¿ Anzeige en he ch S on iS US sc e, A ti rI 0h t D ch en It it .3 n E tle 1 rä L rv Uh 2 I Ja ST zu ns sp te ntr I 9. 4– 100 Jahre nach ihrem werden Tod Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu Pop-Ikonen verniedlicht. Ein Plädoyer für ein anderes Gedenken 16, 43–45 1 In 1 EI fre Kü PO Wi Ge b

Rosa Am eNDe? eNDe? Am könnte deutschland“ „neue Das die wenn Was, sein. pleite bald lässt? fallen die Zeitung Linkspartei 8–9 Zurück Die Chefin war’s Rundfunk Im viele so sind Brandenburg Führungspositionen in Frauen anderen keinem in wie öffentlich-rechtlichenSender. Ein gelungen? das ist Wie Interview Personalchefin mit DelégliseSylvie 35 Warum das Vermächtnis Vermächtnis das Warum ManfredOB Stuttgarts von zählt mehr nichts Rommel Gehacktes veröffentlicht Schüler Ein Politikerdaten. massenhaft passieren? das konnte Wie 3

Hannah Ahlheim, Historikerin, Hannah Ahlheim, Historikerin, im Schlafprobleme über Kapitalismus 24–25 „Man kann den Leuten ihren Schlaf nicht einfach wegnehmen. Die hängen daran“ Foto: Robin Hinsch Robin Foto:

Europa to go Wohlstand verspricht EU Die für alle. Kann sie das halten? Im halten? das sie Kann alle. für Vukovar nach Stuttgart von Bus 20–22

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5 dinge, die wir diese woche gelernt haben Horst Seehofer ist On- Es hat geschneit liner der ersten Stunde Der CSU-Bundesinnen- 1 minister, der verstärkt Cyberkriminalität bekämp- fen will, hat auf einer Pres- sekonferenz unterstrichen, dass er sich – entgegen manchem Vorurteil – gut mit dem Internet auskenne. Er sei dort „seit den achtzi- ger Jahren“ unterwegs. Nur gibt es das Internet, wie wir es heute verstehen, erst seit den Neunzigern. Wie sich das Netz über Seehofer lustig macht, ergooglen Sie am besten selbst.

Limonade muss süß genug sein Lemonaid ist eine 2 Limonade aus fair gehandelten Biozutaten, in den Geschmacksrichtungen Limette, Maracuja, Blut- orange und Ingwer. Aber ist es eine Limonade, nur weil sie sich so nennt? Das wurde nun ganz offiziell an- gezweifelt. Ergebnis: Nein. Weil Lemonaid zu wenig Zucker enthält. Für Limona- den sind 7 Prozent Gesamt- zuckergehalt vorgeschrie- ben, Lemonaid enthält nur 6. Die Limo muss nun aber Sie schaufeln und schaufeln. Arbeiter versuchen an diesem Freitag angestrengt, den Schnee dorthin zurückzuschaffen, wo er hingehört: in die Berge und nicht ungesünder werden. nicht ins Restaurant auf der Schwägalp in der Schweiz. Der Schnee macht auch in Deutschland Ärger. In Bayern wurde in mehreren Landkreisen der Katas­ Die zuständige Behörde, trophenfall ausgerufen, viele Straßen sind dort wegen Lawinengefahr und umgestürzter Bäume gesperrt. Die Bundeswehr ist mit 350 Soldaten im Einsatz, das Hamburger Bezirksamt sie räumen Schnee von Dächern und versorgen Eingeschneite. 300 weitere sind in Bereitschaft. Foto: Arnd Wiegmann/reuters Mitte, will ein Auge zudrü- cken. Wie süß. die eine frage Grillen können eine Waffe sein Die Opfer waren Empathie als Alleinstellungsmerkmal 3 US-Diplomaten in Kuba, sie klagten über Hörverlust und Gedächt- Was folgt aus der Entscheidung des Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck, nisstörungen. Schuld daran Anja Weber Foto: Facebook und Twitter zu verlassen? sollten nächtliche Geräu- Peter Unfried sche gewesen sein. Wurde ist taz-­ ie sind doch von einer linken Zeitung“, penden Altredakteur einschleimen zu müssen. lehnung, auf Unterhaltung, Übertreibung, Spal- eine Schallwaffe eingesetzt? Chefreporter sagte Jaron Lanier. Oje, dachte ich. So Großartig. Man kann für sich selbst etwas bewe- tung und Eskalation. Ich verstehe das Bedürfnis, Zwei Biologen haben nun ein Einstieg läuft selten auf Lob hin- gen. Aber, das ist Laniers These, man kann sich aber es wird doch wohl keiner ernsthaft denken, eine andere Theorie: Gril- aus. Wir saßen letzten Herbst in Saul’s oder gar die Gesellschaft nicht ermächtigen auf dass ein „Nazis raus“-Tweet mehr Folgen hat als len der Art Anurogryllus Restaurant & Delicatessen in Berke- Plattformen autoritär orientierter Silicon-Valley- ein kurze Erleichterung nach dem Rülpsen. celerinictus sollen für die ley beim Mittagessen, und tatsäch- Unternehmen, deren Geschäftsmodell die totale Der erste große grüne Paradigmenwechsel nach Töne verantwortlich sein. Slich erklärte mir der Silicon-Valley-Pionier und Manipulation und Kontrolle von Menschen im 1998 ist das andere Sprechen, das sich aus der ver- Das wollen die Forscher Digitalintellektuelle heiter schmatzend den gro- Auftrag von Dritten ist. Auch wenn die positiven änderten Aufgabe ergibt, die aus der neuen Welt- mit einer Frequenzanalyse ßen linken Denkfehler, das Internet betreffend. Bewegungen (Arabischer Frühling) sich noch so lage folgt. Sprechen erfüllt sich nicht mehr im Sen- herausgefunden haben, in Nämlich, dass alles frei, also kostenlos sein sollte. schön anlassen, am Ende gewinnt das Negative. den und empörten Kopfschütteln, wenn ein An- der sie eine Tonaufnahme Die Realität sind oligarchisch anmutende Mo- Weil es darum geht, möglichst viel aus den Leu- dersdenkender antwortet. Sondern im Zuhören, des angeblichen Schallwaf- nopole, die Milliarden armer Schweine ausbeu- ten herauszupressen, und dafür gibt es zwei Trig- im Nachfragen, im Differenzieren, im Entwickeln fenangriffs mit dem Sound ten, die unfreiwillig (wie viele Musiker und Über- ger: Mach sie wütend, oder mach sie ängstlich. des eigenen Sprechens und Denkens durch den der karibischen Grillen setzer) oder sogar freiwillig für sie schuften. Ich Deshalb denke ich, dass der Grünen-Bundes- Austausch. verglichen. Allerdings ist zum Beispiel stelle täglich hochklassige Polit­ vorsitzende Robert Habeck mit seiner Entschei- Es geht jetzt im wahrsten Sinne existenziell um noch kein Fall bekannt, dass aphorismen und bescheidene SPD-Witzchen kos- dung, Facebook und Twitter zu verlassen, eine tie- die Frage, wie wir miteinander sprechen: in der durch das Grillenzirpen ein tenlos Twitter zur Verfügung. Es macht Spaß, aber fere gesellschaftliche Diskussion auslösen muss, unsmart smartphoneverseuchten Kleinfamilie, Mensch verletzt wurde. ergibt das Sinn? Auch aufwendig produzierter Ver- als wir sie haben. Es geht nicht um tagespolitische in der bröckelnden Gesellschaft, in der verunsi- lagsjournalismus wird so verlässlich kostenlos an- Kleinstrendite und strubbeljournalistische Cha- cherten Politik. Damit wir etwas zusammen hin- Eine dänische geliefert, dass die Leute immer irritierter werden, rakterdiagnostik. Es ist nicht nichts, wenn ein Spit- kriegen. Dazu braucht es den respektvollen Aus- ­Zeitung will nicht wenn Journalismus doch Geld kostet. zenpolitiker das intellektuelle und emotionale Po- tausch von Argumenten, und es braucht Empa- fliegen In der Gegenwart des „en même temps“ (Ma- tenzial, die Sprache, den Mut und inzwischen auch thie. Es geht darum, zu verstehen oder zu spüren, 4 Christian Jensen, cron) gibt es selbstverständlich positive Aspekte. die Kraft hat, um grundsätzliche Zukunftsfragen dass Empathie kein Nachteil gegenüber Maschi- Chefredakteur der däni- Nur ein Beispiel: Junge Publizistinnen haben sich in die Mediengesellschaft hineinzulegen. nen ist, sondern unser Alleinstellungsmerkmal. schen Zeitung Politiken, eine Stimme gegeben, vernetzt und ein Geschäfts- Noch mal: Twitter und Facebook haben Vorteile, Und letztlich vielleicht ja auch der Sinn des hatte es publizistisch modell aufgebaut, ohne sich bei einem gatekee- aber im Kern zielen sie auf Bestätigung oder Ab- Ganzen. gemeint, als er erklärte, das Blatt solle die klimafreund- lichste Zeitung des Landes werden. Durch Berichte inhalt zum Thema. Die Leser woll- ten, dass Politiken bei sich Brexit may be 100 Jahre Rosa selbst anfängt. Die Folge: Vor der Abstimmung: Wer Am 15. Januar 1919 wurde Dienstreisen im Flugzeug protestiert da ständig vor Rosa Luxemburg ermordet. nur, wenn es nicht anders dem britischen Parlament für Was geht sie uns heute an? geht. Und im Reiseteil mehr oder gegen den Austritt? kultur 16 innerdänische Reiseziele. politik 4

Die Bundesregie- Ratzepüüüh rung kann nicht Redaktionsschluss Matratze, Ruhe, App – was fliegen Wird die Linkspartei ihre macht guten Schlaf aus?

Mitglieder der Zeitung „neues deutschland“ sachkunde 24–25 alliance picture Foto: 5 Katja Gendikova Illustration: Bundesregierung bleiben vor dem Aus bewahren? Sand ebenfalls öfter am Boden. reportage 8–9 Fortschritt durch Technik Zu Besuch in der tunesischen Weil ihre Flugzeuge ständig Pannen haben. Kürzlich Künstliche Intelligenz soll Wüste – an einem magischen traf es , jetzt vieles können. Aber was Ort. Aber auch einem, von Entwicklungsminister genau wollen wir von ihr? dem man wegwill Gerd Müller. Erst blieb er in argumente 11 reise 34–35 Malawi liegen, dann in Sam- bia. „Das muss gründlich Weltstadt Legende am Ende aufgearbeitet werden“, sagte Eine britische Historikerin Ein Fall von sexuellem Miss- Müller. Warum nicht zum Konzept erklären? hat das ultimative Buch brauch erschüttert Öster- Sebastian Erb über Istanbul geschrieben reichs Skisport Foto:picture alliance Foto:picture Felix Zimmermann Borrs Wolfgang Foto: politisches buch 15 leibesübungen 39  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende die drei 03

Hackerangriff, Datenklau, Doxing? Gesteuert aus einem Kinderzimmer in einer hessischen Kleinstadt landen die Daten von mehr als tausend Menschen im Internet Die Von Tanja Tricarico Spieler

leißig ist er, akribisch. Nacht er mit mehreren Jahren Haft bestraft Dieses Gefühl beschleicht alle, de- Aktivist*innen. Sie wehren sich gegen chologin. Das heißt: Der Schüler saß in für Nacht sitzt er vor dem werden kann? „Ein Hacker ist er nicht“, ren persönliche Informationen plötz- eine Haltung, gegen Unternehmen, ge- seinem Kinderzimmer, hackte auf der Rechner im Haus seiner El- sagt padeluun. Und der muss es wissen, lich auch dort erscheinen, wo sie ei- gen Einzelpersonen, die aus ihrer Sicht Tastatur rum und war sich dessen, was tern. Und sammelt. Tele- schließlich ist er selber einer und setzt gentlich gar nicht hin sollen. „Wir sind heraus nicht auf der „richtigen“ Seite er tat, offenbar nicht bewusst. Das ist fonnummern, Adressen, sich seit Jahren für den Schutz persön- gläsern im Netz. Jeder muss aufpassen, sind. Hackergruppen wie Anonymous auch kein Wunder: Er sah weder die Op- Bankdaten, E-Mail-Konten. licher Daten im Netz ein. dass alles, was man tut, auch im digita- gehören dazu. Vor einigen Jahren ha- fer im Einzelnen noch ihre Wut oder FManchmal auch das Ping-Pong-Spiel „Und wenn er doch Seiten oder Pro- len Raum auftauchen kann und bleiben ben die Aktivist*innen Daten von Ku- Ängste. Hinzu kommt, dass das Gefühl von Nachrichten, veröffentlicht über file gehackt hat, ist er allenfalls ein Cra- wird“, sagt Catarina Katzer. Die Sozial- Klux-Klan-Anhängern veröffentlicht. für Werte, die die Privatsphäre der Men- WhatsApp. Ein kompliziertes Verfah- cker. Einer, der Schaden verursacht psychologin spricht gar von einer ver- Andere haben einen rein politischen schen angehen, oft völlig ausgeblendet ren braucht er nicht. Ganz im Gegen- hat.“ Das Verhalten des jungen Man- schwindenden Grenze zwischen Reali- Antrieb. Etwa wenn es darum geht, wird, sagt Katzer. teil, die Datensammelei ist ein Kinder- nes hält padeluun für typisch männ- tät und Online-Welt. Das Gefühl, immer den politischen Gegner mundtot zu Ob es nicht doch um politische In- spiel – im wahrsten Sinne des Wortes. lich, für eine reine Selbstdarstellung und überall Ziel einer Überwachung, machen, ihn zu diskreditieren und ein- halte geht, ist bisher nicht klar. Dem Die Rede ist von Johannes S., dem und „Kinderkacke“. „Alles überall hin- Ausspähung und Cyber-Attacke sein zuschüchtern. Die Angreifer kommen Spiegel zufolge hatte Johannes S. be- mutmaßlichen Verantwortlichen für zukopieren ist kein guter Umgang mit zu können, verstärkt sich. Nicht nur sowohl aus dem Aus- als auch dem In- reits rechtsextreme Inhalte im Netz einen der größten Datenklau-Skan- Netzen und Daten.“ über das Netz wird angegriffen, son- land und nutzen das Netz als politische verbreitet und sich abfällig über den dale der letzten Jahre. Monatelang re- Der Netzaktivist unterscheidet zwi- dern schließlich auch im echten Leben. Waffe. Islam oder Migrant*innen geäußert. cherchiert er, bunkert Tausende Daten- schen mindestens zwei Szenen im di- Das Doxing – also das Sammeln pri- Die dritte Gruppe ist eine, die am we- Aber: „Die Motivation des Tatverdäch- sätze von über tausend Politiker*innen, gitalen Raum. Da gibt es diejenigen, die vater Daten im Netz – ist kein neues Phä- nigsten zu greifen ist. In der Regel sind tigen und der Hintergrund der Taten ist Künstler*innen, Journalist*innen. Zum Gegenstand der aktuellen Ermittlun- Beispiel von Bundespräsident Frank- gen“, teilte Oberstaatsanwalt Georg Un- Walter Steinmeier und Grünen-Chef gefuk auf taz-Anfrage mit. Was nun klar Robert Habeck, den Moderatoren Jan ist: Der mutmaßliche Datendieb ist bei Böhmermann und Christian Ehring so- „Alles überall der Justiz kein Unbekannter. Laut Ge- wie von Rapper Materia und der Band hinzukopieren neralstaatsanwaltschaft Frankfurt lie- K.I.Z. Er sammelt Kontaktdaten wie gen drei weitere noch nicht abgeschlos- Handynummern und Adressen, Chats ist kein guter Umgang sene Ermittlungsverfahren vor. Wann mit Familienmitgliedern und Kredit- mit Netzen und Daten“ die Ermittlungen abgeschlossen sein karteninformationen. Teilweise sind werden, ist ungewiss. Berichte, dass der die Dokumente mehrere Jahre alt. Sie padeluun, Hacker und Netzaktivist Beschuldigte Informationen und Kon- alle werden nach und nach veröffent- tozugänge im Darknet gekauft hat, wur- licht. Als Vorweihnachtsüberraschung den jedoch nicht bestätigt. in einem digitalen Adventskalender. Johannes S., 20 Jahre, aus der hessi- Es ist ein Spiel. Ein Spiel, das Durch- schen Kleinstadt Homburg, hat die Re- haltevermögen braucht. Der Gewinner publik viele Tage in Atem gehalten. Die wird mit „fame“ belohnt – wie es in der auf der „guten Seite“ stehen, Sicher- nomen. „Seit Jahren werden etliche Pri- es Einzeltäter. Was sie antreibt, ist ein Hacker-Szene distanziert sich, die Po- Szene heißt. Im aktuellen Datenklau- heitslücken finden und schließen wol- vatleute Doxing-Opfer“, sagt Catarina rein persönliches Motiv. Es geht um litik steht ratlos vor dem Ausmaß des Skandal ist es ein 20-jähriger junger len. Und dann diejenigen, die Zerstreu- Katzer. Jetzt, da auch Politiker*innen, Machtgefühl, um Überlegenheit, um Datenklaus. Was bleibt, ist die Eigen- Mann aus Homburg in Hessen. Am ver- ung und Unterhaltung im Netz suchen, Künstler*innen und Journalist*innen Rache, um die Stärkung des Selbstwerts. verantwortung jeden einzelnen Nut- gangenen Sonntag war sich das Bun- stundenlang YouTube-Videos schauen betroffen sind, wird öffentlich über Vielleicht auch um die Kompensation zers und jeder einzelnen Nutzerin. deskriminalamt absolut sicher, dass er und machen, sich berieseln lassen das Problem gesprochen. Ein Schritt, anderer Defizite: Im Netz können sie Passwörter regelmäßig ändern, Sicher- am groß angelegten Datenklau, der nur und selbst für Berieselung sorgen. Zur der längst überfällig ist, sagt Katzer. zeigen, was sie drauf haben. Im realen heitseinstellungen verschärfen, Viren- wenige Tage zuvor ans Licht kam, maß- letzteren Gruppe zählt padeluun den Sammeln, das Ausspähen von Daten Leben nicht unbedingt. „ überle- schutz aktivieren – das sind einfache geblich beteiligt ist. 20-Jährigen Hessen. Daten zu finden sei und dann deren Veröffentlichung trifft gen und kann Dinge, die andere nicht und schnelle Maßnahmen. „Wir brau- Zwar verschleierte der mutmaßliche eine Frage guter Recherchearbeit, Zeit, die Opfer extrem hart. können – diese Haltung liegt oft zu- chen auch neue Richtlinien über die Täter seine digitalen Spuren. Sein Feh- guter Software und Glück. Dass die Hackerszene gar nichts mit grunde“, sagt Katzer. Vermutlich hat der Nutzung von Apps oder die Zugänge ler: Er schwieg nicht über seine Taten. Auch padeluun ist vom aktuellen Da- dem Fall zu tun hat, davon ist Katzer mutmaßliche Täter des aktuellen Falls zum Darknet“, sagt Katzer. Es gibt kei- Freimütig chattete er unter dem Na- tenklau betroffen. Auf einer Liste, die nicht überzeugt. „Das Hacking ist ein seine eigenen Grenzen austesten und nen TÜV für Apps, für Sicherheitsstan- men God oder Orbit mit YouTubern über Indymedia veröffentlicht wurde, Teil der Methode“, sagt die Cyberpsy- beweisen wollen. Ein 20-Jähriger, der dards oder den Schutz der Privatsphäre und Bloggern. Er machte kein Geheim- tauchen sowohl sein Name als auch die chologin. Etwa die Benutzung von Mal- den Grünen-Vorsitzenden Robert Ha- bei ihrer Nutzung. nis daraus, wie leicht es für ihn war, Namen von Bekannten auf – obschon ware und das Abfischen von Informati- beck dazu bringt, Facebook und Twit- Ebenfalls helfen könnte eine Begren- über Menschen, „über die er sich ge- falsch geschrieben –, inklusive krypti- onen – über Konten bei E-Mail-Anbie- ter zu verlassen und eine ganze Repu- zung der Mitgliederzahlen bei E-Mail- ärgert hat“, ein Datenprofil anzulegen scher Adressinformationen. Rund 200 tern, soziale Netzwerke, Cloudsysteme, blik aufpeitscht – das ist ein Schub fürs Anbietern. Sprich: Wenn sich eine be- und dieses dann im Netz für jeden und Namen erscheinen insgesamt auf dem Dropbox oder andere Anbieter. Selbstwertgefühl eines Heranwachsen- stimmte Anzahl an Menschen ein E- jede zugänglich preiszugeben. Datensatz. „Zwar kann ich diese Liste Katzer unterscheidet zwischen drei den. Mail-Konto bei Googlemail oder GMX Was bewegt einen 20-jährigen He- nicht wirklich ernst nehmen, aber das Typen von Menschen, die das Internet „Wir handeln im digitalen Raum, eingerichtet haben, kommt kein ande- ranwachsenden aus einer hessischen Gefühl, dass wir darauf stehen, ist nicht für ihre Interessen nutzen und fremde aber wir trennen unsere Handlung rer mehr rein. Je kleiner der Kreis, desto Kleinstadt zu solchen Straftaten, für die gut“, sagt padeluun. Daten veröffentlichen. Zum einen die vom physischen Dasein“, sagt die Psy- sicherer die Daten.  04 politik taz am wochenende

Auf den Beinen, um Haltung zu zeigen: in eine britische Flagge gehüllter Hund an der Seite von Brexit- Befürwortern Foto: Toby Melville/reuters

(Un-)Einigkeit vor Westminster Seit Monaten stehen sich Befürworter und Gegner des Brexit am Rande des Parlaments die Füße platt. Sie wollen ins Fernsehen – erst recht jetzt, kurz vor der Abstimmung über Theresa Mays Austrittsvertrag

Aus London Daniel Zylbersztajn

upt einfach!“, so Dezember britische „Gelbwes- xit-Befürworter so sichtbar wie westen“ sich zum ersten Mal in er lebt momentan bei Unterstüt- steht es auf dem ten“ dazugesellt. Sie füllen das möglich werden. Todd aller- Tausendschaften vor dem Parla- zern in London, entstand die von Plakat von Beverly Vakuum, das Ukip hinterlas- Rein oder Raus dings überrascht nun mit dem ment versammeln. „Es geht uns ihm gegründete Bewegung So- De­Lucy, Mutter sen hat. Jener Partei, die erfolg- Bekenntnis: „Ich wählte eigent- nicht nur um den Brexit, son- dem (Stand of Defiance - Die Abstimmung vierer Kinder, die reich zum Brexit gedrängt hatte lich ‚Remain‘.“ Und das, obwohl dern auch „um Gerechtigkeit, pean Movement). Warum all Am Dienstag, 15. Januar, soll vor der Kreuzung und sich nach dem Referendum er aus Sunderland stammt, dem um Kumpels, die zu Unrecht im die Mühe? „Es war mir einfach das britische Unterhaus über nahe des britischen Parlaments selbst zerlegte. tiefsten Nordosten Englands, Knast sind, um Wohnungen für sehr wichtig, dass die Stimme H den Brexit-Plan von Theresa steht. Die dynamisch wirkende Anfang der vergangenen wo 61 Prozent der Bevölkerung Veteranen statt für Flüchtlinge. der Remainer präsent ist.“ Er be- May abstimmen. May hatte den 42-Jährige mit weißer Woll- Woche kam es nun zu einem „Leave“ wählten. Heute aber ist Aber Sie werden das eh nicht in kommt viel Lob, wird aber auch ursprünglichen Termin mütze, Sportanorak und Union- Zwischenfall im Bereich zwi- Todd für einen extremen Brexit. ihrer Zeitung schreiben.“ beschimpft. Dennoch kenne er (11. Dezember) mit der Jack-Handschuhen ist eine der schen dem College Green, ei- Und wenn der nicht stattfindet? Vielleicht zehn Meter von ih- viele von der anderen Seite, man Begründung verschoben, dass Freiwilligen, die hier für die Bre- ner kleinen Rasenfläche, die Dann drohe „die größte konsti- nen entfernt steht an der Ab- grüße sich. Nur die Neuen hät- das Abkommen zu diesem xit befürwortende „Leave-Me- von TV-Sendern für ihre Kame- tutionelle Krise aller Zeiten“, ten für Ärger gesorgt. Er zeigt Zeitpunkt mit einer „beträchtli- ans-Leave“-Kampagne im Ein- raaufbauten genutzt wird und warnt er, bevor seine Stimme auf seine kleine Kamera, die chen Mehrheit abgelehnt satz sind. dem Parlament auf der ande- hinter lautem Getrommel und an seiner Jacke steckt und alles worden wäre“. Am Dienstag den 15. Januar ren Straßenseite: Anna Soubry, Glockengeläut verschwindet. vor ihm aufnimmt. „Die neuen entscheidet sich, ob das Parla- eine bekannte konservative Ab- Der Lärm entstammt einem Rechtsradikalen sind darauf aus, Die Folgen ment dem von Premierminis- geordnete und EU-Befürwor- alten, über 100 Jahre alten Holz- sich mit uns anzulegen.“ Am 29. März 2019 wird das terin Theresa May und der EU terin, wurde von einer Gruppe wagen, den der Ökonom David Auch Sue, 57, die neben ihm Vereinigte Königreich die EU ausgehandelten Austrittsver- Männer bedrängt, als Nazi be- Waller und seine Frau Nancy steht und versucht mit Fah- verlassen – mit oder ohne Deal. trag zustimmen wird. Im Vor- schimpft und dabei mit dem heute aus Shropshire im Nord- nen und blauen Luftballons in Wenn May in der Abstimmung feld dieser Entscheidung, die ei- Handy gefilmt. Was eine De- westen Englands hierher an den den Hintergrund von TV-Über- unterliegt, muss sie innerhalb gentlich schon am 11. Dezember batte sowohl über Sicherheit als Rand des College Green gebracht tragungen am College Green von drei Tagen einen neuen hätte fallen sollen und die dann auch über Meinungsfreiheit zur haben. Am Wagen sind eine Glo- zu gelangen, trägt eine kleine Plan präsentieren. Möglich von May verschoben wurde, hat Folge hatte. Mancher fühlte sich cke und eine Trommel befestigt: Körperkamera. Die ehemalige wäre auch eine Volksabstim- sich die Debatte in Großbritan- an die Ermordung der Labour- „Die Glocke ist eine symbolische Krankenschwester, die aus Si- mung. nien noch einmal stark polari- Abgeordneten Jo Cox durch ei- Freiheitsglocke“, erklärt David cherheitsgründen ihren Nach- siert. Beide Seiten, Menschen, nen rechtsradikalen Brexit-Be- Waller. „No Deal, No Problem“, namen nicht nennen möchte, die sich für den Verbleib in der fürworter wenige Tage vor dem ner Stiftung fast jeden Tag hier steht am Wagen, während Wal- erzählt, wie ihr Vater einst in EU einsetzen, und jene, die ei- Referendum erinnert. ist, und das seit Dezember: „Ver- ler vom ehemaligen industriel- Frankreich im Sterben lag und nen harten Brexit fordern, ma- „Mit solchen Leuten habe ich stehen Sie mich nicht falsch“, in- len Glanz des Landes schwärmt der Familie aufgrund der eu- chen mobil. Mit Plakaten stehen nichts am Hut“, versichert De- formiert sie ungefragt, „ich bin und an die Gefallenen der Welt- ropäischen Abkommen keine sie überall im Land auf Markt- Lucy. Sie versteht ihren Einsatz für, ja, ich liebe sogar Europa. kriege erinnert, die für die Frei- Kosten entstanden. Dieser Ge- plätzen, Fußgängerzonen – und hier als „Einsatz zur Rettung der Die Union war so lange hervor- heit gekämpft hätten. Die bei- danke bestärke sie – und auch, vor dem britischen Parlament. demokratischen Werte des Lan- ragend bis Maastricht begann, den sind erst zum zweiten Mal dass „mein Vater gegen die Nazis Waren es bis vor Kurzem nur des.“ Das ist der Londonerin so- die Nationen zu zerstören.“ Die in London, um zu protestieren. Mit Lautsprecher: Stellung­ im Zweiten Weltkrieg kämpfte zwei große Gruppen, „Leave gar so wichtig, dass sie trotz ih- Abgeordneten im Haus hinter Beim ersten Mal, einem Brexit- nahme gegen den Brexit und sich in Großbritannien tap- Foto: Henry Nicholls/reuters ­Means Leave“ auf der Brexit- rer Kinder, ihres Magisterstu- ihr bezeichnet sie als „knaves“, Marsch, fanden sie sich unter fer gegen Faschisten stellte“. Sie Seite und „People’s Vote“ auf diums in europäischem Recht ein eher altmodisches engli- Rechtsradikalen wieder: „Das ist fast täglich hier, obwohl sie der anderen, haben sich seit und ihrem Job als Leiterin ei- sche Wort, dass so viel wie Ha- sind wir nicht, wir sind mode- „Es ist nicht nicht aus London kommt. Auch lunken bedeutet. Ein „Brexit nur rat und politisch in der Mitte“, sie logiert bei Freunden. dem Namen nach“, das würde versichert David und blickt in das ganze So wie Ruth Fryer, 66, eine Anzeige ihr und denen, die sie vertritt die Richtung einer Gruppe von verdammte Volk, ehemalige Englischlehrerin, nicht zusagen, denn „das sei Leuten in gelben Schutzwesten. die fast so lange wie Steven Bray nicht das, wofür die Mehrheit „Schaut euch dieses Video das für den hier vor Ort ist. „Das war alles des Volks gestimmt hat“. Sie be- an“, fordert eine ältere Frau in Brexit gestimmt nicht geplant, sondern Zufall. hauptet, dass normalerweise der Gruppe die anderen auf. „Ich sagte nach dem Referen- auch andere Europäer hier mit Für ihr Alter hat sie einen har- hat. Deshalb dum: Es ist nicht das ganze ver- ESSEN POLITISCH! ihr stünden, auch wenn gerade ten Look. Sie ist an die 60, trägt bin ich hier“ dammte Volk, das für den Brexit IST keine da seien. Endlich hupt kurze Haare, eine Bomberjacke, gestimmt hat. Deshalb bin ich auch ein Auto. ihre Stimme ist tief. Auf ihrem Ruth Fryer, Aktivistin hier.“ Hat sie hier vor dem Parla- An einer anderen Stelle steht Handy läuft die Szene mit Sou- ment Neues gelernt? „Ja, wir sind Harry Todd, 27, bebrillt, überge- bry in Zeitlupe. „Es sieht so aus, oft zu freundlich in England. Es wichtig und mit blauer original als ob einer der Männer einem gibt Momente, etwa wenn wir „Leave-Means-Leave“-Jacke so- anderen was zusteckt“, sagt sie. sperrung zum Medienbereich von den Rechtsgerichteten an- wie entsprechender Fahne aus- „Man hat uns das mit dem Na- Steven Bray, 49. Er gehört nicht gemacht werden, wo man stand- staffiert. Jemand macht neben zizeug angehängt, durch Leute zu den „Gelbwesten“, sondern haft und klar sein muss.“ WIR HABENES SATT! ihm ein Selfie. Todd gibt sich als die absichtlich provozierten, trägt einen blauen Zylinder- Gegen Nachmittag steigt die Organisationsleiter für „Leave- um uns einen schlechten Na- hut mit den Worten „Stop Bre- Anzahl der Menschen, die vor Means-Leave“-Kampagnen zu men zu geben“ ergänzt ein xit“ und eine mit gelben Ster- dem Parlament zusammen- erkennen. Seit Anfang der Wo- dicklicher Mann, Mitte 50, auf nen versehene britischen Fahne. kommen. Man muss sehr ge- che läuft die Aktion Outrage, ein dessen gelber Weste ein großer Bray ist das bekannteste Gesicht nau hinschauen, um erkennen Demo Spiel mit dem Wort out, das sym- Union Jack zu sehen ist. Keiner der EU-Befürworter*innen. Bei zu können, zu welcher Seite sie 12 Uhr bolisch für den Brexit steht, zu- von den etwa zehn Versammel- Fernsehübertragungen stellt gehören. Und nur in einer Sa- Brandenburger tor, Berlin gleich kann aber Outrage auch ten möchte namentlich in der sich Bray seit siebzehn Monaten che sind sich alle einig: Mit dem

2019 Frevel bedeuten. Mit Hilfe von Presse erwähnt werden: „Wir beständig in den Hintergrund. Absegnen eines May-Deals wäre www.wir-haben-es-satt.de 19.1. Outrage sollen vor der Abstim- trauen euch nicht mehr“, sagen Er stammt aus Devon im Westen am Dienstag kaum jemand zu- mung im Parlament alle Bre- sie. Samstag wollen die „Gelb- Englands. Durch seine Präsenz, frieden.  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende politik 05 Das Montage: taz Montage: der Lebensmittel

Ist das gesund? Lange Zeit wollten Hersteller und Händler von Lebensmitteln das lieber klein gedruckt beantworten. Doch ab diesem Monat drucken Danone und Iglo ein neues Nährwertlogo auf ihre Verpackungen. Fischstäbchen für alle! Guten Appetit!

reits seit 2006 Erfahrung haben. bei D. Ein E gäbe es etwa für stoffen zu legen. Lebensmittel- „Selbst eine Süßigkeit wie die haben schon im vergangenen Von Hanna Gersmann Sie zeigt, ob ein Produkte jeweils Ketchup, Schoko-Brotaufstrich expertin Carolin Krieger vom Nutella von Ferrero, die zu mehr Jahr Nutri-Score-Modelle ein- u Beginn ein biss- zu viel Fett, zu viel Salz, zu viel oder die klassische Coca Cola. Bundesverband der Verbrau- als der Hälfte aus Zucker und zu geführt. chen Reklame, sie Zucker pro 100 Gramm enthält. Das produzieren andere. Wa- cherzentralen, dem vzbv, for- knapp einem Drittel aus Fett be- Und Deutschland? Bundesa- stammt vom Dis- Rot steht für: Anteil ungesund, rum sollten die sich auf so ein dert deshalb Hersteller auf, es steht, hätte keine rote Ampel be- grarministerin Julia Klöckner counter Netto. Im gelb für mittel, grün für unbe- Fischstäbchen-ABC einlassen? Danone gleich zu tun: „Aber kommen“, sagt Foodwatch-Ex- (CDU) will bis zum Sommer ein Bild zu sehen sind denklich. Philipp Kluck, der das Iglo- nicht mit immer neuen Kenn- pertin Molling. Im November Modell vorlegen, äußert sich Zuckerkristalle, Mit Großbritanniens Austritt Marketing leitet, sagt: „Eine zeichnungen. Wir brauchen eine stoppten die Unternehmen die aber gern skeptisch gegenüber Zdie auf schwarzem Grund lie- aus der Europäischen Union sei Auszeichnung mit D oder E einheitliche Lösung.“ Initiative. Unilever räumt ein, vereinfachten Darstellungen. gen und ähnlich wie Kokain zu die Zukunft des Modells aber ist nicht schlimm.“ Eigentlich dass die „Unterstützung“ gefehlt Besonders eigenwillig ist ein schmalen Linien geformt sind. fraglich, meint Molling. Wissen- wisse doch jeder, dass der Germ- Julia Klöckner ist habe. Nestlé erklärt, dass die EU- Vorschlag der Italiener: Sie wol- Darunter steht der Slogan: „Das schaftler hielten es auch nicht knödel eine Süßspeise ist, also gern skeptisch Kommission nun im „Dialog“ len ein Bild in Form einer Batte- weiße Zeug tut dir nicht gut!“ mehr für das Beste. Sie favori- nichts für jeden Tag oder mit- Immerhin: Die großen Kon- ein „einheitliches System für die rie, die umso voller sein soll, je Ist Zucker so gefährlich wie sieren das französische Nutri- tags und abends.“ Bei der Kenn- zerne Nestlé, Mondelēz oder freiwillige Nährwertkennzeich- mehr Zucker im Produkt ist. Tat- Koks? Das ist ja allerhand, fand Score-System, weil es am „ver- zeichnung gehe es darum, dass Unilever wollten sich eigent- nung“ definieren solle. sächlich würde das wohl kaum die Wirtschaftliche Vereinigung ständlichsten“ sei. Es ist das Sys- der Verbraucher leicht erkennen lich eine eigene Ampel ausden- Molling wird sich am kom- einer als Warnung verstehen, Zucker, und schaltete ihrerseits tem, mit dem nun auch Danone kann, was er insgesamt in sei- ken, nannten das Modell „Evol- menden Mittwoch in diesen eher als plumpe Reklame: „Aus- eine Gegenanzeige: „Dealer ge- und Iglo arbeiten. nen Einkaufskorb legt, „um sich ved Nutrition Labelling“, schlos- Dialog einmischen. Länder wie gebrannt? Hiermit lädst du dei- sucht? Dann geh doch zu Netto!“ Der Unterschied zur Ampel: einen ausgewogenen Essenplan sen dafür mit Coca-Cola, Pepsi Belgien oder Spanien hat sie nen Akku wieder auf!“ Dann lie- Dazu erklärte der Lobbyverband Es gibt für die Zutaten nicht je- machen zu können“. und Mars eigens eine Allianz. mittlerweile auf ihrer Seite. Die ber das Fischstäbchen-ABC. der Zuckerindustrie: „Lebens- weils eine Bewertung, sondern Tatsächlich haben die Deut- mittel und Drogen auf eine eine für alles zusammen. Da- schen ein Problem. Zwei Drittel Stufe zu stellen schadet. Allen.“ für beschränkt sie sich nicht der Männer und gut jede zweite Anzeige Jahrelang hat sich die Nah- auf Grün, Gelb, Rot, sondern Frau in Deutschland gelten als rungsmittelindustrie darauf hat fünf Stufen, ergänzt durch übergewichtig oder adipös, also konzentriert, Produkte mit viel Buchstaben: Vom dunkelgrünen fettleibig. Bluthochdruck, Pro- Zucker, Salz, Fett verlocken- A für günstige Nährwerte, über bleme mit Herz, Kreislauf, den der zu machen – und die Kun- ein gelbes C bis zum roten E. Gelenken und Diabetes drohen. »Wer sich nicht bewegt, spürt den süchtig. Die Branche setzt Ernährungsexperten haben Das hängt nicht allein mit dem knapp 160 Milliarden Euro um. dafür ein Punktesystem entwi- Essen zusammen, aber auch. Rosa Luxemburg Ihre Lobby wehrte jeden Ver- ckelt, bei dem günstige und un- Verbraucher ahnen oft nicht, seine Fesseln nicht.« such ab, die Verbraucher vor Un- günstige Nährwertbestandteile was in ihren Mahlzeiten steckt. gesundem per Gesetz oder Vor- bewertet und dann verrechnet In einer Studie des Max-Planck- schrift zu schützen. Doch die werden. Plus gibt es für Ballast- Instituts für Bildungsforschung ersten Handelskonzerne sche- mit mehr als 300 Eltern-Kind- ren aus. Und mit ihnen die ers- Paaren unterschätzten drei von ten Produzenten. Klassischen vier Eltern den Zuckergehalt Die Provokation von Netto von Lebensmitteln, vor allem stammt bereits aus dem vergan- Fischstäbchen in Fruchtjoghurt oder Orangen- genen Sommer. Und jetzt zieht sind B, saft. Und das ist nur ein kleines Danone nach, einer der größten Segment. 100. Todestag von Lebensmittelproduzenten welt- Germknödel Ein klassischer Rewe- oder Rosa Luxemburg weit: Er druckt ein neues Nähr- landen bei D. Edeka-Supermarkt führt knapp wertlogo auf die Verpackungen 10.800 verschiedene Artikel. am15. Januar 2019 seiner Joghurts, Puddings, sei- Ein E gäbe es Und durch die oft klein ge- ner insgesamt 70 Molkereipro- etwa für Ketchup schriebene Nährwertalgebra dukte. Ab diesem Monat kom- auf der Rückseite der Packun- men sie Schritt für Schritt in gen steigen wohl nur die wenigs- die deutschen Kühlregale. Tief- ten durch. Im Schnitt essen die kühlkosthersteller Iglo macht Deutschen pro Tag 100 Gramm das ebenso für seine Fischstäb- Zucker, das sind 24 Teelöffel. Die chen, seinen Spinat und so fort. Weltgesundheitsorganisation Gewiss ist das auch gute Wer- Archiv Foto: (WHO) rät, sich auf 6 Teelöffel bung, aber es sieht nach mehr zu beschränken. Beim Salz sieht aus. Denken diese Firmen etwa stoffe, Proteine, Obst und Ge- es nur wenig besser aus. Davon ernsthaft um? müse, Minus für einen hohen essen in Deutschland Män- „Ja, denn sie üben Druck auf Gehalt an Kalorien, Zucker, Fett ner 10 Gramm am Tag, Frauen alle aus, die anderen der Bran- oder Salz. 8,4 Gramm. Die WHO empfiehlt 832 Seiten che, die Politik“, sagt eine, die es Die französische Regierung 5 Gramm, also einen gestriche- € 32,– [D] wissen muss. Luise Molling be- hat Nutri-Score schon 2017 ein- nen Teelöffel. Auch als E-Book obachtet für die Verbraucher- geführt, allerdings die Unter- Die Ernährungsbranche steht organisation Foodwatch, wie es nehmen nicht verpflichtet, es unter Druck. Das zeigt sich in um gesundes Essen steht, gilt als zu nutzen, das kann nur die EU. Frankreich. Dort verlangen Su- eine der strengsten Kritikerin- Im vergangenen Sommer hat permarktketten wie Carrefour, nen der Branche. Nächste Woche die französische Gesundheits- Auchan oder Intermarché, dass reist sie nach Brüssel, wird bei behörde eine Umfrage dazu ge- peu à peu ein Nutri-Score die der Europäischen Kommission macht: 91 Prozent der Franzo- Verpackungen ziert. Sie müssen werben, ein Nährwertlogo EU- sen finden das Modell demnach ihre Produktion dafür nicht um- osa Luxemburgs Freiheitsbegriff und ihr unbedingter Internationalismus weit zur Pflicht zu machen. Es unterstützenswert. Mittlerweile stellen, keine Rezepturen neu er- ließen sie zur Ikone des weltweiten Protests der 1968er-Bewegung werden. ist nicht das erste Mal, aber dies- drucken es dort 85 Hersteller auf finden. Ihnen kann im Grunde RIn ihrer Gedanken- und Ideenwelt ist vieles zu finden, was auch heute, in mal „könnte sich mehr tun“, sagt ihre Waren. Auch Danone. egal sein kann, was sie verkau- einer Zeit des wiedererwachenden Nationalismus, anregend und wichtig ist. sie. Für sie läuft es jetzt besser Es nach Deutschland zu ex- fen, solange sie es verkaufen. als noch vor wenigen Monaten. portieren ist für Danone ver- Und Kunden werden aufmerk- Die erste Darstellung, die in Kenntnis des Gesamtwerks von Rosa Luxemburg und gleichsweise einfach. Es be- samer. auf der Basis vieler neuer Quellen geschrieben worden ist. Wie viel Zucker ist im Saft? kommt für kein Produkt ein In einer Forsa-Umfrage für Das weiß nur jede Vierte rotes E. Iglo auch nicht. Die den Ernährungsreport 2019, Zahlreiche Veranstaltungstermine von Prof. Ernst Piper und Leseprobe In der Hauptstadt Europas wird klassischen Fischstäbchen sind den Bundesagrarministerin Ju- seit langem über eine leicht ver- B, jene mit Vollkornpanade so- lia Klöckner in dieser Woche vor- unter www.blessing-verlag.de/piper ständliche Kennzeichnung ge- gar A, die mit Backteigpanade C. gestellt hat, gaben 84 Prozent stritten. Bisher ging es viel um Und die Germknödel des Ham- der Bürger an, großen Wert auf die Ampel, mit der die Briten be- burger Unternehmens landen Angaben zu Inhalts- und Zusatz- sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  06 politik taz am wochenende

Milliarden Euro im Plus: So lautet die Bilanz des Bundeshaushalts 2018. Der Über­ schuss ergibt sich aus mehr Steuereinnahmen und weniger Investitionen. Ein Großteil des Geldes soll in die Umsetzung des Ganztagsschulprogramms und die Finanzierung der steuerlichen Forschungsförderung in Unternehmen fließen, hieß es am Freitag. 11,2 Quelle: Reuters Alternative fürs die drei fragezeichen -Milieu „Nur mit der Zange in den Konkurrenz von noch weiter rechts: AfD-Spitze Kochtopf“ hält Poggenburgs Abspaltung für bedeutungslos taz am wochenende: Die Führung der AfD gab sich An jedem zweiten Aus Riesa Sabine am Orde in Riesa gelassen. „Ich wünsche Hähnchen im deut- er Zeitpunkt zumin- André Poggenburg persönlich 1 schen Handel wurde dest war gut gewählt. alles Gute. Sein neues politi- 2017 der Durchfallerreger Kurz bevor die AfD am sches Projekt ist nach meiner Campylobacter gefunden. Freitag im sächsischen Überzeugung ein aussichtslo- Friedens­ Wie kommt der dorthin? D gipfel: Sahra Riesa zum Bundesparteitag zu- ses“, sagte Parteichef Jörg Meu- Wiebke Franz: Der lebt sammenkam, um in den kom- then der dpa. Ähnlich äußerte Wagenknecht zunächst im Darm der menden vier Tagen ihr Wahl- sich auch der Co-Vorsitzende und Katja Hühner. Wenn sie bei programm zur Europawahl zu : „Poggen- Kipping der Schlachtung zerlegt verabschieden und ihre Liste burg hat keinerlei Resonanz in haben sich werden, kann der Erreger zu komplettieren, verkündete der Partei. Ich halte es für sehr wieder lieb. an die Oberfläche der Tiere André Poggenburg seinen Aus- unwahrscheinlich, dass jemand Irgendwie gelangen. Werden dann die Foto: tritt aus der AfD und die Grün- aus der Bundestagsfraktion ihm gleichen Messer oder Abla- Jörg Carsten- dung einer neuen Partei. Diese in die politische Bedeutungslo- geflächen verwendet, kann sen/dpa soll bereits bei den Landtags- sigkeit folgen wird.“ er von einem Hähnchen wahlen in Sachsen, Branden- „Jede Abspaltung schadet auf das nächste übertragen burg und Thüringen im Herbst uns“, gab dagegen der sächsi- werden. antreten. Aufmerksamkeit also sche Landeschef Jörg Urban ge- war garantiert. genüber der taz zu. „Aber die 2011 waren noch nur Die neue Partei, für die Pog- Wähler wissen: Stimmen für Burgfrieden 30 Prozent der Hähn- genburg bislang ein gutes Dut- Splittergruppen sind verlorene chen im Handel be- zend Mitstreiter haben will, Stimmen.“ Der sächsische Bun- 2 troffen. Warum sind heißt „Aufbruch deutscher Pa- destagsabgeordnete , in der Linken es heute so viele mehr? trioten“, kurz AdP, das Partei- der selbst am ganz rechten Rand Das liegt an der Massentier- symbol ist eine Kornblume. Dies der AfD steht, hat da mit Blick haltung. Wenn die Hühner macht auch die Richtung klar, auf die sächsische Landtags- Bei ihrer Klausur vertagt die Linksfraktion ihre sehr dicht gehalten wer- in die es gehen soll: Die blaue wahl im September mehr Be- den, bekommen sie auch Blume war das geheime Erken- denken. „Ein Teil des Pegida-Mi- Konflikte – und fordert eine neue Arbeitslosenhilfe dieselben Krankheiten – sie nungszeichen österreichischer lieus könnte in diese Richtung was für deutlichen Unmut in der Partei tappen ja im selben Kot. Aus Berlin Martin Reeh Nationalsozialisten. Anders als abgleiten“, sagte Maier der taz. gesorgt hatte. Auch Antibiotika wirken und Anna Lehmann die bisherigen AfD-Abspaltun- „Das kann uns Stimmen und Umgekehrt waren die Abwahlpläne nicht mehr, weil die Tiere gen der Ex-Parteichefs Bernd schließlich den Sieg kosten.“ ie Linkspartei geht mit gegen Wagenknecht schon vor der Ta- resistent geworden sind. So Lucke und kriti- Das Ziel der AfD ist es, in Sach- der Forderung nach ei- gung abgeräumt worden. Auch der Wa- verbreiten sich die Erreger siert Poggenburg die Partei von sen stärkste Kraft zu werden. ner Wiedereinführung genknecht-Kritiker , der immer schneller. rechts. Nun könnte sie von zwei Seiten der früheren Arbeitslo- Ende 2018 zwischenzeitlich mit seinem Poggenburg, der 2016 als Spit- Konkurrenz bekommen: von Pe- senhilfe in das Wahljahr Austritt aus der Fraktion gedroht hatte, Wie gefährlich ist zenkandidat bei der Landtags- trys Partei „Blaue Wende“ und 2019. Sie soll für alle gel- zeigte sich am Ende der Klausur zufrie- das für die Konsu- wahl in Sachsen-Anhalt mit 24,3 von Poggenburgs AdP. Dten, die mehr als 20 Jahre in die sozialen den: „Es war eine gute Tagung, bei der menten – und was Prozent das bundesweit bislang André Poggenburg selbst gibt Sicherungssysteme eingezahlt haben, die realen Probleme und auch die Diffe- 3 können sie tun? beste Ergebnis für die AfD einge- sich optimistisch: „Dass wir die sagte Fraktionschefin Sahra Wagen- renzen auf den Tisch gekommen sind“, Kommt ein gesunder fahren hat, war lange Zeit neben Fünfprozenthürde im Osten knecht zum Abschluss einer zweitä- so Nord zur taz. ­Erwachsener mit dem Er- Björn Höcke der zweite starke schaffen, davon gehen wir aus“, gigen Klausurtagung in Berlin. „Wenn Endgültig beigelegt sind die Pläne, reger in Kontakt, bekommt Mann in der rechten Strömung sagte er der dpa. Als Begrün- man 50 oder 55 Jahre alt ist, ist es nicht Wagenknecht als Fraktionschefin ab- er meist unangenehmen, innerhalb der AfD, die sich dung für seinen Schritt nannte mehr so einfach, einen Job zu bekom- zulösen, allerdings nicht. Im Herbst, aber harmlosen Durchfall. selbst „der Flügel“ nennt. Dass er einen vom Bundesvorstand men“, sagte sie. Der neue Vorschlag soll vor der Landtagswahl in Thüringen, In Ausnahmen kann es zu es schließlich zum Zerwürfnis angeblich forcierten „Links- helfen, auch in solchen Fällen den Le- steht die reguläre Neuwahl der Frakti- schlimmeren Erkrankun- kam, hatte weniger inhaltliche ruck“ der AfD, um einer Beob- bensstandard einigermaßen zu halten. onsspitze an. In der Partei gibt es Über- gen wie Nervenstörungen Gründe, eher ging es um Fragen achtung durch den Verfassungs- Die alte Arbeitslosenhilfe war mit Ein- legungen, diese auf einen Termin nach kommen, besonders bei des Stils und der Macht. schutz zu entgehen. führung der Hartz-IV-Gesetze unter der Landtagswahl zu verschieben. Das Menschen, deren Immun- Rot-Grün abgeschafft worden. würde Wagenknechts Chancen min- system geschwächt ist: Bei der Tagung wurde der Wille der dern, weil die Fraktion dann nicht mehr Hochbetagte, Kleinkinder, Linkspartei deutlich, die Grabenkämpfe zur Geschlossenheit gezwungen wäre, ­Schwangere und stillende was macht die bewegung? um Flucht und Migration des vergange- um die Wiederwahl von Ministerpräsi- Mütter. Alle Konsumen- nen Jahres hinter sich zu lassen. 2019 dent Bodo Ramelow nicht zu gefährden. ten sollten Geflügel gut wird in , Brandenburg, Sachsen Auch die Europawahl im Mai stand ­durchgaren und es mit Samstag, 12. Januar und Thüringen gewählt, dazu kommen auf der Tagesordnung der Klausurta- Wiebke Franz, einer Zange in den Koch- Riesa | Gegen den AfD-Parteitag die Europawahlen. „Wir haben in Europa gung. Bisher zeichnet sich ab, dass die 56, ist topf werfen. Bitte nicht Aus ganz Deutschland reisen an diesem Wochenende Menschen in einen Kulturkampf von rechts. Wenn in traditionellen Differenzen in der Links- Ernährungs­ waschen, sonst könnte die die sächsische Stadt Riesa, um gegen den dort von der AfD expertin der einer solchen Situation die Linke meint, partei zwischen denen, die an eine Re- Spüle kontaminiert wer- geplanten Parteitag zu protestieren. Bei den Bundestagswahlen Verbraucher­ sich in Detailfragen zerstreiten zu müs- formfähigkeit der EU glauben, und de- den. Sollte das Hühnchen 2017 wurde die AfD in diesem Wahlkreis in der Auszählung der zentrale Hessen sen, nimmt sie ihre Verantwortung nen, die daran zweifeln, nicht zu hefti- verschmutzt sein, lieber Erststimmen auf den zweiten Platz hinter die CDU gewählt. Eine nicht wahr“, sagte Wagenknechts Ko- gem Streit führen werden. mit einem Papiertuch Gewöhnung an die chauvinistischen bis nationalistischen Stand- Fraktionschef . Deshalb Laut einer Insa-Umfrage vom Dezem- abtupfen und dieses an- punkte der Partei im Politikalltag wollen viele Menschen in Riesa stimmte auch Wagenknecht einem Be- ber 2018 erhielte die Linkspartei bei der schließend sofort wegwer- jedoch nicht unwidersprochen lassen. 13 Uhr, Bahnhof Riesa schluss der Fraktion zu den „Unteilbar“- Europawahl 9,5 Prozent. Das ist für die fen. Hygiene ist wichtig, Freiburg | Außer Kontrolle gegen neue Polizeigesetze Demonstrationen zu, der die Aktionen Partei, die bei Europawahlen traditio- denn es reichen schon sehr Auch in Baden-Württemberg fordert beispielsweise die CDU eine unterstützt. Noch im letzten Jahr hatte nell schlechter abschneidet als bei den kleine Erregermengen für Verschärfung des Polizeigesetzes. Die Befürchtung der sie den Aufruf zu der großen Demons­ Wahlen zum , ein positives eine Infektion aus. Kritiker*innen: Mit der Verschärfung werde ein Rückbau von

tration gegen rechts in Berlin kritisiert, Zeichen. privat Foto: Interview: Jana Lapper Freiheitsrechten vorangetrieben. Dagegen will man sich mit einer Demonstration positionieren. 17 Uhr, Platz der Alten Synagoge/ Theatertreppe Montag, 14. Januar | Aufruf 2019 Noch ein Polizist mit Neonazi-Verbindungen „Gesellschaft gestalten, statt Ängste zu verbreiten; Probleme lösen, würfe aus seiner Zeit in Hessen. Die Linken- protokollen der Tatverdächtigen, so die SZ, statt Sündenböcke zu schaffen; Demokratie leben, statt sie Von Christoph Schmidt-Lunau fraktion im hessischen Landtag beantragte ergebe sich, dass sie ein Beamter aus Hes- auszuhöhlen“, das sind die formulierten Ziele des Bündnisses as hessische Landeskriminalamt eine Sondersitzung des Innenausschusses. sen mit Daten aus dem Polizeicomputer be- „Aufruf 2019“. Die Initiatoren wollen die Bevölkerung im Jahr der hat am Freitag gegenüber der taz Die SZ hatte zuvor berichtet, im Straf- liefert habe. „Das Netzwerk rechtsradikaler sächsischen Landtagswahl zu mehr demokratischem Engagement einen Bericht der Süddeutschen verfahren gegen zwei mutmaßliche Ge- Polizisten in hessischen Polizeidienst ist of- animieren. Dafür plant das Bündnis für das gesamte Jahr partizipa- Zeitung (SZ) zurückgewiesen, nach walttäter aus der Neonaziszene vor dem fenbar größer als bekannt“, folgert die SZ. tive Projekte. Den Auftakt markiert eine Demonstration am Montag D dem gegen einen weiteren Polizisten aus Landgericht Halle in Sachsen-Anhalt von Ende 2018 hatte sich herausgestellt, dass durch die Leipziger Innenstadt. 18 Uhr, Nikolaikirchhof Hessen wegen der Weitergabe von Daten an Ermittlungen gegen den Beamten erfah- fünf BeamtInnen der Frankfurter Polizei Dienstag, 15. Januar Neonazis ermittelt werde. Der Beamte sei ren zu haben. Die Angeklagten werden über das Internet Hitlerbilder, Haken- Dresden | Wie weiter in Brasilien? seit 2017 in Niedersachsen beschäftigt. Das beschuldigt,mit ihrem Auto in Halle Men- kreuze und fremdenfeindliche Parolen Nach dem klaren Wahlsieg des Rechtsextremen Jair Bolsonaro dortige Innenministerium teilte der taz da- schen gejagt und zwei Wanderer schwer ausgetauscht hatten. Diese Chatgruppe war steht die brasilianische Demokratie vor ihrer härtesten Bewäh- gegen mit, der beschuldigte Beamte arbeite verletzt zu haben. Ihre T-Shirts trugen den bei Ermittlungen zu einem Drohbrief ge- rungsprobe seit dem Ende der lateinamerikanischen Militärregime. zwar seit April 2017 in Niedersachsen, die Schriftzug „Aryans“ (Arier) und die rassisti- gen eine Rechtsanwältin aufgeflogen, der Wie wird es mit Bolsonaro weitergehen? Das diskutiert Gerhard Ermittlungen bezögen sich jedoch auf Vor- sche Parole „Support Your Race!“ Aus Chat- mit „NSU2.0“ unterschrieben war. Dilger in der „Wir AG“. 18 Uhr, Martin-Luther-Straße 21  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende politik 07

länderkunde In Myanmar hat ein Gericht die Berufung von zwei Reuters- zeitpunkt Journalisten gegen ihre jeweils siebenjährige Haftstrafe we- Myanmar gen des „Verrats von Staatsgeheimnissen“ abgelehnt. Die Rich- 14. Januar 2009 ter befanden, die Verteidiger hätten nicht genug Beweise für Genau zehn Jahre ist es her, dass CDU und SPD die Ab- die Unschuld der beiden Journalisten beigebracht. Deshalb wrackprämie einführten: 2.500 Euro für all jene, die ihr Altauto sei das Urteil „eine angemessene Strafe“. Die Reporter können zugunsten eines neuen verschrotteten. Wäre der Diesel noch Revision vor dem obersten Gerichtshof einlegen. (epd) damals schon ein solch großer Aufreger gewesen …

