DÖW DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN WIDERSTANDES

FOLGE 202 Mitteilungen JULI 2011 Elisabeth Klamper DIE GEDENKSTÄTTE FÜR DIE OPFER DER WIEN

Am Morzinplatz in Wien befand sich 1938–1945 im ehemaligen Hotel „Metropole“ der Amtssitz der Gestapo-Leitstelle Wien, einer der größten Gestapodienststellen NS-Deutschlands. In dem an dieser Stelle neu errichteten Haus (Leopold Figl-Hof) erinnert seit 1968 eine Gedenkstätte an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Gedenkstätte, die vom DÖW betreut wird, wurde nach einer umfassenden Renovierung mit einer Ausstellung über Opfer und Täter der Gestapo ergänzt und am 26. Mai 2011 von Bundespräsident Heinz Fischer und dem Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny wiedereröffnet (siehe dazu S. 4 f.). Zentrale Bezugspunke der Ausstellung sind die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem österreichischen Widerstand in all seinen Facetten ebenso wie historische Informationen über die Rolle der Gestapo-Leitstelle Wien als Institution des NS-Terrors und deren Involvierung in die Deportation der österreichischen Jüdinnen und Juden. DÖW-Mitarbeiterin Elisabeth Klamper hat die Ausstellung mit Unterstützung von Wolfgang Neugebauer (bis 2004 wissenschaftlicher Leiter des DÖW) und Thomas Mang (Autor von „Gestapo-Leitstelle Wien – Mein Name ist Huber“. Wer trug die lokale Verantwortung für den Mord an den Juden Wiens?, Münster u. a. 2003) kuratiert.

Zur Geschichte des schaft bereits vorgemerkt war. Die Besitzer bzw. Ho- Gebäudekomplexes telbetreiber, die nach den Hotel „Metropole“ „Nürnberger Gesetzen“ als Juden galten, wurden ent- Das Hotel „Metropole“ wurde 1873 an- eignet und in der Folge ver- lässlich der Weltausstellung nach Entwür- trieben oder deportiert. fen des Wiener Architekten Ludwig Einer von ihnen, Markus Tischler mit einem Kostenaufwand von Friediger, ein überzeugter sechs Millionen Kronen errichtet. Eigen- Monarchist, spielte später tümer war eine Aktiengesellschaft, 1938 die in seinem Besitz befind- zählten die Familien Klein und Friediger lichen Baupläne des Hotels zu deren Hauptaktionären. der Widerstandsgruppe um Das einzige große Wiener Haus, das spe- Karl Burian zu. Burian stand ziell zu Hotelzwecken erbaut worden war, in Verbindung mit dem pol- lag inmitten eines der belebtesten Ge- nischen Geheimdienst, die schäftsviertel von Wien, am Franz-Josefs- Gruppe plante 1938/39, das Kai; vor dem Hotel befand sich der Lan- Gebäude zu sprengen (siehe dungsplatz der Lokalschiffe der Donau- dazu DÖW Akt 4150). Auf dem Gelände des zerstörten Hotels „Metropo- Dampfschifffahrts-Gesellschaft. Das Ho- Am 1. April 1938 – am sel- le“ wurde in den 1960er Jahren der Leopold Figl- tel galt als überaus elegant und war vor al- ben Tag, als der erste Trans- Hof errichtet. lem bei jüdischen Gästen sehr beliebt; so port österreichischer Häft- wurden dort beispielsweise zahlreiche linge vom Westbahnhof in das KZ Dachau durch die Gestapo relativ gut rekonstruie- Bar-Mizwa-Feiern und Hochzeiten abge- abging – nahm die Gestapo ihren Dienst ren. halten. im „Metropole“ auf. Nach der „Volksab- Trotz zweier Bombentreffer und schwerer Unmittelbar nach dem „“ wurde stimmung“ am 10. April 1938 wurde mit Gebäudeschäden wurde der Dienstbetrieb das „Metropole“ beschlagnahmt: Im den Umbauarbeiten des 500 Räume um- der Gestapo am Morzinplatz bis 6. April Grundbuch findet sich ein mit 25. März fassenden Gebäudes begonnen. Aus diver- 1945 aufrechterhalten. Bereits ab Jänner 1938 datierter Eintrag, der besagt, dass sen Zeugenaussagen in Volksgerichtsver- 1945 wurden allerdings zahlreiche Gesta- aufgrund einer Zuschrift der Geheimen fahren gegen ehemalige Angehörige der pohäftlinge in andere Haftanstalten trans- Staatspolizei, Staatspolizei Leitstelle Gestapo-Leitstelle Wien nach 1945 lässt feriert und viele Gestapobeamte flohen Wien, die Beschlagnahmung der Liegen- sich die räumliche Nutzung des Gebäudes gegen Westen. Am 6. April wurde das 2 Mitteilungen 202

Gebäude endgültig geräumt; es wurde von der Waffen-SS zwar zur Sprengung vorbe- reitet, diese wurde aber nicht mehr durch- geführt. Nach dem Krieg wurde die Ruine abgeris- sen und in den 1960er Jahren durch einen für diese Zeit typischen Wohn- und Büro- bau ersetzt, der nach dem ersten Bundes- kanzler 1945 Leopold Figl, einem Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherr- schaft, benannt wurde. Ein Relief an der Vorderseite des Gebäudes (in der Höhe des ersten Stocks) thematisierte die NS- Zeit. Die im Gebäude eingerichtete Ge- denkstätte war von den drei Opferver- bänden und dem Verein der Freunde des Wohnungseigentums gemeinsam mit dem Architekten Josef Vytiska geplant und ge- SS Sturmbannführer Josef Auinger (Mitte) im Kreise von BeamtInnen der staltet worden. Sie wurde am 26. Oktober Gestapo Wien. Neben Verwaltungs- und Vollzugsbeamten zählten auch Schreib- 1968 im Beisein von Bundespräsident kräfte, Telefonisten, Mechaniker, Chauffeure etc. zum Personal der Gestapo. und Bürgermeister Bruno Josef Auinger war maßgeblich an der Verfolgung von WiderstandskämpferInnen betei- Marek feierlich eröffnet und sollte die ligt. Ab Juli 1942 als Führer des Sonderkommandos 7b in Smolensk Mitwirkung an Erinnerung an den österreichischen Wi- der Ermordung Tausender Juden und Jüdinnen, ab Jänner 1943 Diensteinsätze in Prag, derstand gegen das NS-Regime wachhal- Budapest und Berlin. 1947 von einem sowjetischen Militärgericht zu 25 Jahren Ar- ten – in den 1960er Jahren (und auch in beitslager verurteilt, 1956 Rückkehr nach österreich, ein hier eingeleitetes Untersu- den Jahren danach) keineswegs selbstver- chungsverfahren wurde eingestellt. ständlicher Teil des kollektiven österrei- chischen Bewusstseins. Später hatte auch Ing. Simon Wiesenthal im Leopold Figl-Hof sein Büro.

Vom Gedenkraum zum „Denkraum“

Der in der Salztorgasse eingerichtete Ge- denkraum bedeutete für die überlebenden WiderstandskämpferInnen nicht nur die Würdigung ihrer Taten, sondern war auch das „Unterpfand einer gemeinsamen Er- fahrung“1 und damit ein Ort, wo jener ge- dacht werden konnte, die im Kampf um ein freies und demokratisches Österreich Oben links: umgekommen waren. Franz Josef Huber, ab März 1938 Leiter der Gestapo-Leitstelle Wien Orte des Gedenkens und Trauerns sind Er war als Inspekteur der Sicherheitspolizei (= Gestapo und Kriminalpolizei) und des wichtig und notwendig – junge Menschen SD (= Sicherheitsdienst der SS) auch Leiter der „Zentralstelle für jüdische Auswan- haben heute allerdings kaum mehr persön- derung“, die ab 1941 für die Massendeportationen der österreichischen Juden und Jü- liche Verbindungen bzw. Beziehungen zu dinnen verantwortlich war. 1949 wurde er in der BRD als „Minderbelasteter“ einge- den Opfern, derer gedacht werden soll. stuft und zu einem Jahr Gefängnis sowie einer Geldstrafe von 500 D-Mark verurteilt. Deshalb müssen Gedenkstätten (auch) die Oben Mitte: Möglichkeit zur kognitiven Auseinander- Dr. Karl Ebner, 1939 bis 1942 – zur Zeit der großen Deportationen der Jüdinnen setzung mit der Geschichte bieten, nicht und Juden – Leiter des „Judenreferats“ der Gestapo Wien zuletzt um eine bloße Ritualisierung des Ab September 1942 war Ebner Stellvertreter des Gestapochefs. Nach einer Intrige Gedenkens zu bestimmten Anlässen zu wurde er im März 1945 wegen „Wehrkraftzersetzung“ von einem SS- und Polizeige- vermeiden. Beispiele aus Deutschland wie richt zum Tode verurteilt, konnte jedoch fliehen. 1948 von einem österreichischen die „Topographie des Terrors“ oder das Volksgericht zu 20 Jahren Haft verurteilt, 1953 begnadigt.

