenheit Wir haben auch in der Kirche keine Versöhnung, begegnen. Vielleicht ist die Sehnsucht nach Frie- die wir austeilen oder als Patentrezept Menschen den gerade in der Kirche so groß, dass wir biswei- an die Hand geben oder gar von ihnen einfordern len die Frucht vom Baum der Erkenntnis gerne können. Versöhnung muss geduldig reifen und zurückgeben würden: Güte soll dann an die Stelle nährt niemanden, der sie vor der Zeit vom Baum von Aufklärung treten, ein Vergeben durch Ver- bricht. Und Versöhnung ist, wo wir über manifes- gessen, eine Amnestie durch eine Amnesie er- te Schuld sprechen, wohl eine Frucht, die allein reicht werden. Aber wer die angebissene Frucht in Gottes Garten wächst und die, wenn die Zeit der Erkenntnis einsammelt und entsorgt, erntet gekommen ist, der große Gärtner uns selbst rei- dafür nur einen faulen Frieden, der auf Dauer chen muss. niemanden satt macht. Wir leben nicht in Eden: Ohne Wahrheit wird der Hunger nach Gerechtig-

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Autorinnen und Autoren Kirche in Mitteldeutschland), Meiningen, bera- tendes Mitglied des Beirats für Versöhnung und Aufarbeitung Beleites, Johannes, geb. 1967 in Halle, Jurist, Großkochberg, Vorsitzender des Beirats für Lütze, Frank-Michael, Dr. theol. habil., geb. Versöhnung und Aufarbeitung 1970 in Sindelfingen, Professor für Religionspä- dagogik und Didaktik des Religionsunterrichts Blume, Nora, geb. 1992 in Berlin, stud. theol., in Leipzig Halle Naumann, Marina, geb. 1956 in Görlitz, Ellmenreich, Renate, geb. 1950 in Oranienburg, Pädagogin und Logopädin, Siegen Pfarrerin i.R., Joachimsthal (Barnim) Naumann, Thomas, Dr. theol. habil, geb. 1958 in Fuhrmann, Christian, geb. 1959 in Halberstadt, Rodewisch, Professor für Biblische Exegese und Pfarrer, Oberkirchenrat, Leiter des Dezernats Biblische Theologie (Altes Testament) in Siegen Gemeinde im Landeskirchenamt der EKM, bera- tendes Mitglied im Beirat für Versöhnung und Neumann-Becker, Birgit, geb. 1963 in Görlitz, Aufarbeitung Pfarrerin, Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, beratendes Mitglied des Beirats für Günther, Hans, geb. 1939 in Meiningen, Versöhnung und Aufarbeitung, Halle Pfarrer i.R., Deventer (Niederlande) Rochau, Lothar, geb. 1952 in Weißensee Haferland, Deborah, geb. 1991 in Landau in der (Thüringen), Jugenddiakon, Jugendamtsleiter Pfalz, stud. theol., Halle i.R., Rentner, Halle Harnisch, Wolfgang, geb. 1953 in Halle, Stauss, Curt, geb. 1948 in Cottbus, Pfarrer i.R., Pfarrer, Bonn Seelsorger für politisch Verfolgte, Mitglied des Beirats für Versöhnung und Aufarbeitung, Halle Hauskeller, Jürgen, geb. 1937 in Meuselwitz, Pfarrer i.R., Leipzig Stengel, Friedemann, Dr. theol. habil., geb. 1966 in Eisenach, Professor für Neuere Kirchenge- Junkermann, Ilse, geb. 1957 in Dörzbach, schichte in Halle, Mitglied des Beirats für Versöh- Pfarrerin, Landesbischöfin der Evangelischen nung und Aufarbeitung Kirche in Mitteldeutschland, Magdeburg/Erfurt Subklew, Marie Anne, Dr. phil., geb. 1963 in Klischat, Lea, geb. 1994 in Gießen, stud. theol., Greifswald, Wissenschaftliche Geschäftsführerin Halle der Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen an der Universität Hamburg, wohnt in Berlin, Krämer, Georg, geb. 1995 in Berlin, stud. iur., Mitglied des Beirats für Versöhnung