Trump droht Neues Sozialsystem ist lahmgelegt mit „nationalem Notstand“

Das kontroverse „Universal Credit“ soll Großbritanniens Sozialleistungen bündeln. Doch es hakt mal wieder Im Streit über den Mauerbau gen in einer einzigen monatli- Das alles hängt womöglich an der Grenze zu Mexiko hat Aus London chen Auszahlung bündeln. Ne- mit den Brexit-Vorbereitungen US-Präsident Donald Trump Daniel Zylbersztajn ben 8 Milliarden Pfund (9 Mil- zusammen: Derzeit laufen Ver- erneut mit der Ausrufung ei- ie lange geplante liarden Euro) an Einsparungen handlungen mit der Labour-Par- nes nationalen Notstands ge- und äußerst kont- sollte UC die Empfänger*Innen tei und den Gewerkschaften, um droht. Er habe das „uneinge- roverse ­Sanierung eigenverantwortlicher machen Mays Brexit-Deal zu retten. Der schränkte Recht“ dazu und des britischen So- und so 300.000 Arbeitslosen zuständige parlamentarische wolle im Verlauf der nächs- zialleistungspro- zur Arbeit verhelfen. Doch be- Ausschuss bemängelte wieder- ten Tage „sehen, was pas- gramms ist wie- reits 2013, also von Anfang an, holt UC und nannte Aspekte siert“, sagte er am Donners- Dder lahmgelegt. Die konserva- gab es technologische und ad- davon grausam. Am Dienstag tag im Sender Fox News. Bei tive Arbeitsministerin Amber ministrative Problemen. So blieb stimmt das britische Unterhaus einem Besuch an der Grenze Rudd kündigte Änderungen an UC lange im Teststadium für nur über das von Premierministerin verurteilte er abermals die il- dem „Universal Credit“ (UC) ge- wenige Zehntausend Menschen. Theresa May mit der EU ausge- legale Einwanderung. Wegen nannten System an und will Immer wieder traten Probleme handelte Austrittsabkommen ab des anhaltenden Streits mit die weitere Umstellung darauf auf – und es gab heftige Kritik. – kaum jemand geht von einer den Demokraten über den fürs Erste stoppen. Rudd sprach Als problematisch erwies sich Mehrheit für den Vertrag aus. Haushalt und den Mauerbau davon, dass das System „mehr insbesondere eine sechswö- Obendrein hat das Ministe- sagte Trump überdies seine Mitgefühl“ haben müsse und chige Übergangslücke zwischen rium für Arbeit und Rente ge- Teilnahme am Weltwirt- momentan noch nicht richtig den alten Sozialleistungen und rade einen Gerichtsfall vor dem schaftsforum in Davos ab. funktioniere. Nach diesen Ver- dem neuen System,sodass Men- britischen High Court gegen Der Streit über die Mauer- besserungen solle das neue Pro- schen teilweise mittellos dastan- vier alleinstehende Mütter ver- Finanzierung hat die Verab- gramm dennoch bis 2023 im den. Zudem sieht UC ein Limit loren, die wegen UC „noch nicht schiedung eines neuen Haus- ganzen Land eingeführt werden. vor, sodass Familien mit mehr einmal Socken für ihre Kinder haltsgesetzes durch den Kon- UC, eines der großen Pro- als zwei Kindern bei weiterem kaufen konnten und auf Lebens- gress verhindert. Die Folge jekte der seit 2010 konserva- Nachwuchs nicht noch zusätz- mittel-Tafeln angewiesen wa- ist ein seit drei Wochen an- tiv geführten Regierung Groß- liche Zahlungen für diesen be- ren“. Dabei ging es um die Me- haltender Stillstand eines britanniens, sollte eigentlich kommen. Letzteres soll sich än- thode, mit der die Höhe der Zah- Großteils der Bundesbehör- sechs verschiedene Leistun- dern, erklärte Rudd jetzt. lungen berechnet wird. den. Sollte die Haushalts- Laut Kritikern stürzt UC Familien in die Armut Foto: Boushnak/NYT/laif blockade über Samstag hin- aus andauern, würde sie zur längsten der US-Geschichte. Der nächste Rund 800.000 Bundesbe- Entspannter Waldspaziergang dienstete sollten am Frei- Warnstreik tag erstmals seit Beginn Jetzt also Frankfurt am Main. Der Polizei-Großeinsatz im Hambacher Wald ist vorerst vertagt. Will man doch die Ergebnisse der Sperre kein Gehalt aus- Für den kommenden Diens- gezahlt bekommen. Inzwi- tag hat die Gewerkschaft der Kohlekommission und des Gipfels bei Bundeskanzlerin Angela Merkel abwarten? schen mehren sich ihre Be- Verdi das Sicherheitsperso- Kerpen, des Kreises Düren und den der Kohlekommission zu Entscheidung treffen, wie es mit schwerden. Der Verband der Aus Köln Anett Selle nal an Deutschlands größten der Polizei selbst bei einer Be- einem Spitzentreffen geladen. dem Tagebau und dem Hamba- FBI-Beschäftigten nannte Flughafen zum Warnstreik igentlich sollte der Wald- gehung in dieser Woche gewon- Auch ist für Ende Januar die Ver- cher Forst weitergeht.“ die Lage „nicht tragbar“. US- aufgerufen. Damit dürfte ei- spaziergang am Sonn- nen hatten, mit der sie die Räu- öffentlichung erster Ergebnisse „Natürlich werden wir am Notenbankchef Jerome Po- nes der weltweit bedeutends- tag zu einer letzten Mo- mung vorbereiten sollten. „Die dieser Kommission angekün- Sonntag auch feiern“, sagt Kath- well warnte derweil vor er- ten Luftfahrtdrehkreuze an E bilisierung vor Beginn Lage hat sich geändert“, sagte digt, bis Ende März soll das Ver- rin Henneberger, eine Spreche- heblichem Schaden für die diesem Tag zwischen 2 Uhr des nächsten Großeinsatzes ge- ein Sprecher des Bauministe- waltungsgericht Köln über mög- rin von Ende Gelände. Die Or- US-Wirtschaft, sollte sich die früh und 20 Uhr weitgehend nutzt werden. Aber nun wird die riums der taz. Zunächst werde liche Rodungen im Hambacher ganisation hat gemeinsam mit als „shutdown“ bezeichnete lahmgelegt sein. Hinter- Begehung des letzten verbliebe- man sich die neuen Informati- Forst entscheiden. zahlreichen anderen Verbän- Haushaltssperre noch lange grund des Ausstands sind die nen Stücks Hambacher Wald am onen von den beiden Kommu- Dass der Großeinsatz diesen den wie AusgeCO2hlt und der hinziehen. Dann würde sich stockenden Tarifverhandlun- Braunkohletagebau Hambach nen berichten lassen. Entwicklungen vorgegriffen Aktion Unterholz zum Waldspa- die Finanzblockade in den gen für die rund 23.000 Be- vermutlich eher ein kleines Fest. Was an ihnen so brisant ist, hätte, hatten unter anderem ziergang aufgerufen. „Aber pri- Wirtschaftsdaten „ziemlich schäftigten der Flugsicher- Denn die für Montag angekün- ist nicht öffentlich. Möglicher- die Stadt Kerpen, der Kreis Dü- mär treffen wir uns, um deut- klar“ widerspiegeln, sagte heit. Verdi will einen ein- digte Räumung der Baumhäu- weise ist das Ministerium zu- ren und die NRW-SPD kritisiert. lich zu machen: Hände weg vom Powell. (afp) heitlichen Stundenlohn von ser ist auf unbestimmte Zeit ver- rückgerudert, um Zeit zu gewin- Nicht nur Besetzer*innen und Hambi!“ Wer den Wald räumen 20 Euro brutto durchsetzen, schoben. Das Bauministerium nen. Immerhin hat Bundeskanz- Umweltorganisationen begrü- wolle, lege sich mit der gesam- was je nach Bundesland eine von Nordrhein-Westfalen sagte lerin Angela Merkel (CDU) für ßen die Absage, sondern auch ten Klimabewegung an. „Im An- Anzeige Erhöhung zwischen 2,84 und den Einsatz vorerst ab. den 15. Januar die Ministerprä- die Gewerkschaft der Polizei gesicht der Klimakrise müssen 5,30 Euro bedeuten würde. Anlass sollen „neue Er- sidenten der vier Länder, in de- NRW: „Es ist Zeit für politisches wir raus aus der Kohle und un- Das Angebot der Arbeitge- kenntnisse“ sein, die nen noch Braunkohle abgebaut Handeln, nicht polizeiliches. Die sere alten Wälder schützen“, so ber liegt weit darunter. (pab) Mitarbeiter*innen der Stadt wird, sowie die vier Vorsitzen- Politik muss jetzt endlich eine Henneberger.

ütend sind die Bewohner ei- chen aber kein Problem habe, wirft ein Bei näherem Nachfragen stellt sich je- nes 8-stöckigen Wohnhauses Anwohner in die Runde. doch heraus, dass es bei diesen Kursen Stadtgespräch am Ende der Donezker Straße Schnell richtet sich die Wut auf die Poli- weniger um Weiterbildung als um Wahl- Bernhard Clasen in der ukrainischen Haupt- tik. Schuld an der Misere seien doch Bür- propaganda geht. Man lerne nicht nur mit Nr. 237 W (Januar/Februar 2019) aus Kiew stadt Kiew. Seit einer Woche haben sie in germeister Klitschko und Präsident Wi- Windows umzugehen, gibt Vika zu, son- Bad und Toilette kein fließendes Wasser. tali Petro Poroschenko, schimpft Vika. dern erfahre auch vieles aus dem Leben Schwerpunkt: Wie Verschwörer stehen zwei Dutzend Wasser, Strom und Heizung würden im- und der politischen Arbeit von Julia Timo- Sexualität Mieter im Flur des sechsten Stocks vor mer teurer, die kommunale Versorgung schenko. Und so habe sie sich überzeu- zwei geöffneten Wohnungen. Eine ältere immer schlechter. Wenn Julia Präsiden- gen können, dass Julia die Einzige sei, die • Psychosomatik Dame beklagt sich, mit was für einer sto- tin der Ukraine wäre, würde es derartige etwas für die sozialen Randgruppen tue. • Aufklärung • Homosexualität im ischen Gelassenheit Vermieter, Behörden Doch nicht alle auf dem Flur teilen Vi- Pflegeheim und Bekannte reagieren würden. kas politische Präferenzen. „Ich wähle den • Lustlosigkeit So habe der Vermieter sie mit der Be- So fühlen sich die Mieter Komiker Wladimir Selenski“, erzählt die Nur Wasser in merkung zu beruhigen versucht, das 25-jährige Olga. Die hagere Frau arbeitet außerdem: ganze Haus habe derzeit kein Wasser in wieder einmal im Haushalt eines berühmten ukraini- Risiken deutlicher kommunizieren – der Küche, aber Arzneimittelinformation zur „Pille“ Klos und Badezimmern. Sie solle bei der im Stich gelassen schen Fußballers. Sie sei bisher noch nie erweitert • Transsexualität und Hausverwaltung anrufen. Die habe ihr zur Wahl gegangen. Aber Selenski bringe Inklusion–Krankenkassen müssen auf nicht im Bad versprochen, das Problem in wenigen Schwung in den Laden. Der Mann habe die neue Behandlungsleitlinie reagieren Stunden zu beheben. Das Gespräch habe Schlampereien nicht geben. Vika spricht sein Geld redlich verdient, nicht mit Dieb- und im Klo: Wäre aber vor vier Tagen stattgefunden. von Julia Timoschenko, die derzeit in den stahl wie die Oligarchen Timoschenko Julia Timoschenko Eine Freundin in einem anderen Stadt- Meinungsumfragen für die Präsident- oder Poroschenko. Seit Jahren spielt der ist die unabhängige und kritische Zeitschrift teil hatte gemeint, es hätte auch schlim- schaftswahl am 31. März an der Spitze Komiker in der Serie „Diener des Volkes“ für alle Gesundheitsberufe. Präsidentin, mer kommen können. Sie habe schon ta- liegt. Julia, so die Rentnerin, habe verspro- ukrainischer Präsident. Dort macht er Einzelheft 8 Euro. gelang mit kalten Heizkörpern im Winter chen, die Preise für Gas, Strom und Hei- sich vor allem über Poroschenko lustig. Schnupperabo (sechs Ausgaben) nur 32 Euro. Abobedingungen und Prämien würde das sicher leben müssen. Als in ihrer Wohnung der zung um die Hälfte zu senken. Sie rät al- In der Neujahrsnacht wurde aus dem auf unserer Homepage: Strom für zwei Tage ausgefallen sei, habe len, für Timoschenko zu stimmen. Spiel Ernst. Da hatte Selenski erklärt, für www.mabuse-verlag.de nicht passieren sie sich auch nur dumme Bemerkungen Julia sei die Einzige, die etwas für die ar- das Amt des Präsidenten zu kandidieren. Kostenloses Probeheft bestellen! anhören müssen. men Teile der Bevölkerung tue. Ohne Julia Zunächst habe sie diesen Auftritt für eine So fühlen sich die Mieter wieder ein- wüsste sie nicht, wie ein Computer funkti- weitere Einlage der Sendung „Diener des Mabuse-Verlag Postfach 90 06 47 mal im Stich gelassen. Wie es sein könne, oniert. Doch Timoschenkos Partei organi- Volkes“ gehalten, gibt Olga zu. Doch der 60446 Frankfurt am Main dass das Wasser nur in Toiletten und Ba- siere ein kostenloses Bildungsprogramm Mann gefalle ihr, weil er die Herrschen- ☎ 069-70 79 96-17 [email protected] dezimmern nicht fließe, man in den Kü- für Rentner und andere Benachteiligte. den aus der Fassung bringe. sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  08 reportage taz am wochenende 09

natsgehalts zu kürzen und dafür auf Journalismus studiert. An das Arbeiten volontiert, arbeitet dann beim Freitag Über die betriebsbedingte Kündigungen zu ver- im damaligen Zentralorgan habe er und bei der taz und kehrte als Chefre- Redaktions- zichten. Die Linkspartei wollte das da- sich erst gewöhnen müssen. Die Seite dakteur zum nd zurück. konferenz wacht an mals nicht kommentieren. Laut Verdi eins wurde nachmittags an die Partei- Beide Personalien passierten unab- der Wand sind diese Pläne aber erst mal wieder führung geschickt. Oft schaute Erich hängig voneinander. Aber es gibt Pa- Peter Sodann vom Tisch. Honecker persönlich drüber. rallelen: Kipping und Strohschneider Fotos: Bis Sommer 2020 bestünde erst „Heute ist das alles anders“, sagt kamen als Erneuerer. Sie war 34, er 38 Wolfgang Borrs einmal eine gesicherte Grundlage für Wolfgang Hübner. Die Redaktion der Jahre alt, als sie ihre Posten antraten. das nd, sagt Geschäftsführer Matthias Zeitung ist jünger und diverser gewor- Kipping hat es geschafft, der Linken Schindler. Und dann? den. Viele Redakteure haben kaum Er- ein neues Image zu geben: jünger, hip- Armes Ein Teil der Mitarbeiter würde die innerungen an die DDR, weil sie beim per, kosmopolitischer. Strohschneider Zeitung am liebsten von einer Genos- Fall der Mauer zu jung waren oder in hat das nd von altem Muff befreit. Er senschaft getragen sehen, so wie bei der BRD geboren wurden. Es sind vor ließ ein frisches Layout entwickeln, riss der taz. Matthias Schindler hingegen, allem junge Redakteure, die im Laufe Wände ein, um Ressorts umzubauen. Die Tageszeitung „neues der Genossenschaftsprofi, hält nichts dieser Recherche immer wieder bitten, Er verstärkte die Onlineredaktion und deutschland“ steht seit Jahren davon. „Die Zeitung kann nur überle- man möge nicht mehr auf der SED-Ver- stellte junge Redakteure ein. Deutschland ben, wenn sie sich aus den Erlösen ih- gangenheit des Blatts herumreiten. immer wieder vor der Pleite. res Verkaufs wirtschaftlich trägt.“ Ein Hauch von Kaltem Krieg weht ge- Jetzt könnte es tatsächlich bald Eine Idee für die Zukunft, die die legentlich noch durch die Auslandsbe- Was ist es der Redaktion schon jetzt gestemmt hat, richterstattung. Da werden Putin und zu Ende gehen. Retten kann sie ist die neue Wochenendausgabe. Seit seine „Großmacht im Osten“ hofiert. Linkspartei wert, nur die Linkspartei. Was ginge Ende Oktober erscheint das nd sams- Aus Syrien berichtet Karin Leukefeld, tags in neuer Form: mehr Seiten, mehr die einzige deutsche Journalistin, die ihrem verloren, wenn es das „nd“ nicht Platz für Analysen, Hintergründiges in den Kriegsjahren eine offizielle Ak- Selbstverständnis mehr gäbe? und eigene Geschichten. Dafür ist die kreditierung vom Regime erhielt. Ent- Ausgabe unter der Woche dünner ge- sprechend Assad-freundlich lesen sich als Kämpferin für worden. Eine erste Bilanz zeigt: Die Wo- ihre Texte. Sie hat ihre Fans unter den Arbeitnehmer chenzeitung läuft nicht so schlecht. nd-Lesern, genau wie der prorussische 2.000 neue LeserInnen hat das nd da- Kurs einiger Altredakteure. Das kann gerecht zu werden? mit gewonnen, fast die Hälfte davon man in den Leserbriefen nachlesen. jünger als 40, mehr Westdeutsche als Ingeborg Schimmelpfennig über- Ostdeutsche. fliegt den Politikteil nur. Am meis- Die Frage ist, warum es die Partei ge- Die jungen RedakteurInnen versu- ten interessiert sie der Kulturteil. Sie schafft hat, eine neue Klientel zu ge- chen mittlerweile, im Netz auch mit kommt ins Schwärmen, wenn sie da- winnen, die Zeitung aber nicht. Viel- den großen Verlagen mitzuhalten: von spricht. leicht, weil Wähler nicht dasselbe sind Während der G20-Proteste in Ham- Regelmäßig fährt Schimmelpfennig wie Leser. Junge Leute haben noch nie burg berichteten sie live über mehrere auch auf Leserreisen, die die Zeitung viel Geld für Journalismus bezahlt. Tage, gerade haben sie mit Supernova anbietet. Vergangenen Mai war sie bei Ralf Hoffrogge beobachtet in seinem ein linkes Onlinemagazin gegründet, einer nd-Exkursion nach Schulzenhof Freundeskreis, dass viele ausschließ- Aus Berlin und Grünheide Anne Fromm einen Videoredakteur und Datenjour- dabei, einem Ort im Norden Branden- lich online „für lau“ lesen. Er selbst hat nalist eingestellt. burgs, wo die DDR-Schriftsteller Erwin ein Print- und Digitalabo des nd, liest s gibt niemanden, der In- Zu DDR-Zeiten, als das nd noch Pro- gödie: Die Sozialistische Einheitspartei Es gibt auch einen Teil der Leser- Nacheinander stellen die Redak- So steht es in einem Antrag, den der Das Grundstück, auf dem das Ver- Doch auf dem Weg in die Zukunft und Eva Strittmatter lebten. aber vor allem die gedruckte Zeitung. geborg Schimmelpfennig pagandaorgan war, arbeiteten dort Deutschlands ist geschaffen“, lautet der schaft, der nicht mit der DDR-Ge- teure ihre Themen vor: In Berlin steht Linken-Vorstand beim Parteitag im lagsgebäude steht, gehört mehrheit- steht dem nd wohl auch seine Ver- Weil es so schlecht um das nd steht, Hoffrogge wünscht sich eine FAZ von so lange begleitet wie ihre mehr als 500 Menschen, 1 Million Ex- erste Satz im SED-Zentralorgan. schichte der Zeitung verknüpft ist. die #unteilbar-Demo an, in der Tür- Juni 2018 in Leipzig angenommen hat. lich dem Verlag Neues Deutschland. gangenheit im Weg. Der Name neues wirbt Schimmelpfennig in ihrem links: „Die sind meinungsstark, setzen Zeitung. „Mein n d “, sagt emplare wurden täglich verkauft, über- Schimmelpfennig tritt in die SED ein Leute wie Ralf Hoffrogge. Mit seinen kei ein Deutscher vor Gericht, ein Film Zähneknirschend von manchen, heißt Das wollen Linkspartei und die Com- deutschland schrecke viele ab, sagt Freundeskreis für Abos. Nur wird der Themen und stehen zu ihrem bürger- sie, wenn sie über das neue regionale Konkurrenz gab es praktisch und lernt Margot Honecker kennen, die 38 Jahren ist Hoffrogge einer der jün- über schwule Fußballer startet in den es dazu aus Vorstandskreisen. Denn die munio ändern, so dass sie beide künf- Chefredakteur Wolfgang Hübner. Die Freundeskreis immer kleiner. lich konservativen Image.“ So eine Ge- deutschland spricht. nicht. Heute sind es bei 100 Mitarbei- da noch Feist heißt. Schimmelpfennig geren Abonnenten des nd. Und er hat Kinos, in Bamberg, Koblenz und Pots- Frage, wie die Linke ihrer Verantwor- tig direkt mehr Anteile an der Grund- einen denken bei dem Klang noch im- Die Linke hat in den vergangenen radlinigkeit für den Sozialismus sähe ESchimmelpfennig ist 89 Jahre alt, tern noch gut 22.000 Exemplare, Ten- und sie bauen in Halle den Jugendver- zwei Antworten darauf gefunden, wie dam beginnen Prozesse gegen Neo- tung als Gesellschafterin der Zeitung stücksgesellschaft besitzen würden. mer an DDR-Zeiten, und die anderen, Jahren im Westen viele neue Wähler er gern beim nd. Witwe und lebt allein in ihrem Haus denz sinkend. bund FDJ auf. Dann geht Schimmel- er seiner kriselnden Zeitung helfen nazis, ein großer Text soll die Hinter- nachkommt, ist umstritten. Passiert ist das bis heute nicht. Die junge Linke, vermuten bei dem Wort gewonnen. Vor allem in einem urba- Das sind hohe Ansprüche an eine am Rand des Dorfs Grünheide in Ost- Alle Tageszeitungen kennen diese pfennig nach Leipzig, um zu studie- will. Die erste: Wenn er in Bochum aus gründe zu dem in einer Gefängniszelle Den Antrag für den Parteitag hatten Gesellschafter seien gerade in der Dis- „Deutschland“ eine Rechtspostille. nen, akademischen, exgrünen Milieu. schrumpfende Zeitung. Ende 2017 brandenburg. Es ist dunkel in dem Entwicklung. Nur läuft sie beim nd ren, sie will Lehrerin für Marxismus- dem Zug steigt, wo er an der Univer- in Kleve verbrannten Syrer beleuchten. Genossen auch im Namen der Redak- kussion über eine Neuausrichtung der Deswegen heißt die neue Wochen- Es ist, in Parteiflügeln gesprochen, das gab Tom Strohschneider das Amt des Haus. Die hohen Nadelbäume, unter schneller ab, weil die Leserschaft älter Leninismus werden. „Den SED-Duktus sität Geschichte lehrt, lässt er sein nd Besprochen werden auch Kommen- tion des nd eingebracht. Sie wehrt sich Grundstücksgesellschaft, sagt der heu- endausgabe auch nur noch nd Woche. Milieu von . Chefredakteurs auf. Das war ein har- denen es steht, nehmen ihm das Licht. ist und stirbt. Der Großteil der nd-Leser in der Zeitung“, sagt sie heute, „fanden im Bahnhof auf einer Bank liegen. „Da- tarthemen. „Hartz IV ist doch unser dagegen, dass die Partei der Zeitung tige Linkspartei-Schatzmeister Harald Wolfgang Hübner kam 1985 zum Kipping ist seit dem Jahr 2012 Bun- ter Schlag für die Belegschaft. Den Wenn Schimmelpfennig morgens auf- sind alte Ostdeutsche. Manche in der wir ganz normal.“ mit noch ein Westdeutscher das nd für Thema“, sagt eine Redakteurin. „Aber das Letzte nehmen könnte, das noch Wolf der taz. neuen deutschland. Er hatte bei der desvorsitzende der Linken. Ebenfalls Tausendsassa, der dem nd neues Le- steht, schmiert sie sich eine Scheibe Linkspartei sagen, dass die Zeitung vor „Das Herz des größten Menschen un- sich entdeckt.“ dazu haben wir alles schon tausend- von materiellem Wert ist: das Grund- Die Redaktion glaubt, die Partei Sächsischen Zeitung volontiert und in 2012 bekam das nd einen neuen Chef: ben eingehaucht hatte, könne nie- Brot und setzt sich an den Computer. allem in Ostberliner Altenheimen stark serer Epoche, des Genossen J. W. Stalin, Die zweite: Er schreibt Leserbriefe, mal geschrieben“, sagt Chefredakteur stück des Verlags am Berliner Ostbahn- wolle mit diesem Schritt ihr Vermögen Leipzig, am sogenannten Roten Kloster, Tom Strohschneider. Er hatte beim nd mand ersetzen, erzählen Redakteure Sie liest ­E-Mails und Onlinenachrich- sei. Wenn das so ist, dann ist das Ende hat aufgehört zu schlagen“, titelt das nd wie die Zeitung aus der Krise kom- Wolfgang Hübner. hof. So hatte es der Parteivorsitzende sichern. Im Falle einer Insolvenz der noch heute. ten. Dann nimmt sie sich die Zeitung der „sozialistischen Tageszeitung“ ab- etwa am 7. März 1953. men könnte. Sie solle an den Univer- im April vergangenen Zeitung würde das Grundstück wohl in Sein Stellvertreter, Wolfgang Hüb- und setzt sich in ihren roten Sessel. Ein- sehbar. „Lieber verzichte ich drei Tage „Leipzig fördert den friedlichen sitäten präsenter sein, solle sich auf Jahres der nd-Belegschaft angekündigt. die Insolvenzmasse fallen. Für die Par- ner, rückte auf. Vorübergehend, sagte einhalb Stunden braucht sie täglich für auf Essen als auf mein n d “, sagt Inge- Welthandel zum Nutzen der Völker“, ihren Kern besinnen. Weniger linksli- Die Redaktion fürchtet, dass das ihr To- tei wäre es damit verloren. er damals. Jetzt, ein Jahr später, stellt die Lektüre, inklusive Kreuzworträtsel. borg Schimmelpfennig. schreibt die Redaktion am 16. März 1987 beraler Mainstream, öfter die Klassen- Ein Leser in Bochum desstoß sein könnte. Harald Wolf, Schatzmeister der sich Hübner darauf ein, den Job noch Schimmelpfennig liest das nd seit Sie erzählt von ihrem Leben mit der zur Eröffnung der Leipziger Messe und frage stellen. lässt seine Das Verlagsgebäude des nd befin- Linkspartei, bestreitet das. „Alle Maß- eine Weile machen zu müssen. Er ist der ersten Ausgabe, seit 1946. Was Zeitung: 1929 wird sie in Halle gebo- druckt in einer Ausgabe 43 Fotos des Hoffrogge ist in Westdeutschland det sich in bester Berliner Lage. 25.000 nahmen, die wir gegenwärtig disku- 59 Jahre alt, eigentlich würde er sich würde es für sie bedeuten, wenn die Zei- ren. Die Mutter sitzt im Krieg im Ge- SED-Generalsekretärs Erich Honecker. geboren, wurde an der Universität in ausgelesene Zeitung Quadratmeter ist das Grundstück groß, tieren, dienen der Existenzsicherung für sich und das Wohl der Zeitung wün- tung Insolvenz anmelden müsste? „Das fängnis, weil sie für die KPD arbeitet. Dann fällt die Mauer, die Treuhand den Bildungsstreiks politisiert. Er hat immer auf einer zweieinhalb Fußballfelder, eine Gold- des nd.“ Er beteuert: Niemand wolle schen, dass jemand Jüngeres überneh- will ich nicht mehr erleben“, sagt sie. Kurz nach Kriegsende wird die Mutter soll einen Käufer für die Zeitung fin- verschiedene Blätter durchprobiert. Er grube. In einer Akte im Grundbuchamt das Grundstück verkaufen oder die men würde. 72 Jahre nach der ersten Ausgabe ist erschossen. Von wem, wird nie aufge- den und scheitert. „Zum Glück“, sagt In- hat die Süddeutsche gelesen, aber bei Bahnhofsbank von Berlin-Kreuzberg findet sich ein Zeitung abwickeln. 2019 wollen die beiden Gesellschaf- das nd in einer tiefen Krise. Die Auf- klärt. Schimmelpfennig wächst bei ih- geborg Schimmelpfennig. Denn dass der fände er kaum noch linke Positio- liegen: „Damit noch Vermerk von 2004, in dem der Wert auf Denn was auch stimmt: Keine Bank, ter einen neuen Chefredakteur einset- lage sinkt, online nimmt es kaum Geld ren Großeltern auf, zwei überzeugte die Zeitung bis heute in der Hand der nen. Mit der taz wurde er schon als Stu- knapp 5 Millionen Euro geschätzt wird. niemand, gibt einem Unternehmen zen. Den zu finden, dürfte schwierig ein, vor einem Jahr stand die Insolvenz Kommunisten. Ihre erste Kommunis- Linkspartei ist, der Nachfolgeorganisa- dent nie richtig warm, weil der dama- ein Westdeutscher Er dürfte sich mittlerweile vervielfacht Kredite, das wie das nd gerade kurz werden. Wer will schon ein Blatt im unmittelbar bevor. Die Linkspartei, die musschulung erhält sie von den beiden tion der SED, findet sie wichtig für die lige Bildungsredakteur immer wieder das ‚nd‘ entdeckt“ haben. In Parteikreisen schätzt man ei- vor der Insolvenz steht. Einer GmbH, Krisenmodus übernehmen? In den Gesellschafterin der Zeitung ist, gab ihr als kleines Kind. Identität des Blatts. Die Linkspartei hat für Studiengebühren plädierte. Dass nen zweistelligen Millionenbetrag. der nur das Grundstück gehört, dage- vergangenen Monaten sind auch meh- nochmal einen Kredit, angeblich 1 Mil- Am 23. April 1946, da ist Schimmel- inhaltlich aber keinen direkten Einfluss die taz Anzeigen der AfD druckte, be- Das Gebäude darauf ist hoffnungs- gen schon. Aus Sicht der Linkspartei rere Redakteure gegangen, weil ihnen lion Euro. Ein Jahr später stellt sich wie- pfennig 17 Jahre alt, erscheint die erste mehr. Aber ob das nd überleben wird stärkte ihn in seiner Sicht: „Dieses post- los veraltet. Die Gardinen, die in eini- kann es also durchaus sinnvoll sein, die Perspektive zu unsicher war. der die Frage: Ist das nd am Ende? Und nd-Ausgabe. „Das größte Ereignis für oder nicht, hängt von Entscheidungen moderne anything goes würde das nd Am nächsten Tag wird ein Kommen- gen Fenstern hängen, sehen aus, als das Grundstück aus den finanziellen Hinter vorgehaltener Hand erzäh- was macht die Linkspartei? unser Volk nach der faschistischen Tra- der Partei ab. nicht machen.“ tar über die Hartz-IV-Sanktionen auf seien sie vor der Wende aufgehängt Schwierigkeiten des Verlags heraus- len nd-Mitarbeiter auch, wie einige Ingeborg Schimmelpfennig und der Meinungsseite stehen, ein Kom- worden. Ein Paternoster bringt die zuhalten. Linken-Politiker hartnäckig versuch- Ralf Hoffrogge stehen für die zwei Pole mentar zu den höheren Pflegebeiträ- nd-Mitarbeiter auf ihr Stockwerk. Re- Die Partei argumentiert gegenüber ten, ihre Beiträge in die Zeitung zu der nd-Leser und für zwei Strömungen gen auf Seite eins. Keine andere Tages- daktion und Verlag nehmen heute nur den Mitarbeitern des nd: Ihr müsst bringen. Im Parteivorstand wiederum Wolfgang der deutschen Linken. Sie: ostdeutsch, zeitung in Deutschland hat an diesem noch eine Etage ein. Auf den anderen Wege finden, euch selbst zu finanzie- bemängeln einige, dass das nd nicht Hübner wollte Kriegsgeneration, DDR, Vergangen- Tag so viele Texte über Neonazis, Ge- sitzen die Rosa-Luxemburg-Stiftung, ren, den Auflagenrückgang zu stop- nah genug dran sei an Entwicklungen eigentlich heit. Er: westdeutsch, an der Universi- flüchtete und soziale Themen im Blatt die DKP und diverse Vereine. Sie alle pen, neue, junge Leser zu gewinnen. in der Partei, Flügelkämpfe nicht ge- nur vorüber­ tät politisiert, zu links für die taz. Bei- wie das nd. sind Mieter in dem Gebäude. Müsste Eine Rettung von oben, durch die Par- recht abbilde. gehend den ist das nd ein publizistisches Zu- Das linke Spektrum der deutschen das nd die ortsübliche Miete zahlen, tei, kann es nicht geben. machte das pu- Chefredakteur­ hause. Das Ende der Zeitung, sagen sie, Presselandschaft ist vielfältig. Von der gäbe es die Zeitung wohl längst nicht Die nd-Belegschaft argumentiert: blik, als sie in einem offenen Brief ih- sein wäre ein massiver Verlust für die Mei- orthodoxen Jungen Welt über die taz mehr. Die Linkspartei hat Verantwortung ren Rücktritt als Fraktionschefin an- Foto: Wolfgang nungsvielfalt in Deutschland. bis zur Süddeutschen Zeitung erschei- Das Eigentümergeflecht von Grund- für uns. Um die Zeitung weiterzuent- drohte und dem nd indirekt unter- Borrs Wäre es das wirklich? nen täglich mehrere mehr oder we- stück und Verlag ist kompliziert: Der wickeln, brauchen wir finanzielle Si- stellte, eine Kampagne gegen sie zu Zum ersten Mal seit dem Ende der niger linke Tageszeitungen. Dazu wö- Verlag Neues Deutschland gehört je zur cherheit. Die darf uns über das Grund- fahren. Das zeigt, welches Konflikt- Financial Times Deutschland und chentlich der Freitag und die Jung­le Hälfte der Partei Die Linke und einer stück nicht entzogen werden. potenzial dieses Gesellschaftermo- der Insolvenz der Frankfurter Rund- World, und wer will, findet auch in Beteiligungsgenossenschaft, der Com- Als die Frankfurter Rundschau im dell birgt. schau Ende 2012 steht mit dem neuen der Zeit linke Positionen. Da drängt munio eG, die der Partei nahe steht. Ihr Jahr 2012 Insolvenz anmelden musste, Und über allem schwebt die Frage, deutschland wieder eine Tageszeitung sich die Frage auf, ob für das nd über- Vorsitzender und Mehrheitseigner, warf die Linkspartei der SPD „Verrat an wie lange die Gesellschafter noch be- auf der Kippe. Und wie bei der FR, die haupt noch Platz ist. Matthias Schindler, ist seit Ende ver- der Arbeiterbewegung“ vor. Nun steht reit sind, in das neue deutschland zu zum Teil der SPD gehörte, ist auch beim Ingeborg Schimmelpfennig, die Alt- gangenen Jahres auch Geschäftsführer sie selbst vor der Frage: Agiert sie nach investieren. Harald Wolf, der Schatz- nd mit der Linken wieder eine Partei leserin, sagt: „Das nd hält wie keine an- des nd. Er war hoher Mitarbeiter bei ihrem politischen Selbstverständnis meister der Linken, hatte sich in sei- involviert. dere die Verbindung zum Sozialismus. der Stasi und ist seit Anfang der 1990er als Kämpferin für ArbeitnehmerInnen ner Bewerbungsrede auf dem Parteitag An einem Mittwoch im Oktober ver- An allem, was gut war in der DDR, hal- Jahre im Umfeld des nd und der Ver- und rettet die 100 Arbeitsplätze in der im vergangenen Juli zum nd bekannt. sammeln sich im Konferenzraum des ten die fest: Genossenschaften, Kinder- mögensverwaltung der Linken aktiv. Zeitung? Oder agiert sie als kühl kal- Das zeigt: Der Erhalt des nd ist nicht in neuen deutschland elf Redakteure, um gärten, die Idee der Vergesellschaftung 2006, als die westdeutsche WASG kulierende Unternehmerin, die Kosten erster Linie eine wirtschaftliche, son- die nächste Ausgabe zu planen. Der von Arbeit.“ und die ostdeutsche PDS dabei waren, und Nutzen abwägt? dern eine politische Frage: Spätestens Raum ist so klein, dass die Redakteure Ralf Hoffrogge, der Jungleser, sagt: zur Linkspartei zu fusionieren, erhielt Bisher entschied sie sich für Erste- 2021 sind wieder Bundestagswahlen. gerade so um den Tisch passen. Die „Das nd ist das zentrale Referenz- Schindler die Anteile am nd. Angeblich, res. Seit Jahren schon schießt die Par- Bis dahin muss die Partei einen Wahl- Ingeborg breiten Stühle haben Armlehnen und medium für die linke Bewegung in so heißt es aus Parteikreisen, weil Diet- tei immer wieder Geld zu. Zuletzt Ende kampf stemmen und finanzieren. Wie Schimmel- sind mit braunem Kord bezogen. An Deutschland.“ mar Bartsch, der damalige Geschäfts- 2017, als sie zusammen mit dem zwei- viel bleibt da für die Rettung einer Zei- pfennig liest der Wand hängt ein Foto mit Peter So- Der Parteivorstand der Linkspartei führer und heutige Fraktionsvorsit- ten Gesellschafter noch einmal eine tung? die Zeitung seit dann, er sitzt in einem Strandkorb und sagt: „Gerade angesichts der Rechts- zende, verhindern wollte, dass der Million Euro drohende Insolvenz ab- ihrer ersten liest das nd. Peter Sodann ist für die entwicklung darf eine linke Gegen- Lafontaine-Flügel Zugriff auf die Zei- zuwenden. Im Frühjahr 2018 schlug Ausgabe Anne Fromm, 32, ist Medienredakteu- Zeitung, was Helmut Schmidt für die öffentlichkeit wie das nd nicht ver- tung bekäme. Offiziell bestätigen will Geschäftsführer Schindler den nd- Foto: Anne rin der taz. Sie ist im nd-Gebäude zum Zeit und Rudi Dutschke für die taz ist. schwinden.“ das niemand. Beschäftigten vor, ihr 13. und 14. Mo- Bereits an der Tür bekommt man einen Eindruck von der DDR-Geschichte der Zeitung Foto: Wolfgang Borrs Fromm ersten Mal Paternoster gefahren. sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  08 reportage taz am wochenende 09

natsgehalts zu kürzen und dafür auf Journalismus studiert. An das Arbeiten volontiert, arbeitet dann beim Freitag Über die betriebsbedingte Kündigungen zu ver- im damaligen Zentralorgan habe er und bei der taz und kehrte als Chefre- Redaktions- zichten. Die Linkspartei wollte das da- sich erst gewöhnen müssen. Die Seite dakteur zum nd zurück. konferenz wacht an mals nicht kommentieren. Laut Verdi eins wurde nachmittags an die Partei- Beide Personalien passierten unab- der Wand sind diese Pläne aber erst mal wieder führung geschickt. Oft schaute Erich hängig voneinander. Aber es gibt Pa- Peter Sodann vom Tisch. Honecker persönlich drüber. rallelen: Kipping und Strohschneider Fotos: Bis Sommer 2020 bestünde erst „Heute ist das alles anders“, sagt kamen als Erneuerer. Sie war 34, er 38 Wolfgang Borrs einmal eine gesicherte Grundlage für Wolfgang Hübner. Die Redaktion der Jahre alt, als sie ihre Posten antraten. das nd, sagt Geschäftsführer Matthias Zeitung ist jünger und diverser gewor- Kipping hat es geschafft, der Linken Schindler. Und dann? den. Viele Redakteure haben kaum Er- ein neues Image zu geben: jünger, hip- Armes Ein Teil der Mitarbeiter würde die innerungen an die DDR, weil sie beim per, kosmopolitischer. Strohschneider Zeitung am liebsten von einer Genos- Fall der Mauer zu jung waren oder in hat das nd von altem Muff befreit. Er senschaft getragen sehen, so wie bei der BRD geboren wurden. Es sind vor ließ ein frisches Layout entwickeln, riss der taz. Matthias Schindler hingegen, allem junge Redakteure, die im Laufe Wände ein, um Ressorts umzubauen. Die Tageszeitung „neues der Genossenschaftsprofi, hält nichts dieser Recherche immer wieder bitten, Er verstärkte die Onlineredaktion und deutschland“ steht seit Jahren davon. „Die Zeitung kann nur überle- man möge nicht mehr auf der SED-Ver- stellte junge Redakteure ein. Deutschland ben, wenn sie sich aus den Erlösen ih- gangenheit des Blatts herumreiten. immer wieder vor der Pleite. res Verkaufs wirtschaftlich trägt.“ Ein Hauch von Kaltem Krieg weht ge- Jetzt könnte es tatsächlich bald Eine Idee für die Zukunft, die die legentlich noch durch die Auslandsbe- Was ist es der Redaktion schon jetzt gestemmt hat, richterstattung. Da werden Putin und zu Ende gehen. Retten kann sie ist die neue Wochenendausgabe. Seit seine „Großmacht im Osten“ hofiert. Linkspartei wert, nur die Linkspartei. Was ginge Ende Oktober erscheint das nd sams- Aus Syrien berichtet Karin Leukefeld, tags in neuer Form: mehr Seiten, mehr die einzige deutsche Journalistin, die ihrem verloren, wenn es das „nd“ nicht Platz für Analysen, Hintergründiges in den Kriegsjahren eine offizielle Ak- Selbstverständnis mehr gäbe? und eigene Geschichten. Dafür ist die kreditierung vom Regime erhielt. Ent- Ausgabe unter der Woche dünner ge- sprechend Assad-freundlich lesen sich als Kämpferin für worden. Eine erste Bilanz zeigt: Die Wo- ihre Texte. Sie hat ihre Fans unter den Arbeitnehmer chenzeitung läuft nicht so schlecht. nd-Lesern, genau wie der prorussische 2.000 neue LeserInnen hat das nd da- Kurs einiger Altredakteure. Das kann gerecht zu werden? mit gewonnen, fast die Hälfte davon man in den Leserbriefen nachlesen. jünger als 40, mehr Westdeutsche als Ingeborg Schimmelpfennig über- Ostdeutsche. fliegt den Politikteil nur. Am meis- Die Frage ist, warum es die Partei ge- Die jungen RedakteurInnen versu- ten interessiert sie der Kulturteil. Sie schafft hat, eine neue Klientel zu ge- chen mittlerweile, im Netz auch mit kommt ins Schwärmen, wenn sie da- winnen, die Zeitung aber nicht. Viel- den großen Verlagen mitzuhalten: von spricht. leicht, weil Wähler nicht dasselbe sind Während der G20-Proteste in Ham- Regelmäßig fährt Schimmelpfennig wie Leser. Junge Leute haben noch nie burg berichteten sie live über mehrere auch auf Leserreisen, die die Zeitung viel Geld für Journalismus bezahlt. Tage, gerade haben sie mit Supernova anbietet. Vergangenen Mai war sie bei Ralf Hoffrogge beobachtet in seinem ein linkes Onlinemagazin gegründet, einer nd-Exkursion nach Schulzenhof Freundeskreis, dass viele ausschließ- Aus Berlin und Grünheide Anne Fromm einen Videoredakteur und Datenjour- dabei, einem Ort im Norden Branden- lich online „für lau“ lesen. Er selbst hat nalist eingestellt. burgs, wo die DDR-Schriftsteller Erwin ein Print- und Digitalabo des nd, liest s gibt niemanden, der In- Zu DDR-Zeiten, als das nd noch Pro- gödie: Die Sozialistische Einheitspartei Es gibt auch einen Teil der Leser- Nacheinander stellen die Redak- So steht es in einem Antrag, den der Das Grundstück, auf dem das Ver- Doch auf dem Weg in die Zukunft und Eva Strittmatter lebten. aber vor allem die gedruckte Zeitung. geborg Schimmelpfennig pagandaorgan war, arbeiteten dort Deutschlands ist geschaffen“, lautet der schaft, der nicht mit der DDR-Ge- teure ihre Themen vor: In Berlin steht Linken-Vorstand beim Parteitag im lagsgebäude steht, gehört mehrheit- steht dem nd wohl auch seine Ver- Weil es so schlecht um das nd steht, Hoffrogge wünscht sich eine FAZ von so lange begleitet wie ihre mehr als 500 Menschen, 1 Million Ex- erste Satz im SED-Zentralorgan. schichte der Zeitung verknüpft ist. die #unteilbar-Demo an, in der Tür- Juni 2018 in Leipzig angenommen hat. lich dem Verlag Neues Deutschland. gangenheit im Weg. Der Name neues wirbt Schimmelpfennig in ihrem links: „Die sind meinungsstark, setzen Zeitung. „Mein n d “, sagt emplare wurden täglich verkauft, über- Schimmelpfennig tritt in die SED ein Leute wie Ralf Hoffrogge. Mit seinen kei ein Deutscher vor Gericht, ein Film Zähneknirschend von manchen, heißt Das wollen Linkspartei und die Com- deutschland schrecke viele ab, sagt Freundeskreis für Abos. Nur wird der Themen und stehen zu ihrem bürger- sie, wenn sie über das neue regionale Konkurrenz gab es praktisch und lernt Margot Honecker kennen, die 38 Jahren ist Hoffrogge einer der jün- über schwule Fußballer startet in den es dazu aus Vorstandskreisen. Denn die munio ändern, so dass sie beide künf- Chefredakteur Wolfgang Hübner. Die Freundeskreis immer kleiner. lich konservativen Image.“ So eine Ge- deutschland spricht. nicht. Heute sind es bei 100 Mitarbei- da noch Feist heißt. Schimmelpfennig geren Abonnenten des nd. Und er hat Kinos, in Bamberg, Koblenz und Pots- Frage, wie die Linke ihrer Verantwor- tig direkt mehr Anteile an der Grund- einen denken bei dem Klang noch im- Die Linke hat in den vergangenen radlinigkeit für den Sozialismus sähe ESchimmelpfennig ist 89 Jahre alt, tern noch gut 22.000 Exemplare, Ten- und sie bauen in Halle den Jugendver- zwei Antworten darauf gefunden, wie dam beginnen Prozesse gegen Neo- tung als Gesellschafterin der Zeitung stücksgesellschaft besitzen würden. mer an DDR-Zeiten, und die anderen, Jahren im Westen viele neue Wähler er gern beim nd. Witwe und lebt allein in ihrem Haus denz sinkend. bund FDJ auf. Dann geht Schimmel- er seiner kriselnden Zeitung helfen nazis, ein großer Text soll die Hinter- nachkommt, ist umstritten. Passiert ist das bis heute nicht. Die junge Linke, vermuten bei dem Wort gewonnen. Vor allem in einem urba- Das sind hohe Ansprüche an eine am Rand des Dorfs Grünheide in Ost- Alle Tageszeitungen kennen diese pfennig nach Leipzig, um zu studie- will. Die erste: Wenn er in Bochum aus gründe zu dem in einer Gefängniszelle Den Antrag für den Parteitag hatten Gesellschafter seien gerade in der Dis- „Deutschland“ eine Rechtspostille. nen, akademischen, exgrünen Milieu. schrumpfende Zeitung. Ende 2017 brandenburg. Es ist dunkel in dem Entwicklung. Nur läuft sie beim nd ren, sie will Lehrerin für Marxismus- dem Zug steigt, wo er an der Univer- in Kleve verbrannten Syrer beleuchten. Genossen auch im Namen der Redak- kussion über eine Neuausrichtung der Deswegen heißt die neue Wochen- Es ist, in Parteiflügeln gesprochen, das gab Tom Strohschneider das Amt des Haus. Die hohen Nadelbäume, unter schneller ab, weil die Leserschaft älter Leninismus werden. „Den SED-Duktus sität Geschichte lehrt, lässt er sein nd Besprochen werden auch Kommen- tion des nd eingebracht. Sie wehrt sich Grundstücksgesellschaft, sagt der heu- endausgabe auch nur noch nd Woche. Milieu von Katja Kipping. Chefredakteurs auf. Das war ein har- denen es steht, nehmen ihm das Licht. ist und stirbt. Der Großteil der nd-Leser in der Zeitung“, sagt sie heute, „fanden im Bahnhof auf einer Bank liegen. „Da- tarthemen. „Hartz IV ist doch unser dagegen, dass die Partei der Zeitung tige Linkspartei-Schatzmeister Harald Wolfgang Hübner kam 1985 zum Kipping ist seit dem Jahr 2012 Bun- ter Schlag für die Belegschaft. Den Wenn Schimmelpfennig morgens auf- sind alte Ostdeutsche. Manche in der wir ganz normal.“ mit noch ein Westdeutscher das nd für Thema“, sagt eine Redakteurin. „Aber das Letzte nehmen könnte, das noch Wolf der taz. neuen deutschland. Er hatte bei der desvorsitzende der Linken. Ebenfalls Tausendsassa, der dem nd neues Le- steht, schmiert sie sich eine Scheibe Linkspartei sagen, dass die Zeitung vor „Das Herz des größten Menschen un- sich entdeckt.“ dazu haben wir alles schon tausend- von materiellem Wert ist: das Grund- Die Redaktion glaubt, die Partei Sächsischen Zeitung volontiert und in 2012 bekam das nd einen neuen Chef: ben eingehaucht hatte, könne nie- Brot und setzt sich an den Computer. allem in Ostberliner Altenheimen stark serer Epoche, des Genossen J. W. Stalin, Die zweite: Er schreibt Leserbriefe, mal geschrieben“, sagt Chefredakteur stück des Verlags am Berliner Ostbahn- wolle mit diesem Schritt ihr Vermögen Leipzig, am sogenannten Roten Kloster, Tom Strohschneider. Er hatte beim nd mand ersetzen, erzählen Redakteure Sie liest ­E-Mails und Onlinenachrich- sei. Wenn das so ist, dann ist das Ende hat aufgehört zu schlagen“, titelt das nd wie die Zeitung aus der Krise kom- Wolfgang Hübner. hof. So hatte es der Parteivorsitzende sichern. Im Falle einer Insolvenz der noch heute. ten. Dann nimmt sie sich die Zeitung der „sozialistischen Tageszeitung“ ab- etwa am 7. März 1953. men könnte. Sie solle an den Univer- Bernd Riexinger im April vergangenen Zeitung würde das Grundstück wohl in Sein Stellvertreter, Wolfgang Hüb- und setzt sich in ihren roten Sessel. Ein- sehbar. „Lieber verzichte ich drei Tage „Leipzig fördert den friedlichen sitäten präsenter sein, solle sich auf Jahres der nd-Belegschaft angekündigt. die Insolvenzmasse fallen. Für die Par- ner, rückte auf. Vorübergehend, sagte einhalb Stunden braucht sie täglich für auf Essen als auf mein n d “, sagt Inge- Welthandel zum Nutzen der Völker“, ihren Kern besinnen. Weniger linksli- Die Redaktion fürchtet, dass das ihr To- tei wäre es damit verloren. er damals. Jetzt, ein Jahr später, stellt die Lektüre, inklusive Kreuzworträtsel. borg Schimmelpfennig. schreibt die Redaktion am 16. März 1987 beraler Mainstream, öfter die Klassen- Ein Leser in Bochum desstoß sein könnte. Harald Wolf, Schatzmeister der sich Hübner darauf ein, den Job noch Schimmelpfennig liest das nd seit Sie erzählt von ihrem Leben mit der zur Eröffnung der Leipziger Messe und frage stellen. lässt seine Das Verlagsgebäude des nd befin- Linkspartei, bestreitet das. „Alle Maß- eine Weile machen zu müssen. Er ist der ersten Ausgabe, seit 1946. Was Zeitung: 1929 wird sie in Halle gebo- druckt in einer Ausgabe 43 Fotos des Hoffrogge ist in Westdeutschland det sich in bester Berliner Lage. 25.000 nahmen, die wir gegenwärtig disku- 59 Jahre alt, eigentlich würde er sich würde es für sie bedeuten, wenn die Zei- ren. Die Mutter sitzt im Krieg im Ge- SED-Generalsekretärs Erich Honecker. geboren, wurde an der Universität in ausgelesene Zeitung Quadratmeter ist das Grundstück groß, tieren, dienen der Existenzsicherung für sich und das Wohl der Zeitung wün- tung Insolvenz anmelden müsste? „Das fängnis, weil sie für die KPD arbeitet. Dann fällt die Mauer, die Treuhand den Bildungsstreiks politisiert. Er hat immer auf einer zweieinhalb Fußballfelder, eine Gold- des nd.“ Er beteuert: Niemand wolle schen, dass jemand Jüngeres überneh- will ich nicht mehr erleben“, sagt sie. Kurz nach Kriegsende wird die Mutter soll einen Käufer für die Zeitung fin- verschiedene Blätter durchprobiert. Er grube. In einer Akte im Grundbuchamt das Grundstück verkaufen oder die men würde. 72 Jahre nach der ersten Ausgabe ist erschossen. Von wem, wird nie aufge- den und scheitert. „Zum Glück“, sagt In- hat die Süddeutsche gelesen, aber bei Bahnhofsbank von Berlin-Kreuzberg findet sich ein Zeitung abwickeln. 2019 wollen die beiden Gesellschaf- das nd in einer tiefen Krise. Die Auf- klärt. Schimmelpfennig wächst bei ih- geborg Schimmelpfennig. Denn dass der fände er kaum noch linke Positio- liegen: „Damit noch Vermerk von 2004, in dem der Wert auf Denn was auch stimmt: Keine Bank, ter einen neuen Chefredakteur einset- lage sinkt, online nimmt es kaum Geld ren Großeltern auf, zwei überzeugte die Zeitung bis heute in der Hand der nen. Mit der taz wurde er schon als Stu- knapp 5 Millionen Euro geschätzt wird. niemand, gibt einem Unternehmen zen. Den zu finden, dürfte schwierig ein, vor einem Jahr stand die Insolvenz Kommunisten. Ihre erste Kommunis- Linkspartei ist, der Nachfolgeorganisa- dent nie richtig warm, weil der dama- ein Westdeutscher Er dürfte sich mittlerweile vervielfacht Kredite, das wie das nd gerade kurz werden. Wer will schon ein Blatt im unmittelbar bevor. Die Linkspartei, die musschulung erhält sie von den beiden tion der SED, findet sie wichtig für die lige Bildungsredakteur immer wieder das ‚nd‘ entdeckt“ haben. In Parteikreisen schätzt man ei- vor der Insolvenz steht. Einer GmbH, Krisenmodus übernehmen? In den Gesellschafterin der Zeitung ist, gab ihr als kleines Kind. Identität des Blatts. Die Linkspartei hat für Studiengebühren plädierte. Dass nen zweistelligen Millionenbetrag. der nur das Grundstück gehört, dage- vergangenen Monaten sind auch meh- nochmal einen Kredit, angeblich 1 Mil- Am 23. April 1946, da ist Schimmel- inhaltlich aber keinen direkten Einfluss die taz Anzeigen der AfD druckte, be- Das Gebäude darauf ist hoffnungs- gen schon. Aus Sicht der Linkspartei rere Redakteure gegangen, weil ihnen lion Euro. Ein Jahr später stellt sich wie- pfennig 17 Jahre alt, erscheint die erste mehr. Aber ob das nd überleben wird stärkte ihn in seiner Sicht: „Dieses post- los veraltet. Die Gardinen, die in eini- kann es also durchaus sinnvoll sein, die Perspektive zu unsicher war. der die Frage: Ist das nd am Ende? Und nd-Ausgabe. „Das größte Ereignis für oder nicht, hängt von Entscheidungen moderne anything goes würde das nd Am nächsten Tag wird ein Kommen- gen Fenstern hängen, sehen aus, als das Grundstück aus den finanziellen Hinter vorgehaltener Hand erzäh- was macht die Linkspartei? unser Volk nach der faschistischen Tra- der Partei ab. nicht machen.“ tar über die Hartz-IV-Sanktionen auf seien sie vor der Wende aufgehängt Schwierigkeiten des Verlags heraus- len nd-Mitarbeiter auch, wie einige Ingeborg Schimmelpfennig und der Meinungsseite stehen, ein Kom- worden. Ein Paternoster bringt die zuhalten. Linken-Politiker hartnäckig versuch- Ralf Hoffrogge stehen für die zwei Pole mentar zu den höheren Pflegebeiträ- nd-Mitarbeiter auf ihr Stockwerk. Re- Die Partei argumentiert gegenüber ten, ihre Beiträge in die Zeitung zu der nd-Leser und für zwei Strömungen gen auf Seite eins. Keine andere Tages- daktion und Verlag nehmen heute nur den Mitarbeitern des nd: Ihr müsst bringen. Im Parteivorstand wiederum Wolfgang der deutschen Linken. Sie: ostdeutsch, zeitung in Deutschland hat an diesem noch eine Etage ein. Auf den anderen Wege finden, euch selbst zu finanzie- bemängeln einige, dass das nd nicht Hübner wollte Kriegsgeneration, DDR, Vergangen- Tag so viele Texte über Neonazis, Ge- sitzen die Rosa-Luxemburg-Stiftung, ren, den Auflagenrückgang zu stop- nah genug dran sei an Entwicklungen eigentlich heit. Er: westdeutsch, an der Universi- flüchtete und soziale Themen im Blatt die DKP und diverse Vereine. Sie alle pen, neue, junge Leser zu gewinnen. in der Partei, Flügelkämpfe nicht ge- nur vorüber­ tät politisiert, zu links für die taz. Bei- wie das nd. sind Mieter in dem Gebäude. Müsste Eine Rettung von oben, durch die Par- recht abbilde. gehend den ist das nd ein publizistisches Zu- Das linke Spektrum der deutschen das nd die ortsübliche Miete zahlen, tei, kann es nicht geben. Sahra Wagenknecht machte das pu- Chefredakteur­ hause. Das Ende der Zeitung, sagen sie, Presselandschaft ist vielfältig. Von der gäbe es die Zeitung wohl längst nicht Die nd-Belegschaft argumentiert: blik, als sie in einem offenen Brief ih- sein wäre ein massiver Verlust für die Mei- orthodoxen Jungen Welt über die taz mehr. Die Linkspartei hat Verantwortung ren Rücktritt als Fraktionschefin an- Foto: Wolfgang nungsvielfalt in Deutschland. bis zur Süddeutschen Zeitung erschei- Das Eigentümergeflecht von Grund- für uns. Um die Zeitung weiterzuent- drohte und dem nd indirekt unter- Borrs Wäre es das wirklich? nen täglich mehrere mehr oder we- stück und Verlag ist kompliziert: Der wickeln, brauchen wir finanzielle Si- stellte, eine Kampagne gegen sie zu Zum ersten Mal seit dem Ende der niger linke Tageszeitungen. Dazu wö- Verlag Neues Deutschland gehört je zur cherheit. Die darf uns über das Grund- fahren. Das zeigt, welches Konflikt- Financial Times Deutschland und chentlich der Freitag und die Jung­le Hälfte der Partei Die Linke und einer stück nicht entzogen werden. potenzial dieses Gesellschaftermo- der Insolvenz der Frankfurter Rund- World, und wer will, findet auch in Beteiligungsgenossenschaft, der Com- Als die Frankfurter Rundschau im dell birgt. schau Ende 2012 steht mit dem neuen der Zeit linke Positionen. Da drängt munio eG, die der Partei nahe steht. Ihr Jahr 2012 Insolvenz anmelden musste, Und über allem schwebt die Frage, deutschland wieder eine Tageszeitung sich die Frage auf, ob für das nd über- Vorsitzender und Mehrheitseigner, warf die Linkspartei der SPD „Verrat an wie lange die Gesellschafter noch be- auf der Kippe. Und wie bei der FR, die haupt noch Platz ist. Matthias Schindler, ist seit Ende ver- der Arbeiterbewegung“ vor. Nun steht reit sind, in das neue deutschland zu zum Teil der SPD gehörte, ist auch beim Ingeborg Schimmelpfennig, die Alt- gangenen Jahres auch Geschäftsführer sie selbst vor der Frage: Agiert sie nach investieren. Harald Wolf, der Schatz- nd mit der Linken wieder eine Partei leserin, sagt: „Das nd hält wie keine an- des nd. Er war hoher Mitarbeiter bei ihrem politischen Selbstverständnis meister der Linken, hatte sich in sei- involviert. dere die Verbindung zum Sozialismus. der Stasi und ist seit Anfang der 1990er als Kämpferin für ArbeitnehmerInnen ner Bewerbungsrede auf dem Parteitag An einem Mittwoch im Oktober ver- An allem, was gut war in der DDR, hal- Jahre im Umfeld des nd und der Ver- und rettet die 100 Arbeitsplätze in der im vergangenen Juli zum nd bekannt. sammeln sich im Konferenzraum des ten die fest: Genossenschaften, Kinder- mögensverwaltung der Linken aktiv. Zeitung? Oder agiert sie als kühl kal- Das zeigt: Der Erhalt des nd ist nicht in neuen deutschland elf Redakteure, um gärten, die Idee der Vergesellschaftung 2006, als die westdeutsche WASG kulierende Unternehmerin, die Kosten erster Linie eine wirtschaftliche, son- die nächste Ausgabe zu planen. Der von Arbeit.“ und die ostdeutsche PDS dabei waren, und Nutzen abwägt? dern eine politische Frage: Spätestens Raum ist so klein, dass die Redakteure Ralf Hoffrogge, der Jungleser, sagt: zur Linkspartei zu fusionieren, erhielt Bisher entschied sie sich für Erste- 2021 sind wieder Bundestagswahlen. gerade so um den Tisch passen. Die „Das nd ist das zentrale Referenz- Schindler die Anteile am nd. Angeblich, res. Seit Jahren schon schießt die Par- Bis dahin muss die Partei einen Wahl- Ingeborg breiten Stühle haben Armlehnen und medium für die linke Bewegung in so heißt es aus Parteikreisen, weil Diet- tei immer wieder Geld zu. Zuletzt Ende kampf stemmen und finanzieren. Wie Schimmel- sind mit braunem Kord bezogen. An Deutschland.“ mar Bartsch, der damalige Geschäfts- 2017, als sie zusammen mit dem zwei- viel bleibt da für die Rettung einer Zei- pfennig liest der Wand hängt ein Foto mit Peter So- Der Parteivorstand der Linkspartei führer und heutige Fraktionsvorsit- ten Gesellschafter noch einmal eine tung? die Zeitung seit dann, er sitzt in einem Strandkorb und sagt: „Gerade angesichts der Rechts- zende, verhindern wollte, dass der Million Euro drohende Insolvenz ab- ihrer ersten liest das nd. Peter Sodann ist für die entwicklung darf eine linke Gegen- Lafontaine-Flügel Zugriff auf die Zei- zuwenden. Im Frühjahr 2018 schlug Ausgabe Anne Fromm, 32, ist Medienredakteu- Zeitung, was Helmut Schmidt für die öffentlichkeit wie das nd nicht ver- tung bekäme. Offiziell bestätigen will Geschäftsführer Schindler den nd- Foto: Anne rin der taz. Sie ist im nd-Gebäude zum Zeit und Rudi Dutschke für die taz ist. schwinden.“ das niemand. Beschäftigten vor, ihr 13. und 14. Mo- Bereits an der Tür bekommt man einen Eindruck von der DDR-Geschichte der Zeitung Foto: Wolfgang Borrs Fromm ersten Mal Paternoster gefahren. sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  10 argumente taz am wochenende