Oben rechts: Othmar Trenker (eigentlich Trnka, Namensänderung aus Karrieregründen), 1 Aleida Assmann, Erinnerungsorte und Ge- 1944 Leiter der Abteilung II/IV der Gestapo Wien dächtnislandschaften, in: Hanno Loewy, Obwohl nachweislich persönlich an Folterungen beteiligt, wurde er 1948 nur zu Bernhard Moltmann (Hrsg.), Erlebnis – 30 Monaten, 1949 nach Protesten zu fünf Jahren Haft verurteilt, 1950 „auf Probe“ ent- Gedächtnis – Sinn. Authentische und kon- lassen. struierte Erinnerung, Frankfurt 1996, S. 20. Juli 2011 3

Eingang in den Raum hinein symbolisie- ren die Hilf- und Rechtlosigkeit der Opfer. Nach der Renovierung wurde die Gedenk- stätte mit insgesamt zehn Ausstellungs- stelen ergänzt. Diese werden von innen beleuchtet und bieten jeweils zwei Dis- playflächen. Die Ausstellung bietet In- formationen über die hier inhaftierten Wi- derstandskämpferInnen und die von der Gestapo verfolgten Menschen ebenso wie über die Etablierung der Gestapo Wien, deren Organisation, MitarbeiterInnen, Ar- beitsweise etc. Die mit zahlreichen Sonderrechten ausge- stattete Gestapo überwachte und verfolgte Menschen, die der NS-Staat zu „Staats- und Volksfeinden“ erklärte bzw. als poten- ziell gefährlich einstufte: Politisch An- dersdenkende, Juden und Jüdinnen, Men- schen, die gegen die Normen des NS- Staats verstießen, soziale Randgruppen, „Betriebsappell“, organisiert von der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) ZwangsarbeiterInnen. Nach Kriegsaus- Die DAF, mit ca. 23 Millionen Mitgliedern die größte NS-Massenorganisation, ver- bruch im Herbst 1939 war sie an der Un- suchte mit derartigen Veranstaltungen nicht nur die „Volkgemeinschaft“ zu beschwö- terdrückung des Widerstands in den be- ren, sondern auch politische Kontrolle über die ArbeiterInnen und Angestellten auszu- setzten Gebieten und an der Überwachung üben. der ausländischen ZwangsarbeiterInnen sowie ab 1941 am Massenmord an den „Denkmal für die ermordeten Juden Euro- eingang des Hotels „Metropole“ befand. europäischen Juden und Jüdinnen maß- pas“ von Peter Eisenman – beides in Die meisten, die in die Gestapo-Leitstelle geblich beteiligt. Berlin – zeugen davon, dass eine allmähli- gebracht wurden, kamen nicht durch das Mit rund 900 Mitarbeitern war die che Abwendung von der Mahn- und Portal in das Haus, sondern durch diesen Gestapo-Leitstelle Wien eine der größten Denkmalidee zugunsten einer Hinwen- Hintereingang. Von dort gab es einen di- Gestapo-Dienststellen des Deutschen Rei- dung zum Konzept eines „Denk-Ortes“ rekten Abgang in den Keller, in dem sich ches, wo Tag für Tag bis zu 500 Menschen stattfindet. das Gestapogefängnis befand. Fußspuren zur Einvernahme vorgeladen bzw. nach Die nun an einem authentischen Ort wie von Männern, Frauen und Kindern vom erfolgter Verhaftung eingeliefert wurden. dem Morzinplatz eingerichtete historisch- dokumentarische Ausstellung soll den Mut, die Entschlossenheit und Opfer- Gustav Studnitzka, bereitschaft der österreichischen Wider- geboren am standskämpferInnen und das Leiden der 20. Juli 1891 Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- herrschaft thematisieren, gleichzeitig aber Der Handelsreisende auch die Frage nach der Verantwortung von Teilen der österreichischen Bevölke- Gustav Studnitzka (nach rung am NS-Regime und an den NS- anderen Quellen auch: Verbrechen aufwerfen. Studniczka) aus Wien Nicht mehr anonym wurde am 21. September 1943 festgenommen, weil Renovierung und Ausstellung Die Datenbank enthält derzeit über 4600 Fotos er gemeinsam mit anderen aus der Erkennungsdienstlichen Kartei der ausländische Radionach- Der Gedenkraum in der Salztorgasse – Gestapo Wien, ergänzt durch Kurzbiographien richten abgehört hatte. Er der Opfer, Auszüge aus Dokumenten etc. selbst ein Zeitdokument – blieb dank der wurde am 12. November behutsamen Renovierung in seiner ur- 1943 wegen „Rundfunk- sprünglichen Form erhalten: verbrechens“ zu sechs Die Fläche beträgt ca. 50 qm, die Wände www.doew.at Jahren Zuchthaus verur- sind mit grauen Steinplatten verkleidet, an der Stirnwand befinden sich die Inschrift teilt. Gustav Studnitzka „Niemals vergessen“ sowie Zitate Die Kartei, die aus Beständen des Wiener wurde am 17. Dezember Theodor Körners, Leopold Figls und Stadt- und Landesarchivs stammt, wurde 2001 1943 in das Zuchthaus Alfred Klahrs. Der Eingang (Salztorgas- im DÖW gescannt und in einer Datenbank Stein an der Donau (NÖ) se 6) ist fast genau an jener Stelle, an der erfasst. Fehlende Fotos konnten teilweise aus überstellt und kam dort sich der Hintereingang der Gestapo-Leit- den Beständen des DÖW ergänzt werden. am 18. März 1944 um. stelle Wien bzw. vorher der Lieferanten- 4 Mitteilungen 202

Die wichtigsten Schlüsselstellen der Die Gestapo wurde zum Inbegriff des NS- Die neue Ausstellung versteht sich als Gestapo Wien wurden 1938 mit Beamten Terrors, war aber keineswegs „allwissend“ Beitrag zur politischen Aufklärung und aus dem „Altreich“ besetzt. 80 Prozent der und „allgegenwärtig“. Dieser Mythos Bildung und soll den Morzinplatz als ehe- Beamten und Angestellten wurden aller- konnte dadurch entstehen, dass Funktio- maligen Sitz der Gestapo-Leitstelle Wien dings aus dem österreichischen Polizei- näre der NSDAP, aber auch durchschnittli- in der Alltagsgeschichte Wiens wieder dienst rekrutiert. Auf Führungsebene be- che BürgerInnen bereit waren, NS-feindli- „sichtbar“ machen. trug der Anteil der Österreicher nahezu ches Verhalten zu denunzieren. 70 Prozent; gegen Kriegsende stieg er auf über 80 Prozent. Polizeiliches Fachwissen sowie die Bereitschaft, sich mit dem NS- Texte und Bilder der Ausstellung im Internet: Regime zu identifizieren, waren aus- www.doew.at/gestapo-opfer/gedenkstaette.html schlaggebend für die Weiterverwendung ehemals österreichischer Polizeibeamter Eine englischsprachige Fassung ist in Vorbereitung. bei der Gestapo.

„Denk-Ort“ im Wiener Stadtzentrum eröffnet Gedenkstätte für die Opfer der Gestapo Wien Salztorgasse 6, 1010 Wien

Eintritt frei!

Öffnungszeiten (ab 1. August 2011): werktags Montag und Dienstag, 10.00–12.00 und 13.00–17.00 Uhr sowie auf Anfrage Führungen gegen Voranmeldung Tel.: 2289469-319 • e-mail: [email protected]

Am 26. Mai 2011 eröffneten Bundespräsident Heinz Fischer und Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny vor zahlreich erschienenen BesucherInnen die renovierte und durch eine zeitgeschichtliche Ausstellung ergänzte Gedenkstätte für die Opfer der Gestapo Wien. Die Wiedereröffnung der vom DÖW betreuten Gedenkstätte stieß auf großes Interesse, das sich auch in einem positiven Medienecho (ORF, Der Standard, Kurier, Washington Post u. a.) äußerte.

Bundespräsident Fischer verwies in seiner Ansprache auf die Geschichte der 1968 einge- richteten Gedenkstätte und erinnerte auch an seinen Schwiegervater Otto Binder, der von der Gestapo nach dem „Anschluss“ 1938 festgenommen worden war und nach einjähri- ger Haft in den KZ Dachau und Buchenwald nach Schweden ausreisen konnte. Österrei- cherInnen seien aber nicht nur Opfer, sondern „im Rahmen des NS-Regimes und -Ter- rors auch Täter“ gewesen – deshalb gelte es, nach dem Motto der sozialdemokratischen Widerstandskämpferin Rosa Jochmann, die selbst mehrere Jahre im Frauen-KZ Ravens- brück inhaftiert war, zu handeln: „Verzeihen ja, aber niemals vergessen!“

Auch der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny betonte die Notwendigkeit der historischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und unterstrich die Wichtigkeit der Gedenkstätte insbesondere auch für die Auseinandersetzung mit jenen, „für die es heute noch schwierig ist, sich vom Nationalsozialismus zu distanzieren“.

