DÖW DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN WIDERSTANDES FOLGE 202 Mitteilungen JULI 2011 Elisabeth Klamper DIE GEDENKSTÄTTE FÜR DIE OPFER DER GESTAPO WIEN Am Morzinplatz in Wien befand sich 1938–1945 im ehemaligen Hotel „Metropole“ der Amtssitz der Gestapo-Leitstelle Wien, einer der größten Gestapodienststellen NS-Deutschlands. In dem an dieser Stelle neu errichteten Haus (Leopold Figl-Hof) erinnert seit 1968 eine Gedenkstätte an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Gedenkstätte, die vom DÖW betreut wird, wurde nach einer umfassenden Renovierung mit einer Ausstellung über Opfer und Täter der Gestapo ergänzt und am 26. Mai 2011 von Bundespräsident Heinz Fischer und dem Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny wiedereröffnet (siehe dazu S. 4 f.). Zentrale Bezugspunke der Ausstellung sind die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem österreichischen Widerstand in all seinen Facetten ebenso wie historische Informationen über die Rolle der Gestapo-Leitstelle Wien als Institution des NS-Terrors und deren Involvierung in die Deportation der österreichischen Jüdinnen und Juden. DÖW-Mitarbeiterin Elisabeth Klamper hat die Ausstellung mit Unterstützung von Wolfgang Neugebauer (bis 2004 wissenschaftlicher Leiter des DÖW) und Thomas Mang (Autor von „Gestapo-Leitstelle Wien – Mein Name ist Huber“. Wer trug die lokale Verantwortung für den Mord an den Juden Wiens?, Münster u. a. 2003) kuratiert. Zur Geschichte des schaft bereits vorgemerkt war. Die Besitzer bzw. Ho- Gebäudekomplexes telbetreiber, die nach den Hotel „Metropole“ „Nürnberger Gesetzen“ als Juden galten, wurden ent- Das Hotel „Metropole“ wurde 1873 an- eignet und in der Folge ver- lässlich der Weltausstellung nach Entwür- trieben oder deportiert. fen des Wiener Architekten Ludwig Einer von ihnen, Markus Tischler mit einem Kostenaufwand von Friediger, ein überzeugter sechs Millionen Kronen errichtet. Eigen- Monarchist, spielte später tümer war eine Aktiengesellschaft, 1938 die in seinem Besitz befind- zählten die Familien Klein und Friediger lichen Baupläne des Hotels zu deren Hauptaktionären. der Widerstandsgruppe um Das einzige große Wiener Haus, das spe- Karl Burian zu. Burian stand ziell zu Hotelzwecken erbaut worden war, in Verbindung mit dem pol- lag inmitten eines der belebtesten Ge- nischen Geheimdienst, die schäftsviertel von Wien, am Franz-Josefs- Gruppe plante 1938/39, das Kai; vor dem Hotel befand sich der Lan- Gebäude zu sprengen (siehe dungsplatz der Lokalschiffe der Donau- dazu DÖW Akt 4150). Auf dem Gelände des zerstörten Hotels „Metropo- Dampfschifffahrts-Gesellschaft. Das Ho- Am 1. April 1938 – am sel- le“ wurde in den 1960er Jahren der Leopold Figl- tel galt als überaus elegant und war vor al- ben Tag, als der erste Trans- Hof errichtet. lem bei jüdischen Gästen sehr beliebt; so port österreichischer Häft- wurden dort beispielsweise zahlreiche linge vom Westbahnhof in das KZ Dachau durch die Gestapo relativ gut rekonstruie- Bar-Mizwa-Feiern und Hochzeiten abge- abging – nahm die Gestapo ihren Dienst ren. halten. im „Metropole“ auf. Nach der „Volksab- Trotz zweier Bombentreffer und schwerer Unmittelbar nach dem „Anschluss“ wurde stimmung“ am 10. April 1938 wurde mit