geht’s noch? Gelähmte Unternehmen

Die Vorstände der deutschen börsennotierten Konzerne sind nun zu 8,6 Prozent weiblich besetzt – das sind 61 Frauen, 11 mehr als im Vorjahr. Fortschritt sieht anders aus leichstellung ist ein scheues Reh. Quotengesetze, Vereinbarkeitsregeln Zwar gibt es viele kleine Bam- und wiederholte Gleichstellungsap- G bis, die mal hier, mal dort über pelle kaum beeindrucken lässt. Zwar die Wiese springen. Aber das eine ganz gibt es Firmen, die von Frauenhand große Tier, an dem sich alle erfreuen, ist (mit-)geleitet werden, Väter, die mehr nicht zu sehen. Auf die Realpolitik und als nur die üblichen zwei Monate El- die Wirtschaft hierzulande bezogen, ternzeit nehmen, Frauen, die nach heißt das: Es gibt zwar einige positive oben streben. Aber machen wir uns Gleichstellungsgesetze, die ­zaghafte nichts vor: Die männliche Dominanz Veränderungen bewirken, aber auf den und Präsenz in den Führungsetagen durchschlagenden genderpolitischen ist nach wie vor so stark, dass das Reh Erfolg wartet die Republik vergeblich. es kaum wagt, den Kopf rauszustrecken. Ein Teilgesetz, das den Anteil von Manche Chefs haben zwar intellektu- Frauen in Führungspositionen in Top­ ell verstanden, dass das Label „Bei uns unternehmen erhöhen und das Macht- führen auch Frauen“ auf der Waldlich- gefälle zwischen Frauen und Männern tung durchaus Eindruck macht. Mit der abschwächen soll, gilt seit Mai 2015. Was „Frauenförderung“ meinen sie es häu- ist in dreieinhalb Jahren passiert? Nun fig allerdings doch nicht so ernst. Da ja: Das Reh bleibt scheu. bremsen Chefs Frauen, die sie als Alibi Auf EU-Ebene übt sich Der Frauenanteil in den Vorständen an der Spitze postiert haben, rigoros der 160 börsennotierten Unternehmen­ aus. Andere holen sich gezielt solch Deutschland beim Datenschutz beträgt laut einer aktuellen Erhebung weiblichen Führungsnachwuchs, der in auffällig unauffälligem der Unternehmensberatung Ernst & den Männern selbst in keinster Weise Young gerade mal 8,6 Prozent. 2011, gefährlich werden kann. Viel und Bremsen. Nach dem jüngsten also vor Geltung der gesetzlichen Frau- Das ist nicht nur verlogen, infam Datenklau bei Politikern müsste enquote in Aufsichtsräten und Vorstän- und ungerecht, sondern vor allem läh- den, waren es laut der Initiative „Frauen mend für die Unternehmen. Wie oft sich das ändern in die Aufsichtsräte“ 3 Prozent. Das Ge- sollen noch all die Studien zitiert wer- schnell, setz bewirkt also etwas, ist aber so behä- den, die jenen Unternehmen, die auf Von Svenja Bergt big, dass man meinen könnte, das Reh Vielfalt und Diversität setzen, bessere sei nicht nur scheu, sondern stark ver- Wirtschaftserfolge bescheinigen? Wer ängstigt. Wovor aber hat es Angst? ernsthaft Veränderung will, muss dem jetzt Das Reh befindet sich im Wald einer scheuen Reh der Gleichstellung ernst- aum sind sie mal selbst mit persönlichsten Daten noch al- unterschiedlichster Hintergründe Unternehmenskultur, die sich durch haft Mut machen. Simone Schmollack unter den Betroffenen, les am besten nicht passieren sollte interessieren könnte – vielleicht er- geht es auf einmal ganz – hat eine gemeinsame Basis. Die scheint das ja nun auch dem einen fix. Ein 20-Jähriger hackt heißt Datenschutz­ und rangierte oder der anderen Volksvertreter:in sich in haufenweise So- bei der Großen Koalition­ bislang ir- nicht mehr so ganz unwahrschein- cia-Media-Accounts, ver- gendwo zwischen der ­Förderung lich. Allen voran jenen, die bisher der Köffentlicht persönliche Daten auch einer ­besseren Sichtbarkeit von „Wir haben doch nichts zu verbergen“- liebeserklärung von zahlreichen Politiker:innen, und ­Zebrastreifen und dem Schutz der Fraktion angehörten, der mutmaßlich schon kommen die Forderungen wie Großen Wiesenameise.­ Dabei sollte größten im Bundestag. Die verrückte 13 der Hammer bei einer Auktion: Platt- sich mittlerweile­ herumgespro- Statt also in Aktionismus zu verfal- formen in die Pflicht nehmen zum chen haben: Daten, die nicht vorhan- len, sind es die weniger schlagzeilen- Bundessozialminister will das 13. Sozialgesetz­ Ersten. Frühwarnsystem aufbauen den sind, können nicht missbraucht trächtigen Maßnahmen, die hier wei- zum Zweiten. Aus dem Cyber-Abwehr- ­werden. Daten, die ­vorhanden sind, terhelfen. Die ePrivacy-Verordnung buch nicht SGB XIII nennen, aus Furcht vor der Unglückszahl. zentrum ein „Cyber-Abwehrzentrum werden missbraucht – wenn nicht gehört zum Beispiel dazu, quasi die Das ist süß und gar nicht so verkehrt plus“ machen, das Bundesamt für Si- früher, dann später. Und wenn kleine Schwester der Datenschutz- cherheit in der Informationstechnik Nutzer:innen nicht einmal mehr Grundverordnung. Auf EU-Ebene übt ie Zahl 13 galt immer als heikel, sondern SGB XIV. Die Augsburger All- (BSI) stärken, das Innenministerium schon lange bevor Sozialminis- gemeine berichtete zuerst darüber. Von gleich mit – verkauft. Als ob es hier- Dter Hubertus Heil (SPD) auf die der Zahlenlogik her wäre eigentlich ein zulande an behördlichen Strukturen Welt kam. Jesus von Nazareth wurde SGB XIII dran, denn das letzte, 12. So­zial­ mangeln würde, die in irgendeiner Bisher rangierte der von seinem 13. Jünger verraten, von Ju- gesetzbuch, heißt SGB XII, und nach der Form für IT-Sicherheit zuständig sind. Datenschutz irgendwo das Iskariot. Es war die 13. Fee, die den 12 kommt bekanntlich die 13. Woran es tatsächlich fehlt: an Ver- Fluch für Dornröschen aussprach. Im- Nur handelt es sich bei dem geplan- ständnis dafür, dass es nicht ausreicht, zwischen der Verbesse­ mer wenn die 13 irgendwo um die Ecke ten neuen SGB um ein Regelwerk zur einfach die Sicherheitsarchitektur zu rung der Sichtbarkeit von schleicht, ist Vorsicht geboten. Denn Opferentschädigung, also zur Frage, verstärken; ebenso wenig, eine be- die 13 kommt aus der Hölle. Die Prim- welche Entschädigung Opfer von Ge- hördliche Kompetenz zu schaffen, die Zebrastreifen und dem zahl hat es in sich, erst recht, wenn sie walttaten bekommen. Und bei diesem Politiker:innen erklärt, wie ein siche- auf einen Freitag fällt. Am Freitag starb Thema, so eine Sprecherin des sensib- res Passwort aussieht – auch wenn das Schutz der Wiesenameise Jesus am Kreuz. Freitag, der 13.: Katas­ len Heil-Ministeriums, kam man zu im konkreten Fall wohl etwas geholfen­ trophe. Doch halt! Das muss überprüft dem Schluss, das 13. Sozialgesetzbuch hätte. Denn die Geschichte „Daten, die werden. lieber als 14. Sozialgesetzbuch, als SGB in falsche Hände gelangen“ wurde in wissen, wer welche Daten in welcher sich Deutschland dort in auffällig un- Der ADAC, des Aberglaubens unver- XIV zu bezeichnen und auf die Un- den vergangenen Jahren ziemlich oft Kombination über sie gespeichert hat auffälligem Bremsen, statt als mäch- dächtig (außer den ans Auto), hat sich glückszahl zu verzichten. So wie es in erzählt. Eine kleine, unvollständige – dann können sie sich nicht einmal tiges EU-Mitgliedsland voranzugehen mal die Unfallstatistiken angeschaut. Flugzeugen keine Sitzreihen mit der Auswahl der unfreiwilligen Protago- wirksam wehren. und klarzustellen: Wir wollen Daten- An den drei Freitagen am jeweils 13. ei- Nummer 13 gibt und in vielen Hotels nisten: Yahoo, MySpace, Facebook, Da trifft es sich eigentlich sehr gut, schutz, viel und schnell. Und, ja, auch nes Monats passieren nicht mehr, son- auch keine Zimmer mit der Nummer 13 eBay, Sony, Knuddels, Domainfactory, dass die Pflicht zur Datensparsamkeit dann, wenn es mal mit Aufwand ver- dern weniger Unfälle als im Durch- und in manchen Fahrstühlen in Hoch- British Airways, der Bundestag. bereits geltendes Recht ist, Artikel 25 bunden ist und man sich bei mächti- schnitt. Warum wohl? Womöglich, weil häusern in Asien sogar nicht mal einen Laut einer Studie aus dem Jahr 2016 der Datenschutz-Grundverordnung. gen Unternehmen, die aus ihrem Ge- die Leute vorsichtiger fahren. Oder sel- 13. Stock. Simsalabim, so zaubert man soll jeder dritte Deutsche schon mal Nur scheint das noch nicht bei allen schäft mit persönlichen Daten viel tener in ihre Autos steigen. Ist ja Freitag, das Unglück weg. Opfer eines Identitätsdiebstahls ge- Politiker:innen in Deutschland ange- Geld schöpfen, unbeliebt macht, ge- der 13. – also: Aberglauben kann auch Ein Recht auf Aberglauben muss worden sein. Pech für die Betroffenen, kommen zu sein. Jüngstes Beispiel: nauso wie bei denen, die es nicht für sein Gutes haben. Und damit sind wir sein. Danke, Heil. Wenn wir noch einen dass anscheinend zu wenige in ihrer Die vom Verkehrsminister vorgeschla- nötig halten, Sicherheitslücken etwa beim Thema. Wunsch frei hätten: Schön wäre auch Privatsphäre verletzte Politiker:innen gene Massenüberwachung des moto- auf Smartphone-Betriebssystemen zu Hubertus Heil, beziehungsweise sein ein Recht auf ein paar mehr bezahlte darunter waren, als dass es großartig risierten Verkehrs zwecks Durchset- schließen. Sozialministerium, haben jetzt ange- Freistunden pro Jahr, an jedem Freitag, Konsequenzen gegeben hätte. zung von Dieselfahrverboten. Dass da- Gute Passwörter würde all das zwar kündigt, ein neues geplantes Sozialge- dem 13., ab 13 Uhr. Jetzt schlägt’s 13? Wa- Denn der Schutz vor Missbrauch, mit eine gigantische Datensammlung nicht ersetzen. Aber es macht den setzbuch nicht „SGB XIII“ zu nennen, rum auch nicht? Barbara Dribbusch Diebstahl, Verlust – und dem, was entstehen würde, die Hacker:innen Schutz durch sie erst richtig stark.

Relotius Habeck

teressiert, wie die Welt wirklich ist, warum wer- zu agieren, muss ich, qua Zunft, schon wieder re- Durch die Woche mit Träumende Männer den sie dann nicht Hairstylist oder plastischer Chi­ agieren. Mist. Ariane Lemme rurg? Es gibt viele kreative Berufe. Noch bevor ich darüber nachdenken kann, wie erklären die Welt, Aber klar, fast immer wäre es schöner, wenn egal mir Twitter mit dem oder ohne den Grünen- alles anders wäre. Auch für mich. Ich guckte also Chef ist, sagt mir meine Timeline, dass ich mich bis ich schweige in den Spiegel und fragte mich, wann ich mir zu- hier – mal wieder – nicht aus der Verantwortung letzt etwas wirklich genau angeschaut hatte. Ohne stehlen darf. „Er überlässt das Feld den Rechten“, as neue Jahr ist schon alt. Nicht an Tagen, schon ein Bild davon im Kopf zu haben. Ohne den rufen sie, und da bin ich natürlich getriggert. Vor aber an Mustern. Es hat die Willenskraft ei- leisen Wunsch, es möge doch bitte mehr so und den Rechten darf auch ich mich nicht ins Private D nes Houellebecq-Helden, da hilft auch kein weniger so sein. Ab jetzt also mehr Kopf-Yoga, be- zurückziehen. Ohne mit ihnen zu reden, muss substituiertes Serotonin. Was waren noch gleich schloss ich, mehr beobachten, weniger meinen. auch ich sie bekämpfen, aber natürlich – muss ich meine Vorsätze gewesen, nachdem das vergan- Außer in dieser Kolumne, klar. Und am besten das hier wirklich extra erwähnen? – auch ohne Ge- gene Jahr mit einem maximalen Punch in die Ma- gleich Facebook und Twitter löschen, da muss walt. Wir leben schließlich nicht in Westeros. Und gengrube geendet hatte: lügt. Gut, nur man nämlich immer schon vorher wissen, auf selbst da hat blutiger Widerstand gegen die Bösen Claas Relotius lügt, aber niemand hatte es bemer- welcher Seite man steht (der richtigen!). Aber nur selten was gebracht. Insofern wäre the silent

Foto: taz Foto: ken wollen. Warum? Wenn es die Leute nicht in- dann kommt mir Robert Habeck zuvor, und statt treatment vielleicht doch keine dumme Idee. Das  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende argumente 11 Wunderwaffe als Herrschaftssystem Wir brauchen eine grundsätzliche Debatte darüber, wie wir mit künstlicher Intelligenz umgehen wollen

Von Friedrich Krotz

ie sogenannte künstliche Intelli- sen sich bei der Atomkraft aufzeigen, die letztlich Wir werden jedenfalls keinen wie bisher von der nach Programmierung können die jeweiligen Ge- genz (KI) ist derzeit in aller Munde. nur durch die Einschränkung bürgerlicher Rechte Kommunalpolitik bereitgestelltenen öffentlichen schäftsmodelle auf attraktive oder auf grauen- Computer, die Menschen nachah- durchgesetzt werden konnte. Und die Computer- Nahverkehr mehr haben. Niemand sollte davon hafte Weise durchgesetzt werden. men: Bei der KI handelt es sich um technologie entstand mit dem Versprechen, neue träumen, dass er künftig statt im Bus bequem Grundsätzlich geht es darum, dass KI manches eine vielversprechende neue Tech- Kommunikationsformen, bessere soziale Bezie- im selbstfahrenden Elektro-Mercedes zu seinem übernehmen kann, was bisher nur Menschen leis- nologie. Ihre Anwendung wird aber hungen und mehr Teilhabe möglich zu machen. Ziel geschaukelt wird. Vielmehr wird es große und ten konnten. Derartige KI-gesteuerte Algorithmen Dauch Alltag und Gesellschaft radikal verändern. Anfangs gab es dann beispielsweise selbst organi- kleine, schnelle und langsame, bequeme und un- operieren aber völlig intransparent. Die Betrof- Sorgen bereiten sollte uns dabei weniger die Tech- sierte lokale soziale Netze, die den Menschen und bequeme, pünktliche und unpünktliche, jeden- fenen werden nicht gefragt, es gibt keine wirk- nik selbst als vielmehr die Tatsache, dass sie von ihrem Zusammenleben dienten. Heute ist das al- falls teure und noch teurere Beförderungsmodi same rechtliche oder demokratische Kontrolle. den größten Unternehmen der Menschheitsge- les von dem Datenkraken Facebook verschluckt geben, und alle Fahrzeuge werden statt Fenstern So gut wie niemand weiß beispielsweise heute, schichte entwickelt und gestaltet worden ist, die und monopolisiert, der mit „Social Media“ völlig Bildschirme haben, über die lauthals personali- welche Daten sein oder ihr Auto bereits aufzeich- sie auch künftig betreiben wollen. irreführend bezeichnet wird. Denn den Betrei- sierte Werbung läuft. Denn auch hier werden gi- net und was damit geschieht. Auch werden in Diese Unternehmen beeinflussen damit auch bern geht es um Geld und Macht, die sie sich da- gantische international tätige Firmen wie Uber immer mehr Haushalten KI-gesteuerte Smarts- wesentlich, was KI kann und was nicht, wofür sie durch sichern, dass sie die Kommunikation ihrer die Sache gewinnbringend in die Hand nehmen peaker wie Siri, Alexa oder der Google Assistant benutzt werden wird und wofür nicht. Denn wie Nutzerinnen und Nutzer auf ihr Geschäftsmodell – und zu deren Geschäftspraktiken gehören be- als Fami­lienmitglieder aufgenommen, aber es man auch an Dieselautos, Kriegswaffen oder dem hin optimieren. Es besteht darin, sie an eine wahre kanntlich Rechtsbrüche, Kundenbetrug, Mitarbei- bleibt völlig unklar, was genau diese lauschen- Internet sieht, gibt es nicht die Technik, sondern Werbeflut zu verkaufen. terausbeutung und jede Menge Druck auf Politik den Wunschmaschinen eigentlich tun. jeweils ganz unterschiedliche Versionen und Ent- Insgesamt sollten wir davon ausgehen, dass die wicklungspfade. von weltweit agierenden Monopolen kontrollierte Illustration:  In der Öffentlichkeit werden meist die mögli- KI sich von einer eigentlich menschenfreundli- Katja Gendikova chen Vorteile von künstlicher Intelligenz darge- chen Technik derzeit zum Kern eines neuen Herr- stellt und dann immer nur deren unmittelbare schaftssystem entwickelt, mittels dessen der Ka- soziale Folgen diskutiert, wie am Beispiel des KI- pitalismus alle lohnenden Bereiche des mensch- gesteuerten autonomen Autos: Es heißt, wir könn- lichen Lebens durchdringt und kolonisiert. ten künftig lesen oder mit den Kindern spielen, Fassen wir nun zusammen: Nicht KI oder ihre während wir an unsere Ziele gefahren werden. Es möglichen Vorteile sind das Entscheidende, das gebe dank KI und Vernetzung der Autos auch we- wir diskutieren müssen. Vielmehr geht es um die niger Unfälle und weniger Staus. Frage, wie und wozu sie entwickelt und in die Ge- Ob das stimmt, muss sich erst noch zeigen. sellschaft hineinorganisiert und betrieben wird. Ausgeblendet wird dabei aber, dass die zukünf- Sie kann helfen – und sie kann unterdrücken. tige Bedeutung von KI sich nicht auf selbstfah- Wenn die Internetgiganten die Bürgerinnen und rende Autos beschränkt. Ein besonders kritischer Bürger erst einmal zum Objekt KI-gesteuerter Al- Punkt ist eine möglicherweise militärische Nut- gorithmen gemacht haben, wird das nur schwer zung. Paral­lel zu selbstfahrenden Autos wer- zu ändern sein. den selbstfahrende­ Panzer, selbstständig kämp- Aber die zukünftige Entwicklung der fende Roboter und selbst organisierte Drohnen Menschheit darf so nicht festgelegt werden. für Über­ ­wachung und Luftangriffe entwickelt Die Verwendung von KI muss vielmehr mit- und gebaut. hilfe des Staates demokratisch und unter we- Die Technologie soll außerdem voraussagen sentlicher Beteiligung der Zivilgesellschaft können, wo demnächst welche Verbrechen be- gestaltet ­werden. gangen werden und wen man am besten schon Ein erster Schritt dazu könnte es sein, sich vorher verhaftet. In China werden künftig die Ein- klarzumachen, dass der Begriff der künstlichen wohner KI-gestützt mit Punkten bewertet, damit Intelligenz seit den 1950er Jahren, als noch ehr- der Staat die guten von den schlechten Bürgern fürchtig vom „Elektronengehirn“ die Rede war, unterscheiden kann. Wozu wohl? Bald werden eine völlig übertriebene Vermenschlichung von auch Start-ups gegründet werden, die Journalis- Computern beinhaltet. Gewiss, Computer, die ihre ten und womöglich Politiker durch KI ersetzen, Aufgaben mithilfe von KI erledigen, können viele kann KI doch viel preiswerter Artikel schreiben Pro­bleme oft schneller und systematischer erle- und Entscheidungen viel effizienter treffen. digen als Menschen. Von daher sind sie ein effi- Derzeit erinnert die öffentliche Diskus- zientes Instrument, und für so zu bearbeitende sion insgesamt daran, wie einst die Atom- Probleme sollten wir sie benutzen. kraft ­eingeführt wurde: Alles wird technisch Aber es sind nur ganz bestimmte Pro­ prima, und den Rest kriegen wir auch noch bleme, die mittels KI, also letztlich mit sta- hin. Wir ­brauchen aber stattdessen eine grund- tistischen Verfahren auf hypothetischer sätzliche Debatte und auf breiter Ebene eine Ver­ Ebene gelöst werden können. Computer ständigung darüber,­ wie wir als Gesellschaft mit haben keinen Körper und machen keine Er- künstlicher Intelligenz umgehen wollen. Wie fahrungen, sie wissen nichts von Genderge- kann KI zu ­Demokratie und Frieden, zur Ach- rechtigkeit, Empathie, Solidarität oder Ethik. Sie tung der Menschenrechte und zur Selbst- können zwar Daten übertragen und menschli- verwirklichung beitragen statt nur zu ma- che Sprache verwenden, aber das ist kein Kom- ximalen Gewinnen von Facebook, Google munizieren, nur eine Simulation menschlichen und Apple? Auch auf anderen Feldern sind gefährliche Mo- und Öffentlichkeit. Auf Fußgänger, Fahrradfah- Kommunizierens. Sie können nicht verstehen Im öffentlichen Dialog wird ausgeblendet, dass nopole entstanden: Google kontrolliert unser Wis- rer und sonstige Besonderheiten werden sie da- und auch nicht lernen. Von daher sollten wir Technik immer längs der Interessen der Entwick- sen, Amazon die materiellen Bedürfnisse, You- bei kaum Rücksicht nehmen. nicht von künstlicher Intelligenz sprechen, son- ler entsteht und auch nicht einfach zu einer Ge- Tube und Instagram bestimmen unsere Bilder- In Zukunft werden auch immer mehr mensch- dern von Problemlösekapazität. Sonst vernebelt sellschaft dazukommt, sondern dass sie in die welten. Zusammen mit einigen weiteren weltweit liche Lebensbereiche KI-gestützt neu organisiert diese falsch verstandene Technik doch noch das Gesellschaft hineinorganisiert werden muss. tätigen Internetgiganten setzten sie sich heute im- werden: die Bildung, die Musik und Unterhal- menschliche Denken. Davon hängt es aber vor allem ab, wie sie sich mer aufdringlicher im Leben der Menschen fest, tungsbranche, sicher auch die Bürokratie, die auf Gesellschaft, Demokratie und Zusammenle- indem sie mehr und mehr Bereiche menschlichen halt noch etwas länger braucht. Der Handel op- ben ­auswirkt. Kommunizierens und Handelns organisieren und timiert den Umgang mit seinen Kunden, in den Friedrich Krotz Autos waren einmal eine solche Neuheit. Sie kontrollieren. Betrieben werden Arbeitsprozesse von Compu- ist Professor an der benötigten Straßen, Verkehrsregeln, Parkplätze, Jetzt kommt die künstliche Intelligenz auf uns tern übernommen, Polizei und Justizverwaltung Universität Bremen Fa­briken, Tankstellen. Die in diesem Kontext ent- zu. Da sollten wir nicht bei der Diskussion ver- erproben KI für Aufklärung, Kontrolle und Fahn- und beschäftigt standenen Konzerne verdienen sich heute noch sprochener Vorteile stehen bleiben. Am Beispiel dung. Im Gesundheitsbereich soll KI Epidemien sich mit dem mit immer mehr Autos und deren Nutzung dumm von KI-gesteuerten Autos sollten wir vielmehr voraussagen, medizinische Diagnosen stellen und Wandel von Alltag, und dämlich. Der öffentliche Raum und die Atem- fragen: Von wem und wie werden das Verkehrs- dem Chirurgen das Skalpell führen. KI kann aber Kultur und Gesell- luft der Menschen wurden dabei auf rücksichts- wesen, der öffentliche und städtische Raum und auch unerwünschte Kranke aussortieren oder als schaft im Kontext des Wandels der

lose Weise zerstört. Ähnliche Entwicklungen las- unsere Umweltbedingungen künftig organisiert? Querulanten eingestufte Patienten blockieren: Je privat Foto: Medien.

Menasse Chor

gilt schließlich als Top-Beziehungskiller. Break-up neren Horizont eine neue Welt abzeichnet. Klappt Literatur zum belehrbaren Objekt degradiert wird, rael nicht wohl bitte aber doch auch kritisieren mit den Rechten, sozusagen. Nur leider weiß man aber nur, wenn mir der Autor beim Zeichnen nicht was will man dann noch lesen? dürfe (als ob das die Frage wäre). Um sich da bloß halt bei ihnen wie im Privaten auch nie, wen der den Stift hält. Das verdirbt alles, da mögen seine Erst mal nichts, denke ich. Noch ein Vorsatz ge- nichts vorschreiben zu lassen, ist man auf Dauer- Ex-Partner dann als Nächstes terrorisiert. Die Vor- Absichten noch so super sein. Wie beim – sicher scheitert. Mal ehrlich, all diese schreibenden Män- Hab­acht, um bei jedem Fehlverhalten der Regie- stellung, wie die Rechten in die Stille des Äthers superen – Autor Robert Menasse. Europa ohne Na- ner bilden einen nervigen Chor, der Refrain geht rung mahnend zur Stelle zu sein. Dabei bloß nicht hinein­brüllen, wenn keiner mehr mit ihnen spielt, tionen, als logische Folge von Auschwitz – da kann so: Die Zeiten sind so schlimm, schlimm, schlimm zu sehr ins Detail gehen: Was Kritik an der Regie- hat trotzdem was. ich gut mitgehen. Aber ich bin nicht mehr fünf (AfD! Putin! Trump!), du darfst jetzt nicht mehr rung und was Kritik am Staat als Ganzem ist, geht Aber gut. Twitter löschen ist post Habeck ir- und brauche keinen Steigbügelhalter, um da auf- schweigen. Sie haben recht, leider aber von Psy- im Furor schnell unter. Ein Furor, den man sich gendwie alt, der gute Vorsatz eh schon wieder zuspringen. Dass Menasse in seinem Roman „Die chologie keine Ahnung. Sie sind wie meine Mut- Unrechtsstaaten wie Russland oder Saudi-Arabien perdu. Dann vielleicht mal wieder öfter ein Buch Hauptstadt“ historische Fakten zurechtschustert, ter, die mich früher so oft ermahnt hat, Klavier gegenüber wünschen würde. lesen. Literatur ist erhaben und ihre Wahrheit grö- ist deshalb gar nicht das Problem (anders als bei zu üben, bis ich echt so gar keine Lust mehr da­ Vielleicht wünsche ich mir fürs neue Jahr aber ßer als die Summe ihrer Fakten. Beim Lesen ist seinen Essays natürlich). Das Problem ist, dass er rauf hatte. So lange, bis ich auszog, und mich nie- einfach, dass es mir geht wie der Frau aus China, man mit sich allein und kann seine Meinung zum nicht um des Schreibens willen schreibt, sondern mand mehr ermahnte. die eines Morgens aufwachte und bestimmte, Gelesenen so oft ändern, wie man will, ohne sich mit Agenda. Wie vermutlich sehr viele Romanau- Noch weniger Lust als damals aufs Klavierüben niedrige Frequenzen – sprich: Männerstimmen rechtfertigen zu müssen. Oder man meint gleich toren vor ihm. Und noch mehr Journalisten ne- habe ich heute eigentlich nur auf die verlogenen – nicht mehr hören konnte. nichts dazu und lässt sich treiben, bis sich am in- ben und um ihn. Aber wenn man schon von der Debatten über die uralte Frage, ob man denn Is-  Nächste Woche Robert Misik Seite 174–175, „40 Jahre taz – Das Buch“ Ein Standbild aus der Steinzeit der Digital- isierung: die Homepage der taz im Jahr 1996.

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Social Media seit 1978 n li Nachdem 1543 Vertrauenselige im November 1978 das Ber

969 Vorausabo einer nichtvorhandenen Zeitung bezahlt hatten, 10 • gab es kein zurück mehr. Die taz hatte das Crowdfunding 21 tr. erfunden bevor es den Namen dafür gab – und war schon digital

edrichs und kostenlos zu haben bevor „Internet“ zum Begriff wurde. Fri • s-GmbH Begleiten Sie die taz auf ihrem Weg durch 40 Jahre deutscher Kultur- und Medien- Vertrieb geschichte und werden Sie Zeuge wie sie wurde, was sie nie werden wollte. und gs- 40 Jahre taz – Das Buch – 40 Jahre Zeitgeschichte, 400 Seiten, 40 Euro Verla taz www.taz.de/40jahre-buch 12 kultur

Als Prostituier- te zu arbeiten, habe sie „Geldschein für Geldschein“ für ihre Vergewalti- gung entschä- digt, sagt Virginie Despentes Foto: Juan Carlos Hidalgo/ picture alliance Der Skandal, kein Opfer

Lest Virginie Despentes! Ihre „King Kong Theorie“, zu gerade neu übersetzt, hilft gegen Populismus. Und dagegen, es sich in der Gegnerschaft von Rassismus und Patriarchat zu leicht zu machen seinVon Ulrich Gutmair dentitätspolitik können sich die es gar nicht erst in den Kanon ge- setzen: „Die Männer prangern lauthals cierte Rolle als Frau zurückzuweisen, der sei, begründe ihre totale Macht, nur die Privilegierten, also die schafft haben – vergessen, oder besser soziale oder rassistische Ungerechtig- die sie nicht ausfüllen kann oder will. meint Despentes. Und diese Macht be- „Eliten“, die kosmopolitischen gesagt: verdrängt. keiten an, aber wenn es um die männ- Sie macht sich eine Position zu eigen, kämen nicht mehr nur die Töchter, „Linksliberalen“, leisten, wäh- Wenn Donald Trump über Frauen liche Dominanz geht, sind sie nach- die es für Frauen nicht geben darf und sondern auch die Söhne zu spüren. rend die Armen, die hart ar- sagt, er wolle an ihre Muschi grabschen, sichtig und verständnisvoll. Viele wol- soll: „Alles, was ich an meinem Leben Hier zeige sich „die häusliche Entspre- beitenden Mittelständler und und im nächsten Tweet bekräftigt, er len uns erzählen, der feministische mag, alles, was mich gerettet hat, ver- chung zu dem, was sich in der Gesell- Idie Abgehängten doch weitaus grö- wolle eine Mauer bauen, wenn deut- Kampf sei nebensächlich, ein Reichen- danke ich meiner Männlichkeit.“ schaft entwickelt“: Der Staat, der bes- ßere Pro­bleme hätten. So erzählen es sche Populisten von „Genderwahn“ sport ohne Relevanz und Dringlichkeit. Sie erzählt daher von ihrer Verge- ser zu wissen glaubt, was uns guttut, uns rechte und linke Populisten seit und „Umvolkung“ fantasieren, ist das Man muss schon ein Idiot oder höchst waltigung und ihrer Arbeit als Prosti- als wir selbst, der Staat, „der sich zur Trumps Wahlsieg tagein, tagaus. Ausweis einer psychotischen Verzer- unredlich sein, um die eine Unterdrü- tuierte nicht im allseits erwünschten allmächtigen Mutter aufschwingt, ist Will uns diese Denkfigur wirklich rung. Es verweist aber auch auf ein ge- ckung unerträglich zu finden und die selbstzerstörerischen Opfer-Modus, ein faschistoider Staat“. nur sagen, dass die Diskriminierung schlossenes Weltbild, in dem das Phan- andere als poetisch zu rühmen.“ weswegen ihr sofort Aggression entge- Den Zusammenhang zwischen re- der Armen, Arbeitenden und Abge- tasma eines von zersetzenden Kräften Die Autorin, die mit dem Ro- genschlägt. Als junge Frau vergewaltigt aktionären Vorstellungen von Weib- hängten als Schwule, Schwarze, Frauen bedrohten Volkskörpers und der kaum man „Baise-moi“ in den 1990ern be- worden zu sein, ist für sie etwas, das lichkeit und einer kollektivistisch-völ- nicht weiter ins Gewicht falle? Oder verhohlene Hass auf Frauen, Schwule rühmt wurde und nach ihrer „Vernon sie „zugleich entstellt und ausmacht“. kischen, anti-emanzipatorischen Poli- suggeriert sie nicht vielmehr, dass es und alle anderen, die angeblich nicht Subutex“-Reihe als eine der wichtigs- Als Hure zu arbeiten ein Unternehmen, tik fasst Despentes schließlich in einem im Grunde gar keine lesbischen, psy- ganz normal sind, zusammengehören. ten Schriftstellerinnen Frankreich ge- das sie „Geldschein für Geldschein“ für Satz zusammen: „Die Mutter wird mit chisch kranken, alleinerziehenden, Es ist daher gar nicht verwunder- handelt wird, formuliert eine radikale das entschädigt habe, „was man mir allen Tugenden ausgestattet, um den dunkelhäutigen oder weiblichen Ar- lich, dass es das zwölf Jahre alte Buch Position, die Quotendiskurse und staat- mit Gewalt gestohlen hatte“. Die struk- kollektiven Körper auf die faschistische men und Abgehängten mit Behinde- einer Feministin ist, das der gegenwär- liche Mutterschaftssubventionen nicht turelle Ähnlichkeit von Prostitution Regression vorzubereiten.“ rungen gibt? Die „kleinen Leute“, das tigen Misere mit einer Form der Kritik für das emanzipatorische Nonplusultra und Ehe als mal offenes, mal verbor- Die Männer wiederum sollten sich scheinen auch in den Vorstellungs- begegnet, die diesen Namen verdient. hält. Ihr geht es um eine Kritik an den genes Tauschverhältnis unter asymme- nicht zu früh freuen, wenn die Gänge- welten von 2019 immer noch normale Geschlechterverhältnissen, die aner- trischen Machtverhältnissen ist für sie lung der angeblich unmütterlichen, Männer mit deutschen Nachnamen zu kennt, dass sich in diesen gesellschaftli- ausgemachte Sache. zu emanzipierten Frauen wieder zum sein. Heterosexuell und heimatverbun- che Verhältnisse spiegeln, die es grund- Unterdessen sei Mutterschaft „der Normalzustand wird: „Die Körper der den stehen sie der trauten Kleinfamilie Alles, was sätzlicher in Frage zu stellen gilt. am lautesten gerühmte Aspekt der Frauen gehören den Männern nur vor. Ihre treusorgenden Frauen hüten Despentes an ihrem Am Beginn der Überlegungen von Weiblichkeit“ geworden, hält Despentes dann, wenn die Körper der Männer in derweil die Kinder. Was für ein Quatsch. Despentes steht die Selbstbeschreibung weiter fest. Wer nicht glaubt, dass das Friedenszeiten der Produktion und in Männliche Intellektuelle erläutern Leben mag, als Beschädigte, Scheiternde und Ver- ein internationales Phänomen ist, soll Kriegszeiten dem Staat gehören. Die Be- uns dennoch unverdrossen, der Se- verdankt sie ihrer urteilte. Sie erblickt sich im Spiegel des sich mal einen Nachmittag auf Spiel- schlagnahmung der Frauenkörper fin- xismus von Donald Trump sei zwar herrschenden männlichen Blicks „als plätzen aufhalten, auf denen die neue det gleichzeitig mit der Beschlagnah- irgendwie ärgerlich, aber nicht das Männlichkeit Frau, die immer ‚zu‘ ist: zu laut, zu grob, Mutterschaft perfekt performt wird. mung der Männerkörper statt.“ wahre Problem. Seine Idee von weißer zu zerzaust und immer zu männlich“. Die bürgerliche Mutter und Ehefrau Viele der erklärten Gegner von Ras- Überlegenheit sei noch schlimmer, am Daher ist der Autorin die „Loserin in schiebt einen Kinderwagen vor sich sismus und Patriarchat scheinen diese schlimmsten aber seine Leugnung der Die Frau heißt Virginie Despentes, ihr Sachen Weiblichkeit“ nicht nur sym- her, der das Monatsbudget vieler Al- von Despentes beschriebenen Zusam- Klimakatastrophe. Buch „King Kong Theorie“. Der autobio- pathisch, sie erscheint ihr sogar un- leinerziehender übersteigt, worin sich menhänge nicht begreifen zu wollen. Das ist symptomatisch für eine Ge- grafisch grundierte Essay – dessen Ti- verzichtbar“. Genauso wie der gesell- einmal mehr der Double Bind zeigt, Sie ziehen sich stattdessen selbst gern sellschaft, die vergessen zu haben tel sich Despentes’ Beobachtung ver- schaftliche, wirtschaftliche oder poli- den das Patriarchat höchst erfolgreich narzisstisch-identitär auf ihre indi- scheint, was sie schon mal wusste. Klaus dankt, als Frau sei sie „eher King Kong tische Loser. „Mir sind die lieber, die installiert hat. viduellen Opfererzählungen zurück. Theweleits Studie über „Männerphan- als Kate Moss“ – wurde jetzt neu über- es nicht schaffen, aus dem einfachen Diesen beschreibt Despentes so: Nicht anzuerkennen, dass niemand mit tasien“, Wilhelm Reichs Untersuchun- setzt und wieder aufgelegt (Kiepen- Grund, weil ich es selbst nicht beson- „Ohne Kind keine glückliche Frau, aber seiner realen oder gefühlten Diskrimi- gen zum Zusammenhang zwischen se- heuer & Witsch, 160 Seiten, 9,99 Euro). ders gut schaffe.“ Kinder unter anständigen Bedingun- nierung, dass niemand mit sich selbst xueller Zwangsmoral und der Massen- Als das Buch erschien, war der Sie- Als Frau, die aus der linken Punk- gen großzuziehen wird fast unmöglich. identisch ist, und mehr noch, dass es psychologie des Faschismus, Friedrich geszug der Populisten in den Verhält- szene kommt, hat Despentes die ana- Hauptsache, die Frauen fühlen sich als keine menschliche Existenz jenseits Engels’ Überlegungen zum Ursprung nissen bereits sichtbar angelegt, aber lytischen Werkzeuge und die prakti- Versagerinnen.“ von Beschädigung und Entfremdung von Familie, Privateigentum und Staat, auch gegen den linksliberalen Main- schen Fähigkeiten des Empowerments Das angeblich natürlich gegebene gibt, läuft aber darauf hinaus, eman- all die Texte radikaler Feministinnen, stream musste sich Despentes zur Wehr erworben, um die gesellschaftlich for- Wissen der Mutter, was gut für die Kin- zipatorische Politik zu unterminieren. 13

sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  taz am wochenende

das kommt Giftwasser für die Armen Der Berliner Singer- Songwriter Jens Friebe Michael Moore rechnet in „Fuck Penetration“, der unverblümte, leicht seinem jüngsten verschwiemelte Titel des neuen Albums von Dokumentarfilm mit Trump ab. Jens Friebe, klingt ziemlich vielversprechend. Außerdem gut: Friebe singt da nun verstärkt Und mit den Demokraten. auf Englisch und kriegt lupenreinen Pop hin. Er „Fahrenheit 11/9“ kennt aber ist schließlich nicht Drafi Deutscher. Fuck Schlager! Jens Friebe bleibt nämlich ein mehr Schattierungen als überzeugender Songpoet, singt in seinen Schwarz-Weiß neuen Liedern vom Tauschwert im Kapitalis- mus. Apropos Geld: Jetzt tourt er durchs Land. Von Tim Caspar Boehme 12. 1. „Club Manufaktur“ Schorndorf, 13. 1. „Kranhalle“ München, 15. 1. „Schlachthof“ ichael Moore ist Wiesbaden, 16. 1. „Subway“ Köln, 17. 1. wütend. Und er „Hafenklang“ hat einen Film darüber ge- macht. So weit Ida Kerkovius. Eine bekannt. Der Künstlerin des Bauhauses MAnlass ist naheliegend: die Wahl des 45. Präsidenten der USA. Als Ida Kerkovius (1879-1970) im Winterse- Sein Dokumentarfilm „Fahren- mester 1920/21 ihr Studium am Weimarer heit 11/9“ will dabei zweierlei: Bauhaus aufnahm, war sie keine Anfängerin. der Welt noch einmal deutlich 1903 hatte sie 5 Monate in der „Künstlerkolo- zeigen, wen die USA sich da zum nie Dachau“ bei Adolf Hölzel verbracht. 1911 Präsidenten erkoren haben, und wurde sie an der Königlich Württembergischen herausfinden, ob das Land die- Akademie der Bildenden Künste seine sem Staatsoberhaupt etwas ent- Meisterschülerin und Assistentin mit eigenem gegenzusetzen hat. Atelier und unterrichtete in dieser Funktion Kurz vorweggenommen: auch Johannes Itten, dessen Grundkurs sie Moore macht sehr vieles von dann am Bauhaus besuchte. Mit etwa 70 dem, was man von ihm inzwi- Aquarellen, Kohlezeichnungen, Pastellen sowie schen erwartet. Sonst wäre es Ölgemälden aus den Jahren 1908 bis 1970 ja kein Michael-Moore-Film. zeigt das Kunsthaus Apolda Avantgarde einen Moore als Aktivist vor der Ka- repräsentativen und farbenfreudigen Quer- mera? Gewiss. Gefühlsmani- schnitt durch das Schaffen von Ida Kerkovius, pulation? Sicher doch. Großzü- von der Alexej von Jawlensky sagte: „Sie ist giges Überzeichnen? Selbstver- ganz Kunst.“ ständlich. Doch er öffnet den 13. 1. bis 31. 3., Kunsthaus Apolda Blick über die gängigen Trump- Avantgarde­ Schlagzeilen hinaus, mit denen sich locker ein längerer Film hätte füllen lassen. Der Spitzenkandidat In jedem Fall ist damit etwas Trump selbst äußerte vor Hätte die Entwicklung der US-amerikanischen passiert, das Donald Trump Jahren in Politik von Bush senior bis hin zu Trump selbst vor Jahren in einem Fern- einem verhindert werden und einen ganz anderen sehinterview als Sorge äußerte: Fernsehinter- Verlauf nehmen können? Jason Reitman sagt: dass Moore einen Film über view die Sorge, Ja. Sein Spielfilm „Der Spitzenkandidat“ über ihn drehen könnte. Das State- dass Moore den demokratischen Präsidentschaftsanwärter ment darf als kurze Archivein- einen Film über Gary Hart ist eine Geschichte über vertane spielung nicht fehlen. Und ver- ihn drehen Chancen. Und über die verheerenden Auswir- mutlich hat Trump der Film am könnte. Nun ist kungen, die der Journalismus auf die Politik Ende nicht gefallen. es geschehen. hatte, als er mehr und mehr Boulevard wurde. Moore hakt unterwegs einige Szenen aus Zeitgeschichte, so aktuell, dass sie wehtut. Mit der Punkte ab, die zu Trump halt „Fahrenheit einem angemessen nüchternen Hugh Jack- dazugehören. Ergänzt um Über- 11/9“ man in der Hauptrolle. raschungen. Dass Trump aus Fotos: Weltkino Ab 17. Januar im Kino verletzter Eitelkeit heraus eine Fake-Präsidentschaftskandida- tur inszenierte, dürfte zu Letz- verdankt. Zugleich zitiert Moore Man sieht Hitler Sein Vorwurf: Wie ist so etwas Anzeigen teren gehören. Denn angeblich sich selbst. „Fahrenheit 9/11“ in diesem Land möglich? Unter war Trumps Grund für diesen hieß sein Film über die Politik beim Trump, aber, schlimmer noch, Schritt, dass die Sängerin Gwen der US-Regierung nach der Zer- Reichsparteitag schon unter ? In Stefani beim Sender NBC mehr störung des World Trade Center einer der haarsträubendsten verdiente als ihr blondgefärb- im Jahr 2001. sprechen, hört aber Szenen ist Obama auf Besuch ter Kollege Trump, der dort bis Mit der Partei, die eigentlich eine Rede Trumps in Flint, wo er die Wasserkrise 2015 die Show „The Apprentice“ mit der ersten Präsidentin der der Stadt herunterspielt und hatte. Als die angebliche Kandi- USA Trump hätte verhindern demonstrativ ein Glas Wasser datur Trumps für große Begeis- sollen, springt Moore keinesfalls hat. In Flint, Moores von Armut an die Lippen hält. Als Kritik terung sorgte, blieb er dran. Mit zimperlich um. Er erinnert da- geprägter Geburtsstadt in Mi- an Trump dient das Moore, der weitreichenden Folgen. ran, dass die Demokraten 2016 chigan, ließ der republikani- seine Thesen gern ideologisch sche Gouverneur Rick Snyder verengt, kaum. Was bleibt, ist die Wasserversorgung aus dem Fassungslosigkeit. 18.1. KÖLN ...... 19.1. MÜNCHEN

