Kann das weg? Identität In soll ein eher hässliches DDR-Hotel abgerissen werden, und die Bürger wehren sich. Warum? Von Jochen-Martin Gutsch G K A Interhotel in Potsdam 1969 (heute Mercure-Hotel): „Notdurft-Architektur“

or ein paar Wochen war Kai Diek - Das „Mercure Hotel Potsdam City“ ist Mercure, standen den Plänen im Weg und mann, Herausgeber der „Bild“-Zei - keine Schönheit. Ein klotziger Plattenbau, sollten abgerissen werden. Preußische Tra - Vtung, zu Gast im Hotel Mercure in die Fassade gelblich, 210 Zimmer, 47 Jahre dition kämpfte gegen DDR-Moderne. Potsdam. Er fuhr hinauf in den 15. Stock alt, 17 Stockwerke, 60 Meter hoch. Walter West gegen Ost und umgekehrt. Promi - und verbrachte dort oben eine Nacht mit Ulbricht gab den Bau in Auftrag, Zsa Zsa nente Neu-Potsdamer gegen Alteingeses - weitem Blick über die Stadt. Diekmann Gabor soll mal hier gewohnt haben. An - sene. sagte, er wolle einen „Perspektivwechsel sonsten lässt sich nicht viel Aufregendes Zwischen diesen Frontlinien verlief sich in der Vertikalen hinkriegen“. berichten. Man könnte sagen: Der Streit auch der Milliardär und Neu-Potsdamer Es wurde nicht ganz klar, was er damit um das Haus ist wesentlich aufregender Hasso Plattner. Vor vier Jahren wollte er meinte. Aber es klang, als versuchte als das Haus selbst. Und er verrät viel über das Hotelgelände kaufen und dort eine Diekmann vor Ort zu erspüren, was es die jüngste deutsch-deutsche Geschichte. Kunsthalle errichten. Auf eigene Kosten. mit diesem Haus, erbaut als „sozialisti - Seit 1990 wird in Potsdam gestritten. Da - Eine großzügige Geste an Potsdam und sche Stadtkrone“, auf sich hat. Warum mals beschloss die Stadtregierung die Wie - die Potsdamer. Es war, als würde der neue sich Menschen gegen den geplanten Ab - derannäherung an das „historisch gewach - König sein Volk beschenken. Aber viele riss stemmen, als gälte es, einen Schatz sene Stadtbild“. In der Potsdamer Innen - Potsdamer wollten keinen König, sondern zu verteidigen. Womöglich versuchte stadt gibt es viel hübschen Barock und lieber das alte Osthotel, und protestierten. Diekmann das Haus mit ostdeutschem Schinkel und Knobelsdorff. An dieses ar - Hasso Plattner zog sich verwundert und Blick zu sehen. chitektonische Erbe wollte man anknüp - entnervt zurück, das Mercure lebte weiter Das war sicher nicht einfach. fen. Einige DDR-Bauten, später auch das und wurde endgültig zum Symbol in ei -

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nem Kulturkampf, in dem die einen bis Gute Frage. Sie wurde in São Paulo ge - Ist die DDR heute nicht auch längst his - heute mit Sichtachsen und historischen boren und wuchs in Hannover auf. Für torisch? In suchen Touristen ver - Stadtgrundrissen argumentieren und die sie waren das nur irgendwelche Häuser. zweifelt nach Spuren der Berliner Mauer. anderen mit der Auslöschung der Ostver - Für mich Zeitzeugen aus Beton. Ist das Nach Geschichte. Wir haben fast alles ab - gangenheit. Der Potsdamer Günther Jauch also DDR-Identität? Wenn man mit so ei - gerissen. Berlin ist die berühmte Mauer - bezeichnet das Mercure als „sozialistische ner Museumsführer-Attitüde durch die stadt, aber ohne Mauer. Notdurft-Architektur“. Der Potsdamer Welt läuft? Es wäre schade, wenn bald nur noch Bü - Manfred Stolpe