Gebäudeschäden wurde der Dienstbetrieb das „Metropole“ beschlagnahmt: Im den Umbauarbeiten des 500 Räume um- der Gestapo am Morzinplatz bis 6. April Grundbuch findet sich ein mit 25. März fassenden Gebäudes begonnen. Aus diver- 1945 aufrechterhalten. Bereits ab Jänner 1938 datierter Eintrag, der besagt, dass sen Zeugenaussagen in Volksgerichtsver- 1945 wurden allerdings zahlreiche Gesta- aufgrund einer Zuschrift der Geheimen fahren gegen ehemalige Angehörige der pohäftlinge in andere Haftanstalten trans- Staatspolizei, Staatspolizei Leitstelle Gestapo-Leitstelle Wien nach 1945 lässt feriert und viele Gestapobeamte flohen Wien, die Beschlagnahmung der Liegen- sich die räumliche Nutzung des Gebäudes gegen Westen. Am 6. April wurde das 2 Mitteilungen 202 Gebäude endgültig geräumt; es wurde von der Waffen-SS zwar zur Sprengung vorbe- reitet, diese wurde aber nicht mehr durch- geführt. Nach dem Krieg wurde die Ruine abgeris- sen und in den 1960er Jahren durch einen für diese Zeit typischen Wohn- und Büro- bau ersetzt, der nach dem ersten Bundes- kanzler 1945 Leopold Figl, einem Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherr- schaft, benannt wurde. Ein Relief an der Vorderseite des Gebäudes (in der Höhe des ersten Stocks) thematisierte die NS- Zeit. Die im Gebäude eingerichtete Ge- denkstätte war von den drei Opferver- bänden und dem Verein der Freunde des Wohnungseigentums gemeinsam mit dem Architekten Josef Vytiska geplant und ge- SS Sturmbannführer Josef Auinger (Mitte) im Kreise von BeamtInnen der staltet worden. Sie wurde am 26. Oktober Gestapo Wien. Neben Verwaltungs- und Vollzugsbeamten zählten auch Schreib- 1968 im Beisein von Bundespräsident kräfte, Telefonisten, Mechaniker, Chauffeure etc. zum Personal der Gestapo. Franz Jonas und Bürgermeister Bruno Josef Auinger war maßgeblich an der Verfolgung von WiderstandskämpferInnen betei- Marek feierlich eröffnet und sollte die ligt. Ab Juli 1942 als Führer des Sonderkommandos 7b in Smolensk Mitwirkung an Erinnerung an den österreichischen Wi- der Ermordung Tausender Juden und Jüdinnen, ab Jänner 1943 Diensteinsätze in Prag, derstand gegen das NS-Regime wachhal- Budapest und Berlin. 1947 von einem sowjetischen Militärgericht zu 25 Jahren Ar- ten – in den 1960er Jahren (und auch in beitslager verurteilt, 1956 Rückkehr nach österreich, ein hier eingeleitetes Untersu- den Jahren danach) keineswegs selbstver- chungsverfahren wurde eingestellt. ständlicher Teil des kollektiven österrei- chischen Bewusstseins. Später hatte auch Ing. Simon Wiesenthal im Leopold Figl-Hof sein Büro. Vom Gedenkraum zum „Denkraum“ Der in der Salztorgasse eingerichtete Ge- denkraum bedeutete für die überlebenden WiderstandskämpferInnen nicht nur die Würdigung ihrer Taten, sondern war auch das „Unterpfand einer gemeinsamen Er- fahrung“1 und damit ein Ort, wo jener ge- dacht werden konnte, die im Kampf um ein freies und demokratisches Österreich Oben links: umgekommen waren. Franz Josef Huber, ab März 1938 Leiter der Gestapo-Leitstelle Wien Orte des Gedenkens und Trauerns sind Er war als Inspekteur der Sicherheitspolizei (= Gestapo und Kriminalpolizei) und des wichtig und notwendig – junge Menschen SD (= Sicherheitsdienst der SS) auch Leiter der „Zentralstelle für