Mitteilungen aus dem Biosphärenreservat Rhön

Heft 17

Informationsmaterial des Biosphärenreservats Rhön/Verwaltung Thüringen

Mitteilungen aus dem Biosphärenreservat Rhön Heft 17/2012 Redaktionsschluss: 01.03.2012 Die hier veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Für den Inhalt der Beiträge und urheberrechtliche Absicherungen zeichnen die Autoren verantwortlich. Der Herausgeber behält sich das Recht redaktionell notwendiger Abänderungen vor. Alle Formen des Nachdrucks, der Vervielfältigung und der Speicherung – auch auszugsweise – bedürfen der schriftlichen Genehmigung des Herausgebers. Titelblatt: (Foto: K.-Fr. Abe)

1. Umschlagseite: Landschaftspflege durch Beweidung mit Rhönschafen (Foto: K.-Fr. Abe) Herausgegeben und redigiert vom Biosphärenreservat Rhön/Verwaltung Thüringen Goethestraße 1, 36452 Zella/Rhön, Telefon: 036964/8683-30, Fax: 036964/868355 E-Mail: [email protected]

Gestaltung, Satz und Druck: Wehry-Druck OHG, Im Wiesgrund 1, 98617 Untermaßfeld

1 INHALT

ZUM GELEIT...... S. 04

VORWORT ...... S. 05

Das Jahr 2012 ist das Jahr der Fledermaus ...... S. 06

I. PALÄONTOLOGISCHE FUNDSTELLEN IM BIOSPHÄRENRESERVAT RHÖN (Teil VII) Fossillagerstätte Sieblos – Schaufenster im Alttertiär – ein Süßwassersee vor ca. 35 Millionen Jahren ...... S. 07

II. IN EIGENER SACHE 1) Der Jahresrückblick auf 2011 ...... S. 13 2) 20 Jahre UNESCO-Anerkennung für die Rhön ...... S. 16 3) 40 Jahre UNESCO-Programm „Men and Biosphere“ MAB ...... S. 20 4) UNESCO-Resolution bekräftigt die „Dresdner Erklärung“ ...... S. 22 5) Appell an die europäischen Regierungen ...... S. 23 6) Thüringen erhält eigene Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt ...... S. 24 7) Der Beitrag der Nationalen Naturlandschaften zur Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie ...... S. 26

III. BELAUSCHT UND ERFORSCHT IN DER HEIMAT 1) Der Dermbach-Meteorit ...... S. 36 2) Archäologische Untersuchungen in befestigten Kirchhöfen Südthüringens ...... S. 40 3) Eine seltene Tierart auf dem Erbhof ...... S. 44 4) Eine Kanadagans überwinterte erstmals im Biosphärenreservat Rhön ...... S. 45 IV. PFLANZEN UND TIERE, BIOTOPE UND LANDSCHAFTEN IM BLICKPUNKT DES ÖFFENTLICHEN INTERESSES Pflanzen und Tiere des Jahres 2012 (Auswahl) 1) Das Blasse Knabenkraut – Orchidee des Jahres ...... S. 46 2) Die Heide-Nelke – Blume des Jahres ...... S. 48 3) Die Europäische Lärche – Baum des Jahres ...... S. 49 4) Der Graue Leistling – Pilz des Jahres ...... S. 52 5) Die Dohle – Vogel des Jahres ...... S. 53 6) Das Bach-Neunauge – Fisch des Jahres ...... S. 60 7) Das Kleine Nachtpfauenauge – Schmetterling des Jahres ...... S. 62 8) Die Gämse – Wildtier des Jahres ...... S. 63 9) Die Erdkröte – Lurch des Jahres ...... S. 65 10) Der Hirschkäfer – Insekt des Jahres ...... S. 69

V. WIR STELLEN UNS VOR Der Erbhof ...... S. 73

VI. NEUE LITERATUR 1) Der Erlebnisführer zu den Nationalen Naturlandschaften in Thüringen ...... S. 75 2) Die Gewässer Thüringens ...... S. 75 3) Natürlich gedacht ...... S. 76 4) Partners in the World Network ...... S. 76 5) Rote Listen der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten, Pflanzengesellschaften und Biotope Thüringens ...... S. 77 6) Die Naturschutzgebiete Thüringens ...... S. 77 7) Rhöner Genuss-Tour ...... S. 78 8) Johann Matthäus Bechstein (1757-1822) und die Forstbotanik...... S. 79

VII. Wissenswertes ...... S. 80 ZUM GELEIT

Liebe Leserin, lieber Leser, Menschen in der Region – vor allem mehr Personal das Biosphärenreservat Rhön zählt zu den „Nationa- und mehr Geld benötigen. len Naturlandschaften“ und gilt daher als eine promi- „Leben in Vielfalt“ könnte ein Motto gerade für die nente Adresse für den Naturschutz in Deutschland. Rhön sein, wie in diesem Heft verschiedene Beiträge Das führen einmal mehr verschiedene Beiträge die- unterstreichen. Es geht nicht nur um besondere ses Heftes vor Augen. Birkhuhn, Schwarzer Apollo, Arten und Lebensräume. Die Rhön hat neben ei- Goldener Scheckenfalter und Plumpschrecke sind nem Meteoriten auch paläontologische und archäo- Arten, für die Deutschland eine hohe Verantwor- logische Schätze zu bieten – Zeugen früher Land- tung trägt und die in der Rhön besonders wertvol- schaftsentwicklung. le Vorkommen besitzen. Bei den Lebensraumtypen sticht die Rhön vor allem mit den Berg-Mähwiesen In einer pluralistischen Gesellschaft sind unter- und artenreichen Borstgras- und Kalkmagerrasen schiedliche Meinungen ein positives Merkmal. So aus nationaler Sicht hervor. wird aktuell über die Abgrenzung von Kernzonen – zwingender Bestandteil des Biosphärenreservats zur Diese Arten und Lebensräume sind Bestandteile der ungestörten Naturentwicklung – und von Pflegezo- Kulturlandschaft – angewiesen auf den regelmäßi- nen mit Vorrang für Naturschutzziele teils heftig ge- gen nutzenden Eingriff des Menschen. Sie stehen als stritten. Diese sind aber mehr als nur ein „notwen- Beispiele für eine multifunktionale Landwirtschaft: diges Übel“: Sie stellen eine Chance dar, die Vielfalt eine extensive Nutzung, nicht auf wirtschaftliche und Alleinstellungsmerkmale der Rhön zu fördern. Höchst­erträge ausgerichtet, sondern auf größtmög- Und diese bilden ein Fundament für eine erfolgrei- lichen Nutzen für die Gesellschaft. Hier benötigt che Regionalentwicklung. Daran gilt es gemeinsam die Landwirtschaft eine Neudefinition ihrer Aus- zu arbeiten. richtung. „Ökosystemleistungen“ lautet ein junger Fachbegriff für das, was auf diese Weise gefördert Die guten Noten bei der zweiten Meinungsumfrage wird. Es gilt, nicht nur den Bauern ein wirtschaftlich in der Rhön können dazu anspornen: Zwei Drittel auskömmliches Arbeiten zu ermöglichen, sondern der befragten Bevölkerung sehen das Biosphärenre- zugleich die Biodiversität zu fördern, Beiträge zum servat eher als Vorteil für die Region, nur 5 % eher als Klimaschutz zu leisten, sauberes Wasser zu erhalten Nachteil. Nahe 100 % Zustimmung sollte das Ziel für und den Boden zu schützen. das dritte Jahrzehnt des Biosphärenreservats sein – mit Vielfalt an Natur, Landnutzung und nachhalti- In dieser Beziehung bestehen hohe Erwartungen an ger wirtschaftlicher Entwicklung, damit das Leben Biosphärenreservate: Sie sollen als Modellregionen von Mensch und Natur in der Rhön auch künftig für nachhaltige Landnutzung neue Lösungen erar- attraktiv bleibt. Das vorliegende Mitteilungs-Heft beiten und praktizieren. 20 Jahre Biosphärenreservat bietet manche Anregung dazu. Rhön sind Anlass, zurück und nach vorn zu schauen: Vieles wurde erreicht, sehr Vieles bleibt noch zu tun. Und so ist auf den folgenden Seiten auch nachzu­ Prof. Dr. Eckhard Jedicke lesen, dass verstärkte Anstrengungen – bei allem RhönNatur e.V., Oberelsbach lobenswerten ehrenamtlichen Engagement vieler Projektentwicklung im Naturschutz, Bad Arolsen

4 VORWORT

Liebe Leserinnen und Leser, werden kann. Alle Betroffenen erhalten die Möglich- liebe Freunde der Rhön, keit, sich mit ihren Belangen in die neue Zonierung das vergangene Jahr war das 20. Jubiläumsjahr der einzubringen. Anerkennung der Rhön als Biosphärenreservat durch die Weltkulturorganisation, der UNESCO. Unsere Mit der Durchführung und Begleitung dieses Pro- Heimat gehört seitdem zu den bedeutendsten Kul- zesses wurde das Büro „mensch und region“ aus turlandschaften der Erde. Eine hohe Auszeichnung Hannover als von den Interessen in der Region un- und Anerkennung der Leistungen der Rhöner Bevöl- abhängiger Vermittler beauftragt. Start war die kerung. Auftaktveranstaltung am 10. November 2011 in Dermbach. In den Sitzungen der thematischen Ar- In diesem Jahr werden wir entsprechend dem 10-jäh- beitsgruppen „Wald“, „Landwirtschaft“ sowie „Inf- rigen Rhythmus erneut von der UNESCO über- rastruktur/Tourismus“ wurden die Inhalte der zu- prüft. Wir werden Bilanz ziehen, aber auch den Blick künftigen Biosphärenreservatsverordnung und die nach vorne richten. Zonierung weiter diskutiert. Alle Betroffenen wur- den dazu eingeladen, ihre Hinweise zum ersten Zo- Nach den Kriterien für die Anerkennung und die nierungsvorschlag mitzuteilen. Dieser Entwurf dient Überprüfung von Biosphärenreservaten in Deutsch- ausschließlich als Diskussiongrundlage und stellt land sind mindestens 3% der Gesamtfläche als Kern- die aus Naturschutzsicht wertvollen Flächen dar. zone auszuweisen. Die Pflegezone (zur Erhaltung Er ist nicht dazu gedacht, so umgesetzt zu werden. und Entwicklung der naturschutzfachlich wert- Auf der Basis der eingegangenen Hinweise und An- vollsten Räume für Pflanzen, Tiere und den Men- regungen wird ein zweiter Vorschlag erarbeitet, der schen) soll mindestens 10 % einnehmen. Kern- und anschließend erneut vorgestellt und diskutiert wird. Pflegezone zusammen müssen mindestens 20 % der Erst wenn mit den Nutzern, Eigentümern und wei- Gesamtfläche betragen. Bei der Ausweisung von 3 % teren Betroffenen der neuen Kern- und Pflege­zonen Kernzonen sind also noch 17 % als Pflegezone not- ein gemeinsamer Entwurf der Zonierung erarbeitet wendig, um die geforderten Kriterien zu erfüllen. wurde, beginnt das eigentliche förmliche Auswei- sungsverfahren der Kern- und Pflegezonen. Der Um diese Ziele gemeinsam mit den Eigentümern, Kommunikationsprozess ist ein Angebot und eine Nutzern und Bewohnern der Region zu erreichen, Chance für alle Betroffenen und Interessierten, die findet seit November 2011 ein moderierter Kom- Zukunft ihrer Region gemeinsam mitzugestalten, munikationsprozess zur Erweiterung der Kern- und sich an einen Tisch zu setzen und offen miteinander Pflegezonen statt. Er dient dazu, die notwendige zu diskutieren. Erweiterung so zu gestalten, dass den Belangen aus Land- und Forstwirtschaft, Naturschutz, Touris- mus, den privaten Belangen der Bevölkerung und Karl-Friedrich Abe des Eigentums Rechnung getragen wird. Gemeinsam Leiter des Biosphärenreservats Rhön/Verwaltung mit den Betroffenen und Interessierten wird ein ab- Thüringen gestimmter Entwurf der Zonierung erarbeitet, der und Birgit Böhm anschließend in das förmliche Verfahren gegeben Moderatorin des Büros „mensch und region“

5 Das Jahr 2012 ist das Jahr der Fledermaus

Mehr als tausend verschiedene Fledermausarten gibt Verwaltung der Vereinten Nationen (UNEP – Uni- es auf der Welt und Fledermäuse spielen eine erheb- ted Nations Enviromental Programme) umgesetzt. liche Rolle für das ökologische Gleichgewicht. Vor allen in tropischen Gebieten vollbringen sie wert- CMS und EUROBATS feiern 2011 und 2012 ge- volle „Ökosystemleistungen“ und bestäuben fast ein meinsam das „Jahr der Fledermaus“. Während im Drittel aller Pflanzenarten im Regenwald. Aber auch Jahr 2011 vor allem Europa und seine Fledermausar- die in unserer Region heimischen Arten sind wich- ten im Mittelpunkt der zahlreichen Veranstaltungen tige „Dienstleister“, z.B. bei der Bestandsregulation standen, sollen im zweiten Jahr der Kampagne vor von Schadinsekten im Forstbereich. Vor allem den allem die „Batnights“, Fledermausfeste und Fleder- „Inhabern“ von Fledermausquartieren in privat ge- mausführungen, weltweit für Fledermäuse und ihren nutzten Immobilien fällt das „Fressen im Dienst der Schutz werben und auf die aktuellen Bedrohungen – Nachhaltigkeit“ auf, wenn sie an Sommerabenden in vom Quartierverlust in den Wäldern, den Gefahren ihren mückenfreien Gärten sitzen und „ihre“ Fleder- der Windkraftanlagen bis zu den Herausforderun- mäuse beim Beuteflug beobachten können. gen des Klimawandels – hinweisen.

Einen guten Überblick über die weltweiten Aktionen zum Jahr der Fledermaus erhält man auf der Face- book-Seite von „YOB“ unter der Adresse:

http://www.facebook.com/yearofthebat Während in Europa die großen Bestandseinbrüche bei den heimischen Fledermausarten – durch die Hartmut Geiger Intensivierung der Landnutzung, durch massiven Koordinationsstelle für Fledermausschutz Pestizideinsatz und erhebliche Quartierverluste bei in Thüringen Sanierung und Umnutzung von Gebäuden – bereits Mitte des letzten Jahrhunderts einsetzten, führten auch in den tropischen Schwellenländern in den letz- ten Jahrzehnten der steigende Wohlstand, der Raub- bau an den Regenwäldern und nicht zuletzt auch die touristische Erschließung dazu, dass mittlerweile auch weltweit viele Fledermausarten vom Aussterben bedroht sind.

Zum Schutz weltweit bedrohter Tierarten haben sich 116 Staaten der Welt im Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden Tierarten (CMS – Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals – auch Bonner Konvention genannt) Blick in die Wochenstube der Großen Mausohren in zusammengeschlossen. In Europa haben überdies 34 der Kirche von Neidhartshausen im Feldatal. Staaten das „Abkommen zur Erhaltung der europä- Am 21. Juli 2012 findet rund um die Kirche wieder das ischen Fledermauspopulationen (EUROBATS)“ un- traditionelle „Fledermausfest“ statt. Von den derzeit in terzeichnet, welches speziell dem Schutz der Fleder- Thüringen 20 vorkommenden Fledermausarten leben mäuse gewidmet ist. Beide Abkommen werden unter allein 17 in der Rhön. (Foto: M. Biedermann)

6 I. Paläontologische Fundstellen im Biosphärenreservat Rhön

(Teil VII) Fossillagerstätte Sieblos – Schaufenster im Alttertiär – ein Süßwassersee vor ca. 35 Millionen Jahren Frank GÜMBEL, Neidhartshausen

Die Fossillagerstätte Sieblos liegt am nordwestlichen Hang der Wasserkuppe und wurde nach der Ort- schaft Sieblos benannt. Das kleine Dorf liegt etwa 1,2 km südöstlich von der Fossillagerstätte entfernt und gehört zur Gemeinde Poppenhausen im Land- kreis . Fossilien machten die Lokalität bekannt und ermög- lichten die zeitliche Einordnung in das Alttertiär. Als Bindeglied zwischen dem Eozän der „Grube Messel“ bei Darmstadt und dem Oberoligozän der Seesedi- mente von „Rott“ bei Bonn (Siebengebirge) sind die dem Unteroligozän zugeordneten Seesedimente von Sieblos deutschlandweit einmalig. Die Fossilien und die geologische Entwicklungsgeschichte der Fossilla- gerstätte Sieblos sind bis heute Gegenstand wissen- schaftlicher Bearbeitungen. Die Fuldaer Porzellanmanufaktur ließ seit 1843 bei Sieblos nach Kaolin (Porzellanerde) graben. Im Win- ter 1846 auf 1847 wurde bei Grabungen auf Kaolin ein Braunkohlevorkommen (Papierkohle, bituminöse Abb. 1: Grube Sieblos im April 1919 Schiefer) entdeckt. Der auf die Braunkohle gezielte (Angaben zu den Personen: 1. Markscheider Clute- Bergbau begann hier aber erst im Jahr 1856. Bis An- Simon, 2. Geologe Dr. Delkeskamp, 3. Rutengänger fang des 20. Jahrhunderts folgten mehrere Abbauver- Schermuly, 4. Assistent zu 2., 5. Karl – Assistent zu 3., suche, dabei stand die Gewinnung von Teer und Öl 6. Direktor Bouisson) aus den gewonnenen Braunkohlen im Vordergrund. So wurden die bituminösen Schiefer von Sieblos Rhön. Die Haldenfunde erbrachten einen Mergel z. B. ab 1861 in der Paraffin- und Ölfabrik in mit Isopoden (Wasserasseln) und in einer Papier- zu „Solaröl“ verarbeitet. 1919 erfolgte ein letzter Ab- kohle Fische, Blätter und verdrückte Muscheln. 1855 bauversuch. Aber auch dieser Grubenbetrieb (Abb. 1) versuchte Hassenkamp selbst durch eine Grabung wurde nach Beendigung der Aufschlussarbeiten die Kohlen wieder aufzuschließen, mit dem Zweck, wegen Unwirtschaftlichkeit wieder eingestellt. weitere Fossilien zu bergen. Als im folgenden Jahr der Braunkohlenbergbau bei Sieblos seinen Anfang Der Ruf der Fossilien eilte dem Bergbau auf Braun- hatte, war dies für den Amateurpaläontologen von kohlen voraus. Auf den alten Abraumhalden der großem Vorteil. Hassenkamp war Entdecker der Kaolin-Grube bemerkte Ernst Conrad Hassen- Fossillagerstätte und stellte als erster fest, dass die kamp (1824-1881) erstmals Fossilien. Hassenkamp fossilreichen Ablagerungen von Sieblos älter als die war Apotheker in Weyhers und beschäftigte sich ab anderen Braunkohlevorkommen der Rhön waren. 1847 auch mit den geologischen Verhältnissen in der Er erforschte die tertiären Sedimente der Rhön mit

7 paläontologischer Sichtweise. Seine wissenschaftli- Sammlers geweckt hatte. Hugo Schubert (1914- chen Erkenntnisse teilt er bereits 1857 in Würzburg 2005) aus Poppenhausen, der sich im Ruhestand mit mit und 1858 wurden diese veröffentlicht (HAS- den Fossilien der Rhön beschäftigte, sammelte ab SENKAMP 1858). Hassenkamp stand im regen 1980 Sieblosfossilen und grub dabei die alten Hal- Schriftverkehr mit Fachgelehrten und Paläontologen den systematisch um. Bis 1992 brachte er es auf über seiner Zeit. So gehen mehrere Arbeiten über Fossili- 8000 Einzelfunde. en von Sieblos (HAGEN 1858, v. HEYDEN 1858, Der Autor selbst lernte Hugo Schubert Anfang der H. v. MEYER 1856 bis 1860) und die Erwähnung 90er Jahre durch einen Zufall kennen und unter- von Fossilgemeinschaften aus der Rhön in Gesamt- nahm mit ihm bis 1993 einige Exkursionen und Gra- darstellungen (HEER 1859, SANDBERGER 1858- bungen an den Halden der Fossillagerstätte. 1863) auf seine Initiative zurück (ASCHENBREN- „... Bei Hugo Schubert zu Hause konnte ich seine Fos- NER, MARTINI & SCHUBERT 2000). silfunde noch studieren und bestaunen. Gerne und kor- Die tertiären Sedimente von Sieblos sind nicht nur rekt gab er bei Besuchen in Poppenhausen Auskunft. Er wesentlich älter als die Braunkohlenablagerungen im vermittelte mir auch gut, dass es sich immer noch lohnt, Eisgraben bei Hausen, Lettengraben bei Wüsten- sich mit den tertiären Fossilien der Rhön zu beschäftigen sachsen, am Bauersberg bei Bischofsheim, bei Theo- und dass man sich über das Sammeln hinaus mit Wis- baldshof und bei , sondern weisen senschaftlern in Verbindung setzen soll. Hugo Schubert auch die höchste Fossildichte auf. Eine frühe Fossil- habe ich es zu verdanken, dass ich mich seither auf ter- liste (HASSENKAMP 1858) zählt bereits 13 Arten tiäre Fossilen und Ablagerungen der Rhön spezialisiert Pflanzen, 11 Arten Insekten, 8 Arten Fische, 3 Arten habe. ...“ Schnecken sowie Reste von Krokodilen, Fröschen, Vögeln, Muscheln, Muschelkrebsen, Spinnen und Das Fundmaterial von Hugo Schubert erbrachte Wanzen auf. Fische (Tafel 1) gehören zu den häufigs- auch viele Erstnachweise. In Zusammenarbeit mit ten Fossilien. H. v. MEYER schreibt 1857 in einer Experten wurde das Fossilmaterial in diversen Bear- Mitteilung an Professor Bronn (1800-1862): beitungen genau bestimmt und beschrieben. Große „... Die Braunkohlen der Rhön entfalten bei Sieblos Verdienste um die Fossillagerstätte Sieblos hat sich fortwährend ihren Reichtum an Versteinerungen. Herr Prof. Dr. Erlend Martini aus Frankfurt erworben, Hassenkamp hat mir nunmehr vom Smerdis1 gegen 100 der sich nicht nur in zahlreichen Arbeiten mit di- Exemplare mitgeteilt, die sämmtlich nur einer Spezies versen Aspekten zur Fauna von Sieblos beschäftigt anzugehören scheinen. ...“ hat, sondern auch 1988 im Band 24 der „Beiträge zur Naturkunde von Osthessen“ eine zusammenfassen- 1 Smerdis sieblosensis – Die fossilen Reste dieser mit de Darstellung dieser Lokalität herausgegeben hat dem Barsch verwandten Fischart gehören zu den (KOHRING & REITNER 1991). häufigsten Funden aus den Siebloser Halden. Nach Die paläontologischen Aspekte konnten zwar im moderner Bestimmung wird diese Art heute als „Da- Einzelnen beschrieben und dokumentiert werden, paloides sieblosensis“ bezeichnet.) Eine umfassende zudem ermöglichten die Halden-Fossilien eine Al- Bearbeitung der Fischfossilien von Sieblos erfolgte terseinstufung ins Unteroligozän (ca. 35 Millionen 1880 durch WINKLER. Jahre), aber die räumliche und zeitliche Anordnung der einzelnen Schichtglieder und damit die ganze Seit der Entdeckung der Fossillagerstätte Sieblos erdgeschichtliche Entwicklungsgeschichte der Fos- beschäftigt die Erforschung der Fundstelle bis in die sillagerstätte waren noch nicht hinreichend bekannt. Gegenwart Geologen, Paläontologen und Sammler. Um diesen Sachverhalt genauer zu klären, wurden 60 Jahre nach dem letzten Bergbauversuch lebt die unter der Leitung von Prof. Dr. Erlend Martini und Fossiliensuche bei Sieblos nochmals richtig auf. Wie- Prof. Dr. Peter Rothe in den Jahren 1994, 1998 und der war es Haldenmaterial, das das Interesse eines 1999 an der Fossillagerstätte Sieblos Forschungsboh-

8 Tafel 1: Diverse unbestimmte Fischfunde aus den Halden der Grube Sieblos rungen vorgenommen. Die Bohrkerne wurden nach stehung der Fossillagerstätte weitestgehend geklärt mineralogischen, geochemischen und paläontologi- werden. Die tertiären Ablagerungen der Sieblosfor- schen Aspekten untersucht. Durch die Forschungs- mation erreichen ein Mächtigkeit von 57 m. Abla- ergebnisse (MARTINI & ROTHE 1998, MAR- gerungen des zentralen Seebereichs lassen sich von TINI & ROTHE 2005, ROTHE 2006) konnten den randnahen Sedimenten unterscheiden. Das Vor- die Fragen zur sedimentären Abfolge und zur Ent- kommen der Seesedimente hat einen Durchmesser

9 von etwa 160-180 m und wird allseitig vom mittleren Eozän von Sieblos werden z. B. durch Stinkbäume und oberen Buntsandstein begrenzt. Vulkanische (Malvengewächse), Verwandte des Amberbaums, Tuffe im unteren Teil der Sieblosschichten legten Zypressen, Mastixien (Hartriegelgewächse), Feigen zunächst nahe, dass der See in einem überdimensi- und Zitronen, Strahlengriffelgewächse, Nelkenge- onalen Sprengtrichter (Maar) entstand, der durch wächse, Mondsamengewächse, Traubenmyrte und eine phreatomagmatische Explosion ähnlich wie das Teestrauchgewächse sowie einen Moosfarn belegt. „Dietrichsberg-Maar“ (GÜMBEL 2008) entstand. Die Masse der Fossilien stammt aber aus den fein- Später wurden die Vulkanite als Intrusionen gedeu- schichtigen Faulschlammablagerungen (Dysodil, tet, die lange nach Bildung der Seeablagerunen in die Papierkohle, wurde früher auch zu den Braunkohlen alttertiären Sedimente eingedrungen sind. Es dürf- gezählt) im unteroligozänen Schichtbereich der Sieb- ten also – ähnlich wie bei den benachbarten altter- losformation. Die fossilhaltigen Schichten enthal- tiären Kaolinvorkommen von Abtsroda – Füllungen ten vor allem zahlreiche Fische, aber auch Frösche, von Erdfällen vorliegen. Die ältesten Sedimente der Schlangen und Vogelreste. Krokodile sind durch „Sieblos-Doline“ entstanden laut paläobotanischen Zahnfunde nachgewiesen und die Reste eines Eies Befunden (HOTTENROTT 1998, MAI 1998) be- belegen das Vorkommen von Schildkröten. Zu den reits im Eozän. seltenen Säugetierfunden gehören Fledermäuse und Die ältesten Fossilien der Sieblosformation sind der Vorderschädel eines Traguloiden, ein Säugetier, Pflanzenreste aus der „Kaolinigen Verwitterungs- das mit dem heutigen etwa hasengroßen Hirschfer- rinde“ unmittelbar über dem Muschelkalk, welcher kel in Südostasien verwandt ist. Insekten, Spinnen das Liegende der Formation bildet. Dabei handelt sowie Schnecken (Abb. 2), Muscheln, Muschelkrebse es sich unter anderem um eine Karpoflora (Früchte und Wasserasseln runden das Bild der fossilen Mak- und Samen) mit 16 identifizierten Arten, die zum roreste von Tieren ab. Teil ausgestorben sind und nur im Eozän verbreitet An fossilen Pflanzenresten haben die dysodilen Sieb- waren. Bestandteile dieser eozänen Flora sind im- losschichten vor allem Überreste von Seerosen (Abb. mergrüne Bäume, Sträucher, Lianen sowie ein Farn. 3. u. 4.) geliefert. Bereits die Florenliste von HEER Ihre heutigen Artverwandten sind in den Tropen und (1859) mit 44 Arten zeigte, dass die Flora der dyso- Subtropen verbreitet. Die fossilen Pflanzenreste des dilen Sieblosschichten sehr reichhaltig ist.

Abb. 2: Kleines Sedimentstück aus den feingebänderten Abb. 3: „Nelumbium casparianum“ – Blatt einer see- Kalken der Sieblos-Schichten mit der keinen Schnecke rosenartigen Pflanze aus den Sieblos-Schichten. Zeich- „Hydrobia“. nung von K.-P. Kelber, Würzburg.

10 Abb. 4: „Nymphaea nymphaeoides“ – Historischer Fund von Sieblos, der 1894 durch F. KURTZ als „Nymphaea rhoenensis“ beschrieben wurde und sich in der Sammlung des Museums für Naturkunde in Berlin befindet.

Insgesamt deutet das Florenbild auf Wasser- und Poppenhausen. Im neugebauten Gemeindezentrum Sumpfpflanzengemeinschaften hin. Bestandteile die- in Poppenhausen wurde im Januar 1995 das „Sieblos- ser Flora sind u. a. drei tropische Nadelbaumarten, Museum“ eröffnet. Hier kann sich der interessierte ein Lianenfarn und eine hohe Anzahl von Bedeckt- Besucher kostenfrei einen Überblick zum aktuellen samern, wie z. B. Lorbeergewächse (Zimt), Seerosen, Stand der Sieblos-Forschungen verschaffen und die Mimosen, Ingwergewächse, Tupelobäume (Nyssa), fossilen Funde bestaunen. Walnussgewächse, Linden und immergrüne Eichen. Auch im Bereich der Mikrofossilien (u. a. Pollen, Al- Literatur gen, Dinoflagellaten und Süßwasserschwämme) ist ASCHENBRENNER, C., E. MARTINI & H. die Fauna und Flora reichlich vertreten. SCHUBRT (2000): Ernst Conrad Hasssenkamp Innerhalb von Deutschland, sogar europaweit, (1824-1881), Apotheker, Kaufmann, Geologe und kommt der Fossillagerstätte Sieblos gegenüber an- Bergwerksbesitzer. – Beiträge Naturkunde Osthes- derer Fundstellen eine Sonderstellung zu, da es bis- sen, 35: 47-62, 13 Abb.; Fulda. lang das einzig fossile Süßwasserbiotop im Unteren Oligo­zän ist. Die Fossillagerstätte kann aufgrund GÜMBEL, F. (2008): Das Dietrichsberg-Maar. Ein ihrer Fossilien als Süßwassersee mit Verlandungszo- untermiozäner Maarsee am nördlichen Rand der nen und einem umgebenden Ufer- und Sumpfwald Thüringischen Rhön vor 19 Millionen Jahren. – Mit- rekonstruiert werden. teilungen aus dem Biosphärenreservat Rhön, Heft 13: 6-20; Untermaßfeld. Das Grubengelände der ehemaligen Grube Sieblos ist seit 1993 amtliches Bodendenkmal in Hessen. HAGEN, H. A. (1858): Zwei Libellen aus der Die Fossiliensammlung von Hugo Schubert wurde Braunkohle von Sieblos. – Palaeontographica, 5: 121- in zwei Stiftungen aufgeteilt, eine an das Vonderau 124, Taf. 24; Cassel. Museum in Fulda und die andere an die Gemeinde

11 HASSENKAMP, E. (1858): Geognostische Be- MARTINI, E. & P. ROTHE (Hrsg.) (1998): Die schreibung der Braunkohlenformation in der Rhön. alttertiäre Fossillagerstätte Sieblos an der Wasser- – Verh. Phys. Med. Ges. Würzburg, 8: 185-211, 8 kuppe / Rhön. – Geol. Abh. Hessen, Band 104: 274 Taf.; Würzburg. S., 41 Abb., 16 Tab., 37 Taf.; Wiesbaden.

