„Im Stillen Wirken“ Schwärmen
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Deutschland Willy-Brandt-Haus kommt, fragt der Pfört- ner schon mal nach ihrem Namen. KARRIEREN Doch sie jammert nicht. Wie die anderen Ex-Minister, die auch lieber von ihren ver- bliebenen „hoch spannenden Aufgaben“ „Im Stillen wirken“ schwärmen. Bergmann schließlich hat „’ne Menge zu tun“ im ZDF-Fernsehrat und in Ob Herta Däubler-Gmelin, Rudolf Scharping oder Walter Riester – der evangelischen Landessynode Berlin- Brandenburg. die ausgemusterten Minister des ersten Kabinetts Schröder Auch Ludger Volmer, der als grüner haben Mühe, auch gedanklich in der zweiten Reihe anzukommen. Staatsminister im Auswärtigen Amt von er SPD-Mann aus Nordrhein-West- falen hat Wichtiges zu tun: Hoch Dkonzentriert starrt Kurt Bodewig auf das Display seines elektronischen No- tizbuchs und gibt Daten ein – auch dann noch, als der Bundestagsausschuss „Ange- legenheiten der Europäischen Union“ bei Punkt sechs der Tagesordnung darüber ab- zustimmen hat, wie die „Nato auf neue Gefahren“ auszurichten sei. Der Abgeordnete Bodewig – bis vor we- nigen Monaten Bundesverkehrsminister – bekommt nichts mit. Erst als ihn ein Frak- tionskollege anstupst, blickt Bodewig er- schrocken auf und hebt die Hand. Wird schon das richtige Votum gewesen sein. Walter Riester sitzt drei Stockwerke tie- fer im Paul-Löbe-Haus gegenüber dem Kanzleramt und lauscht mit traurigem Blick, was der Ausschussvorsitzende zu den „Perspektiven der Entwicklungszu- sammenarbeit mit Kolumbien angesichts der aktuellen politischen Lage“ zu sagen hat. Riesters Thema ist das nicht. Erst als ihm ein Kollege von hinten ins Ohr raunt, hellt sich sein Gesicht auf. Das ist dem / DDP MICHAEL KAPPELER früheren Arbeitsminister vertraut, so et- Ex-Arbeitsminister Riester*: Kein Dienstwagen, keine Leibwächter, kein Pressereferent was passierte häufig – als sein Platz noch im Reichstag auf der Regierungsbank war. Bodewigs früherer Kollege Werner Mül- Parteifreundin Kerstin Müller abgelöst wur- Jetzt sitzen die einst hofierten Amtsin- ler versucht, die plötzliche Stille in seinem de, sieht sich „mit der Freiheit eines einfa- haber in den hinteren Reihen des Bundes- Leben mit dem Piano zu übertönen. „Das chen Abgeordneten nicht mehr so unter tags und üben Verzicht. Kein Dienstwagen Spielen der Klaviersonaten von Beetho- den Zwängen“ des Amtes. Die Trauer über mehr, keine Leibwächter, kein Presserefe- ven ist in den vergangenen vier Jahren viel den Verlust bewältigt Volmer durch Eigen- rent, keine Flugbereitschaft – der Abstieg zu kurz gekommen“, sagt der Wirtschafts- lob und Häme: „Meine Tätigkeit wurde un- vom Minister etwa für Verteidigung (Ru- minister a. D., der gerade von einer aus- produktiv – für jemanden, der sich immer dolf Scharping) oder Justiz (Herta Däubler- gedehnten Kreuzfahrt zurückgekehrt ist. als Gestalter und nicht als Verwalter ver- Gmelin) zum einfachen Abgeordneten geht Riester freut sich, „endlich die neuen standen hat. Hinzu kam der Ehrgeiz ande- so schnell, dass die ausgemusterten Füh- Aufgaben im Wahlkreis anpacken zu kön- rer, die, ob hierfür kompetent oder nicht, rungskräfte sichtlich Mühe haben, auch ge- nen“. So als wäre der Ausbau der Bundes- sich nach dem Posten drängten.