Anhand neuer Forschungsergebnisse verschränkt die Ausstellung am Ort des ehemaligen Gestapo-Hauptquartiers die historische Darstellung der Rolle der Gestapo Wien mit der Erinnerung an die Opfer. „Die Verhaftung durch die Gestapo zwischen 1938 und 1945 bedeutete für die Betroffenen meist den Beginn eines jahrelangen Leidensweges durch Gefängnisse und Konzentrationslager. Für viele war es auch die erste Station auf dem Bundespräsident Heinz Fischer bei Weg in den Tod“, so Brigitte Bailer, wissenschaftliche Leiterin des DÖW. seiner Eröffnungsrede Fotos: Walter Filip, Wien Für die Planung der Gedenkstätte zeichnete der Wiener Architekt Georg Friedler – selbst im französischen Exil geboren – verantwortlich. Sein Anliegen war es, der Ausstellung Juli 2011 5

„einen würdigen, zeitgemäßen und in der Öffentlichkeit präsenten Rahmen“ zu geben. Inhaltlich wurde die Ausstellung von DÖW-Mitarbeiterin Elisabeth Klamper in Zu- sammenarbeit mit dem ehemaligen wissenschaftlichen Leiter des DÖW Wolfgang Neugebauer und dem Historiker Thomas Mang gestaltet. Als berührenden Abschluss der Eröffnungsfeierlichkeiten lasen am Abend Elisabeth Orth, Cornelius Obonya und Otto Tausig im Barocksaal des Alten Wiener Rathauses un- ter der Moderation von Peter Huemer aus Texten von Opfern und Tätern.

Die Gedenkstätte wurde errichtet mit Unterstützung von Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7) • Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus • Zukunfts- fonds der Republik Österreich • Bundes- ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur • Hans Schmid Privatstiftung • Ös- terreichische Mediathek • ÖNB Bildarchiv Oben: und Grafiksammlung • KR Josefine Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny Steindling • Universität für angewandte Kunst / Kunstsammlung und Archiv • Unten: Wien Energie • Wien Museum • Wiener Brigitte Bailer, wissenschaftliche Stadt- und Landesarchiv Leiterin des DÖW, im Interview

Planung: Architekt Mag. arch. Georg Fotos: Walter Filip, Wien Friedler • Graphik: Maria-Anna Friedl • Steinmetzbetriebe Franz Bamberger Ges.m.b.H. • Malerarbeiten Fa. Maldek • Bauarbeiten Fa. Pittel+Brausewetter Ges.m.b.H. • Schlosserei-Metallbau Rankl Ges.m.b.H. • Installationen Fa. Velis • Viennaprint Digitaldruck

(1090 Wien, Spitalgasse 2) Studierenden zug der Staatsbürgerschaft u. Ä. Schließ- WIR GRATULIEREN den Zugriff auf das ORF-Archiv und da- lich enthält sie auch Informationen über mit zum gesamten seit 1955 gesendeten jene Vermögenswerte, die während des ös- Material. terreichischen „Ständestaates“ in den Jah- Das psychosoziale Zentrum ESRA wurde Das ORF-Archiv wird damit zur Quellen- ren 1933–1938 entzogen und ebenfalls mit dem Preis für Verdiens- sammlung der wissenschaftlichen For- nach 1945 rückgestellt wurden. Ein Über- te um die Menschenrechte ausgezeichnet. schung zu medien- und zeitgeschichtli- blick über die gesetzlichen Grundlagen Seit mehr als 17 Jahren betreut ESRA chen Themen. komplettiert das Angebot – alle in diesem Überlebende der Shoah und deren Ange- Zusammenhang relevanten Gesetze sind hörige sowie MigrantInnen und Flüchtlin- im Originaltext direkt zugänglich. ge in Österreich. www.ns-quellen.at Die Plattform wurde vom forschungsbüro in Kooperation mit dem Wiener Wiesen- Die Historikerin Mag.a Eva Blimlinger, thal Institut für Holocaust-Studien, dem Mitglied des DÖW-Vorstands, wird im Die Plattform, die am 31. Mai 2011 im DÖW und der Österreichischen Gesell- Oktober 2011 ihr Amt als neue Rektorin Wiener Stadt- und Landesarchiv präsen- schaft für Zeitgeschichte erstellt. der Wiener Akademie der bildenden tiert wurde, bietet für Laien und Fachleute Künste antreten. erstmals einen strukturierten und umfas- senden Überblick über Quellen zum NS- Project HEART Vermögensentzug in Österreich. Der Begriff des Vermögensentzugs ist ORF-TV-Außenstelle weit gefasst und orientiert sich an der In- Holocaust Era Asset Restitution Taskfor- terpretation der Österreichischen Histori- ce – Project HEART ist eine Initiative der kerkommission. Das heißt, die Plattform Jüdischen Agentur für Israel (Jewish Seit Mai 2011 ermöglicht eine Recherche- informiert auch über Materialien zum Agency for Israel), die von der israeli- Station am Institut für Zeitgeschichte Thema Berufsverbote, Zwangsarbeit, Ent- schen Regierung finanziert und unterstützt 6 Mitteilungen 202 wird. Das Projekt hilft jüdischen Opfern des Holocaust und deren Erben, die oder DÖW-Förderverein in Verein DÖW übergeführt deren Familien bewegliches, unbewegli- ches oder immaterielles Privateigentum besaßen, das in Ländern konfisziert/ge- In der Generalversammlung am 3. Mai 2011 wurde der Verein zur Förderung des Do- plündert/zwangsverkauft wurde, die wäh- kumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes mit einstimmigem Beschluss rend der Holocaust-Ära vom NS-Regime aufgelöst; seine Aktivitäten und Mitglieder wurden in den Verein Dokumentations- oder den Achsenmächten kontrolliert oder archiv des österreichischen Widerstandes übernommen. besetzt wurden. Ausgenommen sind Opfer bzw. Erben, die nach 1945 bereits eine z Der Mitgliedsbeitrag im Verein DÖW beträgt EUR 25,– pro Jahr. Inkludiert ist Entschädigung für besagtes Eigentum er- der kostenlose Bezug des Jahrbuchs des DÖW sowie eine Ermäßigung auf die hielten. übrigen Publikationen des DÖW. Weitere Informationen bzw. ein Fragebo- gen zur Teilnahme am Projekt im Internet: z Mitglieder des Vereins DÖW sind bei den jährlichen Generalversammlungen www.heartwebsite.org. stimmberechtigt.

z Beiträge und Spenden an den Verein DÖW sind steuerlich absetzbar, d. h., sie Diese Zeitung ist eine von können bei Einkommenssteuererklärung oder Jahresausgleich steuermindernd 1.800 aus dem Leseprogramm von geltend gemacht werden. EISENBACHER GmbH MEDIENBEOBACHTUNG Möchten Sie Mitglied im Verein DÖW werden oder sich weiter informieren? 1060 WIEN, LAIMGRUBENGASSE 10 TEL.: 01/36060 - 5401; FAX: 01/36060 - 5699 Kontaktieren Sie bitte unsere Mitarbeiterinnen Eva Kriss ([email protected]) oder E-MAIL: [email protected] INTERNET: www.eisenbacher.net Judith Prem ([email protected]), beide Tel. +43-1-2289469 DW 319 bzw. 330.

Gerechte unter den Völkern Edeltrud Posiles – 95 Jahre

Mag.a Edeltrud Posiles feierte am 4. Juni 2011 ihren 95. Geburtstag. Sie ist die letzte Überlebende unter jenen ÖsterreicherInnen, die von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern anerkannt wurden. Gemeinsam mit anderen HelferInnen hat sie jahrelang mit großer Anstrengung und Mut das Überleben von drei jüdischen Brüdern im Untergrund unterstützt. Ein Beitrag von Monika Beckmann, Norbert Freistetter und Heimo Gruber, alle BibliothekarInnen der Büchereien Wien.