HEER, O. (1855-1859): Flora tertiaria Helvetiae. MARTINI, E. & P. ROTHE (2005): Die Fossilla- (Die tertiäre Flora der Schweiz). – Bd. 1 (1855): 117 gerstätte Sieblos an der Wasserkuppe/Rhön – Neue S., Bd. 2 (1856): 110 S., Bd. 3 (1859): 378 S.; Winter- Daten zur Genese, zum Alter und zur Fossilfüh- thur (Wurster & Co.). rung. – Geol. Jb. Hessen, 132: 55-68, 9 Abb., 2 Tab.; Wiesbaden. HEYDEN, C. von (1858): Fossile Insekten aus der Braunkohle von Sieblos. – Palaeontographica, 5: MEYER, H. v. (1856): Mitteilungen an Professor 115-120, Taf. 23 Fig. 11-19; Cassel. BRONN gerichtet. – N. Jb. Miner. Geogn. Petrefac- tenkde., Jg. 1856: 824-829; Stuttgart. HOTTENROTT, M. (1998): Mikrofloren aus den Bohrprofilen Sieblos 1994/1 und 1994/2 an der Was- MEYER, H. v. (1857): Mitteilungen an Professor serkuppe/Rhön (Eozän – Unter-Oligozän). – In: BRONN gerichtet. – N. Jb. Miner. Geogn. Petrefac- MARTINI, E. & ROTHE, P. (Hrsg.): Die altter- tenkde., Jg. 1857: 554-558; Stuttgart. tiäre Fossillagerstätte Sieblos an der Wasserkuppe/ Rhön. – Geol. Abh. Hessen, 104: 201-213, 1 Tab., 3 MEYER, H. v. (1858): Palaeoniscus obtusus, ein Iso- Taf.; Wiesbaden. pode aus der Braunkohle von Sieblos. –Palaeonto- graphica, 5: 111-114, Taf. 23 Fig. 1-10; Cassel. KOHRING, R. & J. REITNER (1991): Fossilien aus dem Oligozän von Sieblos/Rhön. – Fossilien 8 MEYER, H. v. (1859-1861): Frösche aus den Tertiär- (6): 359-366, 6 Abb.; Korb. Gebilden Deutschlands. –Palaeontographica, 7: 123- 182, Taf. 16-22; Cassel. (Sieblos, Kaltennordheim) MAI, H. D. (1998): Paläokarpologische Unter- suchungen im Alttertiär von Sieblos/Rhön. – In: ROTHE, P. (2006): Mineralogische und geoche- MARTINI, E. & P. ROTHE (Hrsg.): Die alttertiäre mische Untersuchungen an Sedimenten der For- Fossillagerstätte Sieblos an der Wasserkuppe/Rhön. schungsbohrungen Sieblos 1998 und 1999 (Was- – Geol. Abh. Hessen, 104: 157-164, 1 Tab., 2 Taf.; serkuppe/Rhön) – Geol. Jb. Hessen, 133: 83-94, 7 Wiesbaden. Abb., 3 Tab.; Wiesbaden.

MARTINI, E. (Koord.) (1988): Geologie und Palä- SANDBERGER, F. (1858-1863): Die Conchylien ontologie der oligozänen Ablagerungen von Sieblos des Mainzer Tertiaerbeckens. - 458 S. 1 Tab., 35 an der Wasserkuppe / Rhön. – Beiträge Naturkunde Taf.; Wiesbaden. Osthessen, 24: 212 S.; Fulda. WINKLER, T. C. (1880): Mémoire sur les poissons MARTINI, E. & B. PFLUG (1997): Die Fossilla- fossiles des lignites de Sieblos. – Arch. Mus. Teyler, gerstätte Sieblos bei Poppenhausen (Wasserkuppe) 5: 85-108, Taf. 3-4; Haarlem. in der Rhön. Lebensgemeinschaften in einer Abla- gerung des Unter-Oligozäns im Landkreis Fulda. – Paläontologische Denkmäler in Hessen, 6: 16 S. 13 Abb.; Wiesbaden.

12 II. IN EIGENER SACHE

1) Jahresrückblick auf 2011 Karl-Friedrich ABE, Biosphärenreservat Rhön/Verwaltung Thüringen

Im 20. Jubiläumsjahr des Biosphärenreservats Umfrage Rhön hatte die thüringische Verwaltung ein viel- Die Meinungsumfrage, es war die zweite dieser Art fältiges Veranstaltungsprogramm erarbeitet und nach 2002, wurde von den drei beteiligten Bundes- auch mit regionalen Partnern angeboten. So wur- ländern Bayern, Hessen und Thüringen in Auftrag den insgesamt 162 Veranstaltungen (29 mehr gegeben. Für die Studie wurden insgesamt 752 tele- als im vergangenen Jahr) in der Region durchge- fonische Interviews, gleichmäßig verteilt auf alle drei führt, bei denen mehr als 10.800 Besucher und Länder, durchgeführt. Gäste begrüßt werden konnten. Weiterhin be- Danach leben 94 % der befragten Menschen gerne in suchten über 6.000 Gäste das Informationszen- der Rhön. 91 % der Befragten sind stolz darauf, in trum in Zella (das waren fast 1.000 Gäste mehr als der Rhön zu leben. Auch die Lebensqualität wird von 2010). Den Schwerpunkt 2011 bildeten Exkursi- 97 % der Befragten mit gut bis sehr gut bewertet. 9 onen und Führungen zu unterschiedlichsten The- von 10 Befragten (89 %) assoziieren mit der Rhön das men, an denen mehr als 5.700 Interessierte teilnah- Biosphärenreservat, wie die Studie ermittelte. 94 % men. Die Kinder- und Jugendarbeit hat nach wie schätzen die Ruhe und die Geborgenheit, 88 % die vor einen festen Platz in der Öffentlichkeitsarbeit. intakte, unbelastete Natur. Über 2.000 junge Menschen nahmen die entspre- chenden Angebote an. Zwei Drittel der Befragten sehen das Biosphären- reservat eher als Vorteil für die Region und nur 5 % 20 Jahre UNESCO-Biosphärenreservat Rhön mit eher als Nachteil. 73 % teilen die Auffassung, dass das kanadischen Gästen Biosphärenreservat für viele Gegenden mustergültig Im vergangenen Jahr stand das 20. Jubiläum der An- und ein Vorbild für andere Regionen in Deutschland erkennung der Rhön als Biosphärenreservat durch und im Ausland ist. die UNESCO im Mittelpunkt. Zur Würdigung dieses Ereignisses gab es sehr viele Veranstaltungen Junior-Ranger in Bayern, Hessen und Thüringen. Die gemeinsame Die Junior-Ranger des Biosphärenreservats spielen Festveranstaltung wurde in Gersfeld federführend bei der Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Rolle, gilt von Hessen organisiert (siehe dazu den nachfolgen- es doch, Kinder und Jugendliche an die Natur heran- den Beitrag). zuführen und ihnen Anleitungen zu vermitteln, wie sie die Naturschätze ihrer Heimat pflegen und erhal- In Thüringen wurde das Jubiläum mit Partnern aus ten können. Dazu treffen sie sich einmal im Monat dem kanadischen Biosphärenreservat Redberry Lake zur Projektarbeit. (Saskatchewan) gefeiert und die gemeinsame drei- Als besonderer Höhepunkt im Jahr gilt dabei immer sprachige Broschüre über die Partnerschaft vorgestellt das bundesweite Junior-Ranger-Treffen. Es fand im (siehe auch unter Neue Literatur). Der Landgasthof vergangenen Jahr auf der Nordseeinsel Langeoog im „Zur Guten Quelle“ in Kaltensundheim hatte eigens Biosphärenreservat Niedersächsisches Wattenmeer zum Jubiläum ein Festmenü „20 Jahre Biosphärenre- statt, an dem auch 10 Ranger aus der thüringischen servat Rhön“ kreiert. Rhön teilnehmen konnten.

13 Zum 20. Jubiläum des Biosphärenreservats in Gersfeld Schon im Hof der Familie Koch aus Stedtlingen findet zeigten die Junior-Ranger, wie man Nistkästen baut. man eine Gartenanlage.

Die 6. Naturerlebnistage restaurierte Orgel eingeweiht und die Frauen des Im vergangenen Jahr fanden auch wieder unsere Ortes stellten mit leckeren Kuchen ihr Können unter Naturerlebnistage statt. Die Gemeinde Stedtlingen Beweis. war diesmal der Gastgeber. Den Beginn machte eine Wanderung zum Stedtlinger Moor unter Führung von Walter Uloth.

Ein buntes Programm mit vielen Partnern wurde zusammengestellt. So wurde zum Beispiel von der Heimatzeitung „FW Meininger Tageblatt“ in Zu- sammenarbeit mit der Reservatsverwaltung ein Wett- bewerb „Schönster Hausgarten“ in der Gemeinde Rhönblick organisiert. Den 1. Platz belegte der Gar- ten der Familie Koch aus Stedtlingen. Platz 2 ging an Wolfgang Hartmann aus Gerthausen und den Zum Naturerlebnistag transportierte die Ziegenpost die 3. Platz erreichten Margot und Günter Göpfert aus Briefe nach Stedtlingen. Stedtlingen. Einen Sonderpreis, weil nicht aus Rhön- blick, erhielt Eberhard Zentgraf aus Mittelsdorf.

Die Meininger Briefmarkenfreunde hatten sich et- was ganz Besonderes einfallen lassen: Eine Ziegen- post beförderte die Sonderbriefe und Karten, auch mit einer speziellen Briefmarke zu Stedtlingen, mit einer Thüringerwald-Ziege vom bayerischen Filke in den thüringischen Veranstaltungsort.

Die Junior-Ranger zeigten den Besuchern, wie man Nistkästen baut und der Kindergarten bot ein Pro- Eine Thüringerwald-Ziege aus dem Tierpark Suhl gramm für die Kleinsten. In der Kirche wurde die beförderte die Sonderpost.

14 International stand das Jahr unter dem Motto „2011 – Erhaltung der Streuobstwiese in Zella Jahr der Wälder“. Dazu gab es einige Veranstaltun- Streuobstwiesen spielen eine große Rolle für die bio­ gen, Führungen und die Verwaltung des Biosphären- logische Vielfalt und zählen zu den artenreichsten reservats Rhön hatte ein thematisches Poster entwi- Lebensräumen Mitteleuropas. So eine alte Streu- ckelt, was vor allem auch an Schulen verteilt wurde. obstwiese befindet sich direkt hinter der Propstei. Hier stehen über 80 alte Obstbäume, die schon jah- relang nicht mehr ausgeschnitten wurden und drin- gend einer Pflege bedurften. Gemeinsam mit der Verwaltung initiierte die Gemeinde Zella deshalb ein Streuobstwiesenprojekt.

Auf Grund der zahlreichen alten Obstsorten ist die Streuobstwiese auch Sortengarten und Genreserve. Die Obstbäume wurden inzwischen ausgeschnitten Voller Stolz zeigen die Landfrauen ihr Können. und bei der Beräumung der Fläche haben die Juni- or-Ranger des Biosphärenreservats fleißig geholfen. Auch einige Schüler vom Rhöngymnasium konnten für die Streuobstwiese begeistert werden. So orga- nisierten Schüler für Schüler im Oktober vorigen Jahres ein kleines Streuobstfest mit Apfelernte, Saft- pressen und einigen Spielen.

Poster (Repro.)

Kräuterfrau Brigitte Ansorg aus Hermannsfeld bot Erhard Dessler aus Kaltenwestheim beim Frühjahrs- Produkte aus eigener Herstellung an. schnitt.

15 Besucher im Biosphärenreservat lie die Rhön. Die Landtagspräsidentin Birgit Diezel Auch im vergangenen Jahr konnte die Verwaltung stattete der Verwaltung in Zella einen Arbeitsbesuch viele Gäste aus dem In- und Ausland begrüßen. Eine ab und die Landtagsabgeordnete Eleonore Mühlbau- Delegation mit Teilnehmern aus Südkorea, Japan er, Sprecherin der SPD-Fraktion für Landwirtschaft und Vietnam besuchte vor dem internationalen Kon- und Naturschutz, besuchte im August die Nationa- gress „40 Jahre UNESCO-Programm Der Mensch len Naturlandschaften Thüringens, darunter auch und die Biosphäre“, der in Dresden stattfand, die das Biosphärenreservat Rhön, um sich über deren Rhön. Unter ihnen waren Vertreter der National­ Entwicklung zu informieren. komitees des UNESCO-Programms „Der Mensch und die Biosphäre“, Hochschuldozenten sowie Ver- 40 Jahre UNESCO-Programm treter einzelner Biosphärenreservate. „Men and Bio­sphere“ (MaB) Dieses internationale Programm beging im vergan- Der hochrangigste Vertreter war Prof. Chung Il genen Jahr sein 40jähriges Jubiläum und wurde in Choi, Vorsitzender des internationalen Koordinie- Dresden mit einer Konferenz gewürdigt. rungsrates für die weltweiten Biosphärenreservate. (siehe auch nachfolgende Berichte).

Aus der Ukraine besichtigten Vertreter aus dem Erweiterung der Kern- und Pflegezonen Umweltministerium und verschiedenen Großschutz- Um das Flächendefizit an Kern- und Pflegezonen gebietsverwaltungen das Informationszentrum in zu beheben, wurde im November ein moderierter Zella und die Agrargenossenschaft in Dermbach Diskussionsprozess auf den Weg gebracht. Auf der zum Erfahrungsaustausch. Aus dem Partnerbio- Homepage www.biosphaerenreservat-rhoen.de kann sphärenreservat Redberry Lake in Kanada besuchten man den Stand und die Entwicklung des Prozesses der Vizedirektor Andrew Hawrysh mit seiner Fami- verfolgen (siehe auch unter Vorwort).

2) 20 Jahre UNESCO-Anerkennung für die Rhön Carsten KALLENBACH, Mediendienst

Das UNESCO-Biosphärenreservat Rhön hat sein Minister für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und 20. Jubiläum in Gersfeld gefeiert – und zwar unter Naturschutz Jürgen Reinholz, der Amtschef des anderem mit einer Regionalkonferenz, auf der rund Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Ge- 300 geladene Teilnehmer über ein Perspektivpapier sundheit Wolfgang Lazik sowie Dr. Frauke Druckrey diskutierten, in dem die Entwicklung für die nächs- vom deutschen Nationalkomitee für das Programm ten zehn Jahre festgehalten werden soll. Dabei wurde der UNESCO „Der Mensch und die Biosphäre“. deutlich, dass in einzelnen Bereichen wohl durchaus „Die Rhön ist einzigartig“, sagte die hessische Um- noch längerer Diskussionsbedarf besteht. weltministerin und meinte damit auch die Erfolge Wo soll die Reise des UNESCO-Biosphärenreser- der vergangenen 20 Jahre. Allerdings bedeute die Ar- vats Rhön in den nächsten zehn Jahren hingehen? beit in einem Biosphärenreservat das Bohren dicker Bretter, denn ökonomische, ökologische und soziale Zunächst gehörte der Tag denjenigen, die Gruß- Interessen müssten stets und immer wieder ausge- worte an die Teilnehmer der Regionalkonferenz zu glichen werden. „Was die Kernzonen-Ausweisung überbringen hatten. Unter ihnen waren Hessens betrifft, habe ich keinen Grund zu zweifeln, dass es Ministerin für Umwelt, Energie, Landwirtschaft gelingt“, sagte Lucia Puttrich. Ministerialdirigent und Verbraucherschutz Lucia Puttrich, Thüringens Wolfgang Lazik sah die Zukunft des Biosphären-

16 Auf den schleichenden Nutzungswandel innerhalb der Agrarstruktur der Rhön machte Prof. Eckhard Jedicke aus Bad Arolsen aufmerksam, der in der Rhön bereits viele Projekte im Bereich Landwirtschaft und Naturschutz betreute und wissenschaftlich be- gleitete. Das Grünland werde intensiver genutzt als früher; hinzu kämen der Bio-Energie-Boom, Nähr- stoffeinträge aus der Atmosphäre, eine intensivierte Ackernutzung und reduzierte Fruchtfolgen. Nahezu überall sei eine Abnahme des Rinderbestandes zu beobachten: Im Rhön-Grabfeld-Kreis sei dieser um 31 Prozent, im Landkreis Bad Kissingen um 16,7 Prozent gesunken – und das in nur 13 Jahren. Hin- Der Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums für gegen steige der Schweinebestand – beispielsweise im Umwelt und Gesundheit, Ministerialdirigent Wolfgang gleichen Zeitraum um 47,7 Prozent im Rhön-Grab- Lazik, Thüringens Minister für Landwirtschaft, For- feld-Kreis. In vielen Regionen, auch in der Rhön, sten, Umwelt und Naturschutz Jürgen Reinholz und sei aufgrund der Energiewende eine „Vermaisung“ Hessens Ministerin für Umwelt, Energie, Landwirt- der Landwirtschaftsfläche zu beobachten, was zur schaft und Verbraucherschutz Lucia Puttrich (v.l.n.r.) Strukturverarmung, zunehmender Bodenerosion, einem Verlust der Blütenbestäuber und letztlich zum reservats Rhön ebenfalls optimistisch. „Das Kern- Sorten- und Artensterben beitrage. Die Erhaltung zonendefizit werden wir abarbeiten, auch wenn es der Landschaft, sagte Jedicke, sei aber ein wichtiger eine Herkulesaufgabe ist“, sagte er. Thüringens Um- Indikator gerade für den Tourismus und die Regio- weltminister Jürgen Reinholz erklärte, dass das Bio- nalentwicklung. sphärenreservat Rhön anderen Regionen vorlebe, wie Naturschutz und wirtschaftliche Entwicklung mit- Gleichzeitig wies Jedicke darauf hin, dass das Rah- einander in Einklang gebracht werden können. Bis menkonzept für das Biosphärenreservat Rhön in- 2013, kündigte er an, werden im Thüringer Teil rund zwischen 17 Jahre alt ist. „Das kann nicht mehr als 700 Hektar weiterer Kernzonen ausgewiesen sein. Planungsgrundlage dienen. Gerade der Landnut- zungswandel braucht eine Steuerung“, unterstrich er. Dr. Frauke Druckrey wunderte sich ein wenig, dass Das neue Rahmenkonzept dürfe nicht am „grünen das Thema der Kernzonen im Biosphärenreservat Tisch“ entschieden werden, sondern müsse von den Rhön derart intensiv diskutiert werde. „An den drei Hauptakteuren der Region und allen Bewohnern Prozent Mindestfläche ist nicht zu rütteln“, machte ausgehen. Jedicke regte an, in Zukunft ein „Regio- sie deutlich. Das sei nun einmal die internationale nalförderzentrum“ aufzubauen, und zwar als unab- Vorgabe für Biosphärenreservate. hängige Organisation zu den Verwaltungsstellen des Biosphärenreservats Rhön. Dieses müsse Förderpro- Das Perspektivenpapier für das Biosphärenreservat gramme auswerten, die Antragstellung für Förderun- Rhön umfasst die Bereiche nachhaltige Entwicklung, gen koordinieren und vor allem Neues ausprobieren, Natur und Umwelt, Land- und Forstwirtschaft, er- beispielsweise alten Kultursorten wieder vermehrt neuerbare Energien und Klimaschutz sowie die Bil- eine Chance auf den Äckern der Rhön geben. „Wenn dung für nachhaltige Entwicklung. Gewissermaßen jedes Bundesland pro Jahr eine halbe Million Euro als Einstimmung darauf gab es drei verschiedene für dieses Zentrum zur Verfügung stellt, dann könn- Vorträge, die Teile der Themenschwerpunkte be- te mit den so zustande kommenden rund 1,5 Millio- leuchteten. nen Euro eine Menge bewegt werden“, meinte Jedi-

17 cke. Einen Kostenvergleich mit dem geplanten Bau der B 87n konnte er sich in diesem Zusammenhang nicht verkneifen: Diesbezüglich würde man schließ- lich von 242 Millionen Euro sprechen.

Kritik am Rhön-Tourismus übte Dieter Popp, Ge- schäftsführer von „Futour“, der Anfang der 90er- Jahre maßgeblich am Aufbau der hessischen Ver- waltung für das Biosphärenreservat Rhön beteiligt war. „Die Rhön schafft es nicht, sich im Tourismus auf eine Pole-Position zu bringen.“ In der Eifel sei das zwischen zehn Landkreisen und zwei Ländern ge- lungen, im Harz zwischen sieben Landkreisen und drei Ländern. Popp fand jedoch auch lobende Worte Die drei Verwaltungsstellenleiter des Biosphärenreser- für die Entwicklung des Biosphärenreservats Rhön vats Rhön: Torsten Raab (Hessen), Karl-Friedrich Abe in den letzten 20 Jahren – die Rhöner Apfelinitiati- (Thüringen) und Michael Geier (Bayern). (v. l. n. r.) ve, die Erhaltung des Rhönschafs und solche Firmen wie Bionade oder tegut… stünden stellvertretend für kreis) als Ansprechpartner zur Verfügung. Zunächst viele andere. gab es zahlreiche Wortmeldungen, auch aus dem Teilnehmerkreis der Regionalkonferenz, zum The- Michael Diestel vom Bayerischen Bauernverband ma B 87n. Landrat Woide sprach hierbei von einem Rhön-Grabfeld stellte die zahlreichen Energiepro- Zielkonflikt zwischen wirtschaftlicher Entwick- jekte in der bayerischen Rhön vor, die alle nach dem lung und Naturschutz und schlug vor, sich Zeit zu Raiffeisen-Prinzip auf der Grundlage verschiede- nehmen, um miteinander zu diskutieren. Reinhard ner Genossenschaften funktionieren. In den fünf Krebs meinte, dass es bei der B 87n einen Kompro- Rhönlandkreisen gebe es ein ungefähres Vermögen miss geben werde. Kritik kam hingegen erneut von von rund 39 Milliarden Euro. „Damit können wir Prof. Eckhard Jedicke: Es könnten noch so viele Aus- den ländlichen Raum entwickeln.“ Es gehe darum, gleichsmaßnahmen für den Bau der B 87n vorgese- zur Realisierung einzelner Energieprojekte immer hen werden – all diese könnten den Eingriff in das möglichst viele Menschen zu gewinnen, die sich fi- Biosphärenreservat Rhön nicht wieder gutmachen. nanziell einbringen. Diestel regte an, dass das Bio- „Wir sollten die Lehre aus Stuttgart 21 ziehen und sphärenreservat Rhön dazu eine spezielle Kampagne daher jetzt ein Mediationsverfahren starten“, sagte startet. Mit Hilfe von Regionalinitiativen könnten Jedicke. auch in anderen Bereichen lokale Gelder in lokale Während der Diskussion wurde wiederholt das Wirtschaftskreisläufe geleitet werden, beispielsweise Thema Tourismus aufgegriffen. „Der Tourismus ist bei Honig, in der Fischzucht oder beim Ausbau von der Bereich, wo wir am wenigsten gut zusammen- Breitbandnetzen. arbeiten. Da ist das Kirchturmdenken noch zu sehr ausgeprägt; es fehlt auch die Vertrauensbasis zwi- Während der anschließenden Diskussion wurde schen den einzelnen Personen“, meinte beispielsweise deutlich, dass die Aussagen im Perspektivpapier und Landrat Thomas Habermann. Aus dem Publikum in den drei Vorträgen wohl die richtigen Bereiche wurde angemerkt, dass im Tourismus oft nur mit angesprochen haben. Gemeinsam mit den drei Re- dem Rhönschaf geworben werde. Die Kultur und die ferenten standen hier die Rhön-Landräte Thomas kulturellen Möglichkeiten der Region kämen viel zu Habermann (Rhön-Grabfeld-Kreis), Bernd Woide kurz – und das, obwohl die Rhön eine Gegend sei, in (Landkreis Fulda) sowie Reinhard Krebs (Wartburg- der es oft schlechtes Wetter gibt. Der Geschäftsfüh-

18 rer der Tourismus GmbH Bayerische Rhön, Michael der bayerischen Verwaltungsstelle des Biosphärenre- Pfaff, sagte, dass Kritik am Rhön-Tourismus sicher servats Rhön, Michael Geier. „Es ist wichtig, dass wir zum Teil berechtigt sei. Allerdings könnte gerade von miteinander im Gespräch bleiben“, fügte er hinzu. Seiten des Biosphärenreservats Rhön mehr Unter- Gleichzeitig wünschte er, dass beim „Markt der Rhö- stützung für touristische Vorhaben kommen. ner Ideen“ wieder etwas für die gesamte Region und natürlich für die Produzenten herausspringe. Teils konträre Meinungen gab es auch in punkto al- „Dieser Markt ist ein Spiegelbild der Leistungskraft ternative Energiegewinnung. Während Dieter Popp der Rhön und der Ideen, die in den letzten 20 Jahren die Ansicht vertrat, dass man nur versuchen müsse, hier geboren wurden“, hob der Leiter der Thüringer Naturschutz, touristische Attraktivität und Ener- Verwaltungsstelle des Biosphärenreservats Rhön, gieerzeugung auf ein und derselben Fläche hinzube- Karl-Friedrich Abe, hervor. „All das, was die Gäste kommen, konnte Landrat Habermann diese Auffas- hier sehen, ist gelebtes Biosphärenreservat und passt sung nicht ganz teilen. „Zunächst müssen wir sehen, hervorragend zum Programm ,Der Mensch und die wo können wir Energie einsparen. Dann müssen wir Biosphäre‘.“ untersuchen, wie wir die Effizienz steigern können. Erst dann kommt die dritte Frage, nämlich die nach Die Ideen, die die Aussteller präsentierten, waren in Flächen für alternative Energie. Aber gerade die ers- der Tat sehr vielfältig. Über Möbel aus heimischen ten beiden Fragen sind für ein Biosphärenreservat Hölzern, über verschiedene Umweltprojekte in den sehr wichtig.“ Partnerschulen bis hin zu Tees, Kräutermischungen und Brotaufstrichen aus regionalen Zutaten reichte Zu einem Jubiläum gehören nicht nur Diskussio- die breite Palette. Auch beim „Markt der Rhöner nen und Grußworte – sondern so ein Ereignis wie Genüsse“ setzten sich die Ideen aus dem Biosphä- 20 Jahre UNESCO-Biosphärenreservat Rhön muss renreservat Rhön gewissermaßen fort: Von Honig ordentlich gefeiert werden. Deshalb gab es am Wo- über Bier, Liköre und Brände, Brotspezialitäten und chenende in Gersfeld auch einen „Markt der Rhöner Produkte aus heimischen Gewässern bis zur Lamm- Ideen“, gewissermaßen eine Regionalschau, und ei- und Ziegenwurst gab es für den Gaumen an mehr als nen „Markt der Rhöner Genüsse“ – eine kulinarische 45 Ständen vieles zu entdecken. So manche Stände Entdeckungsreise. waren schon am frühen Nachmittag fast komplett Mehr als 80 Aussteller präsentierten sich und ihre ausverkauft. Produkte sowie Dienstleistungen beim „Markt der Rhöner Ideen“. „Von diesem großen Zuspruch waren Die Hälfte der Unternehmen, die sich auf dem wir sehr überrascht“, sagte der Leiter der Hessischen „Markt der Rhöner Genüsse“ präsentierten, waren Verwaltungsstelle des Biosphärenreservats Rhön, Partnerunternehmen der Dachmarke Rhön. Alleine Torsten Raab, als er den Markt eröffnete. Die Rhön fünf Caterer der Dachmarke Rhön sorgten für das habe etwas zu bieten – das mache dieser Markt deut- Mittagessen – mit Spezialitäten aus der Region wie lich, meinte Raab. „Wir brauchen uns hinter anderen Wildschweinkeule, gekochtem Fleisch vom Rhöner Regionen nicht zu verstecken.“ Der „Markt der Rhö- Weideochsen, Schäufele oder Hausmachernudeln ner Ideen“ zeige deutlich, wie sehr das Biosphärenre- mit Hackfleischsoße. servat in der Bevölkerung und in der einheimischen „Es war schon immer ein tragender Gedanke des Bio- Wirtschaft verankert sei, denn alle Aussteller seien sphärenreservats Rhön, die Landschaft und ihr na- Partner des Biosphärenreservats. türliches Potential in Wert zu setzen. Diese Idee hat Es sei bereits über zehn Jahre her, dass es in der Rhön Schule gemacht, aber eine solche Idee braucht bis zur eine solche Regionalschau gegeben habe, auf der sich Umsetzung auch Zeit und muss wachsen“, meinte Unternehmen, Schulen, Institutionen und Vereine die Geschäftsführerin der Dachmarke Rhön GmbH, aus allen drei Ländern präsentieren, meinte der Leiter Barbara Vay. Inzwischen vereine die Dachmarke

19 Rhön rund 200 Mitgliedsbetriebe aus 20 verschiede- auf Möbel aus Kernbuche spezialisiert und stellte nen Branchen. „Wir haben vor, uns in Zukunft für seine neueste „Erfindung“, das „Rhönbett“ vor. Es ist weitere Branchen zu öffnen. Der Verbraucher fragt eine Kombination aus Buche und Basalt. „Als wir be- immer mehr regionale Produkte nach. Die Dach- gonnen haben, die Biosphärenreservats-Idee umzu- marke Rhön liegt also mit ihrem Schwerpunkt auf setzen, wurden wir oft angefeindet und als Spinner Regionalität und einer besonderen Qualität genau verlacht. Heute haben ganz viele erkannt, dass un- richtig“, meinte Vay. ser Weg richtig war. Wir sind nämlich ein Gegenpol zur Globalisierung und damit zur Wirtschaftskrise“, „20 Jahre Biosphärenreservat haben ganz deutlich meinte Strödecke-Hülsemann. Mit den Ressourcen, ihre Spuren hinterlassen und mich grundlegend ge- die die Region zu bieten habe, könne man sich auf prägt“, sagte einer der Aussteller beim „Markt der dem Markt sehr gut etablieren. „Und außer dem gu- Ideen“, nämlich Olaf Strödecke-Hülsemann aus ten Namen Rhön brauche ich eigentlich nichts weiter Ehrenberg-Melperts. Der Schreinermeister hat sich für meine Werbung“, sagte der Schreinermeister.