Anzeige Huronsee, einem der größten Hoffnungsvolle Signale sol- 31.1. HAMBURG ...... 1.2. BERLIN Vincenzo Bellini Süßwasserreservoirs der Erde, len dafür Beispiele von jungen La Sonnambula Diego Fasolis Musikalische Leitung einstellen. Stattdessen baute Demokratinnen wie Alexandria Jossi Wieler, Sergio Morabito Inszenierung TICKETS UNTER: er eine neue Pipeline, die Was- Ocasio-Cortez setzen. Das steht 01806853 653* / WWW.FKPSCORPIO.COM Premiere am 26. Januar 2019 Infos: deutscheoperberlin.de, 030-343 84 343 ser aus dem Flint River lieferte. etwas unvermittelt neben sei- 01806570 000* / WWW.EVENTIM.DE Mit Industriegiften verseuchtes ner oft kunstvoll montierten *0,20 €/Anruf aus dem Festnetz, Mobilfunk max. 0,60 €/Anruf Wasser. Darauf erkrankten viele Trump-Anschuldigungssuada. der mehrheitlich afroamerika- Den besten Überraschungsef- nischen Einwohner an Bleiver- fekt schafft er ohnehin mit Sze- giftung. Zwei starben an der Le- nen aus Leni Riefenstahls Pro- Moore erzählt etwa, wie bei den primaries in West Virgi- gionärskrankheit. pagandafilm „Triumph des Wil- Trump die Spielregeln im Um- nia sogar so weit gingen, die Ab- Moore ist in diesen Teilen in- lens“. Man sieht Hitler beim gang mit der Presse änderte, stimmungsergebnisse der Wäh- haltlich mit am stärksten, ob- NSDAP-Reichsparteitag 1934 gern Korrespondenten sehr ler in sämtlichen Counties des wohl er sich als empörtes Kind sprechen, hört aber, lippensyn- lang warten ließ, wenn diese Staates zu ignorieren: Bernie der Stadt immer wieder selbst chron, eine Rede Trumps. Wenn von Wahlkampfveranstaltun- Sanders hatte zunächst mit als Protagonist ins Spiel bringt. er dann jedoch Bilder des aus- gen mit ihm berichten sollten, großer Mehrheit gegen Hillary Vor allem befragt er jedoch Me- gebrannten Reichstags mit Be- wie es bis zuletzt in der Öffent- Clinton gewonnen. Die zustän- diziner oder eine ehemalige richten über die Anschläge auf LAMBCHOP lichkeit als ausgemacht galt, digen Delegierten der Demokra- Mitarbeiterin der Gesundheits- das World Trade Center von 2001 17.04.19 LEIPZIG dass Trump die Wahl verlieren ten stimmten am Ende dennoch behörde der Stadt, die nüch- kombiniert, ist er wieder tief im 18.04.19 MÜNCHEN würde. Auch die tränenüber- für Clinton. terne Zahlen vortragen. Blei- Verschwörungstheorienreich. 20.04.19 DARMSTADT strömten Gesichter der Demo- Einer der größten Skandale, werte, die sie bei Kindern ge- Moore bleibt eben Moore. 26.04.19 BERLIN kraten lässt Moore noch einmal die Moore anspricht, geht auf messen haben und die, im Fall 27.04.19 KÖLN Revue passieren, am 9. Novem- das Konto der Republikaner, der Behördenmitarbeiterin, hin- „Fahrenheit 11/9“. Regie: 29.04.19 HAMBURG ber 2016 nach der Wahl, dem Da- selbst wenn er auf den ersten terher für den offiziellen Bericht Michael Moore. USA 2018, 128 tum, dem der Film seinen Titel Blick wenig mit Trump zu tun nach unten korrigiert wurden. WWW.SCHONEBERG.DE Min. Ab 17. 1. im Kino sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  14 literatur taz am wochenende Herzlich, deine B-Schwester

Lebendiger Mikrokosmos des DDR-Lebens in den Sechzigern: Brigitte Reimanns Briefe an ihre und von ihren drei Geschwistern

Der älteste Bruder Ludwig, Jahre jüngeren Schwester Do- Von Katharina Granzin genannt Lutz, war nur einein- rothea war auf einer anderen ie starb 1973 mit halb Jahre jünger als Brigitte Ebene sehr eng. Zwar enthalten nur 39 Jahren an und stand ihr von allen Ge- die Briefe weniger persönlich Krebs: Brigitte Rei- schwistern am nächsten. Der Dramatisches – es wird darin mann, die in der Briefwechsel zwischen diesen eher eine Menge „Weiberkram“ DDR schon mit An- beiden ist der interessanteste besprochen; dafür war Dorothea fang 20 als Autorin – nicht zuletzt deshalb, da Lutz häufig bei der Schwester zu Be- Sso erfolgreich war, dass sie ihr 1960 in den Westen ging. Das such und unterstützte sie in Kri- Leben lang als freie Schriftstel- war ein Schritt, den Brigitte Rei- sen tatkräftig. Die Beziehung lerin arbeiten konnte. Neben ih- mann lange Zeit nicht nachvoll- Brigittes zum jüngeren Bruder rem Output „beruflicher“ Texte, ziehen oder auch nur entschul- Ulrich wiederum scheint nicht zu denen Drehbücher und Hör- digen konnte. In Briefen dieser ganz so eng gewesen zu sein – spiele ebenso gehörten wie Er- frühen Jahre tragen die zwei Ge- allerdings war Ulrich offenbar zählungen, Romane und Repor- schwister harte weltanschauli- kein fleißiger Briefeschreiber, tagen, muss sie auch privat un- che Auseinandersetzungen aus, überließ er diese Aufgabe doch ablässig geschrieben haben. In gefolgt von einer langen Phase gern auch mal seiner Gattin. Zeiten, als es in den meisten beiderseitigen Schweigens. Das Haushalten noch nicht einmal Drama der deutschen Teilung, Wohnungsnot ist ein Thema Telefon gab (und danach waren das heute schon so weit ent- Dieser Briefsammlung liest sich Ferngespräche teuer), waren rückt scheint, wird hier schlag- keineswegs nur für Reimann- Bis zuletzt arbeitete sie an „Franziska Linkerhand“: Brigitte Reimann, um 1955 Foto: Gerhard Kiesling/BPK Briefe die einzig mögliche Kom- lichtartig noch einmal so aus- Fans fesselnd, durch ihre Mul- munikationsform über weitere geleuchtet, dass die politischen tiperspektivität eröffnet sie zu- tätig, lange im Wohnheim aus- das kostbare Gut beim Zoll ab- Entfernungen. Gräben und Grenzen, die einst dem einen ganzen Mikrokos- harren und bekommen erst gefangen wird, an den Schrift- Der Aufbau Verlag, der bereits Menschen trennten, schmerz- mos der DDR-Gesellschaft der durch die (heimliche) Interven- stellerverband adressieren lässt. mehrere Bände mit Briefen her- lich sichtbar werden. ersten Jahrzehnte. Politische tion der Schriftstellerschwes- (Und tatsächlich enthielten etli- ausgebracht hat, legt nun einen In den letzten Jahren von Bri- Hoffnungen und Enttäuschun- ter eine kleine, unansehnliche che Pakete auch Bananen!) weiteren Band mit privater Kor- gitte Reimanns Leben dagegen gen werden sichtbar, die damals Wohnung zugewiesen. Bücher Ergreifend am Ende die Mun- respondenz vor: die Geschwister- wird Lutz derjenige unter den die Menschen umtrieben, da- und Schallplatten sind begehrte, terkeit, die Brigitte Reimann im- briefe. Sowohl Reimanns Schrei­ Geschwistern sein, mit dem sie neben Alltagssorgen und -nöte, oft rare Güter, die von West nach mer noch in ihre Briefe zu le- ben an ihre drei Geschwister brieflich die größte Innigkeit von denen die gefeierte Auto- Ost, aber auch in umgekehrter gen imstande ist, als sie schon sind hier versammelt als auch verbindet – der Einzige auch, rin (beinahe) ebenso betroffen Richtung versendet werden. längst weiß, dass ihre Lebenser- deren Briefe an sie. Außerdem dem gegenüber sie während ist wie andere auch. Brigitte schickt Thomas-Mann- wartung gering ist – und dass sie ist der „Fami­lien­rund­schrieb“ ihrer langen Krankheitsphasen Wohnungsknappheit ist ein Bände nach Hamburg und be- ihren großen Roman „Franziska Brigitte Reimann: „Post vom enthalten, den Vater Reimann re- und ihrer Ehekrisen auch ihre riesiges Thema: Schwester und stellt beim Westbruder Jazz- Linkerhand“ nicht mehr been- schwarzen Schaf. Geschwister- gelmäßig verfasste und an seine oft tiefe Verzweiflung offen- Schwager etwa müssen, ob- schallplatten und Belletristik, den kann, an dem sie bis zuletzt briefe“. Aufbau Verlag, Berlin vier Kinder schickte. bart. Die Beziehung zur zehn gleich verheiratet und berufs- die sie, um zu verhindern, dass gearbeitet hat. 2018. 416 Seiten, 24 Euro

Anzeige Die Unruhe des Kopfes

Gewalterfahrungen, Heimatverlust, musikalische Sprache: Guntram Vespers gesammelte Gedichte laden zur Begegnung mit diesem Wiederentdeckten ein festgelegt hat // jedes Heft / ein ler Katastrophen und Grausam- Von Thomas Schaefer anderer Ansatz / das Leben zu se- keiten der privaten und Staats- chon auf Seite 15 fällt hen, immer // genauer / und är- aktionen. Oben zum ersten Mal das mer.“ Oft eignet dieser Wendung Es ist eine Fixierung, in der Haupt- und Zauberwort, vom Außen zum Innen eine mo- sich sprachlicher Ausdruck und Von Menschen und Bergen S der Name der „kleinen ralische Konsequenz, sogar eine psychologische Notwendigkeit Stadt Frohburg/in Sachsen“. Handlungsaufforderung, wie im in einer Dringlichkeit verbinden, Frohburg, das ist der Ort bei Leip- programmatischen „Landmeer“: die Peter Rühmkorf 1981 anhand zig, in dem der Dichter Guntram­ „Wir dürfen unser / Leben / nicht der Lektüre von Vespers Gedicht- Vesper 1941 zur Welt kam, es ist beschreiben, wie wir es / gelebt band „Die Illusion des Unglücks“ der Titel eines Vesper-Gedicht- haben / sondern müssen es / so erkannt hat: „Wer genau genug bands von 1985 und der jenes leben / wie wir es erzählen wer- hinblickt, liest ja aus jeder Zeile, Prosa-Tausendseiters, mit dem den: / Mitleid / Trauer und Em- jeder Strophe, jedem dichteri- Heft 1/2019 der in Göttingen lebende Autor pörung.“ schen Vergleich den immensen 2016 ein erstaunliches Come- Kunstaufwand mit heraus, des- In dieser Ausgabe: back feierte, nachdem er zwei Frohburg Sehnsuchtsort sen es bedurfte, die Unruhe des EstHEr KinsKy Jahrzehnte lang nur in ausge- Dezidiert politisch sind vor al- Kopfes nur für einen Augenblick suchten Kleinverlagen veröf- lem Vespers Gedichte aus den zu stillen.“ Will sElf fentlicht hatte. Der Schöffling- 60er und frühen 70er Jahren, Dieser Unruhe und der aus Verlag sah sich motiviert, eine in zeitgeschichtlichen Bezügen ihr resultierenden Disziplin ver- Eliot WEinbErgEr Gesamtausgabe aufzulegen. stehen aber alle Texte, und fast dankt sich die Klarheit dieser Ge- AHEli MoitrA 2017 erschien die gesammelte alle haben einen narrativen Zug. dichte, der unverwechselbare Prosa, nun die Lyrik. Damit er- Es ist kein Wunder, dass manche Vesper-Ton, wie er zum Beispiel noéMi Kiss hält das Publikum die Gelegen- Passagen wortwörtlich in Pro- im Zyklus „Nordwestpassage“ heit, einen Lyriker zu entdecken, satexten Vespers wieder auf- (1985) zum Klingen kommt: der in den 1980er Jahren zu den tauchen, die ihrerseits in ihrer „Mein Traum das Seeleben / das wichtigsten der deutschsprachi- Musikalität und Konzentration Vorüberfliegen der Schiffe auf gen Literatur zählte, dessen Werk einen stark lyrischen Charakter dem ungeheuren Meer / Matro- ohne den „Frohburg“-Erfolg aber aufweisen. Gereimt wird bei Ves- sen voll kindlicher Freude / an vielleicht in Vergessenheit gera- per nur in einigen der frühen der Reling / Winken, Rufe / von ten wäre. „Tieflandsbucht“ be- Gedichte, die hier erstmals zu- Bord zu Bord, Fragen / nach dem weist, was das für einen Verlust gänglich beziehungsweise ver- Woher, Wohin / nach fernem bedeutet hätte. sammelt sind. Krieg und fernem Frieden. // In Nach ersten, naturgemäß et- Und natürlich spiegeln die Ge- solcher Gesellschaft nichts wis- was prätentiösen Versuchen dichte all die Themen, die auch sen / immer zwischen den Kon- findet Vesper früh den Stil, der in der Prosa dominieren: vor al- tinenten / an ihrem Saum / auf KULTUR seine Gedichte prägt: das Ver- lem Gewalt als elementare Er- der Wellenlinie der Schönheit.“ knappte, Karge. Das Formprinzip fahrung, die das Leben Vespers AUSTAUSCH ist stets ähnlich: Zunächst wird grundiert, der im Zweiten Welt- eine Begebenheit, gern aus der krieg zur Welt kam, die junge Zeitschrift für unmittelbaren Frohburger oder DDR erlebte und dann, nachdem internationale Perspektiven Göttinger Nachbarschaft, das die Familie 1957 in den Westen heißt, der eigenen Biografie, auf gegangen war, die traumatische Jetzt am Kiosk, zu bestellen unter im Wortsinn prosaische Weise Erfahrung von Heimatverlust. www.kulturaustausch.de erzählt, und am Ende steht eine Nicht zuletzt deshalb ist Froh- pointierte Schlussfolgerung, burg stets Sehnsuchtsort geblie- oder bei [email protected] wie hier im Gedicht „Mein Leh- ben, der immer wieder beschwo- (pro Ausgabe 7 Euro zzgl. Versandkosten) rer im Zeichnen“: „Irgendwann rene Schauplatz der Kindheit als Guntram Vesper: „Tieflands- holt man / die alten Blätter her- Landarztsohn. Die Kleinstadt bucht. Die Gedichte“. Schöffling vor / und sucht / nach dem ers- wird zur Chiffre einer exempla- & Co., Frankfurt am Main 2018. ten Strich / der alle späteren / rischen Kindheit, aber auch al- 525 Seiten, 32 Euro  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende politisches buch 15 Räuber, Gelehrte – eine Stadt Die britische Historikerin Bettany Hughes hat das ultimative Istanbul-Buch geschrieben. Schwärmerisch legt sie den alten Kosmopolitismus frei Von Ingo Arend ie „Hauptstadt Natürlich wuchsen die Chiff­ der Welt“. Gustave ren Byzanz und Konstantinopel Flaubert staunte zu einem Mythos, der ein von nicht schlecht, den sozialökonomischen Bedin- als er 1850 an den gungen seiner Existenz unab- Bosporus kam. hängiges Eigenleben zu führen DDen französischen Schriftsteller schien. Und manchmal scheint erinnerte der Besuch an „jenes auch Hughes diesem Mythos Gefühl des Zermalmtwerdens, zu erliegen, wenn sie von dem das einen durchdringe, wenn „proteischen, fiebernden Cha- Istanbul – ein man so viele unbekannte Men- rakter“ der Stadt spricht. Sehnen der schen streift, vom Perser und Doch die preisgekrönte Wis- Welt? 1958, Galatabrücke Inder bis zum Amerikaner und senschaftlerin, Jahrgang 1967, Foto: Ara Güler/ Engländer, so viele getrennte In- derzeit Fellow am renommier- Magnum dividualitäten, deren furchtbare ten King’s College in London, Photos/ Summe die eigene totschlägt“. schreibt nicht vom Aufstieg und Agentur Focus Istanbul schien Flaubert wie Niedergang eines Fabelwesens. der Vorschein einer multikul- Sie hat auch keinen geschichts- jungen muslimischen Erobe- hall des globalen Geltungsan- nun die Warägergarde war, die tur des Recep Tayyip Erdoğan turellen Weltzivilisation. oder stadttheoretisches Inter- rers Mehmed, der 1453 die Ru- spruchs, den die „von Meeren 6.000 Wikinger, die die byzan- hält an diesem Grundsatz fest. Diese Idee der Vielfalt steht esse, sondern geht streng chro- ine Konstantinopel schließlich umkränzte“ Stadt seitdem in tinischen Kaiser mit vorgehal- Es wird sich zeigen, ob die Neu- im Mittelpunkt des unglaubli- nologisch vor. Mit unfassbarer seinem Reich einverleibte und sich trägt. „Wenn es auf der Welt tener Streitaxt schützten oder gier an dem Unbekannten und chen Buchs von Bettany Hughes. Akribie, atemberaubendem De- Konstantiniyye nannte. Hughes nur ein Land gäbe, Istanbul wäre die Janitscharen, die aus Chris- der Zwang, „uns zu verbinden, „Unterschiedliche Religionen, tailwissen und langem erzähle- brillantes, von Susanne Held seine Hauptstadt“, befand selbst tenknaben vom Kaukasus und zu kommunizieren und uns aus- Kulturen, Ethnien, alle mit ih- rischem Atem zeichnet sie in vorzüglich übersetztes Buch, Napoleon. dem Balkan handverlesene Leib- zutauschen“, den Hughes als die ren jeweiligen Eigenheiten und 78 Kapiteln den Weg der Völker, ist ein Paradebeispiel angel- truppe des Sultans. Sie erhoben DNA Istanbuls ausmacht, auf Interessen“, schreibt die Best- Räuber und Gelehrten nach, die sächsischer Nonfiction, wo sich Von das zum Prinzip, indem sie eth- lange Sicht über dessen eiser- sellerautorin an einer Stelle ih- ihre Spuren auf diesem Flecken historische Genauigkeit und li- nischen Minderheiten Sonder- nen Griff auf sein Land obsiegt. rer voluminösen Historie Istan- hinterließen. terarisches Erzählen zu einem Barbarenvölkern rechte einräumten. Von dem Nika-Aufstand 523 einzigartigen Bildungserlebnis umgeben, Sie rekrutierten zudem ihren unter Kaiser Justinian bis zu verbinden. Herausgekommen Hofstaat und die Bürokratie aus dem von Gezi 2013 sieht sie Anzeige ist das ultimative Istanbul-Buch. ein Objekt allen Teilen ihres weltumspan- eine Kontinuitätslinie, die be- Dass der von Barbarenvöl- nenden Reichs und schufen so legt, dass die Menschen in der kern umgebene Flecken durch der Begierde eine multiethnische, „artifi­ Stadt „ein so anhaltendes Des- La Bohème die Jahrhunderte ein derartiges ziel­le herrschende Elite“. „Die ei- interesse an ihren Herrschern Giacomo Puccini Objekt der Begierde war, hatte Hughes versteht das Prin- gentliche Stärke“ der Stadt sieht haben, als sei es ihnen angebo- natürlich seinen Grund. Byzanz zip Vielfalt nicht als Multikul- Hughes deshalb zu Recht in ih- ren“. Wenn ihre These stimmt, 12 bis 92 € war der strategische Knoten- tur im heutigen Sinn. Sondern rer „Mischlingsnatur“. hätte der Kosmopolitismus PREMIERE AM 27. JANUAR 2019 punkt zwischen dem Schwarzen als Folge einer nicht endenden Insofern ist es zwar schade, dieses „Tors zur Glückseligkeit JETZT BUCHEN! (030) 47 99 74 00 und dem Mittelmeer. Und spä- Folge von Regimewechseln. Bei aber begründet, dass Hughes – so nennen die Istanbuler ihre testens seit Kaiser Severus im jedem wurden die Menschen zu ihre „Biografie“ am 3. März Stadt – womöglich doch noch buls, hätten schon Konstantino- Sie schlägt den Bogen von den Jahr 195 n. u. Z. im Zentrum der Tausenden brutal geschlachtet, 1924 enden lässt. An diesem eine Chance. pel zu einem „hochkomplexen Hominiden, die 6000 Jahre vor Stadt das „Milion“ errichtete, ein meist vom Herrscher eigenhän- Tag wurde Abdülmecid II., letz- Ort“ gemacht. unserer Zeitrechnung in einem steinernes Mal, von dem sämt- dig gepfählt. Keinen Warlord, ter Kalif aus dem Hause Osman, Wahrscheinlich hat der Verlag prähistorischen Paradies mit liche Abstände im Römischen der die Stadt in 8.000 Jahren bei Nacht und Nebel außer Lan- deswegen für die deutsche Aus- 9000 Pflanzensorten lebten Reich gemessen wurden, stieg Geschichte, umgerechnet circa des geschafft. Die Republik des gabe des Bandes den Titel „Die über die Auswanderer vom grie- die Metropole zu dem kulturel- 320 Menschengenerationen, un- Mustafa Kemal Atatürk machte Biographie einer Weltstadt“ ge- chischen Festland, die dort im len Referenzpunkt zwischen Ost ter seine blutige Knute zwang, Schluss mit der Multikultur. Die wählt. Im englischen Original 6. Jahrhundert v.u.Z. die winzige und West auf. lässt sie unerwähnt. „moderne“ Türkei verstand sich heißt er bescheidener „A Tale of Kolonie Byzantion gründeten. Hughes nennt diese Mutter Aber der Zustrom immer als ethnisch homogener Natio- three cities“. Er suggeriert frei- Sie begleitet die römischen aller Meilensteine das „Ground neuer Ethnien, Krieger und nalstaat. Das verderbte Babel Is- lich auch, die Geschichte einer Kaiser, die die griechische Sied- Zero der Zivilisation“. „Das Seh- Flüchtlinge verwandelte die tanbul wurde in Acht und Bann Bettany Hughes: „Istanbul. Stadt ließe sich wie die Biogra- lung zum „Neuen Rom“ erho- nen der Welt“, jenes mythische Stadt langsam in genau das geschlagen. Die Biographie einer Welt- fie eines Politikers oder Wissen- ben, den Einfall der Goten und Synonym, das noch heute für die Völkergemisch, das schließ- Auch die vom Neo-Osmanis- stadt“. Klett-Cotta, Stuttgart schaftlerin schreiben. Perser bis zu den Heeren des Stadt benutzt wird, ist ein Nach- lich Flaubert faszinierte. Ob es mus schwer besoffene Dikta- 2018, 940 Seiten, 35 Euro

ßer Beliebtheit als politischer Führer, des Möglichen, die Lenins revolutio- der kommunistischen Herrschaft, wir gleich neben Putin, während Lenin, näre Aktion eröffnete, von heutigen bleiben bei der Erinnerungsarbeit bei Die zwei Linien Chruschtschow und Gorbatschow Ver- Kommunisten zu nutzen. Lenin er- Lenin und den stalinistischen Verbre- achtung entgegenschlägt. griff in einer scheinbar aussichtslosen chen stehen. So wirkt die Vergangen- Der Philosoph Slavoj Žižek ist bekanntlich ein Leninist. Nun hat Beinahe scheint es, als müsse man Situation, im Moment des Zusammen- heit symbolisch weiter. Wir verhalten der russischen Bevölkerung, die von bruchs, die Macht. In der Hoffnungslo- uns daher wie Analysanden in der Psy- er zentrale Texte Lenins kommentiert – um ihn zu wiederholen alter Großmacht träumt, das große sigkeit entdeckte er den Mut des Revo- choanalyse, die traumatische Inhalte Trauma, das von Stalin verursacht lutionärs: Der Mut der Hoffnungslosig- erinnern, aber nicht korrekt symboli- realexistierenden Sozialismus. Anders wurde, in Erinnerung rufen. Oder an- keit, so lautet auch der Titel des Buches, sieren können: Wir reproduzieren so Von Marlen Hobrack verhält es sich mit Lenin, der als füh- ders: Das Ende der Sowjetunion, das das Žižek ebenfalls in diesem Jahr ver- Konstellationen der Vergangenheit s ist bezeichnend, dass ein Buch render Revolutionär die Oktoberrevolu- mit Chruschtschow seinen Anfang öffentlichte, war entscheidend. wie bei der Übertragung im Rahmen über Lenin mit Stalin beginnt. tion unmittelbar mit herbeiführte. Mit nimmt, weil er die Fehlbarkeit der po- Die heutige Linke stehe vor demsel- der Psychoanalyse. Unsere Erinnerung Slavoj Žižek, der umtriebige Lenin tritt der totalitäre Führer, der die litischen Führung eingestand, bildet ben Problem wie Lenin 1917. Anstelle ei- muss durch Stalin und Lenin hindurch- E slowenische Starphilosoph mit Massen lenkt, auf die Bühne der kom- das viel größere Trauma als die kata- ner mutigen Revolution aber setze sie gehen, um zu dem Punkt des revolutio- dem bezaubernden Sprachfehler, hat munistischen Geschichte. strophale Hungersnot, die Stalins Ver- auf eine lammfromme Vision der Ver- nären Keims zurückzukehren. Den An- mit „Lenin heute“ allerdings ein Buch Ist also Lenins verzweifelter Kampf such, einen Bauernstaat in einen zen- besserung des bestehenden Systems fang wiederholen. vorgelegt, das nicht beim Horror des gegen Stalin als sein Nachfolger, den tralistischen Industriestaat umzuwan- im Rahmen des modernen Wohlfahrts- Es ist bezeichnend, dass ein Buch Stalinismus stehen bleibt. Entstanden Lenin bis zu seinem Tod ausfocht, Be- deln, erzeugte. staates. Keine andere Lösung falle ihr über Lenin mit Stalin beginnt. Aber die ist eine kommentierte Ausgabe zent- weis für dessen heldenhafte Versuche, Žižek nun geht es, und das ist das Be- ein, als die Forderung nach höheren So- Geschichte des Kommunismus muss raler Texte Lenins, die in Deutschland, das Erbe des Kommunismus zu retten? zaubernde an diesem Buch, gar nicht zialleistungen oder etwas weniger Un- nicht mit ihm enden. im Gegensatz zur englischen Ausgabe, Oder verstand Lenin plötzlich, dass der um Lenin selbst, auch wenn er in des- gerechtigkeit. Dass nationale Wohlfahrt nicht im Jubiläumsjahr der Oktoberre- Saat des Stalinismus bereits in der leni- sen Schriften einführt. Vielmehr nä- nicht die passende Antwort auf die Ver- volution erschien. nistischen Ära der Boden bereitet wor- hert er sich im Dreischritt aus Erin- werfungen des globalen Kapitalismus Hier wie dort hängt der Schatten den war? Dass Stalin also letztlich sein nern, Wiederholen und Durcharbeiten sein kann, erscheint logisch. Aber ob des stalinistischen Terrors über der Produkt war? einer Psychoanalyse der kommunis- uns der Rückgriff auf Lenin tatsächlich Geschichte des Kommunismus im Zeitsprung: In der Chruschtschow- tischen Seele, die daran krankt, dass weiterhelfen kann? 20. Jahrhundert. So weit reicht er, dass Ära, die mit dem Eingeständnis der der Blick auf die kommunistische Ge- Letztlich rechtfertigt Žižek den Rück- in den letzten Jahrzehnten selbst Karl stalinistischen Verbrechen einherging, schichte von Gewaltherrschaft und To- griff auf Lenin damit, dass in der Er- Marx als kontaminierter Autor betrach- wurden Stalinbildnisse durch Lenin- talität überschattet wird. Lenin müsse innerung zeitgenössischer Linken der tet wurde. Das Marx-Revival der letzten köpfe ersetzt. Rückkehr zum unbefleck- wiederholt werden, aber nicht in dem Kommunismus mit den Verbrechen Slavoj Žižek: „Lenin heute“. Wissen- Jahre war nur möglich dank der Tren- ten Ursprung? Unter zeitgenössischen Sinne, dass man seine Fehler wieder- des sowjetischen Regimes verknüpft schaftliche Buchgesellschaft, Darm- nung kommunistischer Schriften vom Russen dagegen erfreut sich Stalin gro- holen solle. Vielmehr seien die Felder sei. Wir erinnern uns an die Traumata stadt 2018, 268 Seiten, 24,95 Euro sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  16 kultur taz am wochenende

Eine Krise von epischem Ausmaß Verdammte Lust auf Glück

In den USA gibt es jedes Jahr mehr Hat Rosa Luxemburg, vor hundert Jahren von Rechtsextremen ermordet, Bücher, doch die AutorInnen uns noch etwas zu sagen? Mit Hannah Arendt geantwortet: ziemlich viel verdienen schlechter omanautorInnen in den USA mussten in den letzten Jahren hinnehmen, dass ihr Einkommen stetig sank. Der Buch- R händler Amazon wird dafür verant- wortlich gemacht, die Preise zu drücken. Des- wegen gebe es eine „Krise epischen Ausmaßes“ für das Einkommen amerikanischer Literaten. Das konstatiert eine neue Studie der Authors Guild, der größten Vereinigung von AutorIn- nen im Literatur- und Medienbetrieb der USA. Es wurden rund 5.000 AmerikanerInnen be- fragt, die mit dem Veröffentlichen von Büchern Geld verdienen. Die meisten von ihnen schrei- ben fiktionale Texte. Je ein Fünftel der Befrag- ten schreibt Akademisches oder Sachbücher. Das Einkommen aus Buchverkäufen sank für die Teilnehmenden zuletzt dramatisch. Im Schnitt verdienten sie im Jahr 2009 noch 10.500 US-Dollar, aber 2017 nur noch 6.080 US- Dollar. So müssen die meisten AutorInnen an- dere Jobs annehmen, um ihren Lebensunter- halt zu verdienen. Menschen, die fiktionale Texte schreiben, sind von den sinkenden Ein- nahmen aus Buchverkäufen besonders betrof- fen. Dieses Einkommen sank im Vergleich zu vor 4 Jahren um 27 Prozent. Ein Viertel der Be- fragten verdiente im Jahr 2017 gar nichts aus Buchverkäufen. Dies habe damit zu tun, dass die Tantiemen sinken und es weniger Voraus- zahlungen der Verlage gebe, so die Studie. Für die Einkommenskrise sei Amazon ver- antwortlich. Der Online-Versandhändler do- miniere nicht nur den Buchhandel, sondern in den USA auch das Verlagsgeschäft. Zwar werde das Publizieren von E-Books im Eigen- verlag durch Amazon für viel mehr Menschen ermöglicht. Noch 2009 wurden 300.000 Bü- cher in den USA publiziert. 2017 sind es be- reits eine Million pro Jahr, zwei Drittel davon sind selbst verlegt. Das führte zu mehr LeserIn- Ähnlichkeiten: nen: Millionen Menschen würden mittlerweile stand“, ein wirrer Putschver- burg zur Ikone wurde, hat noch bemerkt verlassen. Denn für Zwischen Rosa Von Stefan Reinecke „Kindle Unlimited“ abonnieren und hätten so Luxemburg, der such, den Luxemburg verhin- andere Gründe – und die sind Luxemburg war die Revolution Zugriff auf viele E-Books auf Amazon. Doch die Ikone der ch habe verdammte Lust dern wollte, aber nicht konnte zum Teil Missverständnisse. Die „kein Glaubensartikel“ wie für AutorInnen, die über Amazon publizieren, be- Linken (l.), und glücklich zu sein, und bin (nachzulesen in dem verges- Frauenbewegung erkor die Zer- Lenin, auch keine Notwendig- kommen weniger Geld für ihre Bücher. Die Er- Hannah Arendt, bereit, Tag um Tag mit dem senen Bericht des Untersu- brechliche, die sich in der Män- keit wie für Kautsky, sondern löse seien im Schnitt 50 bis 58 Prozent niedri- der Philosophin Starrsinn eines Tauben um chungsausschusses des preu- nerwelt behauptete, zur Hel- ein offener Prozess, den nur ger als bei AutorInnen, die ihre Bücher bei tra- der Freiheit, mein Portiönchen Glück zu ßischen Landtags von 1920, din. Zu Luxemburgs Aura gehört das spontane, öffentliche Han- ditionellen Häusern verlegen lassen. gibt es eine feilschen.“ Das schrieb Rosa den Jörn Schütrumpf dankens- auch, dass sie Migrantin war – deln der proletarischen Masse überraschende ILuxemburg an Leo Jogiches, werterweise ausgegraben hat). polnische Jüdin im deutschen herstellen könne. Wenn wir pro- Blockbuster-Mentalität Nähe im den Mann ihres Lebens. Sie war „Die Revolution wird sich mor- Kaiserreich. Doch Luxemburg letarische Masse durch Bürger Da nun alle Menschen ihr Buch bei Amazon Denken eine begnadete Briefautorin. gen schon ,rasselnd wieder in als Frau und Jüdin in Beschlag zu ersetzen, ist klar, was gemeint veröffentlichen können, verändere das die Fotos: Fine Art Ihre Briefe aus dem Gefängnis die Höh’ richten‘ und zu eurem nehmen ist schwierig. Für Femi- ist. Die Vielen müssen die Po- herkömmliche Verlagslandschaft in den USA. Images/picture sind anrührende Beispiele die- Schrecken mit Posaunenklang nismus hatte sie nur Spott üb- litik machen, das ist die Idee Amazon ziehe mit seinem Eigenverlagspro- alliance, Effigie/ ses Genres, voll zarter Beobach- verkünden: ich war, ich bin, ich rig. Das Judentum war ihr egal. der Republik. Arendt sah in Lu- gramm vor allem wenig und mittelbekannte Leemage/ tungen und präziser Miniaturen werde sein!“ So lauteten ihre Es ist allenfalls lesbar als Trieb- xemburgs Spontaneismus ei- AutorInnen an. Traditionelle Verlage scheuten picture alliance zur Natur, zu Vögeln, dem Him- letzten Zeilen. Ein Irrtum. feder für ihren wetterfesten In- nen Spiegel ihrer Überzeugung, dagegen zunehmend das Risiko, die Werke sol- mel, dem Leben, das man „tap- Luxemburgs Traum von der ternationalismus. dass Glück nicht privat ist, son- cher SchriftstellerInnen zu publizieren. Sie ha- fer, unverzagt und lächelnd“ Revolution endete in Berlin als Ist Luxemburg 2019 nur dern im öffentlichem Reden ben eine „Blockbuster-Mentalität“, wollen un- nehmen muss, wie es ist. blutige Donquichotterie. Der eine Erinnerung an versäumte und Handeln entsteht. Die un- bedingt Verträge mit populären Bestseller-Au- Rosa Luxemburg war eine konfuse Putsch war ein Vorwand Chancen, an das ewig unerfüllte geplante Erhebung und das Lob torInnen abschließen, weil diese hohe Gewinne zornige Liebende, die sich selbst für den entfesselten Terror der Traumbild eines antiautoritären des kollektiven Handelns bei versprechen. Für Prominente wie etwa Mi- ein Temperament bescheinigte, Freikorps. In Moskau erstickte Sozialismus, an ein lang ausge- Luxemburg ähnelten in ihrem chelle Obama, deren Autobiografie derzeit so- das „eine ganze Prärie in Brand der Bolschewismus an der selbst branntes Feuer? Also nur Asche? Blick den townhall meetings, die wohl in den USA als auch in Deutschland ein setzen“ konnte. Sie war eine entfachten Gewalt und der Un- Ihr Werk, schrieb Hannah Arendt an der amerikanischen Renner ist, müssen sie aber höhere Vorschüsse glänzende Polemikerin, eine terdrückung von Freiheit und Arendt 1968, müsste Pflicht- Revolution bewunderte. Es war zahlen. Das setze die Verlage unter Druck, sol- originelle sozialistische Theo- Demokratie, exakt so, wie Lu- progamm „der westlichen Poli- kein Zufall, dass beide in der Rä- che Bücher mit viel Werbung bekannt zu ma- retikerin – und eine Empfind- xemburg es in ihrer Kritik an tikwissenschaften“ sein. Arendt,­ terepublik die geeignetere Form chen, um die Einnahmen zu garantieren. same. Dass sie, die ehrgeizige Lenin scharfsinnig vorausgese- die Philosophin der Freiheit, ver- der Demokratie sahen. Mittelbekannte AutorInnen, die in Vollzeit Intellektuelle, die sechs Spra- hen hatte. Die doktrinäre Ver- ehrte Rosa Luxemburg – und das Mag sein, dass der Versuch, Romane schreiben, seien wegen dieses Trends chen beherrschte, ihr Leben lie- ist erstaunlich. Für Arendt war Luxemburg aus dem Marxismus „kurz vor dem Aussterben“, so die Studie. Dies ber „mit Gänse hüten“ denn als Geschichte prinzipiell offen. Die herauszulösen, etwas brachial betreffe auch solche Menschen, „die seit Jahr- Revolutionärin verbracht hätte, Arendt hat das hegelianische Idee, dass die Ge- war. Aber Arendt hat Luxem- zehnten Bücher schreiben und davon in der war nicht nur kokett. schichte Gesetzen folgt, lehnte burg schon richtig missverstan- Vergangenheit leben konnten“. Nur noch 57 Am 15. Januar 1919, dem Tag, schon richtig sie ab, erst recht den Marxis- den: Ihre basisdemokratischen Prozent der VollzeitautorInnen konnten mit als Rechtsextreme sie mit Billi- missverstanden: mus. Soziale Gleichheit spielte Ideen wiesen über den Marxis- dem Schreiben ihr gesamtes Einkommen be- gung des rechten Sozialdemo- Luxemburg wies für sie keine große Rolle. Wo- mus hinaus. Insofern war es ein streiten. Das meiste Geld kommt dann nicht kraten Gustav Noske ermorde- her die Neigung zu der Linksso- hübscher Gag, dass Barbara Su- aus dem Verkauf ihrer Bü- ten, war sie tragisch gescheitert. über Marx hinaus zialistin Luxemburg? Noch ein kowa in Spielfilmen beide dar- cher. Sie müssen andere Sie war 47 Jahre alt, ihr schwar- Missverständnis? Diese Frage ist stellte, beide zwischen flam- Aufträge annehmen, die zes Haar war in den Gefängnis- keine Philologie. Sie führt gera- mendem Engagement und küh- mehr Geld einbringen, und sen des Kaiserreichs weiß ge- härtung der Bolschewiki 1917 dewegs zu der Frage, ob Luxem- ler Unnahbarkeit. beispielsweise Bücher über- worden. Sie war krank und er- hat sie nicht als Liberale ver- burg jenseits des als Weltenträt- Die repräsentative Demokra- setzen, Reden halten oder schöpft – und stürzte sich in die dammt. Genau deshalb ist ihre selungscode erloschenen Mar- tie steckt in einer Krise. Die Kluft Schreibunterricht geben. so lange ersehnte Revolution. Sie Kritik, die in dem Satz, dass „die xismus existiert. zwischen dem Versprechen auf In Deutschland gibt es ak- polemisierte in der Roten Fahne Freiheit immer die Freiheit des Arendts Nähe zu Luxemburg Mitsprache und dem Gefühl, tuell keine vergleichbare Um- gegen „den parlamentarischen Andersdenkenden ist“, gipfelte, hatte biografische Unterströme. bestenfalls Zuschauer undurch- frage. Der Börsenverein des Kretinismus“ und schürte mit spektakulär. Sie maß die Kom- Beide waren ja jüdische Intellek- schaubarer Umstände zu sein, Deutschen Buchhandels mel- Wortgewittern die Illusion, dass munisten an ihren eigenen Ver- tuelle, die von antisemitischen wächst. Bei Luxemburg, der Kri- det jedoch aktuell, dass der ein Aufstand gegen Eberts bür- sprechungen – und fürchtete deutschen Herrenmenschen er- tikerin der Bürokratie, der An- Buchmarkt im Jahr 2018 sei- gerliche Republik möglich war. „eine deformierte Revolution mordet oder verjagt worden wa- tinationalistin, der republikani- nen Umsatz halten konnte. Es war ein Kampf auf verlore- weit mehr als erfolglose“, so ihr ren. Heinrich Blücher, Arendts­ schen Denkerin, kann man dazu Online-Handel und der Ver- nem Posten. Biograf Peter Nettl. Mann, war 1919 Rätekommunist Anstöße finden. Mehr kann man kauf vor Ort erzielten gemeinsam ein kleines Michelle Obama Luxemburg sammelte in ih- Für ihr Nachleben war ihr gewesen. Ihre Mutter, Martha nicht verlangen. Plus von 0,1 Prozent zum Vorjahr. Der Buch- verdiente gut ren letzten zwei Monaten Nie- Tod, man muss es so sagen, Cohn, bewunderte Luxemburg. Luxemburg, schrieb ihr Bio- handel in Geschäften war im Jahr 2017 noch um mit ihrer derlagen. Die KPD, die sie selbst Glück. Sie wurde zur Märtyre- War Arendts Wertschätzung für graf Peter Nettl, war „eine ewige drei Prozent gesunken. In 2018 konnte dieser Autobiografie. mit begründete, sah sie skep- rin der Linken. Die Wahl, in der die linke Intellektuelle nur eine Fremde“. Vielleicht ist sie uns Teil der Branche den Rückgang des Umsatzes AutorInnen tisch: Sie fürchtete, dass daraus autoritären KP zu bleiben und Sentimentalität, die sich die deshalb nah. aufhalten, er sank nur um 0,6 Prozent zum Vor- ohne Prominen- eine vom vitalen Strom der pro- sich selbst damit als Intellektu- sonst bis zum Eisigen Unbe- tenbonus aber jahr. Die meisten AutorInnen verdienen aber letarischen Masse abgetrennte elle auszulöschen, oder zur ein- stechliche leistete? haben es Im Berlin-Teil lesen Sie einen auch hierzulande schlecht. Sekte würde. Das endgültige flusslosen Renegatin zu werden, Für Arendt hatte Luxemburg schwer Schwerpunkt zum 100. Todes- Markus Kowalski Fiasko war der „Spartakusauf- blieb ihr erspart. Dass Luxem- das marxistische Gehäuse un- Foto: ap tag von Rosa Luxemburg. gesellschaft 17

sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  taz am wochenende

„Fickt euren

Der französische Fußballer Franck Ribéry hat sich neulich ein riesiges und ganz von Blattgold umhülltes Steak servieren lassen, 1.200 Euro. Ribéry zeigte das Video dazu via Instagram. What a Shitstorm – auf den Ribéry mit Unflätigkeiten Stammbaum“ reagierte. Wobei: Er hat’s halt nach oben geschafft, nichts anderes wollte er sagen, und das ist doch dann voll okay Foto: Franck Courtes/VU/laif; Montage: taz sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  18 gesellschaft taz am wochenende

wie machen sie das? An einem Sonntag in Bochum Die Wandernde

Ruth Häckh, 56, lebt mit 400 Schafen und vier Hütehunden in Sontheim in Baden-Würt- temberg. Sie war lange als Wanderschäferin unterwegs und hat über ihre Erfahrun- gen ein Buch mit dem Titel „Eine für alle. Mein Leben als Schäferin“ geschrieben. taz am wochenende: Frau Häckh, Sie sind als Schäfe- rin viel mit Ihren Tieren al- leine, trotzdem haben Sie ein Sozialleben und Fami- lie. Wie machen Sie das? Ruth Häckh: Ich habe mein Sozialleben immer dort, wo ich gerade bin. Wenn ich im Winter mit den Scha- fen auf der Winterweide war, 200 Kilometer von meiner Familie entfernt, hatte ich dort gute Freunde, bei de- nen ich gewohnt habe. Spielt das Telefon eine große Rolle? Heute ist das natürlich ganz einfach durch das In- ternet und WhatsApp und all das. Früher ging es aber auch. Da mussten eben die fünf Mi- nuten Telefonat von der Tele- fonzelle aus reichen, um mit der Familie zu sprechen. Sind die Schafe also ge- nauso wichtig wie die Fa- milie? Fotografiert von Brigitte Kraemer Diese Frage stellt sich gar nicht. Ich habe Schafe, also Viktoria Tornes bedient für die Besucher des Westfälischen Industriemuseums die historische Dampffördermaschine. Sie befindet sich in der Maschinenhalle des muss ich mich um die küm- Malakowturms der Zeche Hannover. Wenn Viktoria Tornes die Bremse zieht, kommt der Dinosaurier der Technik – die Maschine stammt aus dem Jahre 1893 – mern. Die kann ich nicht mal wieder zum Stillstand. Nicht mit einem Ruck, sondern ganz langsam. Allmählich. eben für drei Jahre auf Stand- by setzen, weil etwas anderes wichtiger ist. Familienersatz sind die Tiere zwar nicht, aber ich fühle mich ihnen verbun- petition der woche den wie einer Familie. Wie sind Sie zur Schäferei gekommen? Wenn die Maschinen Mein Vater war Schäfer, ich bin mit den Tieren aufge- wachsen. Dann habe ich stu- im Wald wüten diert, aber das war mir zu viel Theorie. Deshalb habe ich mich vor 30 Jahren dazu ent- Anlass der ines Tages will Waldschützerin Claudia Das mit der Rückegassen-Messung ist nun fünf lich, auch wenn diese Abweichung „eigentlich schieden, als Schäferin zu ar- Petition Die Blank es wissen. Mit einem Maßband Jahre her. Sie gründete zunächst eine Waldschutz- nicht vorgesehen“ sei. Zugleich gibt er zu beden- beiten, und eine Ausbildung Intensivierung fährt sie in den Nürnberger Reichs- Bürgerinitiative, 2017 folgte dann eine Bundes- ken, dass „Rückegassen eine flächige Bodenzerstö- bei meinem Vater gemacht. des Holzein- wald und misst die Abstände zwi- bürgerinitiative mit Mitgliedern aus zwölf Bun- rung im Grunde erst verhindern, weil die Maschi- Seit zehn Jahren sind Sie schlags in schen den Rückegassen. So heißen desländern. Und seit dem 1. Dezember nun die nen durch sie immer dieselbe Strecke befahren“. nicht mehr auf Wander- deutschen die für den modernen Holzeinschlag „Krönung“, wie sie es ausdrückt: eine Petition auf Die PetentInnen aber misstrauen dem Nachhal- schaft. Warum? Wäldern Ebenötigten Forstwege, deren Abstände laut Richt- change.org. Sie richtet sich an Bundesumweltmi- tigkeitsverständnis der Forstbetriebe. Bahnmül- Das hat nicht mehr funk- wert 30 Meter nicht unterschreiten sollen. Nach nisterin Svenja Schulze und Bundesagrarministe- ler beteuert, dass man bemüht sei, soziale, öko- tioniert. In der Natur hat Das wollen die drei Tagen und hundert Messungen kommt Blank rin Julia Klöckner. Der Titel bringt die Forderun- logische und ökonomische Nachhaltigkeit in Ein- sich so vieles verändert – es Initiatoren Das auf einen Durchschnitt von 26 Metern: Wusste gen auf den Punkt: „Wälder sind keine Holzfab- klang zu bringen. „Aber man kann nicht immer gibt kaum noch Wiesen, die Bundeswald- sie doch, dass man den Bayerischen Staatsfors- riken – es reicht!!! Wir Bürger fordern ein neues alles haben“, sagt er. Die Petitionsforderungen nicht gedüngt werden, weil gesetz ten nicht trauen kann! Bundeswaldgesetz!“ Wenn das verschärft würde, seien eine politische Angelegenheit: „Aus fachli- die Landwirtschaft viel in- verschärfen Claudia Blank, ehemalige Kindergartenleiterin, könnten die Landesgesetze es nämlich nicht mehr chen Gründen halten wir eine Änderung der Wald- tensiver geworden ist. Meine hat schon immer viel Zeit in „ihrem“ Wald ver- so aufweichen, argumentieren Blank und ihre gesetze derzeit nicht für erforderlich.“ Auch eine Schafe fressen natürlich kein Das wollen bracht. „Er hat sich sehr verändert“, sagt sie und MitstreiterInnen. Sprecherin des Bundesumweltministeriums er- Gras, auf dem Gülle und Mist sie wirklich auch, dass sie deshalb schon oft weinen musste. Es kommt Bewegung in die Sache: „Die Ex- klärt, dass man zwar viele Anliegen der Peten- liegen. Und wenn ich über Ungestörte Immer mehr Bäume würden mit schwerem Gerät perten fliegen uns regelrecht zu und unterstüt- tInnen teile und selbst „seit langer Zeit eine Kon- mehrere Kilometer keine un- Waldspazier- zu Fall gebracht. „Ich dachte, das hört irgendwann zen uns“, berichtet Blank. So sei es unstrittig un- kretisierung nachhaltiger Waldbewirtschaftung“ gänge. gedüngte Wiese finde, kann mal auf.“ Doch seit der Reform des bayerischen ter Fachleuten, dass der Waldboden durch das fordere“, jedoch „innerhalb der Bundesregierung ich nicht mit den Tieren von Landeswaldgesetzes im Jahr 2005 sei der Holzein- schwere Gerät langfristig zerstört wird. Ganz wi- unterschiedliche Positionen“ gebe. der Sommer- auf die Winter- schlag immer intensiver geworden. Selbst Brut- dersprechen kann da auch Philipp Bahnmüller Indessen macht Claudia Blank weiter: „Ich weide umziehen. zeiten würden missachtet: „Wenn die Maschinen nicht. Er ist Sprecher der Bayerischen Staatsfors- gebe erst Ruhe, wenn die Forstbetriebe sich aus Wie hat sich Ihre Arbeit wüten, singt kein Vogel mehr“ sagt Claudia Blank, ten, dem größten der landeseigenen Forstkon- den Wäldern verzogen haben oder sie wirklich na- dadurch verändert? „und auch ich verlasse dann den Wald.“ zerne. Blanks Messergebnisse hält er für mög- turnah bewirtschaften.“ Andrew Müller Ich hatte früher das Dop- pelte an Schafen, davon konnte ich leben. Mit den 400 Tieren jetzt ist der Be- dafür wurde die taz nicht gegründet trieb nicht überlebensfähig. Warum ist die Schäferei Schon gehört? trotzdem wichtig? Gwyneth Paltrow (Schauspielerin) hat die Flitterwochen Weil die Schafe die Land- schaft ganz natürlich pfle- mit ihrem neuen Mann Brad Falchuk (Drehbuchautor und gen und die Artenvielfalt Regisseur), dessen Kindern, ihren eigenen Kindern sowie erhalten. Sie müssen nicht ihrem Ex Chris Martin („Coldplay“) auf den Malediven mit Öl oder Benzin betankt werden. Und ganz neben- verbracht. Und dann waren da auch noch diverse bei liefern Schafe das gesün- gemeinsame Freunde. deste Fleisch, das man essen kann. Wenn die Politik das nicht stärker fördert, wer- Und? den die Schäfereien ausster- Patchworkregel: In den Flitterwochen bleiben die Kinder ben. Aber wer zum Beispiel Lammfleisch aus Deutsch- bei den Ex-Partnern. Und die Freunde zu Hause. land kauft statt aus Neu- seeland, kann uns Schäfe- rinnen und Schäfer auch unterstützen. Interview:

Christina Spitzmüller dpa Foto:  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende gesellschaft 19

die steile these s gibt viele schlechte Gründe zum La- Driss aus der Banlieue das Leben des reichen, chen: Nach-unten-Treten, Sexismus, querschnittsgelähmten Philippe auf – da sind Rassismus, Klassismus; sich lustig ma- die Menschen nicht einfach nur die, als die sie chen über Schwächere – eine Macht- anfangs erscheinen. Und sie sind erst recht keine geste. Das bloße Nachäffen von Witzfiguren. Politiker*innen, wie es Oliver Welke in Fontane aber will mit seinem Humor genauso Eder „Heute-Show“ praktiziert. Das sich Hinwegset- wenig die Verhältnisse zum Tanzen bringen wie zen über andere, denen sich das Publikum mora- viele deutsche Komödien. Für ihn ist Humor kaum lisch überlegen fühlt. Selbstgerechtigkeit: Haupt- mehr als eine Haltung, mit der er sich und seine sache, mensch sitzt auf der richtigen Seite. Figuren über die Welt stellt. An den Fabrikanten Theodor Der Apotheker, Reisereporter und Romancier Friedrich Witte schrieb er schon 1851, der Humor Theodor Fontane wäre dieses Jahr 200 Jahre alt sei „das göttliche Durcheinanderschmeißen von geworden. Und Fontane gilt in deutschen Klas- Groß und Klein, ein keck-lustiges Auf-den-Kopf- senzimmern als großer Humorist. Doch auch er Stellen unserer Satzungen“. Fontane wollte seinem Fontane wählte die schlechten Gründe zum Lachen. Fon- Publikum bewusst machen, dass es selbst nur ein tane war der Mario Barth des Bürgertums, und ganz kleiner Teil der Welt ist. darunter leiden wir noch heute. „Sonderbar, ich kann Sherry vertragen und Nur ein Mittel, die Welt auch Port, wenn er lange gelagert hat, aber Mo- erträglich zu machen ist sel und Selterwasser, das benimmt mich ….“ Im Frühjahr 1892 druckte die Deutsche Rundschau die So schrumpft Fontanes Humor zum Mittel, das Satire „Frau Jenny Treibel“; es ist Fontanes Werk Schlechte in der Welt erträglich zu machen – aber mit dem höchsten Redeanteil, gezimmert wie eine nichts daran zu ändern. Nur drei Jahre vor Erschei- Fernsehkomödie. Fast alle Figuren entstammen nen der „Jenny Treibel“ erörtert er dies einem wei- schuld, der Bourgeoisie. Die eine Familie, Treibel, erlangt teren Brieffreund, Friedrich Stephany: Der Realis- ihr Prestige durch Bonzentum; Schmidts, die an- mus werde „erst ganz echt sein, wenn er sich (…) deren, fachsimpeln lieber im erlauchten Kreis von mit der Schönheit vermählt und das nebenherlau- Gymnasiallehrern. fende Häßliche, das nun mal zum Leben gehört, Frau Kommerzienrätin Jenny Treibel pala- verklärt hat. Wie und wodurch? Das ist seine Sa- dass vert zwar von hehren Bildungsbürger-Idealen: che zu finden; der beste Weg ist der des Humors.“ „Aber mir gilt die poetische Welt (…), am nich- Mit dem Hässlichen fertigwerden: Schließt das tigsten aber ist das, wonach alle Welt so begehr- etwa aus, sich selbst und der Welt eine Schelle lich drängt: äußerlicher Besitz, Vermögen, Gold.“ zu verpassen – Missstände anzugreifen und Doch praktiziert sie stets das Gegenteil – spätes- die Menschen, die sie verantworten? Kritische deutsche tens seitdem sie ihren Jugendfreund Willibald Geister wünschen sich heute gerne das Disrup- Schmidt für den reichen Fabrikanten Treibel hat tive, auch vom Humor; das politische Kabarett sitzen lassen. Diese Menschen werden wohl nie aber bestätigt lieber die Selbstgerechtigkeit sei- die times of their lives haben, aber mithilfe von ner Anhänger*innen. Subversiv ist das nicht. An- Komödien Komik und Ironie finden sie sich dann doch zu- ders als etwa die australische Comedian Hannah recht im Leben – zugegeben, das zu lesen ist bis- Gadsby, die vergangenes Jahr das Unerwartete tat weilen amüsant. – und sich öffentlich weigerte, weiter um ihr Les- Das Leben zu erheitern, und keinen Deut mehr, bischsein drumrumzuwitzeln, zu sehen in ihrem ist auch das schlichte Ziel vieler Komödien, und Programm „Nanette.“ Manchmal ist das beste La- so die vermeintlichen Defizite der anderen sind wei- chen jenes, das im Halse stecken bleibt. ter das probateste Mittel, Lacher zu erzielen. Seit Der Humor Fontanes aber verbleibt stets im dieser Woche zum Beispiel läuft „Kalte Füße“ im Feld der Selbstironie. „Es scheint mir eine törichte Kino: Eine Verwechslung bringt Denis, einen halb- Annahme, dass auf den Höhen der Menschheit starken Kleinkriminellen, ins Haus des Schlagan- das Eheglück ausgeschlossen sein solle“, klotzt schlecht fallpatienten Raimund, den er nun zu pflegen hat. Jenny. Toll, über sich selbst lachen zu können. Die beiden ergehen sich in Scharmützeln; statt ihn Doch was, wenn sich dadurch zwar alle entwaff- zu baden, sprüht der Junge den Alten mit Deo ein, nen, sich aber nichts ändert? der spuckt dem Jungen Brei ins Gesicht. Scheiße! Lachen kann befreiend wirken, ja. Aber manch- Fuck! Beide Charaktere sind letztlich wirklich fies, mal führt es auch in eine unheimliche Enge. So sind blöde und nix darunter, Raimunds Enkelin lutscht endet Fontanes Realismus in schrecklicher, fal- an Denis’ gefrorenem Urin. scher Harmonie, wie sie nach wie vor auf vielen Von Fabian Stark Als Blaupause für „Kalte Füße“ diente offen- Brettern und Leinwänden gezeigt wird – das Pu- bar der französische Kassenschlager „Ziemlich blikum bekommt, was es erwartet. Kennste, ken- beste Freunde“ (2011). Doch übertritt dieser Film nen alle, und wir verstehen uns. tatsächlich soziale Grenzen zwischen den un- Sicher hilft Humor, die Welt (und sich selbst) gleichen Figuren, erst so mischt der Arbeitslose zu ertragen. Aber das reicht doch nicht.