und Aufar- Halle beitung Kretschmer, Gudrun, geb. 1956 in Rudolstadt, Weidner, Reinhard, geb. 1947 in Neuroda, Kinderkrankenschwester, Tegau (Thüringen) Pfarrer i.R., Rüstungen (Thüringen) Kretschmer, Thomas, geb. 1955 in Jena, Weidner, Sibylle, geb. 1949 in Leipzig, Fernmel- Holzbildhauer, Tegau (Thüringen) detechnikerin und Katechetin i.R., Rüstungen (Thüringen) Kühnbaum-Schmidt, Kristina, geb. 1964 in Braunschweig, Pfarrerin, Regionalbischöfin des Propstsprengels Meiningen-Suhl (Evangelische

Jahrgang 2017

41/17 – Funke – Flamme – Feuer? Zum europäischen 04/18 – Aussöhnungsprozess der Selbständigen Charakter der Reformation (Tagung der Evangeli- Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) und der schen Akademie Sachsen-Anhalt, der Evangelischen Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) Akademie zu Berlin und der Evangelischen Kirche der 20 Seiten / 2,60 € Böhmischen Brüder) – 44 Seiten / 4,60 € 05/18 – Digitalisierung und Kirche in ländlichen und 42/17 – Gender Gaga?! Kritische Analysen der städtischen Räumen (Beiträge der Tagung »Weit ent- Anti-Gender-Bewegung und Gegenstrategien für fernt und doch verbunden. Virtuelle Kirche in ländli- die Kirche (Fachtagung im Ökumenischen Forum chen und städtischen Räumen«, Missionsakademie Hafencity Hamburg) – 28 Seiten / 3,40 € Hamburg, und des Fachtags »Digitaler Wandel. Das geht nie wieder weg«)– 48 Seiten / 4,60 € 43/17 – Wenn jedes Maß verloren geht (Forum Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt) – 06/18 – Die digitale Revolution gestalten - eine 40 Seiten / 4,10 € evangelische Perspektive (Impulspapier des Arbeits- kreises Evangelischer Unternehmer (AEU) – Predigt an 44/17 – Konsens und Konflikt: Politik braucht Aus- Heiligabend (Pfarrer Steffen Reiche, Berlin) – einandersetzung. (Zehn Impulse der Kammer für 28 Seiten / 3,40 € Öffentliche Verantwortung der EKD zu aktuellen Her- ausforderungen der Demokratie in Deutschland) – 7-8/18 – Feiern anlässlich des 500. Jubiläums der 40 Seiten / 4,10 € Reformation 2017 in europäischen Städten 88 Seiten / 6,40 € 45/17 – Reformationsjubiläum 2017 in Wittenberg, 31.10.2017 – 56 Seiten / 5,10 € 9/18 – Protestantismus und Antiziganismus (Fachtag des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma mit der 46/17 – »Was uns verbindet« (70. und 71. Hauptver- Evangelischen Akademie zu Berlin und der Bundesar- sammlung des Reformierten Bundes 2017) beitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus, 48 Seiten / 4,60 € 20. September 2017) – 24 Seiten / 3,40 € 47/17 – Synodentagung 2017 in Bonn (1) / 10/18 --- Herausforderung Reproduktionsmedizin --- 4. verbundene Tagung der 12. Generalsynode der Die Orientierungshilfe der Gemeinschaft Evangelischer VELKD, der 3. Vollkonferenz der UEK und der Kirchen in Europa (Tagung der Evangelischen Akade- 12. Synode der EKD, Bonn, 9. bis 15. November 2017 mie Villigst, 23.