3) 40 Jahre UNESCO-Programm „Men and Biosphere“ MAB Jubiläumskonferenz in Dresden zum Thema Klimawandel Dr. Lutz MÖLLER, Leiter des Fachbereiches Wissenschaft, Menschenrechte bei der Deutschen UNESCO-Kommission

Das UNESCO-Programm „Der Mensch und die kunftsweisend. Seit 2011 bilden bereits 580 Gebiete Biosphäre“ (MAB) feierte in diesem Jahr sein 40-jäh- in 114 Staaten das Weltnetz der UNESCO-Bio- riges Jubiläum. Unter dem Motto „Für das Leben, sphärenreservate. In Deutschland haben 15 Biosphä- für die Zukunft“ tagte in Dresden dazu im Juni renreservate die Anerkennung durch die UNESCO eine internationale Konferenz. Erstmals fand damit erhalten. überhaupt eine internationale UNESCO-Konferenz zum MAB-Programm, das für die Anerkennung Heute lautet der Anspruch an diese Modellregionen, der UNESCO-Biosphärenreservate zuständig ist, in beispielhaft zukunftsfähige Entwicklungen unter Deutschland statt. gleichrangiger Beachtung ökologischer, sozialer, öko- nomischer und kultureller Belange auch praktisch Rund 280 Gäste aus 80 Ländern der Erde waren zu erproben. Dies, zusammengefasst als nachhaltige der Einladung nach Deutschland gefolgt, um hier Entwicklung, ist heute weltweit das Leitmotiv dieser die aktuellen Herausforderungen für die Biosphä- Gebiete. Die Frage, wie wir die kulturelle und bio- renreservate als Modellregionen für nachhaltige logische Vielfalt auf unserer Erde erhalten und mit Entwicklung weltweit zu erörtern. Die Leistungen welchen Strategien wir beispielhaft die Folgen des der Biosphärenreservate zur Bewältigung des Klima- Klimawandels und der Klimaanpassung bewältigen wandels standen dabei im Mittelpunkt. Neben der können, hat dabei eine zentrale Bedeutung. UNESCO-Direktorin Irina Bokova und dem sächsi- schen Ministerpräsident Tillich waren auch mehrere Daher war der fachliche Teil der Dresden-Konferenz Vertreter aus dem Biosphärenreservat Rhön vor Ort. ganz der Frage „Biosphärenreservate und Klimawan- del“ gewidmet. Eine Ausstellung mit begleitender Vier Jahrzehnte nach seiner Gründung ist das MAB- Broschüre dokumentierte modellhafte Vorhaben in Programm der Weltorganisation für Bildung, Wis- diesem Themenfeld. Auch dabei fand die Rhön mit senschaft und Kultur (UNESCO) immer noch zu- ihrer Mitfahrzentrale oder der Vernetzung von Bio-

20 masse-Initiativen Erwähnung. Interessierte finden eine nachhaltige Entwicklung. Andere UNESCO- nähere Informationen zur Veranstaltung und die Programme wie Bildung und Kultur sollten stärker Begleitmaterialien unter der Internet-Adresse: www. mit den Biosphärenreservaten zusammenarbei- unesco.de/mab2011.html. Für die Veranstaltung ten. Außerdem müsse das MAB-Programm für die wurde auch ein Film über die Biosphärenreservate Zeit nach 2013 strategisch neu ausgerichtet werden. produziert, der auf dieser Website betrachtet werden Wichtige Vorschläge für eine Neuausrichtung ent- kann. hält die Dresdner Erklärung, die in einer gerade ver- öffentlichten Publikation der Deutschen UNESCO- Die Konferenzteilnehmer verabschiedeten die Kommission dokumentiert ist (siehe Website). „Dresdner Erklärung“, die aus ihrer Sicht die für die Biosphärenreservate wesentlichen Fragen des Dass es sich in der Dresdner Erklärung nicht nur um Klimawandels zusammenfasst. Die Bundesregie- graue Theorie und politische Appelle handelt, zeigt rung hat im November diese Erklärung auch der alle ein Ereignis aus diesem Herbst. Auf der Dresdner zwei Jahre stattfindenden „Generalkonferenz“ der Konferenz hatte der Botschafter Ecuadors in Berlin 195 UNESCO-Mitgliedstaaten vorgelegt. Der Text ausführlich den Plan seiner Regierung vorgestellt, wurde von rund 20 Mitgliedstaaten, darunter China, von Ölbohrungen im Biosphärenreservat Yasuní ab- Frankreich und Spanien, mitgezeichnet und von vie- zusehen, falls die internationale Gemeinschaft dafür len Staaten nachdrücklich unterstützt. Dieser Vor- eine finanzielle Kompensation anbietet. So würde schlag der Bundesregierung fand breite Unterstüt- das einmalige Gebiet, das eine der höchsten Raten zung; alle Mitgliedstaaten der UNESCO stimmten biologischer Vielfalt weltweit aufweist, für künfti- einstimmig für die von Deutschland eingebrachte ge Generationen unbeschadet bewahrt. Außerdem Resolution. Somit rufen nicht nur die Konferenzteil- könnten die Menschen, die in der Region mit voller nehmer, sondern alle Staaten dazu auf, im Kampf ge- Absicht zurückgezogen von moderner Zivilisation gen den Klimawandel verstärkt die Erfahrungen der leben wollen, autonom bleiben. Zwar wurde bis heu- UNESCO-Biosphärenreservate zu nutzen. Unter te keine Lösung für die Bewahrung von Yasuní ge- anderem würde dies nützlich sein, um weltweit Kli- funden, aber für das Biosphärenreservat Seaflower in maschutz, Armutsbekämpfung und den Erhalt der Kolumbien, das auch in Dresden vertreten war. Der biologischen Vielfalt besser zu verknüpfen. Präsident Kolmbiens hat im September einen Stopp der Ölexploration auf einer der drei Inseln, die zu Die Dresdner Erklärung betont die herausragende Seaflower gehören, verhängt. Bedeutung des MAB-Programms als Instrument für

Ministerpräsident Tillich hält ein Grußwort Staatssekretärin Heinen-Esser spricht zur Konferenz Foto: © artfactory-dresden.de / DUK. Foto: © artfactory-dresden.de / DUK.

21 4) UNESCO-Resolution bekräftigt die „Dresdner Erklärung“ Erfahrungen der Biosphärenreservate beim Klimaschutz nutzen Pressemitteilung, 3. November 2011

Die UNESCO ruft dazu auf, im Kampf gegen Seit 1971 erforscht das UNESCO-Programm den Klimawandel verstärkt die Erfahrungen der „Der Mensch und die Biosphäre“, wie Naturschutz UNESCO-Biosphärenreservate zu nutzen. Das und wirtschaftliche Entwicklung in Einklang ge- geht aus einer Resolution hervor, die auf der 36. bracht werden können. Wichtiges Instrument des UNESCO-Generalkonferenz in Paris verabschiedet MAB-Programms ist ein weltweites Netzwerk von wurde. Die UNESCO stimmte mit großer Mehrheit Biosphärenreservaten als Modellregionen für eine für die von Deutschland eingebrachte Resolution. nachhaltige Entwicklung. Hier werden Interessens- Der Text wurde von rund 20 Mitgliedstaaten, dar- konflikte, etwa zwischen Klima- und Naturschutz, unter China, Frankreich und Spanien, mitgezeichnet mit der Bevölkerung vor Ort gelöst. Derzeit gibt es und von vielen Staaten nachdrücklich unterstützt. 580 UNESCO-Biosphärenreservate in 114 Ländern, davon 15 in Deutschland. Die Resolution bekräftigt die Forderungen der „Dresdner Erklärung“ zu Biosphärenreservaten und Weitere Informationen Klimawandel. Die Erklärung wurde im Juni auf einer Konferenzdokumentation „Dresdner Erklärung“ internationalen Konferenz zum 40-jährigen Jubilä- um des UNESCO-Programms „Der Mensch und 40 Jahre „Der Mensch und Biosphäre“ die Biosphäre“ (MAB) in Radebeul bei Dresden ver- Pressemitteilung der Deutschen abschiedet. Darin appellierten die Teilnehmer an alle UNESCO-Kommission e.V. Staaten, weltweit Klimaschutz, Armutsbekämpfung Redaktion: Dieter Offenhäußer / Farid Gardizi, und den Erhalt der biologischen Vielfalt stärker zu Colmantstraße 15, 53115 Bonn verknüpfen. Telefon: 0228-60497-11 E-Mail: [email protected] Die Resolution betont die herausragende Bedeu- Internet: www.unesco.de tung des MAB-Programms als Instrument für eine nachhaltige Entwicklung. Andere UNESCO-Pro- Die Deutsche UNESCO-Kommission e.V. ist eine gramme wie Bildung und Kultur sollten stärker mit vom Auswärtigen Amt geförderte Mittlerorganisa­ den Bio­sphärenreservaten zusammenarbeiten. Die tion der deutschen auswärtigen Kulturpolitik. UNESCO wird auch aufgefordert, den Madrider Aktionsplan für Biosphärenreservate (2008-2013) zu evaluieren. Außerdem müsse das MAB-Programm für die Zeit nach 2013 strategisch neu ausgerichtet werden. Wichtige Vorschläge für eine Neuausrich- tung enthält die nun bekräftigte „Dresdner Erklä- rung“, die in einer gerade veröffentlichten Publikation der Deutschen UNESCO-Kommission dokumen- tiert ist.

22 5) Appell an die europäischen Regierungen: Deutlich mehr Engagement für den Naturschutz gefordert

BAD URACH/BERLIN. Eine der größten Kon- lagen zum verantwortungsvollen Handeln. Das von ferenzen im Bereich des Naturschutzes, die Euro- der Commerzbank seit 1990 getragene „Praktikum parc Conference 2011, ging mit der Verabschie- für die Umwelt“ ermöglicht Studierenden, praktische dung der sogenannten Bad-Urach-Deklaration zu Erfahrungen in den Nationalen Naturlandschaften Ende. In der Deklaration werden die europäischen zu sammeln, die ihnen den Einstieg ins Berufsleben Regierungen aufgefordert, den Naturschutz durch erleichtern können. personelle und finanzielle Ausstattung zu unter- stützen und die sich über Jahre verschlechternden Information: Bedingungen in vielen Schutzgebieten zu stoppen. Die jährliche Schutzgebietskonferenz der EURO- PARC Federation, der europäischen Dachorgani- Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundes- sation für Großschutzgebiete, fand in diesem Jahr umweltministerium, Ursula Heinen-Esser, regte auf Einladung des Landes Baden-Württemberg und in ihrer Rede an, möglichst europaweit einheitliche der Deutschen Sektion, EUROPARC Deutschland, Qualitätsstandards für Nationalparks, Biosphären- in Bad Urach, Baden-Württemberg statt. In Work- reservate und Naturparks zu entwickeln und verwies shops, Vorträgen und auf Exkursionen diskutierten dabei auf die positiven Erfahrungen in Deutschland, die über 300 internationalen Teilnehmer aus 40 ver- insbesondere im Rahmen der Dachmarke „Nationa- schiedenen Ländern drängende Natur- und Umwelt- le Naturlandschaften“. Beate Jessel, Präsidentin des schutzthemen und tauschten sich über Möglichkei- Bundesamtes für Naturschutz, hob darüber hinaus ten zum Schutz von Europas Naturlandschaften aus. den Wert der Nationalen Naturlandschaften für die Die Konferenz wurde vom Bundesamt für Natur- regionale Wertschöpfung hervor. Zu den Nationalen schutz, dem NABU, dem WWF, der Allianz Um- Naturlandschaften zählen alle Biosphärenreservate weltstiftung sowie der Commerzbank unterstützt. sowie Natur- und Nationalparks.

„Qualität zählt – Gewinn für Natur und Mensch“, das Motto der Konferenz wird in den Nationalen Naturlandschaften bereits in zahlreichen Europarc- Projekten umgesetzt. Die Evaluierungen der Na- tionalparks und Biosphärenreservate sichert bei- spielsweise vergleichbare Qualitätsstandards in den Schutzgebieten. Die Zertifizierung von regionalen Herstellern und Dienstleistern als „Partner der Na- tionalen Naturlandschaften“ stärkt regionale Wirt- schaftskreisläufe und schafft qualitativ hochwertige Angebote für Besucher, Freiwillige in den Parks enga- gieren sich unter dem Label „Ehrensache Natur“ für die Pflege und den Erhalt der wertvollen Natur- und Kulturlandschaften. Das Umweltbildungsprogramm „Junior Ranger“ vermittelt Kindern den hohen Stel- lenwert unserer Naturschätze und gibt ihnen Grund-

23 6) Thüringen erhält eigene Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt Dr. Gisela BAUMANN, Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz, Referat Artenschutz

ERFURT. Thüringens Umweltminister Jürgen Reinholz präsentierte zum Auftakt der UN- Dekade der Biodiversität 2011-2020 am 6. Okto- ber 2011 die erste Strategie des Freistaates Thürin- gen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt. Auch den Arten und Lebensräumen der Rhön kommt darin besondere Bedeutung zu.

Die biologische Vielfalt (Biodiversität) erstreckt sich auf alle Erscheinungsformen des Lebens, d. h. auf genetische Ausprägungen und Arten, auf Lebens- räume, Landschaften und ganze Ökosysteme. Ob Die Berghexe (Chazara briseis) – ein unscheinbarer Rhönschaf, Berghexe oder Steinkauz, Lebensräume Tagfalter der Rhön (Foto: Archiv Biosphärenreservat wie die der orchideenreichen Trockenrasen, Block- Rhön) halden, Feuchtwiesen oder Moore – die Rhön birgt einen enormen Schatz an biologischer Vielfalt. Bei der Umsetzung des Abkommens gilt der Leit- Seit Jahrzehnten ist sowohl weltweit als auch in Thü- gedanke: Global denken – lokal handeln. Es kommt ringen ein drastischer Rückgang der biologischen also vor allem darauf an, direkt vor der eigenen Haus- Vielfalt zu beobachten. Allein von den 47 in Thürin- tür für die Erhaltung der biologischen Vielfalt aktiv gen heimischen Säugetierarten sind in der Vergan- zu werden. Die Rhön steht hier als Region mit außer- genheit drei komplett ausgestorben (Braunbär, Wolf, gewöhnlicher Naturausstattung und als Biosphären- Europäischer Nerz), 18 Arten aktuell bestands- reservat besonders im Fokus. gefährdet (z. B. Luchs, Feldhamster, Wildkatze, Sumpfspitzmaus) und vier Arten auf der Vorwarn- Was ist der Auftrag der neuen Strategie? liste (z. B. Igel). Die Thüringer Strategie zur Erhaltung der biologi- schen Vielfalt stellt in übersichtlicher Form dar, wie Von Rio de Janeiro bis nach Thüringen die national und international gesteckten Ziele an Der Schutz der biologischen Vielfalt ist seit der UN- den Naturraum Thüringen anzupassen sind und wel- Vertragsstaatenkonferenz in Rio de Janeiro 1992 che Prioritäten bei der Umsetzung der Ziele in den durch das Übereinkommen über die biologische nächsten Jahren gesetzt werden müssen. Vielfalt vertraglich geregelt. Über 193 Staaten der Der fortschreitende Verlust von biologischer Vielfalt Welt, darunter Deutschland und die gesamte Euro- hat gezeigt, dass die bisherigen Instrumente des Na- päische Union (EU) haben das Übereinkommen bis- turschutzes allein nicht ausreichen, unsere heimische her unterzeichnet und verpflichten sich damit Vielfalt zu erhalten. Die Strategie setzt daher kla- • Maßnahmen für die Erhaltung der biologischen re Prioritäten (Für welche Arten und Lebensräume Vielfalt zu ergreifen, trägt Thüringen große Verantwortung?), bindet die • die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt Hauptnutzer der biologischen Vielfalt mit ein und sicherzustellen und setzt auf bessere Vernetzung zwischen Naturschutz, • einen gerechten Vorteilsausgleich für die Nutzung Klimaschutz, ländlicher Entwicklung, Wasser-, genetischer Ressourcen zu schaffen. Land- und Forstwirtschaft. Um dies sicherzustellen,

24 Der Ellenbogen in der Rhön birgt seltene Lebensräume wie diese Blockhalden, die u. a. der Alpenspitzmaus (Sorex alpinus) eine Heimat bieten. (Foto: K.-Fr. Abe) ist die Thüringer Biodiversitätsstrategie gemeinsam der Thüringer Bürger an der Erhaltung der biologi- mit Experten all dieser Bereiche erstellt worden. schen Vielfalt. Durch die Behandlung im Thüringer Kabinett am Im Anschluss an die Ziele werden im Kapitel Hand- 4. Oktober 2011 wurde bekräftigt, dass die Erhal- lungsfelder diejenigen Instrumente geschildert, wel- tung der biologischen Vielfalt zukünftig nicht nur che eingesetzt werden sollen, um die Ziele zu errei- eine Schwerpunktaufgabe des Umweltministeriums, chen. Dort finden sich auch konkrete Beispiele und sondern ein Ziel aller Ressorts der Landesregierung Projekte, die schon heute in vorbildlicher Art und darstellt. Weise zur Erhaltung der biologischen Vielfalt in Thüringen beitragen, z. B. das Projekt „Lebensraum An wen richtet sich die Strategie? Berghexe“ in der Rhön oder das Projekt „100 Äcker Mit der Strategie steckt die Thüringer Landesregie- für die Vielfalt“, das sich für artenreiche Feldränder rung einen allgemeinen Handlungsrahmen für die einsetzt. beginnende UN-Dekade der biologischen Vielfalt 2011-2020, in den sich zukünftige Aktivitäten so- Den gesamten Text der Thüringer Strategie zur wohl des behördlichen Natur- und Umweltschutzes Erhaltung der biologischen Vielfalt können Sie auf als auch der Verbände und weiterer Akteure einglie- www.thueringen.de/de/tmlfun/themen/naturschutz dern können. als pdf-Datei herunterladen.

Was steht drin? Die Thüringer Strategie zur Erhaltung der biologi- schen Vielfalt formuliert gut 30 Einzelziele für das Jahr 2020 u. a. für den Arten- und Lebensraum- schutz, für die Vernetzung von Lebensräumen (Bio- topverbund), die Integration von Biodiversitätsbelan- gen in die Landnutzung und die aktive Beteiligung

25 7) Der Beitrag der Nationalen Naturlandschaften zur Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie Volker SCHERFOSE & Uwe RIECKEN

1. Einführung ihre Schutzwirkung, hier gemessen am Anteil von Großschutzgebiete, d.h. Nationalparke (NLP), Bio- NATURA 2000-Gebieten, sehr unterschiedlich ist sphärenreservate (BR) und Naturparke (NRP), wer- (Tab. 1). den seit Gründung der Dachmarke Nationale Na- turlandschaften durch EUROPARC-Deutschland Dies ist bei den nachfolgenden Ausführungen ent- im Jahre 2005 (s. www.nationale-naturlandschaften. sprechend zu berücksichtigen. de) auch als Nationale Naturlandschaften bezeich- net. Zu beachten ist, dass dieses ein Markenbegriff 3. Aktuelle Bedeutung der Großschutzgebiete für ist und dass sich darunter auch viele Kulturland- den Schutz der Biodiversität schaften befinden. 3.1 Schutz von Tier- und Pflanzenarten, für die Deutschland eine hohe Verantwortlichkeit hat Die nationale Biodiversitätsstrategie wurde im Jahr 2007 von der Bundesregierung beschlossen (BMU In einem ersten Schritt wurde insbesondere unter 2007). Nachfolgend soll der Frage nachgegangen Auswertung von Raster-Verbreitungskarten geprüft, werden, welchen Beitrag Großschutzgebiete zur Er- welche Arten, für die Deutschland eine hohe Verant- haltung der Biodiversität in Deutschland bereits jetzt wortlichkeit trägt und die gleichfalls stark gefährdet leisten bzw. leisten können. bzw. selten sind, insbesondere durch Großschutzge- biete geschützt werden (müssen), vorzugsweise auf- 2. Flächenanteile und Schutzwirkung grund der Tatsche, dass ein Großteil des Areals der der Großschutzgebiete Art bzw. ein Großteil der deutschen Population in Zunächst einmal ist zu berücksichtigen, dass der einem oder wenigen Großschutzgebiet(en) liegt (vgl. Flächenanteil der Großschutzgebiete (GSG) sowie Tab. 2 und 3).

Tabelle 1: Anzahl und Flächenanteile von Großschutzgebieten in Deutschland inkl. Anteile der NATURA 2000-Gebiete in den GSG (Stand: Oktober 2010)

Anteil an EU- Flächenanteil an Anteil an Vogel-Schutz- der terrestrischen GSG-Ty pe n Anzahl FFH-Gebieten gebieten Schutzwirkung Bundesfläche Nationalparke 14 94,8 % 97 % hoch 0,55 % Biosphären- 16 56,2 % 65,6 % mittel 3,4 % reservate Naturparke 101 11,8 % 12,8 % mäßig bis gering 26 %

26 Tabelle 2: Schwerpunktvorkommen von Tierarten, für die Deutschland eine hohe Verantwortlichkeit hat, bzw. von stark gefährdeten Tierarten in Großschutzgebieten

Großschutzgebiete, Verantwortlichkeit welche für den Schutz Deutschlands für den Rote Liste Status dieser Art eine besondere Art Erhalt dieser Art (Bundesliste) Verantwortung tragen Luchs - 2 NLP Bayer. Wald, NLP Harz Steinbock - R NLP Berchtesgaden Seehund ! Wattenmeer-NLP Auerhuhn ? 1 NLPe Bayer. Wald, Berchtesgaden, Harz Birkhuhn ? 2 NLP Berchtesgaden, BR Rhön, NRP Lüneburger Heide Zwerg-, Küsten-, Fluss-, ? 1, 2, Wattenmeer-Natio- Brandseeschwalbe 2, 2 nalparke, NLP Vorp. Boddenlandschaft Kampfläufer ? 1 Wattenmeer-National- parke Schreiadler ? 1 NRPe Feldberger Seen und Uckermärk. Seen Seggenrohrsänger anzunehmen 1 NLP Unteres Odertal Schaalsee-Maräne (E) !! R BR Schaalsee Luzin-Tiefenmaräne (E) !! R NRP Feldberger Seen Stechlin-Maräne (E) !! R NRP Stechlin-Ruppiner Land Königsee-Saibling (E) !! NLP Berchtesgaden Eur. Sumpfschildkröte (!) 1 NRP Uckermärk. Seen, NLP Müritz

E = Endemit !! = besonders hohe Verantwortlichkeit ! = hohe Verantwortlichkeit (!) = besondere Verantwortlichkeit für hochgradig isolierte Vorposten

Rote Liste-Einstufungen nach BfN (1998; Wirbellose) und BfN (2009; Wirbeltiere)

Balzender Birkhahn im Biosphärenreservat Rhön (Foto: Jürgen Holzhausen)

27 Großschutzgebiete, Verantwortlichkeit welche für den Schutz Deutschlands für den Rote Liste Status dieser Art eine besondere Art Erhalt dieser Art (Bundesliste) Verantwortung tragen Flußperlmuschel ? 1 NRP Südheide, NRP Bayr. Wald, NRP Fichtelgebirge Apollofalter !! 1 NRP Altmühltal Schwarzer Apollo !! 1 BR Rhön (ssp. hassicus) Blauschillernder - 1 NLP und Feuerfalter NRP Eifel Goldener ! 2 BR Bliesgau, Rhön, Scheckenfalter NRPe Hohes Venn/ Eifel, Saar-Hunsrück, Solling-Vogler, Thür. Wald, Fichtelgebirge, Hirschwald Maivogel - 1 NRP Steigerwald, BR Berchtesgadener Land Plumpschrecke !! BR Rhön sowie NRPe Harz, Schwäb. Alb, Hassberge, Fränk. Schweiz, Fichtelgebirge, Altmühltal Zwerggrashüpfer (!) R NRP Kyffhäuser Kiesbank-Grashüpfer 1 NLP Berchtesgaden, NLP Sächs. Schweiz, BR Oberlausitz Östliche Moosjungfer ? 1 NRP Uckermärk. Seen, NLP Müritz Zierliche Moosjungfer ? 1 NRP Uckermärk. Seen, NLP Müritz Hochmoor-Laufkäfer !! 1 NLP Bayr. Wald, (Carabus menetriesi NRP Erzgebirge pacholei) Präger Dammläufer (E) !! NRP Südschwarzwald (Nebria praegensis) Berchtesgadener !! R NLP Berchtesgaden ? Flinkläufer (E) (Trechus latibuli) Grubenlaufkäfer !! 1 NRP Arnsberger Wald, (Carabus variolosus NRP Südschwarzwald subnodulosus)

28 Tabelle 3: Schwerpunktvorkommen von Pflanzenarten, für die Deutschland eine hohe Verantwortlichkeit hat, in Großschutzgebieten

Großschutzgebiete, Verantwortlichkeit welche für den Schutz Deutschlands für den Rote Liste Status dieser Art eine besondere Art Erhalt dieser Art (Bundesliste) Verantwortung tragen Bläuliche Sommerwurz (!) 2 NRP Fränk. Schweiz – Veldensteiner Forst -Kuhschelle (!) 1 NLP Harz Dreinervige Segge ! 2 NLP Nds. Wattenmeer Isslers Flachbärlapp !! 2 NLPe Harz, Bayer. Wald, NRPe Rothaar- gebirge, Thür. Wald, Erzgebirge, Bayer. Wald Lanzettblättrige !! 3 BR Pfälzerwald Glockenblume Lochschlund (!) 1 NRP Saar-Hunsrück Pfingstnelke !! 3 NLP Kellerwald- Edersee Punktierte Segge (!) 2 NLP Nds. Wattenmeer Reichenbachs !! 3 BR Nds. Elbtalaue, Zittergras-Segge BR Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft Starre Segge (!) 1 NLP Harz Stengelloser Tragant !! 3 NRP Kyffhäuser Sumpf-Enzian !! 2 NLP Müritz, NRP Nuthe-Nieplitz

!! = besonders hohe Verantwortlichkeit 3.2 Schutz gefährdeter Biotoptypen ! = hohe Verantwortlichkeit Auch verschiedene gefährdete Biotoptypen haben (!) = besondere Verantwortlichkeit für hochgradig iso- ihre Schwerpunktvorkommen in den Nationalen lierte Vorposten Naturlandschaften. Da bundesweite Übersichten zum (lagegenauen) Vorkommen bzw. Rasterver- Rote Liste-Einstufungen nach BfN (1996) breitungskarten gefährdeter Biotoptypen allerdings nicht vorliegen, ist die nachfolgende Übersicht teil- Die Auflistungen der Tabellen 2 und 3 sollen zu- weise als vorläufige Einschätzung zu interpretieren. nächst dazu dienen, die GSG-Verwaltungen in Bezug auf diese Arten zu sensibilisieren (soweit dies nicht schon geschehen ist). In einem 2. Schritt müsste nun geprüft werden, wie sehr die Schutzbemühungen der Großschutzgebiete sich bisher (positiv) auf das Über- leben der genannten Arten bzw. deren Populationen ausgewirkt haben. Dies ist jedoch in diesem Beitrag nicht leistbar.

29 Tabelle 4: Gefährdete Biotoptypen mit Schwerpunktvorkommen in den Nationalen Naturlandschaften

Schwerpunktmäßiges Gefährdete Biotoptypen Rote Liste-Status Vorkommen in den Nationalen Naturlandschaften 2/3 Wattenmeer-Nationalparke Flachwasserzonen-Biotope der Nordsee – Miesmuschelbänke – Austernbänke – Seegraswiesen Wattbiotope der Nordsee 2/3 Wattenmeer-Nationalparke Ungenutztes Salzgrünland der Nordsee 2/3 Wattenmeer-Nationalparke Kreide-Felsküste 3 NLP Jasmund Küstendünen inkl. Krähenbeerheiden und 2/3 Wattenmeer-Nationalparke, Gebüschgesellschaften NLP Vorp. Boddenlandschaft, NRP Usedom Atlantische Sandheiden 2 NRP Lüneburger Heide Brenndolden-Auenwiesen 1 BR Flusslandschaft Elbe, NLP Unteres Odertal Steppenrasen 1-2 NRP Kyffhäuser, NLP Unteres Odertal Berg-Mähwiesen 1/2 insbesondere BR Rhön sowie NRPe Thür. Wald, Schwarzwald, Erzgebirge, Vogelsberg, auch NRPe Rothhaargebirge, Harz, Fichtelgebirge, Oberer Bayer. Wald Artenreiche Borstgrasrasen 1/2 wie bei den Bergmähwiesen plus NRPe Saar-Hunsrück, Frankenhöhe, Oberpfälzer Wald Silikatfelsen inkl. Fels-spaltenvegetation 3 NRPe Schwarzwald, Thür. Wald, Harz Hartholzauenwälder 1-2 BR Flusslandschaft Elbe Subalpine hercynische Fichtenwälder 2 NLPe Bayer. Wald, Harz, NRPe Schwarzwald, Thür. Wald, Erzgebirge Alpine Lärchen-Arven-Wälder 3 NLP Berchtesgaden

Auch hier wäre in einem nächsten Schritt zu prüfen, wie sehr die Schutzbemühungen der Großschutz- gebiete sich bisher (positiv) auf den Umfang und die Qualität der genannten Biotoptypen ausgewirkt haben. Darüber hinaus sei darauf hingewiesen, dass Großschutzgebiete grundsätzlich den Auftrag ha- ben, seltene und gefährdete naturraumtypische Bio­ toptypen zu erhalten und in ihrer Flächenausdeh- nung zu fördern.

Bergmähwiese im Biosphärenreservat Rhön (Foto: K.-Fr. Abe)

30 4. Beitrag der Großschutzgebiete zur Erfüllung für die Umsetzung der nationalen Strategie abgelei- der Ziele der nationalen Strategie zur biolo- tet werden, wie es in Tab. 5 kursorisch versucht wur- gischen Vielfalt de. Dabei wurden einerseits wichtige Ziele der NBS Obwohl die nationale Strategie zur biologischen aufgelistet und andererseits die Rolle der GSG für Vielfalt (NBS) nicht über ein Kapitel zu (Groß-) deren Umsetzung abgeleitet. Die entsprechende Ein- Schutzgebieten verfügt, kann man dennoch deren schätzung basiert dabei auf den unterschiedlichen (möglichen) Beitrag zu deren Umsetzung indirekt ab- Funktionen der drei GSG-Kategorien. Berücksich- leiten. Gemäß Punkt 2 verfügen Großschutzgebiete, tigt wurde des Weiteren, wie stark die in der NBS v.a. Naturparke, über beträchtliche Flächenanteile in genannten Ökosystemtypen in den GSG-Kategorien Deutschland. Insofern kann auch deren Bedeutung vertreten sind.

Tabelle. 5: Bedeutung der Großschutzgebiete für die Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie (vorläufige Einschätzung)

NBS-Ziel Thematik NLP BR NRP 1.1.1 Biodiversität insgesamt + + + 1.1.2 Artenvielfalt + + +/o Bis 2010 ist der Rückgang der Biodiversität aufgehalten. Bis 2020 hat sich für den größten Teil der Rote-Liste-Arten die Gefährdungssituation verbessert. 1.1.3 Vielfalt der Lebensräume + ++ ++ Bis 2010 besitzt Deutschland auf 10% der Landesfläche ein repräsentatives und funktionsfähiges System vernetzter Biotope. 1.1.4 Genetische Vielfalt von wildlebenden und domestizierten Arten + ++ + Die regionaltypische genetische Vielfalt von Nutztierrassen und Kulturpflanzensorten bleibt erhalten. 1.2.1 Wälder ++ + ++/o 2020 beträgt der Flächenanteil der Wälder mit natürlicher Waldentwicklung 5 % der Waldfläche. Erhaltung großräumiger unzerschnittener Waldgebiete. 1.2.2 Küsten und Meere ++ + o Bis 2020 ist für alle Arten und Lebensräume der Küsten und Meere eine signifikante Verbesserung des Erhaltungszustandes erreicht. 1.2.3 Seen, Weiher, Teiche und Tümpel + + ++ 1.2.4 Flüsse und Auen (+) + + Bis 2015 ist entsprechend den Vorgaben der WRRL eine guter ökologischer und chemischer Zustand wiederhergestellt. Bis 2020 verfügt der überwiegende Teil der Fließgewässer wieder über mehr natürliche Überflutungsräume. 1.2.5 Moore o +/o +/o Bis 2020 sind wesentliche Teile der heute intensiv genutzten Niedermoore extensiviert. Wiederherstellung degenerierter Moore bis 2020. 1.2.6 Gebirge + + +

31 NBS-Ziel Thematik NLP BR NRP 1.2.7 Grundwasserökosysteme + + + 1.3.1 Wildnisgebiete ++ o o Bis zum Jahr 2020 kann sich die Natur auf mindestens 2 % der Landesfläche Deutschlands wieder nach ihren eigenen Gesetz- mäßigkeiten entwickeln (derzeit unter 1%). In Deutschland gibt es wieder faszinierende Wildnisgebiete (z.B. in Nationalparken) – Ausweisung neuer Nationalparke (C1). 1.3.2 Kulturlandschaften ++ ++/o Bis 2020 wird die biologische Vielfalt der Kulturlandschaften gesteigert. Erhaltung und Wiederherstellung gefährdeter halbnatürlicher Lebensräume. Ausweisung neuer Biosphärenreservate (C1). 1.3.3 Urbane Landschaften 2.1 Naturverträgliches Wirtschaften +/o +/o 2.2 Vorbildfunktion des Staates ++ + + Natürliche Entwicklung auf 10 % der Waldfläche der öffentlichen Hand bis 2020 2.3 Auswirkungen deutscher Aktivitäten auf die Biodiversität weltweit 2.4 Landwirtschaft + ++/o Bis 2010 werden 20% ökologische Anbaufläche angestrebt. Bis 2010 Verringerung des Stickstoffüberschusses in der Gesamtbilanz auf 80 kg/ha (derzeit ca. 100 kg/ha). Bis 2015 sind die Populationen der Arten agrarischer Kulturlandschaften gesichert. Bis 2020 ist die Biodiversität in Agrarökosystemen deutlich erhöht. 2.5 Bodennutzung + 2.6 Rohstoffabbau und Energiegewinnung + 2.7 Flächeninanspruchnahme für Siedlung und Verkehr +/o Bis 2020 beträgt die zusätzliche Flächeninanspruchnahme durch Siedlung und Verkehr maximal 30 ha pro Tag (derzeit 95 ha) 2.8 Mobilität + 2.9 Naturnahe Erholung und Tourismus ++ ++/o ++/o Im Jahr 2020 sind 30 % der Fläche Deutschlands Naturparke (derzeit 26 %). Bis 2010 erfüllen 80 % der Naturparke Qualitätskriterien im Bereich Tourismus und Erholung. Verstärkung des Bereichs Regionalvermarktung als Baustein einer nachhaltigen Tourismusentwicklung insbes. in Biosphärenreservaten und Naturparken (C12).