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EuropaFrüher hießen sie Gastarbeiter, heute Arbeits­ migranten – aber immer noch suchen sie ihr Glück anderswo. Was hat sich geändert, seit die EU ihnen Wohlstand verspricht? Eine Busfahrt von Stuttgart ins kroatische Hinterland

Von Sara Tomšić Die Autorin auf dem Weg von Stuttgart nach Štitar. Viel S, viel t – das ist das Einzige, was diese beiden Orte gemeinsam haben Foto: Sara Tomšić

ie junge Frau auf dem Ich fahre von Stuttgart in Richtung kommen haben, legal in Deutschland aller Kroaten, 400.000 Menschen, le- deutschland ausgewandert, die 500 Sitzplatz neben mir sieht Štitar. Viel S, viel t – das ist das Einzige, zu arbeiten. ben in Deutschland, 90.000 in Öster- Euro Gehalt von seinem Job im Säge- aus, als würde sie nach- was diese beiden Orte gemeinsam ha- Vor allem im kroatischen Hinterland reich, 80.000 in der Schweiz. Die meis- werk von Štitar boten keinen Platz für denken. Seit drei Stun- ben. Seit 26 Jahren fahre ich diese Stre- gibt es kaum Arbeit. Die Menschen ver- ten Auswanderer stammen aus Slawo- Träume – dabei waren seine Träume den sieht sie so aus. Als cke, früher im Kindersitz auf der Rück- lassen ihre Dörfer, brechen auf, um in nien, einer Region im Osten Kroatiens, wirklich nicht groß: einen eigenen ich ihr das sage, ant- bank meiner Eltern, dann im weißen Deutschland, Österreich und ande- die an Südungarn, Bosnien und Serbien Tisch und dann Kinder, die ihre Füße Dwortet sie, sie denke auf einem Satz Čazmatrans-Omnibus, heute im Flix- ren Ländern nach einer Zukunft zu su- grenzt. darunterstrecken können. Seine Mut- herum: „Jeder ist seines eigenen Glü- bus. Dieses Mal werde ich nicht in Von dort kommt mein Vater. Und ter, meine Tante, pflegt alte Menschen ckes Schmied“, das Glück klingt wie Županja aussteigen, von wo aus es nur dort wird diese Busreise enden. in Österreich, pendelt im Vierwochen- Gluck. Sie hat die Beine angezogen, ih- noch wenige Kilometer bis Štitar sind, Aus Reihe 20 hört Ich kenne die Aus-Frust-wird-Hoff- takt zwischen den Welten. Onkel, Tante, ren grauen Wollpulli über die Knie ge- sondern erst zwei Stationen später, in nung-Geschichten aus meiner Fami- Tante sind weg, samt Familie, nach Slo- stülpt und die Arme um sich geschlun- Vukovar. Endstation, hinterstes Hin- man die Wörter lie. Mein Vater kam 1987 durch den wenien, Bosnien und in die Schweiz. gen. Den Satz hat sie von ihrem Chef, sie terland, nur die Donau trennt Kroa­ Ausbeutung, Fußball nach Stuttgart, spielte in ei- Nur eine andere Tante hatte Glück, sie weiß nicht so richtig, was er bedeutet. tien hier von Serbien. nem deutschgriechischen Verein und arbeitet bei der Stadt Štitar. Es ist 4 Uhr nachts, und unter den Rä- Seit 2013 sind meine deutsche und Drecksarbeit, arbeitete nebenher schwarz in einem Mein kleiner Cousin versteht schon dern des grünen Doppeldeckers liegt meine kroatische Heimat im gleichen ausbluten griechischen Restaurant, das dem Cou- lange nicht mehr, warum ich zu Besuch die A10. Deutschland im Rücken, der Verein. Und der heißt: Europäische sin eines Cousins eines Vereinskollegen komme. „Was willst du hier in diesem östlichste Zipfel von Kroatien noch Union. In Kroatien, dem jüngsten Mit- gehörte. Danach arbeitete mein Vater Loch?“, fragt er, wenn ich mal wieder an mehr als zwölf Stunden entfernt. Ge- gliedsland der EU, wächst eine Genera- chen. Früher hießen sie Gastarbeiter, als Dachdecker, später bei Daimler. Seit seine Tür klopfe. sichter hängen auf Schultern, verein- tion auf, die den Jugoslawienkrieg nur heute nennt man sie Arbeitsmigran- über 30 Jahren ist er in Deutschland. Štitar, das Dorf, in dem meine Fami- zelt brennen Leselampen. Zwei Männer aus Erzählungen kennt. Junge Men- ten. Allein 2017 haben 80.000 Men- Mein kroatischer Cousin ist vor lie lebt, wirkt jedes Mal, wenn ich zu schnarchen im Kanon. schen, die früh die Möglichkeit be- schen Kroatien verlassen. 10 Prozent zwei Jahren mit seiner Frau nach Süd- Besuch komme, mehr wie die Kulisse

Monate sind vergangen, seit für kroatische Euro pro Stunde ist der Staatsangehörige die uneingeschränkte gesetzlich festgelegte Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt und sie ihren Arbeitsplatz Mindestlohn in innerhalb der EU frei wählen dürfen Kroatien 42 Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2,66 Quelle: WSI-Tarifarchiv 2018  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende gesellschaft 21

eines schlechten Films. Der nächste sie zum ersten Mal von etwas gehört, dem Schwächeren immer mehr ver­ 100 km Ostsee UNGARN Nachbar weg, die Fenster verrammelt, das nach Post und Traum klingt. Post­ bunden. Und in diesem Europa waren das Vieh verkauft. Auch viele junge traumatische Belastungsstörung. Sie und sind das die Kroaten. Ich wollte Nordsee Menschen, mit denen ich früher Me­ glaubt, dass ihr Vater das hat. eine von ihnen sein. Ich wollte ge­ Zagreb SLAWONIEN Vukovar Kutina lonen geklaut und Hühner gejagt habe, 2015 kam sie, die ausgebildete Kran­ nauso hart im Nehmen sein. Nur gab SLOWENIEN VinkoWavcrschai u Belgr wandern aus. Es hat gedauert, bis ich kenschwester, nach Deutschland. es in meinem Leben nichts, was ich hart NIEDER- Berlin POLEN LANDE Nova Gradiška Županja begreifen konnte, dass alles, was ich an Heute, drei Jahre später, denkt sie, dass hätte nehmen können. Slavonski Brod diesem kleinen Dorf so liebe, für die sie zurück nach Hause will. Und gleich­ Als Teenager ging ich meinem kroa­ DEUTSCHLAND Štitar Menschen, die dort leben, nicht unbe­ zeitig fragt sie sich: „Können meine El­ ti­schen Onkel auf die Nerven, weil ich KROATIEN dingt cool ist. Wenig asphaltierte Wege, tern alles bezahlen, wenn ich ihnen ständig seinen Stall ausmisten wollte. BOSNIEN- kaum Handyempfang, letztes Jahr erst kein Geld mehr aus Deutschland schi­ Ich machte es schlecht und verschreckte GIEN Frankfurt HERZEGOWINA Frankfurt Prag ans kommunale Wasser angeschlossen. cken kann?“ – „Ne znam“, sagt sie, und die Viecher. Aber in meinem Kopf war BEL TSCHECHIEAdN ria Keine Industrie, keine Touristen, keine diese zwei kleinen Wörter klingen er­ das Erdung, echtes Leben, was mit den LUXEMBURG Mannheim Arbeit. schöpft, „ich weiß es nicht“. Von ihrem Händen machen. Meine Familie ließ Karlsruhe In Kroatien überprüft gerade eine Gehalt schickt sie ihren Eltern jeden mich gewähren und erklärte mir im­ Stuttgart SLOWAKEI ganze Generation – meine Generation Monat 500 Euro. Das ist derselbe Be­ mer wieder sehr geduldig, dass die­ Wien – das Versprechen der Europäischen trag, den ich jahrelang monatlich als ses „echte Leben“ im abgeschnittenen FRANKREICH München Union: In der EU gibt es Arbeit, in der Unterstützung von meinen Eltern be­ kroa­ti­schen Hinterland auch hart und ÖSTERREICH EU gibt es eine Zukunft. Aber hält die kommen habe. Ich sage das nicht laut. anstrengend und ätzend sein konnte. UNGARN EU diese Versprechen? Liefert sie Wohl­ Ich, stolz auf meine Wurzeln, SCHWEIZ SLOWENIEN stand, Sicherheit, Solidarität? Und glau­ schlappte dreimal im Jahr nach Štitar, Zagreb Vukovar ben die Passagiere im Flixbus N952 Jeder ist für sein atmete tief ein, weil es nach Kuh und Ljubljana ­daran? Mutter Natur roch, und konnte nach Glück selbst drei Wochen wieder gehen. Bevor die 0.30 Uhr, Stuttgarter Flut kam oder die Dürre oder einfach verantwortlich – KROATIEN BOSNIEN- Flughafen nur das Monatsende. Das hat mir nie­ ITALIEN HERZEGOWINA SERBIEN das klingt so, als mals jemand vorgehalten, aber irgend­ Der Parkplatz, der Busbahnhof genannt hätte jeder die wann, als ich dieses Privileg selber be­ Adria werden will, sieht Ende November aus griff, war das nicht so einfach. Ich be­ KOSOVO wie eine Kuchenplatte nach einer Fress­ gleichen Chancen schloss, ab sofort zu sagen: Ich bin taz grafik: infotext-berlin.de attacke. Vereinzelt liegen Leute auf Bän­ Halbkroatin. Aus Respekt. ken und schlafen, ein verwaister Kof­ Im N952 schaue ich Lkw-Lichtern besuchen. Was sie von der EU hält? „Su­ gitaluhr im Bus wirken wie eingefro­ fer steht vor dem Snackautomaten, der nach, zähle rote Autos und überlege, per, ich kann mir das Geld für einen ren. Eine Frau streckt die Arme an die nur noch Haribo-Lakritz hat. Am Bahn­ Und dieses Sprichwort? Wieso hat ihr was das Wir-Kroaten-Ding mit dem Reisepass sparen, ist ja auch nicht ge­ Decke, ihre schwarz lackierten Finger­ steig 15 leuchtet in dämmrigem Grün: Chef das gesagt? Vor zwei Tagen ging sie Wir-Europäer-Ding zu tun hat. rade billig“, sagt sie und lacht. Auswan­ nägel krabbeln über das Plastik der Lüf­ N952 Richtung Vukovar. in der Mittagspause zu ihm und sagte: Mit dem EU-Beitritt hat sich eini­ dern? „Auf keinen Fall.“ tung und machen ein Geräusch, das in Seit dem Sommer 2016 startet je­ „Ich habe Heimweh.“ – „Das verstehe ges verändert, aber einiges blieb auch Neben ihr sitzt ein Mann, Anfang den Zähnen zieht. Sie stöhnt. Ich auch. den Abend um 21.10 Uhr ein Doppel­ ich“, sagte er. – „Ich überlege, zurück­ gleich. Es gibt jenseits der Touristen­ 30: „Die EU? Pfff.“ Wieso pfff, will ich Der junge Mann auf Sitz 4C, kantiges decker der Firma Flixbus vom Frank­ zugehen, also ganz und für immer“, hotspots kaum Arbeit. Die Jugend­ wissen, aber da sitzen seine Kopfhö­ Gesicht, rote Manchester-United-Trai­ furter Hauptbahnhof über Stuttgart, sagte sie, die sich fast nicht getraut arbeitslosigkeit in Kroatien liegt bei rer auch schon wieder auf den Ohren. ningsjacke, tippelt unruhig mit seinen München und Ljubljana nach dem hätte, überhaupt etwas zu sagen. Der 23 Prozent und beschert dem Land di­ Beinen auf und ab. Er sieht aus wie ein kroatischen Hinterland. Wenn man die Chef sagte: „Okay“, und „jeder ist seines rekt nach Griechenland, Spanien und 6.50 Uhr, die Sonne Süchtiger, der schon lange nicht mehr Haltestellen zählt, liegt Zagreb genau in eigenen Glückes Schmied.“ Italien Platz vier im Europaranking. geht auf hat. Raucher kennen dieses Tippeln. der Mitte. Auf der Karte kommt rechts Sie schaut wieder aus dem Fenster, Auf Platz 6A sitzt eine junge Frau, Er steht auf, hangelt sich durch den davon nicht mehr viel. Die Städte wer­ wo jetzt die österreichischen Berge in die gerade 18 geworden ist und aussieht Irgendwo zwischen Österreich und schwankenden Bus zum Fahrer nach den kleiner und die Abstände zwischen der Dunkelheit vorbeihuschen. Es nie­ wie Nena im gleichen Alter. Woher sie Slowenien kleben Gesichter an Fens­ den Häusern am Straßenrand größer. selt. Ich denke: Jeder ist für sein Glück kommt? Sie war in Frankfurt, Freunde terscheiben. Die roten Ziffern der Di­ Fortsetzung auf Seite 22 Am Bahnsteig 15 steht eine Hand­ selbst verantwortlich – das klingt so, als voll Menschen im Kreis. Aus der Ent­ hätte jeder die gleichen Chancen. Ich fernung hört man nur kroatisches Ge­ schaue meine Sitznachbarin an, und murmel und sieht Zigarettenqualm auf einmal kriecht die Scham in mei­ aufsteigen. Eine junge Frau mit Bom­ nen Kopf. Weil ich immer „wir Kroaten“ melmütze zerrt ihren prallen Koffer denke und sage. Ich, mit meinem Das- über den Asphalt. Ihre Nase rot von der Beste-aus-zwei-Welten-Leben. Sie sagt: Kälte, ihr Gesicht erschöpft. Sie steuert „Lass uns ein bisschen schlafen.“ Und auf den Kreis zu und stellt sich mit ei­ ich sage: „Okay.“ ner Selbstverständlichkeit daneben, als ginge es jetzt auf Klassenfahrt. Die 5.05 Uhr, auf der A10 Fremden rücken auf, machen Platz für Richtung Slowenien den Neuankömmling. „Arschkalt, hm?“, sagt ein Mann zur Begrüßung auf Kroa­ Noch drei Stunden bis Ljubljana. Seit tisch, die junge Frau antwortet: „Total.“ zehn Minuten ruckle ich so leise wie Und die Sache ist geritzt. möglich an meinem Sitz, nichts ist be­ Eine Zigarette später fährt der Bus quem. Ich bin genervt, aber nicht da­ ein, Taschen werden in den Koffer­ von. Mein Jetzt-Ich findet mein Vor- raum gehievt. Der Busfahrer, der aus­ fünf-Stunden-Ich zum Kotzen, wie es sieht wie jemand, dessen Tochter man da in Stuttgart in diesen Bus steigt, sich lieber nicht das Herz bricht, begrüßt wie die Botschafterin der Kroaten fühlt jeden mit einem kurzen Nicken. „Will­ und denkt, mit diesem Text kann man kommen im Flixbus auf der Fahrt nach den Deutschen mal zeigen, wie „wir Vukovar“, knirscht es kurze Zeit spä­ Kroaten“ die Sache sehen. ter durch den Lautsprecher. Die deut­ Ich fühle mich blöd, weil ich immer schen Wörter klingen ein wenig aufge­ wieder in dieses Denken rutsche, ob­ raut, nur das Wort Vukovar klingt so, wohl ich es besser weiß. Und ein biss­ als würde sich der Busfahrer darin zu chen einsam. So wie damals, als ich Hause fühlen. zum ersten Mal verstanden habe, dass ich weder ganz deutsch noch ganz kroa­ 4.10 Uhr, österrei­chi- tisch bin. Ich war eines dieser Kinder, sches Grenzgebiet deren Nachname nie richtig ausge­ sprochen wurde. Ein verhuschtes „Sara Meine Sitznachbarin, die nicht so ge­ Tomsick, spricht man das so?“ war die nau weiß, was das mit dem Schmied Regel. Ich bin ein Arbeiterkind mit Mi­ und dem Glück bedeuten soll, arbeitet gra­tions­hin­ter­grund. Untere Mittel­ seit drei Jahren in der Küche einer Gast­ schicht. In Deutschland geboren, in stätte in der Nähe von Stuttgart, 1.150 einem liebevollen Elternhaus aufge­ Kilometer entfernt von ihrer Heimat wachsen, wo immer versucht wurde, Vukovar. Sie ist 25 Jahre alt, ein Jahr jün­ alles möglich zu machen. Abitur, Stu­ ger als ich. Ihre Mutter hat fünf Jahre dium, der Weg in einen Beruf, der mich als Pflegerin in Österreich gearbeitet, bereichert. Seit 2013 ist erzählt sie. Ich denke an meine Tante Zu Europa hatte ich immer schon ei­ die deutsche und sage: „Harter Job.“ Meine Sitznach­ nen ambivalenten Bezug. Wenn mein und die barin nickt und sagt: „Harter Job.“ Ir­ kroatischer Onkel bei einer Zigarette kroatische gendwann konnte die Mutter nicht über die EU schimpfte, konnte ich jedes Heimat von mehr. Dann war sie dran. seiner Worte fühlen. Gleichzeitig saß Sara Tomšić Sie ist das älteste von vier Kindern, ich im Politikunterricht der Schule, völ­ im gleichen war in der Schule gut in Deutsch, und lig entflammt für diese Idee eines ge­ Verein. Und der die Familie brauchte das Geld. Der Va­ einten Europas, die da als Mindmap an heißt: Europäi- ter kam 1992 aus dem Krieg als ein an­ der Tafel stand. Vielleicht ist das der Un­ sche Union derer zurück. „Er kann nicht mehr ar­ terschied zwischen Theorie und Wirk­ Foto: Robin beiten“, sagt sie. In Deutschland hat lichkeit. Gleichzeitig fühlt man sich Hinsch

wurde der Konkurrenzschutz im Euro kostete das Fernverkehr abgeschafft. Seither Flixbus-Ticket unserer dürfen Unternehmen Linienverkehr Autorin von Stuttgart mit Fernbussen anbieten nach Vukovar 2013 Quelle: Bundesregierung 45,99 Quelle: Sara Tomšić sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  22 gesellschaft taz am wochenende

„Passportcontrol!“ Es klingt nach einem Meine Sitznachbarin und ich rau- Fortsetzung von Seite 21 russischen Schimpfwort. chen eine letzte Zigarette. „Was heißt vorne. 20 Minuten später stehen acht Alle stellen sich auf, es werden blau- eigentlich dieses Sprichwort auf Kroa- Männer auf einem Parkplatz im Kreis rote Ausweise aus Taschen geholt. Mein tisch übersetzt“, fragt sie. Jeder Mensch und rauchen. Pass ist der einzige weinrote. Ich bilde ist seines eigenen Glückes Schmied. Ein Mann mit grauen Haaren und mir ein, dass die Farbe total dekadent Es bedeutet, dass jeder selbst für sein einer Brille, die ständig von der Nase aussieht. Einer der mächtigsten Pässe Glück verantwortlich ist, sage ich. Beide rutscht, will wissen, was der mit der der Welt. Die Schlange, in der ich stehe, Augenbrauen schnellen in die Höhe: Trainingsjacke in Deutschland ge- ist mehrspurig, so, wie es Deutsche gar „Ach.“ Sie lacht ein lautes, ehrliches La- macht hat. nicht gerne sehen. Der slowenische chen. Das stimmt vielleicht, wenn man „Fußball.“ Grenzbeamte nickt und nickt und nickt in Deutschland geboren ist, findet sie. Ein Vertrag in der Kreisliga, letzte und wünscht eine gute Reise. An der Dann sagt sie: „Kocke su bačene.“ Die- Woche abgelaufen. Der Grauhaarige kroatischen Grenze das gleiche Spiel. ses Sprichwort gefällt ihr besser. Über- nickt wissend. Auch er kam durch den Nicken, nicken und: „Willkommen zu setzt: Die Würfel sind längst gefallen. Fußball nach Deutschland, damals. Hause.“ Mein Vater sagt immer, dass er Glück Der junge Mann in der Trainingsja- hatte. Glück, dass Daimler gerade Leute cke ist 25 Jahre alt und angepisst. Sagt, 11.20 Uhr, es wird laut gesucht hat, Glück, dass er zufällig die dass der Fußball sein Leben ist, seine in der letzten Reihe passende Ausbildung hatte. Und sein Eintrittskarte nach Deutschland, in größtes Glück: meine Mutter. Die bei- ein besseres Leben. Sagt, dass er blei- So, wie früher beim Klassenausflug den lernten sich kennen, als mein Vater ben wollte. die coolen Kids hinten saßen, so sind drei Wörter Deutsch sprach: „Eine Cola, Was in Amerika die Geschichte vom es heute die politisch Empörten. Fünf bitte.“ Meine Mutter half ihm über bü- Tellerwäscher ist, ist in Kroatien die Männer sitzen in Reihe 20, Mitte 40 bis rokratische Hürden und Sprachbarrie- des Fußballers. Auch Niko Kovač, Bay- Mitte 50, alle haben Hände, die harte ren hinweg. Die Liebe zu ihr linderte das ern-Trainer und bekanntester Kroate in Arbeit verraten. Sie diskutieren laut- Heimweh. Heute sagt er, dass er sich Deutschland, hat das einmal im Inter- stark, sind alle einer Meinung und auf- in Deutschland wohlfühlt. Gleichzei- view gesagt. Manchmal geht der Plan gebracht. Man hört Wörter wie Ausbeu- tig weiß ich, dass er vieles aus Štitar auf, manchmal auch nicht. tung, Drecksarbeit, ausbluten. vermisst. Das Holzhacken, den Ge- Als ich den Fußballer frage, ob er an Mit ausbluten ist Kroatien gemeint, ruch der Tiere, die Stille des Waldes, die Idee von Europa glaubt, zieht er nur mit Drecksarbeit die Arbeit, die in seine Geschwister, seine Mutterspra- eine Augenbraue hoch: „Hä?“ Ich denke: Deutschland keiner machen will und che. Das Wort Heimat findet mein Va- Ja, stimmt. Hä. Und frage nicht weiter die darum von Kroaten und anderen ter schwierig. nach. Dann schiebt er hinterher: „Die Migranten übernommen wird. Und Die deutsche Sara in mir will unbe- EU ist schon nicht schlecht. Meine Ge- Ausbeutung wirft man dem reichen dingt an die Idee von Europa glauben. schwister sind auch ausgewandert.“ Da Deutschland vor. Mich gibt es, weil zwei Männer – der ist es: das, was die EU möglich macht. Hier im Bus sind solche Sätze mög- Vater meiner Mutter ist Italiener – ihr Slawonien, irgendwo zwischen Slavonski Brod und Županja Foto: Sara Tomšić Seine Schwester und sein Bruder, lich. In der Öffentlichkeit will keiner Land verlassen haben, um in Deutsch- beide älter als er, sind nach Irland ge- laut über seinen Arbeitgeber oder die nicht mehr auf zu zittern, ihr kamen ruft: „Macht das leiser, ihr Affen!“ Zwei land ihr Leben zu finden. Was kann ich gangen. Beide haben studiert, sie BWL, EU schimpfen, man ist schließlich ab- die Tränen. Fragt man sie heute, was ge- junge Männer stehen auf und tanzen also schon gegen die Idee des Auswan- er Tiermedizin. Und nun? „In Dublin ar- hängig. Und will vor allem kein Mitleid. nau der Grund für ihre Rückkehr war, durch den Flur, die Musik wird lauter derns sagen? Die kroatische Sara weiß, beiten beide bei Burger King. Sie sind Stolz und Scham schließen sich eben kann sie es nicht sagen. Wie erklärt man anstatt leiser. Eine ältere Dame in Reihe dass es ein Glücksspiel ist und dass „Ar- glücklich da“, sagt der Fußballer und nicht aus. Heimweh? „Es hat einfach wehgetan, so 10 klatscht in die Hände, neben ihr beite hart, und alles wird gut“ nicht im- wischt sich mit dem Ärmel übers Ge- weit von zu Hause entfernt zu sein“, sagt kruschtelt ein Mann nach dem letzten mer stimmt. sicht. Die Farbe des Manchester-United- sie. Was sie in Deutschland hatte, war Keks. „Leute, kennt jemand von euch Am Bussteig 8, wenige Meter von Wappens ist schon abgeblättert. Was sie in Arbeit, aber kein Leben. den Polizeipräsidenten?“, ruft der Bus- uns entfernt, steht auf der Anzeigeta- Kurz bevor er aussteigt, wird der Die Hälfte ihrer Klassenkameraden fahrer in sein Mikrofon. „Nein? Dann fel: München. Ein junges Paar – er kurz grauhaarige Mann mit der Brille mich Deutschland hatte, von früher sei mittlerweile ausgewan- gilt auch in diesem Bus Anschnall- geschorene Haare und konzentrierter zu sich heranwinken und flüstern: „Im war Arbeit, aber dert. Einige mit der Familie, andere al- pflicht. Zurück auf die Plätze.“ Man Gesichtsausdruck, sie blonder Pferde- Sommer 89 spielten wir um den drit- lein. Alle paar Monate kommt sie zu Be- kann sein Lächeln hören. Leises Mur- schwanz und Kuscheltier im Arm – ver- ten Platz in der Kreisliga. In der zwei- kein Leben such in ihr Heimatdorf, in dem immer ren und lauter Applaus für die Tänzer, abschiedet sich von Familie und Freun- ten Halbzeit machte es Plopp. Kreuz- mehr Häuser leer stehen. Ihre ehema- die Show ist vorbei. den. Die Freunde haben Zettel gemalt, band gerissen.“ Seine Stimme wird lige Schule hat Mühe, eine Klasse mit 30 auf denen „Macht’s gut“ steht. Der Vater noch leiser: „Seitdem putze ich Klos Zwei Reihen weiter vorne, auf Platz Schülern zusammenzubekommen. Als 16.45 Uhr, Endstation hält den Sohn im Arm und streichelt mit in einer Autobahnraststätte. Ich wollte 18D, dreht sich eine junge Frau um. Rote sie selbst klein war, gab es sechs Klas- in Vukovar seiner Hand über dessen Hinterkopf. das vorhin nicht erzählen, der Junge Haare, freches Grinsen, Rote-Zora-Style. sen à 30 Schüler. Der Sohn löst sich behutsam aus der soll noch Hoffnung haben.“ Sie ist in Frankfurt eingestiegen, blei- „Mit ausbluten haben die Männer 16 Stunden und 15 Minuten nach der Umarmung, küsst seine Mutter auf die ben wird sie bis Zagreb, von dort geht recht“, sagt sie, „was soll aus Kroatien Abfahrt aus Stuttgart sind wir am Ziel. Stirn, nimmt seine Freundin an die 11 Uhr, slowenisch- es weiter ans Meer. Sie war nur zu Be- werden, wenn jeder geht?“ Sie nickt in Vor fünf Stunden ist die rote Zora aus- Hand und steigt in den Bus, ohne sich kroatische Grenze such bei Freunden, mit der Idee vom Richtung der Empörten aus Reihe 20: gestiegen, vor zwei Stunden der Fuß- noch einmal umzudrehen. Auswandern ist sie schon lange fertig. „Das ist Europa.“ baller. Nur noch meine Sitznachba- Durch das Wageninnere zieht ein 2015 hat sie es für ein Jahr probiert. Mittlerweile ist es Nachmittag. Vor rin, drei ältere Männer und ich sitzen Sara Tomšić, 26, hat als Kind immer Schwall Männerdeo, das Frische vor- Hat in Reutlingen in der Gastronomie dem Fenster haben die Hochhäuser im Bus. Der Busbahnhof, ein verros- versucht, auszurechnen, zu wie viel gaukeln soll. Auch der Busfahrer ist gearbeitet. Sie, die ausgebildete Köchin, der Hauptstadt dem kroatischen Flach- tetes Stahlskelett, ist voll, als wir an- Prozent ihre eigenen Kinder später mal übermüdet. „Aussteigen, bitte die Pa- spülte Teller. Der Chef sagte anfangs, land Platz gemacht. Weite braune Fel- kommen. Alle raus, der Busfahrer deutsch, kroatisch und italienisch sein piere bereithalten!“, schreit er ungedul- sie könnte aufsteigen, nach der Probe- der, vereinzelt unverputzte Häuser. Im stöbert nach den Koffern. „Hat jeder würden. Um die Aufgabe nicht noch dig in sein Mikrofon. Erst auf Kroatisch, zeit vielleicht auch kochen. Sie blieb Bus gehen Kekse rum, Vollkorn von seine Sachen?“, ruft er. Keiner wider- komplizierter zu machen, rechnete sie dann auf Deutsch, die englische Ver- ein Jahr, kochen durfte sie nicht. Eines Leibniz. Jemand hat kroatische Musik spricht, Kofferraum zu, ein Winken. mit einem Mann, der nur deutsche sion kürzt er ab auf ein einziges Wort: Tages hörten ihre Hände beim Spülen auf dem Handy angemacht. Eine Frau Feierabend. Wurzeln hat.

kroatische Staatsangehörige hielten sich am 31. 12. 2017 in Deutschland auf. Damit sind sie die viertgrößte Nationalitätengruppe aller EU-Ausländer in Deutschland. Auf Platz eins: Polen (866.855), gefolgt von Italien (643.063) und Rumänien (622.781) 367.899 Quelle: Ausländerzentralregister

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Kirchenmusiker zu werden war bei Helmut Hoeft keine religiöse Berufung, sondern pragmatische Überlegung. Das Einzige, was er an seinem Beruf nicht mag, sind Trauerfeiern – wegen der skurrilen Musikwünsche der Hinterbliebenen. Zu Besuch in seinem zweiten Zuhause, der Gedächtniskirche in Berlin „Wagner mit dem Mehr als 20.000 kleine blaue Glasfenster schmücken die Berliner Gedächtniskirche. Harmonium Durch das vier Zentimeter dicke Glas wird der Verkehrslärm ausgesperrt ist grotesk“

zeigen den Daumen nach oben, ich nicht mehr machen. Für sagt Hoeft. Harmonie sei Teil Von Luciana Ferrando ( Tex t ) Kirchenmusik Kabel und geöffnete Verpackun- mich war das das Gegenteil von seiner Persönlichkeit, das falle und Amélie Losier (Fotos) ist vor allem gen liegen auf den Sitzplätzen. Harmonie.“ ihm nicht schwer. Eine Grund- vielfältig, eit 1982 ist die Die Orgel soll auch als elektro- haltung, die auch seinen mu- findet Helmut Kaiser-Wilhelm- nische Orgel fungieren, ein Hy- Lernen: Bei einer Nachbarin in sikalischen Geschmack beein- Hoeft, der Gedächtnis-Kir- brid: Synthesizer und mehrere Schöneberg fing er als Kind an, flusst. Hoeft liebt fast alle Gen- auch selbst che am Kurfürs- Bass­lautsprecher der Marke Teu- Klavierstunden zu nehmen. Der res, „nur Punk ist mir zu wütend, komponiert – tendamm in Ber- fel werden getestet. Unterricht sei nicht so professio- zu aggressiv, zu laut“. Protestie- von Kinder- lin Helmut Hoefts nell gewesen („Die ältere Dame ren sei schon okay, aber Musik liedern bis Szweites Zuhause, seit vierzehn Pragmatisch: Bei Helmut Hoeft war eigentlich Konzertsänge- ist für ihn „von Natur aus posi- Pop-Chansons Jahren ist der Orgelspieler, Kom- war es keine religiöse Berufung, rin“). Doch zu Hause konnte er tiv und freundlich“. ponist und Kirchenmusiker dort Kirchenmusiker zu werden, son- auch mit dem Vater üben, einem Kirchenmusikdirektor. Mit dem dern eine pragmatische Überle- Finanzbeamten, der sich abends Disharmonie: Hoefts harmo- musikalischen Programm der gung, erzählt er im kargen, glä- nach der Arbeit autodidaktisch nischer Alltag geriet am 19. De- Kirchen – er organisiert mehr sernen Meetingraum im Keller Musik beibrachte und Literatur zember 2016 auf einmal aus dem als hundert Konzerte im Jahr – der Kirche. Als Kirchenmusiker verschlang. Gleichgewicht. Am Abend des und seinen Kompositionen von komme er viel mehr „zum Ein- Anschlags am Breitscheidplatz Kinderliedern bis Pop-Chansons satz“ als beispielsweise Musik- Begleiten: Ab der 5. Klasse be- war er nicht in der Kirche, wurde Politisch: Was Helmut Hoeft Genießen: Hoefts drei erwach- möchte der 61-Jährige zeigen, lehrer. Das habe sich in 36 Jah- gleitete Helmut Hoeft jeden aber von einem Kollegen angeru- ebenso beängstigt: der Hass, den sene Kinder haben beruflich dass Kirchenmusik vor allem ren Karriere bestätigt. „Ich bin Morgen seine Klasse beim ge- fen: Etwas Schreckliches sei pas- er nicht nur im Internet tagtäg- nichts mit Musik zu tun. Aber eins ist: vielfältig. ein gläubiger Mensch, aber das meinsamen Volkslied auf dem siert. Am nächsten Morgen ging lich beobachtet („Diese aktuelle, gern und oft besucht er mit ih- war eine zusätzliche Motivation Klavier. Bis heute kann er die Hoeft in die Kirche und organi- naziorientierte Gesinnung war nen Konzerte. „Mit meiner Toch- Draußen: Auf einer Bank unter und spielte in der Entscheidung Stimmen der anderen Kinder sierte die Gedenkfeierlichkei- für mich unvorstellbar“). Er sei ter war ich bei Tower of Power. den Platanen am Breitscheid- kaum eine Rolle“, sagt der gebür- hören. Seinen ersten Orgelun- ten. „Die Betroffenheit und die doch immerhin Teil der Nach- Für mich eine der besten US- platz sitzt eine Frau, umgeben tige Berliner. terricht nahm er später bei dem Trauer waren groß, aber Angst kriegsgeneration, die aus der amerikanischen 68er-Bands.“ von prall gefüllten Plastiktüten, Steglitzer Kirchenmusiker Die- hatte ich keine“, sagt er. Klar Geschichte etwas hätte lernen Mit seinem Sohn hat er eine und trinkt aus einer Bierflasche. Emotionen: Das Einzige, was ter Beermann. Hoefts allererste habe es eine andere Bedeutung, sollen. „Warum die Geschichte Kreuzfahrt in der Karibik un- Ein Mann im Anzug guckt auf er an seinem Beruf nicht mag, Liebe war aber das Harmonium wenn etwas Schlimmes dort pas- sich wiederholt und Menschen ternommen. sein Handy, einer in Bauarbei- sind Trauerfeiern. Nicht wegen seines Opas. Das Instrument siert, wo man sich zu Hause fühlt. immer noch Angst haben, dass terklamotten liest Zeitung. Auf der Stimmung solcher Zeremo- entdeckte er, als er noch den Wirklich indes bewegt ihn, „wie ihnen etwas weggenommen Aufhören: Wenn Helmut Hoeft der Seite der Budapester Straße nien, sondern weil die Hinter- Kindergarten besuchte. Heute unterschiedlich heutzutage mit wird, das verstehe ich nicht.“ 2023 in Rente geht, will er „eine haben Menschen Kerzen, Bil- bliebenen nicht selten skurrile singt Hoeft mit seinen sechs- Schicksal umgegangen wird. Ich Hoeft sieht sich als politischer Pause machen“. Und danach auf der, Stofftiere, Blumen und musikalische Wünsche haben. jährigen Enkeltöchtern zusam- kann es nicht nachvollziehen, Mensch, schon allein deshalb, Orgeltour nach Paris. „Paris ist Briefe für die Opfer des Terror- „Als junger Mann habe ich im- men Kinderlieder, auch solche, dass es, wenn ein Deutscher bei weil er eine Leitungsposition prägend für Orgelspieler und anschlags auf den Weihnachts- mer Ja gesagt. Mit den Jahren die er selber komponiert. einem Unfall stirbt, ein großes in einer religiösen Institution Kirchenmusiker.“ markt am 19. Dezember 2016 bin ich selektiver geworden“, Thema ist – sterben aber in Af- innehat. „Ich versuche, so fair hinterlassen. Das Mahnmal – sagt er. „Wagner mit dem Har- Harmonie: „Ich bemühe mich, ghanistan 120 Menschen bei ei- wie möglich zu arbeiten, denn Abschalten: Für lange Zeit ein goldfarbener Riss und die monium zu spielen, zum Bei- mit allen Menschen gut auszu- nem Bombenanschlag, interes- mir ist bewusst, dass ich eine ge- sieht er sich allerdings nicht zwölf Namen der Toten in den spiel, das ist grotesk und würde kommen und im Reinen zu sein“, siert das niemanden.“ sellschaftliche Verantwortung vom Ku’damm entfernt. Zwar Treppenstufen – erinnert daran. trage“, sagt er. möchte er seinem Nachfolger in der Kaiser-Wilhelm-Gedächt- Drinnen: Orgelmusik und Kritisch: Für den Musiker ist es nis-Kirche die Möglichkeit ge- blaues Licht, das durch die mehr wesentlich, dass Menschen in ben, ohne Beeinträchtigung sei- als 20.000 kleinen Glasfenster der Kirche einen Ort der Stille nen Platz zu übernehmen, „aber dringt, hüllen die ein , die eintre- und der Ruhe finden. Wie nach vier bis sechs Stunden am Tag ten. Vier Zentimeter dickes Glas dem Anschlag am Breitscheid- an der Orgel und 40 bis 60 Ar- hat man verwandt, damit der platz: „Es sind viele Leute aus beitsstunden in der Woche ge- Verkehrslärm der großen Stra- ganz Berlin und darüber hi­ wöhnt man sich nicht so einfach ßen rund um den Breitscheid- naus zu uns gekommen und ab“. Ob er auch mal richtig ab- platz, auf dem die Gedächtnis- haben uns als Ansprechpart- schalten könne? Da müsse man kirche steht, gedämpft bleibt. ner gesucht, unabhängig von seine Frau fragen, sagt Hoeft la- Über dem Altar hängt ein gol- ihrer Religion.“ Diese Öffnung chend. Wenn er es nicht schaffe, dener Christus mit geschlos- für Menschen anderen Glau- eine Spiegel-Ausgabe komplett senen Augen ohne Kreuz. Eine bens ist ihm wichtig. Er wolle zu lesen, wisse er, dass er kurz Touristin zündet eine Kerze an, auch niemanden davon über- vor dem Burn-out stehe. einige BesucherInnen machen Mit Basslaut- zeugen, christlich zu werden eine Runde. Am schlichten Or- sprechern der („Wenn mich jemand dazu be- Und Glück? „Ich bin glücklich, gelprospekt sitzt der Orgel- Marke Teufel fragt, antworte ich gerne. Wenn wenn ich das Publikum mit mei- spieler am Instrument, einige soll die Orgel nicht, kann man sich gut auch ner Musik mitreiße und wenn bald auch Männer bewegen sich um ihn über andere Themen als Gott ich in Frieden mit allen Men- elektronisch herum, überprüfen, messen, oder Musik unterhalten“). schen leben kann.“ funktionieren sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  24 sachkunde taz am wochenende

Die Fotografin Djamila Grossman hat schlafende Menschen fotografiert. Wir zeigen eine Auswahl ihrer Bilder Fotos: Djamila Grossman/ Agentur Focus „Der Druck, gut zu schlafen, ist extrem gestiegen“

Es gibt viele Regeln für gesunden Schlaf. Aber braucht es dafür wirklich immer ein kuscheliges Bett und acht Stunden Schlaf am Stück? Und schlafen wir heute tatsächlich schlechter als früher?

Interview Stella Schalamon taz am wochenende: Frau Ahlheim, müssen dürfe im Schlaf nicht verweichlichen, müsse Stress, den sich die Menschen früher Schlafmittel, wie Bäder nehmen, kalte Wi- wir schlafen lernen? auf harten Rosshaarmatratzen schlafen. Aus nicht gemacht haben? ckel, natürliche Drogen. Chemische Schlaf- Hannah Ahlheim: An Babys kann man gut dem Daunenbett wolle man ja sonst gar nicht Im späten 19. Jahrhundert gab es schon ein- mittel gab es erst im späten 19. Jahrhundert sehen, dass schlafen erlernt ist. Wenn sie auf mehr raus oder kriege Fantasien. Das hatte mal eine Aufregung um Schlaflosigkeit. Die und in den 1920er, 1930er Jahren. Es kamen die Welt kommen, dann schlafen sie noch also auch viel mit Angst vor Sexualität zu tun. Ideen waren dieselben wie heute: Die Welt mit immer wieder neue Präparate auf, bei de- nicht acht Stunden nachts. Es ist ein Kampf, Und dann gab es die Gegenbewegung, die ei- der neuen Technik ist zu schnell, wir sind alle nen sich ein paar Jahre später herausstellte, bis sie so schlafen, wie die Gesellschaft das nem die weiche Matratze und das Traumkis- so nervös, verlieren unsere Natürlichkeit. Im dass sie süchtig machen. Schlafmittel gehö- Foto: Fotostudio Neukölln Fotostudio Foto: von ihnen will. sen zum Wegträumen versprach. Zweiten Weltkrieg merkte man dann, dass es ren nach wie vor zu den meistgekauften Arz- Woher kommt die Idee des gesunden Die Monetarisierung von Schlaf also? den Soldaten nicht gutgeht, wenn sie nicht neimitteln überhaupt. Hannah Acht-Stunden-Schlafs? Die Matratzenindustrie kann alles bespie- mehr schlafen können. Die hatten psychi- Ist der Kapitalismus eigentlich schuld an Ahlheim Der amerikanische Historiker Arthur Roger len. Ihre Konsumpalette wurde immer brei- sche Probleme und Zusammenbrüche. Man unseren Schlafproblemen? ist Professorin Ekirch behauptet, dass vor der Industrialisie- ter, und eine Individualisierung fand statt: fing an, Experimente mit Schlafentzug zu ma- Dass im Kapitalismus der selbstbestimmte, für Zeitge- rung zweiphasig geschlafen wurde. Man hatte Eheleute mit unterschiedlichen Schlafge- chen, und behandelte gleichzeitig mit Schlaf- verträumte Schlaf immer mehr verloren zu schichte am den ersten Schlaf gegen Abend, ist dann noch wohnheiten brauchten unterschiedliche Mat- kuren, bei denen man die Leute drei Tage auf gehen scheint, ist ein starkes Argument. Historischen mal wach geworden, hat sich unterhalten, vor ratzen. Und dann kam natürlich die Frage auf, Schlafmittel durchschlafen ließ. Gleichzeitig merkt man, dass man den Leu- Institut der ob man in einem Doppelbett schläft oder in Von wann sind die ersten Schlafmittel? ten ihren Schlaf nicht einfach wegnehmen Universität getrennten Betten. Seit Jahrhunderten gibt es klassische kann. Die hängen daran. Gießen. Im 19. Jahrhundert war Wie änderte sich die Vorstellung von gu- tem Schlaf in den letzten Jahrhunderten? die Idee von Schlaf die Im 19. Jahrhundert war die Idee von Schlaf Idee von absoluter die Idee von absoluter Ruhe. Man ging davon aus, dass das Gehirn so gut wie tot ist. Erst Ruhe. Man ging davon dann schlafe man wirklich gut. Träume wä- aus, dass das Gehirn so ren hingegen ein Zeichen dafür, dass der gute Schlaf gestört ist, weil da doch noch etwas im gut wie tot ist Kopf funkt. Dann kam Sigmund Freud, der sagte, Träumen sei sogar wichtig, um gesund zu bleiben. Dann fing man an, die Aktivität sich hin geträumt und ist dann wieder einge- des Gehirns zu vermessen, und sah, dass es im schlafen. Die Uhrzeit und somit ein getakteter Schlaf durchaus wach ist. Das änderte die Idee Tag setzten sich erst im 19. Jahrhundert durch. von Schlaf ganz grundlegend. Einfach mal tot, Damit festigte sich auch die Idee vom Acht- nicht auf der Welt, in Gottes Hand oder abge- Stunden-Schlaf. Es ist wahnsinnig schwierig, schaltet sein funktionierte nicht mehr. das endgültig zu belegen, weil wir nur so we- Schlafen wir heute wirklich schlechter nige Quellen darüber haben. Aber sicher ist: als früher? Schlaf ist kulturell geprägt. In Japan schlafen Was sich in den letzten einhundertfünfzig viele Menschen beispielsweise in mehreren Jahren verändert hat, ist, dass wir viel mehr Bröckchen über den Tag verteilt. Deshalb ist Regeln haben, wie wir gut schlafen sollen. es auch völlig legitim und sozial anerkannt, Gleichzeitig gibt es viel mehr wissenschaftli- tagsüber mal einzuschlafen. che Erkenntnisse über den Schlaf. Der Druck, Dafür muss man dann auch nicht zwin- dass wir gut schlafen, damit wir fit sind für gend im Bett liegen. unseren Job und unseren Alltag, ist extrem Das mit dem Bett hat sich radikal geän- gestiegen. Allein die Schlaftracker auf unse- dert. Nicht jede Kultur hat überhaupt Bet- rem Smartphone, die uns morgens sagen, ob ten. Matratzen waren früher aus Stroh oder wir gut geschlafen haben oder nicht – das ist Gras. Später gab es die einen, die sagten, man Stress!  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende sachkunde 25 Die Vermessung des Schlafs insomnia Elf Tage wach Mit Elektroden, Kameras und Atemmaske: Wer anhaltende Schlafstörungen hat, kann diese von Fachleuten untersuchen lassen. Eine Nacht im Schlaflabor Wie lange kann der Mensch ohne Schlaf auskommen? Ganz genau erforschen lässt Von Stella Schalamon sich das allein schon aus ethi- schen Gründen nicht. Im Jahr dass die Muskelspannung seines 2007 stellte der Brite Tony Kinnbereichs ab- und seine Augen- Wright jedoch einen Weltre- bewegungen zugenommen haben. kord auf: Er blieb 266 Stun- Die Software zeigt, dass es sich um den wach und dabei einiger- viele REM-Schlafphasen handelt, die maßen leistungsfähig. Dies traumreichen Rapid-Eye-Movement- führte Wright auf seine roh- Phasen, in denen die Augen wild zu- kostbasierte Ernährung zu- cken, der Rest des Körpers aber ganz rück. Wright übertraf damit schlaff bleibt. „Oft schlafen die Pa- den US-Amerikaner Randy tienten durch die Atemmaske zum Gardner, der im Jahr 1964 ersten Mal wieder so richtig und „nur“ 264 Stunden, also kommen dann schnell in den REM- 11 Tage, ohne Schlaf ausgehal- Schlaf“, beobachtet Hansen. Denn ten hatte. Laut Expert*innen bei jeder noch so kleinen, auch un- ist allerdings nicht auszu- bewussten Weckreaktion, zum Bei- schließen, dass die Männer spiel durch Zucken der Beine oder in während ihrer Rekordversu- Folge eines Atemstillstands, wird der che zwischenzeitlich in ei- Körper aus seinem Schlafablauf ge- nen Sekundenschlaf gefal- rissen, braucht oft lange um wieder len sind. Das Guinessbuch zur Ruhe zu kommen und erreicht der Rekorde nimmt schon so selten die erholsamen Tief- ge- seit längerer Zeit keine neuen schweige denn REM-Schlafphasen. Wachbleibversuche mehr auf, da extre­ ­mer Schlafent- Blut und Parfüm zug als gesundheitsschäd- Bei manchen Patient*innen wird lich gilt. heute Nacht Blut abgenommen. Der perfekte Zeitpunkt dafür liegt zwi- Second Screen Z schen 3 und 4 Uhr. Dann haben Han- sen und sein Kollege große Chancen, Mit dem Smartphone ins Z dass die Patient*innen in der für die Bett: Dass das krank machen Z b er denn noch ein Patient 27 ist der letzte, der heute mit ihren Bürostühlen von einem Blutabnahme sinnvollen Tiefschlaf- kann und einer gesunden bisschen Fernsehen Abend zu Bett gebracht wurde. Auf Klemmbrett zum nächsten. phase sind und noch nicht die früh- Schlafhygiene widerspricht, dürfe, fragt Patient Crocs schreitet Hansen im gewohnt Hansen hat schon viele verschie- morgendlichen Toilettengänge be- ist nicht neu. Schlimmer als 27. Christopher Han- eifrigen Schritt zurück in den Kon­ dene Patient*innen betreut: Nar­ko­ ginnen. Hansen bereitet die Röhr- das nächtliche Surfen im sen schaut auf die troll­raum mit den vielen Compu- lep­tiker*innen, die plötzlich mit- chen für die Abnahme vor und klebt Netz ist laut Forscher*innen Uhr. Es ist 22.52 Uhr. terbildschirmen. Elf von ihnen bil- ten am Tag einnicken, andere mit Namensschilder auf kleine Gefäße das sogenannte­ Second- ODie Nacht hat sich längst über das den die Signale aus den Zimmern der Ein- und Durchschlafstörungen, mit Schraubverschluss. Zwei Röhr- Screen-Phänomen. Beson- Gelände des Virchow-Klinikums, Schlafenden ab. Auf den restlichen die meisten mit Verdacht auf eine chen legt er auf ein zuvor desinfi- ders anstrengend für un- Teil der Berliner Charité, gesenkt. zeichnen die Signale Linien und Wel- Schlafapnoe. Und dann gibt es na- ziertes Kästchen und geht damit ins ser Gehirn wird es nämlich, „Na gut, zwanzig Minuten noch“, len: Hirnströme, Augen-, Kiefer-, At- türlich auch solche, die Schlafwan- Zimmer von Patientin 17. Das Licht wenn wir mit Laptop und sagt Hansen. mungs- und Beinbewegungen, Herz- deln, im Schlaf aufstehen, anfangen aus dem kleinen Vorraum reicht aus, Smartphone oder Tablet Der studentische Mitarbeiter frequenzen. zu sprechen, seltsame Bewegungen um die Blutproben aus dem Ohr- gleichzeitig hantieren und trägt ein blaues, weit geschnittenes Bei der sogenannten Bioeichung machen. Solche Ereignisse werden läppchen der Patientin zu nehmen. mit den Augen ständig zwi- Oberteil über einer blauen Hose. hat Hansen zuvor getestet, ob alle im Schlaflabor, das schließlich eine Auf dem Nachttisch wirft eine Fla- schen den beiden Bildschir- Um 23 Uhr ist hier eigentlich Zap- aufgeklebten Elektroden funktio- ungewohnte Umgebung darstellt, sche Chanel Nº5 ihren Schatten auf men hin und her springen. fenstreich. Dann wird in den Zim- nieren. Über das Walkie-Talkie gab provoziert. „Ein Patient kam hier ein Sudokuheft. Die schnell wechselnde Be- mern der Patient*innen das Licht er den jeweiligen Patient*innen An- echt mal mit Wodkaflasche und hat Beim Aufwachen zuckt Patien- schäftigung mit verschiede- gelöscht, denn sie sollen versuchen weisungen durch. Von links nach mit zwei Kumpels im Zimmer eine tin 17 verschlafen zusammen. Die nen Inhalten fordert unser einzuschlafen. Ohne Ablenkung von rechts schauen, blinzeln, schnar- leise, kleine Party nachgestellt, da- weißen Haare sind zerzaust. Ihr Gehirn zusätzlich heraus. Fernseher, Handy oder Buch. chen, die Luft anhalten und weiter­ mit er dann schlafwandelt“, erzählt Atem geht röchelnd. „Ich bin ja noch Und ein angestrengtes Hirn Hansen hängt ein Gerät, in das atmen. Ein kleines Fenster auf den Hansen. ganz unbedarft“, bemerkt sie. Es ist schläft nicht gut ein. viele bunte Kabel eingestöpselt sind, Bildschirmen zeigt die Videoüber- Alkohol ist nichts für eine gute ihre zweite Nacht im Labor. Nach ei- in eine Vorrichtung an der Wand. Je- tragung aus den Zimmern. Immer Schlafhygiene. Ein großes Plakat im ner weiteren künstlichen Hüfte soll des Kabel führt zu Elektroden, die Flur des Schlaflabors gibt Auskunft. bald eine Herzoperation folgen. Da- Faktor Armut am durchtrainierten Körper von Durchgestrichen sind darauf auch für muss sie in Form sein. Als sie In einer Schlafstudie der Patient 27 aufgeklebt wurden. Drei Oben an der Nikotin und Koffein, unregelmä- bei einer Spazierfahrt durch den Techniker Krankenkasse ge- am Kopf messen die Hirntätigkeit, ßige Bettzeiten oder helles Licht im Herbstwald mit ihrem Mann mit- ben 39 Prozent der Beschäf- zwei auf den Wangen die Bewegun- minzfarbenen Wand Schlafzimmer, das die Ausschüttung ten am Tag immer wieder einschlief, tigten an, dass sie der beruf- gen der Augen, zwei im Bereich des gegenüber des Betts des müde machenden Hormons Me- waren beide beunruhigt. Sie kriege liche Stress nicht ruhig schla- Kinns die Muskelspannung des Kie- surrt die Kamera latonin verhindert. Hilfreich hinge- auch sehr schlecht Luft. Das habe sie fen lässt. Oft vernachlässigt fers, zwei an der Brust die Herztätig- gen seien Entspannungsbäder, Spa- bis in ihre Träume begleitet. Immer wird aber die soziale Dimen- keit und jeweils zwei an den Schien- ziergänge oder eine heiße Milch mit wurde sie darin gejagt. Mit der Atem- sion von Schlaflosigkeit. Wer beinen die Beinbewegungen. Dazu Honig. Und eben den eigenen Schlaf- maske hätte sie schon viel besser ge- zum Beispiel Geldsorgen hat, noch zwei Gurte um die Brust und das Bett, die Nachttische daneben. rhythmus zu kennen und erst ins schlafen. Und sie macht sich Hoff- leidet häufiger unter psy- den Bauch, die die Atembewegun- Im Bett jeweils einen Menschen. Mal Bett zu gehen, wenn die Müdigkeit nung, bald wieder das Ehebett mit chosomatischen Beschwer- gen erkennen. Und am Zeigefinger bis zum Kopf in die Decke eingewi- kommt. Nur rächt sich das oft am ihrem Mann zu teilen. den und kann infolgedessen der rechten Hand ein wabbeliger, ckelt. Mal die Beine aufgestellt. Mal nächsten Morgen bei denen, deren Die Nacht im Schlaflabor ist kurz. auch schlechter schlafen. Be- grauer Fingerhut, um den Puls und freigestrampelt. „Kein Wunder, dass Chronotyp nicht der der Frühauf­ ­ste­ Schon um 5:23 Uhr wird Patien- sonders betroffen von sozial die Sauer­stoff­sättigung im Blut ab- der keinen erholsamen Schlaf be- he­r*innen ist. tin 17 von Hansen geweckt. Ob sie bedingten Schlafstörungen zulesen. Dann stülpt Hansen dem kommt“, sagt Hansen, als er das sieht. Dreht Hansen die Lautstärke des geschnarcht habe? „Ein bisschen“, sind demnach Armutsrisi- jungen Mann ein durchsichtiges Patient 27 klingelt, wie abgespro- Computers auf, ist das regelmäßige meint Hansen ehrlich. Als alle Pflas- kogruppen wie zum Beispiel Gummiteil über die Nase. chen. Auch er hat nun das Licht aus- Schnarchen von Patient 5 zu hören, ter von der Haut entfernt sind, freut Arbeits- und Wohnungslose, Patient 27 ist beim Bund. „Die Ka- gemacht und ist wenige Minuten das über ein Mikrofon in der Nähe sich Patientin 17 auf noch ein biss- Alleinstehende, Alleinerzie- meraden auf der Stube haben ir- später schon am Schlafen. Die Dia- des Kehlkopfs übertragen wird. Auf chen Weiterschlafen. „Aber zuerst hende und Kinder. gendwann bemerkt, dass ich in gramme zeigen es. Das „W“ für Wach- den Diagrammen ist erkennbar, noch lesen!“ Sie grinst. der Nacht immer wieder aufgehört zustand, wird schnell von „N 1“, der hatte, zu atmen“, erzählte er ein paar Einschlafphase, dann „N 2“, der leich- Immer montags Stunden zuvor bei der letzten Ziga- ten bis mitteltiefen Schlafphase ab- In der Nacht von Sonntag rette des Tages. Das passiert bei allen gelöst. Beim Bund lerne man sofort auf Montag schlafen die Menschen im Schlaf bis zu fünfmal und überall einzuschlafen, hat Pa­ Menschen in Deutschland pro Stunde, aber bei den sechzehn- tient 27 noch erzählt. „N 3“, die Tief- For­sche­r*innen zufolge am mal von Patient 27 deutet das auf schlafphase ist noch auf keinem der schlechtesten. Das liege vor eine Schlafapnoe hin, periodische Bildschirme zu sehen. allem daran, dass viele sich Atemaussetzer, die eine chronische bereits am Sonntagabend vor körperliche Belastung zur Folge ha- Schwarzer Tee und Wodka dem Einschlafen Gedanken ben können. Auf der Station ist es jetzt ruhig. Al- über den Verlauf der kom- Nun fürchtet er, dass er auf eine lein die Computer im Personalzim- menden Arbeitswoche ma- Atemmaske angewiesen sein wird, mer brummen. Das Fenster ziert chen würden – und so der wie die, die Hansen gerade an seinem eine Window-Color-Abbildung vom Stress schon am Wochenende Kopf festschnallt. Wie ein Schweine- Sandmännchen. Hansen macht sich beginnt. Außerdem würden rüssel umschließt das Gummiteil die einen Schwarztee. Kaffee trinkt er die meisten Menschen sonn- Nase. Der Schlauch endet im Beat- nicht. Er arbeitet seit 2006 im Schlaf- tags deutlich länger schlafen, mungsgerät auf dem Nachttisch. labor. Von seinem Arbeitsplatz in der als an anderen Wochentagen. Wie man damit wohl bei Außenein- Mitte des Zimmers hat er die Moni- Wenn sie dann abends zur ge- sätzen im Freien übernachtet? Han- tore gut im Blick. Alle volle Stunde wohnten Uhrzeit ins Bett ge- sen deckt Patient 27 zu und wünscht müssen er und sein Kollege einen hen, spiele der Biorhythmus „Gute Nacht“. Oben an der minzfar- Zwischenstand auf den Klemmbret- nicht mehr richtig mit und benen Wand gegenüber des Betts tern unter jedem der Bildschirme die Müdigkeit ließe oft auf surrt die Kamera. protokollieren. Sie rutschen dann sich warten. Lin Hierse 26 gesellschaft sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019