1916 als Edeltrud Becher geboren, wuchs ger Gesetze“ verunmöglicht wurde. 1938 tionslager bedroht waren, hinterließen sie sie mit ihrer um zwei Jahre jüngeren übersiedelte Posiles vorerst nach Bratis- fingierte Abschiedsbriefe, in denen sie ei- Schwester Lotte in einer Familie auf, in lava, wo ihn Edeltrud öfter besuchte. Nach nen Suizid vortäuschten, und tauchten un- der die musisch begabte Mutter den Haus- einer Denunziation wegen „Rassenschan- ter. Inzwischen hatte in Wien Edeltrud halt führte und der Vater als Kaufmann in de“ flüchtete sie nach Ungarn und fand bei Becher vorgesorgt: Schwester Lotte be- der Eisenwarenbranche tätig war. Ent- Walters Schwester Unterschlupf. wohnte mit ihrem Verlobten, der zur scheidende Anregungen zur Entwicklung Edeltruds Schwester Lotte gelang es, ihre eingerückt war, eine Atelier- ihrer kreativen Talente erhielt sie von ihrer Freundin Friederike Buchegger zu be- wohnung in der Neustiftgasse 33 im Lieblingstante Lydia Matouschek, die in wegen, einen Bekannten bei der Polizei zu 7. Wiener Gemeindebezirk. Dort mietete der Folge ebenso an der Hilfsaktion mit- überzeugen, den Akt mit der Anzeige ver- Edeltrud für sich ein Zimmer, wo die drei wirkte. Die Weltwirtschaftkrise bewirkte schwinden zu lassen, worauf sich Edeltrud Brüder Posiles ein Versteck fanden. Die auch einen Einbruch der väterlichen Ge- Becher sicher genug fühlte, Ende 1940 darauffolgenden drei Jahre zählen zu den schäfte, sodass Edeltrud das Realgymna- wieder nach Wien zurückzukehren. Auch dramatischsten Beispielen in der Ge- sium abbrechen musste und auf einem Walter wagte sich vorübergehend nach schichte der als sogenannte U-Boote im Halbfreiplatz im Konservatorium eine Wien, da Edeltruds Tanten Lydia Verborgenen lebenden Menschen, die auf Schauspielschule absolvierte. Matouschek und Olga Holstein in ihrer diese Weise versuchten, sich der Verfol- 1936 vollzog sich die entscheidende Wen- Wohnung dem Liebespaar eine geheime gung zu entziehen. de in ihrem Leben: Sie lernte den um Unterkunft ermöglichten. Danach beglei- Angesichts der Lebensmittelrationierung 19 Jahre älteren tschechoslowakischen tete Edeltrud Walter Posiles nach Prag, wo stellte sich die Versorgungsfrage; das fin- Staatsbürger Walter Posiles, der in Wien dessen Brüder Ludwig und Hans lebten. dige Geschick von Edeltrud Becher brach- eine Weinhandlung betrieb, kennen und Auch im „Reichsprotektorat“ wurde die te durch Retuschen ungültig gestempelte lieben. Der geschiedene Walter Posiles Verfolgung der Jüdinnen und Juden inten- Lebensmittelmarken wieder zu Wert und (seine frühere Gattin Hilda und deren siviert – Trude Posiles, die Gattin von konnte damit deren Menge verdoppeln. Sohn Erich wurden später in Auschwitz Hans, nahm sich aus Verzweiflung das Le- Ihr kreatives Talent entfernte ebenso das ermordet) und Edeltrud Becher wollten ben. Als 1942 die drei Brüder Hans, stigmatisierende „J“ aus dem Identitäts- heiraten, was durch die Machtübernahme Ludwig und Walter Posiles unmittelbar ausweis von Ludwig und rettete ihn da- der Nationalsozialisten und die „Nürnber- von der Deportation in ein Konzentra- durch bei einer Perlustrierung. Tante Lydia Juli 2011 7 ließ ihr den Pass eines verstorbenen be- Hilfsmittel nicht nur für den geselligen auch an Ausgrabungen teil, die ihr archäo- freundeten tschechischen Künstlers zu- Zusammenhalt, sondern auch gegen die logisches Interesse weckten. Die letzten kommen, der danach so meisterhaft ge- Angst. Für den Ernstfall einer Entdeckung zehn Berufsjahre war sie bis 1984 als fälscht und auf Walter Posiles ausgestellt trugen alle stets Zyankalikapseln bei sich. Bibliothekarin bei den Wiener Städtischen wurde, dass er diesem bei mehreren Stra- Das Bewusstsein, dass das Leben nur an Büchereien tätig, wo wir sie als Kollegin ßenkontrollen gute Dienste leistete. einem dünnen Faden hing, schärfte die kennen und schätzen gelernt haben. Nach Lotte Bechers Verlobter war regimetreu Geistesgegenwart: Als Walter Posiles ein- der Pensionierung absolvierte sie ein Uni- und durfte deshalb nicht in die Rettungs- mal einer Razzia im Kaffeehaus nicht versitätsstudium der Kunstgeschichte und aktion eingeweiht werden. Als er einmal mehr entkommen konnte, mimte er erfolg- Archäologie und unternahm ausgedehnte bei einem Fronturlaub unangekündigt in reich einen dort Beschäftigten. Inmitten Reisen. Noch im Alter von 92 fuhr sie al- Wien auftauchte, war die Gefahr, entdeckt einer Umgebung, der man nicht vertrauen lein nach Indien und Nepal und unternahm zu werden, groß. Solche brenzligen Situa- konnte, gab es Inseln wie das Volkstheater, einen Rundflug über den Himalaya. tionen wurden stets mit Spontaneität und wo Lotte als Souffleuse arbeitete. Die gro- Ihre Verantwortung als Zeitzeugin hat sie Phantasie bewältigt. Deshalb mussten ße Mehrheit der dort Tätigen war nazi- immer engagiert wahrgenommen und war auch immer wieder andere Unterkünfte feindlich gesinnt und das prominente En- um die umfassende Dokumentation der gesucht werden. Es war ein großes Glück, semblemitglied Dorothea Neff versteckte Geschichte von Verfolgung und Rettung dass ein Netz von verlässlichen HelferIn- die jüdische Kostümbildnerin Lilli Wolff. bemüht. Die Historikerin Helene nen zur Verfügung stand, wo Unterschlupf 1945 war das Erlebnis der Befreiung ge- Maimann hat 2005 in ihrem Film Die gefunden werden konnte. Dazu zählten die trübt: Hans Posiles und seine Helferin Sterne verlöschen nicht Edeltrud Posiles Freundin Friederike Buchegger, die Tan- Maria Fasching wurden in den letzten eindrucksvoll porträtiert. ten Lydia Matouschek und Olga Holstein, Kriegstagen durch einen Bombentreffer in Seit 2010 wohnt Edeltrud Posiles im das Ehepaar Josephine und Alois Kreiner, Baden getötet. Und Walter Posiles konnte Maimonides Zentrum. Ihre persönlichen die Ludwig Posiles aufnahmen und in ih- es nie überwinden, dass seine geschiedene Aufzeichnungen, viele Fotos, umfangrei- rer Weinhandlung beschäftigten, und Frau und ihr gemeinsamer Sohn von den che Forschungen zur Geschichte der Fa- Maria Fasching, die Hans Posiles in Ba- Nazis ermordet wurden. milie Posiles und ihrer eigenen Herkunfts- den bei Wien versteckte: Gemeinsam mit familie, die detaillierte Dokumentierung Edeltrud Posiles und ihrer Schwester der Rettungsaktion für die drei Brüder Lotte wurden alle von Yad Vashem als Posiles sowie Zeichnungen und Skizzen Gerechte unter den Völkern ausgezeichnet aus ihrem künstlerischen Schaffen hat sie und geehrt. dem Wiener Stadt- und Landesarchiv zur Als Walter Posiles lebensgefährlich er- Aufbewahrung übergeben. krankte, war es Dr. Ernst Pick, der ihn ret- tete. Obwohl als „Jüdischer Krankenbe- Die Brüder Posiles repräsentieren kein handler“ zugelassen, ging Pick, der selbst Einzelschicksal. Brigitte Ungar-Klein hat bedroht war, mit der Betreuung eines in jahrelanger Arbeit die Biographien der U-Bootes ein großes Risiko ein. Als U-Boote erforscht: Mehr als 1500 Per- Edeltrud Becher einmal durch eine schwe- sonen jüdischer Herkunft waren während re Erkrankung und einen Spitalsaufenthalt der Herrschaft des Nationalsozialismus in als Stütze vorübergehend ausfiel, konnte Österreich eine Zeit lang versteckt, ein sie sich darauf verlassen, dass das Netz Drittel davon wurde entdeckt und in der der HelferInnen in der Zwischenzeit funk- Folge ermordet. 60 Kinder und Jugend- tionierte. liche wurden verborgen, 16 Kinder kamen Neben dem aufwendigen Überlebens- Edeltrud Posiles geb. Becher, im Untergrund zur Welt und 100 Paare aus kampf blieben der Gruppe noch Energien fotografiert in den 1930er Jahren dem Kreis der Verfolgten und HelferInnen für Widerstandsaktionen. Auf gummierte schlossen nach der Befreiung eine Ehe; Streifen wurden Parolen gegen Hitler und Nach dem Krieg heirateten Edeltrud und darunter auch Walter und Edeltrud Posiles. die Nazis geschrieben und an frequentier- Walter Posiles und einige Jahre arbeitete Auf der Medaille, die den Gerechten unter ten Stellen Wiens aufgeklebt. Und Hans Edeltrud Posiles im Weingroßhandel ihres den Völkern in Anerkennung ihres Ein- Posiles, der als Major der früheren tsche- Mannes. Ihr weiterer Lebensweg war vor satzes von Yad Vashem verliehen wird, ist choslowakischen Armee über technisches allem durch ein ständiges, nie nachlassen- eine Weisheit aus dem Talmud eingraviert: Geschick verfügte, durchschnitt in Baden des Bemühen um vielseitige Bildung be- Wer ein Menschenleben rettet, rettet die und Umgebung Telefonleitungen der stimmt. Ab 1946 lernte sie an der Aka- ganze Welt. Erika Weinzierl hat ihrem Wehrmacht. Edeltrud Becher versuchte demie der bildenden Künste Bildhauerei; Buch über ÖsterreicherInnen und die Ju- lange, den Arbeitsdienst zu umgehen; als zu ihren Ausbildnern zählten Fritz denverfolgung den treffenden Titel Zu we- sie sich schließlich doch bei einer Elektro- Wotruba und Herbert Boeckl. Ende der nig Gerechte gegeben. Vor dem Hinter- firma meldete, die auch für die Kriegs- 1950er Jahre setzte sie ihre Studien an der grund dieses beklemmenden Befundes rüstung arbeitete, konnte sie einige Sabo- Akademie für angewandte Kunst fort. können die Gerechten nachfolgenden Ge- tageakte setzen und dabei unentdeckt blei- Obwohl 1962 die Ehe von Walter und nerationen ein leuchtendes Beispiel an ben. Selbstverständlich hörte die Notge- Edeltrud Posiles geschieden wurde, blie- Zivilcourage und mutigem, selbstlosem meinschaft auch regelmäßig die alliierten ben die beiden einander weiterhin freund- Handeln inmitten unvorstellbarer Barbarei Radiosender ab, um zu Informationen zu schaftlich verbunden. Ab 1967 arbeitete geben. Denn diese Tugenden sind weiter- gelangen. Ansonsten machten sie sich ge- sie als Sekretärin beim Internationalen hin gefragt. genseitig Mut; mitunter war der Wein ein Zivildienst und nahm in dieser Funktion 8 Mitteilungen 202