spürt „Verachtung gegen - Dabei hat die DDR-Identität nur wenig cher, Museen und Stadtrandsiedlungen über den DDR-Plattenbauten“. mit der DDR zu tun. Sie entstand erst viel von der DDR erzählten. Einfach weil man Irgendwann nahm der ewige Streit wie - später, in den Neunzigerjahren, mit den ohne die Geschichte dieses Landes Teile der an Fahrt auf. Die Stadtregierung ver - Verwerfungen und Enttäuschungen der der deutschen Gegenwart nicht versteht. kündete den Plan, das Hotel vom Eigen- Nachwendezeit. Warum in Potsdam Leute für ein altes Ost - tümer, einem US-amerikanischen Invest - Fast alles, was aus dem Osten kam, wur - hotel kämpfen. Warum in so viele mentfonds, zu kaufen und anschließend de damals schnell als entbehrlich einge - Menschen bei Pegida mitlaufen. Warum abzureißen. Dagegen wehrt sich nun ein stuft. Die Geschichte, die Kunst, die Be - die Ostdeutschen anscheinend gern AfD Bürgerbegehren. Rund 17 000 Potsdamer triebe, die Erfahrungen, die Architektur. wählen. Warum ihnen Gleichheit zuweilen haben es innerhalb weniger Wochen un - Im Prinzip haben die Ostler nichts in die wichtiger ist als Freiheit. terschrieben, am vorvergangenen Mitt - deutsche Einheit eingebracht. Außer An - Nicht alles lässt sich mit der Vergangen - woch wurden die Unterschriftenlisten bei gela Merkel und Michael Ballack. Die Ost - heit oder der Identität erklären. Aber für der Stadt übergeben, ein Bürgerentscheid ler sollten vor allem wegwerfen. Das war den Westen ist die DDR-Geschichte noch wurde beantragt. Und es bleibt die Frage ihr Beitrag. immer keine gesamtdeutsche Geschichte. zurück: Warum kämpft man so vehement So wurden sie zu Müllmännern ihrer ei - Sie scheint ihm so fern und exotisch wie für einen alten DDR-Bau? Für ein Haus, genen Geschichte. Und wollten sich die die Geschichte Ugandas. Und so schaut er das aus einiger Entfernung an einen Be - Ostler von einer Sache nicht gleich tren - seit über 25 Jahren kopfschüttelnd auf das ton-Mittelfinger erinnert, der aus der frisch nen, wie vom Palast der Republik in Berlin, unbekannte Land dort im Osten wie in ein aufpolierten, historischen Potsdamer In - dunkles Loch. Wo als Reaktion auf das nenstadt herausragt? Es gibt Momente, da ewige Kopfschütteln die ewigen Abwehr - Ein Kollege vom  , aufgewach - reflexe weiter gepflegt werden. sen im Westen, hat dafür sofort eine Er - bin ich mir nicht Und in Potsdam? Soll dort, wo heute klärung parat: „DDR-Bürger sein heißt, mehr sicher, ob es die das Hotel steht, bald eine Wiese entstehen. das Hässliche als Ausweis der eigenen Iden - Genauer gesagt: die „Wiese des Volkes“. tität verteidigen zu müssen.“ DDR jemals gab. So heißt es in der Planung. Grünfläche Daran musste ich denken, als ich vor statt DDR. Die „Wiese des Volkes“ ist lei - ein paar Tagen in der Lobby des Mercure wurden ihnen wie bockigen Kindern gern der nicht ganz billig. Man muss das Hotel stand, auf eine der Unterschriftenlisten für zwei Dinge erklärt: wie hässlich das Ge - ja erst für einige Millionen Euro kaufen, das Bürgerbegehren schaute und mich frag - bäude doch sei. Und wie politisch fragwür - um es anschließend für einige Millionen te, ob ich dort auch unterschreiben würde. dig. Quasi: diktaturverseucht. Das machte Euro abzureißen. Es wird also eine echte