---24. November 2017) (Berichte 1) – 80 Seiten / 5,90 € 32 Seiten / 4,10 € 48/17 – Synodentagung 2017 in Bonn (2) / 4. ver- 11/18 --- Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und bundene Tagung der 12. Generalsynode der VELKD, SPD --- Auszüge und einordnende Texte der 3. Vollkonferenz der UEK und der 12. Synode der 44 Seiten / 4,60 € EKD, Bonn, 9. bis 15. November 2017 (Berichte 2, Schwerpunktthemen) – 52 Seiten / 5,10 € 12/18 – Segensroboter Geistliche Handlungen und Künstliche Intelligenz (KI) (Theologisch-ethischer 49/17 – Synodentagung 2017 in Bonn (3) / 4. ver- Studientag an der Evangelischen Akademie Frankfurt) bundene Tagung der 12. Generalsynode der VELKD, 40 Seiten / 4,10 € der 3. Vollkonferenz der UEK und der 12. Synode der EKD, Bonn, 9. bis 15. November 2017 (Berichte 3: 13/18 – »Und führe uns nicht in Versuchung« (Texte Catholica, Einbringungen) 64 Seiten / 5,40 € zur Diskussion über das Vaterunser) Christentum, Rechtsstaat, Demokratie – Gedanken über den Wes- 50-51/17 – Der Vergangenheit verpflichtet – Die ten, Europa und Deutschland (von Prof. Dr. Heinrich Zukunft gestalten – Hoffnung in der planetarischen August Winkler) – 24 Seiten / 3,40 € Krise (Ein Memorandum vom »PLÄDOYER für eine ökumenische Zukunft«) – 80 Seiten / 5,90 € 14/18 – Gedenken an Bischof Juliusz Bursche / Upamiętnienie biskupa Juliusza Burschego Jahrgang 2018 56 Seiten / 5,10 € 01/18 – GKKE-Rüstungsexportbericht 2017 15/18 – Ökumenischer Preis 2017 bei der Katholi- 76 Seiten / 5,90 € schen Akademie in Bayern für Landesbischof Hein- rich Bedford-Strohm und Kardinal Reinhard Marx / 02/18 – Gleichstellung im geistlichen Amt (Ergän- Osterbotschaften 2018 der Preisträger zungsband 1 zum Atlas der Gleichstellung von Frauen 24 Seiten / 3,40 € und Männern in der evangelischen Kirche in Deutsch- land) – 28 Seiten / 3,40 € 16/18 – Zur aktuellen kirchlichen und politischen Diskussion um das Werbeverbot für Abtreibungen – 03/18 – Synodentagung 2017 in Bonn (4) / 36 Seiten / 4,10 € 4. verbundene Tagung der 12. Generalsynode der VELKD, der 3. Vollkonferenz der UEK und der 17/18 – Urteil des Gerichtshofs der Europäischen 12. Synode der EKD, Bonn, 9. bis 15. November 2017 Union zum kirchlichen Arbeitsrecht (Berichte 4: Impulsreferate zum EKD-Schwerpunkt- 28 Seiten / 3,40 € thema, Beschlüsse) – 44 Seiten / 4,60 € epd Dokumentation Postvertriebsstück ▪ Deutsche Post AG ▪ Entgelt bezahlt 58145 Evangelischer Pressedienst

Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH Verlag/Vertrieb Postfach 50 05 50 60394 Frankfurt am Main

26/18 – »Brennende gesellschaftliche Themen gehö- Jahrgang 2018 ren auf die Kanzel« – Zur Verabschiedung von Margot 18/18 – Was Theologie heute zu sagen hat (Symposi- Käßmann in den Ruhestand – 76 Seiten / 5,90 € um am 15. September 2017 in Karlsruhe anlässlich des Impulsreferat zum Thema »Ökumene 60. Geburtstags von Landesbischof Prof. Dr. Jochen 27/18 – der Begegnungen – Ökumene der Symbole« (von Bischof Cornelius-Bundschuh) – 28 Seiten / 3,40 € Dr. Gerhard Feige) Predigt anlässlich des 500. Jubilä- 19/18 – »Theologischer Dialog mit dem Islam« (Früh- ums von Martin Luthers Heidelberger Disputation jahrsklausurtagung 2018 der Bischofskonferenz der (von Margot Käßmann) »Was uns zusammenhält« – Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutsch- Berliner Stiftungsrede 2017 (von Wolfgang Huber) – lands) – 40 Seiten / 4,10 € 20 Seiten / 3,40 € 20/18 – Sicherheit neu denken. Von der militäri- 28/18 – Die Rolle der Kirchen und der Diakonie schen zur zivilen Sicherheitspolitik – ein Szenario bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der UN – bis zum Jahr 2040 (Studientag »Kirche des gerechten Forum Nachhaltigkeit der EKD – 56 Seiten / 5,10 € Friedens