REZENSIONENN

men. Eine kritische Auseinandersetzung ziden analysierten. In ihrem gemeinsamen Schedler, Jan, Alexander Häusler mit der extremismustheoretischen Rezep- Buch Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, (Hrsg.): Autonome Nationalisten. tion der AN in der wissenschaftlichen und Töten und Sterben treffen die quellenkun- Neonazismus in Bewegung. Wiesbaden: politischen Öffentlichkeit schließt diesen dige Perspektive des Historikers und die Verlag für Sozialwissenschaften 2011. Teil ab. analytische Sichtweise des Sozialpsycho- 328 S. Regionale Entwicklungen der AN in logen aufeinander. Auf Basis von abgehör- Deutschland sowie ihre Rezeptionen in ten Gesprächen deutscher Kriegsgefange- Die Aneignung ideologischer, ästhetischer Europa stehen im Zentrum des dritten Ab- ner wollen Neitzel und Welzer darin die und organisatorischer Fragmente der poli- schnitts, während im vierten Teil die AN Gewaltwahrnehmung und Tötungsbereit- tischen Linken durch die extreme Rechte durch die Skizzierung sozial- und kultur- schaft deutscher Soldaten analysieren. ist spätestens seit den Anfängen faschisti- historischer Kontinuitätslinien historisch Ausgangspunkt ist die Auffassung, dass scher und nationalrevolutionärer Bewe- verortet werden. Dabei wird die Bedeu- Menschen so handeln, wie „sie glauben, gungen im 20. Jahrhundert ein wiederkeh- tung von Propaganda, Gewalt und Ästhe- dass es von ihnen erwartet wird. Und das rendes Phänomen. Einzelne per se nicht tik für die nationalsozialistische SA eben- hat viel weniger mit abstrakten ‚Weltan- rechtsextreme Konzepte, Codes und Pra- so analysiert wie für den italienischen Fa- schauungen‘ zu tun als mit ganz konkreten xisformen werden in das Weltbild des schismus. Ein weiterer Beitrag analysiert Einsatzorten, -zwecken und -funktionen Rechtsextremismus integriert und damit historische und zeitgenössische Aneig- und vor allem mit den Gruppen [...].“ mögliche Anknüpfungspunkte für gesamt- nungspraktiken der extremen Rechten. (S. 15) Demgemäß stellen die Autoren auf gesellschaftliche Diskurse und mögliche Abgeschlossen wird der umfangreiche eine „Referenzrahmenanalyse“ ab, ihnen Interventionen geschaffen. Als aktuelle Sammelband durch einen luziden Über- geht es also um die Rekonstruktion von Ausprägung dieser „Diskurspiraterien“ blick und den Versuch der Verortung der Deutungen und Wahrnehmungen der deut- von rechtsextremer bis neonazistischer AN in der sozialwissenschaftlichen Bewe- schen Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Aus Seite können die sogenannten Autonomen gungsforschung durch die beiden Heraus- dieser Perspektive heraus untersuchen sie Nationalisten (AN) in Deutschland be- geber. Aussagen wie etwa die eines Oberleut- trachtet werden. Trotz ideologischer und Die Gesamtkonzeption des Bandes und nants der Luftwaffe: „Es ist mir ein Be- personeller Verbindungslinien unterschei- die einzelnen Beiträge ermöglichen ers- dürfnis geworden, Bomben zu werfen. den sich diese aufgrund der expliziten An- tens einen fundierten Überblick über das Das prickelt einem ordentlich, das ist ein knüpfung an jugendkulturelle Momente Phänomen der AN in der extremen Rech- feines Gefühl. Das ist ebenso schön wie sowie der damit verbundenen politischen ten und liefern zweitens durch präzise einen abzuschießen.“ (S. 83) Entspre- Praktiken auffallend von der traditionel- Analysen einzelner Dimensionen zahlrei- chend behandelt der Kämpfen, Töten und len, parteiförmigen extremen Rechten. Ein che Erkenntnisse für eine notwendige Sterben überschriebene Hauptteil der Stu- von Jan Schedler und Alexander Häusler praktische und theoretische Auseinander- die anhand von derartigen Aussagen, wie herausgegebener Sammelband beleuchtet setzung mit einem Phänomen, das in An- abgehörte deutsche Soldaten die Morde an diesen Themenkomplex aus unterschied- sätzen auch in der österreichischen Neo- Juden und Jüdinnen, die Verbrechen an lichen Blickwinkeln und versucht, „die naziszene zu beobachten ist. Kriegsgefangenen oder die Unterdrückung Herausbildung, Entwicklung und Wir- Matthias Falter der Zivilbevölkerung in den besetzten Ge- kungsmächtigkeit der AN detailliert zu be- bieten kommentierten. schreiben und systematisch wie phänome- Bilanzierend heißt es: „Insgesamt lässt nologisch einzuordnen“. (S. 12) Neitzel, Sönke, Harald Welzer: sich, was die Mentalitäten der Soldaten Die Beiträge des ersten Abschnitts des Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, angeht, weder davon sprechen, dass sie Bandes skizzieren die Entstehungsge- Töten und Sterben. Frankfurt/M.: aus ihrer Sicht mehrheitlich einen ‚Ver- schichte der AN vor dem Hintergrund der S. Fischer-Verlag 2011. 521 S. nichtungskrieg‘ noch einen ‚Rassenkrieg‘ allgemeinen Entwicklung des Neonazis- geführt hätten. Sie orientierten sich vor al- mus in Deutschland seit 1990, der Entste- Warum begingen deutsche Soldaten wäh- lem am Referenzrahmen von Militär und hung einer extrem rechten Jugendkultur rend des Zweiten Weltkriegs Kriegsver- Krieg, in dem die Ideologie nur eine nach- sowie den ersten Anfängen der AN in Ber- brechen? Über diese Frage wird in Öffent- geordnete Rolle spielt. Sie haben einen lin ab ungefähr 2000. lichkeit und Wissenschaft kontrovers dis- Krieg im Referenzrahmen ihrer, der na- Der zweite Abschnitt ist der Analyse der kutiert. Nun legt ein in der Kombination tionalsozialistischen, Gesellschaft geführt, Praktiken und Weltbilder der AN gewid- etwas ungewöhnlich erscheinendes Auto- was sie, wenn sie in die Situation kamen, met. Dabei werden ästhetische Inszenie- renpaar dazu eine Deutung vor: Der His- auch zu radikal gegenmenschlichen rungspraxen, Selbstbilder und ideologi- toriker Sönke Neitzel ist durch eine Ar- Handlungen veranlasst hat. Um die auszu- sche Verortungen ebenso beleuchtet wie beit, die erstmals Protokolle über abgehör- führen – das ist das eigentlich Beunruhi- das widersprüchliche Verhältnis der AN zu te Gespräche deutscher Generäle in briti- gende –, muss man aber weder Rassist anderen rechtsextremen und neonazisti- scher Kriegsgefangenschaft auswertete, noch Antisemit sein.“ (S. 299) Demnach schen Organisationen und Bewegungen. bekannt geworden. Und der Sozialpsycho- sei der entscheidende Faktor für das Han- Weitere Beiträge analysieren mit dieser loge Harald Welzer legte bislang eine Rei- deln im Krieg die soziale Nahwelt der Form von Neonazismus verbundene „Le- he von Studien vor, welche die Entwick- Soldaten gewesen, welche sie zu ihrem benswelten“, Subkulturen und Geschlech- lung von „normalen Menschen“ hin zu verbrecherischen Handeln im Sinne einer terkonstruktionen bzw. Sexualitätsnor- Massenmördern im Kontext von Geno- gruppenspezifischen Gewaltpraxis moti- Juli 2011 9 viert habe. Abstrakte Feindbilder wie das „bolschewistische Untermenschentum“ Neue Publikation der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz oder die „jüdische Weltverschwörung“ hätten demgegenüber nur ganz am Rande Das KZ Lublin-Majdanek und die Justiz eine Rolle gespielt. Die Studie beeindruckt gleich aus mehre- ren Gründen: Sie wertet erstmals bislang Die jüngste Veröffentlichung der am DÖW angesiedelten Forschungsstelle Nach- noch nicht genügend berücksichtigtes kriegsjustiz – vorgestellt im Rahmen des Symposiums zum Düsseldorfer Majdanek- Quellenmaterial aus. Sie nutzt mit der Prozess (1975–1981) im Landgericht Düsseldorf am 30. Juni 2011 – ist im Verlag Referenzrahmenanalyse eine bemerkens- CLIO, Graz erschienen. wert erkenntnisförderliche Methode. Und sie bringt die geschichtswissenschaftliche Der Lager-Komplex Lublin-Majdanek Rechtsgeschichte setzte hinsichtlich des mit der sozialpsychologischen Perspektive erfüllte zentrale Funktionen für den Mas- Umgangs mit den in den Zeugenstand zusammen. Die von Neitzel und Welzer senmord der Aktion Reinhardt. gerufenen Opfern von Kriegs- und Hu- präsentierte Deutung wirkt überzeugend, In diesem Buch wird unter anderem der manitätsverbrechen richtungsweisende zumal sie auch die allgemeine und natio- Frage nachgegangen, in welchem Aus- Maßstäbe, die bis in die unmittelbare nalsozialistische Dimension in der Kriegs- maß Staatsanwaltschaften und Gerichte Gegenwart fortwirken. führung differenziert bestimmt. Kritik- in Österreich, Deutschland und Polen da- Das große, in Graz geplante, österreichi- würdig ist gleichwohl die zu Beginn mehr zu beigetragen haben, die Verbrechen im sche Majdanek-Verfahren wurde hin- im Sinne einer apodiktischen Setzung vor- KZ Lublin-Majdanek aufzuklären. Be- gegen 1973 ohne Anklageerhebung ein- genommene Perspektive in Richtung des sonderes Augenmerk liegt dabei auf der gestellt. Für die Überlebenden bedeutete Referenzrahmens, wodurch andere Fakto- Analyse der Methoden und „Effizienz“ dieses besonders deutlich gewordene ren wie Charakterstruktur und Ideologie der Strafverfolgung in den drei Ländern. Unvermögen der österreichischen Justiz, zwar nicht gänzlich ignoriert, aber ledig- Die ab November 1944 geführten polni- lange zurückliegende Massenverbrechen lich als randständig erscheinen. Dieser schen Prozesse werden in dieser Publi- zu ahnden, die Verweigerung von Ge- Einwand zielt aber nur auf eine Differen- kation zum ersten Mal in deutscher rechtigkeit. zierung, nicht auf eine Verwerfung des Er- Sprache ausführlich dargestellt und mit klärungsansatzes von Neitzel und Welzer. den bereits 1943 einsetzenden Bemühun- Er macht in beklemmender Weise auf eine gen polnischer Juristen zur Kodifikation Claudia Kuretsidis-Haider, Irmgard bedenkliche Facette menschlichen Sozial- und praktischen Anwendung von straf- Nöbauer, Winfried R. Garscha, verhaltens aufmerksam. rechtlichen Normen zur Verfolgung des Siegfried Sanwald, Andrzej Armin Pfahl-Traughber nationalsozialistischen Völkermordes in Selerowicz (Hrsg.) Beziehung gesetzt. Sowohl in der BRD als auch in Öster- Das KZ Lublin-Majdanek und die Müller, Rolf-Dieter: Der Feind steht im reich war der Komplex Lublin-Majdanek Justiz Osten. Hitlers geheime Pläne für einen seit den 1960er Jahren Gegenstand um- Strafverfolgung und verweigerte Krieg gegen die Sowjetunion im Jahr fangreicher staatsanwaltschaftlicher Er- Gerechtigkeit: Polen, Deutschland und 1939. Berlin: Ch. Links-Verlag 2011. mittlungen. In der BRD führten diese Österreich im Vergleich 296 S. Ermittlungen zu mehreren Prozessen; das letzte Urteil erging 1999. Das wich- Veröffentlichungen der Forschungsstelle Der 1941 begonnene Krieg von Hitlers tigste Verfahren war der Düsseldorfer Nachkriegsjustiz, Band 4 Wehrmacht gegen die Sowjetunion gilt als Majdanek-Prozess (1975–1981). Dieser Graz: CLIO 2011, 480 Seiten einer der brutalsten Eroberungs- und Ver- größte Strafprozess der deutschen ISBN 978-3-902542-26-7, EUR 38,– nichtungskriege in der Geschichte. Die da- mit einhergehenden Besonderheiten führte man in der historischen Rückschau nicht durch eine alte Geschichte“, wobei der auf ein Bündnis mit dem Nachbarland im selten auf die ideologische Prägung Fokus auf die „militärische Planungs- Konflikt mit der Sowjetunion gesetzt. Für Hitlers bezogen auf „Antibolschewismus“ ebene“ (S. 10) ohne Ausblendung anderer den Zeitraum 1936/37 konstatiert Müller: und „Lebensraum“ zurück. Das „Unter- Gesichtspunkte zielt. „Auch wenn Polen weitere vertragliche nehmen Barbarossa“, der deutsche Über- Müller beginnt seine historisch-chronolo- Bindungen für eine antisowjetische Politik fall vom 22. Juni 1941, erschien so als gisch angelegte Arbeit mit Ausführungen gegenüber Deutschland scheute, funktio- letzte Stufe einer nationalsozialistischen zur deutschen Russlandpolitik im 19. Jahr- nierte die Zusammenarbeit auf der politi- Expansionspolitik, die bereits in Hitlers hundert und beschreibt die folgenden Ent- schen und ideologischen Ebene in dieser Mein Kampf konzeptionell angelegt und wicklungen bis zum deutsch-sowjetischen Hinsicht reibungslos.“ (S. 83) Erst die entwickelt war. Gegen diese Auffassung Zweckbündnis in der Ära der Weimarer später einsetzende Umorientierung Polens argumentiert der habilitierte Historiker Republik. Nach ihrem Machtantritt habe in Richtung Westen habe in der Hitler- Rolf-Dieter Müller, Leitender wissen- die Hitler-Regierung gezielt einen Krieg Regierung zu einem fundamentalen Um- schaftlicher Direktor im Militärgeschicht- gegen die Sowjetunion angestrebt, wofür schwung geführt. lichen Forschungsamt (MGFA) in Pots- aber sowohl diplomatische wie militär- Bereits für 1939 gab es nach dem Autor dam, mit seiner Studie Der Feind steht im technische Voraussetzungen erfüllt sein Pläne für einen Krieg gegen die Sowjet- Osten. Hitlers geheime Pläne für einen sollten. Ausführlich widmet sich der Autor union, denn: „Das ‚Dritte Reich‘ war trotz Krieg gegen die Sowjetunion im Jahr in diesem Kontext dem deutsch-polni- aller Investitionen auch 1939 nicht blo- 1939. Sie versteht sich als „neuen Gang schen Verhältnis, habe man doch zunächst ckadefest und brauchte im Kriegsfall die 10 Mitteilungen 202