32 NBS-Ziel Thematik NLP BR NRP 3.1 Flächendeckende diffuse Einträge ++/o Bis 2015 signifikante Reduktion des Eintrags von Pflanzenschutzmit- teln in Böden und Gewässer. Bis 2015 weisen Flüsse, Seen, Übergangs- und Küstengewässer einen guten chemischen und ökologischen Zustand auf. 3.2 Klimawandel + +/o +/o Neubegründung von Waldflächen an geeigneten Standorten. Bis 2015 signifikante Reduzierung des Torfabbaus. 4.1 Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechter Vorteilsausgleich 4.2 Erhaltung und nachhaltige Nutzung genetischer Ressourcen ++/o +/o (in-situ, ex-situ, on farm) 5 Gesellschaftliches Bewusstsein ++ ++/o +/o Ausbau von Biosphärenreservaten als Modelle für Bildung für nach- haltige Entwicklung; Verknüpfung der BR mit Bildungszentren (C 14)

Legende: ++ = sehr wichtig; + = wichtig; o = optimierbar

Der Betrag der Nationalparke und Biosphärenreser- 5. Perspektiven und Handlungsbedarf vate auf den Erhalt der Artenvielfalt (Ziel 1.1.2) wird 5.1 Nationalparke deshalb „nur“ als wichtig (+) eingestuft, da deren Flä- Eine Auswertung des BfN zu Wildnisgebieten – die- chenanteile recht gering sind. se wurden definiert als ungenutzte Gebiete > 500 ha – hat ergeben, dass auf dieser Berechnungsgrundlage Um bis 2020 einen 5%igen Flächenanteil an Wäl- der Anteil von Wildnis aktuell ca. 0,5% der Bundes- dern mit natürlicher Waldentwicklung zu erhalten fläche beträgt. Daraus kann gefolgert werden, dass (s. Ziel 1.2.1), bedarf es insbesondere der weiteren das 2%-Wildnisziel der NBS kaum ohne die Auswei- Nationalparkausweisung sowie der Einrichtung von sung weiterer Nationalparke erreicht werden wird (s. Wildnisgebieten in vielen Naturparken. Deshalb dazu auch die Aussagen in der nationalen Biodiver- wurde deren potentieller Beitrag zur Erreichung die- sitätsstrategie sowie Job 2010). Vorschläge und Initi- ses Ziel mit ++ bewertet. ativen für weitere Nationalparke finden sich nachfol- gend (verändert nach Steer et al., 2008). Zur Erreichung des Ziels 2.4 des NBS fällt unter den GSG insbesondere den Naturparken aufgrund Ammergebirge (BY) ihres hohen Flächenanteils eine besondere Rolle zu; Lieberoser Heide (BB) gleiches gilt für die signifikante Reduktion des Ein- Nordschwarzwald (BW) bringens von Pflanzenschutzmitteln in Böden und Pfälzerwald (RP) Gewässer (Ziel 3.1). Um diese Ziele zu erreichen, Reinhardswald (HE) müsste aber in den Naturparken die Landnutzung Soonwald (RP) massiv extensiviert werden. Spessart (BY) Steigerwald (BY) Teutoburger Wald/Senne (NRW) Thüringer Wald/Vessertal (TH)

33 Daneben bedarf es weiterhin der Erhöhung der von Naturparken gegenüber ihrer Qualitätsverbes- Kernzonenanteile in den meisten bestehenden Nati- serung nachrangig ist. Offensichtlich ist, dass hin- onalparken (s.a. BfN 2010). sichtlich der Einschränkung bzw. Reduzierung von schädigenden Nutzungen Naturparke, die zu hohen 5.2 Biosphärenreservate Anteilen als LSG ausgewiesen sind, eine bedeutende Beim Erhalt von artenreichen Kulturlandschaften Rolle spielen (können), da ihnen große Flächenantei- inkl. ihrer hohen Biodiversität sowie der naturver- le an der Gesamtfläche Deutschlands zufallen (s.a. träglichen Nutzung der Ökosysteme fällt den Bio- Punkt 4). Ihre bisherige Schutzwirkung muss jedoch sphärenreservaten eine Schlüsselrolle zu, obwohl ihr vielfach als (noch zu) gering bzw. optimierbar einge- Anteil an der Bundesfläche vergleichsweise gering stuft werden (Tab. 5; s.a. BfN 2010). ist. Bestimmte Biotop- bzw. Landschaftstypen wie Seenlandschaften, Heiden, Moore, Feuchtgrünland Beim Erhalt von artenreichen Kulturlandschaften sowie montanes Grünland sind in Biosphärenreser- fällt den Naturparken wie den Biosphärenreserva- vaten noch defizitär vertreten. Folglich gibt es auch ten eine Schlüsselrolle zu; jedoch ist dies bei vielen hier eine Reihe von Vorschlägen für die Ausweisung Parken entwicklungsbedürftig. Damit Naturparke weiterer Gebiete, wobei es sich häufig um die Wei- eine bedeutende Rolle bei der Umsetzung der Bio- terentwicklung von Naturparken handelt (verändert diversitätsziele der Bundesregierung spielen können, nach Steer et al., 2008). sind u.a. die nachfolgenden Aufgaben verstärkt an- zugehen: Diepholzer Moorniederung (NI) Drömling (NI/ST) • Stärkung konkreter Naturschutzaktivitäten Feldberger und Uckermärk. Seenlandschaft (MV/BB) • Konsequente Umsetzung einer naturverträglichen Lüneburger Heide (NI) Nutzung Murnauer Moos und Umgebung (BY) • Erhöhung der Schutzbemühungen durch Südschwarzwald (BW) die Einrichtung von Wildnisgebieten sowie Naturschutzgebieten Um die oben genannten Aufgaben in Zukunft si- • Verbesserung des länderübergreifenden cherstellen zu können, bedarf es verstärkter Anstren- Biotopverbundes gungen zum Schutz und Management der Biodiver- • Erhöhung der regionalen Mindestdichte sität, eines verbesserten Biotopverbundes sowie der von Landschaftselementen konsequenten Umsetzung einer Natur schonenden • Verstärkung der Naturbildung bzw. Bildung Nutzung (insbesondere in den Entwicklungszonen). für nachhaltige Entwicklung Nötig dazu sind u.a. die Stärkung der Verwaltungen durch Sicherstellung einer angemessenen finanziel- Damit deren Umsetzung überhaupt Realisierungs- len und personellen Ausstattung und die Einführung chancen hat, bedarf es insbesondere der personellen eines Rangersystems, wo dieses bisher nicht vorhan- Stärkung der Verwaltungen bzw. Trägerstrukturen, den ist. der Sicherstellung einer finanziellen Mindestausstat- tung (vgl. Liesen & Köster, 2005), der Anerkennung 5.3 Naturparke als Träger öffentlicher Belange, der systematischen Die deutschen Landschaftstypen sind in den zahl- Erstellung von Naturparkplänen und der Einfüh- reichen Naturparken bereits gut repräsentiert (vgl. rung einer Naturwacht (soweit noch nicht vorhan- auch VDN 2010a); Defizite an Naturparken finden den; s.a. Forst & Scherfose 2010). Darauf aufbau- sich theoretisch lediglich noch im Alpenvorland und end müssten dann noch die naturschutzrelevanten in den Alpen. Dort gibt es aber mehrere großflächige Förderprogramme der EU, des Bundes, der Länder Naturschutzgebiete, so dass eine weitere Ausweisung und sonstiger Institutionen bevorzugt in die Natur-

34 parkkulissen eingesetzt werden (BfN 2010). Emp- einer Aufwertung gleich, die aber vielfach noch un- fohlen wird in einem 1. Schritt die Beteiligung der tersetzt werden muss. Dies wird allerdings ohne eine Naturparke an der „Qualitätsoffensive Naturparke“ massive fachliche und politische sowie personelle und des VDN (VDN 2010b). fiskalische Unterstützung kaum gelingen. Dennoch genießen viele Gebiete zumindest regional eine hohe 6. Fazit und Vision Anerkennung, die es im o.g. Sinne auszubauen gilt. Nationale Naturlandschaften sind eine Erfolgsge- schichte und spielen eine wichtige Rolle beim Schutz Als Vision kann formuliert werden, dass alle Groß- der Biodiversität in Deutschland. Sie können Moto- schutzgebiete als Aushängeschilder von Natur und ren einer nachhaltigen Entwicklung sein, sind gleich- Landschaft in Deutschland in Zukunft einen ebenso falls von hoher Bedeutung für den wissenschaftli- hohen Bekanntheitsgrad und eine ebenso hohe Wert- chen Erkenntnisgewinn und für Naturerleben und schätzung erfahren sollten wie das nationale Kultur- Erholung. Weiterhin erfüllen sie einen umfangrei- erbe. Auf diese Weise kann z.B. auch eher Unter- chen Bildungsauftrag. Sie müssen aber um weitere stützung für dringend notwendige Maßnahmen zur Gebiete ergänzt werden (gilt v.a. für NLP und BR), Erhaltung und Entwicklung der Großschutzgebiete bedürfen einer qualitativen Entwicklung (gilt v.a. für eingeworben werden, um zumindest innerhalb der NRP) sowie einer Verbesserung der finanziellen und Kulissen der Gebiete den Trend des Biodiversitäts- personellen Grundlagen (gilt für BR und NRP) und verlustes aufzuhalten und umzukehren. benötigen eine Stärkung im Wechselspiel der unter- schiedlichen gesellschaftlichen Akteure. Abschließend kann festgestellt werden, dass die Nationalen Naturlandschaften trotz des oben skiz- Während das deutsche Kulturerbe allseits Anerken- zierten Optimierungsbedarfs unverzichtbar für die nung in der Bevölkerung und Politik findet, kann Umsetzung der Ziele der nationalen Biodiversitäts- man dies für das deutsche Naturerbe erst bedingt strategie sind. feststellen. Lediglich die Nationalparke sind als Nati- onales Naturerbe weitgehend anerkannt. Bestehende Literatur: Nationalparke genießen mittlerweile auch eine deut- BfN (1996): Rote Liste gefährdeter Pflanzen lich gestiegene Akzeptanz in der Bevölkerung (z.B. Deutschlands. – Schr. R. f. Vegetationskunde 28, Nationalpark Bayer. Wald 2008). Für die Biosphä- 744 S. renreservate gilt diese Aussage gerade mit Blick auf den Bekanntheitsgrad schon weniger. Die Gründe BfN (1998): Rote Liste gefährdeter Tiere Deutsch- hierfür sind vielschichtig (als Stichworte seien ge- lands. – Schr. R. Landschaftspflege u. Naturschutz nannt: relativ junge nationale Schutzgebietskatego- 55, 434 S. rie, sperriger Name, in der Naturschutz-Zielstellung nur geringer Unterschied zu Naturparken, sehr weit BfN (2009): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen gefächertes Aufgabenprofil wie z.B. alle Aspekte von und Pilze Deutschlands. Band 1: Wirbeltiere. – Na- Nachhaltigkeit; zu wenig Personal u.a. für eine ge- turschutz Biol. Vielfalt 70 (1), 386 S. zielte Öffentlichkeitsarbeit). Bei den Naturparken gibt es schon allein anhand der hohen Anzahl an Ge- BfN (2010): Großschutzgebiete in Deutschland – bieten Probleme, Alleinstellungsmerkmale und eine Ziele und Handlungserfordernisse. - Bonn, 26 S. nationale Bedeutsamkeit adäquat herauszustellen. (s.u. www.bfn.de) Aufgrund ihrer Größe sind auch i.d.R. nur bestimm- te Gebietsteile von herausragender naturschutzfach- BMU (2007): Nationale Strategie zur Biologischen licher Bedeutung. Die Einbindung der Naturparke Vielfalt. – Berlin, 178 S. in die Nationalen Naturlandschaften kommt somit

35 Forst, R. & V. Scherfose (2010): Entwicklungen und Nationalpark Bayerischer Wald (2008): Die Ak- Perspektiven deutscher Naturparke. – Naturschutz zeptanz des Nationalparks bei der lokalen Bevölke- Biol. Vielfalt 104, 189-195. rung. – Berichte aus dem Nationalpark Heft 5; 24 S. (Kurzfassung) Gruttke, H. (Bearb.,2004): Ermittlung der Verant- wortlichkeit für die Erhaltung mitteleuropäischer Riecken, U., Finck, P., Raths, U. Schröder, E. & A. Arten. – Naturschutz Biol. Vielfalt 8, 280 S. Ssymank (2006): Rote Liste der gefährdeten Biotop- typen Deutschlands. – Naturschutz Biol. Vielfalt Job, H. (2010): Welche Nationalparke braucht 34, 318 S. Deutschland? – Raumforschung Raumordnung 68, 75-89. Steer, U., Scherfose, V. & S. Balzer (2008): Ausge- wählte Aspekte des deutschen Schutzgebietssystems. Liesen, J. & U. Köster (2005): Naturparke in Euro- – Natur u. Landschaft 83, 93-100. pa – Ergebnisse einer europaweiten Umfrage. - In: Verband deutscher Naturparke (2005): Naturparke VDN – Verband deutscher Naturparke (2010a): - Eine Perspektive für ländliche Räume. – Bonn, S. Naturparke in Deutschland – Starke Partner für 66-86. Bio­logische Vielfalt. – Bonn (VDN), 52 S.

Ludwig, G., May, R. & Ch. Otto (2007): Verant- VDN – Verband deutscher Naturparke (2010b): wortlichkeit Deutschlands für die weltweite Erhal- Qualitätsoffensive Naturparke. – Bonn (VDN), 96 tung der Farn- und Blütenpflanzen – vorläufige Liste. S. – BfN-Skripten 220.

III. BELAUSCHT UND ERFORSCHT IN DER HEIMAT

1) Der Dermbach-Meteorit – 2. Deutsches Meteoriten-Kolloquium R. BARTOSCHEWITZ 1, R. TAGLE 2, G. NOLZE 3, B. SPETTEL 4, U. OTT 4, K. NAGAO 5, K.-FR. ABE 6, K. BECKER 7, B. KREHER-HARTMANN 8, K. HÖSSEL 9, A. GRESHAKE 10

Am 08. und 09. Oktober 2011 fand das 2. Deutsche Meteoriten-Kolloquium in Dermbach statt (Abb. 1). Organisatoren der populärwissenschaftlichen Ver- anstaltung mit 20 Teilnehmern aus ganz Deutsch- land waren Rainer Bartoschewitz, das Biosphären- reservat Rhön und die Gemeinde Dermbach. Das Kolloquium war in drei Blöcke gegliedert: Wissen- schaft, Tourismusförderung und Feldarbeit. Im wissenschaftlichen Block wurde die Fundge- schichte präsentiert (K.-F. Abe), über die wir bereits in der letzten Ausgabe berichteten, sowie die aktu- Abb. 1: Teilnehmer des Kolloquiums in Dermbach ellen Forschungsergebnisse und deren Interpretati- (Foto: R. Bartoschewitz)

36 Abb. 2: Aufbruch zur Suche nach weiteren Meteoriten- Abb. 3: Die Fundausbeute (Foto: K.-Fr. Abe) Bruchstücken (Foto: K.-Fr. Abe) onen zur Chemie, Mineralogie (R. Bartoschewitz) nit-Kristallite treten neben exzellent ausgebildeten und zu den Edelgas-Isotopen (U. Ott) des Dermbach Rhabdit-Kristallen viele unkomplett in Troilit (mit Meteoriten. etwas Taenit und Kamazit), aber auch komplett um- Bezüglich der Tourismusförderung wurde das Bio- gewandelte Rhabdite auf. sphärenreservat Rhön mit seinen Aktivitäten vorge- stellt (K.-F. Abe), die Meteoritenfunde und Tradition Der durchschnittliche Ni-Gehalt des Dermbach- der Meteoritenforschung in Thüringen (B. Kreher- Meteoriten liegt bei 35 %, wobei einzelne Metall- Hartmann), Meteorite und Kultur (K. Becker) und Knollen starke Zonierung zeigen, von 28 % Ni im das Projekt Deutscher Meteoritenweg (R. Bartosche- Kern bis zu 42 % Ni am Rand (Abb. 4), was auf witz), das mit der Enthüllung der Informationstafel eine extrem langsame Abkühlung unter Hochdruck- zum Dermbach-Meteoriten zum Abschluss des Kol- Bedingungen zurückgeführt werden könnte. loquiums bereichert wurde. Die Suche nach möglichen weiteren Meteoriten- Fragmenten von Dermbach mit Metalldetektoren (Abb. 2) führte leider zu keinen neuen Meteoriten- Stücken, doch neben Schrott wurde auch eine Viel- zahl interessanter Objekte geborgen (Abb. 3).

Die präsentierten aktuellen Forschungsergebnisse zur Chemie und Metallografie und deren Interpre- tation wurden in einem Abstract auf der Lunar and Planetary Science Conference in Woodlands/Texas im März präsentiert [1]: Der Dermbach-Meteorit wurde von Hoppe [2] als anomaler Ataxit beschrieben, der aus Ni-reichen Metall-Knollen variierender Zusammensetzung aufgebaut ist, die durch Troilit und Schreibersit Abb. 4: XRF Scan des nahezu kompletten Querschnit- „verbacken“ sind. Diese Ergebnisse konnten mit den tes des DermbachMetreoriten zeigt die Fe-, Ni-, P- und aktuellen Untersuchungen bestätigt werden. Die S-Verteilung, wobei die Zonierung der Metall-Knollen Ni-ärmeren Bereiche zeigen eine feine a-/g-Duplex- deutlicher erkennbar ist. Struktur (~1 µm) [2], während die Ni-reichen einzel- ne Taenit-Kristallite darstellen. Innerhalb der Tae-

37 Der bislang keiner bekannten Gruppe zuzuordnende stand über die Kern-Kristallisation von Asteroiden Meteorit von Dermbach zählt aufgrund seines sehr und Planeten bedeutend erweitern könnte. Das niedrigen Ge/Ga-Verhältnisses von 0,04 in Kombi- Bestrahlungs-Alter von 300-500 Mio. Jahren fällt in nation mit Co/Au- und Ga/Au-Verhältnissen von den Bereich der IVA Eisen mit 300-450 Mio. Jahren ~1200 bzw. 0,8 Tendenz zu der Gruppe der IVA [7]. Eisen-Meteorite, die durch die CI-normalisierten Elemente Ni, Cu, Au, As, Ga, Co, Ge, Pt, W, Ru und Eisenmeteorite gehören zu den ältesten Gesteinen Ir gestärkt wird (Abb. 5) [3, 4]. unseres Sonnensystems. Hf-W-Isotopen-Messun- gen zeigen, dass die magmatischen Eisenmeteorite, zu denen Dermbach aufgrund seiner IVA-Tendenz sicherlich auch gehört, nur knapp 1 Mio. Jahre jünger sind als die Ca-Al-reichen Einschlüsse in Chondri- ten, die vor 4.568,3 Mio. Jahren als älteste Bestand- teile unseres Sonnensystems aus dem solaren Urne- bel kristallisierten [8].

Bei seinem Eintritt in die Erdatmosphäre ist der Körper von 0,4-0,85 m im Radius, entsprechend 2-20 t Gewicht, aufgrund seines heterogenen Auf- baus in viele Fragmente zerbrochen und im Laufe seiner terrestrischen Verwitterung in weitere Bruch- Abb. 5: CI-normalisierte Zusammensetzung des stücke zerfallen. Die Suche nach weiteren Stücken Dermbach Meteoriten im Vergleich zur Durchschnitts- Zusammensetzung der Gruppe IVA sowie einzelner IVA-Meteorite.

Die Ergebnisse der Edelgas-Isotopen-Messungen in Tokyo an einer Probe des Dermbach II zeigen, dass sie einen erheblichen S-Anteil enthielt, der die Aus- wertungen erschwert und zu höheren Fehlergrenzen führt. Unter Annahme, dass 80% des 21Ne aus dem S-Gehalt resultiert und alles kosmogene Ar aus der Metallphase stammt, muss der Meteorit vor 215-380 Millionen Jahren aus seinem Mutterkörper heraus- geschlagen worden sein (Bestrahlungs-Alter) und vor Eintritt in die Erdatmosphäre einen Radius von > 40 cm gehabt haben. Unter Berücksichtigung der Radionuklide [5, 6] ergibt sich ein Bestrahlungs-Al- ter von 557 ± 223 Mio. Jahren und ein Radius im Bereich von eher 85 cm.

Der einzigartige Meteorit von Dermbach ist mögli- cherweise ein Ni-reicher IVA-Meteorit, der im Kern seines Mutter-Körpers aus den letzten 10 % der Rest- Abb. 6: Die Informationstafel zum Meteoriten von schmelze kristallisierte und somit unseren Kenntnis- Dermbach am Emberg ist enthüllt. (Foto: P. Abe)

38 des Dermbach-Meteoriten am 09.10.2011 blieb des Dermbach Meteoriten, dem Rhönforum für die erfolglos, doch sind Fundmöglichkeiten bis zu ca. Anfertigung der Informationstafel, der Gemeinde 50 km um den Baier recht wahrscheinlich. Dermbach für die Aufstellung der Informationsta- Um die Besucher der Gegend über den Dermbach- fel und die Bereitstellung der Räumlichkeiten sowie Meteoriten zu informieren und zur Suche nach wei- dem Biosphärenreservat Rhön, der Bodenverwer- teren Bruchstücken zu animieren, wurde am Emberg tungs- und -verwaltungs GmbH und dem Landrats­ mit Unterstützung des Rhönforums eine Info-Tafel amt Wartburgkreis für die Genehmigung zur Mete- mit Blick auf den Baier aufgestellt und durch den oritensuche im Biosphärenreservat Rhön. Leiter des Umweltamtes des Landratsamtes Wart- burgkreis, Herrn Dr. Feder, in Vertretung für den 1 Bartoschewitz Meteorite Laboratory, Landrat, gemeinsam mit den Organisatoren des Lehmweg 53, D-38518 Gifhorn Meteoriten-Kolloquiums in Dermbach enthüllt [email protected] (Abb. 6). 2 Bruker Nano GmbH, Schwarzschildstr. 12, D-12489 Berlin Meteoriten-Funde und -Fälle sind aufgrund ihrer 3 Bundesanstalt für Materialforschung und extraterrestrischen Herkunft mit ihrer Entdeckung -prüfung, Werkstofftechnik, keine Kulturgüter, können jedoch im Einzelfall durch Unter den Eichen 87, D-12205 Berlin bestimmte historische Handlungen dazu werden. So 4 Abt. Biogeochemie, Max-Planck-Institut für hatte sich z.B. Goethe sehr um den Meteoritenfall Chemie, Joh.-J-Becher-Weg 27, D-55128 Mainz von Pohlitz bemüht, der Stein von Meuselbach wur- 5 Laboratory for Earthquake Chemistry, de kurz nach seinem Fall durch Lincke an der Uni- Graduate School of Science, versität Jena intensiv bearbeitet und die Ergebnisse University of Tokyo, Hongo, Bunkyo-ku, haben noch heute ihre Gültigkeit, und die Fallum- Tokyo 113-0033, Japan stände des Steins von Klein-Wenden wurden umge- 6 Biosphärenreservat Rhön, hend Alexander von Humboldt mitgeteilt, um nur Goethestraße 1, D-36452 Zella die Thüringer Meteoritenfälle zu nennen. Die beiden 7 Volkssternwarte Ennepetal, Thüringer Meteoritenfunde Tabarz und Dermbach Hinnenberg 80, D-58256 Ennepetal stellen bedeutende Forschungsobjekte dar und sind 8 Institut für Geowissenschaften, damit natürlich erhaltenswert, doch haben sie nichts Friedrich-Schiller-Universität, mit Kulturgut zu tun. Burgweg 11, D-07749 Jena 9 Museum Dermbach, Mit der langen Tradition in der Meteoritenforschung Kirchberg 5, D-36466 Dermbach an der Universität Jena und den ausgestellten Mete- 10 Museum für Naturkunde, Leibniz-Institut oriten, dem Goethe-Pavillon in Jena, wo auf dessen für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, Arbeiten zum Pohlitz-Meteoriten hingewiesen wird, Invalidenstr. 43, D-10115 Berlin dem im Museum Heidecksburg in Rudolstadt aus- gestellten Meuselbach-Meteoriten und der Informa- Literatur: tionstafel am Fallort in Meuselbach sowie nun auch [1] Bartoschewitz R., Tagle R., Nolze G., Spettel B. der Informationstafel zum Dermbach-Meteoriten im und Greshake A. 2012. The Dermbach meteorite – UNESCO-Biosphärenreservat Rhön hat das Land A relict of the IVA parent body core? Lunar and Pla- Thüringen einige bedeutende Anlaufpunkte für das netary Science Conference XXXXIII, 43,#1192. Projekt „Deutscher Meteoritenweg“ [9]. [2] Hoppe, G. 1976. Der Eisenmeteorit von Derm- Danksagung: Wir danken John T. Wasson für die bach, ein neuer Ni-reicher Ataxit. Chemie der Erde Bereitstellung von unveröffentlichten Analysendaten 35, 305-316.

39 [3] Koblitz, J. (2005) MetBase 7.1.© J. Koblitz, [7] Eugster O., Herzog G. F., Marti K., and Caffee Fischerhude, . M. W. (2004) Irridiation Records, Cosmic-Ray Ex- posure Ages and Transfer Times of Meteorites in [4] Walker R. J. et al. (2005) Lunar and Planetary Meteorites and the early solar system II. 829-851. Science Conference XXXVI, 36, #1313. [8] Kleine T., Touboul M., Bourdon B., Nimmo F., [5] Merchel, S. 1998. Über die Wechselwirkung der Mezger K., Plame H., Jacobsen S., Yin Q., and Hal- kosmischen Strahlung mit extraterrestrischer Mate- liday H. (2009) Hf–W chronology of the accretion rie: Radiochemische Bestimmung der Produktions- and early evolution of asteroidsand terrestrial pla- raten von kosmogenen langlebigen Radionukliden in nets. Geochimica et Cosmochimica Acta 73. 5150-5188. Meteoriten. Dissertation der Univ. Köln. 231ff. [9] Bartoschewitz, R. 2010. The German Meteo- [6] Knie, K., Merchel, S., Korschinek, G., Faestermann, rite Road. Paneth Kolloquium, Nördlingen. Abstract T., Herpers, U.,Gloris, M., and Michel, R. 1999. Acce- PK2010 # 4 lerator mass spectrometry measurements and model calculations of iron-60 production rates in meteorites. Meteoritics & Planetary Science 34, 729-734.

2) Archäologische Untersuchungen in befestigten Kirchhöfen Südthüringens Ines SPAZIER, Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie

Die befestigten Kirchhöfe bestimmen im Südthü- ringer Raum maßgebend das Bild der Kirchenland- schaft. Dabei sind die Begriffe „wehrhafte Kirche“ bzw. „Wehrkirche“ für das mit Mauer und Graben umgebene Kirchengelände in der älteren Literatur geprägt worden (Müller/Gräfe 1967; Müller 1992). Da die meisten Kirchen selbst keinen Wehrcharak- ter besitzen, hat sich in der Fachliteratur die Bezeich- nung „befestigter Kirchhof“ durchgesetzt (Schmitt 2000). In den letzten Jahren fanden größere archäo- logische Ausgrabungen bzw. kleinere Sondagen im Bereich der befestigten Kirchhöfe von Berka/Werra, Wartburgkreis; Einhausen, Herpf, Kaltensundheim, Stepfershausen und Walldorf, alle Lkr. Schmal- kalden-, statt. Nachfolgend werden die Ergebnisse aus den Kirchhöfen von Herpf und Ste- pfershausen kurz dargestellt. In Herpf fanden im Bereich der St. Johanniskirche und in dem nach Nordosten anschließendem Ober- dorf in den Jahren 2004/05 und 2008 im Unterdorf Abb. 1: Herpf, Lkr. -Meiningen. umfangreiche archäologische Untersuchungen statt Die Chorturmkirche „St. Johannis“ von Südwesten. (Abb. 1).

40 Im Oberdorf befindet sich die St. Johanniskirche, eine Chorturmkirche mit rechteckigem Schiff, deren Kirchhof eine Ring- und eine Zwingermauer um- gibt. Die Untersuchungen 2005 im gesamten Bereich des Oberdorfes ergaben (komplette Verlegung der Trinkwasserleitung), dass dieser Bereich des Dorfes erstaunlicherweise erst im 15. Jahrhundert aufge- siedelt wurde. Wie stellt sich nun die Situation im Kirchenareal dar? Der Kirchturm weist in seinem Unterteil Buckelquader, Ritzverfugung und deutlich Abb. 2: Herpf, Lkr. Schmalkalden-Meiningen. Östlich ausgebildete Zangenlöcher auf, die auf eine Bauzeit des Kirchturmes befindet sich eine Kemenate aus dem vor 1250 verweisen. Unmittelbar östlich des Turmes 13. Jahrhundert. Sie ist Bestandteil der hochmittelalter- sind im Neubau des Gemeindehauses die Reste einer lichen Burg. Kemenate sichtbar (Abb. 2).

Der Ort gliedert sich in ein Unter- und Oberdorf. Ihre Entstehung kann in die erste Hälfte des Die haufenartig angeordnete Dorfstruktur wird teil- 13. Jahrhunderts gesetzt werden (Hopf 2006). Turm weise noch mit Mauern und einem Graben umge- und Kemenate sind als Profanbauten mit der in der ben und war durch zwei Tore gesichert. Herpf wird Literatur erwähnten Burg in Zusammenhang zu in den urkundlichen Quellen erstmals 788 genannt. bringen (Wölfing 1995, 87; Dehio 1998, 603). Im 14. Die Untersuchungen im Unterdorf 2008 erbrachten Jahrhundert führten die anhaltenden Auseinander- eine früh- und hochmittelalterliche Besiedlung für setzungen zwischen dem Reich, Fulda, Würzburg das 8.-10. Jahrhundert und bestätigen somit die ur- und den Hennebergern dazu, dass neben der Befes- kundliche Ersterwähnung. Es konnten ein Gruben- tigung des Dorfes auch die sich im Burgbereich he- haus und eine Zisterne dokumentiert werden. rausgebildete Kirche mit einer Ringmauer befestigt wurde (Abb. 3).