“ danklich im großen Pulk anzukommen. straße 10 in seinem Wahlkreis Göppingen Schon etwas länger als die bei der Re- Lieber machen sie das, was wohl jeder in von ähnlicher Spannung wie der Umbau gierungsneubildung geschassten Kollegen ihrer Situation machen würde: Sie reden des Sozialstaats. Und Ex-Familienministerin konnte sich Ex-Verteidigungsminister sich die Lage schön. Bodewig etwa, inzwi- Christine Bergmann – vom Kanzler einst als Scharping an seine neue politische Wirk- schen stellvertretender Vorsitzender des Ministerin „für Gedöns“ verspottet – wid- lichkeit gewöhnen. Europa-Ausschusses, beschwört die Her- met sich nun verstärkt „dem Kartoffeldruck Zwar zeigt auf Scharpings Homepage in ausforderung, EU-Richtlinien für Chemi- mit den Enkeln“ und beteuert: Das Amt der Rubrik „Lebenslauf“ der Karrierepfeil kalien umzusetzen, redet von „litauischen „war ohnehin nie mein Lebensziel“. unverdrossen steil nach oben, doch in und lettischen Delegationen, die mich nach Wie abgemeldet sie wirklich ist, erfahren Wirklichkeit erlebte der frühere SPD-Vor- dem Kopenhagen-Gipfel sehen wollen“, Anrufer in ihrem alten Ministerium: „Wir sitzende einen Absturz wie selten ein Po- und schwärmt, „jetzt im Stillen wirken zu können uns nun wirklich nicht um jeden litiker vor ihm. Am 18. Juli 2002 wurde er können“ und nicht mehr so unter Dauer- ehemaligen Mitarbeiter kümmern“, sagt nach einer ganzen Reihe von Peinlichkei- beobachtung zu stehen. „Im Übrigen ist es eine Referentin, obwohl die frühere Che- ten und Skandalen mit einem 39-sekündi- nichts Ehrenrühriges, einfacher Parlamen- fin noch keine drei Monate fort ist. Wenn gen Statement des Kanzlers Gerhard tarier zu sein“, sagt er. Bergmann zur SPD-Präsidiumssitzung ins Schröder aus dem Amt gefegt. Am 22. Sep- Natürlich nicht. Doch so richtig schön ist tember 2002 verlor er seinen Wahlkreis es ebenso wenig, nun beinah ohne Macht, * Am 21. Oktober 2002 mit Bundespräsident Johannes Montabaur in Rheinland-Pfalz. In den Bun- Einfluss und Bedeutung zu sein. Rau bei der Überreichung der Entlassungsurkunde. destag rutschte er nur über die Landesliste. 36 der spiegel 2/2003 Selbst im Auswärtigen Ausschuss ist Schar- früherer Parlamentarischer Staatssekretär schüsse als Bühne, auf der sie sich einiger- ping lediglich „ordentliches Mitglied“ – Stephan Hilsberg, auch er inzwischen maßen in Szene setzen können. Doch also Anwesender ohne jegliche Leitungs- außer Diensten, hat „da einen anderen selbst das ist nicht garantiert. funktion. Eindruck“; er ist sicher, der Machtverlust Den ehemaligen Arbeitsminister hat es Viele andere Politiker würden sich nach so setze seinem ehemaligen Chef gehörig zu: wie Rudolf Scharping hart getroffen. viel Demontage ins Private verabschieden. „Die Karriere bedeutete ihm viel. Da muss Während Herta Däubler-Gmelin den Nicht so Scharping: Die Bitte, als stellvertre- man sich keine Illusionen machen. Per- Ausschuss für Verbraucherschutz und tender SPD-Vorsitzender zurückzutreten, da- spektiven, die er als Abgeordneter norma- Landwirtschaft leiten darf, ist Walter mit der rheinland-pfälzische Ministerpräsi- lerweise hätte, sind ihm nun verbaut, weil Riester im Entwicklungshilfe-Ausschuss dent Kurt Beck nachrücken könne, wischte er schon Minister war.