‚Kornkammer Ukraine‘, die Erze des Do- nen Ideologie dafür Kriterien benennen. mation der antisemitischen Politik dien- nezgebiets und das Öl des Kaukasus.“ Vielmehr definierte man „den Juden“ über ten, denn: „Das wichtigste Kennzeichen (S. 136) Demnach sei das militärisch be- die Religionszugehörigkeit seiner Eltern der nationalsozialistischen Judenfor- siegte Polen von Anfang an als potenziel- oder Großeltern. Umso notwendiger wur- schung war ihre strukturelle Anwendungs- les Aufmarschgebiet gegen die UdSSR an- de es aus ideologieinterner Sicht, für die orientiertheit. Ohne den Antisemitismus gesehen worden. Der Generalstabschef eigene Politik gegenüber den Angehörigen des Dritten Reiches hätte sie nicht existiert des Heeres, Franz Halder, habe derartige der Minderheit scheinbar wissenschaftli- und ohne den Anspruch, einen Beitrag zur Überlegungen von Anfang an mit Hitler che Belege anführen zu können. Diesen Lösung des Judenproblems zu leisten, geteilt. Müller bemerkt: „Fragt man nach Bemühungen widmet sich die umfangrei- wäre sie ohne Sinn und Ziel gewesen.“ seinem Motiv, so ging es ihm – wie auch che Studie Die Verwissenschaftlichung der (S. 221) Halder – nicht primär um die Beseitigung „Judenfrage“ im Nationalsozialismus des Junginger belegt diese und andere Aspekte des Bolschewismus, sondern um eine Historikers und Religionswissenschaftlers der „Verwissenschaftlichung der ‚Juden- machtpolitische Auseinandersetzung. Den Horst Junginger. Nach ihr „gehörte eine frage‘“ direkt aus den historischen Quel- Ostkrieg hätte er auch dann geführt, wenn wissenschaftliche Erklärung für das ‚Ju- len schöpfend und bereichert dadurch das Russland von einem Zaren regiert worden denproblem‘ zu den unabdingbaren Vor- Wissen um die deutsche Wissenschaftsge- wäre! Im Kampf um die deutsche Welt- aussetzungen, um den Ausschluss einer schichte während des Nationalsozialis- macht sollte nach dem erwarteten Sieg ge- ganzen Menschengruppe aus einem mo- mus. In diesem Kontext weist er auch dar- gen Großbritannien der Frontwechsel nach dernen Staatswesen und einer kulturell auf hin, dass der Tübinger Neutestament- Osten die Voraussetzungen für einen blo- hoch stehenden Gesellschaft im 20 Jahr- ler Gerhard Kittel bereits im Juni 1933 ein ckadefesten ‚Lebensraum‘ schaffen. Hitler hundert rechtfertigen zu können“. (S. 6) Gedankenspiel zur „Ausrottung des Ju- ging es um Raum und Ressourcen.“ Bevor der Autor aber auf diese Thematik dentums“ (S. 162) publizierte. Bei all die- (S. 260) im engeren Sinne eingeht, betont er die in- sen Ausführungen verliert sich der Autor Die vorliegende Studie beruht zwar auch nere Verbundenheit des religiösen Anti- aber allzu häufig in bestimmten Details, auf bislang kaum beachteten Quellen, be- judaismus und des rassistischen Antisemi- was bei einer geschichtswissenschaftli- eindruckt aber mehr durch die andere tismus, könne doch keineswegs von einem chen Habilitationsschrift verzeihlich ist, Sichtweise auf eine bekannte „Geschich- antagonistischen Verhältnis ausgegangen aber hier häufig auch das analytisch In- te“. Der Autor kann dabei überzeugend werden. Vielmehr bestehe ein enger sym- teressante in der Faktenfülle untergehen eine sehr „mechanische“ Interpretation biotischer Zusammenhang, beruhe die lässt. Verstärkt wird dieser Effekt noch des Weges in den Russlandkrieg widerle- antisemitische Mythenbildung doch auf durch das Fehlen einer stärkeren Unter- gen, wenn er dessen Ausrichtung im Kon- einer Verbindung von alten religiösen und gliederung des Textes. Auch wäre der häu- text diplomatischer und militärpolitischer neuen gegenwartsbezogenen Motiven. figere Blick über Tübingen hinaus noch Entwicklungen beschreibt. Überzeugend Beide Formen der Judenfeindschaft mit- wünschenswert gewesen. Zu Recht sieht macht Müller dabei deutlich, dass Hitler einander zu verbinden, sei das Hauptan- der Autor aber in der „Verwissenschaftli- über kein festes strategisches Konzept im liegen der sich nach 1933 herausbildenden chung der ‚Judenfrage‘ im Nationalsozia- engeren Sinne verfügte und die Heeres- NS-„Judenforschung“ gewesen. Als deren lismus“ ein Mittel zur pseudo-wissen- führung von Anfang an mitverantwortlich Zentrum gilt Junginger die Universität schaftlichen Legitimation der Judenverfol- für die Entwicklung war. Gerade die Kor- Tübingen, wo 1936 ein erster Lehrauftrag gung und -vernichtung. rektur von Geschichtslegenden von ehe- für das Studium des Judentums mit einem Armin Pfahl-Traughber maligen Militärs verdient dabei besondere antisemitischen Charakter verliehen wur- Aufmerksamkeit. Ob allerdings umge- de, dessen Inhaber 1942 die erste entspre- kehrt der Ideologie nur eine so nebensäch- chende Professur für dieses „Lehrgebiet“ Kambanellis, Iakovos: Die Freiheit liche Rolle zugewiesen werden kann, wie erhielt. Wie es zu dieser Entwicklung im kam im Mai. Aus dem Griechischen Müller bei der Hervorhebung von macht- Kontext der nationalsozialistischen Wis- übersetzt von Elena Strubakis. Wien: politischen Gesichtspunkten suggeriert, senschaftspolitik kam, will die Arbeit des Ephelant 2010. 328 S. (Mit der CD darf bezweifelt werden. Beide Faktoren Autors mit zeitlichen Rückgriffen bis in Mauthausen Cantata. Text: Iakovos dürften eine Rolle gespielt haben. Müllers die Gründungszeit 1477 darstellen. Kambanellis. Musik: Mikis Perspektive kann gleichwohl komplexe Nach der Ausbreitung der antisemitischen Theodorakis. Begleitende Worte: Entwicklungen wie die NS-Polen-Politik Geschichte dieser Universität bis Ende der Simon Wiesenthal) besser nachvollziehbar machen. Weimarer Republik steht die Neuausrich- Armin Pfahl-Traughber tung von deren Beschäftigung mit der „Ju- Lange Zeit war die Mauthausen Cantata denfrage“ zur Zeit des Nationalsozialis- vergriffen, jetzt ist sie, zusammen mit dem mus im Zentrum. Dabei gingen „Elemente Buch von Iakovos Kambanellis Die Frei- Junginger, Horst: Die Verwissenschaft- persönlicher und akademischer Juden- heit kam im Mai, wieder erhältlich. lichung der „Judenfrage“ im National- feindschaft und tief in die Strukturen der Iakovos Kambanellis, der im März 2011 sozialismus. Darmstadt: Wissenschaft- Gesellschaft eingegrabene antisemitische verstorbene berühmte griechische Büh- liche Buchgesellschaft 2011. 480 S. Verhaltensmuster eine Verbindung ein. Es nen- und Filmautor, war Häftling im Kon- handelte sich hier um weit mehr als um ei- zentrationslager Mauthausen. Seine Erin- Die Nationalsozialisten beanspruchten mit nen privaten oder im Medium der Wissen- nerungen, die in Griechenland mehr als ihrem rassistisch begründeten Antisemi- schaft artikulierten Judenhass, sondern um dreißig Mal aufgelegt wurden und als tismus, eine naturwissenschaftlich legiti- eine neue Form des wissenschaftlichen Standardwerk geschätzt werden, liegen mierte Form der Judenfeindschaft zu ver- Antisemitismus [...].“ (S. 217) Dies macht jetzt erstmals nach 45 Jahren – übersetzt treten. Gleichwohl konnten sie noch nicht der Autor anhand einer Fülle von Pub- von Elena Strubakis – in deutscher Spra- einmal innerhalb des Rahmens ihrer eige- likationen deutlich, welche zur Legiti- che vor. Juli 2011 11