Dendrochronologische Untersuchungen* im Turm bestätigen dessen massive Aufstockung um 1405/06 und die Erbauung von Schartenkammern mit Prell- hölzern für die Verwendung von Hakenbüchsen (Abb. 4).

* Dendrochonologie ist eine Datierungsmethode, bei der die Jahresringe von Bäumen anhand ihrer unterschiedli- chen Breite einer bestimmten, bekannten Wachstumszeit zugerechnet werden.

In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde der Kirchhof zusätzlich von einer über 5 m hohen Zwingermauer und einem vorgelagerten Sohlgraben eingefasst (Abb. 5). Seine Breite konnte mit 7,50 m Abb. 3: Herpf, Lkr. Schmalkalden-Meiningen. Gra- und seine Tiefe mit 2,30 m nachgewiesen werden. bungsschnitt direkt nördlich der Kirche mit Fundamen- Der Graben wurde zwischen der Mitte des 15. bis ten der Zwinger-, Ring- und Gadenmauer. zur Mitte des 16. Jahrhundert zugefüllt. In diesem

41 Abb. 4: Herpf, Lkr. Schmalkalden-Meiningen. Die Prellhölzer im Kirchturm datieren in das 15. Jahr- hundert.

Zeitpunkt setzte der Ausbau des Oberdorfes ein. Im 4 km benachbarten Dorf Stepfershausen befindet Abb. 6: Stepfershausen, Lkr. Schmalkalden-Meiningen. sich eine spätmittelalterliche Chorturmkirche, die im An der Ostseite des Kirchhofes befindet sich der Tor- Süden und Osten von einer bis zu 4 m hohen Befesti- turm. gungsmauer umgeben wird. Ein Torturm mit tonnen- gewölbtem Durchgang an der Ostseite war seit dem als Friedhof nachweisen. Insgesamt konnten 139 Spätmittelalter einer von zwei Zugängen (Abb. 6). Gräber aus dem 13./14. bis 18./19. Jahrhundert do- Der befestigte Kirchhof lässt sich in einer Urkunde kumentiert werden, darunter neun Kinder- und zwei von 1389 nachweisen. Im Zuge der Umgestaltung Säuglingsgräber sowie fünf Doppelbestattungen mit des Kirchhofes wurde dieser im Sommer 2005 auf je einem Erwachsenen und einem Kind. Die West- der Nord- und Ostseite vollständig untersucht. Im Ost ausgerichteten Gräber waren fast alle beigaben- Gegensatz zu Herpf ließ sich eine intensive Nutzung los (Abb. 7). Die Toten wurden meist in einem Leich- tuch gehüllt in die Grabgrube gelegt. Der Nachweis von Sargteilen und Totenbrettern ist äußerst selten. Im Osten lag direkt an der Kirchenwand eine Ge- beingrube (Abb. 8). Nördlich der Kirche konnten zahlreiche Mauerzüge freigelegt werden (Abb. 9). Die ältere Baustruktur weist Maße von 6,00 x 3,35 m auf. Es handelt sich um ein zweischaliges Mauerwerk aus Sandstein, das in Trockenmauertechnik ohne Mörtel verlegt worden ist. Das Gebäude datiert in das 13. Jahrhundert und ist älter als der Kirchenbau. Das Gebäude wird von ei- ner 1,15 m breiten, doppelschaligen Kalksteinmauer geschnitten, die auf 14,50 m Länge nachgewiesen wer- den konnte. Sie folgt parallel zur Kirche der Hangnei- gung und ist das Gegenstück der heute noch stehen- den südlichen Kirchhofmauer. Errichtet wurde sie im 14. Jahrhundert. Einige kleine Mauerzüge schneiden Abb. 5: Herpf, Lkr. Schmalkalden-Meiningen. in der Nordostecke die zu diesem Zeitpunkt bereits Die Zwingermauer aus dem 15. Jahrhundert niedergelegte Kirchenmauer. Dabei handelt es sich

42 Abb. 7: Stepfershausen, Lkr. Schmalkalden-Meiningen. Abb. 9: Stepfershausen, Lkr. Schmalkalden-Meiningen. Bei den Gräbern handelt es sich um einfache West-Ost- Grabungsschnitt an der Nordseite mit dem Gebäude- ausgerichtete Bestattungen. grundriss aus dem 13. Jahrhundert (Mitte) und der West-Ost verlaufenden Kirchenmauer aus dem 14. Jahrhundert.

dert errichtet (Küchenmeister/Tann­häuser 2006). Die Ergebnisse beider Ausgrabungen in Herpf und Stepfershausen wurden jeweils für den interessierten Besucher erlebbar gemacht (Abb. 10).

Abb. 8: Stepfershausen, Lkr. Schmalkalden-Meiningen. Direkt an der Westseite der Kirche befand sich eine Gebeingrube. um Gaden (kleine Vorratsgebäude), meist an die Kirchhofmauer angebaut. Der Fund von verkohltem Getreide in einer dieser Gaden bestätigt deren Funk- Abb.10: An den Kirchen von Herpf und Stepfershau- tion. Naturwissenschaftliche Untersuchungen bele- sen wurde jeweils eine Denkmaltafel für interessierte gen Weizen. Die Gaden wurden im 15./16. Jahrhun- Besucher aufgestellt.

43 Literatur R. Schmitt: „Wehrhafte Kirche“ und der „befestigte G. Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmä- Kirchhof von Walldorf, Kreis Schmalkalden-Mei- ler, Thüringen. München 1998 ningen. In: Burgen und Schlösser in Sachsen-Anhalt 9, 2000, S. 127-149 U. Hopf: Eine feste Burg. Archäologie in Deutsch- land 1, 2006, S. 59 I. Spazier: Befestigte Kirchhöfe in Südthüringen. In: Heimat Thüringen15 . Jg., Heft 1/2, 13-15 R. Küchenmeister/Ch. Tannhäuser: Befestigter Kirchhof aus dem Spätmittelalter. Archäologie in G. Wölfing: Kleine Henneberger Landeskunde, Deutschland 5, 2006, S. 57 Südthüringen. Hildburghausen 1985.

H. Müller: Wehrhafte Kirchen in Sachsen und Thü- Dr. Ines Spazier ringen. Waltersdorf 1992 Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie H. Müller/I. Gräfe: Wehrhafte Kirchen im mittleren Dienststelle Weimar, Gebietsreferentin Werragebiet. In: Beiträge zur Thematik wehrhafter Humboldtstraße 11 Kirchen, 1967, S. 9-50 99423 Weimar [email protected]

3) Eine seltene Tierart auf dem Erbhof Charlene MÄHLER, Erbhof, Praktikantin

Am 18.01.2012 wurde ein Wanderfalke von Kat- ja Mähler, der Hofbesitzerin des Erbhofs, auf dem Burgbauernhof Katzenstein bei Andenhausen ent- deckt. Der beringte Falke stammt nach Angaben der Beringungszentrale Hiddensee aus einer Bauwerks- brut unweit von Suhl. Dieser Wanderfalke ist der erste Wiederfund von den zu dem Zeitpunkt beringten Falken des Jahr- gangs 2011. Katja Mähler äußerte sich mit ihrer Be- geisterung folgendermaßen: „Das ist ja mehr als ein 6er im Lotto, so ein Glück habe ich, dass eine solch seltene Falkenart auf meinem Grundstück aufgefun- den wurde.“

Doch wie kam dieser Fund zustande? Als Frau Mähler vom Reiten zurückkam, sah sie die Tauben im Hof und an der Hauswand sitzen, was an sich nichts Ungewöhnliches darstellt. Dies sollte sich jedoch schnell ändern, denn als bereits die Dämme- rung aufzog und die Pfautauben sich immer noch im Hof befanden, begann Katja Mähler sich Gedanken Wanderfalke (Foto: J. Holzhausen)

44 zu machen, woran das liegt. Sie beschloss, die Ta- sung, machte sich sogleich auf den Weg zum Erb- schenlampe zu nehmen und nachzuschauen. Als sie hof. Er untersuchte das Tier und stellte fest, dass am Taubenschlag ankam, entdeckte sie eine zerrupf- es zum Glück unverletzt war. Der Falke wurde am te tote Taube am Boden, was sie als Grund der Un- 19.01.2012 in Zella wieder freigelassen und kehrte ruhe unter den Vögeln ansah. Da sie jedoch nur zum bisher nicht mehr zum Erbhof zurück. Offensicht- Boden blickte, konnte sie den Wanderfalken, welcher lich genießt der Wanderfalke wieder sein Leben in sich auf dem Brutkasten neben der Tür befand, nicht freier Wildbahn. sehen. Sie beschloss, das Taubenhaus am nächsten Da Wanderfalken ihre Beute in der Luft erlegen, Tag zu säubern. Erst da erblickte sie den Wanderfal- könnte dieser Zwischenfall in etwa so abgelaufen ken. Dieser saß nun am Boden bei der toten Taube sein: Die Pfautauben sitzen oftmals auf einer Volie- und stillte seinen Hunger. re vor der Einflugklappe. Der Falke könnte versucht Jetzt begann die Rettungsaktion des Wanderfalken haben, eine der Tauben zu erfassen. Aufgrund seiner auf dem Erbhof. Frau Mähler begann sogleich den hohen Geschwindigkeit konnte er jedoch nicht mehr Falken einzufangen. Zuerst schloss sie die Ausflugs- stoppen und flog so mit der Taube in den Verschlag. klappe des Taubenschlags. Danach begann sie vor- Weil dies jedoch eine neue Umgebung für den Fal- sichtig das verschreckte Tier einzufangen. ken war, hat er nicht mehr hinaus gefunden. Somit Die Hofbesitzerin versuchte dann die Untere Na- konnte er die Taube überhaupt töten. Da dem Falken turschutzbehörde in Bad Salzungen von dem Wan- nichts anderes übrig blieb, musste dieser im Tauben- derfalken zu informieren, die die Nachricht zur haus verweilen, wo er dann von Katja Mähler gefun- Verwaltung des Biosphärenreservats weiterleitete. den wurde und mit Hilfe von Jürgen Holzhausen sei- Jürgen Holzhausen, zuständig für die Vogelerfas- ne Freiheit wiedererlangte.

4) Eine Kanadagans (Branta canadensis) überwinterte erstmals im Biosphärenreservat Rhön Jürgen HOLZHAUSEN, Biosphärenreservat Rhön/Verwaltung Thüringen

Neben Graugans, Saatgans, Brandgas, Rostgans und Nilgans wurde in diesem Winter erstmals eine Ka- nadagans beobachtet, die sich von Januar bis Mitte März mit einigen Stockenten an der Felda bei Kal- tennordheim aufhielt. Kanadagänse gehören zu der weltweit am häufigs- ten vorkommenden Gansart und sind der Familie der Entenvögel zuzuordnen. Wie es der Name schon vermuten lässt, liegt das Hauptverbreitungsgebiet der Kanadagänse in Nordamerika. Die in Europa verbreitete Unterart der Kanadagans ist noch etwas größer als die Graugans. Körperlänge: 90 bis 110 cm, Gewicht: bis 6,5 kg. Der Kopf ist schwarz mit wei- ßem Kehlfleck. Der Hals ist ebenfalls schwarz, Brust und Körper sind weißgrau bis leicht bräunlich. Füße An der Felda fühlt sich die Kanadagans wohl. und Schnabel sind schwarz. (Foto: J. Holzhausen)

45 Verbreitung und Lebensraum Kanadagänse leben normalerweise in großen In Europa wurde die Kanadagans durch den Men- Schwärmen. Dieser enge Schwarmverband wird schen eingeführt. Sie ist damit eine sogenannte Neo- nur während der Paarungszeit aufgelöst. Daraufhin zoenart, da sie dieses Gebiet mit hoher Wahrschein- versuchen die Ganter, den weiblichen Kanadagän- lichkeit nicht aus eigener Kraft erreicht hätte. Die sen durch Balzverhalten zu imponieren. Sind sie er- ersten Gänse wurden im 17. Jahrhundert in Großbri- folgreich, entsteht dadurch eine Partnerschaft, die tannien eingeführt. Im Laufe des 20. Jahrhunderts mehrere Jahre anhält. Ein Weibchen kann nach der wurden die Gänse auch im skandinavischen Raum in Paarung bis zu zehn Eier legen und ausbrüten. Die Schweden 1929, in Norwegen 1936 und 1958 einge- geschlüpften Küken werden großgezogen und begin- bürgert. Die Bestände breiten sich von dort aus auch nen ab einem Alter von etwa zwei Jahren selbst mit weiter südlich nach Belgien, die Niederlande und der Paarung. Wobei jedoch die ersten Lebensjahre Deutschland aus. Bisher konnten erst einmal Kana- einer Kanadagans die gefährlichsten sind. Natürli- dagänse in der hessischen Rhön auf einem Waldteich che Feinde wie Fuchs, Wolf oder Seeadler finden in beobachtet werden. Jungtieren ein besonders leichtes Opfer. Wenn diese Gefahr überwunden ist, können die Kanadagänse in freier Wildbahn bis zu zehn Jahre alt werden.

IV. PFLANZEN UND TIERE, BIOTOPE UND LANDSCHAFTEN IM BLICKPUNKT DES ÖFFENTLICHEN INTERESSES Pflanzen und Tiere des Jahres 2012 (Auswahl)

1) Das Blasse Knabenkraut (Orchis pállens L.) – Orchidee des Jahres Naturschutzzentrum „Alte Warth“, Gumpelstadt

Die Arbeitskreise Heimische Orchideen Deutsch- Knabenkraut unverwechselbar hellgelbe Blüten, die lands haben anlässlich ihrer jährlichen Tagung in charakteristisch nach Holunderblüten bzw. Katzen- Bad Liebenstein das Blasse oder Bleiche Knaben- harn riechen. Die länglich-lanzettlichen, hellgrün kraut zur Orchidee des Jahres 2012 gewählt, um auf glänzenden Blätter unterscheiden sich wesentlich die Gefährdung dieser Art und damit auch ihrer Le- von denen anderer Knabenkraut-Arten. Die Pflan- bensräume aufmerksam zu machen. Dabei handelt zen werden bis 30 cm hoch und sind in der Regel es sich vor allem um sommerwarme und wintermilde die erste, im Frühjahr blühende heimische Orchi- Standorte in lichten Laubmischwäldern, insbesonde- deenart, je nach Witterungsverlauf ab Mitte April re ehemalige bäuerlich genutzte Mittel- und Nieder- bis Mitte Mai. Sie sind häufig in Gesellschaft mit wälder, die meist mit Hainbuche, Esche und Eiche anderen Frühblühern wie z. B. Veilchen, Busch- bestockt sind. Sie kommt auch in lichten Kiefernwäl- Windröschen, Frühlings-Platterbse oder Wiesen- dern oder auf offenen Stellen zwischen Schlehdorn- Schlüsselblume zu finden. An Standorten, an denen gebüschen vor. In niederschlagsreichen Gebieten das Blasse Knabenkraut sowie das Stattliche Kna- ist das Blasse Knabenkraut nach MEINUNGER benkraut (Orchis mascula) gemeinsam vorkommen, (1992) meist an Südhängen und in Wiesen zu finden, kann ein Hybride (Artbastard) mit intermediärer in trockeneren Gegenden zieht sich die Art dagegen Pflanzen- und Blütengestalt (Orchis x haussknechtii) in die Wälder zurück. auftauchen, dessen Blütenfarbe von fleischfarben bis Als einzige heimische, zu der Gattung der Knaben­ purpur variieren kann und der häufig auf der Blüten- kräuter (Orchis) gehörende Art besitzt das Blasse lippe einen gelben Fleck trägt.

46 Abb. 1: Blasses Knabenkraut am Rand eines lichten Abb. 2: Blütenstände des Blassen Knabenkrautes Kiefernwaldes (Foto: E. Biedermann) (Foto: E. Biedermann)

Die Art reagiert empfindlich auf die jeweiligen klima- art reicht von Nordspanien über Südfrankreich bis tischen Verhältnisse, so dass die Anzahl blühender nach Mitteldeutschland und dann über Südpolen, Exemplare durchaus von Jahr zu Jahr stark schwan- die Slowakei, Rumänien und Bulgarien bis Südgrie- ken kann. Vor allem strenge Winter und insbesonde- chenland. Auch auf der Krim und im Kaukasus sind re Kahlfröste im April können zum Totalausfall der Vorkommen bekannt. Die Art kommt in Höhen bis Blüte führen. Ebenso beeinflussen veränderte Licht- etwas 2.400 m vor. In Deutschland ist das Blasse Kna- verhältnisse die Entwicklung der Pflanze bzw. eines benkraut vom Süden her bis zum Harzrand beschrie- ganzen Bestandes. Ursachen dafür sind der Kronen- ben, wo es dort seine nördliche Arealgrenze erreicht, schluss der Bäume, genauso aber eine zu starke Auf- die Hauptverbreitungsgebiete liegen in Thüringen, in lichtung durch Holzeinschlag oder Windwurf. Hinzu Baden-Württemberg (Schwäbische Alb) und Bayern. kommen noch Wildschäden durch Dachs und ins- Noch sind in Thüringen zahlreiche Vorkommen im besondere Schwarzwild, die den Boden nach den ei- mittleren Saaletal und bei Arnstadt, nördlich von Eise- förmigen, unterirdischen Knollen durchwühlen. Das nach, in Nordthüringen und im Gebiet um Meiningen Rehwild bevorzugt die Pflanzenknospen und Blüten. vorhanden, für die der Freistaat aufgrund der Gesamt- Nicht unerheblich sind aber auch die immer wieder situation der gefährdeten Art (Rote Liste 3) innerhalb durch Besucher und unachtsame Fotografen verur- Deutschlands eine besondere Verantwortung trägt. sachten Trittschäden und „Lagerplätze“, die vor allem Die Vorkommen im Gebiet zwischen Meiningen und zur Vernichtung von Jungpflanzen führen. dem Herpftal, erstmals 1885 von ROTTENBACH Der Erhalt von relativ lichten Niederwäldern mit der erwähnt, sind heute, wenn auch in einem sehr un- Fortführung der historisch bedingten Plenterwald- terschiedlichen Pflegezustand, noch im wesentlichen bewirtschaftung, auch mit einzelnen Altbäumen im vorhanden. KÜMPEL berichtet 1996 von 7 aktuellen Bestand und die Schaffung von Lichtholzzonen in Fundorten, während BECK (mdl. nach 2000) auch Hochwäldern, das sind die idealen Schutz- und Pfle- noch weitere Vorkommen bei Jüchsen und Gleimers- gemaßnahmen für das Blasse Knabenkraut. Diese in hausen gefunden hat. Da sich die Art auch in Thü- der Summe also naturnahe Walddynamik braucht ringen an ihrer nördlichen Arealgrenze befindet, sind diese Art für ihren Fortbestand, wobei auch andere eine weitere Ausbreitung und das „Entstehen“ neuer Orchideenarten, wie z.B. das Stattliche Knabenkraut Standorte sehr unwahrscheinlich. Umso mehr muss bzw. das Purpur-Knabenkraut davon profitieren. Das auf den Erhalt und die Pflege der derzeit vorhandenen Areal dieser submediterran-ozeanischen Orchideen- Standorte geachtet werden!

47 2) Die Heide-Nelke (Diánthus deltoides L.) – Blume des Jahres Naturschutzzentrum „Alte Warth“, Gumpelstadt

Nicht nur auf die Gefährdung und den Schutz der heimischen, wildwachsenden Nelkengewächse (Ca- ryophylláceae), sondern vor allem auch auf die Bedro- hung der Lebensräume der Heide-Nelke (Diánthus deltoides L.) möchte die Loki-Schmidt-Stiftung/ Hamburg mit dieser Wahl aufmerksam machen. Die Nelke wächst auf schwach sauren, trockenen Sand- böden, in Heidelandschaften, auf trockenen Mager- wiesen oder an Wegrändern mit mageren, kalkar- men Böden. Der wissenschaftliche Name „Diánthus“ leitet sich von griech. diós = Gott, dem Zeus zugehörig und von griech. ánthos = Blume ab, also Blume des Zeus. Der Artname „deltoides“ lat. = deltaförmig, dreieckig steht im Zusammenhang mit der delta-förmigen Zeich- nung der Kronblätter. Der deutsche Name „Nelke“ entstammt aus dem mittelalterlichen Namen „Näge- lein“. Die Pflanze ist aber auch unter verschiedens- ten volkstümlichen Namen bekannt: Katzenäugl (Nordböhmen), Sommersprenkel (Riesengebirge), Roter Himmelschlüssel (Böhmerwald), Feldnagele (Tirol) oder Blutnelke (Gotha). In der Volksmedizin früherer Zeiten wurden ihre Wurzeln aufgrund der Inhaltsstoffe (Triterpensaponine) als Magenmittel (Brechmittel) verwendet. Abb. 1: Polster der Heide-Nelke im Biotop Die Heide-Nelke ist mehrjährig, ausdauernd und (Foto: E. Biedermann) bildet gern lockere, kleine Horste oder sogar gan- ze Rasen aus. Die aufrechten Stängel werden bis Blütezeit der Heide-Nelke reicht von Juni bis Sep- zu 30 cm hoch, sind stark verzweigt und kurz be- tember. Aufgrund der sehr engen, nur 2 mm weiten haart. Die Blätter sind gegenständig angeordnet und Kelchröhre können nur Schmetterlingsarten mit ei- schmal. Die Pflanze bildet überraschenderweise nem sehr langen und schmalen Rüssel (z.B. Tagfal- keine Grundrosette, es überwintern lediglich einige ter) bis zum Fruchtknoten und damit zum Nektar kurze verzweigte Sprosse mit Blättern. Die Blüten gelangen. Bei den Früchten handelt es sich um lang- besitzen fünf purpurrote bis lilafarbene Blütenblät- gestreckte Kapseln, die sich bei der Reife an den Spit- ter, die vorn gezähnt sind und auf der Oberseite wei- zen öffnen, wobei die Samen dann durch den Wind ße Punkte und einzelne silbrigweiße Haare tragen. verbreitet werden. Eine unregelmäßige rote Linie ergibt zusammen mit Die Heide-Nelke ist in ganz Europa und im Osten den entsprechenden Zeichnungen der anderen Blü- bis nach Russland und Zentralasien zu finden. Die tenblätter einen Kreis. Am Abend schließen sich die Hauptverbreitungsgebiete der Heide-Nelke in Thü- Blüten, die schwach nach Gewürznelken duften. Die ringen befinden sich südlich einer Linie Eisenach –

48 Altenburg sowie im Harzvorland. Im Thüringer formen. Die Heide-Nelke kommt in Gesellschaft mit Becken ist sie nur spärlich vertreten. Die im Aussehen Johanniskraut, Bauernsenf, Habichtskraut oder Feld- der Heidenelke durchaus ähnliche Kartäuser Nelke Thymian vor, oft auch mit Besenginster oder Birken, (Diánthus carthusianórum L.) ist dagegen außer im meist auf Magerwiesen und Sandtrockenrasen. Sol- Thüringer Wald in ganz Thüringen vertreten. In der che Lebensräume wurden und werden auch noch im- Rhön ist sie aber relativ selten. Aus den Kartäuser mer aus wirtschaftlichen Gründen in Acker- oder in- Nelken entstanden durch Kreuzungen mit anderen tensiv bewirtschaftetes Grünland umgewandelt oder Arten die zahlreichen, sehr farbenprächtigen Garten- aufgeforstet, auch als Bauland ausgewiesen oder für Freizeitsport wie z.B. Moto-Cross genutzt.

Selbst Wegränder als ihre oft letzten Rückzugsorte verändern sich durch gärtnerische Bearbeitung und durch Nährstoffeinträge aus der Luft oder durch Hundekot. An anderen Stellen führten eine Aufgabe traditioneller Nutzungsformen und der Aufwuchs von Gebüsch oder Wald zum Verschwinden einer ganzen Lebensgemeinschaft. In einigen Bundes- ländern steht die Art deshalb bereits auf der Roten Liste, zudem genießt sie durch die Bundesarten- Abb. 2: Blüten der Heide-Nelke (Foto E. Biedermann) schutzverordnung einen besonderen Schutz.

3) Die Europäische Lärche (Larix decidua MILLER) – Baum des Jahres Karl-Friedrich GROB, Kaltennordheim

Die europäische Lärche ist ein Nadelbaum aus der haben wahrscheinlich diesen Namen aus dem kelti- Familie Kieferngewächse (Pinaceae). Sie gehört heute schen Sprachraum entlehnt. zum Bild europäischer Wälder. Aufgrund ihres spe- Wie der wissenschaftliche Artname ausdrückt, wer- ziellen Aussehens ist sie leicht von anderen Nadel- fen Lärchen im Herbst ihre 1,5 bis 3 cm langen und bäumen zu unterscheiden. 2 mm breiten Nadeln ab. Sie unterscheiden sich hier- Sie fällt dem Betrachter durch ihren schlanken mit von den anderen Nadelbäumen, die ihre Nadeln Wuchs, im Frühling durch das zarte Grün und im mehrere Jahre an den Ästen behalten. Herbst durch die Gelbfärbung ihrer Nadeln auf. Es ist jedoch kaum bekannt, dass die Europäische Vorkommen Lärche ihr heutiges Verbreitungsgebiet dem Men- Die Gattung Larix ist in mehreren Arten (ca. 15) schen verdankt. im Bereich der nördlichen Hemisphäre, in Europa, Diese Tatsache ist auf die besonderen Eigenschaften Asien und Nordamerika verbreitet. Im nördlichen zurückzuführen, die die Lärche aus der Familie der Sibirien bilden Lärchen (Larix sibirica) zusammen- Kieferngewächse herausheben. hängende Bestände. Diese Wälder bezeichnet man Der wissenschaftliche Name setzt sich aus den latei- auch als Lärchentaiga. nischen Worten „larix“ für Lärche, und „decidua“ – Das Verbreitungsgebiet der europäischen Lärche ist die Abwerfende – zusammen. in drei Areale aufgeteilt. Der deutsche Name „Lärche“ hat sich wiederum Man spricht deshalb von einer Alpen-, Sudeten- und aus dem lateinischen „larix“ entwickelt. Die Römer Tatralärche.

49 Blüten verfrachtet. Die Blütezeit dauert von März bis Mai. Die Samenreife erfolgt dann im Herbst. Die kleinen Zapfen geben im darauf folgenden Früh- jahr sukzessiv die Samen frei, die dann vom Wind verbreitet werden. Die trockenen Zapfen verbleiben dann noch lange an den Ästen. In den Alpen bildet die Lärche oft gemeinsam mit der Zirbelkiefer die Baumgrenze.

Nutzung des Lärchenholzes Wie oben schon dargestellt, besitzt die Lärche neben der Eibe eines der härtesten und dauerhaftesten Höl- zer unter den Nadelbäumen. Es hat eine Rohdichte von ca. 590 kg/m3. Nachteilig ist jedoch, dass es sehr harzreich ist und deshalb bei der Verarbeitung des Die kleinen Zapfen der Lärche Holzes die Werkzeuge oft verharzen. (Fotos: K.-Fr. Abe) Das Holz der Lärche ist ein typisches Kernholz. Das heißt, dass der rötliche Kern sich farblich vom Manchmal wird auch noch eine „Polenlärche“ aus- helleren Splint, dem schmalen äußeren Ring der geschieden, deren Ursprungsgebiet im Gebiet der Stammscheibe, absetzt. Das farbintensive Kernholz Weichsel liegt. wird gern im Innenausbau für Treppen, Decken- und Hieraus ist ersichtlich, dass unsere Lärche bevorzugt Wandtäfelungen usw., vor allem aber im Außenbe- höhere Gebirge besiedelt und dabei kontinentales reich für Pfähle, Zäune und Wandverschalungen Klima mit heißen Sommern und kalten Wintern eingesetzt. Traditionell ist auch die Verwendung von bevorzugt. Das Saatgut der bei uns vorkommenden Lärchenholz als Beplankung im Bootsbau. Lärchen wurde seit dem 16. Jahrhundert größtenteils Der Verfasser hat in Südtirol einige Urlaubstage auf aus dem alpinen und sudetischen Verbreitungsareal einem Bauernhof 1.400 Meter ü. NN verbracht, des- entnommen. sen Bausubstanz aus Lärchenbalken und -brettern bereits 400 Jahre alt war, was die Dauerhaftigkeit des Die Lärche kann bis zu 800 Jahre alt werden, ist in Lärchenholzes unterstreicht. ihrer Jugend sehr raschwüchsig mit astfreiem Schaft, hat ein festes und vor allem sehr dauerhaftes Holz Forstliche Bedeutung und ist in ihren Standortansprüchen sehr variabel. Die oben aufgezeigten Eigenschaften des Holzes Lärchen entwickeln sich zu stattlichen Bäumen und führten dazu, dass die Lärche über ihr natürliches können Höhen von über 50 und Brusthöhendurch- Verbreitungsgebiet hinaus angebaut wurde. messer von 2 Metern erreichen. Als so genannte Lichtbaumart, die in Deutschland Besonders stattliche und gerade gewachsene Exem- auf etwa 2 % der Waldfläche zu finden ist, benötigt plare der Europäischen Lärche hat der Autor in Ge- die Lärche viel Licht im Kronenraum. Man muss sie biet von Eisenach südlich der Wartburg gesehen. Der in entsprechendem Abstand zueinander anpflanzen. Stamm ist von einer dicken rissigen Borke umgeben. Daraus folgt wiederum, dass die Massenleistung pro Als dem einhäusigen Pflanzentyp zugehörig, findet Hektar im Vergleich zu anderen Baumarten geringer man bei der Lärche männliche und weibliche Büten ist. Dieses Manko wird durch ihre Schnellwüchsig- an einem Baum. Interessant ist, dass die männlichen keit, vor allem in der Jugend, teilweise ausgeglichen. Blüten hängen und die weiblichen aufrecht stehen. Im alpinen Verbreitungsareal nutzt man diese Eigen- Der Blütenstaub wird vom Wind zu den weiblichen schaft zur Waldweide. Unter dem lockeren Schirm

50 der Lärchen ließen die Bauern ihr Vieh grasen. Da und Schneebelastung. Auf Grund des ungünstigen die Lärche gegen Verbiss unempfindlicher ist als die Verhältnisses zwischen Kohlenstoff und Stickstoff Zirbelkiefer, wurde die Verbreitung der Lärchen im ist die Nadelstreu nur schwer zersetzbar, neigt zur Alpenraum gefördert und die Zirbelkiefer zurückge- Rohhumusbildung und kann deshalb zur Bodenver- drängt. Vorteile im Waldbau bringt die Lärche auch sauerung beitragen. dank ihrer großen Varianz in Bezug auf ihre stand- örtlichen Ansprüche. Die Lärche wird auch von verschiedenen Krankhei- Europäische Lärchen gedeihen auf feuchten sowie ten befallen, die vor allem außerhalb ihres natürli- trockenen Böden, sind frosthart und sorgen mit ih- chen Verbreitungsgebietes Schaden anrichten. Euro- ren Herzwurzeln für eine gute Duchwurzelung des päische Lärchen sind anfällig gegen Pilzbefall, den so Bodens. Sie kommen sowohl auf sauren als auch auf genannten Lärchenkrebs (Lachnellula willkommi). basischen Böden vor und bringen sogar auf extrem Heute versucht man vielfach, dem durch den An- trockenen Kalkböden (Rendzina) noch relativ gute bau oder durch Einkreuzen der Japanischen Lärche Leistungen. Nebel und hohe Luftfeuchtigkeit mag (Larix kaempferi), die dagegen nicht anfällig ist, zu sie als Pflanze des kontinentalen Klimatyps aller- begegnen. Auch der Lärchenwickler, die Lärchenge- dings nicht. Da sie im Winter keine Belaubung tra- spinstmotte und der Lärchenborkenkäfer sowie Lär- gen, sind Lärchen unmpfindlich gegen Winterstürme chenbock können durch Massenvermehrung Schä- den hervorrufen. Als nachteilig wird auch empfunden, dass einzelne Lärchen, vor allen aus dem Alpenvorkommen, zum so genannten „Säbelwuchs“ sowie zur Drehwüch- sigkeit neigen. Der Sudetenlärche wird aber eine be- sondere Geradschäftigkeit nachgesagt. Mit unserer Lärche sind auch einige Pilzarten wie z. B. der Flie- genpilz, der Graue und der Rostrote Lärchenröhrling sowie der Lärchenschneckling als Symbionten verge- sellschaftet.