jüdische Auswan- haben heute allerdings kaum mehr persön- derung“, die ab 1941 für die Massendeportationen der österreichischen Juden und Jü- liche Verbindungen bzw. Beziehungen zu dinnen verantwortlich war. 1949 wurde er in der BRD als „Minderbelasteter“ einge- den Opfern, derer gedacht werden soll. stuft und zu einem Jahr Gefängnis sowie einer Geldstrafe von 500 D-Mark verurteilt. Deshalb müssen Gedenkstätten (auch) die Oben Mitte: Möglichkeit zur kognitiven Auseinander- Dr. Karl Ebner, 1939 bis 1942 – zur Zeit der großen Deportationen der Jüdinnen setzung mit der Geschichte bieten, nicht und Juden – Leiter des „Judenreferats“ der Gestapo Wien zuletzt um eine bloße Ritualisierung des Ab September 1942 war Ebner Stellvertreter des Gestapochefs. Nach einer Intrige Gedenkens zu bestimmten Anlässen zu wurde er im März 1945 wegen „Wehrkraftzersetzung“ von einem SS- und Polizeige- vermeiden. Beispiele aus Deutschland wie richt zum Tode verurteilt, konnte jedoch fliehen. 1948 von einem österreichischen die „Topographie des Terrors“ oder das Volksgericht zu 20 Jahren Haft verurteilt, 1953 begnadigt. Oben rechts: Othmar Trenker (eigentlich Trnka, Namensänderung aus Karrieregründen), 1 Aleida Assmann, Erinnerungsorte und Ge- 1944 Leiter der Abteilung II/IV der Gestapo Wien dächtnislandschaften, in: Hanno Loewy, Obwohl nachweislich persönlich an Folterungen beteiligt, wurde er 1948 nur zu Bernhard Moltmann (Hrsg.), Erlebnis – 30 Monaten, 1949 nach Protesten zu fünf Jahren Haft verurteilt, 1950 „auf Probe“ ent- Gedächtnis – Sinn. Authentische und kon- lassen. struierte Erinnerung, Frankfurt 1996, S. 20. Juli 2011 3 Eingang in den Raum hinein symbolisie- ren die Hilf- und Rechtlosigkeit der Opfer. Nach der Renovierung wurde die Gedenk- stätte mit insgesamt zehn Ausstellungs- stelen ergänzt. Diese werden von innen beleuchtet und bieten jeweils zwei Dis- playflächen. Die Ausstellung bietet In- formationen über die hier inhaftierten Wi- derstandskämpferInnen und die von der Gestapo verfolgten Menschen ebenso wie über die Etablierung der Gestapo Wien, deren Organisation, MitarbeiterInnen, Ar- beitsweise etc. Die mit zahlreichen Sonderrechten ausge- stattete Gestapo überwachte und verfolgte Menschen, die der NS-Staat zu „Staats- und Volksfeinden“ erklärte bzw. als poten- ziell gefährlich einstufte: Politisch An- dersdenkende, Juden und Jüdinnen, Men- schen, die gegen die Normen des NS- Staats verstießen, soziale Randgruppen, „Betriebsappell“, organisiert von der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) ZwangsarbeiterInnen. Nach Kriegsaus- Die DAF, mit ca. 23 Millionen Mitgliedern die größte NS-Massenorganisation, ver- bruch im Herbst 1939 war sie an der Un- suchte mit derartigen Veranstaltungen nicht nur die „Volkgemeinschaft“ zu beschwö- terdrückung des Widerstands in den be- ren, sondern auch politische Kontrolle über die ArbeiterInnen und Angestellten auszu- setzten Gebieten und an der Überwachung üben. der ausländischen ZwangsarbeiterInnen sowie ab 1941 am Massenmord an den „Denkmal für die ermordeten Juden Euro- eingang des Hotels „Metropole“ befand. europäischen Juden und Jüdinnen maß- pas“ von Peter Eisenman – beides in Die meisten,
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