Das Buch beginnt mit dem Tag der Be- freiung des KZ Mauthausen, dem 5. Mai 1945, und schildert auf ungefähr der Hälf- Gedenken an Leopoldstädter Spanienkämpfer te seines Umfanges die Zeit im Lager nach der Befreiung und die Kontakte mit den Bauern und Dorfbewohnern der umliegen- Im Rahmen der Eröffnung des 6. Teils des den Region. Ungezählte Häftlinge muss- Wegs der Erinnerung im 2. Wiener Ge- ten nach der Befreiung monatelang im La- meindebezirk am 15. Mai 2011 wurde bei ger ausharren, weil sie eine Reise nicht der schon bestehenden Gedenktafel für den überlebt hätten. Wie schaut Normalität 1943 in Mauthausen erschossenen Spanien- aus, wie entwickelt sich Alltag, wie be- kämpfer Gottfried Alfred Ochshorn am gegnen einander Frauen und Männer, die Karmelitermarkt eine Zusatztafel für elf vorher rigoros separiert waren? Zeigt die weitere Spanienkämpfer aus der Leopold- Bevölkerung den ehemaligen Häftlingen stadt angebracht. Sie sind in den Kämpfen gegenüber Empathie oder belügen und be- in Spanien gefallen, im Widerstand gegen trügen sie sie, was unternehmen die den Nationalsozialismus ums Leben ge- Frauen der geflüchteten SSler, welche kommen oder in Konzentrationslagern er- „Erziehungsmaßnahmen“ für die Einhei- mordet worden. Zum Anlass sprach Irene Gedenktafeln am Karmelitermarkt, mischen werden von den ehemaligen Filip (Verein Spanienkämpfer), die im Wien- Häftlingen gesetzt, welche Racheakte un- DÖW die Spanien-Dokumentation betreut, ternommen? In die eindringliche Schilde- Foto: Walter Filip, Wien der Schauspieler Ottwald John las aus der rung der Zeit nach Kriegsende flicht Ästhetik des Widerstands (Peter Weiss). Kambanellis Rückblicke in die Zeit vor der Befreiung ein und berichtet vom Le- Der Weg der Erinnerung durch die Leopoldstadt ist eine Initiative des Vereins Steine ben der Spanier, der Italiener, der Russen der Erinnerung (www.steinedererinnerung.net) und dessen Obfrau Elisabeth Ben und insbesondere der Griechen im KZ David-Hindler und umfasst mittlerweile über 100 Stationen, die die Vertreibung und Mauthausen. Ermordung der jüdischen Bevölkerung sichtbar machen. Elena Strubakis hat für ihre Übersetzung die „Übersetzungsprämie“ des Österrei- chischen Bundesministeriums für Unter- ge nach Kontinuitäten und Brüchen – auf lässt weder die Einzelnen aus der Verant- richt, Kunst und Kultur als „Auszeichnung personeller wie auch auf Ebene der Wis- wortung für ihre Handlungen noch blendet für die besonders gelungene literarische senschaftsentwicklung –, denen vor allem es die Rahmenbedingungen externer Fak- Übersetzung“ erhalten. um die Jahre der politischen Zäsuren von toren aus. So wird es zu einem nützlichen Auf der beigelegten CD ist die Live-Auf- 1938 und 1945 herum nachgegangen wird. Instrument in der Erforschung von Tätern nahme des Konzerts von Maria Farantouri Da hierzu auch auf die Vor- und Nachge- und „Zusehern“, ohne zwischen diesen am 7. Mai 1995 im ehemaligen KZ Maut- schichte eingegangen werden muss, wird Gruppen eine klare Linie zu ziehen oder hausen zu hören. Mikis Theodorakis diri- ein weit größerer Zeitraum berücksichtigt, juristisch schwer fassbare Tatbestände gierte, Iakovos Kambanellis sprach. Auf als im Titel angedeutet. auszublenden. Hebräisch singt die Cantata Elinoar Moav Das besondere Interesse der AutorInnen Auch wenn fraglich ist, ob ein reiner Sam- Veniadis, aufgenommen 1995 in Tel Aviv, gilt der „Beziehungsgeschichte von Wis- melband tatsächlich eine Synthese leisten dirigiert von Yossi Ben-Nun. Auf Englisch senschaft und Politik“. (S. 21 f.) Standen kann, ist doch mit der Zusammenführung wird sie von Nadia Weinberg gesungen, bislang ideologische Einflussnahme und der einzelnen Arbeiten ein großer Schritt dirigiert von Alexandros Karozas, aufge- Anpassung im Vordergrund der For- getan. Es wäre schön gewesen, wenn die nommen 1995 und 1999 in Frankfurt am schung, wird nun die durchaus praktische Herausgeber in ihrem Vorwort ihr Ver- Main. Das Schlusswort spricht Simon „Politikberatung“ durch Protagonisten ei- ständnis einer nur „vermeintlich einheit- Wiesenthal. ner „kämpfenden Wissenschaft“ ins Visier lichen NS-Ideologie“ näher erläutert hät- Franz Richard Reiter genommen, als die sich etwa die Wiener ten; insgesamt kann diese Detailkritik je- Geschichtswissenschaft verstand. Dieser doch die Verdienste des vorliegenden Ban- Wunsch, Anwendungsmöglichkeiten des des nicht schmälern. Ash, Mitchell G., Wolfram Nieß, eigenen Wissens zu finden, musste dabei Birgitt Wagner Ramon Pils (Hrsg.): Geisteswissen- nicht unbedingt rein politischen Motiven schaften im Nationalsozialismus. entspringen; die AutorInnen dokumentie- Das Beispiel der Universität Wien. An der Herstellung dieser Nummer wirkten mit: ren vielmehr das Gewicht zahlreicher Fak- Monika Beckmann, Matthias Falter, Walter Filip, Göttingen: V&R unipress 2010. toren, zu denen auch innerfachliche Diffe- Norbert Freistetter, Heimo Gruber, Elisabeth Klamper, 586 S. renzen oder der persönliche Ehrgeiz der Eva Kriss, Claudia Kuretsidis-Haider, Armin Pfahl- Traughber, Franz Richard Reiter, Birgitt Wagner. Beteiligten zählten. Mit diesem Sammelband präsentieren die Der zweite rote Faden, der sich durch den Impressum: Verleger, Herausgeber und Hersteller: Herausgeber jüngere Forschungsergeb- Band zieht, ist die Frage nach den Hand- Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wipplingerstraße 8 (Altes Rathaus), nisse zur Geschichte der Universität Wien. lungsspielräumen der AkteurInnen, um so 1010 Wien; Sie machen damit die Resultate detaillier- die Vielschichtigkeit von Motivationen Redaktion ebenda (Christa Mehany-Mitterrutzner, ter Einzelstudien zu den Geisteswissen- und Optionen zu erfassen. Dieses Konzept Tel. 22 89 469/322, e-mail: [email protected]; Sekretariat, Tel.: 22 89 469/319, Fax: 22 89 469/391, schaften im Nationalsozialismus zugäng- will zwischen der Verantwortung von In- e-mail: [email protected]; web: http://www.doew.at). lich. Verbindender roter Faden ist die Fra- dividuum und System vermitteln und ent- Ich bestelle folgende Publikationen zum Sonderpreis für Abonnenten der Mitteilungen:

Österreicher im Exil. Mexiko 1938–1947. Eine Dokumentation, DÖW, Katalog zur permanenten Ausstellung. Wien 2006, hrsg. v. DÖW. Deuticke 2002, 704 S., Bildteil. Leinen oder 207 S., 160 Abb., i 24,50 ... Stück Karton i 15,– Leinen ... Stück Karton ... Stück DÖW, Catalog to the Permanent Exhibition, Wien 2006, 95 S., über 100 Abb., i 14,50 ... Stück Florian Freund, Concentration Camp Ebensee. Subcamp of Mauthausen, 2nd revised edition, 1998, 63 S., i 4,30 Wolfgang Stadler, „... Juristisch bin ich nicht zu fassen.“ Die ... Stück Verfahren des Volksgerichts Wien gegen Richter und Staatsanwäl- te 1945–1955, LIT Verlag 2007, 397 S., Ladenpr. i 29,90 Jonny Moser, Demographie der jüdischen Bevölkerung Öster- ... Stück reichs 1938–1945, Wien 1999, 86 S. i 4,30 ... Stück Erich Fein, Die Erinnerung wach halten. Widerstand & Verfol- gung 1934–1945 und der Kampf um Anerkennung und Entschä- Josef Hindels, Erinnerungen eines linken Sozialisten, Wien digung der Opfer, Wien 2008, 128 S., i 12,– ... Stück 1996, 135 S. i 6,50 ... Stück Bewahren – Erforschen – Vermitteln. Das Dokumentations- Kombiangebot archiv des österreichischen Widerstandes, Wien 2008, 190 S., Gedenken und Mahnen in Wien, Gedenkstätten zu Widerstand i 13,50 ... Stück und Verfolgung, Exil, Befreiung. Eine Dokumentation, hrsg. v. DÖW, Wien 1998 und Gedenken und Mahnen in Wien. Martin Niklas, „... die schönste Stadt der Welt“. Österreichi- Ergänzungen I, Wien 2001. i 13,– (statt i 15,–) sche Jüdinnen und Juden in Theresienstadt. Wien 2009, ... Stück 232 S., i 19,90 ... Stück

Brigitte Bailer, Wiedergutmachung kein Thema. Österreich und Rudolf Agstner / Gertrude Enderle-Burcel / Michaela Follner, die Opfer des Nationalsozialismus. Löcker Verl. Wien 1993. Österreichs Spitzendiplomaten zwischen Kaiser und Kreisky. 309 S. Ladenpr. i 27,60 ... Stück Biographisches Handbuch der Diplomaten des Höheren Auswär- tigen Dienstes 1918 bis 1959, Wien 2009, 630 S., i 29,90 Gerhardt Plöchl, Willibald Plöchl und Otto Habsburg in den ... Stück USA. Ringen um Österreichs „Exilregierung“ 1941/42, Wien Günther Morsch / Bertrand Perz, Neue Studien zu nationalso- 2007, 288 S., Ladenpr. i 9,90 ... Stück zialistischen Massentötungen durch Giftgas. Historische Be- deutung, technische Entwicklung, revisionistische Leugnung, Wolfgang Form/Oliver Uthe (Hrsg.): NS-Justiz in Österreich. Metropol Verlag 2011, 446 S., Ladenpr. i 24,– ... Stück Lage- und Reiseberichte 1938–1945. Schriftenreihe des DÖW zu Widerstand, NS-Verfolgung und Nachkriegsaspekten, Bd. 3, Jahrbuch 2010, hrsg. vom DÖW, Schwerpunkt: Vermittlungs- LIT Verlag 2004, LVIII, 503 S., Sonderpreis i 25,– ( Ladenpr. arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen, Wien 2010, 273 S., i 49,90) ... Stück i 13,50 ... Stück

Hans Landauer, Erich Hackl, Lexikon der österreichischen Spa- Jahrbuch 2011, hrsg. vom DÖW, Schwerpunkt: Politischer Wi- nienkämpfer 1936–1939, 2. erw. Aufl., Theodor Kramer Gesell- derstand im Lichte von Biographien, Wien 2011, 302 S., i 13,50 schaft 2008, 270 S., Ladenpr. i 29,90 ... Stück ... Stück Florian Freund, Die Toten von Ebensee. Analyse und Dokumen- Institut Theresienstädter Initiative/DÖW (Hrsg.) Theresien- tation der im KZ Ebensee umgekommenen Häftlinge 1943–1945, städter Gedenkbuch. Österreichische Jüdinnen und Juden in Braintrust, Verlag für Weiterbildung 2010, 444 S., i 29,– Theresienstadt 1942–1945, Prag 2005, 702 S., i 29,– ... Stück ... Stück Jakob Rosenberg / Georg Spitaler, Grün-weiß unterm Haken- Herbert Exenberger/Heinz Riedel, Militärschießplatz Kagran, kreuz. Der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus, hrsg. v. Wien 2003, 112 S., i 5,– ... Stück DÖW und SK Rapid, Wien 2011, 303 S., i 18,99 ... Stück

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