Zukunftsaspekte Der Energiewirtschaft
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WALTER KÖPPING Zukunftsaspekte der Energiewirtschaft Im Jahre 1958 ging für Deutschland das „Kohlezeitalter“ zu Ende. Seit dem Beginn der Industrialisierung war in der Energiewirtschaft die Kohle dominierend gewesen. In der Bundesrepublik deckte 1950 die Kohle (Steinkohle wie Braunkohle) noch 90 vH des Energiebedarfs. 1958 aber wurden 14 Millionen t Kohle auf Halden genommen, der Steinkohlen- bergbau ging zu Feierschichten über und er verhängte eine Einstellungssperre; eine ölwoge begann sich über den deutschen Energiemarkt zu ergießen. 1963 wurde der westdeutsche Energieverbrauch nur noch zu 64 vH von der Kohle gespeist (davon 50 vH Steinkohle, 14 vH Braunkohle). Dafür war der Erdölverbrauch auf 81,2 Mill. t SKE 1) angestiegen. Er hatte sich damit seit 1950 (6,5 Mill. t SKE) verzwölffacht. Das Erdöl bedrängt die Steinkohle nicht allein auf dem Brennstoffmarkt — auch in der chemischen Industrie dringt das Öl immer weiter vor: 1950 hatte der Anteil der Petrochemie an der gesamten chemischen Produktion 15 vH betragen, 1960 erreichte er bereits 50 vH. Vergleicht man diese beiden Bilanzen, dann erkennt man den grundlegenden Wandel, der sich innerhalb von 14 Jahren vollzogen hat. Besondere Beachtung verdient die Tatsache, daß wir 1950 mehr Energie erzeugten als verbrauchten: damals hatten wir 1) SKE = Steinkohleneinheit. Alle Energieträger werden dabei auf den Heizwert der Steinkohle (7000 Kcal/kg) umgerechnet. Braunkohle hat einen Heizwert von 2100 Kcal/kg, Holz 3500 Kcal/kg, Erdöl 10 000 Kcal/kg, Erdgas 9500 Kcal/je Kubikmeter, Wasserkraftstrom 2S00 Kcal/kWh. 523 WALTER KÖPPING einen Überschuß von 13 vH aller verfügbaren Energie. Das brachte damals wertvolle Devisen. 1963 jedoch konnte die Eigenerzeugung den Verbrauch nur noch zu 78 vH decken. Auch künftig muß mit einem weiteren Ansteigen der Energieeinfuhren gerechnet werden. Unsere Energiewirtschaft bringt uns keine Devisen mehr, sie kostet uns Devisen: 1963 mußten rund 2 Md. DM für die Energie-Importe aufgewendet werden. Wir stehen hinsichtlich der deutschen Energieversorgung nicht vor der Alternative: Kohle oder Öl?, sondern vor der Alternative: einheimische Energie oder importierte Energie? Wir haben große Kohlenvorkommen im Lande, jedoch nur ganz geringe Erdölvorräte. Wie weit reichen die Energie-Vorräte? Die Welt-Energiewirtschaft weist drei besondere Merkmale auf: 1. Der Energieverbrauch erhöht sich rasch und mit zunehmendem Tempo. 1860 betrug der Weltverbrauch 150 Mill. t SKE, 1900: 777 Mill. t SKE, 1913: 1399 Mill. t SKE, 1961: 4780 Mill. t SKE und 1963: 5300 Mill. t SKE. In den letzten 15 Jahren hat sich der Verbrauch verdoppelt. 2. Es vollzog sich ein Strukturwandel, der Kohleverbrauch nahm relativ ab, der Erdöl- verbrauch wuchs absolut und relativ. 