Ein Mann weniger

Menschen wie ihn findet man in Wortejeder Stadt. Heinz Spannenberger bessert sich seine Rente mit Flaschensammeln auf. Aber er will nicht klagen

Aus Reutlingen Christina Fleischmann ( Tex t ) und Emily Piwowar (Fotos) Gezeichnet von einem Leben mit wenigen Höhen und vielen Tiefen

einz Spannenberger betritt er den Raum von Rita Wilde, sei- Also kümmert sich die AWO um Zinnteller ist unversehrt: eine Fußball- arm: Janne. Die Buchstaben sind mit zieht den rechten Arm ner Betreuerin. Er setzt sich vor ihren Spannenbergers Post, Versicherungen, trophäe, in die sein Name eingraviert den Jahren verblasst, Janne ist längst aus einem Mülleimer, Schreibtisch, schlägt die Beine über- Rechnungen. Seine Kleidung stammt ist, Meister mit dem FC Urach in der C- Geschichte. seine Hand umklam- einander. Aus der verschlissenen Ein- aus dem hauseigenen Secondhand-La- Klasse 1972/73. Nach dem Brand über- Mit zweiundzwanzig Jahren lernt er mert eine Bierflasche. kaufstüte, in der er sein Leergut trans- den. Weil er sich sein Geld nicht ein- nachtet er sechs Wochen in einer Not- Renate kennen. Sie arbeitet im Büro Alle zwanzig Meter portiert, kramt er zwei abgegriffene teilen kann, übernimmt auch das die unterkunft, bevor ihm die AWO eine der Firma, für die er Lastwagen fährt. Hsteht so ein Abfallbehälter, Spannen- Umschläge hervor. Rentenversiche- AWO. Er möchte es so. Seine Rente be- neue Wohnung vermittelt, mit ihm Mö- Sie ziehen zusammen, heiraten. Zwei berger lässt keinen aus. Einmal das rung und Rundfunkgebühren. trägt 880 Euro im Monat, davon ge- bel kauft. Der Zinnteller, vom Ruß be- Jahre später kommt Silke zur Welt. „Die Gleis entlang und wieder zurück, seine „Post für mich?“, fragt sie. „Sonst hen 352 für Miete und Strom ab, 10 für freit, thront seitdem auf seinem Wohn- glücklichste Zeit meines Lebens“, sagt Stammstrecke. Er muss schnell sein, noch etwas?“ Mietschulden, macht 518 Euro. Davon zimmerschrank. er heute. Doch die Familie leidet von unter Flaschensammlern ist der Bahn- „Die Putzfrau war schon wieder bekommt er 480 Euro ausbezahlt, die Zum ersten Mal stand er mit sechs Anfang an unter seiner Sucht. Er ist hof ein umkämpftes Gebiet. nicht da“, nuschelt er. Auch hier spricht Hälfte jeweils zum 1. und 15. des Mo- Jahren auf dem Fußballplatz, wo er ständig unterwegs, treibt sich mit den Mit zwei Dosen und der Flasche er nur das Nötigste. nats. Der Rest sind Rücklagen, für Me- die glücklichsten Momente seiner Kameraden herum, kommt spät nach kehrt er zurück in die Reutlinger Bahn- Die Betreuerin wählt eine Nummer. dikamente, Fußpflege oder sein Handy Kindheit verbrachte. Im „Kleinen Bol“ Hause. Sie mache das nicht länger mit, hofskneipe, pünktlich zum Anpfiff der Er lehnt sich zurück, faltet seine Hände mit den extra großen Tasten. Früher hat wächst er auf, dem Problemviertel warnt Renate. Er ignoriert ihre Drohun- zweiten Halbzeit. Dunkles Holz, Flie- über dem Bauch, unter den langen Fin- er sich manchmal eine Karte fürs Reut- Reutlingens. Seiner Familie fehlt schon gen. „Ich habe mich für unwidersteh- senboden, Plastikblumen. Auf seinem gernägeln hat sich Dreck gesammelt. linger Fußballstadion geleistet, heute immer das Geld. Der Vater Fensterput- lich gehalten.“ Nach vier Jahren Ehe Platz steht ein Glas Spezi, halb voll, ab- Aus gutmütigen, tiefblauen Augen sind 11 Euro für einen Sitzplatz nicht zer, die Mutter wegen Depressionen zieht sie mit der Tochter aus, reicht die gestanden. Er verstaut seine Ausbeute mustert er den Raum, die Aktenordner mehr drin. Allein das Rauchen ver- und Herzleiden zu krank zum Arbei- Scheidung ein. Heinz Spannenberger, in einer Einkaufstüte am Boden. Zwei im Regal, die bunten Landschaftsbilder schlingt fast sein Tagesbudget. Hätte ten. In der kleinen Wohnung teilt er sich mit neunundzwanzig geschiedener Va- sind schon gefüllt, jetzt kommt Pfand an der Wand. Von der Lockenmähne sei- er 2.000 Euro im Monat, wie er sie als ein Zimmer mit seiner neun Jahre äl- ter, zieht zurück in den „Kleinen Bol“. für 68 Cent dazu. Mindestens einmal ner jungen Jahre ist ein Haarkranz ge- Fahrer verdient hat, das wär’s, sagt er. teren Halbschwester. Ein Badezimmer Der Alkohol habe ihn nicht aggres- am Tag kommt er in dieses Lokal, von blieben, die Wangen säumt ein grauer So viel bräuchte er, um in Würde zu al- gibt es nicht, nur eine Toilette, zum Wa- siv gemacht, sagt er. dem er sagt, es ziehe ihn an wie ein Ma- Bart, Falten haben sich eingegraben. tern. Nach einundvierzig Jahren Bei- schen muss die Spüle in der Küche rei- Im Suff sei er ihr gegenüber hand- gnet. Weihnachten verbringt er hier, Zur Jeans, vielleicht zwei Nummern zu tragszahlungen erreicht er nicht ein- chen. Vor der Tür leere Bierflaschen greiflich geworden, sagt seine Exfrau. und Silvester, spielt Schach mit einem weit, trägt er ein hellblaues Poloshirt, mal die deutsche Durchschnittsrente und trostlose Gestalten: Nachbarn, die Er sei mit Tausenden D-Mark Schul- Bekannten, schaut Fußball: Bundes- beide Knöpfe offen. von 1.076 Euro. nicht arbeiten, die ihre Sorgen im Al- den aus der Ehe gegangen, sagt er. liga, Champions League, Weltmeister- Ein Stockwerk tiefer, in der AWO-Kan- kohol ertränken. Sie habe alle Schulden auf sich ge- schaft. Durch das Fenster beobachtet tine, bestellt Spannenberger Menü 1: Als er zwölf ist, stirbt seine Mutter an nommen, weil er nicht zahlen konnte, er das Treiben am Bahnsteig. Wirft je- gegrilltes Putensteak mit Bandnudeln, einer Lungenentzündung. Er wächst bei sagt sie. mand eine Flasche weg, geht er raus Der Alkohol hat alles dazu eine Cola. An der Kasse weist er seinem Vater auf, der zu viel trinkt und Die Geschichte, die mehrere Versio­ ­ und nimmt sie mit. zerstört: die Ehe, sich mit einem gelben Papier und ver- sich mehr um neue Liebschaften als um nen kennt, hat einen gemeinsamen Nach achtundsechzig Lebensjahren gilbtem Foto aus. Mit dem Sozialpass, den Jungen kümmert. Meistens flüch- Nenner. „Ich weiß heute, ich war al- mit wenigen Höhen und vielen Tie- die Beziehung zu den die Diakonie ausstellt, erhält er tet Heinz auf den Fußballplatz. Eine lein daran schuld, dass meine Ehe in fen hatte Spannenberger sich einen seiner Tochter, die Rabatt auf das Essen: 3 statt 6 Euro. Gegenwelt, in der Mannschaftsgeist die Brüche gegangen ist“, sagt er. unbeschwerten Ruhestand erträumt, Im Speisesaal nickt er einem Gast zu, zählt, Tore, Aufstieg, gemeinsame Fei- Nach der Scheidung, die Tochter ist mit Geld, das auch mal für einen Ur- Gesundheit und nimmt aber allein an einem freien ern nach einem Sieg. Er kriegt nicht ge- knapp zwei Jahre alt, findet seine Ex­ laub reicht, ans Meer oder nach Öster- manche Erinnerung Tisch Platz. Während er kaut, schaut er nug davon. „Fußball war mein Leben“, frau einen neuen Mann und Silke einen reich wie früher mit der Familie. „Das auf sein Tablett oder starrt die Wand erzählt Spannenberger, der vierzig neuen Vater. Ein glückliches Familien- war wohl nichts“, sagt er, der seine we- an. Man kennt einander, sieht sich je- Jahre als Stürmer auf dem Platz stand. leben, bis Spannenberger an der Tür nigen Worte nicht zum Jammern ver- den Tag und redet kaum. „Eigentlich ist Mit dem Sport schlich sich der Al- klopft. „Er hielt sich nicht an Termine, schwendet. jeder für sich allein“, sagt Spannenber- kohol in sein Leben. Nach jedem Trai- aber wenn, dann kam er oft betrunken“, An seiner Stelle ließen sich tau- Wilde legt den Hörer auf. „Die Putz- ger. Jeder, das sind Hartz-IV-Empfänger ning, jedem Spiel, trank er mit den Ka- erinnert sich die Exfrau. Sie sagt auch: send ähnliche Geschichten erzählen, frau kommt Ende der Woche.“ und Obdachlose. Er selbst war beides. meraden, manchmal zehn, manchmal „Seine Tochter hat er über alles geliebt.“ die davon handeln, im Alter am Rand Fällt die Reinigung einmal aus, ver- Weil er betrunken im Auto erwischt fünfzehn Bier. Erst Höchstleistung auf Die wenigen Kindheitserinnerun- der Gesellschaft zu stehen. Menschen sinkt Spannenbergers Wohnung im wird, verliert er 2002 zum dritten Mal dem Platz, danach Saufen im Vereins- gen, die Silke mit ihrem leiblichen Va- wie Spannenberger finden sich in je- Chaos. Die Kleidung stapelt sich auf den Führerschein – und seinen Job. heim, mehrmals die Woche, jahrelang. ter verbindet, sind keine guten. „Ich der Stadt. Rentner, die Flaschen sam- Sofa und Bett, der Badezimmerboden Jahrzehnte ist er Lastwagen gefahren, Wer seinem Körper das antut, muss ge- habe mich immer in meinem Zimmer meln und am Monatsende um ein paar bekommt Flecken, auf dem Couch- meist Möbel, lange Zeit auch Geträn- übt sein. Beim Trinken war Heinz Span- versteckt. Ich hatte einen Vater, ich Euro betteln. Die meisten Passanten tisch sammeln sich benutzte Gläser, im kekisten. Spannenberger rutscht nach nenberger Profi. brauchte nicht noch einen.“ Spannen- schauen weg. Weil niemand gern sieht, Aschenbecher Zigarettenstummel. Er Hartz IV ab. Dann vor fünf Jahren: Er Nach der Hauptschule lässt er sich berger ist für sie der Mann, der immer was passiert, wenn man den Halt verlo- neige „zur Verwahrlosung, hier soll Ver- nickt beim Fernsehen auf dem Sofa ein, zum Automechaniker ausbilden. Nicht, mal wieder in ihr Leben schneit und ren hat. Manchen kosten ihre Stürze so schlimmerung verhütet werden“, heißt die Zigarette fällt ihm aus der Hand weil er besonderen Gefallen an Autos gleich wieder verschwindet. Nach Jah- viel Kraft, dass sie in der letzten Lebens- es im letzten Bericht der AWO. Weil er und auf eine Zeitung am Boden. Vom findet, er tut es einfach den meisten ren ohne Kontakt lädt sie ihn zur Kon- phase zu wenig davon übrig haben. Pflegestufe 1 in Anspruch nimmt, kom- Qualm wacht er auf, rettet sich auf die Jungs in seiner Klasse gleich. Mit sech- firmation ein, später zur Hochzeit. Er Montagmorgen, Mitte des Monats. men für den Putzdienst Sozialamt und Terrasse, Polizei und Feuerwehr sind zehn Jahren fährt er auf einem Mo- kommt, doch wieder bricht der Kontakt Spannenberger verlässt ein Büro der Krankenversicherung auf. „Er ist wei- schon da, ein Nachbar hat sie geru- ped, einer schwarzen Hercules, durch ab. 2017 dann das letzte Treffen. Zu ih- Arbeiterwohlfahrt, in seinen Händen terhin nicht in der Lage, sich um seine fen. Als er seine Wohnung Tage später die Stadt, er verliebt sich. Im Rausch tä- rem einundvierzigsten Geburtstag be- 240 Euro, Taschengeld für die nächs- persönlichen Angelegenheiten zu küm- wieder betreten darf, ist alles verkohlt. towiert er sich den Namen seiner ers- sucht er sie und seine vier Enkel. „Er ten zwei Wochen. Ein paar Türen weiter mern“, heißt es in dem Bericht. Möbel, Dokumente, Fotoalben. Nur ein ten Freundin auf den linken Unter- hat keine Frage gestellt, kaum geredet“,  taz am wochenende 27

erzählt sie. Wenn sie von ihrem leibli- ter einer Glastür verstauben Gläser im chen Vater spricht, nennt sie ihn nur Wohnzimmerschrank. Spannenberger noch EZ, kurz für Erzeuger. stellt die Tüte mit seinen Flaschen am Sie habe ihm lange eine Chance ge- Eingang ab. Alfred Stähle, ein kleiner geben, aber nun mit dem Thema abge- Mann mit Schnauzbart und Lachfalten, schlossen, sagt die Tochter. springt von seinem Stuhl auf, schüttelt Am meisten wünsche er sich mehr ihm die Hand. „Eine Cola, wie immer?“ Kontakt zu ihr, sagt der Vater. Früher haben die beiden nach dem „Der Alkohol hat alles zerstört.“ Die Fußballtraining gemeinsam gezecht. Ehe, die Beziehung zu seiner Tochter, Heute sind sie gemeinsam trocken. die Gesundheit. Und er hat die Erinne- Wenn man den Entzug hinter sich hat, rung an manche Geschichte getrübt. lässt sich leichter über die Exzesse von Kramt Spannenberger in der Vergan- damals reden. Die Worte, die sich Span- genheit, findet er selten Details. Mag nenberger spart, gibt Stähle großzügig sein, dass er sie nicht finden will. Ei- aus. „Am Ende ging es nicht mehr um nes Tages vor fünfzehn Jahren sei er in Fußball, sondern nur noch ums Sau- seine Kneipe gegangen und habe sich fen“, sagt er. nicht zu den Kameraden am Tresen ge- Stähle ist Betreiber des „Sozialen setzt, sondern an einen Tisch, allein. Er Wohnzimmers“ und ehrenamtlicher orderte eine Cola, die Kellnerin nahm Suchtberater. Dass Heinz ohne Thera- es als Scherz, von der Bar schallte höh- pie gegen den Alkohol gesiegt hat: „Re- nisches Lachen. Nach fünfunddreißig spekt“, sagt er. „Dafür braucht man ei- Jahren an der Flasche sei er morgens nen starken Willen.“ Spannenberger lä- aufgewacht mit dem Gedanken: So chelt mit gesenktem Blick. kann es nicht weitergehen. Kalter Ent- Später, auf dem Weg zurück in die zug. Er überlegt, was damals der Aus- Bahnhofskneipe, die ihn anzieht wie löser war. Doch eine Antwort fällt ihm ein Magnet, sagt er: „Wenn’s die Leute nicht ein. Sein Körper entwöhnte sich so sagen, wird’s auch stimmen.“ Viel- schnell, der Kopf brauchte zwei Jahre. leicht ist da doch so etwas wie Stolz in Vielleicht war es das Größte, das er je- seinen Worten zu hören. mals erreicht hat. Er fragt sich oft, ob er darauf stolz sein darf, wo er in seinem Leben doch nichts mit Stolz verbindet. Als es vor fünfzehn Spannenberger zieht seinen Arm aus einem Mülleimer, leert einen Rest Jahren in der Bier auf den Gehweg und legt die Fla- Kneipe eine Cola sche vorsichtig zu den anderen in seine Tüte. Langsam schlurft er weiter, je län- bestellte, nahm die ger der Weg, desto häufiger die Pausen. Er stoppt an einer Bank am Wegesrand, Kellnerin es als seinem täglichen Rastplatz, und steckt Scherz sich eine Zigarette an, während er Pas- santen beobachtet. Ein Pärchen schlen- dert mit Einkaufstüten vorüber, im Am Tresen holt er ein Schachbrett Café nebenan nippen Gäste an Latte und setzt sich zu einem Freund, An­ macchiatos. Am Brunnen schleicht ein dreas heißt er. Sobald die zweiund- silberner Sportmercedes vorbei. Span- dreißig Figuren stehen, bekommt nenberger sitzt wie ein Fremdkörper in Spannenberger den Tunnelblick, sein dieser Welt. Was ihre Bewohner als Ab- Kopf spielt die nächsten vier mögli- fall hinterlassen, nimmt er mit in seine. chen Züge durch. Mit seinen beiden Drei Jahre ist es her, dass er zum ers- Pferden springt er nach vorn, spielt ten Mal in den Mülleimer fasste. Bei der dann die Läufer frei, um den eigenen ersten Flasche stachen ihn noch die Bli- König zu sichern. Andreas seufzt, wiegt cke der Passanten in den Rücken. Jede den Kopf hin und her. Während Span- weitere kostete weniger Überwindung, nenberger in Ruhe an seiner Zigarette der Griff wurde Routine. Heute erkennt zieht, beobachtet er jede Bewegung sei- er, wer gleich gläsernes Geld in den Ab- nes Gegners. fall werfen wird, und hält sich bereit. Je Das Spiel, das ohne Worte auskommt, nach Art der Flasche variiert das Pfand ist Spannenbergers neuer Sport nach Es ist eine Frage der Würde. Niemals würde Spannenberger wühlen, betteln schon gar nicht zwischen 8 und 15 Cent. 2 bis 5 Euro dem Fußball. Maximale Konzentra- sammelt er pro Tag. An guten Tagen druck senken, Gefäße erweitern, Harn er nur schwer die Stille in seiner Woh- der Richtigen, doch es scheitert schon tion statt maximaler Rausch. Für sei- auch mal 9. Am Abend tauscht er an treiben. Die meisten schluckt er, um nung. Sobald er nach Hause kommt, beim Ansprechen, er ist zu schüch- nen Schachclub tritt er regelmäßig bei der Supermarktkasse sein Pfandgeld einen dritten Herzinfarkt zu vermei- schaltet er den Fernseher ein. Wenn er tern. Es gab zwar einige Frauen in sei- Turnieren an. Zwei Tage dauerte seine gegen Zigaretten. den. Der erste traf ihn vor zwanzig Jah- sich schlafen legt, lässt er die Stimmen nem Leben, doch nichts Beständiges, längste Partie. Die Spielzüge hat ihm Spannenberger nähert sich einer ren, der letzte vor acht. Weil die Beine weiterreden. die längste Beziehung hielt fünf Jahre. sein Vater beigebracht. Was er im Le- Fanta-Dose, die vor einem Friseursalon schmerzen, hinkt er leicht beim Gehen, Manchmal ruft er seine Halbschwes- Seitdem die letzte Liebschaft in die ben nicht geschafft hat, beherrscht am Boden steht. Er hebt sie an und stellt seine Hände zittern. Wenn Spannen- ter in Düsseldorf an. Die Gespräche Brüche ging, heißt seine Familie Al­ Spannenberger bei diesem Spiel: den sie sofort wieder ab. Noch fast voll, die berger hustet, bebt sein Körper. Zwei- dauern keine drei Minuten. fred, Roland und Klaus. Mit ihnen sitzt nächsten Schritt überlegen, Risiken ab- gehöre sicher jemandem, stehlen will undfünfzig Jahre Rauchen hinterlassen „Wie geht’s dir?“ er stundenlang zusammen beim Bino- wägen, die Lage kontrollieren. er nicht. Beim Flaschensammeln zieht Spuren. Zwei große Schachteln HB in- „Mir geht’s gut.“ kel, einem schwäbischen Kartenspiel, Er zieht seine Dame diagonal über er Grenzen: Niemals würde er wühlen haliert er pro Tag, vierundvierzig Ziga- „Also dann.“ das man entweder schnell begreift das Feld. Ein gewagtes Manöver. Er und betteln schon gar nicht. Ein biss- retten. Als er noch Lastwagen fuhr, wa- Einmal im Jahr kommt sie zu Besuch oder nie versteht. Mehrmals die Woche weiß, er wird sie jetzt verlieren. Aber chen Würde will er sich erhalten. ren es doppelt so viele. nach Reutlingen. Jahrelang herrschte trifft sich die Männerrunde im „Sozia- er weiß auch, er kann immer noch ge- Vielleicht hat er deshalb seine Jeden Morgen spaziert Spannenber- Funkstille, der Alkohol habe das Ver- len Wohnzimmer“, einer Mischung aus winnen. Tage klar strukturiert. Aufstehen um ger zwanzig Minuten ins Stadtzentrum hältnis belastet, erzählt sie. „Heinz ist Café und Rumpelkammer unweit des 6.30 Uhr, um 7 Uhr kommt der Pflege- und verbringt den Tag zwischen AWO ein seelenguter Mensch, aber er ist la- Stadtzentrums. Christina Fleischmann, 30, ist freie dienst vorbei und stellt ihm seine Me- und Bahnhofskneipe, unterwegs sam- bil. Er hatte zu Hause kein Vorbild.“ An der giftgrünen Wand lehnt ein Journalistin und hat Heinz Spannen- dikamente bereit: Metohexal, Nephro- melt er Flaschen. Hauptsache raus. Ob- Zu gern würde Spannenberger noch Porträt, das Hemingway zeigt, von der berger über zwei Wochen immer trans, Torasemid. Pillen, die den Blut- wohl er schon lange allein lebt, erträgt einmal heiraten. Er hält Ausschau nach Decke hängen goldene Girlanden, hin- wieder begleitet.

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z LED-Anzeige informiert über die verbleibende Kapazität. Inklusive (030) 2590 2590 | [email protected] ta USB-Ladekabel. sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  28 gesellschaft taz am wochenende

Gareth Joswig @garethmetik Paul Wrusch @powl_b Plötzlich war Mau weg. Unsere vierjäh- Vor über drei Jahren hatte ich eine Twit- rige Tochter Ida hat ihr Lieblingskuschel- ter-Romanze mit dem jetzigen @BILD- tier im Zug verloren. Als Mau auch eine Chef Julian Reichelt. Ich schrieb ihm Woche später nicht in den Fundbüros einen öffentlichen Liebesbrief, weil er der Bahn auftauchte und meine Tochter „mutig, objektiv und sexy“ (dieses #Brust- immer untröstlicher wurde, startete ich haar!) für die Pressefreiheit kämpfte. Er eine Suchaktion auf Twitter. Viele teilten schickte mir via Twitter ein sexy Foto den Aufruf, nahmen Anteil und halfen su- von sich: „Für Pauli von taz2“. Mit Herz- chen. Ergebnis: Die Katze ist zwar immer chen! Gut, er bezeichnete mich noch als noch auf Reisen, hat dafür aber Postkar- „traurigen Spießer“ und „Lügner“, aber ten von unterwegs geschickt, dank zahl- eigentlich sehnte er sich nach mir. Wie reicher User*innen. Gut dreißig Postkar- zwei verliebte Teenies stichelten wir uns ten hat Mau geschickt, aus Sachsen, Bay- eine Weile gegenseitig. Seit er so richtig ern, Malta und Paris, selbstgemalte vom Chef ist, ist das vorbei. Man muss loslas- Nordpol und aus der Tiefsee. Meine Toch- sen können. ter lässt sich die Karten immer wieder vor- lesen – zusammen mit dem neuen Ersatz- kuscheltier: Mau-Pünktchen. Doris Akrap @dorisakrap #FreeDeniz

Illustration: Paula Troxler Anonym @anonymindertaz Ich war einmal anonym auf einem taz-Co- Markus Kowalski @markuskowalski ver zu sehen – besser gesagt: meine Unter- #mequeer überwältigt mich. Plötzlich hose. Mein Körper brustabwärts. Es wusste schreiben Freunde und Kollegen, wie fast niemand davon. Schon gar nicht mein sie homophob beleidigt werden. Wie Ex-Freund, der das Cover ein paar Sekun- sie Angst haben, öffentlich zu knutschen. den, nachdem es online war, retweetete. Ich erkenne mich wieder. Schäme mich „Super Foto“, schrieb er dazu. Mir gefiel für mein Zögern, mein Erlebnis zu teilen. der Gedanke, dass ich halbnackt auf seiner Soll alle Welt mein Innerstes kennen? Liebe, Timeline prangte, ohne dass er es ahnte. Dann doch. Ich tippe, wie ich als Siebt­ klässler meinen Französischlehrer als „voll schwul“ beleidige, aus Selbsthass. Michael Brake @freelancepolice Erst kürzlich entschuldige ich mich. Seit- „Was machst du gerade?“ Als Twitter noch dem liest er mit seinen Schülern einen Flausch und jung war, stand diese Frage ganz oben auf Roman über Homophobie. der Seite und viele nahmen das sehr wört- lich. Als Parodie auf dieses superbanale Tagebuchtwittern programmierte Kathrin Kersten Augustin @kerstenau Candystorm Passig im Sommer 2008 den @trottelbot. Verzweifelt haben wir nach einem Kita- Ein Parodieaccount, der in onkeligem Of- platz gesucht. Meine Freundin und ich fice-Humor-Sound Sachen schrieb wie: wollten nicht selbst darüber in der taz „Üffchen! Wieder zu Hause.“ „Muss drin- berichten, nicht jeden Entwicklungs- Robert Habeck hat sich von Twitter verabschiedet. gend mal was essen. #Hunger“. Dabei be- schritt unseres Sohnes publizistisch be- Schade eigentlich, denn da gibt es nicht nur Hass diente er sich aus einer Liste mit vorgefer- gleiten. Aber nachdem wir fast ein Jahr tigten Sätzen, die mehrere Leute, darunter lang, vom Wochenbett bis kurz vor sei- und Häme, sondern auch Anrührendes und Schönes. ich, weiter befüllten. Über die Jahre lernte nem ersten Geburtstag, mit wachsender Die besten Twitter-Geschichten unserer AutorInnen der Trottelbot: uhrzeitgebunden twittern Verzweiflung etwa 70 Kitas und Tages- („Ich geh mal am Schlafschnulli nuckeln.“), mütter abgelaufen und immer noch kei- anderen Usern unverbindliche Antwor- nen Platz gefunden hatten, äußerte sich ten geben („Das ist ein interessanter An- unsere Verzweiflung zumindest in einem Anzeige satz“), sogar eine Art Syntax. Wir hatten Tweet. Und zack: Journalisten von gleich sehr viel Spaß mit Trotti, sieben Jahre lang zwei Berliner Lokalzeitungen meldeten und dann – verstummte er. Twitter hatte sich bei uns, wir sollten traurig in die Ka- seine Richtlinien verändert und akzep- mera schauen und unsere Geschichte tierte das Trottelbot-Script nicht länger. erzählen. Haben wir gemacht. Das Ju- gendamt hat dann reagiert. Heute geht unser Sohn in einen tollen Kitaladen. Vie- Maike Brülls @MaikeBruells len Dank, Twitter! Ein Sommer vor einigen Jahren. Auch in der letzten Verlosung bekam ich kein Ti- cket für das #Fusion-Festival. Mehr aus Leonie Gubela @leoniegubela VERBUNDEN sind wir mit unseren dem Bedürfnis, meiner Betrübtheit Luft zu Als ich neu bei Twitter war, tippte ich machen, denn aus Hoffnung fragte ich bei wahllos auf Folge-Vorschläge für Politi- Eltern ein Leben lang. Nur wenn wir ein erwachsenes Twitter, ob jemand ein Ticket abzugeben kerInnen und Promis. Ein paar Stunden hat. Wochenlang nichts. Und dann: eine später kam eine Push-Meldung: „Pe- Verhältnis zu ihnen entwickeln, fühlen wir uns nahe Antwort. Ob meine Suche noch aktuell sei. ter Altmaier hat Dich erwähnt.“ Ach du Ich antwortete, wir tauschten Konto- und Scheiße, Altmaier hat meinen Artikel über Kontaktdaten aus. Ich überwies das Geld, Müllvermeidung geteilt, denke ich. Jetzt STATT VERSTRICKT. über 100 Euro, einer mir fremden Person, will er sein Leben umkrempeln und mir ließ mein Misstrauen der Menschheit ge- dafür danken. Ich öffne die App und lese: genüber beiseite – und wurde nicht ent- „Glückwunsch, @leoniegubela, Sie sind täuscht. Nach kurzer Zeit war das Ticket meine 100.000’ste Followerin! Schön, da. Twitter hat mir nicht nur eine tolle Zeit dass Sie da sind, auf ein gutes ‚Twittei- auf dem Festival beschert, sondern mir nander‘ !!!“ Altmaier wird sein Altpapier auch das Vertrauen in den Menschen wie- wohl weiterhin nicht in der Wurmkiste dergegeben. Zumindest kurz. kompostieren. Wenigstens leben wir jetzt in seligem „Twitteinander“.

Tobias Schulze @tschlze Mein schönster Twitter-Moment war, als Felix Zimmermann @felixzimmermann ich vor Jahren gesehen habe, dass mir Nach Konzerten in der @BerlinPhil Winnie Schäfer folgt. Leider sehe ich ge- nachts noch schnell erste Reaktionen rade, dass er mir nicht mehr folgt. oder Kritiken auf Twitter sichten. Im Sep- tember, als @BostonSymphony Mahlers 3. spielte. Fantastisch! Immer lesens- Philipp Daum @PhDaum wert: Rezensionen von Albrecht Selge Zwei Wochen vor meinem Flug nach Bali @hundert11blog. Toll: In der Mahler-Be- ALS drohte ein Vulkan auszubrechen, der sprechung klärt er auch über das kuriose AUCH Agung. Es könnte jeden Moment so weit Dirigentenpult auf, das in jeder Zaunab- APP sein: In ein paar Stunden! Eine Frage von teilung jedes Baumarktes stehen könnte. Tagen! Nächste Woche! Aber es passierte @BostonSymphony hat es immer dabei. nichts. Drei Tage vor meinem Flug fand ich Weiß ich jetzt, dank Twitter. auf Twitter einen britischen Vulkanologen: @MikeVolc. Ich schrieb ihm, er antwortete, beruhigte mich. Ich flog, der Vulkan brach Ulrich Schulte @UlrichSchulte sechs Wochen später aus. Ich mag diese Papierkügelchen-Mo- mente. Früher, in der Schule, wenn in einer todlangweiligen Mathestunde je- Anja Maier @frau_maier mand mit Spucke geformte Taschen- Ich finde es großartig, wie Frauen sich ge- tuchfetzen durch die Gegend schnipste. genseitig famen. Also nicht nur Journalis- Albern, und genau deshalb prusteten tinnen und Politikerinnen, dann ist es näm- alle los. Heute liefert Twitter diese Mi- lich noch viel schöner. Und am allerliebsten niurlaube im Alltag. Du denkst darüber habe ich natürlich, wenn jemand so was nach, dass Kanzlerkandidat PSYCHOLOGIE-HEUTE.DE schreibt wie „Die kluge Frau Maier hat … einer 15-Prozent-Partei werden will. Dann geschrieben“. Fühle mich dann zwar heil- postet einer bei Twitter ein montiertes los überschätzt, aber aufs Wärmste wahr- Plakat. Scholz guckt ernst, darüber das genommen und gebe diese Wärme gerne SPD-Logo und der Spruch: „Scholz – jetzt zurück und weiter. ist eh egal“.  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende genuss 29

Jörn Kabisch Angezapft Foto: privat Foto: Porter, geschliffen schwarz

it Porter ist es wie mit Free Jazz. Nur selten eingängig ist die Biersorte, macht aber nachhaltig Eindruck. M Und wenn das Glas mit schwarzer Flüssigkeit vor einem steht, weiß man nie, was kommt: eher harmonischer Bebop oder reiche Dissonanzen wie in der Zwölftonmusik? Die Brauer scheinen hier sehr auf Intuition zu set- zen, so komme ich auf den Jazz-Vergleich. Auch was ein Porter überhaupt sein soll, wi- Blick aus dem dersetzt sich heutzutage jedem Definitionsver- Restaurant such, vor allem im Vergleich zum Stout, diesem „Gustu“, La Paz anderen so urenglischen Schwarzbier. Es gab Fotos: Meghan Zeiten, da war das Porter dessen leichtere und Dhaliwal/NYT/ süffigere Schwester. Heute hat sich die Bezie- Redux/laif hung umgekehrt: Das Stout hat etwas weniger Alkohol und ist das süßere Bier – in der Regel. Die Ausnahmen sind so mannigfaltig, dass ich mir sogar diese Erwartungshaltung abzu- trainieren versuche. Porter – diese Beschrei- Carpaccio vom Alligator bung gefällt mir am besten – ist etwas für den intellektuellen Trinker. Und gerade deshalb bin ich immer auf der Suche nach dem typischen In Bolivien wird nun besser gegessen – regionaler. Daran nicht ganz unschuldig ist ein und im besten Sinn durchschnittlichen Exem- „verrückter Däne“: Der Starkoch Claus Meyer betreibt ein Luxusrestaurant in La Paz plar: Nach einem Porter, das mir als Bench- mark taugt, wenn ich auf irre Improvisation Aus La Paz Knut Henkel oder geniale Avantgarde treffe. Die Modern- Jazz-Variante sozusagen. alacoto gehört zu den mondä- Das Hanseatic Porter von Simian scheint so neren Stadtvierteln von Boli- eins zu sein – harmonisch ausbalanciert, aber viens Regierungssitz La Paz. mit absichtlich gesetzten Irritationen. Gebraut Internationale Organisatio- wird es von einem Engländer: Ian Faulkner hat nen residieren hier, Botschaf- schon länger einen guten Namen in der Brau- ten, Politiker, gut situierte Un- erszene und hat sich 2018 in Elmshorn, vor den Cternehmer. Und das Gustu: Ein Luxusrestau- Toren Hamburgs, selbstständig gemacht. Was rant, 3.279 Meter über dem Meeresspiegel. mich für sein Porter so einnimmt, sind des- Höher kann Haute Cuisine kaum kommen. sen Malze. Sie stammen von Thomas Fawcett Von außen betrachtet passt der graue & Sons, einer Mälzerei in West Yorkshire mit Sichtbetonklotz im Bauhausstil gut in das 200-jähriger Geschichte, die noch immer auf international anmutende Ambiente von Ca- traditionelle Röstverfahren setzt. lacoto, genau wie übrigens auch die Preise. Ein englischer Brauer und englische Zuta- Doch hinter der Fassade sieht es anders aus. ten, nicht die schlechtesten Voraussetzungen, „Coca-Cola, Grappa, Whiskey oder Meeres- denke ich mir. Und habe im Glas tatsächlich früchte werden Sie hier nicht finden“, sagt ein geschliffen bitteres Schwarzes. Relativ tro- Restaurant-Managerin Sumaya Prado: „Alle cken ist es, „crisp“ wie man auf der Insel sagt, Zutaten sind zu 100 Prozent bolivianisch. weil die fehlende Süße das Bier kristallfrisch Genau wie auch die Einrichtung.“ schmecken lässt. Und dann sind da typische „Kilómetro Zero“ nennt sich die Philoso- Noten von Süßholz und Lakritz; akzentuiert, phie des 2012 eröffneten Gustu. Sie setzt auf aber nicht aufdringlich, genau wie es sich für lokale Produkte und ausgewählte Produzen- Die Gusto-Köche Marcelo Sainz (r.) und Christian Gutierrez Foto: M. Dhaliwa/NYTNS/laif so ein Schwarzbier gehört. Immer wieder mel- ten, die fair bezahlt werden. Zurück geht sie det sich zudem eine feine Ätherik wie ein kur- auf einen Dänen: Claus Meyer, ein Riesen- Gerade ist sie von einer kulinarischen eine grüne, wurmförmige, leicht transpa- zes Rauschen im Radio. Ian Faulkner hat ame- name in Foodie-Kreisen. Er erfand und po- Recherchereise zurückgekehrt. Viermal im rente Schote, zählt zu Marsia Tahas Favori- rikanischen Aromahopfen verwendet, das sind pularisierte die brutal lokale „New Nordic Jahr stehen diese für das junge Küchenteam ten. die kleinen Irritationen. Cuisine“ und baute ihr mit dem Noma in – der Altersdurchschnitt liegt bei 25 Jahren – Prickelnd auf der Zunge zerläuft das Ma- Richtig abgefahren kann es das Hanseatic Kopenhagen einen Tempel. Es gilt als eines an. Ziel ist es, regionale Kochtechniken und racuja-Eis, eine Empfehlung von María Eu-

Porter aber auch, man muss es nur eine Spur Simian Ales Foto: der besten Restaurants der Welt. Zutaten zu entdecken: Khawi etwa, eine süße genia Apaza. Die 24-Jährige arbeitet im schneller einschenken: Karamellfarbener, Doch das reichte Meyer nicht, sein nächs- Yamswurzel. Die Papa Walusa, eine aroma- Service des Gustu und stammt aus El Alto, kaffeehafter Schaum entsteht dann, rasier- ter Plan: Er wollte einem Land den Bezug tische, leicht süßliche Kartoffelsorte. Oder einst Vor-, heute Nachbarort von La Paz Hanseatic schaumfest und cremig. Ich habe dafür gleich zu seiner regionalen Küche zurückgeben Suchi, ein Süßwasserfisch, der in der Ama- und zudem eine der ärmsten und am ra- Porter, Simian zum Löffel gegriffen – ganz Avantgarde. und suchte sich Bolivien aus, den ärmsten zonasregion in Bambus gegrillt wird. Garen santesten wachsenden Städte der Welt. Gu- Ales, 6 % vol. Staat Südamerikas – was, zugegeben, erst auf heißen Steinen, in mit Holzkohle ange- tes Essen hat Apaza bei ihrer Mutter, einer mal schwer paternalistisch klingt, aber im wärmter Erde oder das Dämpfen in Bana- Marktfrau, schätzen gelernt, sich im Gustu Fall des Gustu tatsächlich zu funktionieren nenblättern sind weitere traditionelle Tech- vorgestellt und dort ihre Ausbildung absol- scheint. Zum Restaurant gehört eine Stif- niken. viert, 30 Monate lang, trotz kleiner Tochter. Bolivien ist groß, erstreckt sich über vier Um die kümmerte sich ihre Mutter, denn für verschiedene Klimazonen von den Anden María Apaza ist das Restaurant ein Sprung- produkttest Prickelnd auf der Zunge bis zum Amazonas, 36 Ethnien mit eigener brett in eine andere Welt. Sie träumt davon, zerläuft das Maracuja-Eis, Kultur leben hier. So wird etwa die Küche ihre Ausbildung in Spanien und Frankreich Ziemlich der Aymara aus dem Hochland der Anden zu komplettieren – durchaus realistisch, ist eine Empfehlung von von mehr als 600 Kartoffelsorten und dem das Gustu doch zur Referenz geworden. Re- durchsichtig María Eugenia Apaza Fleisch von Lama und Alpaka dominiert, gelmäßig taucht es in einer der diversen Lis- während man etwas tiefer in Cochabamba, ten der besten 20, 30, 50 Restaurants Latein- Sie will in allem besser sein. Gesünder, nach- einer Quechua-Region, deutlich mehr Reis, amerikas auf. haltiger und dabei genauso lecker wie eine tung, die ein Netz von Kochschulen unter- Mais, Süßwasserfisch und Rind isst. Dass die Bolivianer langsam begreifen, „normale“ Cola – aber eben speziell für Kin- hält. In Problemstadtteilen wird hier der Mit den Erkenntnissen und Produkten das Eigene zu schätzen, hängt sicherlich der. Ohne Koffein, ohne Farbstoffe, ohne Phos- gastronomische Nachwuchs ausgebildet, der Reisen geht es ins „Gustu Lab“ im zwei- auch mit der Wahl von Evo Morales, dem phorsäure, gesüßt nur mit Traubensüße, bio, lernt, wie traditionelle Gerichte mit mo- ten Stock des Restaurants. Taha und ihr ersten indigenen Präsidenten des Landes, vegan. „Glam Cola Kids“ heißt die Limonade, dernen Techniken zubereitet werden, auch Team feilen an Aromen und suchen die im Jahr 2006 zusammen. Die gesellschaftli- sie kommt aus Berlin-Kreuzberg, und ihr Motto die Köche aus dem Gustu sind als Lehrer im optimale Zubereitungsform – was in La Paz che Akzeptanz der indigenen Kultur wächst lautet: „Kein Stil. Nur Geschmack“. Klingt ein Einsatz. eine ganz besondere Herausforderung dar- seitdem, wie die traditionelle Kleidung der bisschen nach Hipster-Werbeagentur, aber da Zu Meyers Idee gehörte von Anfang an, stellt. Auf 3.300 Metern Höhe liegt der Sie- bolivianischen Frauen mit Pollera – Falten- Kinder und Betrunkene die Wahrheit sagen, dass Restaurant nach einer Startphase in lo- depunkt von Wasser deutlich niedriger, bei rock – und Bombín, einem markanten Bow- wird die Cola von einer 10-Jährigen getestet. kale Hände zu geben. Fast das gesamte Team unter 90 Grad, und das wirkt sich auch auf lerhut, zeigt. Oder die nationalen Weine von Erster Kommentar: „Das sieht ja aus wie Was- wurde vor Ort ausgebildet. Einzig Somme- die Garzeiten und -prozesse aus. Nicht nur den Andenhängen in Tarija. ser.“ Und dann: „Oh, es sprudelt.“ Das tut es so- lier Bertil Levin Tøttenborg ist als dänisches Nudeln brauchen ein paar Minuten länger. Die Weine stehen auch im Gustu auf der gar ziemlich stark. Die Limo rieche auch wie Relikt aus der Anfangszeit noch dabei. Die Einige Wochen später wird dann die Spei- Karte, neben einem Gin aus der Amazo- Cola, meint die Testtrinkerin, „oder eher wie Küche leiten Mauricio López, 28, und Mar- sekarte im Gustu relaunched. Fünfzig neue nasregion. Demnächst könnte ein Whisky Cola-Wassereis. Sie schmeckt bitter, dann süß, sia Taha, 29 Jahre alt. Produkte kommen im Jahresschnitt hinzu, auf Quinoa-Basis hinzukommen. Für Mar- dann wieder bitter.“ Alles in allem: okay. Tahas Mutter stammt aus der Bergar- wie der Amazonasfisch Pescado Amazónico, sia Taha ein Beleg des kulinarischen Wan- Auch als Erwachsener merkt man, dass hier beiterstadt Oruro, ihr Vater ist Palästinen- der mit einer mit Nüssen garnierten Banane dels, der vielleicht vom Gustu mit angesto- ein Versuch unternommen wurde, ein Getränk ser, das Kochen lernte sie in Bolivien, Spa- und mit Koriander dekoriert auf den Tel- ßen wurde, sich aber an vielen Stellen zeigt. zu erfinden, das durchsichtig ist, aber trotzdem nien, Dänemark. Spontan, neugierig, begeis- ler kommt. Lama-Tartar mit einem Hauch „In den Garküchen auf der Straße, in zahl- eine Cola. Aber es ist keine Cola. Denn eine Cola, terungsfähig ist die junge Frau und passt von Koka-Butter oder Carpaccio vom Alli- reichen neuen Restaurants – es wird besser die nicht aussieht wie Cola, kann gar keine Cola damit gut ins Gustu-Team, zu dem sie kurz gator gehören hingegen zu den Klassikern gegessen in Bolivien“, sagt die Köchin. „Wes- sein. Das wissen die Kids am allerbesten. Und nach der Gründung 2012 stieß. Die Philoso- des Gustu. Für den aromatischen Kick sorgt halb dafür erst ein verrückter Däne nach Bo- wer etwas Gesundes trinken will, trinkt besser phie des Gustu hatte sie „auf Anhieb faszi- dabei das Angebot von mehr als 1.200 ver- livien kommen muss, ist eine andere Frage“,

Früchtetee oder Apfelsaftschorle.Sebastian Erb Glam Cola Foto: niert“, sagt Taha. schiedenen Chilisorten. Die Aribibi gu­sano, sagt Managerin Sumaya Prado und lächelt. sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  30 tazlab taz am wochenende

6. April 2019

Heimat, Sehnsucht, Nachbarschaten

Das taz lab Team 2019 von links nach rechts: Malaika Rivuzumwami, Mareike Barmeyer, Nora Strassmann, Torben Becker, Jan Feddersen, Vincent Bruckmann, Manuel Schubert, Cindy Adjei, Dominik Hokamp, Susanne Ruwwe, Willi Vogelpohl, Miriam Schaptke und Ann-Kathrin Liedtke Foto: Stefanie Loos

WirDie Zeitung „taz“ macht sprechen einmal im Jahr das „taz lab“. über2. Großbritannien ist seitEuropa! 46 Jahren EU-Mitglied. Das „taz lab“ ist eine große Veranstaltung Nun will das Land aus der EU austreten. mit spannenden Gesprächen und Vorträgen. Aktuell verhandelt die EU mit Großbritannien über den Austritt. Zu der Veranstaltung kommen viele Menschen. Beim taz lab wird gefragt: Zum Beispiel Politiker, Journalisten und Fachleute. Warum verlässt Großbritannien die EU? Sie sprechen über aktuelle und wichtige Themen. Wollen bald noch mehr Länder die EU verlassen?

Das Thema in diesem Jahr lautet Europa. Diese Probleme machen klar: Denn im Mai gibt es in Europa wichtige Wahlen. Die EU ist nicht perfekt. Es gibt Wahlen in der ganzen Europäischen Union, kurz EU. Und vielleicht wird die EU nie perfekt sein. EU-Bürger aller EU-Länder können dabei ihre Stimme abgeben. Aber die Mitglieder der EU setzen sich immer noch Man nennt diese Wahlen Europa-Wahlen. für wichtige Ideen ein: • Frieden in Europa Wer wird bei den Europa-Wahlen gewählt? • Zusammenarbeit der Länder Die EU-Bürger wählen die Mitglieder vom Europäischen Parlament. • offene Grenzen Das Europäische Parlament hat wichtige Aufgaben in der EU. • eine gleichberechtigte Gesellschaft Es prüft und genehmigt zum Beispiel Gesetze. • alle EU-Bürger können arbeiten und leben, wo sie möchten

Auf dem „taz lab“ sprechen wir viel über Europa-Politik. Die EU bedeutet Sicherheit für viele Menschen, Wir wollen dabei gute Antworten finden. auch für Menschen außerhalb der EU. Zum Beispiel auf diese Fragen: Andere Länder wollen Teil der EU werden. • Welche Politik soll es in Europa geben? Viele Menschen suchen Zuflucht in der EU. • Wie wollen die Menschen in Europa leben? Beim „taz lab“ sprechen wir deshalb darüber, • Wie geht man gemeinsam mit Problemen um? wie man diese Ideen noch besser umsetzen kann.

Aktuell hat die EU einige Probleme. Sie haben Meinungen oder Ideen zum Thema Europa? Beim „taz lab“ sprechen wir auch darüber. Oder wollen Sie sich informieren? Zum Beispiel über diese 2 Probleme: Kommen Sie zum „taz lab“! Wann? Am 6. April 2019, ab 08.30 Uhr 1. Rechte Parteien werden in der EU immer stärker. Wo? Im und um das taz-Haus, Friedrichstraße 21, 10969 Berlin Immer mehr EU-Bürger wählen rechte Parteien. Rechte Parteien fordern zum Beispiel Eintritts-Karten gibt es hier: tazlab.de/tickets eine strenge Flüchtlings-Politik. Bei Fragen zur Barrierefreiheit melden Sie sich bitte hier: Viele rechte Parteien wollen die Länder-Grenzen schließen. 030 25 90 21 42 oder beim Infostand beim taz lab Dann können vielleicht weniger Flüchtlinge nach Europa kommen. Beim taz lab wird gefragt: Ein Text von: taz leicht Wieso werden rechte Parteien stärker? Prüfung von: capito Berlin, Büro für barrierefreie Information Was kann man dagegen tun? Im Internet gibt es den ganzen Text unter: taz.de/leicht  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende taz lab 31

Unsere Der alljährliche ersten Kongress der taz wird am 6. April zum Gäste! ersten Mal an der Friedrichstraße Wir freuen uns auf stattfinden, im altbekannte und neuen Haus, auf neue Gesichter nsere illustre Gäste- in neuen Räumen. liste nimmt Gestalt an, und wir sind Eine Ortsbegehung U jetzt einfach mal so frei und teilen unsere ers- ten Leckerbissen mit Ihnen. Wir dürfen vorstellen: einen taz-lab-Dauergast, von dem wir einfach nicht genug be- kommen können; eine Ak­ ti­vis­t*in­nen­ikone; und eine junge Europäerin, die mit ihren Mit­strei­te­r*in­nen die EU reformieren will. Bis zum 6. April kommen noch zahl- reiche Schmankerln dazu. Wir ­halten Sie auf dem Lau- fenden, auf dieser Seite und online.