Bedeutung der Lärche in Volksbräuchen und Heilkunde Vor allem im Alpenraum ist die Lärche auch Gegen- stand von Volksbräuchen. Abgewiesene Liebhaber pflegten einst ihrer „Angebeteten“ Lärchensträuße an die Haustür zu heften, um damit öffentlich die Solidität des Mädchens anzuzweifeln. Die sonnendurchfluteten Lärchenhaine galten aber auch als Aufenthaltsort von Elfen und Feen, die den Menschen wohlgesinnt waren. Lärchensträuße, so nahm man an, könnten Feuer, Hexen und böse Geis- ter abwehren. Aus dem Harz der Lärche stellte man das „Venezi- anische Terpentin“ her. Lärchenharz, auf die Brust gestrichen, soll Erkältungskrankheiten lindern und Die Europäische Lärche im Herbstkleid durchblutungsfördernd wirken. Aus den zarten (Fotos: K.-Fr. Abe) Nadeln wurde einst Gemüse hergestellt.

51 Schlussbetrachtung Baum im Herbst Nährstoffe aus den Nadeln in die Zusammenfassend ist zu bemerken, dass mit der Wurzel zurückzieht, wodurch gelbe Farbstoffe zum Lärche, wie schon mit der Rosskastanie, wieder eine Vorschein kommen, die vorher vom Chlorophyll ver- Baumart als Baum des Jahres ausgewählt wurde, die deckt waren. nicht direkt dem Florenbereich der Rhön zuzurech- Aus dem bisher Dargestellten wird klar, dass die nen ist, die aber seit mehreren Jahrhunderten bei uns Europäische Lärche ein interessanter Baum ist. angebaut und darum als einheimische Baumart an- Dieser Artikel soll dazu beitragen, dass der interes- gesehen wird. sierte Leser durch die hier zusammengefassten Infor- Wenn das Frühjahr an die Türen klopft, wird die mationen mit offenen Augen durch die Landschaft Lärche mit ihrem zarten Grün Farbtupfer in der geht, denn es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Rhönlandschaft setzen und den Wanderer erfreuen. Wissen um Zusammenhänge sensibel macht und Im Herbst kann der Naturfreund erleben, wie die damit die Freude an der Naturerfahrung vergrößert intensive Gelbfärbung der Lärchennadeln im bun- wird. ten Wald leuchtet. Diese entsteht dadurch, dass der

4) Der Graue Leistling (Cantharellus cinereus) – Pilz des Jahres Peter BAUER, Meiningen

Von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie wur- schwarz und trocken graulich. Der hohe Stiel mit de der Graue Leistling ausgewählt. Zutreffend ist den Abmessungen 30-80 x 4-8 mm hat etwa die auch die Benennung Grauer Pfifferling. Der wissen- gleiche Farbe. Die dicklichen, gegabelten, weißlich- schaftliche Name für den Pilz des Jahres 2012 lautet grauen Leisten erinnern in der Form an den Echten Cantharellus cinereus. Als Synonym existiert die Be- Pfifferling(Cantharellus cibarius). zeichnung Pseudocraterellus cinereus. Der Graue Leistling ist als Mykorrhiza-Pilz an das Das DGFM-Foto vermittelt einen guten Eindruck Vorhandensein von Bäumen gebunden. Er wächst vom Aussehen dieser Pilzart. Der Hut, in der Mitte bei uns, oft büschelig, etwa von August bis Oktober leicht schuppig bzw. behaart, hat einen Durchmes- vorwiegend im Bereich von Rotbuchen und Eichen ser von 20-50 mm. Er ist trichterförmig und bis in auf meist kalkhaltigen Böden vom Flachland bis in den Stiel hinein genabelt und in feuchtem Zustand untere Lagen der Mittelgebirge. Häufig befinden sich Herbsttrompeten (Craterellus Cornucopioides) in der Nähe.

Bekannt ist die Art aus Nordamerika, China und Europa, dort südlich bis Frankreich, Jugoslawien, im Osten bis in die Ukraine und nördlich bis Mit- telschweden. In Deutschland wurden Vorkommen aus allen Bundesländern nachgewiesen, am häufigs- ten in Baden-Württemberg. Man muss jedoch allge- mein feststellen, dass zahlreiche Angaben schon viele Jahre zurückliegen. In Thüringen beschränken sich Funde vorwiegend auf den nördlichen und mittleren Der Graue Leistling (Repro) Teil des Landes. Für Südthüringen sind weniger Vor-

52 kommen bekannt, darunter in der Nähe von Themar Nach der Bundesartenschutzverordnung stehen alle sowie aus dem Biosphärenreservat Rhön/Thürin- Cantharellus-Arten unter Teilschutz. Sie dürfen in gen. Auch im bayerischen Teil des BR Rhön wurde geringen Mengen nur für den Eigenbedarf gesam- die Art ermittelt. (Nachweise aus dem BR Rhön als melt und beispielsweise nicht in Gaststätten verkauft Pseudocraterellus cinereus) werden.

Der Graue Leistling lässt sich am ehesten mit dem In der Roten Liste für Deutschland ist der Pilz des Trompetenpfifferling (Cantharellus tubaeformis) ver- Jahres (dort unter Pseudocraterellus cinereus) in der wechseln. Dieser hat jedoch gelbliche Anteile an Stiel Kategorie 3, „gefährdet“, angegeben. Die gleiche Ein- und Leisten. Ähnlich ist auch die Herbsttrompe- stufung gilt für die Rote Liste in Thüringen. Als Ge- te (Craterellus cornucopioides), welche aber außen fährdung lässt sich der Rückgang infolge Eutrophie- schwach runzelig ist und keine Leisten hat. All diese rung (Überdüngung) der Landschaft ansehen. Von Pilze und weitere Cantharellus-Arten mit ebenfalls diesem Problem sind zahlreiche Mykorrhiza-Pilze dicklichen Leisten sind relativ leicht zu erkennen und betroffen. essbar. Am bekanntesten ist der Echte Pfifferling (Cantharellus cibarius).

5) Die Dohle (Coloeus monedula) – Vogel des Jahres Vorkommen und Brutbestand der gebäudebrütenden Dohlen in der thüringischen Rhön von 1972 bis 2011 Klaus SCHMIDT, Barchfeld/Werra

1. Einleitung bauen sie in Nischen und Öffnungen hoher Gebäu- Im Volksmund werden die Dohlen oft als „Pastors de sowie in größere Baumhöhlen (meist in verlassene schwarze Tauben“ bezeichnet. Dieses geflügelte Schwarzspechthöhlen). 1972 begann der Autor die Wort bezieht sich auf die besondere Vorliebe dieser Brutkolonien gebäudebrütender Dohlen in SW-Thü- Vögel für hohe Kirchtürme, ihre schwarze Kopfplat- ringen und so auch in der Rhön zu erfassen. Somit te und ihre taubenähnliche Gestalt. Für das Gebiet liegen für 40 Jahre fundierte Brutbestandszahlen zu der Rhön ist diese historische Überlieferung durch- dieser gefährdeten Vogelart vor. In diesem Beitrag aus charakteristisch, denn ¾ aller bekannten Brutor- wird die Situation der gebäudebrütenden Dohlen te der letzten 40 Jahre befanden sich in Kirchen. Die vorgestellt. Da kürzlich in einer anderen Publika- Dohle gehört im deutschen Mittelgebirgsraum zu tion über die Vorkommen der im Wald brütenden den regelmäßigen, aber nur punktuell vorkommen- Dohlen berichtet wurde (SCHMIDT 2005), werden den Brutvögeln und steht unter gesetzlichem Schutz. die Waldbrüter in diesem Beitrag nur am Rande er- Aufgrund ihres geringen Brutbestandes und ihrer wähnt. landesweiten Gefährdung steht sie in Thüringen auf der Roten Liste der gefährdeten Vogelarten (Stufe 3/ 2. Untersuchungsgebiet, Material und Methode gefährdet). Dohlen sind bezüglich ihres Niststandor- Das Untersuchungsgebiet umfasst den thüringischen tes nicht wählerisch. Sie haben allerdings zwei völlig Teil der Rhön und beinhaltet somit Teilbereiche der verschiedene Bruthabitate – sie siedeln einerseits, so- Landkreise Schmalkalden-Meiningen und Wart- weit man sie lässt, im Zentrum menschlicher Sied- burgkreis (Abb. 1). lungen und andererseits in abgeschiedenen Wäldern Die Flächengröße beträgt 525 km², davon sind rund mit höhlenreichen Altbäumen. Ihre Reisignester 5 % Siedlungsgebiete, 42 % Wald und 50 % landwirt-

53 Abb. 1: Übersichtskarte mit den aktuellen Brutvorkommen in SW-Thüringen (eingeschlossen die Brutorte der Thüringer Rhön)

Abb. 2: Prozentuale Häufigkeit der Hauptlebensraumtypen im Untersuchungsgebiet

schaftliche Nutzfläche mit sehr hohem Grünlandan- abgelesen, an anderen Orten konnte nur während der teil (s. Abb. 2). Brutzeit die Brutpaar-Zahl ermittelt werden. Das ist Die Höhenlage des Untersuchungsgebietes erstreckt nicht einfach, da neben den ansässigen Paaren auch sich von 240 bis 816 m ü. NN. Die Häufigkeit der nicht geschlechtsreife Jungvögel und Nichtbrüter in Kontrollen während der 40-jährigen Untersuchung den Brutkolonien leben. Die erreichbaren Jungvögel war an den einzelnen Brutplätzen unterschiedlich. In wurden seit 1984 für populationsökologische For- einigen Kolonien wurde mehrfach über das gesamte schungen mit Farbringen und einem Metallring der Jahr verteilt beobachtet und die beringten Altvögel Vogelwarte Hiddensee gekennzeichnet. Bei dieser

54 Beringungsweise können Herkunft und Geburtsjahr der Vögel später am lebenden Vogel von Fachleuten erkannt werden. Die Brutbestandserfassungen in den Kolonien erfolgten überwiegend vom Autor. Bei den Beringungsaktionen waren mehrere Mitglieder der Barchfelder NABU-Gruppe (B. Frey, B. Otto, H. Kirchner, E. Koretz u.a.), Jochen Debus und Egon Stern (beide Wiesenthal), Egon Lemmert (Schmal- kalden), Steffen Weisheit (Heßles) und mein Sohn Martin Schmidt (jetzt Erfurt) beteiligt. Weitere An- gaben zu Brutvorkommen erhielt ich freundlicherwei- Abb. 3: Dohlen brüten gern in Mauernischen, Dach- se von Bernd Baumann (Unterkatz), Joachim Höland spalten und Rüstlöchern. Artkennzeichen sind neben (Vacha), Siegfried Schmidt (Herpf), Willibald Weih den hellen Augen, den grauen Kopfflanken und der (Empfertshausen) sowie den Revierförstern Gerrit schwarzen Kopfplatte das bei guten Lichtverhältnissen Schmook und Gerhard Pagel. Praktische Schutz- metallisch blauviolett schimmernde dunkle Gefieder. maßnahmen für Dohlen wurden von Egon Lemmert, (alle Fotos: K. Schmidt) Reinhold Tanz, der NABU-OG Wiesenthal und vom Autor realisiert. Ein ganz besonderer Dank gebührt aber auch den Gebäudebesitzern, insbesondere den Kirchenverwaltungen, die den Dohlen heute überwie- gend eine gesicherte Existenz bieten und so einen wür- digen Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung leisten.

3. Zur Besiedlung der einzelnen Brutkolonien In der Thüringer Rhön befinden sich 72 % der -Ge bäudebrutkolonien in Kirchen. Kirchenbauämter, Pfarrer und Kirchenverwaltungen haben eine große Verantwortung für die weitere Bewahrung dieser Abb. 4: Die Vollgelege der Dohle umfassen 4 bis 6 bläu- bedrohten Vogelart. Obwohl die Dohle ein ausge- liche Eier. Mit Vielerlei weichen Materialen polstern sprochener Koloniebrüter ist, gibt es in Ermangelung die Dohlen die Nestmulde. geeigneter Nisthöhlen oft nur wenige Einzelpaare an einem Standort (Abb. 3, 4 und 5). Aktuell gibt es vier besonders bedeutsame Brutplätze mit 5 bis 11 Paaren. Von den seit 1970 bekannten 18 Brutstätten werden nachfolgend einige Brutkolonien beispielhaft vorgestellt:

Kirche Vacha: Von 1995 bis 1998 ein nur kurzzei- tiges Brutvorkommen von 2 bis 3 BP in größeren Mauerspalten des Kirchturms. Bei der Renovierung gingen die Brutnischen verloren. Sofort angebotene Nistkästen wurden bisher nicht angenommen. Abb. 5: Bei erfolgreichen Bruten werden bis zu 5 Nest- Kaliwerk Unterbreizbach: Seit einigen Jahren nis- linge aufgezogen. Im Mittel fliegen 2,1 Junge pro Nest ten etwa 7 Paare in Nischen von Stahlträgern. Dies aus.

55 ist der einzige Neststandort in einem Industriebe- trieb im Untersuchungsgebiet. Es gibt dort günstige Möglichkeiten zur Schaffung von weiteren Brutmög- lichkeiten durch das Anbringen von Brutkästen.

Kirche Borsch: Viele Jahre existierte eine Brutkolo- nie im Kirchturm. 1971 wurden 12 Brutpaare, 1976 15 BP und 1977 7 BP registriert. Die Einflugöffnun- gen wurden 1978 vergittert und die Dohlen damit dauerhaft ausgesperrt.

Amtsgericht Geisa: Um 2004 kam es zur Besied- lung des historischen Gebäudes. Die defekten Dach- kästen boten von 2007 bis 2009 fünf Paaren günstige Bruträume. Im Rahmen der Gebäudesanierung wur- den die Vögel ausgesperrt. Wegen nicht rechtzeitig ausgeführter Ausgleichsmaßnahmen wurden letzt- endlich 8 Dohlennistkästen im angrenzenden Park an hohen Bäumen angebracht, die aber wegen vor- kommender Marder und Eichhörnchen nicht zur ge- wünschten Brutverlagerung führten. Einzelne Paare übersiedelten in die Spitze der kath. Kirche Geisa. Abb. 6 und 7: Die katholische Kirche in Dermbach ist einer der bedeutsamen Dohlenbrutplätze in der Rhön. Kirche Urnshausen: Regelmäßig brüten 2 bis 5 BP Früher bereiteten die Vögel wegen ihres Nistens hinter in zwei Nistkästen sowie in Dach- und Mauerspal- den Heiligenfiguren des Kirchenportals große Probleme ten. (heute nahezu unsichtbar vergittert). Seit 2003 haben die Dohlen dafür als Ersatz geordnete Brutmöglich- Ev. Kirche Dermbach: Einzelne BP nisten seit lan- keiten hinter den Fensterjalousien des Kirchturmes in gem im Kirchturm. Nach der Erneuerung des Kir- Nistkästen erhalten. chendaches 1981 entstanden unter den Dachbalken zahlreiche Mauerspalten, die 1982 mindestens 7 in den achtziger Jahren als zuständiger Pfarrer nicht Paare zum Nestbau nutzten. Dabei kam es mit dem nehmen, alljährlich selbst zu den Nestkontrollen der Eintrag von Nistmaterial zu einer nicht hinnehm- eingebauten Brutstätten in den Turm und auf den baren Verunreinigung des Kirchbodens. In gemein- Kirchboden zu klettern. samer Verantwortung für Kirche und Artenschutz wurden 1983 vom damaligen Superintendenten Kath. Kirche Dermbach (Abb. 6 und 7): Jahrzehn- und späteren Landesbischof Roland Hofmann und telang brüteten Dohlen hinter vier Heiligenfiguren dem Autor erste praktische Schutzmaßnahmen für des Kirchenportals, in der Turmhaube und hinter Dohlen an der ev. Kirche mit gutem Erfolg durch- Dachspalten (Abb. 3 und 4). Immer wieder für Är- geführt. Das Nisten der Vögel wurde gesichert, aber ger sorgte das herunterfallende Nistmaterial vor dem eine Verunreinigung mit verlorenen Nistmaterialien Eingangsportal. Im Rahmen der vollständigen Neu- in der Kirche unterbunden (Schmidt 1999). Seitdem instandsetzung des Turmes und der Renovierung stehen in den dicken Kirchenmauern 5 Niströhren des Gebäudes wurde der Artenschutz im gegensei- und im Glockenturm 2 Nistkästen für geordnetes tigen Einvernehmen von Kirche und staatlichem Na- Brüten zur Verfügung. Herr Hofmann ließ es sich turschutz neu geregelt. Die Heiligenfiguren in der

56 Außenfront wurden daraufhin mit dünnem, kaum 7 bis 10 Paare anwesend. Mehrfach brütete auch sichtbarem Maschendraht gegenüber den Vögeln ab- ein Paar Turmfalken in den NABU-Nisthilfen (in geschirmt. Als Ersatz für die nicht mehr nutzbaren mäusereichen Jahren als Ausnahme sogar zwei Paa- Brutnischen wurden in analoger Zahl im Jahr 2003 re). Die Schleiereule hatte fortan ihren Brutplatz in neun Nistkästen (8 für Dohlen und 1 für Schleiereu- den Stallanlagen am Ortsrand und in einer Scheu- len) eingebaut, die alle in den Folgejahren gut besetzt ne auf dem Lindigshof. Die intakte Umwelt ermög- waren. Mehrere Jahre nistete 1 Paar in einem neben lichte in Wiesenthal bis zum Jahr 2000 Bruten mit der Kirche stehenden hohlen Betonmast der Ener- durchschnittlich 3,33 flüggen Jungen – eine sehr gute gieversorgung (1985 bis zu dessen Abriss 1995). Nachwuchsrate. Dann gab es vermehrt bewusste Störungen, um die geschützten Vögel zu vertreiben Kirche Wiesenthal: In den 1970er Jahren nisteten bzw. Bruten zu vernichten. Der Bruterfolg sank da- bis zu 12 BP (1974) gemeinsam mit 1 BP Schleier- raufhin von 2004 bis 2011 auf nur noch 1,4 Junge je eulen frei im Gebälk des Kirchturmes. Von 1975 bis Brutpaar. Gesetzwidrig wurde die Zahl der Niststät- 1989 waren aus unbekannten Gründen keine Doh- ten reduziert und 60 % der geschützten Vögel ausge- len mehr ansässig. 1991 siedelten sie sich wieder an. sperrt. Nachdem vermutlich Marder in einem Jahr alle Bru- ten vernichteten und außerdem die Turmböden nach Kirche Zella: Höchstgelegene Gebäudebrutkolonie mehreren Jahren stark mit Nistmaterial verunreinigt in SW-Thüringen mit meist 3 bis 5 BP in enger wech- waren, baute die NABU-Gruppe Wiesenthal 1994 selnder Nachbarschaft mit Turmfalken und Schlei- lobenswerterweise 10 Nistkästen für Dohlen, Turm- ereulen. falken und Schleiereulen ein und die Turmfenster wurden vergittert (s. Abb. 8). Mehrfach brüten Turmfalken und Dohlen gemein- Dies wirkte sich positiv auf den Bruterfolg und auf sam in einem Gebäude. Dann sind in der Vorbrut- die Sauberkeit des Turmes aus. Meist waren nun zeit regelmäßig Luftkämpfe zwischen beiden Arten als normales Konkurrenzverhalten bei Arten mit gleichen Brutplatzansprüchen zu sehen. Der stärkere Turmfalke behauptet in der Regel seinen Brutplatz. Obwohl Dohlen Eulen hassen, fanden mehrfach er- folgreiche Schleiereulenbruten inmitten der Dohlen- kolonien in Wiesenthal, Dermbach und Zella statt. Weitere benachbarte Brutvögel waren Mauersegler, Kohl- und Blaumeisen, Stare sowie in angrenzenden Laubbäumen Wacholderdrosseln, Amseln, Türken- tauben und Ringeltauben. Eine gegenseitige Störung wurde in keinem Fall beobachtet. Die brütenden Wacholderdrosseln zeigten gegenüber den ansässi- gen Dohlen kein aggressives Verhalten, während sie dagegen benachbarte Elstern heftig attackierten. Abb. 8: Die mehrfach in Kirchen eingebauten Nist- kästen verhindern ein Verunreinigen der Gebäude 4. Bestandsentwicklung und Bruterfolg mit Niststoffen und ermöglichen doch ein erfolgreiches In der Rhön haben die Dohlen eine lange Bruttra- Brüten. Die Aufnahme zeigt den lobenswerten Einbau dition. Aufzeichnungen aus früheren Jahrhunder- von Brutkästen als Schutzmaßnahme für Gebäude und ten liegen leider nicht vor. Nach Aussagen älterer Vögel seitens der Naturschutzbund-Gruppe Wiesen- Dorfbewohner nisten Dohlen mit Sicherheit schon thal. (Foto: Kirche Wiesenthal 2001) weit über einhundert Jahre in den Kirchen von Zella

57 und Dermbach. So berichtete der erblindete Hans Pfarrern über das Verhalten der Vögel und ihren Fleischmann aus Brunnhardtshausen vor Jahrzehn- gesetzlichen Schutzstatus konnten die potentiellen ten gegenüber dem Autor über sein persönliches Er- Brutmöglichkeiten erhalten und die Akzeptanz ge- leben der angestammten Dohlen an der kath. Kirche genüber „Pfarrers schwarzen Tauben“ verbessert wer- in Zella während seiner Kindheit um 1925 und ihrer den. Die Zahlen der Brutpaare und der Brutkolonien schon damals langen Bruttraditionen. Die erste do- nahmen wieder zu. Inzwischen nisten etwa 61 % der kumentierte Erfassung der Brutvögel wurde in Süd­ gebäudebrütenden Dohlen des Untersuchungsgebie- thüringen vom damaligen Bezirksfachausschuss für tes in speziellen Nistkästen. Ornithologie und Vogelschutz im Kulturbund des Bezirkes Suhl im Jahr 1972 durchgeführt (Schmidt Im Vergleich zur Bestandssituation in Nord- und 1974). Aus der Rhön waren damals 4 Kolonien mit Mittelthüringen (Schmidt 2004) sowie in den meis- 31 Dohlen-Brutpaaren bekannt. Durch Einflussnah- ten anderen Landschaften Mitteleuropas (PETER me von Menschen gingen infolge von Aussperrung 1992, GLUTZ V. BLOTZHEIM & BAUER 1993, (Vergitterung von Einflugöffnungen), Renovierung KATZER 1999, TÖPFER 1999 u. a.) konnte die (Beseitigung von Mauernischen) und auch infol- rückläufige Entwicklung durch praktische Schutz- ge direkter Verfolgung zahlreiche Brutnischen und maßnahmen und Aufklärungsarbeit trotz einiger sogar ganze Kolonien verloren. Nach dem schritt- Rückschläge in einen positiven Trend umgewandelt weisen Einbau von Nistkästen ab dem Jahr 1983 werden (Abb. 9). (SCHMIDT 1999) und regelmäßigen Aufklärungs- Innerhalb von drei Jahrzehnten hat sich sowohl die gesprächen mit Anwohnern, Gebäudeverwaltern und Zahl der Brutplätze als auch die Zahl der Brut-

60

45

Anzahl 30

15

0 71 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Jahre Brutpaare Kolonien

Jahr 71 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Brutpaare 31 15 15 17 20 27 25 23 16 18 22 21 29 28 34 37 35 31 40 44 44 39 40 46 53 53 51 53 55 51 Kolonien 4 3 3 2 2 2 2 2 2 3 3 3 3 4 6 6 6 5 5 5 6 7 4 8 8 8 9 10 12 11

Abb. 9: Zur Entwicklung des Brutbestandes der Dohle in der Thüringer Rhön von 1971 sowie von 1983 bis 2011.

58 paare gegenüber dem Tiefststand von 1983 mehr 2012 die Brutvorkommen der Dohle landesweit in als verdoppelt. Für die Neuschaffung von Brut­ Thüringen erfasst. Hinweise zu neuen bzw. bisher plätzen wird für kleine Ortschaften der Einbau nicht dokumentierten Vorkommen und allen Brut- von 3 bis 5 Nistkästen, bei größeren Gebäuden und vorkommen von waldbrütenden Dohlen nimmt der bei Standorten außerhalb von Siedlungen 5 bis 10 Autor für die weitere Dokumentation und die Thü- Nistnischen empfohlen. Für die Dohle als Kolonie- ringen-Erfassung gern entgegen. Darüber hinaus brüter sollten benachbart immer mehrere geeigne- werden vom Autor artenschutzrechtliche Beratun- te Nistmöglichkeiten vorhanden sein. Wichtig ist gen bei Sanierungsarbeiten an Brutkolonien oder bei das Vorkommen von großkronigen Laubbäumen auftretenden Problemen angeboten. im unmittelbaren Umfeld der Niststätte, da sich die Jungdohlen dort an den ersten Tagen nach dem Nistplatztypen der gebäudebrütenden Dohlen in der Ausfliegen geschützt aufhalten können. Unter dem Thüringer Rhön von 1972 bis 2011 (teilweise nur Laubdach sind sie vor Prädatoren sicherer und kön- wenige Jahre besetzt, manche Kolonien weisen mehrere nen das Fliegen trainieren. Nistplatztypen auf)

Die gesellig lebende Dohle benötigt zur Nahrungs- Brutplatz Anzahl in Prozent suche strukturiertes artenreiches Grünland. In der Kirchen 13 72,2 thüringischen Rhön sind solche Lebensräume im Burgen / Schlösser 0 - Vergleich zu anderen mitteleuropäischen Landschaf- öffentliche Gebäude ten noch relativ gut vertreten, was an den überwie- (Rathaus, Schule, 2 11,1 gend guten Nachwuchsraten zu erkennen ist. Da die Gericht) Entfernung zwischen den Nestern und den extensi- Wohnhäuser 0 - hoher Strommast ven Wiesen und Weiden meist nicht groß ist, kön- 2 11,1 aus Beton nen die Dohlenmännchen ihre Nestlinge schnell und Industrieanlagen 1 5,6 öfter mit wertvoller eiweißreicher Insektennahrung Gesamt 18 100,0 versorgen, während dessen die Weibchen die Jungen im Nest bewachen und hudern. Literatur: Die Siedlungsdichte der Dohle beträgt in SW-Thü- BECKER, P. & S. F. BECKER (2002): Ergebnisse ringen 5,2 BP/100 km², liegt damit über dem Mit- der Dohlen-Erfassung (Corvus monedula spermologus) telwert vom gesamten Bundesland Thüringen (3,6 in Hessen. – Vogel u. Umwelt 13, 3-9. BP/100 km², SCHMIDT 2004) und entspricht in ihrer Höhe der Siedlungsdichte vom benachbarten GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N. & K. M. Bundesland Hessen (5,1 BP/100 km², BECKER & BAUER (1993): Corvus monedula Linnaeus 1758 – BECKER 2002). Nach der aktuellen Bestandssitu- Dohle, Turmdohle. Handbuch der Vögel Mitteleu- ation hatten wir 2011 in der Thüringer Rhön eine ropas. Bd. 13/III, Passeriformes (4. Teil), 1658-1731. Siedlungsdichte von 9,7 BP auf 100 km². KATZER, B. (1999): Der Rückgang der Dohle Für 2012 wurde die Dohle zum Vogel des Jahres er- (Corvus monedula) im Kreis Meißen, Sachsen. – Ver. koren. Diese Würdigung soll dazu beitragen, mehr Sächs. Orn. 8 (Sonderheft 2), 75-76. Verständnis und mehr praktischen Schutz für die oft wenig geliebte Vogelart zu erreichen. Außerdem PETER, H.-U. (1992): Ursachenforschung zum werden Verbesserungen und die Schaffung von neu- Rückgang der Dohle. – unveröffentl. Schlussbericht en Brutmöglichkeiten erwartet. Zur Gewinnung an das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz einer möglichst genauen Bestandssituation werden u. Reaktorsicherheit, Jena.

59 SCHMIDT, K. (1974): Zum Vorkommen der Doh- SCHMIDT, K. (2004): Vorkommen, Bestandssitu- le, Corvus monedula L., im Bezirk Suhl. – Thüring. ation und Bruterfolg der Dohle, Corvus monedula, in Ornithol. Rundbrief 22, 10-13. Thüringen – Ergebnisse einer Bestandserfassung im Jahre 2002. – Anz. Ver. Thüring. Ornithol.5 , 67-76. SCHMIDT, K. (1987): Mehr Beachtung und Schutz den Brutdohlen Mitteleuropas. – Falke 34, 151-159. SCHMIDT, K. (2005): Baumbrütende Dohlen (Cor- vus monedula) in den Wäldern des Wartburgkreises SCHMIDT, K. (1988): Die Dohle (Corvus monedu- (SW-Thüringen) – Vorkommen, Siedlungsdichte, la) als Brutvogel im Bezirk Suhl (DDR) und erste Lebensweise und Schutzempfehlungen. Veröff. Na- Erfahrungen zum Schutz dieser gefährdeten Vogel- turhist. Mus. Schleusingen 20, 15-26. art. – Beih. Veröff. Naturschutz u. Landschaftspfl. Baden-Württemberg 53, 191-210. TÖPFER, T. (1999): Veränderungen im Bestand und in der Brutplatzwahl der Dohle (Corvus mone- SCHMIDT, K. & M. SCHMIDT (1994): Zum dula) in Dresden. –Mitt. Ver. Sächs. Orn. 8 (Sonder- Vorkommen und zur Brutbiologie der Dohle (Corvus heft 2), 71-74. monedula) in Südthüringen. – Naturschutzreport 7 (2), 326-336. Anschrift des Autors: Klaus Schmidt SCHMIDT, K. (1999): In SW-Thüringen realisier- Liebensteiner Straße 118 te Schutzmaßnahmen für Dohlen Corvus monedula 36456 Barchfeld/Werra und deren Einfluß auf den Brutbestand dieser ge- fährdeten Vogelart. Anz. Ver. Thüring. Ornithol. 3, 213-224.