1860 betrug der Kohleanteil 95 vH, 1963 nur noch 46 vH. 3. Der Energieverbrauch verteilt sich sehr ungleichmäßig auf die einzelnen Staaten: 1959 verbrauchten die USA 32 vH der Weltenergie (bei nur 7 vH der Erdbevölkerung), die UdSSR verbrauchte 15 vH, Großbritannien 6 vH, die Bundesrepublik 4 vH. Den Entwicklungsländern mit 69 vH der Erdbevölkerung standen lediglich 8 vH der Energie zur Verfügung. Diese Kluft zwischen den „Überfluß“-Ländern und den „Mangel“-Ländern wird nicht kleiner, sondern immer breiter. Das ist nicht allein ein wirtschaftliches Problem, es ist eine der großen politischen Fragen unserer Epoche. Die Welt-Kohlenförderung ist ständig im Anstieg. Sie wuchs von 1950 auf 1963 um volle 70 vH. Die Kohlenkrise mit der Folge einer Förderdrosselung ist auf Westeuropa beschränkt. 1963 wurden in der Welt insgesamt 2160 Mill. t Steinkohle und 274 Mill. t SKE Braunkohle gewonnen. Noch rascher erhöhte sich die Erdölförderung. Sie stieg um 150 vH, von 522 Mill. t (1950) auf 1305 Mill. t (1963). Und wir gehen einer gewaltigen Ausweitung der Energiewirtschaft entgegen. 1860 entfielen bei einer Erdbevölkerung von 1,27 Md. je Kopf 0,12 t SKE an Energie, hundert Jahre später standen den 3 Md. Menschen je Kopf durchschnittlich 1,6 t SKE Energie zur Verfügung. Bis zum Jahre 2000 dürfte der Verbrauch je Kopf auf etwa 5 t SKE ansteigen (es gäbe dann keine „Entwicklungsländer“ mehr). Die Erdbevölke- rung dürfte im Jahre 2000 mindestens 5 Md. betragen, so daß sich ein Energieverbrauch von 20 bis 25 Md. t SKE jährlich ergibt. Das sind gigantische Mengen. Und angesichts dieser zu erwartenden Verbrauchssteigerung erhebt sich die Frage: Reichen dafür die Energiequellen unseres Planeten aus? Die fossilen Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas) sind eine einmalige, unersetzliche Naturgabe, sie sind eine Mitgift für die Menschheit, die die Natur in mehr als 100 Millionen Jahren aufgebaut hat. Wir haben die Pflicht, haushälterisch mit dieser kostbaren Gabe umzugehen, wir dürfen nicht unsere Verpflichtung kommenden Generationen gegenüber vergessen. Die Schätzungen über die Energievorräte der Erde weichen vielfach voneinander ab. Augenblicklich betragen die sicheren Erdölvorräte 40 Md. t. Beim jetzigen Verbrauchs- stand würden diese Vorräte in weniger als 40 Jahren aufgezehrt sein. Allerdings wurden immer neue Vorkommen entdeckt, so daß die Zahl 40 Md. provisorisch ist. 524 ZUKUNFTS ASPEKTE DER ENERGIEWIRTSCHAFT Die Steinkohlenvorräte werden von Fachleuten auf 880 Md. t (bis zu einer Tiefe von 1200 m) geschätzt. Andere Schätzungen gehen darüber hinaus, Nedelmann nennt 5000 Md. t, Jong gar 11 000 Md. t. 2) In einem sind sich jedoch alle Fachleute einig: die Kohlenvorräte übertreffen die Erdölvorräte um ein Vielfaches. Bei den Vorräten ist das Verhältnis Kohle — Öl 88:12; im Verbrauch haben wir heute ein Verhältnis von 52:48. Und bald wird wohl mehr Erdöl als Kohle verbraucht werden. Aber dennoch wird es nie ein „Erdöl-Zeitalter“ geben, so wie es einst ein „Kohle-Zeitalter“ gab. Dafür reichen die Ölvorräte einfach nicht aus. Und dann wird ja einmal die große Zeit der Kernenergie kommen ... Die Zukunft der deutseben Energiewirtschaft Ein amerikanischer Erdölexperte, Walter J. Levy, erstellte 1961 ein sehr interessantes Gutachten über „Lage und Entwicklungstendenzen des Weltölmarktes in ihrer Aus- wirkung auf die Energiepolitik Westeuropas, insbesondere der Bundesrepublik“. s) Er errechnete, daß sich das Sozialprodukt der Bundesrepublik bis 1975 verdoppeln, während der Energieverbrauch um rund 50 vH steigen dürfte (die Zunahme wird als Folge des Rückgangs des spezifischen Energieverbrauchs nicht dem Wachstum des Sozialprodukts folgen). 