Harald Welzer ist Soziologe und Sozialpsychologe. Weil es ihm bei uns so gut gefällt, ist er auch dieses Jahr wieder dabei. Er ist Herausgeber der Grelle Lichter in Zeitschrift taz.Futurzwei, ei- schrillen Zeiten: ner vierteljährlich erschei- Im taz Haus nenden Zeitschrift für Poli- wird die Zukunft Unter Nachbar*innen tik und Zukunft. Europas diskutiert Lisa Fithian (siehe Foto) ist Foto: und Chancen Europas auseinander- Two Balls“ vom Künstler Fletcher­ eine US-amerikanische poli- Karsten Thielker Checkpoint Charlottenstraße setzen. ­Benton (zu Deutsch: „Geteilter Do- tische Aktivistin, die sich seit Charlie In der Spätphase der Weimarer Re- nut mit zwei Bällen“) werden Food- den 1970er Jahren national publik entstanden weit über hundert trucks und Infostände um die Gunst GAME FORUM Markgrafenstraße und international engagiert. SCIENCE FACTORY Zeitungen und Zeitschriften in Ber- der Besucher*innen werben. Zu den Sie hat schon mehr als hun- CENTER lin, viele davon im heutigen Quartier Klängen einer ungarischen Blaska- dert Demonstrationen gegen rund um den Besselpark. Auch die pelle sind die Gäste zum Verweilen – soziale Missstände mitorga- innerdeutsche Grenze verlief nicht hoffentlich in lauer Aprilsonne – ein- Besselstraße nisiert. Vor drei Jahren nahm Enkestraße weit von den Schauplätzen des dies- geladen. Auch das ist neu am dies- Fithian über Skype am Kon- Spielplatz jährigen taz lab. Die Gegend südlich jährigen taz lab: ein weitläufiger gress teil, dieses Jahr dürfen vom Checkpoint Charlie gehört bis Außenraum zum Diskutieren, Beine- Sie sie live und in Farbe er- heute zu den ärmsten der Stadt: bis vertreten oder nur zum Quatschen. leben. Friedrichstraße Besselpark auf den Axel-Springer-Verlag hat- Untergebracht in einem un- ten alle Medienbetriebe die Umge- scheinbaren grauen Haus mit lang

Katja Sinko leitet die Kampa- F bung verlassen. 1989 zog die taz zu- gezogener Fensterfassade sind mit

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gne „The European Moment“. m rück in die Sichtweite des Lieblings- dem Forum Factory und dem Game

e Sie engagiert sich mit ihren t FELD feindbilds und des Fernsehturms. Science Center zwei weitere Ver- - u n FÜNF Mitstreiter*innen für ein so- d Dort, wo seit 30 Jahren die his- anstaltungsorte des taz lab. Als di- -M os ziales und vereintes Europa. FRIZZ23 es- torische Berliner Mitte wieder zu- rekte Nachbar*innen haben sie in- Men de Sie will europäische Aus- ls sammenwächst, entsteht ein dy- haltlich nicht viel miteinander zu s o h tauschprogramme für Azu- n namisches und kreatives Viertel: tun: Die Forum Factory führt regel- Academie des -P bis und ein Europa, von dem la Zwischen Behindertenwerkstätten, mäßig große Events durch, ab und zu t städtische und ländliche Re- Jüdischen Museums z Künstler*innenateliers, Galerien, steigt ein Abiball, während sich das gionen profitieren. Wie sie Jüdisches Start-ups und Berufsbildungspro- Game ­Science Center dem Versuch das anstellen will? Auf dem Hallesches Tor Museum jekten findet das taz lab in diesem verschrieben hat, Menschen einen taz lab werden Sie es erfah- Jahr an gleich fünf Veranstaltungs- einfachen Zugang zur digitalen Welt ren. Cindy Adjei sind die Gefilde, wo das taz lab die- orten rund um das neue Haus der und Spaß am Spiel zu ermöglichen. Von Dominik Hokamp und Nora ses Jahr gastieren wird. taz statt. Direkt neben dem taz Haus ste- Strassmann Zum zweiten Mal nicht im Haus Am 6. April werden der Kon- hen im Gebäude von Frizz23 drei it dem frischen der Kulturen der Welt, dafür wird es ferenzraum, wo das Herz der taz helle Räume mit Parkblick zur Ver- Umzug der taz ver- nun etwas entzerrter, luftiger und schlägt, die taz Kantine sowie das fügung. Etwas weiter, nahe dem Jü- schiebt sich auch moderner. Statt der malerischen, schöne, verglaste taz Panorama be- dischen Museum, werden wir drei die Spielstätte des aber doch etwas abgeschiedenen spielt. Wer heute von diesem erha- Räume in den Projekträumen feld- diesjährigen Kon- Idylle des Tiergartens geht es nun in benen Aussichtspunkt einen Blick fünf im Metropolenhaus bespielen. gresses der taz in die Nähe des historischen Zeitungs- auf die kahlen Bäume des Bessel- Eine neue Raumaufteilung, mehr Mdas neue Haus an der Friedrich- viertels Berlin, mit der U-Bahn fuß- parks wirft, wird sich das Treiben Platz nicht nur für Ideen, sondern straße. Ausgewählte Räume des läufig erreichbar, mehr Orte und am großen Tag kaum vorstellen auch für Menschen – das taz lab Neubaus sowie wenige Schritte ent- mehr Kapazität. Hier wird sich das können. Rund um die mys­te­riö­se 2019 wird anders, aber mindestens

Foto: Rick Reinhard fernte Säle unserer Nachbar*innen taz lab mit den Herausforderungen Skulptur „Tilted Donut Wedge with genauso gut wie immer.

Endlich wieder taz lab! Alle Informationen rund um den taz Kongress 2019

Wann? Was noch? Kongress finden Sie in den nächs­ taz Kantine in der Friedrichstraße 21 in von jedem Bahnhof in Deutsch­ Das elfte taz lab findet am Samstag, Zahlreiche Gespräche, Diskussionen, ten ­Wochen auf dieser Seite, 10961 Berlin erstanden werden. Der land nach Berlin. Mehr dazu auf den 6. April 2019 statt. Wie immer Vorträge und Workshops. Außerdem auf tazlab.de und auf unseren Normalpreis liegt bei 40 Euro pro Ticket. tazlab.de. geht es um 8.30 Uhr los bis spät. gibt es wie immer eine Party , diverse Social-Media-Kanälen. Folgen Sie Wer er sich leisten kann, zahlt den Extras und eine Kinderbetreuung. uns auch auf Facebook, Twitter politischen Preis von 60 Euro, um auch Jetzt sind Sie gefragt: Wo? und Instagram. anderen die Teilnahme zu ermöglichen. Was bedeutet Europa für Sie? Wir Im neuen Haus der taz in der Friedrich- Mit wem? Denn wer mit wenig Geld auskommen wollen es wissen. Schicken Sie uns ein straße 21 in Berlin und in der näheren Wen sollten wir unbedingt einladen? Tickets muss, kauft ein Ticket für 20 Euro. Foto mit einer kurzen Erklärung bis Umgebung (siehe Karte oben). Worüber wollen Sie diskutieren? Was Die Eintrittskarten können Sie online zum 15. März 2019 und gewinnen Sie sollte auf keinen Fall fehlen? Schreiben unter tazlab.de/tickets erwerben, Womit anreisen? 2x2 taz-lab-Tickets für das diesjährige Was? Sie uns an [email protected]. verschickt werde die Tickets ab Ende Zum Beispiel mit der Bahn. Für 109,80 taz lab. Fotos an [email protected] Mit Blick auf die Europawahl im Januar. Ab diesem Zeitpunkt können die Euro (2.Klasse) hin und zurück kommenden Jahr beschäftigen wir uns Wie? Eintrittskarten auch ganz analog in der mit allem rund um das Thema Europa. Alle Infos rund um den

und nherer mgebung Am April 2019 im neuen tazHaus ie ickets kosten oder Euro Eintrittskarten unter tazladetickets sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  32 medien taz am wochenende

19.00 Die Abenteuer des 0.20 Der Moment der ARD RTL jungen Marco Polo – Reise BAYERN WDR Wahrheit. Politdrama, USA/AUS 8.15 neuneinhalb 12.45 Der Blaulicht-Report nach Madagaskar 18.30 Rundschau 18.15 Der Vorkoster 2015. Regie: James Vanderbilt. 8.25 Die Pfefferkörner 14.45 Die Superhändler tagestipp samstag 19.25 Checker Tobi 19.00 Gut zu wissen 18.45 Aktuelle Stunde Mit Cate Blanchett, Robert 9.55 Giraffe, Erdmännchen & – 4 Räume, 1 Deal 19.50 logo! Die Welt und ich 19.30 Kunst & Krempel 19.30 Lokalzeit Redford Co. 17.45 Best of ...! Stand Neil Armstrong wirklich auf 20.00 Erde an Zukunft 20.00 Tagesschau 20.00 Tagesschau 2.10 Herzilein 11.30 Quarks 18.45 RTL aktuell 20.10 Schrott or Not? 20.15 Madame Bäuerin 20.15 Tatort: Tod und Spiele. D 2.20 Abendschau 12.05 In aller Freundschaft 19.05 Life – Menschen, dem Mond? William Karel versucht 21.55 Rundschau Magazin 2018 2.50 Brandenburg aktuell – Die jungen Ärzte Momente, Geschichten in dieser Mockumentary zu ARTE 22.10 Einmal leben 21.45 Wolfsland – Ewig Dein 3.20 Kowalski & Schmidt 13.00 Da, wo die Freundschaft 20.15 Deutschland sucht den 23.40 Einmal Bauernhof und 23.10 Wolfsland – Tief im Wald 3.50 Tier zuliebe – Die zählt Superstar beweisen, dass Stanley Kubrick die 7.40 X:enius zurück 0.40 Tatort: Tod und Spiele. Reportage 14.30 Meine Tochter und der 22.15 Ich bin ein Star – Holt 8.05 Stadt Land Kunst 1.10 Noch einmal zwanzig D 2018 Millionär mich hier raus! Mondlandung inszeniert hat Spezial sein ... 2.10 Wolfsland – Ewig Dein MDR 16.00 W wie Wissen 0.00 Ich bin ein Star – Holt 8.45 360° – Geo Reportage 2.40 Frei Schnauze – Das 3.40 Wolfsland – Tief im Wald 16.30 Spaniens kalte Heimat mich hier raus! Die Stunde 10.50 Zu Tisch ... Tiermagazin 18.00 Heute im Osten 17.00 Tagesschau 11.15 Die Ostküste der USA 2.50 Die Karibik 18.15 Unterwegs in Thüringen danach „Kubrick, Nixon und der Mann im Mond“, NDR 17.10 Brisant 1.05 Deutschland sucht den 14.15 Auf der Suche nach dem 19.00 MDR Regional 18.05 Mord mit Aussicht: Superstar 22.55 Uhr, Arte alten Russland SWR 18.00 Nordtour 19.30 MDR aktuell Tod eines Roadies. D 2014 15.45 Rasputin – Mord am 18.45 DAS! 19.50 Quickie 18.55 Mord mit Aussicht: Zarenhof 18.05 Die SWR-Reportage 19.30 Ländermagazine 20.15 Tatort Sophie kommet doch all. SAT.1 16.35 Stadt Land Kunst 18.15 Landesart 20.00 Tagesschau 21.45 Polizeiruf 110: Dunkler D 2014 12.15 Auf Streife Spezial 18.45 Stadt – Land – Quiz 20.15 Der klügste Norddeut- Sommer. D 2006 20.00 Tagesschau 15.00 Auf Streife – Die 17.15 Arte Reportage 19.30 SWR Aktuell sche 23.15 Hilfe, meine Tochter 20.15 Schlagerchampions Spezialisten 18.10 Mit offenen Karten Rheinland-Pfalz 22.15 Die NDR-Quizshow heiratet – Das große Fest der Besten 19.00 Grenzenlos – Die Welt 18.25 360° – Geo Reportage 20.00 Tagesschau 23.15 Mary Roos – Aufrecht 0.45 Cloud Atlas. Science- 23.30 Tagesthemen entdecken 19.10 Arte Journal 20.15 Nordlichter – Menschen geh‘n Fiction-Film, D/USA/HK/SGP 23.55 The Expendables. 19.55 Sat.1 Nachrichten 19.30 Die Mystik der im Winter 0.45 Rate mal, wie alt ich bin 2012. Regie: Tom Tykwer, Lana Actionfilm, USA 2010. Regie: 20.15 Fluch der Karibik 2. Derwische 21.50 Zwei übern Berg 1.35 Quizduell Wachowski, Lilly Wachowski. Sylvester Stallone Piratenfilm, USA 2006 20.15 Mensch und Mond 23.15 Aus lauter Liebe zu dir 2.30 Die Tagesschau vor Mit Tom Hanks, Halle Berry 1.25 Shanghai. Spionage- 23.20 Troja. Historienfilm, 22.55 Kubrick, Nixon und der 0.45 Die Heimkehr 20 Jahren 3.25 Brisant thriller, USA/CHN 2010 USA/M/GB 2004 Mann im Mond 2.45 Hallo Niedersachsen 2.15 Ong bak 2. Actionfilm, 23.50 Square Idee HESSEN 3.15 Nordmagazin PHOENIX THA 2008 0.15 KurzSchluss 3.45 Schleswig-Holstein

ZDF Arte Foto: 1.10 Kryo 18.15 maintower weekend Magazin 13.00 phoenix plus 8.00 1, 2 oder 3 1.40 Arte Journal 18.45 3 Zimmer, Küche, Date 14.15 Deutschland von oben 8.25 Lassie Pro 7 19.30 hessenschau 16.30 Wildes Deutschland 8.20 Tauch, Timmy, Tauch! 14.00 Code M. Familienfilm, NL 8.55 Bibi Blocksberg 20.00 Tagesschau RBB 17.15 Auf der Fährte des 12.20 Die Simpsons 8.40 Q Pootle 5 2015. Regie: Dennis Bots. Mit 9.20 Bibi und Tina 3SAT 20.15 Wunderschön! 18.00 rbb UM6 – Das Verbrechens 15.40 Two and a Half Men 9.05 Doozers Nina Wyss, Senna Borsato 10.15 Sport extra Wintersport 17.00 taff weekend 19.00 Kaminer Inside: 21.45 Oma ist verknallt Ländermagazin 19.30 ZDF-History 9.25 T‘Choupi et Doudou 15.25 Pound Puppies – Der 18.00 Handball: Weltmeister- 18.00 Newstime Semperoper 23.15 Rentnercops: 18.30 Die rbb-Reporter 20.00 Tagesschau 9.40 Ene Mene Bu – und dran Pfotenclub schaft 18.10 The Big Bang Theory 19.45 Jewgeni Kissin – Das Keine ruhige Minute. D 2015 19.00 Heimatjournal 20.15 Die geheime Welt der bist du 16.15 Garfield 20.15 Wilsberg: Gottes Werk 19.05 Galileo Comeback einer Pianisten- 0.00 Polizeiruf 110: Der Fall 19.30 Abendschau Raubtiere 9.50 Dschungelbuch-Safari 16.55 Checkpoint und Satans Kohle. D 2018 20.15 Der Knastcoach. Legende Lisa Murnau. DDR 1971 20.00 Tagesschau 21.00 Die geheime Welt der 10.05 OLI‘s Wilde Welt – Auf 17.20 Leider lustig 21.45 Der Kriminalist: Komödie, USA 2015 20.00 Tagesschau 1.10 Privatdetektiv Frank 20.15 Die Heiland – Wir sind Raubtiere dem Bauernhof 17.45 Timster Hochrisiko. D 2017 22.20 American Football 20.15 Anna Netrebko singt Kross: Kopf der Kleopatra. Anwalt 21.45 Die geheime Welt der 22.45 heute-journal 10.20 SingAlarm 18.05 Snowsnaps‘ „Aida“ D 1972 21.00 Die Heiland – Wir sind Raubtiere 23.00 Das aktuelle 10.35 TanzAlarm Winterspiele 22.00 Oper – L’Opéra de Paris 1.35 Rentnercops: Anwalt 22.30 Die geheime Welt der Sportstudio KI.KA 10.45 Tigerenten-Club 18.15 Heidi 23.45 Die Windsbraut. Keine ruhige Minute. D 2015 21.50 rbb24 Raubtiere 0.05 In the Electric Mist 7.35 Au Schwarte! – Die 11.45 Schmatzo – Kochen mit 18.35 Weißt du eigentlich, wie Filmbiografie, GB/D/A 2001 2.20 Marcello Marcello. 22.05 Das große Kleinkunst- 23.15 ZDF-History – Mord in Louisiana. Thriller, Abenteuer von Ringel, Entje WOW lieb ich dich hab? – Die 1.20 lebens.art Komödie, CH/D 2008. Regie: festival 2018 0.00 Gewaltfrieden: USA/F 2009. Regie: Bertrand und Hörnchen 12.00 Sherazade – Geschich- Abenteuer des kleinen Hasen 2.20 Das aktuelle Denis Rabaglia. Mit Francesco 22.50 Schandfleck – Der Die Legende vom Dolchstoß Tavernier 8.00 Sesamstraße ten aus 1001 Nacht 18.50 Unser Sandmännchen Sportstudio Mistichelli, Elena Cucci Usedom-Krimi und der Vertrag von Versailles

Jürn Kruse Sollen sich Der Wochenendkrimi nicht in Dinge der Inneren Sicherheit einmischen: Eisner (Harald Wo in Wien eine Waffe ist, Krassnitzer) und Fellner ist schnell auch eine Leiche (Adele Neuhauser) Foto: Cult Film/ ie Politik da oben gegen rum hat der Rechtshänder Lüt- trag eine Waffe am Gürtel, aber ORF/ARD uns einfache Beamte gendorf die Waffe in der linken Waffen können nicht darüber da unten. Die hochnä- Hand gehabt? Warum hat er entscheiden, was richtig und Dsig, wir anpackend. Die sich durch den geschlossenen was falsch ist auf dieser Welt.“ korrupt, wir gut und edel. Ja, es Mund in den Kopf geschossen? Da hat der Moritz recht. Und ist kein ganz frisches Thema, das Warum war die Tür des Autos, in dieser Krimi zeigt das: Wo eine der „Tatort“ aus Wien an diesem dem er gefunden wurde, offen? Waffe ist, ist schnell auch eine Sonntag behandelt. Und: War Lütgendorf in illegale Leiche. Die Tote auf dem Grund Immerhin: Man kauft Bibi Waffengeschäfte verwickelt und des Wolfgangsees war eine Jour- Fellner (Adele Neuhauser) und wollte ihn ein alter Geschäfts- nalistin, die dem Fall Lütgendorf Moritz Eisner (Harald Krassnit- partner aus dem Weg räumen? hinterherrecherchiert hat. Und zer) diese Rollen tatsächlich ab, Waffen: das zweite Thema schnell steht bei Eisner und Fell- es im Archiv auffällig wenige ner und Eisner: „Ihr müsst lei- uns alle. Ob es schlecht ist, sieht wenn sie einen bald 38 Jahre al- dieses „Tatorts“. Schon in der ner eine Frau aus der Generaldi- gibt), desto wütender und bo- ser treten. Lasst’s etwas Wasser man oft erst, wenn es zu spät ten (realen) Fall aufrollen. Da- Einstiegssequenz, einer Kame- rektion für Innere Sicherheit auf ckiger werden die da oben. Für die Donau hinunterfließen und ist. Meistens erst, wenn jemand mals, am 9. Oktober 1981, starb rafahrt auf den Grund des Sees, der Matte: Ab jetzt bitte laufend sie steht fest, wie die Ermittlun- dann werden wir schon sehen.“ längst seine Waffe gezogen hat, der frühere österreichische Ver- wo ein Auto liegt, Scheinwerfer Bericht erstatten, ja? Danke. gen ausgehen sollen. „Alles im Tun sie natürlich nicht. Sie um damit eine Entscheidung zu teidigungsminister Karl Lütgen- an, eine Leiche auf dem Fahrer- Und natürlich, je mehr die Dienste der Sicherheit unseres machen weiter. Noch mal der treffen.“ dorf. Die offizielle Version: Sui- sitz, eine Waffe an die Hand ge- beiden ErmittlerInnen in dem Staates“, sagen sie. Ja? Danke. Erzähler Eisner vom Anfang zid. Doch es gab und gibt viele klebt, da spricht Moritz Eisner alten Dreck wühlen, staubige Dazwischen der Ernstl (Hu- des Films: „Was die so genann- Wien-„Tatort“: „Wahre Lügen“, unbeantwortete Fragen: Wa- als Erzähler aus dem Off: „Ich Akten durchforsten (von denen bert Kramar), der Chef von Fell- ten Guten tun, ist nicht gut für So., 20.15 Uhr, ARD

22.00 Inspector Barnaby: 18.50 Unser Sandmännchen 20.00 Tagesschau ARD Streicheln und töten. GB 2017 19.00 Die Abenteuer des 20.15 Django Asül: HESSEN RBB 8.05 Die Pfefferkörner 23.30 ZDF-History jungen Marco Polo – Reise Rückspiegel 2018 18.30 Hessen-Reporter 18.00 rbb UM6 – Das 9.30 Die Sendung mit der 0.20 Inspector Barnaby: tagestipp sonntag nach Madagaskar 21.45 Bella Vita 19.00 Herkules Ländermagazin Maus Streicheln und töten. GB 2017 19.25 pur+ 23.10 Polizeiruf 110: Drei 19.30 hessenschau 18.30 Tier zuliebe – Die 10.03 Das Märchen vom 1.50 Terra X 2007 kauft Jonathan Pang den 19.50 logo! Die Welt und ich Flaschen Tokajer. DDR 1989 20.00 Tagesschau Reportage Schlaraffenland Ex-Militärflughafen von Parchim 20.00 Ki.Ka Live 0.35 Flucht in Ketten. Thriller, 20.15 Giraffe, Erdmännchen & 19.00 Wilde Berliner 11.00 Das singende, klingende RTL 20.10 Trio USA 1958. Regie: Stanley Co. XL 19.30 Abendschau Bäumchen bei Schwerin. Er will ihn zum Kramer. Mit Tony Curtis, Sidney 21.45 Das große Hessenquiz 20.00 Tagesschau 12.03 Presseclub 13.45 Deutschland sucht den ARTE Poitier 22.30 Dings vom Dach 20.15 Gefragt – Gejagt 12.45 Europamagazin Superstar Drehkreuz für den internationalen 23.15 strassen stars 21.45 rbb24 13.15 Tagesschau 15.40 Comeback oder weg? 8.00 Kinder entlang der BAYERN 23.45 Jede Antwort zählt 22.00 Sechs Tage Eiszeit – Der 13.30 Der Traum vom Süden 16.45 Explosiv – Weekend Luftverkehr machen – und Seidenstraße 0.30 Ich trage einen großen Katastrophenwinter 1978/79 15.00 Ich heirate meine Frau 18.45 RTL aktuell 8.20 Blickpunkt Junior 18.30 Rundschau Namen 23.30 Der Todesflug der IL 62 16.30 Serengeti 19.05 Schwiegertochter scheitert. Woran, zeigt die Doku. 8.45 Schau in meine Welt! 18.45 Bergauf, bergab 1.00 Alle 28 Tage 0.15 Kowalski & Schmidt 17.15 Tagesschau gesucht 9.10 Alles im Wandel 19.15 Unter unserem Himmel 2.30 In aller Freundschaft 0.45 Weltspiegel 17.30 Jenny und die 20.15 Dirty Dancing. Tanzfilm, 9.20 Arte Junior Magazin 20.00 Tagesschau 3.15 In aller Freundschaft vergessenen Roma-Kinder USA 1987 „Parchim International“, 22.45 Uhr, MDR 9.35 Zu zweit ist es leichter 20.15 Chiemgauer – Die jungen Ärzte MDR 18.00 Sportschau 22.10 Ich bin ein Star – Holt 10.55 Vox Pop Volkstheater 18.30 Bericht aus Berlin mich hier raus! 11.45 Israel – Der Norden 21.45 Blickpunkt Sport WDR 18.05 In aller Freundschaft 18.50 Lindenstraße 2.40 Die Superhändler 12.30 Israel – Der Süden 22.45 Rundschau Magazin 18.52 Unser Sandmännchen 19.20 Weltspiegel – 4 Räume, 1 Deal 13.15 Guédelon: Wir bauen 23.00 Grünwald Freitags­ 18.15 Tiere suchen ein 19.00 MDR Regional 20.00 Tagesschau uns eine Burg comedy Zuhause 19.30 MDR aktuell 20.15 Wien-Tatort: SAT.1 14.45 Sakrale Bauwerke 23.45 Heidelberger Romanze. 19.10 Aktuelle Stunde 19.50 Kripo live Wahre Lügen. A 2018 16.20 Gauguin – Ich bin ein Liebesfilm, D 1951. Regie: Paul 19.30 Westpol 20.15 Der Auf-Schneider 21.45 Landkrimi 12.45 Fußball: Hallenturnier Wilder Verhoeven. Mit O.W. Fischer, 20.00 Tagesschau – Aufstieg und Fall eines 23.15 Tagesthemen – Telekom Cup 17.15 Die Tanzschüler der Liselotte Pulver 20.15 Proklamation des Kölner deutschen Baulöwen 23.35 ttt – titel, thesen, 17.45 Hochzeit auf den ersten Pariser Oper ... 5 Jahre später 1.20 Schuhbecks Dreigestirns 2019 21.45 MDR aktuell temperamente Blick – Das Jubiläum 17.45 Aus der Verbotenen 22.45 Jet zo laache 22.00 Wem gehört der Osten? 0.05 Alles inklusive. Komödie, 19.55 Sat.1 Nachrichten Stadt Peking SWR 23.15 Best of ... Höhner 22.45 Parchim International D 2014. Regie: Doris Dörrie. Mit 20.15 Dancing on Ice 18.25 Zu Tisch ... 0.45 Du Ei! 0.15 Kripo live Hannelore Elsner, Nadja Uhl 22.55 Mord mit Ansage – Die 18.55 Karambolage 18.05 Hierzuland 1.30 Proklamation des Kölner Krimi-Impro Show 18.15 Ich trage einen großen Foto: Neue Visionen/NDR/MDR Foto: 19.10 Arte Journal Dreigestirns 2019 PHOENIX ZDF 23.50 Dancing on Ice 19.30 360° – Geo Reportage Namen 2.15 Auf Streife – Die 20.15 October Sky. 18.45 Bekannt im Land NDR 12.00 Presseclub 8.10 Find me in Paris – Tanz Spezialisten KI.KA 13.00 Yakari Filmbiografie, USA 1999. Regie: 19.15 Die Fallers – Die SWR 12.45 Presseclub – nachge- durch 13.45 Der kleine Eisbär: Joe Johnston. Mit Jake Schwarzwaldserie 18.00 Hanseblick fragt 8.35 Löwenzahn Pro 7 7.45 Rowdy & Zwick Besuch vom Südpol Gyllenhaal, Laura Dern 19.45 SWR Aktuell 18.45 DAS! 13.00 forum demokratie 9.03 sonntags 8.20 Timster 14.55 Snowsnaps’ 21.55 So sind die Tage und der Rheinland-Pfalz 19.30 Ländermagazine 14.00 Gewaltfrieden: Die 9.30 Evangelischer 12.25 Gregs Tagebuch – Von 8.35 Stark! Winterspiele Mond. Tragikomödie, F 1990. 20.00 Tagesschau 20.00 Tagesschau Legende vom Dolchstoß und Gottesdienst Idioten umzingelt! Komödie, 8.50 neuneinhalb 15.05 Allesamt zusammen Regie: Claude Lelouch. Mit 20.15 Höllental – Schicksals- 20.15 Schöne Guts- und der Vertrag von Versailles 10.15 Sport extra Wintersport USA/GB 2010 9.00 Checker Can 15.55 Das Haustiercamp Gérard Lanvin, Patrick schlucht Herrenhäuser, die Sie kennen 17.00 Die geheime Welt der 17.00 heute 14.05 Der Knastcoach. 9.25 Paula und die wilden 16.20 Schau in meine Welt! Chesnais 21.45 Flutlicht sollten Raubtiere 17.10 Sportreportage Komödie, USA 2015 Tiere 16.50 Peter Pan – Neue 23.50 Frau im Mond. 22.30 Binger Comedy Nights 21.45 Die NDR-Quizshow 20.00 Tagesschau 18.00 ZDF-Reportage 15.50 Thor. Fantasyfilm, USA 9.50 Meine Freundin Conni Abenteuer Stummfilm, D 1929 22.50 Best of Mathias Richling 22.30 Die Superpauker 20.15 Spaniens wilder Norden 18.30 Terra Xpress 2011. Regie: Kenneth Branagh 10.15 JoNaLu – Mäuseaben- 17.35 1, 2 oder 3 2018 23.30 Gold. Western, D/CDN 21.45 Rodeo in Brasilien 19.00 heute 17.55 Newstime teuer zum Mitmachen 18.05 Snowsnaps‘ 23.20 Der Nächste, bitte! 2013. Regie: Thomas Arslan. 22.30 Der Haischützer von 19.10 Berlin direkt 18.05 Galileo 360° 10.40 Siebenstein Winterspiele 3SAT Romantikkomödie, F 2012. Mit Nina Hoss, Marko Mandic Fernando de Noronha 19.30 Terra X 19.05 Galileo 11.05 Löwenzahn 18.15 Heidi 19.00 heute Regie: Pascal Chaumeil. Mit 1.05 Rainer Sass: So isst der 23.15 Menschen hautnah 20.15 Katie Forde: 20.15 Tarzan. Abenteuerfilm, 11.30 Die Sendung mit der 18.35 Weißt du eigentlich, wie 19.10 NZZ Format Diane Kruger, Dany Boon Norden! 0.00 forum demokratie Wachgeküsst USA/GB/CDN 2016 Maus lieb ich dich hab? – Die 19.40 Schätze der Welt – Erbe 0.55 Das Beste aus 1.35 NDR Talk Show 1.00 Spaniens wilder Norden 21.45 heute-journal 22.30 American Football 12.00 Allerleirauh Abenteuer des kleinen Hasen der Menschheit „Verstehen Sie Spaß?“ 3.50 Die NDR-Quizshow 2.30 ZDF-History  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende medien 33 „Rabenmutter? Was soll das sein?“

In keinem anderen öffentlich-rechtlichen Sender sind so viele Frauen in Führungspositionen wie beim Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB). Mit dafür verantwortlich ist Sylvie Deléglise, die Personalchefin des Hauses

Von Anne Fromm taz am wochenende: Frau Delé- Abend anzuschieben. Dann ging glise, laut einer Studie des Ver- sie nach Hause, kümmerte sich eins Pro Quote Medien arbei- um die Kinder und kam spä- ten beim RBB so viele Frauen ter wieder, um die Sendung zu in Führungsposition wie in betreuen. Das zu ermöglichen keiner anderen öffentlich- setzt voraus, dass sie der Frau rechtlichen Anstalt: 54 Pro- vertrauen und dass sie Hierar- zent der Leitungsposten sind chien neu denken. Wir müssen mit Frauen besetzt. Wie haben weg von der Vorstellung, dass Sie das geschafft? ein Chef immer ansprechbar ist, Sylvie Deléglise: In erster Li- als Erster kommt und als Letzter nie, weil unsere Intendantin geht. In der Zeit, in der diese Kol- Dagmar Reim [die den RBB von legin ihre Kinder betreute, gab 2003 bis Juni 2016 führte; Anm. es eine Stellvertretung oder an- d. Red.] und ihre Nachfol­gerin dere KollegInnen, die Entschei- Patricia Schlesinger, sich früh dungen treffen konnten. und klar zur Frauenförderung Wieso braucht es überhaupt bekannt haben. Dass wir nun mehr Chefinnen? so viele Frauen in Führungspo- Das erleichtert die Zusam- sitionen haben, hat nichts da- menarbeit. Die Teams sind aus- mit zu tun, dass wir ein öffent- geglichener, man lernt mehr lich-rechtlicher Sender sind. Das voneinander wenn die Teams können andere Unternehmen diverser sind. Ich bin ein gro- Hilfreich, um Frauen für Führungspositionen zu begeistern: Heimarbeit ermöglichen Foto: Mint Images/plainpicture genauso schaffen. ßer Fan von gemischten Teams. Wie denn? Was konkret tun Oft heißt es, Frauen wollen Wir fragen die Frau, was sie Beste. Erst wenn es in einem Aber auch Ihr Entgegenkom- der arbeitet. Nehmen wir den Sie beim RBB dafür? keine Führung übernehmen. braucht. Nehmen wir an, sie ist Bereich zu wenige Frauen gibt men hat doch sicher Grenzen? Begriff „Rabenmutter“: Ich als Wichtig ist, dass Frauenförde- Erleben Sie das? zu dem Zeitpunkt noch in El- und wir zwei Bewerber haben, Was ist mit der Alleinerziehen- Fran­zösin habe lange nicht ver- rung keine Floskel ist, die auf ir- Das würde ich nicht so stehen ternzeit, will den Job, will ihn die gleich gut sind, erst dann den, die täglich ihre Kinder von standen, was er bedeutet. Diese gendwelchen Papieren steht. Sie lassen. Frauen wollen. Aber sie aber erst nach Ende der Eltern- ­bekommt die Frau die Posi- der Kita abholen muss und ihr Vorstellung von der bösen Mut- muss gelebt werden. Wir haben können nicht immer. Wer im Job zeit antreten. Dann besprechen tion. Wir haben in der Regel Privatleben schwer umorgani- ter, die arbeitet und ihre Kin- unsere Ziele in mehreren Plä- wir das mit dem oder der direk- transparente Bewerbungsver- sieren kann? der ­vernachlässigt, gibt es in nen festgehalten und evaluieren ten Vorgesetzten oder in der Per- fahren: Wir schreiben­ fast jede Das stimmt, das ist schwierig. ­Frankreich nicht. Wenn es ir- alle zwei Jahre, was wir geschafft Frauen wollen sonalabteilung und versuchen, Führungsposition aus, für je- Deshalb müssen wir Wege fin- gendwann eine Selbstverständ- haben und wo es Handlungsbe- führen. Aber sie das zu ermöglichen. Oder wenn des Bewerbungsgespräch ha- den, diese Frau dennoch zu un- lichkeit sein sollte, dass eine darf gibt. Es gibt nicht den einen eine Frau im ersten Jahr nur Teil- ben wir einen strukturierten terstützen. Wir können ihr zum Frau, die will, drei bis vier Mo- Weg, man muss flexibel auf jede können nicht zeit arbeiten will, dann fragen ­Fragenkatalog. Wenn sich die Beispiel anbieten, ab und zu von naten nach der Geburt wieder Frau und überhaupt jeden Men- immer. Unsere wir sie: Willst du eine gleichbe- Führungskraft dann für einen zu Hause aus zu arbeiten. Wenn arbeitet, dann haben wir viel ge- schen in einer Führungsposi- rechtigte Teilzeitkollegin oder Bewerber entscheidet, muss sie die Frau trotzdem ablehnt, wer- schafft. Und wenn es selbstver- tion eingehen. Konkret bedeutet Aufgabe ist es, einen gleichberechtigten Kolle- das ganz genau begründen. den wir sie nicht zwingen. ständlich wird, dass auch Män- das bei uns: Wir bieten flexible gen, also Jobsharing, oder willst Ein weiteres Vorurteil lau- Wie häufig kommt es vor, ner öfter sagen: „Ich muss heute Arbeitszeitmodelle an, ermög- ihnen das zu du eine andere personelle Un- tet: Frauen trauen sich nicht. dass Männer sagen: Ich schaffe um 16 Uhr gehen und meine lichen Teilzeit, Jobsharing und ermöglichen terstützung? Wir schauen also, Die ehemalige RBB-Intendan- das privat nicht? Kinder von der Kita abholen“, Heimatarbeit, Ferienbetreuung was wir tun können, wenn es tin Dagmar Reim hat im taz- So gut wie nie. Aber was uns dann haben wir auch viel ge- für die Schulkinder unserer Mit- passt. Und in der Regel passt es Interview gesagt, das erlebe freut, ist, dass hier beim RBB schafft. Um dahin zu kommen, arbeiterInnen in den Sommer- Führung übernimmt, der muss immer. Man muss es nur wollen. sie auch in ihrem Sender. Wür- auch Frauen das immer selte- braucht es eine Mischung aus ferien, und wir kooperieren mit oft im Privaten etwas aufgeben Gibt es solche Wünsche auch den Sie das bestätigen? ner sagen, weil sie wissen, dass Akteuren: den Staat, die Unter- jeweils einer Kita in Potsdam oder sich umorganisieren. Da ist von Männern? Ja. Wir merken das nicht wir viel tun. nehmen und die Familien. Aber und Berlin, in der unsere Mit- das Unternehmen gefragt, der Ja. Wir machen da keinen Un- nur bei Jobbesetzungen, son- Dass Männer seltener Rück- wir sind da noch am Anfang. arbeiterInnen bevorzugt Plätze Frau zu helfen. Wichtig ist, dass terschied. Wir versuchen sogar dern auch bei Gehaltsverhand- sicht auf ihr Privatleben neh- bekommen. Für kurzfristige Be- die Geschäftsleitung dazu steht Männer zu ermuntern, Eltern- lungen. Frauen geben sich viel men, zeigt ja, dass der Wandel, treuungsengpässe haben wir El- und Frauenförderung selbstver- zeit zu nehmen, und zwar mehr eher zufrieden, Männer sind den es braucht, um mehr Füh- tern-Kind-Zimmer im Sender. ständlich in die Unternehmens- als die zwei Monate, die viele hart­näckiger. Wenn Frauen sich rungspositionen mit Frauen Haben Sie ein Beispiel, wo kultur eingeht. Dazu braucht nur nehmen. Der einzige Punkt, eine bestimmte Position nicht zu besetzen, in erster Linie im Sie in letzter Zeit flexibel auf es Frauen und Männer auf der an dem wir zwischen Männern zutrauen, versuchen wir, her- Privaten stattfinden muss. In- die Bedürfnisse einer Frau re- mittleren Führungsebene, die und Frauen unterscheiden, ist auszufinden, woran das liegt. wiefern kann ein Unterneh-

agiert haben? ebenfalls davon überzeugt bei der Besetzung von Stellen. Wenn es mit dem Job an sich zu men dabei überhaupt helfen? Wieland/RBB Stefan Foto: Die Leiterin einer Nachrich- sind, Frauen zu fördern. Und es Wie gehen Sie mit Männern tun hat, dann akzeptieren wir Ein Unternehmen allein kann tensendung bekam ihr drittes braucht die Frauen selbst, die be- um, die sich darüber beschwe- ihre Entscheidung. Aber wenn es nicht. Aber wenn viele Un- Sylvie Deléglise Kind, kurz nachdem sie die Po- reit sind, ihr Privatleben umzu- ren, dass sie im Sender nichts sie glaubt, das privat nicht zu ternehmen flexibel und mutig 55 Jahre alt, in Frankreich sition übernommen hatte. Weil organisieren, und das auch sig- werden können, weil vor allem schaffen oder sich noch nicht sind, hilft das schon. Es hilft zum geboren, studierte Jura in ihr Mann auch flexibel arbeitet, nalisieren. Dann überlegen wir, Frauen gefördert werden? fit genug zu fühlen, ist es wich- Beispiel auch dabei, Frauen zu Frankreich und Deutschland, konnten die beiden sich auftei- wie wir der Frau helfen können. Dann sagen wir: Das stimmt tig, dass wir ihr entgegenkom- zeigen, dass es keine Schande seit 1995 beim RBB (damals len. Sie war morgens hier im Wie gehen Sie vor, wenn Sie nicht. Es gibt ein Anforderungs- men und ihr Vertrauen schen- ist, wenn sie drei Monate nach SFB), leitet seit 2008 die RBB, um die Sendung für den eine Frau befördern wollen? profil, wir suchen den oder die ken. der Geburt ihres Kindes wie- Personalabteilung.

alle 31 taz-Reisen 2019 im Internet: www.taz.de/tazreisen rein dieisZivilgeensellschaft

GruppTAZenre-STÄDTEREISENisen für Individualist*nnen in Begleitun2019g von taz-Korespondent*nnen

Kreative Initiativen gegen die Wirtschaftskrise Buenos Aires – Mendoza – im Bus über die Anden – Valparaiso

mit Rodothea Seralidou und Alexander Theodoridis lin

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In Douz beginnt die Wüste und eine Vielzahl von Wüstentouren Foto: Stephanie Keith/Lumix/ getty images

Die tunesische Wüste ist an manchen Stellen ein großer Spielplatz, ein Unerhörte Stille, Sandkasten für TouristInnen. Was die Besucher an der Wüste lieben, die Stille, die Leere, das Nichts, treibt frustrierende Leere Jugendliche aus der Provinz in die Verzweiflung und ins Ausland

Von Edith Kresta

ammed kennt sich schwungen Dünen, vereinzelt schützen vor der nächtlichen das aus Tunis stammende gut- Wüstenrummel nicht sonder- hen Stiefeln zu knappen Shorts. aus in der Wüste. ragt Grün aus dem Sand. „Die- Kälte. Durch einen Vorhang ab- situierte Ehepaar „die Wüste lich ökologisch scheint. Sozial Eine Gruppe Spanier fährt Sand- Er kennt die Spu- ses Jahr hat es viel geregnet“, getrennt die Toilette. Sie hat liebt“, wie Célia versichert. In- und ökologisch war die Auf- board von den hohen Dünen. ren, die Gefahren, sagt Hammed. Wir fahren vor- kein Wasser, dafür Sägespäne zwischen sind sie bekannt bei lage für einen Entwicklungs- Andere lassen sich mit lautem die Verstecke. Zum bei am Jebil Nationalpark. Die und entfernbare Plastiksäcke. Wüstenfans, auch den Einheimi- kredit. Und vor allem: Das Pro- Geschrei den Sand herunterrol- Beispiel das Ver- Gazellen hier sollen sich wie- Im großen Hauptzelt ist das Re- schen. Es ist voll geworden im jekt soll Arbeitsplätze in der Re- len, während ein Fahrer halsbre- Hsteck des Skorpions. Er dreht der ungestört vermehren. Ara- staurant. Hier gibt es beste tu- Camp. Am Folgetag veranstaltet gion schaffen. cherischer die fast senkrechten Stein um Stein um. Schließlich ber vom Golf lieben das frei- nesische Küche mit regiona- Mnif zum vierten Mal das Festi- Auf den hohen Dünen hin- Dünen im Jeep nimmt. Ein gan- hat er ihn, einen grünen Skor- zügige Tunesien und die Jagd lem Einschlag: Das Dromedar- val „Musique & Silence“ (Musik ter dem Camp ist Highlife. Die zer Kerl. pion. Demonstrativ küsst er auf die zarten Tiere. Und über- gulasch schmeckt vorzüglich, und Stille). Es spielt ein Ensem- Instagramerinnen, die das tu- „Seit der Revolution 2010 das starre Tier. „Jetzt im Winter haupt: Die viel gerühmte Stille der Rotwein macht den strah- ble des in Tunesien bekannten nesische Fremdenverkehrs- und 2011 kamen kaum noch schlafen die Skorpione“, meint der Wüste ist jetzt in der Hoch- lenden Sternenhimmel abends Musikers Riadh Fehri aus Tunis. amt hierhergebracht hat, um Touristen, aber 2018 war wie- unser Held und verschwindet saison gestört. beim Lagerfeuer noch schöner. Das Camp macht mit solchen mit ihrer Schönheit die Schön- der ein gutes Jahr für uns“, sagt zum Kofferraum, kommt zurück Pinkelpause am Café du Parc. Riadh Mnif und seine Frau Cé- Events von sich reden. Cécil be- heit der Wüste hervorzuheben, Mohammed, der das Café Tem- und tut so, als lege er den Skor- Eine liebevoll eingerichtete Bret- lia Mnif haben das Camp mit- zeichnet ihr Projekt als sozial posten im rosarot leuchtenden bain unterhalb des gleichna- pion wieder unter den Stein. Tat- terbude mit Veranda und ge- ten in der Wüste aufgebaut. Weil und nachhaltig, auch wenn der Sonnenuntergang mit knieho- migen Berges nicht weit vom sächlich hat er ihn in eine leere deckten Tischen zwei Autostun- Camp Mars betreibt. Von Okto- Zigarettenschachtel gesteckt. den ohne Straße vom nächs- ber bis Mai lebt er hier als Ein- Sein Gag fürs Wüstencamp. Er ten Ort entfernt. Davor stehen siedler. Bei ihm treffen sich die wird damit den anderen Fah- Geländewagen, Motorräder, Fahrer der Jeeps, nutzen seine rern eine Zigarette anbieten. Quads. Die tunesische Wüste ist Steckdose, die dank einem So- Greifen sie zu, schläft da der an manchen Stellen ein großer larpaneel erschlaffende Akkus Skorpion. Spielplatz, ein Sandkasten für lädt. Und sie finden hier mitten Hammed, der eher einem TouristInnen. Wir treffen ath- in der Wüste die einzige Stelle, kleinwüchsigen rumänischen letische Biker aus Slowenien, wo ihr Handy manchmal Emp- Bauern als einem hochgewach- Outdoor-gestylte Wüstenwande- fang hat. sen, bei Touristinnen begehr- rer aus Deutschland, sich selbst ten Wüstensohn im kunstvoll fotografierende Bloggerinnen, Nichts als Moscheen um den Kopf geschlungenen schöne Instagramerinnen, ita- Der 48-jährige drahtige Moham- Baumwollschal gleicht, ist in lienische Wüsten-Rallye-Fahrer, med bietet Tee an. Dank dem der Wüste aufgewachsen und tunesische Musikliebhaber, die Musikfestival ist heute Hoch- bis zu seinem 17. Lebensjahr wie wir zum Musikfest ins Camp betrieb, die Gäste des Camp mit seinem Clan durch das Dü- Mars fahren. Die Angst vor An- Mars spazieren über die Dü- nenmeer gezogen. Lesen und schlägen, vor bewaffnetem Ge- nenlandschaft zu ihm. „Ich ver- schreiben hat er erst später ge- sindel hier in der Grenzregion kaufe Essen, auch Benzin oder lernt. Heute fährt er Touristen Wüste hat sich gelegt. Das Mili- helfe, wenn jemand eine Panne im Jeep durch die tunesische Sa- tär sei überall, betont Hammed. hat“, erzählt er in fließendem hara. Welches Leben ihm besser Er muss es wissen, sein Sohn ar- Deutsch. Gelernt hat er die gefalle? Er überlegt kurz. „Von beitet dort. Sprache als Kellner auf der In- heute aus gesehen das Leben in sel Djerba, bevor er das Wüsten- der Wüste“, antwortet er. Im Camp Mars café betrieb. Wir befinden uns etwa 100 Ki- Zwischen hohen Dünen stehen Mehdi Bousnina, ein 33-jähri- lometer von der algerischen ungefähr 30 weiße Zelte. Die ger Tunesier, wundert sich über und 200 Kilometer von der li- Zelte sind mit Teppichen aus- den Deutsch sprechenden Ein- byschen Grenze entfernt. Flache gelegt. Ein bequemes Doppel- siedler. Er trinkt mit Freunden Steinwüste wechselt ab mit ge- bett und überzogene Decken Tee bei Mohammed und wohnt Auf dem Marktplatz von Douz Foto: Stephanie Keith/Lumix/getty images  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende reise 35

im Camp. Abends beim Lager- che: kein Sportplatz, keine Treffs, ihren Stielen hängen. Auf dem men und lesen. Manchmal orga- feuer kommen wir dort ins Ge- kein Transport, keine Unterhal- Marktplatz schlendern Touris- nisiere ich Filmveranstaltungen, Franz Lerchenmüller spräch. Mehdi kommt aus Tunis. tung, keine Kultur. Also wenn tInnen durch die Arkaden, wo aber es fehlt mir an Equipment. Ich meld mich Er ist das erste Mal hier. Wir be- du als junger Mensch in der Pro- handgemachte Schuhe, Lederta- Zurzeit fehlt der Projektor. “ wundern den Sternenhimmel, vinz lebst, bist du verloren, mit schen, gewebte Teppiche ange- Die Bank habe ihm kein und Mehdi lobt die Freiheit. „Ich oder ohne Arbeit. Dabei wissen boten werden. Hier hat Abdel- Darlehen geben wollen, aber war ein Jahr verheiratet und bin die jungen Leute durch das In- majid Belhaj Ibrahim, 36, sein Freunde und Bekannte hätten Foto: privat privat Foto: wieder glücklich geschieden“, ternet, dass es anderswo besser Kulturcafé. ihm die Einrichtung gespen- sagt er strahlend. „In Tunesien ist. Sie fragen sich, warum lebe „Ich habe in Algerien Über- det. „Es in Tunesien zu etwas zu muss man immer noch heira- ich in diesem Loch, dieser Leere.“ setzung studiert, doch nach dem bringen ist nicht leicht“, sagt Ab- Reisetipps ten, um von der Familie unab- Studium gab es für mich keine delmajid. „Aber ich mache wei- hängig zu werden. Das war ein Der Macher Perspektive. Ich wollte aber in ter.“ Er ist motiviert, überzeugt fürs Herz der Fehler.“ Am nächsten Morgen verlas- meiner Heimatstadt Douz blei- von seiner Idee. Mehdi arbeitet bei der Hilfs- sen wir das Camp. Hammed ben“, erzählt er. Dann sei ihm die Auch bei Abdelmajid sitzen Finsternis organisation Oxfam als Moni- fährt uns sicher über Boden- Idee mit dem Kulturcafé gekom- heute nur Männer. Und Frauen? toring and Evaluations Officer. wellen und Sandverwehungen men. Das Café ist voll. In der Ecke „Frauen gehen hier normaler- „Zuvor habe ich bei einem In- nach Douz. Über den Verbleib steht eine Vitrine voller Bücher, weise nicht in Cafés, aber das angjährige LeserInnen beklagen gele- vestitionsfonds gearbeitet, aber des grünen Skorpions schweigt vor allem über die Wüste und Tu- soll sich ändern. Eine Journa- gentlich das Fehlen praktischer Lebens- ich sehe viele Schwächen bei er sich beharrlich aus. Douz ist nesien. „Ein Bibliothekar hat mir listin aus Douz hat bereits den hilfe an dieser Stelle. Deshalb ab sofort den großen NGOs, die nach der eine Kleinstadt mit circa 30.000 einen Teil davon vermacht“, sagt Anfang gemacht und besucht L dahingeplauderte Reise-Ratschläge aus Revolution in großer Zahl das Einwohnern. Die Stadt lebt vom Abdelmajid. Es liegen internati- mein Café jeden Tag. Sie sitzt im- dem Nähkästchen. Zu Beginn: Nützliches bei Land befrieden wollen. Die Pro- Wüstentourismus und dem Ge- onale Zeitschriften aus, die Be- mer hier hinten beim Tresen.“ Tropenreisen. Ich bin, und Sie müssen jetzt jekte werden ausgeschrieben, schäft mit Datteln, die jetzt im sucher zurückgelassen haben. ­Abdelmajid versucht diese Leere ganz tapfer sein, liebe Funktionsklamotten- um die Geldgeber zu überzeu- Winter frisch geerntet überall an „Die Leute sollen hierherkom- zu füllen. Provider, oberbekleidungstechnisch in den gen, sie korrespondieren nicht Tropen nur mit Leinenhemden unterwegs. Die mit den tatsächlichen Bedürf- Kolonialisten hatten nicht in allem unrecht: Sie nissen vor Ort. Am Schluss des wussten wohl, dass in heißen Gegenden nichts Projekts machen sie einen Be- besser kühlt und weniger Geruch aufnimmt als richt über dessen Nutzen, dann der alte Knitterstoff. sind sie wieder weg.“ Waschen allerdings lassen sie sich schlecht. Harsche Kritik an der Hilfe, Ohne Bügeleisen erinnern sie hinterher an die Tunesien nach der Revolu- die Gesichter besagter Kolonialisten, wenn tion im Januar 2011 vor allem sie nachts zuvor beim Gin wieder einmal ihr von Organisationen aus dem Schicksal im Herzen der Finsternis beweint Westen erhalten hat. Die euro- hatten: wie der Faltenwurf eines zusammen- päischen oder amerikanischen geknüllten Plisseerocks nach zwei Wochen Wä- Finanzierer hätten keine Leiden- schebeutel. Ich leiste mir deshalb den Luxus, schaft, behauptet Mehdi. „Aus für jeden Reisetag ein Hemd einzupacken. meiner Erfahrung muss ich sa- Gewicht spare ich beim Kulturbeutel: Zahn- gen: Ich habe nicht ein fremdfi- pasta und Shampoo in Portionsgrößen. Rasier- nanziertes Projekt in Tunesien creme in fast ausgedrückten Tuben. Dazu Mi- erlebt, das nach der Finanzie- nirasierpinsel, wie man sie nur noch in Bürs- rung unabhängig weiter funk- tengeschäften in den obskuren Hinterhöfen tioniert hat.“ kleiner spanischer Städte findet. Das genügt. Eine Sternschnuppe fällt vom Manchmal sehe ich im Geist eine Reinigungs- wolkenlosen Himmel und noch frau im Hotel vor mir, wie sie mitleidig mein eine, unzählige Sternschnup- Die tunesische kleines Necessaire betrachtet und überlegt, mir pen. Was wünscht sich Medhi, Wüste ist 2, 3 Euro von ihrem Trinkgeld zu spendieren welche Vorstellungen hat er? teilweise ein für ein paar Spritzer Aftershave. „Es gibt ein Projekt, das mir großer Schuhe? Zwei Paar. Leichteste, braune Halb- gefällt. Ein Bauer bringt Arbeits- Spielplatz schuhe. „No brown after six“, diktierten zwar losen die Bienenzucht bei. The- Foto: Stephanie die Kolonialisten von einst ebenfalls. Aber ich oretisch und praktisch. Danach Keith/Lumix/ komme selten in die Verlegenheit, bei ihnen gibt er ihnen Bienenstöcke. Ihre getty images zum Dinner aufzulaufen. Dazu diese seit 25 Jah- erste Ernte geben sie dem Bau- ren unverwüstlichen Sandalen aus Hartgummi. ern, um die Ausbildung und die Hut? Den faltbaren mit der breiten Krempe gibt Bienenstöcke zu bezahlen. Die es nur in Australien. Nachteil? Arachnophobi- zweiter Ernte gehört ihnen. Der In der Wüste sche Mitreisende brechen regelmäßig in Panik Bauer hat Kontakt zu Märkten, aus: Vorn ziert ihn das Logo einer Spinne. Das Land Camp Mars, geeignet für Wüstenwanderungen. hilft beim Verkauf. Das ist nach- Und schließlich ist da noch mein Stressver- Am 14. Januar jährt sich die Vertreibung des https://camp-mars.com/ haltig. Überhaupt müssten viel meidungstäschchen. Es enthält: Schweizer Ta- Alleinherrschers Ben Ali von 2011. Es war die mehr Kooperativen gefördert schenmesser, Mini-Taschenlampe, Ersatzlese- Initialzündung für mehr Demokratie in vielen Das Café werden. Tunesien ist nicht Af- brille, Stahlseilsäge, USB-Stick, Pfefferminz. arabischen Ländern. Tunesien gilt weiterhin als Auf dem Marktplatz von Douz unter den Arkaden ghanistan. Hier gibt es Poten- Gebraucht habe ich außer dem Korkenzieher einzig funktionierende arabische Demokratie. befindet sich das Kulturcafé von Abdelmajid zial.“ nie etwas davon. Aber hätte ich es nicht da- Doch die stagnierende Wirtschaft, der Frust der Belhaj Ibrahim, Tel. 0 02 16-20-69 27 66 Ob er verstehe, dass 40 Pro- bei, passierte Folgendes: Ich würde meine Le- Jugendlichen vor allem in der Provinz, hohe zent der Jugendlichen gern aus- sebrille im Zug verlieren, auf dem Weg zum Arbeitslosigkeit und anhaltende Korruption Die Pension wandern würden? Guesthouse-Klo stockdunkle Treppen hinun- bedrohen die Entwicklung. Die Selbstverbren- Wer den touristischen Strukturen, die den „Ja und nein. Ich lebe in Tu- terdonnern, hätte kein Speichermedium, wenn nung eines Journalisten im Landesinneren hat im Tunesien-Tourismus dominieren, entkommen nis und genieße viele Vorteile“, mir jemand hochbrisantes Enthüllungsmate- Dezember neue Proteste ausgelöst. Für den will, dem sei als Unterkunft in Douz das Hotel du sagt er. Die Lebensqualität sei rial überspielen wollte, und würde am Ende an 14. Januar, den achten Jahrestag der Revolution, 20 Mars empfohlen. Die einfachen Zimmer dort viel höher als in den Re- einem Bakterium in meinem Mund leiden, so- rief die tunesische Journalistengewerkschaft liegen um einen Innenhof. Das Hotel hat eine gionen. „Aber ich kenne durch dass sich alle Gesprächspartner abwendeten. SNJT zu einem Generalstreik auf. eigene Agentur für Wüstentouren. Rue du 20 meine Arbeit ganz Tunesien: Aber so weit kommt es nie – meinem Täsch- Mars, Tel: 0 02 16-75-47 02 69, hotel20mars@ Man kann nicht in den Regio- chen sei Dank. Das Camp planet.tn nen leben. Es gibt nur Moscheen. So weit für heute. Demnächst folgen: Sus- Der Tourismus in die tunesische Sahara ist wieder Ehrlich, wenn irgendetwas ge- pensorienwahl für arktische Regionen. Reise- im Aufwind. Mitten in der tunesischen Wüste, zwei Die Reise wurde unterstützt vom Fremdenver- baut wird, dann ist es eine Mo- Essbesteck oder nicht? Das Für und Wider des Stunden von Douz entfernt, liegt das Luxuscamp kehrsamt Tunesien, www.discovertunisia.com schee. Es gibt nichts für Jugendli- Taschenkamms im Regenwald.