6) Das Bachneunauge (Lampetra planeri) – Fisch des Jahres Franz LAUB, Meiningen

Die Familie der Neunaugen (Petromyzonidae) ist mit ausgestorben sein. Unser Fisch des Jahres 2012, das drei der bekanntesten Arten über fast ganz Europa Bachneunauge, ist hingegen noch in einigen Bestän- verbreitet. Die größte Art, das Meerneunauge (Pet- den im Mittelgebirgsland Deutschlands – gute Was- romyzon marinus), kommt nur in Nordeuropa vor. serqualität und geringer Verschmutzungsgrad der Die adulten Tiere leben im Meer, nur die Larve (der Flüsse und Bäche vorausgesetzt – vorhanden. Querder) ist in den küstennahen Flüssen und Bächen beheimatet. Diese Art gilt als äußerst selten. Die Neunaugen sind stark bedroht. Ob die Erhaltung der Art in Schutzgebieten möglich ist, ist fraglich bis Die zweite Art, das Flussneunauge (Lampetra flu- ungewiss. Ob dieser Zustand so bleibt (angesichts viatilis), war früher recht häufig in großer Popu- der neuen Energiegewinnung durch Biogasanlagen lationsdichte in allen mit dem Meer verbundenen großen Stils und der damit verbundenen um ein Flüssen und Bächen anzutreffen. Doch hat sich Vielfaches erhöhtes Aufkommen an ammoniomhal- diese einstmals wirtschaftliche Fischart durch die tigen Rückständen) hängt davon ab, in welcher Art Verschlechterung und Verschmutzung ihrer Rege- und Weise mit diesen Rückständen in der Regel ver- nerationsbrutgebiete durch Wasserbau, Industrie fahren wird (übermäßiges großflächiges Aufbringen und Landwirtschaft auf wenige nicht bekannte Rest- von Gülle auf Felder und Wiesen). vorkommen reduziert und wird über kurz oder lang

60 Bachneunauge (Foto: U. Müller)

Allen Neunaugen ist eins gemeinsam, ihr Lebenslauf, und presst abwärtsgleitend mit der aus dem Schwanz der sich in drei bzw. vier Phasen untergliedert. Em- des Männchen gebildeten Schlinge die Eier heraus, bryonalzeit – Larvenzeit – Metamorphose (Fress­ die besamt und im Substrat verwirbelt werden. Nach periode nur bei Meer- und Flussneunauge, bei un- dem Laichen sterben die Elterntiere, ihre Bestim- serem Bachneunauge entfällt die Fressperiode) und mung ist erfüllt. Fortpflanzungszeit. Der Verfasser konnte noch im Oberlauf der Werra Aus dem etwa hirsekorngroßen Ei entsteht der retor- zwischen den Orten und Vachdorf Laichan- tenförmige Embryo, der sich in 18 bis 20 Tagen zur sammlungen von Lampetra planeri in Größen von Larve (dem Querder) entwickelt. Der Querder ist aal- mehreren hundert Tieren regelmäßig in den 60er förmig gestaltet, lehmgelb bis dunkelbraun gefärbt, und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beob- ohne Augen und verbringt ein Leben im sandigen achten. Danach wurde es still um die Neunaugen. Bis und feinkiesigen Substrat des Benthals der Bäche. voriges Jahr! Der Vorsitzende des Angel- und Fische- Durch die Mundöffnung gelangt das Wasser direkt reivereins Meiningen, Axel Baumann, regte bei ei- in den Kiemendarm und tritt durch sieben Kie- nem turnusmäßigen Arbeitseinsatz an der Werra an, menöffnungen wieder aus. Dabei werden alle Nah- den Grund eines Mühlgrabens strukturell so umzu- rungsbestandteile (Kleinstlebewesen und ähnliches) wandeln, dass er durch Einbau von Steinen die Fließ- zurückgehalten, angereichert und der Verdauung im geschwindigkeit und Turbulenz verändert. Wenige Darm zugeführt. Der Querder ist ein reiner Filterer. Tage danach konnte Herr Baumann die Neunaugen, Das Larvenstadium währt annähernd vier Jahre und die wie aus dem Nichts erschienen, beim Laichen be- endet mit der Umwandlung zum geschlechtsreifen obachten und sogar fotografieren. Tier. Auch der Verfasser machte an besagter Stelle die Die Laichzeit beginnt im April bis Mai und kann gleichen Beobachtungen. Es gibt sie also noch! Hof- sich bis Ende Juli hinziehen. Das Männchen saugt fentlich bleiben uns die hochinteressanten und ein- sich am Kopf des Weibchens fest, umschlingt dieses zigartigen Tiere erhalten.

61 7) Das Kleine Nachtpfauenauge (Saturnia pavonia) – Schmetterling des Jahres Naturschutzzentrum „Alte Warth“, Gumpelstadt

Mit der öffentlichkeitswirksamen Wahl zum hingegen nur, wenn es dunkel ist. Tagsüber halten sie Schmetterling des Jahres durch die BUND NRW sich versteckt und geben einen Sexuallockstoff (Phe- Naturschutzstiftung soll vor allem auf den bedrohli- romone) ab. Die Männchen können diesen Duft ki- chen Rückgang aller Schmetterlinge und ihre Bedeu- lometerweit entfernt wahrnehmen und finden so zu tung hingewiesen werden. Dabei werden ökologische ihrer potentiellen Partnerin. Auch sonst unterschei- und naturschutzfachliche Zusammenhänge verdeut- den sich die Geschlechter. Die Flügel der Männchen licht. Zugleich stellt der gekürte Schmetterling auch sind kontrastreich orange, weiß, schwarz und meist immer wieder ein Symbol für die bunte und faszi- auch rosa gefärbt. Die Weibchen sind unauffälliger, nierende Vielfalt der Natur dar. Und auch da hat aber mit einer Spannweite von über acht Zentime- der Schmetterling des Jahres wieder einige Überra- tern deutlich größer als die Männchen. schungen zu bieten. Die ausgeprägten augenähnlichen Flecken auf den Flügeln haben dem Falter zu seinem Namen verhol- Das Kleine Nachtpfauenauge ist ein Nachtfalter. Da- fen. Sie dienen zur Abschreckung von Feinden. Da- bei trügt der Name, es handelt sich bei der Art um ei- bei lassen die hellen halbmondförmigen Zeichnun- nen der größten Nachtfalter in Deutschland. Neben gen am oberen Rand der Augenflecke (Glanzlichter) dem Kleinen gibt es auch das Große Nachtpfauen- diese besonders realistisch wirken. auge, den größten mitteleuropäischen Schmetterling überhaupt. Dieser kommt jedoch in Deutschland Nach der Paarung legt das Weibchen die Eier an praktisch nicht vor. Unter den tropischen Verwand- Rosengewächsen (Schlehe, Himbeere, Brombeere, ten der Nachtpfauenaugen finden sich die größten Rose), aber auch an Heidekraut, Wiesen-Salbei Schmetterlinge weltweit. oder Heidelbeere ab. Dies sind gleichzeitig die Fut- terpflanzen der Raupen. Die Raupen werden ca. 60 Von den rund 3.700 heimischen Schmetterlingsar- Millimeter lang und sind am Anfang schwarz ge- ten zählen übrigens nur etwa 190 Arten zu den Tag- färbt, bekommen dann orange Flecken an den Seiten faltern, der überwiegende Teil sind Nachtfalter. und verfärben sich in zunehmendem Alter immer Wer nun denkt, dass diese Schmetterlinge nur nachts mehr in Richtung grün. Insgesamt durchlaufen sie fliegen, irrt. Ist das Kleine Nachtpfauenauge männ- fünf Stadien. Bei Störungen können sie ein klebriges, lich, fliegt es auch tagsüber. Die Weibchen fliegen stark riechendes Abwehrsekret absondern.

Weibchen vom Kleinen Nachtpfauenauge Männchen vom Kleinen Nachtpfauenauge (Foto: M. Katholnig) (Foto: Rotholl.at/Rotheneder)

62 wenn Krankheiten für eine Vernichtung der Jahres- population gesorgt haben. Nach dem Schlüpfen fliegen die Schmetterlinge in unserer Region von Anfang April bis Mai. Sie haben weder Mundwerkzeuge noch Verdauungstrakt und nehmen daher keine Nahrung auf. Sie zehren allein von den Reserven, die sie sich als Raupen angefressen haben. Darum leben die Falter nach ihrem Schlüpfen nur noch wenige Tage.

Das Kleine Nachtpfauenauge ist in Mitteleuropa Raupe im fünften Larvenstadium noch häufig. Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich (Foto: T. Laussmann) u. a. im Osten bis nach Sibirien.

Im Spätsommer spinnen sich die Raupen zwischen Der typische Lebensraum sind naturnahe offene Ästen und Halmen in einen festen Kokon ein. Die Landschaften, Heiden und teilweise auch verwil- Schmetterlinge schlüpfen im Frühjahr des nächsten derte Gärten. In Städten, größeren geschlossenen Jahres, teilweise auch erst im übernächsten Jahr. So Waldgebieten und ausgeräumten Agrarlandschaften kann der Bestand auch ein „schlechtes“ Jahr mit kli- fehlt der Schmetterling. matisch ungünstigen Bedingungen überstehen bzw.

8) Die Gämse (Rupicapra rupicapra) – Wildtier des Jahres Walter ULOTH, Seeba

Innerhalb der Ordnung der Paarhufer (Artiodacty- la) zählen die Gämsen zur Familie der Hornträger (Bovidae) und stellen in deren Unterfamilie Böcke (Caprinae) die Gattung Gämsen (Rupicapra) mit den beiden Arten Pyrenäen-Gämse (Rupicapra pyrenaica) und Gämse (Rupicapra rupicapra). Während von der Pyrenäen-Gämse in Südeuropa drei voneinander iso- lierte Populationen existieren (die Abruzzen-Gämse in Italien, die Pyrenäen-Gämse in Frankreich und in Spanien sowie die Kantabrische Gämse in Spanien), schrumpfte die Zahl anerkannter Unterarten der Historische und zeitgenössische Verbreitung der Gämse Gämse in den letzten rund 30 Jahren von 12 auf 10, (schraffierte und schwarze Flächen) nach KOTRLÝ, 9 und schließlich auf 7 (Kleinasien-Gämse, Balkan- 1979 Gämse, Karpaten-Gämse, Karthäuser Gämse, Kau- kasus-Gämse, Alpen-Gämse und Tatra-Gämse). besiedelte, mit dem Zurückweichen des Eises sich Ungewöhnlich mag uns heute erscheinen, dass die aber auf die europäischen Hochgebirge zurückzog etwa im späten Pleistozän (vor etwa 40.000 Jahren) (vgl. Karte). in Europa auftauchende Gämse zeitweilig Mitteleu- Zu ihren entfernteren Verwandten zählen der vom ropa bis ungefähr zur geografischen Breite von Berlin Himalaja bis zum Fernen Osten vorkommende

63 Goral, der bis nach Sumatra und Japan verbreitete Serau und die in den Rocky Mountains Nordameri- kas beheimatete Schneeziege. Auch an Einbürgerungen hat es nicht gefehlt (ab 1907 auf Neuseeland und im Elbsandsteingebirge, ab 1913 im Altvatergebirge [Jeseniky], ab 1935 im Schwarzwald, ab 1956 in den Vogesen und in der Hohen Fatra und ab 1969 in der Niederen Tatra. Eine erfolgreiche Wiedereinbürgerung erfolgte 1950 bis 1962 im Schweizer Jura). Auch bei unserer Alpen-Gämse handelt es sich um ein gesellig lebendes Hochgebirgstier mit jahres- zeitlich bedingten Vertikalwanderungen zwischen Sommer- und Wintereinständen ober- oder unter- halb der Waldzone, wo sie zunehmend unter dem Massentourismus leiden und selbst im so genannten Schutzwald stark verfolgt werden (Unsere Jagd, Heft Zeichnung: Dr. Franz Müller 3/2012, S. 22) Rudel bilden die Geißen mit ihren Kitzen und die jungen Böcke, während die alten Bö- aus den Julischen Alpen (heute Slowenien) aufmerk- cke als Einzelgänger durch die Einstände ziehen, sich sam gemacht. Die Sage vom marmorweißen Gams- aber erbitterte Brunftkämpfe liefern. Zum besseren bock mit dem goldenen Gehörn (Zlatorog) wurde Verständnis einige wenige Schlagworte: von dem deutschen Naturwissenschaftler, Hofrat und Dichter Rudolf BAUMBACH (1840-1905) in Gamskrucken (Krickel) = die gebogenen Hörner einem 168 Seiten umfassenden Gedicht erstmals in beider Geschlechter deutscher Sprache niedergeschrieben. Wer also das Gamsbart = die borstenförmigen Rückenhaare Geheimnis der roten Triglavrose lüften will, der sei Gamskugeln = die aus verschluckten Haaren und auf dieses bemerkenswerte Bergpoem, einen alpinen Pflanzenfasern bestehenden Bezoare oder Magen- Klassiker, verwiesen. steine Gamsblindheit (Keratoconjunctivitis infectiosa) und Gamsräude (Scabies) = verlustreiche, gefährliche Wildkrankheiten Kohlgams = dunkle, fast schwarze Farbvarietät

Also nicht in heimischen Gefilden, sondern entlang des Hochgebirgsgürtels von der Pyrenäenhalbinsel bis zum Kaukasus und Ost-Anatolien müssen wir es suchen, das Wildtier des Jahres 2012. Dieser oder je- ner mag es schon mal in freier Wildbahn des Hochge- birges beobachtet haben, andere mögen es aus einem Bergzoo kennen. Den meisten Lesern dürfte es aber aus Heimatfilmen bekannt sein, die beispielsweise nach Romanen von Ludwig GANGHOFER gedreht wurden. Wer sich jedoch für Sagen interessiert, die sich um das Gamswild ranken, der sei auf eine solche Zeichnung: Dr. Franz Müller

64 Quellen und weiterführende Literatur GRIMMBERGER, E.; RUDLOFF, K. unter Mitar- AULAGNIER, S.; HAFNER, P.; MITCHELL- beit von Chr. KERN: Atlas der Säugetiere Europas, JONES, A. J.; MOUTOU, F. & J. ZIMA: Nordafrikas und Vorderasiens.- Die Säugetiere Europas, Nordafrikas und Vorder- Münster: NTV, 2009 asiens.- Bern/Stuttgart/Wien: Haupt, 2009 KOTRLÝ, A: Kamziči zvěř (Gamswild).- In: BAUMBACH, R.: Zlatorog. Eine Sage aus den LOCHMANN, J.: KOTRLÝ, A. & J. HROMAS: Julischen Alpen.-München: SLAVICA, o. J. Dutorohá zvěř (Gehörntes Wild).- Praha: SZN, 1979 BRIEDERMANN, L.: Gamswild, Rupicapra rupicapra (L.).- In: STUBBE, M. (Hrsg.): Buch der SIELMANN, H.: Das Wild unserer Wälder und Hege, Band 1, Haarwild.-Berlin: DLV, 1989/90 Felder.- Hamburg u. Berlin: Paul Parey, 1981

COUTURIER, M. A. J.: Le Chamois- Grenoble: B. Arthaud, 1938

9) Die Erdkröte (Bufo bufo) – Lurch des Jahres Naturschutzzentrum „Alte Warth“, Gumpelstadt

Zeitiges Frühjahr, steigende Temperaturen, einset- zender Regen und auf den Straßen überfahrene Erd- kröten – wer hat diesen Konflikt zwischen unserer vom Auto geprägten Kulturlandschaft und der ein- heimischen Tierwelt noch nicht selbst erlebt? Noch immer sterben Jahr für Jahr viele tausende Erdkrö- ten, Grasfrösche, Molche und andere Amphibien den Verkehrstod, wenn sie im Frühjahr zu ihren an- gestammten Laichgewässern und später wieder zu- rück wandern. Genauso betroffen sind im Sommer die Millionen Jungtiere, die ihre Geburtsgewässer verlassen und oft schon nach wenigen Metern uner- kannt zwischen Reifenprofilen ihr jähes Ende finden. Nicht nur aus Artenschutzgründen, sondern auch aus Gründen des Tierschutzes (Ethik) lassen weit- sichtige Verkehrsbehörden daher dauerhafte Leitein- Im Huckepack auf Wanderschaft richtungen und Krötentunnel an konfliktträchtigen (Foto: Rhön-Gymnasium Kaltensundheim) Straßen bauen, veranlassen Lokalpolitiker und Forst- ämter die Sperrung von Waldwegen und anderen lich aufmerksam zu machen, hat die Deutsche Ge- Trassen und betreuen ehrenamtliche Naturschützer sellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde die Jahr für Jahr in ihrer nicht ganz ungefährlichen Frei- Erdkröte zum Lurch des Jahres 2012 gewählt. zeitbeschäftigung Krötenzäune und Eimerfallen. Die Erdkröte (Bufo bufo) ist ein Froschlurch, der zur Um auf diese ganze Problematik der Gefährdung, Gattung der Echten Kröten und zur Familie der aber auch des notwendigen Schutzes nachdrück- Kröten (Bufobinae) gehört. Carl von Linne ordnete

65 thie (gegen Benommenheit, Migräne und Krämpfe) fand man für die Erdkröte Verwendung. Noch bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden afrikani- sche Krallenfrösche (sogenannte Apothekerfrösche), aber auch Erdkröten zur Feststellung von Schwan- gerschaften bei Frauen eingesetzt. Dazu wurde den Tieren eine kleine Menge Morgenurin unter die Haut in den dorsalen Lymphsack injiziert. Produ- zierte das Tier innerhalb von 12 Stunden Eier (bis zu 2.000 Stück), dann galt dies als Nachweis für eine bestehende Schwangerschaft. Die Amphibien reagie- ren also auf das gebildete Schwangerschaftshormon Laichschnüre im Flachwasserbereich eines Teiches Choriogonatotropin (hCG). (Foto: E. Biedermann) Im Jahr 1790 bezeichnete der Nürnberger Kupfer- 1758 die Art bei seiner Erstbeschreibung zunächst stecher und einer der ersten Amphibienforscher Au- den Fröschen zu. Heute ist erwiesen, dass es sich bei gust Johann Rösel von Rosenhof in Anspielung auf den Erdkröten um einen Komplex handelt, der meh- die warzige, scheinbar von Pocken (Blattern) ent- rere Arten einschließt und zu dem u. a. auch die Rie- stellte Haut das Tier als „blatterichte Landkröte mit senerdkröte (Mittelmeerraum/Nordafrika) oder die rothen Augen“. Kolchische Erdkröte (Kaukasus) gehören. Die Erdkröte ist neben dem Grasfrosch, Teichfrosch Im Volksmund wurde sie u. a. auch als Krott, Hut- und Teichmolch die häufigste Amphibienart in Eu- sche, Proz oder Feldkröte bezeichnet. ropa. Nur in Irland, Island, auf vielen Mittelmeerin- Die Kröte galt bis ins Mittelalter als hässlichstes Tier seln und nördlich des 68. Breitengrades kommt sie der Schöpfung (3. Buch Mose). In der Märchen- und nicht vor. In Deutschland fehlt sie auf den meisten Sagenwelt (Grimms Kinder- und Hausmärchen, Nordseeinseln. Ihre Verbreitung reicht im Osten „Märchen von der Unke“) existiert keine klare Unter- Russlands bis nach Irkutsk. In den Schweizer Alpen scheidung zwischen der Kröte oder Unke und dem wurde die Art bis auf 2.300 m ü. NN nachgewiesen. meist männlich gedachten Frosch. Als „Hexensal- ben“ wie auch in der Volksmedizin und Homöopa- Der Rumpf der relativ plumpen Erdkröte ist ober- seitig mit warzigen Hautdrüsen versehen. Die Kör- peroberseite ist grau- bis rotbraun, auch lehmfarben, bei den Weibchen mit mehr Rotanteilen. Die Un- terseite ist schmutzig-weiß und durchgehend grau- schwarz gesprenkelt Der Kopf ist abgerundet und an der Hinterseite sind paarige, bohnenförmige Drüsen (Parotiden) zu erkennen, die Hautgifte zur Abwehr von Fressfeinden enthalten. Die weiblichen Tiere sind in der Regel ein Drittel größer (bis 15 cm) und fast doppelt (bis 100 g) so schwer wie die männli- chen Tiere. Die Pupillen sind waagerecht-elliptisch geformt, die Iris kupferfarben bis rotgolden. Die Erdkröte bewegt sich aufgrund ihrer recht kurzen Hilfreiche Barriere am Straßenrand Hinterbeine auf allen Vieren schreitend vorwärts, bei (Foto: E. Biedermann) Beunruhigung aber auch hüpfend. Erdkröten besit-

66 zen im Gegensatz zu den Wechsel- und Kreuzkröten die Männchen huckepack zum Laichgewässer getra- keine Schallblasen. gen werden. Andere Männchen versuchen später am Die Erdkröte ist ein wechselwarmes Tier und däm- und im Laichgewässer ihr Glück, und das nicht nur merungsaktiv. Tagsüber hält sie sich z. B. unter Stei- bei allein gebliebenen Weibchen, sondern auch bei nen, in Mauerspalten, Totholz, Gebüschen, aber auch bereits verpaarten Tieren. Dieser Kampf führt mit- in selbstgegrabenen Erdlöchern auf. Auf diese Weise unter zu mehreren Männchen auf einem Weibchen besiedelt sie halboffene Landschaften, krautreiche, und geht häufig zum Nachteil des Weibchens aus, wechselfeuchte bis trockene Laub- und Mischwälder, welches bei dem wilden Liebeswerben schließlich aber auch Streuobstwiesen und parkartige Land- ertrinkt. Männchen, die kein Weibchen gefunden schaften. Gemieden werden stark trockenwarme haben, sind gelegentlich im Laichgewässer mit einem Bereiche. Da die Erdkröte auch in Gärten, feuchten leisen, langsamen Ruf „öök … öök … öök“ zu hören. Kellern, auf Friedhöfen oder in Ruinen lebt, kann sie Kurze, lautere und rasch hintereinander ausgestoße- durchaus als „Kulturfolger“ bezeichnet werden. ne Laute „ük … ük … ük“ sind sogenannte Befrei- ungsrufe von Männchen, die von anderen Männchen Für ihre Fortpflanzung nutzt die Erdkröte Teiche, geklammert werden. mittelgroße bis größere Weiher und Seen, beson- ders gern Stillgewässer im Wald oder in Waldnähe. Die Weibchen geben nach einigen Tagen Aufenthalt Voraussetzung für die Nutzung als Laichhabitat ist im Wasser ihren Laich in 5-8 mm dicken und 2-4 immer ein ausreichend großer Wasserkörper mit ei- m langen Schnüren ab, in denen die schwarzen Eier ner Wassertiefe von mindestens 50 cm. Die Erdkrö- meist in zwei- bis vierreihigen Ketten innerhalb der te kann im Gegensatz zu anderen Amphibienarten Gallerte angeordnet sind. Beim Austritt des Laiches auch in Fischteichen laichen, da ihre Larven unter aus der Kloake des Weibchens spritzt das Männchen den meisten Fischen als ungenießbar gelten. Die in sein Sperma darauf, wobei es mit den Hinterfüßen Mitteleuropa heimischen Erdkröten wandern meist einen Trichter formt. Das Weibchen signalisiert nachts und im zeitigen Frühjahr (vorzugsweise bei durch eine Hohlkreuzbildung und wellenförmige Temperaturen von 5 bis 10 Grad Celsius und einset- Muskelkontraktion den Zeitpunkt der Befruchtung. zendem Regen) zu ihren Laichgewässern und legen Der Laichvorgang (3.000 bis 6.000 Eier) dauert mit dabei innerhalb weniger Tage Strecken bis zu 3 km Pausen zwischen 6 und 12 Stunden. Aus dem Laich, Luftlinie zurück. Bei Frosteinbrüchen verharren sie, den die Weibchen oft an waagerechten Strukturen graben sich in die Erde ein und setzen dann die Wan- (Schilfstängel, umgeknickte Binsen, Äste) befesti- derung bei günstigeren äußeren Bedingungen fort. gen, entwickeln sich in der Embryonalphase (Dauer So können sich die Wanderbewegungen durchaus in Abhängigkeit von der Wassertemperatur) dann auch über einen längeren Zeitraum hinziehen. die einheitlich schwarz gefärbten, bis 40 mm langen Langjährige Beobachtungen aus dem Wartburgkreis Kaulquappen, die sich von Plankton, Algen u. ä. er- zeigten erste Wanderungen bereits Anfang Februar, nähren. Sie vertilgen aber auch als Aasfresser ihre die sich mitunter bis Ende April erstreckten, unter- toten Artgenossen. Die Metamorphose zum lungen- brochen von Schnee, Eis oder Trockenheit. atmenden, vierbeinigen Landtier erfolgt nach zwei- einhalb bis drei Monaten Aufenthalt und Entwick- Erdkröten sind ortstreue „Traditionslaicher“ und lung im Wasser. So kommen oft eine umfangreiche wandern oft in großen Gesellschaften. Wenn ein Anzahl dieser kleinen, nur 7 bis 12 mm großen Krö- paarungsbereites Männchen ein Weibchen erspäht, ten an Land, im Volksmund auch als „Froschregen“ versucht es auf dessen Rücken zu klettern und klam- bezeichnet. Erst nach 3 bis 5 Jahren werden diese mert sich mit seinen „Armen“ hinter den Achseln Tiere geschlechtsreif, ihre Lebenserwartung kann in des Weibchens fest (Axillaramplexus). Das kann oft freier Natur 10 bis 12 Jahre betragen, wenn sie nicht schon während der Wanderung geschehen, so dass vorher der Verkehrstod ereilt hat.

67 Während die Weibchen nach der Eiablage das Laich- im Sommer ihre Eier am Hinterkopf der Erdkröten gewässer verlassen, folgen die Männchen erst später oder auf dem Rücken von Amphibien ablegt. Die und wandern zurück zu ihren Sommerquartieren. nach 2-3 Tagen schlüpfenden Larven kriechen über Die Überwinterungsphase beginnt meist schon ab die Nasenlöcher und den Nasen-Rachenraum bis ins Mitte September bis Ende Oktober, wobei die Win- Kopfgewebe und deformieren die vordere Kopfpar- terquartiere in frostfreien Bereichen tief in der Erde tie, was zum Tod der Kröten führt. Ein weiterer Pa- liegen (bis zu 70-80 cm). rasit ist der Plattegel, der bei den Kröten Blut saugt, bis diese verenden. Erdköten ernähren sich von Würmern, Spinnen, Erdkröten verfügen mit dem Laichgewässer, ihrem Schnecken und Insekten, die sie bei ihren nächt- Landlebensraum und den dazwischen liegenden lichen Streifzügen erbeuten und im Ganzen ver- Wanderkorridoren über ein ganz besonderes, zu- schlingen. Reglose Tiere werden von den Erdkröten gleich sensibles und auch störungsanfälliges Raum- nicht wahrgenommen. Es ist somit die Bewegung der Zeit-Konzept. Der wichtigste Gefährdungsfaktor ist Beute, die den Zuschnappreiz (Hervorschnellen der der bereits erwähnte Straßentod während der Laich- Zunge oder Zupacken mit dem Kiefer) auslöst. Zum wanderung. Hinzu kommen Verluste und Verän- Abstreifen von Schmutzpartikeln zieht die Erdkrö- derungen innerhalb ihrer Sommer- und Nahrungs- te erbeutete Regenwürmer durch ihre Finger wie habitate durch die Land- und Forstwirtschaft (z. B. Spaghetti.Die Tiere häuten sich in unregelmäßigen Pestizideinsatz, forstliche Monokulturen, flächiger Abständen, d.h. sie streifen durch entsprechende Be- Einsatz von Großtechnik wie Mulchern). In Agrar- wegungen die alte, aufplatzende Hautschicht ab und und Ballungsgebieten oder auch Siedlungsbereichen fressen diese anschließend. fehlen z. B. Überwinterungshabitate. Die Erdkröte gehört zu den nach der Bundesartenschutzverord- In den Hautdrüsen werden giftige Sekrete zur Ab- nung besonders geschützten Arten. Für ihre Arter- wehr von Fressfeinden und zum Schutz der Haut haltung sind verschiedene Schutzmaßnahmen an vor Mikroorganismen gebildet: Es handelt sich ne- Straßen und auch in ihrem Jahreslebensraum not- ben biogenen Aminen (z. B. Adrenalin, Noradrena- wendig. lin, Dopamin) um Bufotenine. Das sind Stoffe, die den Wirkstoffen des roten Fingerhutes ähneln und Dazu zählen: die bei Fressfeinden den Blutdruck steigern und die – der Schutz der Laichgewässer (Verhinderung des motorischen Zentren von Gehirn und Rückenmark Verlustes und Neuanlage von Gewässern) lähmen. Diese sogenannten Krötengifte sind die am längsten bekannten und bereits im Altertum als Heilmittel verwendeten Tiergifte. Zu den Fressfeinden der Erdkröte gehören Beu- tegreifer wie Greif- und Rabenvögel, Waschbären, Marder und auch Katzen. Der Iltis richtet manch- mal regelrechte Massaker an, indem er eine Vielzahl von Tieren verletzt oder tötet und sie am Ufer ein- zeln oder gehäuft zurücklässt. Jungtiere werden auch von Singvögeln oder großen Laufkäfern erbeutet, die Kaulquappen von Raubfischen wie Flusshecht und Flussbarsch, aber auch von Gelbbrandkäfern und Großlibellen. Zu den natürlichen Feinden zählt Helfer in der Nacht – Schüler des Rhön-Gymnasiums ebenfalls die grün schimmernde Krötengoldfliege. Kaltensundheim (Foto: Rhön-Gymnasium Kaltensund- Es handelt sich dabei um eine Schmeißfliegenart, die heim)

68 – Maßnahmen zur Verhinderung der Mortalität Die Betreuung von temporären Amphibienschutz- durch landwirtschaftliche Nutzung (Nutzungs- zäunen an Straßen wird bundesweit von ehrenamt- extensivierung im Umfeld von Gewässern, Erhalt lich tätigen Mitgliedern des NABU und BUND, aber von Gewässerrandstreifen und damit Verhin- auch Einzelpersonen alljährlich im zeitigen Frühjahr derung des Nährstoff- und Schadstoffeintrages, übernommen. Zu diesen uneigennützig tätigen Hel- Vermeidung des weiteren Verlustes von Grün- fern gehören u. a. auch Schüler des Rhön-Gymnasi- land, Hecken, Gebüschen, Baumgruppen) ums Kaltensundheim, die unter Leitung ihrer Lehrer – Schutz von Waldhabitaten (Förderung von Laub- Bernd Baumann und Heiko Frauenberger seit Jahren holzbeständen, naturnahe Methoden des Holz- den ca. 400 m langen Krötenzaun am Leichelberg bei einschlages, keine Stubbenrodung) Kaltensundheim entlang der Landesstraße betreuen – Verhinderung von Falleneffekten in Siedlungen und abends zwischen 21.00 und 22.30 Uhr die wan- und bei Straßenentwässerungssystemen (sichere dernden Tiere aus den Sammeleimern und entlang Gullys, Sicherung von Kellerschächten usw.) des Zaunes sicher über die Straße bringen. Im Jahr – Schutzmaßnahmen an Straßen gegen die Zer- 2011 waren das z. B. 3.059 Erdkröten, 6 Grasfrösche, schneidung von Lebensräumen (Amphibien- 3 Teichfrösche und 1 Bergmolch. Weitere Amphibi- durchlässe, abgeflachte Bordsteine, Ersatz- und enschutzzäune werden alljährlich auch bei Unterkatz, Zusatzlaichgewässer) Eckardts, und Menzengraben aufge- – aktiver Krötenschutz am Straßenrand (tempo- stellt und betreut, so dass z. B. im Jahr 2011 insgesamt räre oder stationäre Amphibienschutzzäune, 10.970 Amphibien sicher über die Straßen gebracht zeitlich begrenzte Straßensperrungen u. ä. je wurden – ein eindrucksvolles Ergebnis! Dieses Enga- nach politischer Durchsetzbarkeit). gement von Schülern und Lehrern aber auch anderen, naturschutzinteressierten Personen zum Schutz der Erdkröten verdient große Anerkennung!