4) Levy erwartet für 1975 einen Energieverbrauch von 325 Mill. t SKE. Diese Schätzung dürfte zu niedrig liegen, denn allein in den hinter uns liegenden fünf Jahren erhöhte sich der westdeutsche Energieverbrauch um mehr als 50 Mill. t SKE. Wenn wir für die nächsten zehn Jahre einen möglichen Zuwachs von 100 Mill. t SKE ver- anschlagen, dann ergibt sich, daß 1975 mehr als 350 Mill. t benötigt werden. Aber selbst wenn wir Levys Schätzung als gegeben nehmen, dann muß man sich fragen: Aus welchen Quellen sollen die 325 Mill. t kommen? Nur ein ganz geringer Teil wird auf Kernenergie entfallen, die deutsche Ölgewinnung ist kaum weiter auszudehnen — und der deutsche Bergbau, die einzige bedeutende einheimische Energiequelle, sieht sich jetzt sogar neuen Zechenschließungen gegenüber. Es müßte also in den Jahren bis 1975 eine gewaltige Steigerung der Energieimporte vorgenommen werden. Das kostet sehr viel Devisen, und ein zu großes Maß Einfuhrabhängigkeit gefährdet die Sicherheit der Energieversorgung. Alle Voraussagen über die künftige Entwicklung der Energiewirtschaft wurden durch die Wirklichkeit in den Schatten gestellt. Das gilt für alle Prognosen der Montan- union und der EWG aus den letzten Jahren. Besonders drastisch ist die Fehleinschätzung vom Dezember 1962, einer Untersuchung der Hohen Behörde der „Langfristigen energiewirtschaftlichen Aussichten der Europäischen Gemeinschaft“: Für 1965 wird in dieser Studie ein westdeutscher Energieverbrauch in Höhe von 239 Mill. t SKE an- genommen. In Wirklichkeit wurde diese Marge bereits 1963 übertroffen (249 Mill. t SKE). Auch alle Voraussagen der Ölindustrie über die Entwicklung dieser Industrie in der Bundesrepublik, über Raffinerieausbau und Ölverbrauch, erwiesen sich als zu niedrig. 1961 schätzte die Ölwirtschaft den westdeutschen Ölbedarf für 1963 auf 41,1 Mill. t; tatsächlich wurden 57,5 Mill. t verbraucht. 1962 wurde — wie sich jetzt zeigt — wiederum eine falsche Rechnung aufgemacht: Der Ölverbrauch sollte 1964 auf 50 Mill. t steigen, es werden jedoch mindestens 66 Mill. t werden. Alle Angaben der Ölwirtschaft über den Ausbau der Raffinerien wurden übertroffen. Anfang 1963 gab es in der Bundesrepublik Raffinerien mit einer Kapazität von 2) Die Kohlenvorräte des Ruhrreviers bis 1200 m Teufe reichen für mehr als 300 Jahre (bei jetzigem Förderstand). 3) Joh. Heider Verlag, Bergisch Gladbach 1961. 4) Siehe dazu den Abschnitt „Immer bessere Nutzung der Energie*. 525 WALTER KÖPPING 52 Mill. t, die Ölwirtschaft erwartete damals einen Ausbau bis Ende 1966 auf 72 Mill.t. 8) Inzwischen wurden jedoch viele neue Projekte in Angriff genommen, so daß Ende 1966 eine Raffineriekapazität von über 92 Mill. t zu erwarten ist. Und auch das ist, nach allen Erfahrungen, lediglich eine vorläufige Ziffer. Dieser stürmische Ausbau der Ölwirtschaft in der Bundesrepublik bringt den Steinkohlenbergbau in schwere Bedrängnis. So dürfte in den kommenden Jahren das Angebot an Heizöl rascher steigen als der gesamte Energieverbrauch. Das wird zu Lasten des Kohleverbrauchs gehen. „Zur Zeit geht die Substitution so schnell vor sich, daß die Zunahme des Gesamtenergie- bedarfs die Abnahme des Kohlebedarfs