“ Ein Spitzenpoliti- nur ein einfaches Mitglied ohne jede er mit dem Kommentar „alles Gequatsche“ ker a. D. könne sich nicht mehr zum Fach- Führungsposition. Sein neues Fachgebiet ver- dankt er einem Zufall: „Meine Mitarbeiter im Abgeordneten- büro hatten Entwicklungspoli- tik als Schwerpunkt. Da haben sie mich gefragt, ob ich nicht da rein will“, sagt Riester. Für ihn ist der plötzliche Autoritätsver- lust eine völlig neue Erfahrung – in seiner ersten Karriere als Gewerkschafter kletterte er ste- tig nach oben, zuletzt war er 2. Vorsitzender der IG Metall. Däubler-Gmelins Lebenslauf hingegen kennt viele Rück- schläge. 1991 unterlag sie bei der Wahl zum SPD-Fraktions- vorsitz im Bundestag gegen Hans-Ulrich Klose, 1993 sollte sie Vizepräsidentin des Bun- desverfassungsgerichts werden, wurde aber vor allem von dem damaligen CDU/CSU- Fraktionsvorsitzenden Wolf- gang Schäuble als „zu poli- tisch“ abgelehnt. 1997 schließ- MARC DARCHINGER MARC lich erwog sie, nachdem sie es Ehemalige Minister Däubler-Gmelin (l.), Scharping (r.) im Bundestag: Hinten sitzen und Verzicht üben nicht geschafft hatte, als stell- vertretende SPD-Bundesvor- beiseite. Stoisch macht er weiter, auch wenn gebietssprecher, zum Obmann im Aus- sitzende wiedergewählt zu werden, ganz sich im Bundestag niemand mehr gern mit schuss oder zum Staatssekretär hochar- aus der Politik auszusteigen. ihm unterhält und er zum Gespött der Frak- beiten. Alles wäre nur ein Rückschritt. Doch der Ehrgeiz trieb sie weiter, und so tionskollegen geworden ist. Doch aufgeben möchten Bodewig und rechnet die SPD auch jetzt wieder mit ihr. Den zuletzt Entlassenen ergeht es nicht die anderen nicht. Sie rackern weiter, Zwar liegt Däubler-Gmelin schon seit meh- viel besser. Für sie kam das plötzliche Ende angestrengt, um sich auf keinen Fall die reren Wochen im Krankenhaus in Tübin- ihrer politischen Karriere überraschend. eigene Niederlage eingestehen zu müs- gen und macht Bewegungsübungen wegen Werner Müller war sich sicher, „dass ich sen. Ihnen soll es nicht so ergehen wie eines Bandscheibenvorfalls. Minister bleibe“, Riester wollte seine Karl-Heinz Funke (Landwirtschaft), Rein- Doch spätestens zur Eröffnung der „große Arbeitsmarktreform schon gern sel- hard Klimmt (Verkehr) oder Andrea Fi- „Grünen Woche“ Mitte Januar in Berlin ber noch zu Ende bringen“, und Bergmann scher (Gesundheit), die nach ihrem Ab- will die schwäbische Juristin wieder Prä- erhielt vom Kanzler „jedenfalls gang in der Versenkung ver- senz zeigen und vermutlich der Regierung kein gegenteiliges Signal“. schwanden. das Leben schwer machen. „Die wird sich Selbst die frühere Justizminis- Die ausrangier- Christine Bergmann hatte, mit dem Ausschussvorsitz nicht zufrieden terin Herta Däubler-Gmelin hat- ten Minister ohne Erfolg, noch einmal ver- geben. Die wird wieder nerven“, sagt ein te sich nach ihrem Bush-Hitler- rackern weiter, sucht, wieder in den Bundestag SPD-Fraktionsvize. Vergleich Hoffnung auf eine um sich die zu gelangen. Nur Müller zog Vor allem die grüne Fachministerin Re- zweite Amtszeit gemacht, wie sie Niederlage sich als „Privatmann“ zurück. nate Künast muss sich wohl auf einiges ein- gegenüber