Spielzeitheft-2015 16.Pdf
Staatstheater Mainz Spielzeit 15/16 www.staatstheater- mainz.com 4 Liebes Publikum, 5 „Ein Mann, wie du, bleibt da / Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt / Ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt, / Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern“ – so fordert Sultan Saladin Nathan den Weisen auf, ihm die beste der drei großen Religionen zu nennen. Der antwor tet mit der Ringparabel. Wir werden „hingeworfen“ in dem Moment, in dem wir geboren werden. In eine Natio nalität, Religion, Gesellschaft. Die Geburt als reinen Zufall zu kennzeichnen und sie dann der Überprüfung durch „Einsicht, Gründe, Wahl des Bessern“ anheimzugeben, hat Folgen. Denn mit der Geburt wurde und wird legiti miert, was wir hinnehmen sollen: Die Macht vieler Herr scher begründet sich in Dynastien, unsere Religion wird uns in die Wiege gelegt. Das schreibt Hierarchien fest, schafft aber auch die einfache Sicherheit, dass die Dinge schon so ihre Ordnung haben werden. Hingegen – der reine Zufall? Und die Forderung, selbst etwas an die Stelle des vermeintlichen Schicksals zu setzen? Wo man doch eigentlich verzagen will angesichts der Wucht des Will kürlichen und unserer geringen Möglichkeiten, mit denen wir dagegen antreten sollen: „Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe bloßer Zufall“, schrieb Georg Büchner wenige Jahrzehnte nach Lessings Drama und Weltekel spricht aus diesen Worten. Nathan der Weise, der dem Schicksal die aufklärerische Kraft der Entscheidung entgegen setzt, ist eine der wichtigen Figuren im Schauspiel 2015/16. Ihm gegenüber steht Macbeth, der Getriebene, Machtberauschte. Doch schon Shakespeare scheint den Verlust des Vertrauens in gottgegebene Ordnungen zu erahnen. Wenn Geburt purer Zufall ist, kann sich selbst der Herrschaftsanspruch des Königs keine Gültigkeit mehr verschaffen.
[Show full text]