werden«) – 64 Seiten / 5,40 € 29/18 – Friedensgutachten 2018: Kriege ohne Ende. 21/18 – »Schrift und Tradition« und »Die Rolle der Mehr Diplomatie – weniger Rüstungsexporte – Rüs- Kirche für das Heil«: Katholiken und Evangelikale tungsexportbericht 2017: Bericht der Bundesregierung erkunden Herausforderungen und Möglichkeiten über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüs- (Ein Bericht der internationalen Konsultation der ka- tungsgüter im Jahr 2017 – 44 Seiten / 4,60 € tholischen Kirche und der Weltweiten Evangelischen Allianz (2009 bis 2016)) – 32 Seiten / 4,10 € 30/18 – Tempo! – Journalismus in der Beschleuni- gungsgesellschaft (Südwestdeutsche Medientage 2018) 22/18 – Karlsruher Foyer Kirche und Recht (Jahres- – 36 Seiten / 4,10 € empfang des Landesbischofs der Evangelischen Lan- deskirche in Baden und des Erzbischofs von Freiburg 31/18 – Flüchtlingsschutz in Europa – Auslaufmodell für das Bundesverfassungsgericht, den Bundesgerichts- oder Neuanfang? / Refugee Protection in Europe. Pha- hof, die Bundesanwaltschaft und die Rechtsanwälte bei se-out Model or New Beginning? (18. Berliner Sympo- dem Bundesgerichtshof) – 20 Seiten / 2,60 € sium zum Flüchtlingsschutz, Berlin, 25. bis 26. Juni 2018) – 32 Seiten / 4,10 € 23/18 – Big Data und Gesundheit – Datensouveräni- tät als informationelle Freiheitsgestaltung (Stellung- 32-33/18 – Kindheitsverletzungen (Beiträge aus der nahme des Deutschen Ethikrats) – 28 Seiten / 3,40 € Tagungsarbeit der Evangelischen Akademie Tutzing zum Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugend- 24/18 – Rede und Predigten zur Gesellschaft, zur liche) – 92 Seiten / 6,90 € sozialen Kraft von Gnade und Liebe und zur Jugend (von Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm) – Über- 34/18 – Die ökumenische Bedeutung des Heiligen lieferte Weisheit für den interreligiösen Dialog. Was und Großen Konzils der Orthodoxen Kirche (Studien- ist geistliche Unterscheidung? (von Pater Prof. Dr. tag der Mitgliederversammlung der Arbeitsgemein- Felix Körner SJ) – 24 Seiten / 3,40 € schaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK)) – 40 Seiten / 4,60 € 25/18 – Festvortrag zum 90. Geburtstag von Hans Küng, Tübingen, 20. April 2018 (Von Margot Käß- 35/18 – Versöhnung und Aufarbeitung (Erstes Fo- mann) / Rede beim Festakt »500 Jahre Reformation«, rum zum Bußwort des Landeskirchenrats der Evangeli- Berlin, 25. April 2017 (von Wolfgang Huber) schen Kirche in Mitteldeutschland zum Buß- und Bet- 20 Seiten / 3,40 € tag 2017) – 52 Seiten / 5,10 €

Der Informationsdienst Bestellungen und Anfragen an: Das Abonnement kostet mo- Die Liste oben enthält den epd-Dokumentation GEP-Vertrieb natlich 29,40 € inkl. Versand Preis eines Einzelexemplars; (ISSN 1619-5809) kann im Postfach 50 05 50, (mit Zugang zum digitalen dazu kommt pro Auftrag eine Abonnement oder einzeln 60394 Frankfurt, Archiv: 34,20 €). E-Mail-Bezug Versandkostenpauschale bezogen werden. Tel.: (069) 58 098-191. im PDF-Format 27,80 €. Die (inkl. Porto) von 2,50 €. Pro Jahr erscheinen min- Fax: (069) 58 098-226. Preise für Einzelbestellungen destens 50 Ausgaben. E-Mail: [email protected] sind nach Umfang der Ausga- epd-Dokumentation wird auf Internet: http://www.epd.de be und nach Anzahl der chlorfrei gebleichtem Papier Exemplare gestaffelt. gedruckt.