10) Der Hirschkäfer (Lucanus cervus) – Insekt des Jahres Naturschutzzentrum „Alte Warth“, Gumpelstadt

Den Hirschkäfer kennt fast jeder, leider häufig aber symbol“ dar, denn zur Nahrungsaufnahme werden nur dem Namen nach. Mit der Wahl zum Insekt des sie nicht gebraucht. Sie werden vielmehr bei Rivalen- Jahres 2012 wurde somit eine Art in den Blickpunkt kämpfen zum Schultern oder zum Herunterstoßen der Öffentlichkeit gestellt, die in Deutschland sehr des Gegners vom Ast und zum Festhalten der Weib- selten geworden ist. chen während der Paarung verwendet. Die Weibchen sind mit bis zu 5 cm insgesamt etwas Dabei handelt es sich um die größten heimischen kleiner. Allerdings gibt es bei dieser Art überhaupt Käfer in Mitteleuropa, die männlichen Vertreter sehr große Schwankungen in der Körpergröße. Die können bis zu 8 cm groß werden. Überhaupt un- Käfer wachsen nach dem Schlüpfen nicht mehr und terscheiden sich die Geschlechter recht deutlich in so kann es auch Artvertreter geben, die nur 3-4 cm ihrem Aussehen. Hauptgrund dafür sind vor allem groß sind. die Größe und Form der Oberkiefer (Mandibeln), denn nur die Männchen haben auch die verhältnis- Die Hirschkäfer gehören zur Familie der Schröter. mäßig gewaltigen „Geweihe“. Sie können bei beson- Dieser Name leitet sich vom Zerschroten modern- ders großen Exemplaren fast die halbe Körperlänge den Holzes ab, welches hauptsächlich durch die Lar- ausmachen und stellen somit ein besonderes „Status- ven und die Weibchen erfolgt.

69 Männlicher Hirschkäfer auf einem Stubben (Foto: B. Frey)

Fliegt ein Männchen direkt über ein offenes Feuer, so leuchten die Zangen im Lichtschein besonders hell. Es herrschte in früheren Zeiten der Glaube, dass der Käfer ein Stück glühende Kohle mitgenommen hat, um irgendwo ein Haus in Brand zu setzen. Daher soll der volkstümliche Name „Feuerschröter“ kommen. In Schweina wird der Hirschkäfer auch als „Hüis- börner“ (Hausbrenner) bezeichnet. Mit „Hornschrö- ter“ oder „Köhler“ gibt es auch noch andere regional übliche Bezeichnungen.

Hirschkäferzeit ist von Mitte Mai bis Ende Juli. Der Hirschkäfer ist unser größter heimischer Käfer. Dann schwärmen vor allem die Männchen an lauen (Foto: B. Frey) Abenden mit lautem Brummen herum. Weibchen fliegen seltener und legen auch größere Ortsverände- als Saftspender, Paarungsort und als Versteckmög- rungen laufend zurück. lichkeit. Die Hirschkäfer benötigen für die Reifung Männchen dagegen wählen bereits für Entfernungen ihrer Keimzellen Baumsaft, der bestimmte Pilze von wenigen Metern den Flug. Auf der Grundlage enthält. Den finden sie an Wundstellen des Baumes, telemetrischer Untersuchungen wurden Maximal­ oftmals fließt dieser Wundsaft auch mehrjährig. Die distanzen von 1.000 m bei Weibchen und bis zu Weibchen sind auch in der Lage, die Wunden mit ih- 3.000 m bei Männchen ermittelt. ren kleinen, aber kräftigen Oberkiefern aufzubeißen. Hirschkäfer lieben Bäume, vor allem alte Eichen. Ent- weder sind sie auf dem Weg dahin oder halten sich Sehr wichtig sind jedoch geeignete Bruthabitate wie dort auf. Die Bäume dienen als Basis für ihre Flüge, abgestorbenes Holz mit Erdkontakt.

70 Auf dem Weg zur Annäherung. (Foto: B. Frey) Hirschkäferweibchen (Foto: B. Frey)

Es handelt sich meist um mehrjährig abgestorbene Nach der Begattung suchen die Weibchen ein ge- Baumstümpfe. Ausnahmen bilden Pfähle oder ver- eignetes Bruthabitat auf und graben sich bis zu baute Eisenbahnschwellen. Entscheidend in diesem 50 cm tief ein. Die 30 – 80 Eier werden in der Über- Lebensabschnitt sind dabei weniger die Baumart als gangszone von moderndem Wurzelstock und Erde vielmehr der Zersetzungsgrad, die Lichtverhältnisse abgelegt. Nach etwa 14 Tagen schlüpfen die Larven. und die Standortnähe zur Population. Die traditio- Die Larven durchlaufen meistens drei Larvenstadien nell beschriebene Bindung an die Eiche ist nun nicht und zählen zum Larventyp der Engerlinge. Sie kön- mehr so eng wie angenommen. Die Tiere sind sehr nen bis zu 16 g schwer werden und eine Länge von standorttreu und verlagern sich nur ungern, so dass 10 cm erreichen, sie sind also größer als später die fer- auch Baumstümpfe von Kirschen, Äpfeln, Buchen, tigen Käfer. Die Larve frisst sich durch das morsche, Weiden, Kastanien oder sogar Weißdorn gerne an- feuchte und verpilzte Holz. Sie legt Gänge an und genommen werden. Selbst unter einem Haufen ver- das modernde Holz wird zu Humus verarbeitet. moderter Zaunlatten aus Fichtenholz, die mit einer Nach vier bis acht Jahren entscheidet sich die Larve Schicht Erde abgedeckt waren, konnten Larven be- zur Verwandlung in einen Käfer. Abhängig ist dies obachtet werden. von dem Nahrungsvorrat, der Genetik, von Störun- gen oder der Gruppendynamik. Entsprechend groß Geeignete Lebensräume sind Laubwälder, Parks, können die späteren Unterschiede in der Käfergrö- Gärten, Streuobstwiesen oder Feldgehölze. In Süd- ße sein. Dazu verlässt die Larve den Holzbereich hanglage am Mühlberg bei Bad Salzungen gibt es seit und baut sich im Erdreich frostgeschützt eine sta- vielen Jahren kontinuierliche Beobachtungen, welche bile und isolierte Erdkammer mit ca. 2 cm dicken die Aussagen zu Größenschwankungen, Holzarten- Wänden. Der gesamte Kokon ist etwa faustgroß, wahl und Lebensrhythmus bestätigen. bei Männchen größer und vor allem länger, denn für das Geweih wird Platz gebraucht. Frühestens sechs Hirschkäfer lieben es warm, Vorkommen in Höhen- Wochen nach der Verpuppung schlüpfen die Käfer, lagen über 600 m NN gelten als sehr selten. Deutsch- bleiben aber den Winter über in ihrer „Puppenwiege“ land liegt im Zentrum des Verbreitungsgebietes, die im Boden. Im Frühjahr verlassen sie ihre Erdhülle, Hauptvorkommen in Thüringen befinden sich u. a. graben sich nach oben durch und warten auf einen im Bereich Kyffhäuser-Hainleite-Hohe Schrecke, in geeigneten abendlichen Austrittstermin, immer vor- der Umgebung von Eisenach und Bad Salzungen und an die Männchen, ab Ende Mai auch die Weibchen. im Südthüringer Grabfeld. Aus der thüringischen Damit ist ihr langes Leben unter Tage beendet. In Rhön sind nur sehr wenige Beobachtungen bekannt. der nun folgenden, nur wenige Wochen andauernden

71 eigentlichen Hirschkäferzeit führen die Käfer ein tionsfolge mit bis zu acht Jahren relativ lang ist und oftmals hektisches Leben. Es dreht sich alles um eine merkbar mehr Tiere erst nach Jahrzehnten zu erwar- erfolgreiche Paarung und die spätere Eiablage. Wit- ten sind. terungsbedingt kommt es immer wieder zu Ruhe- und Versteckphasen. Die Käfer sind in der ersten Durch die Wahl zum Insekt des Jahres wird die Zeit überwiegend dämmerungs- und nachtaktiv. Lebensweise des Hirschkäfers näher vorgestellt. Begegnungen mit Menschen sind eher zufällig. Dies Gleichzeitig soll aufgerufen werden, die bisherigen ändert sich mit zunehmender Lebensdauer, wo es Naturschutzbemühungen weiter zu verfolgen. Dazu auch zu Aktivitäten am Tage kommen kann. gehören u. a.: – die Auflichtung von Waldsäumen zur Verbesse- Nach erfolgreicher Paarung fliegen die Männchen rung mikroklimatischer Bedingungen an be- auf der Suche nach dem anderen Geschlecht weiter, kannten oder potentiellen Reproduktionsorten, während die Weibchen meist laufend mit der Nest- – das Anlegen wärmebegünstigter Reproduktions- suche beginnen. Weibchen versterben in der Brut- stätten aus Eichen- oder Buchenholz (auch als stätte oder in deren näherem Umfeld, sie können bis Hirschkäferwiegen bezeichnet) oder Ende Juli noch angetroffen werden, das Ableben der – die beidseitige Bepflanzung von Verkehrswegen Männchen beginnt bereits Ende Juni. mit Baumhecken im Umfeld von Vorkommens- gebieten. Dadurch sollen die Käfer zum Aufstei- Die Hirschkäfer haben während ihrer Käferzeit vie- gen gezwungen und aus der Verkehrsgefährdung le Fressfeinde (Specht, Katze, Marder, Igel, …). Der herausgeleitet werden. Straßenverkehr, Beleuchtungen oder Hitzestress for- dern ebenfalls unter den relativ wenigen Tieren noch Die forstliche Nutzung des Waldes muss in Vorkom- ihre Opfer. Betroffen sind meist die männlichen Ge- mensgebieten unter Berücksichtigung der besonde- weihträger, die Weibchen fallen weniger auf und ver- ren Artansprüche (Belassen von Stubben, Verzicht tragen auf weichen Untergründen sogar manchmal auf Insektizide) erfolgen, damit der Hirschkäfer Trittbelastung. Von Krähen und Elstern ist bekannt, auch in Zukunft noch eine Lebenschance hat. dass sie Kopf, Halsschild und Flügeldecken abtren- nen, bevor sie den Käfer fressen. Diese charakteristi- schen Überreste sind dann in der Nähe von größeren Hirschkäferpopulationen öfters zu finden.

Der Hirschkäfer ist eine besonders geschützte Art. Er findet sich in den Roten Listen Deutschlands wie- der und ist auch in der europäischen Naturschutz- richtlinie NATURA 2000 als eine besonders her- vorgehobene Art enthalten, für die es gilt, besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

Hauptursache seines Rückgangs ist der immense Verlust seiner Brutsubstrate. Stubben werden oft- mals gerodet und morsches Holz verbleibt nicht mehr im Boden. Naturschutzprogramme und Schutzbe- stimmungen gibt es daher bereits seit einigen Jahren. Für eine endgültige Aussage zu deren Gelingen bzw. Umsetzung ist es aber noch zu früh, da die Genera-

72 V. WIR STELLEN UNS VOR

Der Erbhof Charlene MÄHLER, Erbhof, Praktikantin

Der von der „Burggemeinschaft der alten Garde“ 1936 erbaute Musterhof wurde bis 1946 zur Ver- sorgung des „Hotels Katzenstein“ genutzt. Nach Kriegsende wurde er Unterkunft der Grenzpolizei. Ab 1962 nutzte die LPG (Landwirtschaftliche Pro- duktionsgenossenschaft) den Hof zur Schweinemast und Rinderzucht. Nach 1989 verkaufte die Treu- hand den Hof. Er war inzwischen stark sanierungs- bedürftig. Die Scheune, auf der Stirnseite des Ho- fes, brach im Jahre 2002 zusammen. In dieser Zeit verließen nach und nach die bisherigen Mieter den Bauernhof. Aufgrund des langen Leerstandes war eine umfassende Sanierung für die noch verbliebenen Junge Falken machen Rast in der Nachbarschaft Gebäude dringend notwendig. (Foto: K. Mähler)

2004 erfolgte erneut ein Besitzerwechsel an Katja Ferienhof ermöglichte. So musste das Gebäude we- Mähler. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konn- gen der entstandenen Schäden noch einmal renoviert te 2005 ein kleines Café eröffnet werden. Der ur- und umgebaut werden. 2010 konnten endlich die ers- sprüngliche Traum, einen Ferienhof aus dem Bau- ten Feriengäste auf dem Hof begrüßt werden. ernhof herzurichten, scheiterte. Das Haus verfügt nun über mehrere Ferienwohnun- gen mit unterschiedlichen Ausstattungen. Sie bieten Um das Gebäude zu erhalten, wurde es 2006 für gemütlichen Wohnraum, liebevoll eingerichtete Kin- Schüler der Schnitzschule Empfertshausen saniert. derzimmer, komfortable Küche, DU/Wannenbad Leider war dieses Vorhaben nicht von Erfolg gekrönt. mit WC, Terrasse, mehrere Lagerfeuer- und Grill- Zum Glück ergab sich 2008 eine Gesetzesänderung, plätze sowie eine komplette Kleinkinderausstattung die den ursprünglichen Wunsch nach einem Pony-/ mit Spielplatz im Freien, einem großen Hof, einem

Der idyllisch gelegene Erbhof (Foto: K. Mähler)

73 Die Pferde beim Toben auf der angrenzenden Weide (Foto: K. Mähler)

Die exzellente Lage des Hofes macht ihn für Wild- tiere interessant. So brüten Jahr für Jahr Turmfal- ken in den alten Lüftungsschlitzen des Stalles. Jedes Jahr haben Schwalben und Rotschwänzchen hier ihr Quartier. Ein Käuzchen macht es sich in den warmen Monaten auf dem Heuboden bequem. In der Dämmerung ziehen Fledermäuse eindrucksvoll ihre Kreise. Der neu angelegte Löschteich ist ein Eldorado für farbenprächtige Libellen, Frösche und Kröten. Viel erfahren die Kinder auch über Wespen und Hummeln, die ihre Nester auf dem Gelände des Erbhofes haben. Die Hutungen oberhalb des Hofes werden nicht maschinell bearbeitet und bieten somit Nahrungsquellen für die schönsten Schmetterlinge.

Sternengucker kommen voll auf ihre Kosten, da die Lage des Hofes Lichtsmog nicht zulässt. Besonders im Januar erfreuen die Sternschnuppenströme der Quadrantiden und im August die der Perseiden die Besucher.

Weitere Informationen unter: Einblicke in verschiedene Räume (Kinderzimmer und www.erbhof-rhoen.de Wohnzimmer) (Fotos: K. Mähler)

riesigen Spielboden im Haus mit Trampolin, Hüpf- burg, Tischtennis, u.v.m.

Auf dem Hof gibt es einen Mini-Streichelzoo mit Häschen und Meerschweinchen. Für die ganze Familie werden Eselwanderungen und für Kinder geführtes Ponyreiten angeboten.

74 VI. NEUE LITERATUR

1) Der Erlebnisführer zu den Nationalen Naturlandschaften in Thüringen

Die Natur zu erfahren und zu genießen, dazu bedarf Herausgeber: es keiner langen Reisen. Denn die schönsten Land- Verband Deutscher schaften liegen praktisch vor der Haustür. Dieses Naturparke e.V. Buch lädt dazu ein, die fünf Naturparke, zwei Bio- Platz der Vereinten sphärenreservate und einen Nationalpark in Thü- Nationen 9 · 53113 Bonn ringen zu entdecken. „Natur erleben“ stellt erstmals Klartext Verlag, Essen diese herausragenden Naturlandschaften Thürin- gens im Zusammenhang dar. Die reich bebilderten ISBN 978-3-8375-0610-5 Bände führen zu den schönsten Orten und Ausflugs- Preis: 9,95 EUR zielen und informieren über Tiere und Pflanzen so- wie über Geschichte und Kultur. Abwechslungsrei- che Routenvorschläge für Wanderungen, Fahrrad-, Kanu- und Inlinetouren dienen als Wegweiser und ermöglichen ein aktives Naturerleben sowie die Re- generation von Körper und Geist. Zu den Besonder- heiten der Regionen, die es zu entdecken gilt, zählen auch regionaltypische Produkte und gastronomische Angebote. Darüber hinaus werden vielfältige Infor- mationen zu unterschiedlichen Übernachtungsmög- lichkeiten geboten.

2) Die Gewässer Thüringens

Das Buch vereint die in jahrzehntelanger Forschung Wechselbeziehungen und praktischer Arbeit gewonnenen Kenntnisse zu zu ihrem Umland sowie den Fließ- und Standgewässern Thüringens. Ausge- zu den lebenden Orga- hend von den naturräumlichen Gegebenheiten und nismen zu schärfen. Besonderheiten des Landes werden die Gewässer in der heutigen Kulturlandschaft betrachtet und bewer- Die Aufgaben des Na- tet. Neben den hydrologischen Angaben der Gewäs- tur- und Artenschutzes ser wird der Bogen von den Biotopen über die Pflan- sind, wie die der Land- zenwelt, die Fauna bis hin zum Naturschutz und der schaftspflege an Gewäs- Gewässerpflege sowie der EU-Wasserricht­linie ge- sern, umrissen. schlagen. Es wird ein faktenreiches Gesamtbild über die Fischfauna und die Fischregion Thüringens dar- Zahlreiche Farbfotos, gestellt. Das farbig illustrierte Buch ist eine aktuelle Karten und Tabellen veranschaulichen die jeweiligen Informationsquelle für zahlreiche Interessenten aus Ausführungen. unterschiedlichen Fachbereichen, Angel- und Fische- reiverbänden sowie Laien. Das Ziel ist es, den Blick ISBN 978-3-0003-5620-9 für die Gesamtheit der Gewässer und die komplexen Preis 35,00 EUR

75 3) Natürlich gedacht!

Nach 20 Jahren aktiven Umweltschutzes für Thürin- Sie soll aber auch Lust auf eigenes Engagement ma- gen gibt es bereits eine Vielzahl von Veröffentlichun- chen, denn die vor uns liegenden Aufgaben brauchen gen über den guten Zustand der Luft, der Gewässer Menschen, die bereit sind, Verantwortung bei der und der Natur in unserem Freistaat. In dieser Bro- Gestaltung der Zukunft unseres Landes zu über- schüre wird der schwierige Weg von der Sanierung nehmen. ökologischer Altlasten hin zur Gestaltung eines mo- dernen, nachhaltig wirtschaftenden Landes einmal ganz anders erzählt:

Es kommen Menschen zu Wort, die diese Entwick- lung mit viel Engagement aktiv begleitet haben. Sie stehen stellvertretend für sehr viele Thüringer, die sich in gleicher Weise um Umwelt- und Naturschutz und damit um die Zukunftsfähigkeit unserer Hei- mat verdient gemacht haben. Diese Broschüre will all diesen Menschen Dank sagen und die bemerkens- werten Ergebnisse ihrer Arbeit vorstellen.

4) Partners in the World Network

Seit 2007 besteht eine enge und erfolgreiche Part- Zusammenarbeit, des Erfahrungsaustausches und nerschaft des Biosphärenreservats Rhön/Verwal- ein Beispiel für das Funktionieren des weltweiten tung Thüringen mit den kanadischen Biosphärenre- Netzwerkes der Modelllandschaften. Ein Vorwort servaten Redberry Lake (Saskatchewan), Georgian des Vorsitzenden des Deutschen Nationalkomitees Bay (Ontario) und Charlevoix (Quebec). Ein erstes „Der Mensch und die Biosphäre“ rundet die Publika- gemeinsames Projekt der Partnerschaft ist diese Bro- tion ab. Die Broschüre ist besonders für Schulen und schüre. Darin werden die drei kanadischen und das an Kanada interessierten Menschen geeignet und deutsche Biosphärenreservat Rhön in drei Sprachen liegt im Informationszentrum in der Propstei Zella vorgestellt. Es ist das Ergebnis einer guten und engen und im Haus auf der Grenze aus.

Partners in the World Network

Impressum: Imprint: Impression:

Herausgeber: Published by: Publié par: Biosphärenreservat Rhön Rhön Biosphere Reserve la Réserve de biosphère de la Rhön Verwaltung Thüringen Verwaltung Thüringen Verwaltung Thüringen Propstei, Goethestraße 1 Propstei, Goethestraße 1 Propstei, Goethestraße 1 36452 Zella / Germany 36452 Zella / Germany 36452 Zella / Germany [email protected] [email protected] [email protected] www.biosphaerenreservat-rhoen.de www.biosphaerenreservat-rhoen.de www.biosphaerenreservat-rhoen.de mit finanzieller Unterstützung des with financial support by the grâce à l‘appui financier du Thüringer Ministerium für Thuringian Ministry of ministère de l‘agriculture, des fôrets, de Landwirtschaft, Forsten, Acriculture, Forest, Enviroment l‘environnement et de la protection de la Umwelt und Naturschutz and Nature Protection. nature de Thuringian.

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Druck: Printing: Impression: Wehry-Druck OHG Wehry-Druck OHG Wehry-Druck OHG Untermaßfeld Untermaßfeld Untermaßfeld Auflage: 5.000 Circulation: 5.000 Distribution: 5.000

Réserve mondiale de la biosphère de Georgian Bay Redberry Lake Charlevoix Biosphere Reserve Biosphere Reserve 658 rue Richelieu 17 George St. Box 221 Charlevoix Biosphere Reserve La Malbaie, Québec, Canada Parry Sound, Ontario, Canada Hafford, SK, Canada G5A 2X1 P.O. Box 337, P2A 2X4 S0J 1A0 Georgian Bay Littoral Biosphere Reserve [email protected] [email protected] [email protected] www.biospherecharlevoix.com www.gbbr.ca www.redberrylake.ca Redberry Lake Biosphere Reserve Rhön Biosphere Reserve

CHARLEVOIX

Organisation Corporationdela United Nations Georgian Bay Biosphärenreservat desNations Unies Rserve mondiale Educational, Scientific and BiosphereReserve Organisation der Rhön pour l’ ducation, de la biosph re Cultural Organisation Vereinten Nationenfür BiosphärenreservatimProgramm Redberry Lake Bildung,Wissenschaft, DerMensch und dieBiosphäre Rhön la science et la culture de Charlevoix Biosphere Reserve Kultur undKommunikation seit 1991

76 5) Rote Listen der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten, Pflanzengesellschaften und Biotope Thüringens

Der vorliegende Sammelband enthält 54 Rote Lis- und Köcherfliegen, ten. Insgesamt 16.814 Arten (315 Wirbeltiere, 7.343 Wasserkäfer). Wirbellose, 3.885 Pflanzen und 5.271 Pilze), 686 Auch Flechtenarten Pflanzengesellschaften und 76 Biotoptypen wurden zeigen einen Ar- hinsichtlich ihrer Gefährdung überprüft. Die 93 Au- tenrückgang, meist toren sind die besten Kenner der Thüringer Tier- und infolge der Verbes- Pflanzenwelt, die meisten sind Mitglieder ehrenamt- serung der Luftqua- licher Fachvereinigung, von denen die landesweiten lität. Basisdaten erfasst werden. Als in Thüringen gefähr- Für mehrere Arten det oder bereits ausgestorben wurden 3.455 Tierar- konnte die Bestands- ten (45 %), 1.903 Pflanzenarten (49 %), 1.510 Pilzar- situation auch durch ten (29 %), 351 Pflanzengesellschaften (51 %) und 68 Naturschutzmaß- Biotoptypen (89 %) in die Rote Liste aufgenommen. nahmen verbessert werden (Kleine Hufeisennase, Fischotter, Luchs, Schwarzstorch, Wanderfalke, Die Veränderungen zu den letzten Roten Listen aus Uhu). Ausgesprochen kritisch ist die Situation nach dem Jahr 2001 sind bei einigen Gruppen erheblich. wie vor bei Arten, die an Lebensräume der Agrarland- Sie sind vor allem auf die methodischen Änderun- schaft mit extremen Standortbedingungen gebunden gen, einen verbesserten Kenntnisstand und nur zum sind, wie sehr trockene, nasse oder nährstoffarme Teil auf eine geänderte Gefährdungssituation zu- Biotope. Der Sonderband des Naturschutzreports rückzuführen. Positive Entwicklungen wurden bei kann für 20 EUR direkt bei der Thüringer Landes- den Arten unserer Fließgewässer dokumentiert, die anstalt für Umwelt und Geologie zu bestellt werden. auf die deutlichen Verbesserungen der Wasserqua- www.tlug-jena.de/de/tlug/presse_und_service/ lität reagieren (Mollusken, Libellen, Eintags-, Stein- publikationen/np/

6) Die Naturschutzgebiete Thüringens

Naturschutzgebiete stellen nicht nur Refugien für gefährdete Pflanzen und Tiere dar, sie sind auch Zentren der biologischen Vielfalt unseres Landes, einmalige Untersuchungsobjekte und Werbeträger für unsere reichhaltige Natur. Das vorliegende Nach- schlagewerk beschreibt 266 Naturschutzgebiete und Kern- und Pflegezonen der Biosphärenreservate mit informativen Texten, einzigartigen Naturfotografien und einer sehr umfassenden Literaturdokumentati- on. Übersichtskarten und Besucherhinweise zeigen, wie man das jeweilige Gebiet kennenlernen kann.

ISBN: 978-3-9360-5566-5 Weissdorn-Verlag Jena Preis: 44,95 EUR

77 7) Rhöner Genuss-Tour

Mit der „Rhöner Genuss-Tour“ der Dachmarke Rhön In der „Rhöner Genuss-Tour“ wird jeder Gastrono- gibt es ab sofort einen ganz besonderen Genussfüh- miebetrieb mit seinen Besonderheiten vorgestellt. rer für Einheimische und Gäste, welche die Rhön in Das gilt vor allem für die regionalen Spezialitäten, ihren drei Landesteilen Bayern, Hessen und Thürin- die die Küche bereit hält, umfasst aber auch Erleb- gen vor allem regional-kulinarisch entdecken wollen. nismöglichkeiten in der unmittelbaren Umgebung – Rund 100 Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe angefangen von interessanten Wanderungen über sowie Direktvermarkter, Hofläden und mittelständi- unvergleichliche Aussichtspunkte bis hin zu speziel- sche Unternehmen der Lebensmittelbranche präsen- len Besichtigungen. Neben den leckeren, traditionel- tieren sich in der neuen Broschüre. Alle sind Part- len und vor allem typischen Speisen der Rhön macht nerbetriebe der Dachmarke Rhön und erfüllen die die „Rhöner Genuss-Tour“ auch Lust auf die einzig- jeweiligen branchenspezifischen Qualitätskriterien, artigen und von der Dachmarke Rhön ausgezeich- bei denen Regionalität an erster Stelle steht. neten Qualitätsprodukte, die es gibt. Dazu gehören natürlich Hausmacher-Wurst vom Metzger, Honig vom einheimischen Imker, Säfte und Edelbrände aus Obst von Rhöner Streuobstwiesen.

Die „Rhöner Genuss-Tour“ ist kostenlos in allen Touristinformationen, den Informationszentren des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön, in den betei- ligten Betrieben selbst sowie in den Sparkassenfili- alen der fünf Rhönlandkreise Schmalkalden-Mei- ningen, Wartburgkreis, Bad Kissingen, Fulda und Rhön-Grabfeld erhältlich. Sie kann auch im Internet unter www.marktplatzrhoen.de gratis bestellt oder herunter geladen werden.

78 8) Johann Matthäus Bechstein (1757-1822) und die Forstbotanik

Von Einzeldarstellungen verschiedener Gehölze in den Jahresschriften

• „Diana“ (Bände 1 und 4, 1797 und 1816) sowie • „Sylvan“ (Jahrbücher 1813, 1814 und 1816) einmal abgesehen, hatte J. M. Bechstein zunächst in seinem Vorlesungsheft „Über die Forstbotanik“ (1802), dem die „Taschenblätter der Forstbotanik“ (1. Auflage 1798) vorausgegangen waren, insbesonde- re aber danach in der zwischen 1810 und 1843 mehr- fach aufgelegten „Forstbotanik“ den Hauptinhalt sei- ner botanischen Vorlesungen festgehalten.

In Würdigung seines produktiven enzyklopädischen Schaffens wurde beim 2. Symposium anlässlich des vor 200 Jahren erfolgten Erscheinens der Erstauflage des genannten Buches und der Anlage des so genann- ten „Dreißigackerer Hölzchens“ die Forstbotanik in fünf Vorträgen bewusst in den Blickpunkt der Be- trachtungen gerückt. len aus regionaler Sicht eine willkommene Abrun- Seine Bemühungen um das Erkennen und Beschrei- dung der Vortragsproblematik dar. ben sowie die Systematik vor allem der Sorbus-, Cra- taegus-, Prunus-, Rosa-, Betula-, und Abies-Sippen un- www.verlagkessel.de ter Beachtung ihres teilweisen Hybrid-Charakters ISBN: 978-3-9413-0054-5 fanden in diesem Zusammenhang erstmals die ihnen Preis: 19,00 EUR entsprechende fundierte Bewertung.

Dass die Forstbotanik selbst bei Bechsteins Mitglied- schaft in 18 wissenschaftlichen Vereinigungen eine Rolle spielt und in noch heute gepflegten Traditionen fortlebt, konnte an ausgewählten Beispielen belegt werden.

Die beiden nachgetragenen Mitteilungen zu den forstbotanischen Vorlesungsmitschriften des späte- ren Revierförsters Franz Rühle von Lilienstern aus dem Sommersemester 1820, die bibliographisch sys- tematisierte Übersicht zu den in der Bibliothek des Naturhistorischen Museums Schloss Bertholdburg Schleusingen befindlichen Buch-Titeln Bechsteins und der Auktionskatalog vom 22. August 1822 stel-

79 VIII. Wissenswertes

Wussten Sie schon, dass …. Wussten Sie schon, dass …. … Ameisen selbst bei hohem „Verkehrsaufkommen“ … Blauwale bis zu 34 m lang und rund 200 Tonnen keine Überholmanöver kennen und Geschwindig- schwer werden können? keitsschwankungen vermeiden? Sie passen ihr Tempo vielmehr der Situation an und bewegen sich gleich- Wussten Sie schon, dass …. mäßig in Kolonnen weiter, ohne ihre Geschwindig- … das größte Lebewesen der Hallimasch (Pilz) ist? keit wesentlich zu reduzieren bzw. stehenzubleiben. Sein unterirdisches Geflecht breitet sich über eine Möglich wird dieses Verhalten durch ein ausgefeiltes Fläche von 965 ha aus und wiegt ca. 600 Tonnen. Kommunikationssystem. So markieren die Ameisen Er ist älter als 2.400 Jahre (Malheur-Nationalpark ihre Wege durch Pheromone. Je stärker die Markie- Oregon/USA) rung, desto mehr nutzen die Ameisen diesen Weg. Befinden sich zu viele Ameisen auf diesem Weg, wer- Wussten Sie schon, dass …. den Ausweichrouten gefunden. … der mächtigste Baum der Welt, der Riesenmam- Basierend auf diesen Erkenntnissen werden aktuell mutbaum (Sequoiadendron giganteum), 1.490 Kubik- unter anderem Fahrassistenz-Systeme angedacht, die meter Holz misst? Das sind 50 Lkw-Fuhren. miteinander kommunizieren und Autofahrer so über (NATIONAL GEOGRAPHIC, 2010) die aktuelle Verkehrssituation und das dementspre- chende Fahrverhalten informieren bzw. die direkte Wussten Sie schon, dass …. Auswirkung auf das Fahrzeug (z. B. automatische … der höchste Baum der Welt – ein Küstenmam- Geschwindigkeitsanpassung) haben. mutbaum (Sequoia sempervirens) mit 115 m Höhe in Kalifornien/USA steht? (NATIONAL GEOGRA- PHIC, 2010)

Wussten Sie schon, dass …. … der dickste Baum der Welt die Montezuma- Sumpfzypresse (Taxodium mucronatum) in Mexiko mit 10 m Durchmesser ist? (NATIONAL GEO- GRAPHIC, 2010)

Wussten Sie schon, dass …. … der älteste Baum der Welt eine Fichte mit über 9.550 Jahren (in Schweden) ist?

Wussten Sie schon, dass …. … die ältesten Flechten in der Antarktis ca. 10.000 Jahre alt werden?

Waldameisen (Foto: M. Großmann / pixelio.de)

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