Ob ich mich, vorausgesetzt, ich wäre Pots - die Ostler dann widerspenstig. Luxus-Liegewiese, deren Name klingt, als damer, für ein ästhetisch fragwürdiges Ost - Die DDR-Mentalität besteht, wie jede hätte ihn Erich Honecker erfunden. Das hotel in die Bresche werfen würde. Außenseitermentalität, vor allem aus ist die Zukunft. Ja, vermutlich. Aber warum? Um meine Trotz. Wenn Günther Jauch in Potsdam Oder doch nicht? Identität zu verteidigen? von „Notdurft-Architektur“ spricht, dann Womöglich hat der Bürgerentscheid, Ein Wort, das in jeder DDR-Architek - spüre ich quasi im gleichen Moment, wie sollte er zugelassen werden, Erfolg. Wo - tur-Debatte immer fällt, ist Nostalgie. So - das Mercure immer schöner wird. Wie ich möglich bekommt die Geschichte aber bald sich Leute dagegen wehren, dass die es immer vehementer verteidigen möchte. auch noch eine ganz andere, unerwartete letzten Spuren der DDR aus der Innen - Weil ich damit auch mich selbst vertei - Wendung. stadt von Berlin, Dresden, oder dige. Mein altes Leben in den Notdurft- Vor ein paar Wochen wurde das Mer- eben Potsdam verschwinden, wird ihnen Häusern von Notdurft-Land. cure, Eigentum des US-amerikanischen In - dieses Wort entgegengeschleudert, als Be - Manchmal bin ich so müde davon. vestmentfonds Starwood Capital Group, weis für ihre Rückwärtsgewandtheit und Manchmal will ich kein Ostler mehr sein, verkauft. Aber nicht an die Stadt Potsdam. Verklärung. Ich habe nie verstanden, was sondern mich in die Geschichte verabschie - Sondern an das französische Unternehmen an Nostalgie falsch sein soll. Nostalgie den. Manchmal möchte ich sagen: Reißt FDM Management. Und die Franzosen, so dient der Selbstvergewisserung. Die DDR das alte DDR-Zeugs doch ab! Dann sehne scheint es, möchten das Mercure gern be - ist verschwunden, und es gibt Momente, ich mich sehr nach der Zukunft. halten. Es ist vielleicht hässlich, aber zen - da bin ich mir nicht mehr sicher, ob es sie Und nach Zukunftsarchitektur. Kein tral gelegen und gut besucht. Topinvest - überhaupt jemals gab. Also halte ich mich Barock, kein Ostbeton. Sondern etwas ment. an Erinnerungen fest. Um zu begreifen, Neues, ein zeitgenössisches Stadtbild, Und so kann es sein, dass am Ende aus - wo ich herkomme. das gesamtdeutsche Identität schaffen gerechnet der internationale Finanzkapi - Vor einiger Zeit fuhr ich mit meiner Frau kann. Das ein Wirgefühl erzeugt. Ein talismus ein Stück Ostgeschichte rettet. nach Brandenburg, meine Eltern haben neues Heimatgefühl. Aber in Potsdam, Schwer zu sagen, wie das meine DDR- dort eine Datsche. Auf dem Weg durchs ehemalige Residenzstadt der Preußen- Identität verkraften würde. Dorf zeigte ich auf einige alte Häuser und monarchie, wollen sie die historische Mail: [email protected] sagte: „Hier war früher mal die LPG. Und Stadtgestalt wiedergewinnen. Und sich dort der Konsum. Da drüben das Kreiskul - dem Vorkriegszustand annähern. Als ob 360°-Fotos: turhaus.“ Meine Frau schaute auf die un - es den Krieg und die DDR nie gegeben Tour durch das Hotel scheinbaren Gebäude und sagte: „Interes - hätte. So wird sich der alte Graben kaum spiegel.de/sp292016hotel sant. Aber warum erzählst du mir das?“ schließen. oder in der App DER SPIEGEL

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