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• Welche Fette sind gesund und von welchen lässt einer • Waldorfpädagogik St • Logistikbranche: Fachkräfte gesucht man lieber die Finger? • Anthroposophische Heilkunde • Porträt: Ein Archäologe geht der Geschichte Rudolf

• Ein Kraut für jede Lebenslage; welche Kräuter © auf den Grund gedeihen gut zu Hause? Anzeigenschluss: Freitag, 22. Februar 2019 hnitt: Anzeigenschluss: 1. Februar Anzeigenschluss: 8. Februar 2019 Erscheinungstermin: Samstag, 9. März 2019 ussc Erscheinungstermin: Samstag, 16. Februar Erscheinungstermin: Samstag, 23. Februar 2019 Fotoa Ihr Kontakt in der taz: Weitere Informationen und Leserschaftsdaten: Ihr Kontakt in der taz: Anzeigenabteilung | Dennis Dührkoop taz-Anzeigenabteilung | Natalie Stöterau T (030) 259 02-156 | [email protected] Anzeigenabteilung | Anke Fest T (0 30) 2 59 02 - 133 | [email protected] T (0 30) 2 59 02 - 940 | [email protected]  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende briefe 37

„Jedes Mal, wo bürgerliche Politiker die Idee des meinungsstark Europäertums, des Zusammenschlusses europäischer That’s it, der Kapitalismus! Staaten auf den Schild erhoben, da war es mit einer offenen „Fall Ribéry: Das Problem heißt Kapitalismus“, taz v. 8. 1. 19 That’s it, der Kapitalismus, jedes zusätzliche Wort verwässert oder stillschweigenden Spitze gegen die ,gelbe Gefahr‘, die so einfache wie präzise Wahrheit. Stephan Lessenich sagt „Externalisierungsgesellschaft“, für Ulrich Brand und Markus gegen den ,schwarzen Weltteil‘, gegen die ,minderwertigen Wissen ist es die „imperiale Lebensweise“, Lenins klassische Rassen‘, kurz, es war stets eine imperialistische Missgeburt“ Analyse mündet im „Imperialismus“, Jean Zieglers in der „kannibalischen Weltordnung“, man kann auch von Neokolo- Rosa Luxemburg, „Friedensutopien“, Mai 1911 nialismus reden: Quintessenz aller Versuche, den jahrhunder- telangen Ausbeutungs- und Zerstörungsfeldzug Nord gegen Süd begrifflich zu fixieren, ist der Wohlstand der einen – also wortwechsel unser – auf Kosten des Elends der anderen. Prinzipiell macht es da keinen Unterschied, ob jemand ein vergoldetes Entrecôte verspeist, mit einem ressourcenfressen- den und giftschleudernden SUV Augen und Ohren belästigt, Flüchtlingen Deutschunterricht erteilt oder gegen TTIP auf die „Trotz kalten Regens Straße geht – wer das kapitalistische Grundmuster der Kum- panei von Profit und Politik nicht radikal infrage stellt, trägt zu seinen Verbrechen bei. „,Grüner Kapitalismus‘ oder ‚intelli- gent wachsen‘ sind die Antworten, die medienkompatible For- in bester Laune“ meln des kollektiven Selbstbetrugs sind, aber keine Auswege aus dem strukturellen Dilemma“ (Stephan Lessenich). Warum ist die Spielzeit einer CD, wie sie ist? Was tun mit der „bleiernen Melancholie“? Günter Rexilius, Mönchengladbach Nachhaltigkeit trotz Einmalverpackung – wie geht das? Subvention der Hausfrauenehe? Der Hot-Spot-Vulkan 74 Minuten Auf der Webseite von i+m ist viel zu le- „Vulkaninseln“, taz vom 8. 1. 19 sen über Co2-Neutralität und dem Su- Lieber Herr Schaaf, Hawaii ist zwar der höchste Berg unseres „Viele Musiker sind an dem Druck zer- chen nach der Verpackung mit der besten Planeten und „gehört zu einer Kette von 128 weiteren“ (frü- brochen“, taz vom 29. 12. 18 Klimabilanz. Das finde ich anerkennens- heren) Vulkanen, aber eben nicht „entlang der Linie, an der Andreas Hartmann gibt in seiner Frage wert. Doch meine größere Anerken- sich die Pazifische Platte unter die Nordamerikanische Platte an Clemens Trautmann von der Deut- nung würde ich dem Unternehmen zol- schiebt“. Der Mauna Kea ist Teil der Emperor-Kette, Hawaii schen Grammophon ein seit Jahrzehnten len, wenn es Nachhaltigkeit auch dahinge- und der Mauna Kea liegen mitten (!) auf der Pazifischen Platte falsches Karajan-Bonmot wieder. hend umsetzt, dass Behältnisse nicht für und haben mit den Subduktionsvulkanen des Ring of Fire Die Spieldauer der CD ist definitiv we- den einmaligen Gebrauch produziert wer- nichts gemeinsam. Der Mauna Kea ist ein klassischer Hot- der von Herbert von Karajan von der In- den, das heißt gefüllt werden, von Kon­su­ Spot-Vulkan, dessen Ursprung tief im unteren Erdmantel, dustrie verlangt worden, genauso we- men­t*innen geleert und entsorgt (gege- also weit unterhalb von 600 Kilometer Tiefe, liegt. Das muss nig übte er in dieser Sache irgendwel- benenfalls recycelt) werden, sondern das man sich als eine lange Kette aufsteigenden heißen Gesteins- chen Einfluss auf seine Labels DG oder Unternehmen auf Reinigungssysteme zu- materials vorstellen. Dieses heiße Material setzt sich an der EMI aus. Am wahrscheinlichsten trifft den rückgreift, die mit erneuerbarer Energie Oberfläche (dem Meeresgrund) ab und formt so einen Vulkan. Kern der Sache, dass die Furtwängler-Auf- betrieben werden sowie wasser- und rei- Zum einen bewegt sich die Pazifische Platte über diesen Hot nahme der Neunten Symphonie von Beet- nigungsmittelschonend arbeiten. Und Spot weg und nimmt so sukzessive die Vulkane mit. Zum an- hoven Pate dieser Geschichte im Sony- wenn i+m die Möglichkeit eröffnet, „un- deren ändert der Ursprung des Hot Spots im Erdmantel eben- Konzern ist. verpackt“ einkaufen zu können. Das neue falls seine Lage. Auf der Oberfläche sieht man als Resultat die- Vorausgegangen ist aber im Wesent- Verpackungsgesetz (seit Januar in Kraft) ser beiden Prozesse die Emperor-Kette, zu der auch Midway lichen eine Einigung von Sony und Phi­ berücksichtigt diese „Einmalprodukte“ gehört. Mit dem Krustenvulkanismus an den Subduktionszo- lipps. Diese beiden Firmen waren führend leider nicht. Mechtild Lutze, Berlin nen des pazifischen Feuerrings, zu der auch die „Linie“ gehört, in dieser Technologie, sodass letztlich sie hat Hawaii also nix zu tun. Franz Ossing, Berlin den industriellen Standard der CD vor- gaben. Sony arbeitete experimentell mit Total 50er Jahre 10 Zentimeter und Philips mit 11,5 Zen- „Solidarität mit Scholz!“, taz vom 8. 1. 19 timeter Scheibendurchmesser. Letztlich Liebe taz, es gibt Sätze, die möchte ich kamen durch Einigung in dieser Gruppe in eurer Zeitung nicht geschrieben die dann gebräuchlichen 12 Zentimeter sehen, weil sie total 50er Jahre sind: „Ein korrekturen und klarstellungen Durchmesser zustande. Daraufhin musste Herbert Karajan, noch jung, dirigiert Familienvater ( für ein Wor- „Horizont“ ist unabhängig man sich international noch auf eine ein- Foto: Murat Tueremis tungetüm?) mit zwei Kindern zahlt den heitliche Codierung einigen. Der vorge- Soli erst, wenn er mehr als 52.000 Euro In der taz am Dienstag hieß weise falsch. Denn nur das gebene Durchmesser und die damals ver- sie ihr Lied und sammelten Geld für be- im Jahr verdient.“ Offenbar unterschlägt es, das Medienfachblatt Hori- Handelsblatt erscheint bei einbarte Codierung bildeten dann den hinderte Kinder in Peru und Schokolade Frau Herrmann in ihrer Rechnung eine zont müsse über den Erfolg des Holtzbrinck, Horizont dage- Ausgang der 74 Minuten Gesamtlaufzeit. für sich selbst. Es machte ihnen einfach Hausfrau und dass das Einkommen das Handelsblatts bei einem frag- gen in der konzernunabhän- Das alles hatte mit Karajan leider einmal Spaß, etwas Gutes zu tun! Unsere „blei- Familieneinkommen ist; ergo pro Erwach- würdigen Zitate-Ranking be- gigen dfv Mediengruppe, die doch nichts zu tun. Schade, dass das of- erne Melancholie“ sollten wir mit unse- senen nur 26.000 Euro zu versteuern richten, da beide Blätter zum mehr als 100 Fachtitel heraus- fensichtlich bei der DGG niemand mehr rem Therapeuten behandeln. sind. Dies nennt sich Ehegattinnensplit- Holtzbrinck-Konzern gehör- gibt, darunter beispielsweise richtig weiß. Tilo Büttner, Tübingen Natürlich können wir das Ende der ting beziehungsweise Hausfrauenprämie. ten. Das war bedauerlicher- die Lebensmittel Zeitung. Menschheit auch selbst herbeiführen, Ich bin eine Familienmutter, würde aber sehr schnell mit dem gesammelten nuk- mit einem Einkommen von 52.000 Euro Ende der Menschheit learen Potenzial, oder langsam mit Um- 344 Euro Soli zahlen, weil ich nämlich als „Um zwei Uhr früh geht Trump raus“, weltzerstörung. Aber da wissen die jetzt Alleinerziehende nach dem Grundtarif � taz vom 5./6. 1. 19 Lebenden seit einigen Jahrzehnten, wie versteuert werde. Als alleinerziehende Fa- taz die tageszeitung, Also: Der deutsch-amerikanische Intel- sie es verhindern können. Also ist das die milienernährerin muss ich die kuschelige friedrichstraße 21 lektuelle Hans Ulrich Gumbrecht schenkt primäre Aufgabe aller Politik, Pädagogik, Hausfrauenehe subventionieren. 10969 berlin, [email protected] seiner Frau (Emanzipation?) einen Tesla – Wissenschaft und Technik. Ute B., Kreis Unna und taz-Autor Peter Unfried hat „seitdem Das Silicon Valley ist nicht der Nabel Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnen- ein neues Ziel“ – und alle, die mit ihrem der Welt, Bill Gates und Marc Zuckerberg AOK-Mannschaft? briefen vor. Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt alten, billigen Diesel zur Arbeit fahren sind keine Erlöser. Enttäuscht sein kann die Meinung der taz wieder. müssen, weil der ÖPNV so schlecht ist, nur, wer sich Illusionen gemacht hat. Aber „Einfach springen lassen“, schauen neidisch zu. Wenn sie sich we- es gibt auch in Amerika Hoffnungsträger taz vom 31. 12. 18 nigstens, körperliche Fähigkeit vorausge- wie Donella und Dennis Maedows, Amory „Warum sollte man das noch mit öffentli- Ein Teil unserer Auflage enthält Beilagen von Plan International, Wir haben es satt setzt, zwei Fahrräder zugelegt hätten! Lovins und das Rocky Mountain Institute. chen Geldern unterstützen?“ Diese Frage  Und Gumbrecht schwadroniert von ei- Schließlich persönliche Freund*innen, ist notwendiger denn je. In den nächsten taz die tageszeitung nem „würdigen Ende der Menschheit“. die mir ihre Freude mitteilen, weil sie im Tagen sind die Handballer der Natio- erscheint tägl. Montag bis Samstag, Herausgeb.: taz.die tageszeitung. Verlagsgenossenschaft eG Hausanschrift: E-Mail: [email protected] Wäre es nicht sinnvoller, sich erst mal um Herbst in einem intensiven Tür-zu-Tür- nalmannschaft wieder medienwirksam | | Friedrichstraße 21, 10969 Berlin taz Shop Tel.: 030 25 902 138 einen bescheideneren Lebensstil zu be- Wahlkampf entscheidende Sitze im Kon- unterwegs. Oder sind es die Handballer Postanschrift: Postf. 610229, 10923 Berlin Anzeigenverkauf: Überregional | | mühen, dann könnten in anderen Teilen gress für die Demokraten gewonnen ha- der AOK-Betriebsmannschaft? Es ist uner- Telefon: 030 25 902-0 www.taz.de und Berlin taz-Anzeigenabteilung, Chefredaktion: Georg Löwisch, Katrin Friedrichstraße 21 | | | der Welt ein paar Menschen und Mücken ben. Und die Nutzung regenerativer träglich, dass mit den Krankenkassenbei- Gottschalk (stellv.), Barbara Junge (stellv.) Tel.: 030 25 902 238 -290 -289 | | ein wenig länger und/oder besser über- Energien in den USA steigt rapide, trotz trägen bestens verdienende Profisportler Chefreporter: Peter Unfried Fax: 030 25 106 94 Lokalredaktionen: E-Mail: [email protected] | leben (statistisch, aber für die, die es be- Trump! Wolfgang Wiemers, Münster gesponsert werden. Siehe auch mehrere Nord-Hamburg: Stresemannstraße 23, Lokalteil Hamburg taz Entwicklungs GmbH & | 22769 Hamburg, 040 38 90 17-0 Co Stresemannstraße 23, trifft, schon ein riesiger Unterschied). Und Fußballbundesligavereine. Dafür also | Bremen: Pieperstraße 7, 22769 Hamburg, Tel.: 040 38 90 17 470 | | wir könnten persönlich in Würde sterben, wird mir als Rentner der Zusatzbeitrag ab- 28195 Bremen, 0421 96026 0 Lokalteil Bremen taz Entwicklungs GmbH & Co Besser unverpackt Berlin: Friedrichstraße 21, Pieperstraße 7, 28195 Bremen, er und ich sind statistisch schon verflixt gezogen. So werden Steuern und Zwangs- | | 10969 Berlin, 030 2 5 902 0 Tel.: 0421 9 60 26 10 nahe dran! Das Ende der Menschheit soll- „Outsourcing kann sehr nachhaltig beiträge den eigentlichen Aufgaben Verantwortlich i.S. des Pressegesetzes: Verlag: taz Verlags- und Vertriebs GmbH ten wir getrost dem Kosmos überlassen, sein“, taz vom 7. 1. 19 entzogen. Friedrich Lösch, Ostfildern Georg Löwisch Friedrichstraße 21, 10969 Berlin LeserInnenbriefseite: Gaby Sohl Geschäftsführer: Karl-Heinz Ruch in ein paar Hundert oder Millionen oder Mein Glückwunsch an i+m Naturkosmetik Anzeigen Gesamtausgabe: Margit Jöhnk Gesellschafter | 99,96%: | Berliner Lokalteil: Bert Schulz alle Berlin taz Verlagsgenossenschaft eG, Berlin Milliarden Jahren. Aber wenn es uns mög- für das tolle Abschneiden beim Deut- | Regionalteil Nord: Jan Kahlcke Hamburg Vorstand: Pascal Beucker, Redakteur Gelebte Demokratie | lich ist, die Lebensbedingungen der Men- schen Nachhaltigskeitspreis! Es ist löblich, Anzeigen: Andrea Bodirsky Bremen Andreas Bull, Kaufmann | schen bis dahin zu verbessern, ist es un- dass i+m auf möglichst wenig Verpa- „Habeck schießt den Vogel ab“, Manfred Frenz Hamburg Isabel Lott, Fotoredakteurin LeserInnenbriefe E-Mail: [email protected] Berit Lusebrink, Verlagsmitarbeiterin | | sere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, ckung, als ein Aspekt für Nachhaltigkeit, taz vom 8. 1. 19 Fax: 030 25 902 516 Karl-Heinz Ruch, Kaufmann alle Berlin Die Redaktion übernimmt keine Haftung für Aufsichtsrat: Stefanie Urbach, Kommunikati- das auch nach unseren Kräften zu tun. setzt und dabei auf Umverpackungen ver- Glückwunsch an die taz zu diesem Titel- | unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos onsberaterin, Berlin Johannes Rauschenber- Was ist schlecht daran, wenn Kinder in zichtet, aber das ist nicht genug in Sachen blatt zu dem Tweet des Grünen-Chefs und Illustrationen. Die taz und alle in ihr ger, Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Stuttgart | der Grundschule lernen, mit Müll verant- Ressourcenschonung. Zur bestmöglichen Robert Habeck! enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich Hermann-Josef Tenhagen, Journalist, Berlin geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich Druck auf PALM Recyclingpapier: A. Beig wortlich umzugehen? Die Kinder, die ich Vermeidung von Müll müsste die Pro- Das ist gelebte Demokratie! Super! Ich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Druckerei und Verlag GmbH & Co. KG, 25421 | Einwilligung des Verlages strafbar. Alle Anbieter Pinneberg prima Rotationsdruck Nord kenne, denken dabei nicht an das „Ende duktpalette auf „unverpackt“ umgestellt kann als Leser das Ja und das Nein zweier | von Beiträgen, Fotos und Illustrationen GmbH+Co. KG, 19243 Wittenburg MDV GmbH der Menschheit“, sondern sie sind in der werden, sodass die Konsument*innen die kluger taz-Redakteure lesen, mir meine stimmen der Nutzung in den taz-Ausgaben im & Co. 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press-schlag Die Zahl Katar oder: Was Ein bisschen Frieden dem Fußball droht auf der Platte 28 Tennisprofis sollen in Zum Auftakt der Weltmeisterschaft beschert das einen Wettskandal verwickelt sein. Es ist von gemischtkoreanische Team dem Handball einen großen Auftritt auf einem europaweiten der sportpolitischen Bühne. Großer Sport ist dabei nicht zu sehen Netzwerk die Rede, das von der armenischen ten zusehen, dass sie vor lauter gewechselt hat. Nach einem ge- Aus Berlin Mafia gesteuert sein soll. „Stolz und Freude“ (Linksaußen lungenen Anspiel an den Kreis Andreas Rüttenauer Die spanische Polizei, die Matthias Musche) beim Heim- und vielen arg übermotivier- ach dem Spiel gab turnier vor 13.500 in der ausver- ten Aktionen musste Ri Kyong die Ermittlungen aufge­ es noch ein Grup- kauften Halle nicht vergaßen, Song nach fünf Minuten wie- nommen hat, teilte mit, penbild mit Frie- Handball zu spielen. Die ande- der vom Feld. Mitte der zweiten dass sie insgesamt Oliver Bierhoff lässt sich beim den. Thomas Bach, ren hatten sich auf die Suche Halbzeit kam er wieder, gab wie- 83 verdächtige Personen der Präsident des nach dem Teamgeist der verei- der alles und warf sogar ein Tor. WM-Gastgeber 2022 alles zeigen im Visier habe. Es sollen Internationalen nigten Mannschaft zu begeben. Aufgeregt sei er gewesen, über- vor allem Partien der und erklären. Und ist begeistert NOlympischen Komitees, ließ sich Von dem schwärmte nach setzte eine Reporterin von Seoul zweitklassigen­ Tourserien nach dem Auftaktspiel der Hand- dem Spiel der südkoreanische Sports nach der Partie die Worte ie einen machen sich Sorgen, die ande- ball-Weltmeisterschaft in Berlin Trainer Cho Young Shin. Nach des Rückraumspielers. Wenn er manipuliert worden sein. ren schauen interessiert hin. „Katars zusammen mit dem Team aus nur 20 Tagen Vorbereitungs- auf dem Feld so aufgeregt war Einer der beschuldigten Söldner-Team – droht das 2022 auch Korea ablichten. Das IOC schickte zeit hatte er tatsächlich eine wie beim Interview danach, bei Profispieler hat letztes D beim Fußball?“, fragen die, na ja: Kolle- das Bild via Twitter um die Welt. echte Mannschaft gesehen. dem seine rechte Hand fortwäh- Jahr an den US Open gen der Bild-Zeitung anlässlich des Auftritts der Es soll die Geschichte von der Ende Dezember war das Team rend an der linken herumnes- teilgenommen. Handballer des Emirats bei der aktuellen WM. friedensbringenden Kraft des nach Deutschland gekommen – telte, dann war es gewiss ein Derweil reist Oliver Bierhoff – für die Leser, Sports erzählen. Wie beim olym- 16 Südkoreaner und vier Spieler bemerkenswerter Abend im Le- die nicht so sehr vom Fach sind: Das ist jemand, pischen Fraueneishockeytur- ben des jungen Mannes. Fragen der nicht erst 2022 dem Fußball droht –, reist nier im vergangenen Jahr war von deutschen Reportern will er der hingucker also dieser Nationalmannschaftsmanager Oli- eine Mannschaft mit Spielern 15 Minuten lang nicht beantworten. Das sagt zu- ver Bierhoff durch Katar und schaut sich an, aus Süd- und Nordkorea aufge- mindest ein Betreuer, der Ri Ky- wie weit das Emirat mit den Vorbereitungen für laufen. Es wurde die weiß-blaue spielen nur ong Song schnell wieder aus der die Fußball-WM 2022 ist. „Ich glaube, von der Fahne, auf der die ganze korea- Südkoreaner, Mixed Zone schiebt. Organisation werden sie das hier leisten kön- nische Halbinsel zu sehen ist, in dann betritt Zu ein paar Minuten Spielzeit nen“, vertraute Bierhoff Journalisten an und die Halle getragen und statt ei- kam noch ein anderer Nordko- fügte hinzu: „Es wird eine andere WM sein.“ ner Hymne erklang ein in bei- Ri Kyong Song reaner. Ri Song Jong durfte für Eine etwas andere Weltmeisterschaft hatte den Staaten beliebtes Volkslied. die Platte eine Handvoll Angriffe die linke Katar ja 2015 schon im Handball ausgerichtet, „Handball ist mehr als ein Spiel“, Seite der Koreaner besetzen. Ein- und das „Söldner-Team“ wurde damals Vize- sagte Hassan Moustafa, der Prä- mal bekam er sogar den Ball weltmeister. Wenn eine ähnlich zusammenge- sident der Internationalen Hand- aus Nordkorea, von denen der und hat dabei keinen weiteren setzte Kickertruppe 2022 das Finale der Fuß- ballföderation, bevor Bundesprä- Trainer bis zum ersten Treffen Schaden angerichtet. Die bei- ball-WM erreichen würde … Doch, das wäre sident Frank-Walter Steinmeier in Berlin nichts wusste. Die hat- den anderen Männer aus dem schon eine „andere WM“. das Turnier eröffnete. ten bis dato noch kein einziges Norden saßen 60 Minuten auf Bierhoff hat also recht, und nicht einmal, Eineinhalb Stunden später Länderspiel, aber auch die Süd- der Bank. Sie blieben die ganze dass sich der Herr Manager in diesem Land hatte die deutsche National- koreaner sind alles andere als Spielzeit über getrennt vom Ver- schon mal umschaut, wo eine von Jogi Löw mannschaft das vollkommen eine erfahrene Truppe. Auf zu- einigungsteam. oder wem auch immer betreute Auswahl ab- überforderte Team aus Korea sammengerechnet 124 Länder- Es hätte nicht zur bedeu- Wanderarbeiter Stange steigen könnte (wohlgemerkt: absteigen im haushoch mit 30:19 geschla- spiele kam das Team bis zum tungsschwangeren Atmosphäre Foto: reuters Sinne von unterkommen), will man kritisieren. gen. Über das Spiel, in dem Bun- WM-Beginn – ein bisschen we- gepasst, wenn Trainer Cho das Zwar weiß nicht einmal Bierhoff bislang, gegen destrainer Christian Prokop alle niger als der deutsche Rechtsau- thematisiert hätte. Brav lobte er Kurze syrische wen sich die DFB-Auswahl blamieren könnte, Spieler auf die Platte schickte ßen Patrick Groetzki alleine. Was die Teamarbeit von Nord und aber rechtzeitig ein Hotel zu reservieren ist im- und fast alle ein Tor werfen durf- sagt man als Trainer nach einer Süd. Als dann aber nach der po- Mit vollem Episode mer richtig. „Wenngleich unsere volle Konzen- ten, gab es nicht viel zu sagen. Partie gegen einen solchen Geg- litischen Bedeutung des Abends Einsatz: Der 70-jährige Fußball- tration auf einer erfolgreichen EM-Qualifika- Die einen zeigten das wenige, ner? „Vielen Dank für das nette gefragt wurde, reagierte Cho der Nord­ trainer Bernd Stange, der tion liegt“, wie Bierhoff es formulierte, „sehe was sie können, die anderen Spiel!“, meinte Prokop nach dem abweisend: „Wir haben uns auf koreaner ein gewisses Faible für ich es als unsere Verantwortung an, den Blick mussten nicht zeigen, wozu sie Spiel zu Cho. den Sport konzentriert. Mit Po- Ri Kyong Song prekäre Jobs hat, muss sich zu weiten und schon heute Bedingungen, Ge- in der Lage sind. Und so wurde Der hatte bis zur Hälfte der litik hat das nichts zu tun.“ Viel- in seinem nach einer neuen Arbeit ersten gebenheiten und Ansprechpartner kennenzu- vor allem über Emotionen ge- ersten 30 Minuten gewartet, leicht ist Handball ja doch nur umschauen. Am Donners- Länderspiel lernen, um im Falle einer WM-Qualifikation auf sprochen. Die Deutschen muss- bis er einen Nordkoreaner ein- ein Spiel. tag wurde der ehemalige Foto: imago erste Erfahrungen zurückgreifen zu können.“ Trainer von Irak, Weißruss- Vor zwei Monaten wurde bekannt, dass Katar land und Hertha BSC als einige WM-Teams im Iran unterbringen will; syrischer Nationalcoach auch Fans sollen eventuell in iranischen Ho- entlassen. Stange hatte sein tels übernachten. Ehe die DFB-Auswahl in ei- Amt erst im Februar 2018 nem Hotel in Teheran unterkommen muss, so angetreten. Ausschlagge- könnte man vermuten, denkt sie vielleicht wie- bend war die 0:2-Niederlage der daran, sich wie vor fünf Jahren selbst ein gegen Jordanien bei der Häuslein zu bauen. Die Neubau-WM 2014 in Asienmeisterschaft. Nach Brasilien ging bekanntlich für den DFB wesent- zwei Partien und nur einem lich erfolgreicher aus als die Hotelbuchungs- Punktgewinn sind die Chan- WM 2018 in Russland. cen auf das angestrebte Vielleicht besichtigte Bierhoff mit seiner De- Erreichen des Achtelfinales legation ja auch deswegen interessante Neu- nur noch gering. Im letzten bauten im Emirat, genauer: die „Aspire Aca- Spiel gegen Australien demy“. Das ist jene Anlage, in der der FC Bay- werde das Team von dem ern München – für Fußballdesinteressierte: syrischen Trainer Fadschr ein Klub aus der erweiterten Bundesligaspitze Ibrahim vorbereitet, teilte – ­aktuell schon wieder eines jener Trainings- der nationale Verband mit. lager veranstaltet, die mit Politik gar nichts zu tun haben. Bierhoff nannte die Aspire Academy, durch die man ihn führte, eines der „modernsten und der weitblick beeindruckendsten Sportzentren der Welt, sie bietet Spitzenathleten herausragende Mög- Olympische lichkeiten“. Nicht zuletzt zwölf Fußballfelder gibt es dort. Korruptionäre Damit hat Katar also schon wieder etwas, Wurden die olympischen was auch unserem Fußball droht. Der DFB be- Sommerspiele, die 2020 in ginnt nämlich bald in Frankfurt mit dem Bau Tokio stattfinden, gekauft? einer eigenen Akademie, und mit Blick auf die- In Frankreich wird wegen ses Projekt will Bierhoff „interessante Impulse Korruption bei der Vergabe gewinnen und den Austausch forcieren“. der Spiel gegen Tsunekazu Katar präsentiert sich schon seit Jahren als Takeda, den Präsidenten des Fußball-, ja, allgemein als Sportgroßmacht. Ge- japanischen Olympischen rade mit dem Sport versuchen die Scheichs der Komitees, ermittelt. Ein ent- Isolation, der ein Regime, das Terror finanziert sprechender Bericht der Ta- und Menschenrechte missachtet, zu Recht aus- geszeitung Le Monde wurde gesetzt ist, zu entgehen. Das ist so durchschau- von Justizkreisen in Paris bar, dass sogar Saudi-Arabien glaubt, über Men- bestätigt. Der 71-jährige Ta- schenrechte in Katar daherreden zu dürfen. keda soll Bestechungs­gelder Nur der Herr Bierhoff ist von der schönen in Höhe von 2 Millionen neuen Fußballwelt, die er in Katar besichtigen Euro gezahlt haben. Dem durfte, begeistert. Internationalen Olympi- Ja was droht dem Fußball bis 2022 denn noch schen Komitee droht ein alles? Martin Krauß neuer Skandal.  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende leibesübungen 39

Will mit seiner Vergangenheit nicht mehr konfrontiert werden: Karl Kahr sucht Ablenkung Ende beim Golfen

Der österreichische Skitrainer Karl Kahr, 86, scheitert vor Gericht Legendemit einer Klage wegen übler Nachrede gegen eine frühere Skirennläuferin und ihren Ehemann. Im Prozess tauchen neue Details einer Kultur des sexuellen Missbrauchs auf

Aus Wien Johann Skojek

as ist Kasperltheater Die zweitangeklagte Ex-Skirennläufe- Bis Werdenigg 2017 den Diskurs über die Zeitungen entsprechend infor- die Verteidigung den Beweis für den pur!“ Annemarie Mo- rin schrieb ihrer ehemaligen Zimmer- Macht und Machtmissbrauch im Ski- miert habe. Als wäre Sailers Schutz- guten Glauben erbracht und sprach ser-Pröll (65) macht kollegin Moser-Pröll, sie solle sich da- sport eröffnete. An diesem Nachmittag behauptung in eigener Sache und der die Angeklagten frei. noch ihrer Verachtung ran erinnern, dass „Kahr dich entjung- im Dezember 2017 in Werdeniggs Woh- gute Glaube des ÖSV so etwas wie ein Zurück bleibt der Eindruck, dass der des Gerichts Luft, als sie fert hat. Du warst nicht einmal 16.“ Zu nung „kamen so viele Details zur Spra- Wahrheitsbeweis. Tatsache ist freilich, Ex-ÖSV-Angestellte Kahr durch seinen aus dem Saal stürmt. Sie Nicola Werdeniggs Schilderungen, die che“, sagte Werdenigg, dass der Erstan- dass das Zusammenwirken der polni- Anwalt vor Gericht Praktiken walten Dwar „umsonst daher angereist“, weil der im Rahmen der # MeToo-Kampagne geklagte als Außenstehender „leicht schen Regierung und des österreichi- lässt, die wiederum nicht gerade von Anwalt des Klägers Karl Kahr, Manfred von weitverbreiteter sexualisierter Ge- etwas verwechseln konnte“. Im Zeu- schen Bundeskanzlers Bruno Kreisky Respekt vor anderen zeugen. Die Fort- Ainedter, sie zum zweiten Mal als Ent- walt und von systematischem Macht- genstand bestätigte Werdenigg, dass Sailer vor gerichtlicher Verfolgung in setzung findet eine Instanz höher im lastungszeugin einvernehmen wollte. missbrauch im Bereich des österreichi- in der Substanz die Nachricht aber Polen bewahrt hatten. Landesgericht Feldkirch statt. Mit jeder Aber Richterin Daniela Flatz hatte sich schen Skisportbetriebs berichtet hatte, sehr wohl nachvollziehbar sei. Werde- Ainedter griff eine von Werdenigg Runde vor Gericht stehen Kahr, Sailer am Nachmittag des zweiten Verhand- hatte Moser-Pröll in einem TV-Inter- nigg erzählte eine Geschichte, die den irrtümlich an eine Nachbarin Moser- und der ÖSV und sein Umgang mit der lungstages in der Causa Kahr bereits ein view gesagt, es gehörten zu einer Ver- Umgang mit Frauen im damaligen Prölls versendete Nachricht auf. Sie Würde des Sportlers infrage. Der Ein- Bild gemacht und wies die Zeugin Mo- gewaltigung „immer zwei dazu“, und ÖSV-Team charakterisiert. So habe ein habe die Frau kontaktiert und gebe- druck verfestigt sich, der Skirennsport ser-Pröll ab. Die protestierte lautstark sich lobend über Kahr geäußert. ÖSV-Mitarbeiter in Discos junge Mäd- ten, die Nachricht zu löschen, doch in Österreich funktioniere als Macht- aus dem Zuschauerraum heraus. „Wir Anlass der Nachricht des Ehemannes chen unter dem Vorwand von „Probe- die sei bei Moser-Pröll und bei einem system. Dazu tragen auch Fälle wie sind hier nicht im Skizirkus“, belehrte war ein Treffen, das tags zuvor in der aufnahmen“ angelockt. Anderswo und TV-Sender gelandet, sagte Werdenigg. der der Frau bei, die im Spiegel von ih- sie der Verteidiger der Angeklagten, Wohnung Werdeniggs mit zwei Journa- in einem Fall sogar in Kahrs Haus in rer Vergewaltigung durch Anton Sai- Martin Mennel. listen des Standards und dem ehemali- Schlad­ming seien dann pornografische ler 1975 in Innsbruck erzählte. Damals Die Richterin erinnerte die aufge- gen Stern-Reporter Bernd Dörler statt- Film- und Fotoaufnahmen angefertigt Ein Zeuge schilderte habe ihr niemand geglaubt, sagte sie in brachte einstige Skilegende daran, dass gefunden hatte. Der hatte Mitte der worden. Die Filme „kursierten im pri- die von Sex und einem Interview im Dezember 2018 in man im Gerichtssaal seine Emotionen 70er den Skandal von Zakopane vor vaten Umfeld vom Herrenskiteam“, Wien. Ein Psychologe habe sie gefragt, „bei sich behalten“ müsse. Widrigen- Ort recherchiert, als ÖSV-Sportdirek- sagte Werdenigg. Aus den Fotos habe Suff aufgeladene ob das nicht eine Jungmädchenfantasie falls werde man des Saales verwiesen. tor Anton Sailer eine Prostituierte ver- man Alben zusammengestellt. Werde- sei. Sie verstummte, Magersucht, Buli- Moser-Pröll ging von selbst. gewaltigt und mit einer Flasche lebens- nigg: „Alle wussten davon, es wäre – ab- Atmosphäre im mie, alle Folgen des grässlichen Erleb- Die bizarre Szene ist typisch für die gefährlich verletzt hatte. Die Frau wäre strus, wenn Karl Kahr nichts davon ge- ÖSV-Skiteam nisses holten sie ein. Mittlerweile ist ungeschriebenen Machtgesetze, nach beinahe verblutet. Dörler schilderte als wusst hätte.“ der Kampf mit ihrem Körper, den sie denen Österreichs Werteordnung funk­ Zeuge unter Wahrheitspflicht die da- Für Kahr und Sailer gilt zwar die nach jenem traumatischen Erlebnis ab- tioniert. Die katholische Kirche und der mals, wie er sagte, von Sex und Suff ge- Unschuldsvermutung. Aber um deren Eine Ausstrahlung habe sie mit gericht- lehnte, überstanden. Skisport sind die identitätsstiftenden schwängerte Atmosphäre im ÖSV-Ski- Schuld ging es in Bludenz gar nicht. Es lichen Mitteln verhindern können. Nun Der Kampf um die Vergangenheit Institutionen, wobei im einen Fall we- team. Auch die Vorwürfe an Kahr seien ging darum, ob die Angeklagten Kahr begann Ainedter dennoch ungerührt, des ÖSV hat erst begonnen, Kahrs Pro- niger der Glaube und im anderen Fall ihm bekannt gewesen; im Skizirkus sei übel nachgeredet hätten oder ihre die private und nicht zur Sache gehö- zess ist nur eine von vielen Facetten, weniger der Sport zählt, sondern die je- offen über „sexuelle Gefälligkeiten“ ge- Nachricht in gutem Glauben und nicht rige Nachricht vorzutragen. Da schlug von denen Teile der Öffentlichkeit und weilige Ordnung den wichtigsten Halt sprochen worden, die ÖSV-Trainer für öffentlich verbreiteten. Womit der Tat- Werdenigg auf den Tisch und verlangte: des ÖSV bis heute nichts wissen wollen. gibt. Der Verlauf des Prozesses zeigte Startplätze entgegennähmen. bestand der üblen Nachrede nicht er- „Das lesen Sie hier nicht vor, es geht um Doch es wird schwieriger, sich der Ver- am Beispiel von Karl Kahr, Annemarie Kahr soll im Suff sogar damit ange- füllt wäre. meine verstorbene Mutter.“ Ainedter gangenheit zu entziehen. Moser-Pröll und Anwalt Ainedter in geben haben, junge ÖSV-Skiläuferin- Der Anklagevertreter wählte Mittel las ungerührt weiter, bis die Richterin Ende 2018 bestätigte eine Untersu- geradezu prototypischer Ausprägung, nen „alle selbst“ zu entjungfern. Selbst der Diskreditierung, die schließlich von eingriff, ihm den Vortrag untersagte chungskommission des Landes Tirol, zu welchen Mitteln Vertreter und Pro- Kahrs inzwischen verstorbener Bruder der Richterin als untauglich und nicht und das Publikum des Saals verwies. dass es in Skisportschulen sexualisier- fiteure dieser Ordnung zu greifen ge- Luis habe ihm, Dörler, gestanden, die zur Sache gehörend qualifiziert wur- Nachdem das Publikum wieder zu- ten Missbrauch gegeben habe. Ein ehe- willt sind, wenn sie ihre Welt bedroht Familie Kahr schäme sich für den al- den. So führte er – Kahr selbst war nicht gelassen worden war, wies die Rich- maliger Zögling der Schule betätigte wähnen. koholkranken und übergriffigen Karl. anwesend – zwei Protokolle von ÖSV- terin sämtliche Zeugen und Beweis- das in einem Zeitungsinterview. Ende Der erstangeklagte Ehemann der Ex- Auch ein hoher ÖSV-Funktionär, des- Sitzungen von Mitte der 70er Jahre als anträge des Anklagevertreters ab. Er Oktober 2018 entließ ÖSV-Präsident Skirennläuferin hatte Moser-Pröll eine sen Name er nicht nennen wollte, schil- Beweis dafür an, dass es keinen Tatbe- wollte unter anderen ÖSV-Generalse- ­Peter Schröcksnadel einen Trainer, der WhatsApp-Nachrichten geschickt, in derte ihm Kahr als im Vergleich zu Sai- stand der Vergewaltigung durch Sailer kretär Klaus Leistner aufmarschieren vor Jahren in eine Gruppenvergewalti- der sie aufgefordert wurde, über Kahr ler größeres Problem. Doch es fand sich in Zakopane 1974 gegeben habe. Es war lassen. Die Richterin hatte nicht den gung verwickelt und seither unauffäl- „endlich die Wahrheit zu sagen“. Kahr, niemand, der die Vorwürfe auch not- fast rührend, zu sehen, wie Ainedter­ ein Eindruck, dass sie die bis dahin gewon- lig gewesen sein soll. Per Presseaussen- der mit „Toni Sailer zusammen viele falls vor Gericht hätte bestätigen wol- Statement eines ÖSV-Funktionärs vor- nenen Einsichten in die Glaubwürdig- dung ließ Schröcksnadel verbreiten: „Es Mädchen missbraucht und gebrochen len. Das Schweigekartell, das laut Dörler las, der sich auf Sailers Behauptung, keit der Angeklagten würden erschüt- gibt Vorfälle, die mögen juristisch ver- habe“ werde 2018 ohnehin „auffliegen“. auch die Journalisten umfasste, hielt. es sei „nichts vorgefallen“, bezog und tern können. Die Richterin sah durch jähren, aber nicht moralisch.“ sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  40 die wahrheit taz am wochenende Sarg aus Fleisch, schweißgebadet

Rückblick: Die Weihnachtsvöllerei und der traditionelle Alkohol- Abusus zwischen den Jahren zeitigen gravierende Folgeschäden

Von Uli Hannemann n Heiligabend ist noch al- nienmännchens verfüge, erhöht die gebe ich mich vollkommen ermattet les in Ordnung. In alter Standfestigkeit auch nicht gerade. zurück aufs Sofa oder ins Bett. Tradition sitze ich ganz Nach den Weihnachtsfeiertagen Ich träume schlecht. Wahrscheinlich allein zu Hause und gu- wird es bloß noch schlimmer. „Zwi- sollte man nicht schwer essen, kurz be- cke „Narcos“: Schnee, Ge- schen den Jahren“, wie man in der vor man schlafen geht, und es ruhig walt und bigotte Psycho- vergeblichen Hoffnung auf deren völ- auch mal einen Abend ohne Alkohol- Apathen – immerhin die Wahl der Net- liges Vergessen sagt, muss nämlich al- vergiftung versuchen. Doch offenbar flix-Serie ist meine augenzwinkernde les weg, was bis dahin noch keiner ge- habe ich mich zu einem vorbildlichen kleine Reminiszenz an Weihnachten. fressen hat. Sonst zürnt Gott. Christen gewandelt. Gläubig befolge Der 24. Dezember bleibt auch der letzte Ich werde auffallend kurzatmig. ich sämtliche Festtagsrituale: Fressen, mir erinnerliche Tag, an dem ich mich Nach nur wenigen Treppenstufen keu- Saufen, Rumliegen. Aber ob das jetzt normal ernährt und Sport getrieben che ich wie ein Mops. Treppab, versteht wirklich immer so weitergeht? habe. sich – treppauf benutze ich den Las- Am nächsten Morgen nehme ich tenaufzug. Ich bin mittlerweile bei ei- Es knackt und kracht den Zug ins wunderschöne Schlaraf- ner Art Hexenfamilie untergebracht, In meinem Traum bin ich ein riesi- Illustration: fenland. Dort wohnen fromme Men- die mich vorbereitend für die Silves- ges rundes Kuckucksküken. Ich sitze Kittihawk schen, die es sich zum Ziel gemacht ha- terfeier mästet. Zwischen den Mahl- oben auf einem viel zu kleinen Nest ben, mein Volumen zu vergrößern. Wir zeiten lasse ich mich auf einer Sack- und sperre. Die anderen Küken habe Silvester werde ich von den ande- sen. Doch das muss man sich in dieser sollen wachsen, so will das Gott. Wenn karre aus gehärtetem Speck herum- ich aus dem Nest verdrängt oder gleich ren Wanstwesen aufs Dach gerollt, Form natürlich leisten können. Quali- ich nicht gerade bei irgendwem zu fahren. Nach dem Essen begeben wir selbst aufgefressen. Nun warte ich auf zum Glück ist es ein Flachdach. Mit di- tät kostet nun mal. Das geht ja schon Hause sitze und mich füttern lasse, bin uns sofort wieder in die stabile Seiten- die Vogelmutti, die nicht meine ist, cken Augen beobachte ich das Feuer- mit dem Heroin los. Der Stoff von sol- ich unterwegs, um mich nach christli- lage, um Energie zu sparen. Auch kön- aber egal. Sie ist einfach zu blöd, um werk, während eine Flasche Sekt durch chen Leuten ist derart sauber; der ist chem Brauch zuzulöten. Oft kombini- nen Zucker, Fett und Alkohol auf diese den Betrug zu checken – der Biologe einen Trichter unablässig in meinen gesünder als Radler beziehungsweise ere ich auch beides. Erst füttern, dann Weise gleichmäßiger zerlaufen. Dann nennt das euphemistisch „Mutterins- Rachen läuft. als kein Heroin. zulöten. Oder erst zulöten, dann füt- passt wieder mehr rein. tinkt“. Sie kommt herbeigeflogen und Schluck- und Schließmuskel ha- Ich könnte den Aufenthalt in tern. Oder gleichzeitig löten und zu- bricht mir weich das vorverdaute Fut- ben mittlerweile alle anderen ersetzt Richards‘ Wiederaufbereitungsanlage füttern – erlaubt ist, was gefällt. Verpuppt bei den Wanstwesen ter in den weitgeöffneten Schnabel: – dafür sind sie kräftiger denn je. Ich wohl kaum bezahlen, aber spätestens Obwohl ich mit Religion so gar Nachdem ich erst wie eine Raupe alles Butterplätzchen, Geflügelsalat, Hirsch- bin ein bisschen stolz auf diese kon- ab dem Dreikönigstag beginne ich nichts am Hut habe, will ich dennoch kahlgefressen habe, verpuppe ich mich gulasch und Rotwein. Der Eichenbaum, sequente Selbstzerstörung – Janis Jop- mich zu langweilen. Ich wünsche mir auf keinen Fall abseitsstehen: Fische, nun. Kopf, Hals und Gliedmaßen sind auf dessen stärkstem Ast das Nest ruht, lin, Kurt Cobain, Fats Domino – , das ist deshalb, auch in eine solche Einrich- Enten, Schokolade – tot oder lebendig, bei der Puppe des Riesenweihnachts- schwankt. Die Vogelmutti wiegt nur ja irgendwie auch Rock ’n’ Roll, wenn- tung verbracht zu werden, wo man sie oder ich. Und noch einen gesotte- fettspinners als solche kaum mehr zu zwanzig Gramm und doch ist sie der gleich in einer sehr gemächlichen mich entschlackt, entfettet und wie- nen Schweinebrocken mit Fettklößen erkennen. Sie werden zunehmend eins Tropfen, der das Fass zum Überlaufen Spielart. Live fat, die young. der für mein altes Leben (Arbeit, An- und Furzkraut, und noch einen, und mit seinem Rumpf. Darin wirft die Ver- bringt. Es knackt und kracht. kleiden, aufrechter Gang) fit macht. damit das alles auch besser rutscht, dauung mit lautem Grollen ihre mäch- Schweißgebadet wache ich auf. Mein Verzweifelte Rufe, unerhört Und zwar ohne den geringsten geis- ein Gläschen vom sehr guten Klabus- tige Maschine an. Christstollen und Kiefer ist bretthart. Das Knacken und Sterben respektive Platzen will ich tigen und körperlichen Einsatz mei- terbeerenlikör, und damit das Gläs- Rinderbraten, Geißlein und Wacker- Krachen muss von den Zähnen her- allerdings noch nicht – so lautet nerseits. Nur, wie kann ich mich be- chen besser rutscht, noch ein zweites steine rumpeln und pumpeln in mei- rühren. Die sind keinen Moment der auch mein einziger Vorsatz für 2019. merkbar machen? Tief drin in dem un- Gläschen, und auf zwei Beinen kann nem Bauch herum, werden zerschro- Untätigkeit mehr gewohnt, so dass Am besten, ich mache es wie Keith beweglichen Weihnachtsfettsack, der ja keiner stehen, schon gar nicht nach tet, gemahlen und mit Magensäften sie des Nachts im Leerlauf unablässig Richards. Der lässt jedes Jahr zehn Mo- mich wie ein Sarg aus Fleisch gefangen zwei so wohlwollend eingeschenkten gemischt. weiter vor sich hin mahlen. Ansonsten nate komplett die Sau raus, um sich an- hält, bin ich noch immer geistig rege, Humpen „Original Köthener Klabus- Aufnehmen und Ausscheiden sind hat mich eine lähmende Lethargie ge- schließend sechs Wochen lang auf ei- rank und schön sowie voller Pläne und terbeere“. Dass ich schon nach zwei die alles überlagernden Körperfunk- packt. Selbst das Verdauen wird mir zu ner ayurvedischen Gesundheitsfarm Sehnsüchte. Tagen der Vollmast über die Propor­ tionen. Meine einzigen verbliebenen anstrengend. Die Plätzchen kullern das Blut waschen, die Adern entkal- Ich rufe verzweifelt, doch keiner tio­nen und die Statik eines Kasta­ Gänge sind Stuhlgänge. Danach be- nur noch durch wie in der Kugelbahn. ken und den Sack aufpumpen zu las- kann mich hören.

gurke der woche das wetter Deutschland, müdes Land, gar schleppend verläuft jenseits Humorforschung einen Donut und den Imma- deiner aufgeregten Timelines In Sachen „Timing“ haben nenzbegriff bei Kierkegaard in sozialen Medien der Ein- die beiden Komiker Stannis geht, irrt Gämbel noch immer stieg ins bereits total verrum- Proktor und Marty Gämbel orientierungslos durch seinen pelte 2019. Gleich zwei treu- bis heute unerreichte Maß- ersten Act – eine Pantomime. deutsche Schlafes-Brüder- stäbe gesetzt. 1954 wurden die Mittlerweile ist die erste Meldungen funkten uns die beiden Nachwuchskünstler Publikumsgeneration ver- Agenturen jüngst ins abgedun- für eine Show im „Salted Fla- schwunden, sodass niemand kelte Kontor: „Schlaf­wandler mingo“ in Las Vegas gebucht, mehr den Anfang der Num- irrt am Flussufer umher“, die bis heute andauert. Wäh- mer erlebt hat, und Gämbel flötete die dpa aus Wertheim rend Proktor seinen Einstiegs- selbst zeigt deutliche Zeichen am Main, und AFP schalmeite monolog immerhin Ende der von Demenz. Humorforscher aus dem südwestfälischen Achtziger mit der Pointe „Nein, glauben jedoch, dass er hinter Hagen was von „Autoknacker in Hawaii!“ abschloss und einer nicht vorhandenen Glas- schläft auf Fahrersitz ein“. Wir seitdem einen Witz erzählt, in scheibe zu sind dann weggeratzt. dem es entweder um Hunde, stehen glaubt.

Wahres Rätsel 331 von RU

Die Ziffern hinter den Fragen zeigen die Einstein (6) 28. Der Titan aus dessen vier Buchstaben Auflösung vom 5. 1. 2019: ZAUNKOENIG Buchstabenanzahl. 14. Nicht der letzte, aber doch der ist nur entfernt so mächtig wie das 1 STIEFELKNECHT, SCHARFSICHTIG; 1. Mal merkt der Geistinhaber gar nichts dritte Schrein neben Asakusa und Original (4) 2 ISCHE; 3 EPHESER; 4 FAZ; 5 LEINE­ mehr, mal geht er mit übermäßiger Be- Toshogu (4) 29. Auch er hat eine Vorsteherdrüse (3) STAEDTER; 6 KUTE; 7 ETTER; 8 CHARADE; geisterung an die Sache (13); In diesem 15. Zustand dessen, der sich nicht mehr 30. Die Zahl wurde durch alle bekannt (5) 9 HAG; 10 TRESORKNACKER; 11 SPA; 12 EU; Standardwerk des Volkshumors steht rührt (6) 31. Mailt Österreich etwa im Auftrag der 13 THAR; 14 HOCHZEITSTAGE; 15 SUBITO; eine Frau im Mittelpunkt (13) 16. Der Vornehmheitsnachweis mitten Bibel? (2); So ziemlich das Größte (3) 16 HE; 17 NEUER; 18 RUESCHE; 19 CRI; 20 2. Zwischen Spiel und Sieg (4) in 22 (2) 32. Der Ton schlechthin beim Trallala (2) HOF; 21 BRAVO; 22 VICIT; 23 EROS; 24 DIR; 3. Ein Näschen für Pferde (7) 17. Auch dort ließ der Kini eines seiner 33. Namentlicher Kehrwert ebendieses (2) 25 SCHRIFTSTUECK; 26 HOREX; 27 SPE; 4. Spätestens nach neun Monaten kommt Schlösser errichten (5) 34. Die schimmernd-geflügelte Räuberin 28 APO; 29 IN; 30 ROTSEE; 31 OTTOS; es wieder in den Schrank (13) 18. Hat es wirklich keine Seele? (4) über den Teichen (7) 32 SALBE; 33 RUTA, RAH; 34 URNER; 35 5. Weihnachtsland (5) 19. Der Nebenfluss von Duero und Po ist 35. Verlängert 32 zur Laternensteherin­ HOET; 36 OELE; 37 AD; 38 AAR; ACTA; 39 6. Der sprachlich Behauchte (7) auch mittelerdenotiert (4) besingerin (Vorn.) (2) TEXTILTECHNIK; 40 ELF; 41 IL; 42 BELT; 43 7. Der Ort der größten Gefährdung (13) 20. Auf denen lief Heinrich IV. Richtung 36. Rechnerchip plus Rheinende plus Netz- GEISTERFAHRER 8. Marsellus’ Mia war ihr Durchbruch Canossa (5); Verhält sich zu Nico wie gewebe, zusammen hochvernünftig (13) Gewinner: Günter Stremmel, Bonn; Xaver (Vorn.) (3) Michael zu Mick (4) 37. Jonathan gehört zu Jogis Jüngeren (3) Rimmele, Immenstadt, Tim Stoffers, Spreit- 9. So ist das Hoch, das sich nicht von der 21. Sie macht Arbor zur Großstadt (3); 38. Wird gern geerntet (3) bach Stelle bewegt (8) Schmerz! (2) 39. Wenn der Hänger zum Künstler wird (2) Zu gewinnen gibt es je ein Buch eines 10. Nichtreligiöser Aufruf zur Umkehr (3) 22. Platt klingt zu platt (13) 40. Ostseeinselchen (3) taz-Autors oder einer taz-Autorin. Schi- 11. Nach Ernst Neger sind wir’s alle und es 23. Der Zug, der aus der Kälte kam (3) 41. Wo gebissen wird, bleiben sie zurück (13) cken Sie das Lösungswort bitte bis zum war immer so (11) 24. Zumindest dürfte Aristoteles der Umlaute sind nicht zugelassen. Die Buch­ Einsendeschluss am 16. 1. 2019 (Datum 12. 2,54 cm (4) Erste gewesen sein (7) staben in den eingekreisten Zahlenfeldern des Poststempels) per Postkarte an: taz, 13. Walther erfand eine Lampe, allerlei 25. Buchender Baum in spe (5) ergeben in geänderter Reihenfolge das Friedrichstraße 21, 10969 Berlin, oder per Kriegsgerät, bekam aber den Nobelpreis 26. Auferlegt ein Schweigegebot (2) Lösungswort: Nicht nur mit Nässe wird dort E-Mail an: [email protected]. Der Rechtsweg ist und eine posthume Würdigung von 27. Strudelt (4) therapiert (7) wie immer ausgeschlossen. Das Onlinemagazin aus Stuttgart AUSGABE

WWW.KONTEXTWOCHENZEITUNG.DE 406

SAMSTAG, 12. JANUAR 2019 [email protected]

Das hätte Rommel seinen ParteifreundInnen nicht durchgehen lassen, egal auf welchem Felde der POLITIK Stadtpolitik. Wider besse- res Wissen, wider die Ver- nunft und die vielen Er- kenntnisse rund um den Erdball wird eine sinnvolle Diskussion unterbunden. Immer die billigen politischen Punkte und den nahenden Wahlkampf im Blick, gibt der CDU-Kreisvorsitzende Stefan Kaufmann seine „Empörung“ und seine „Fassungs- losigkeit“ zu Protokoll, weil Fritz Kuhn die alte Debatte über eine sinnvolle Ver- kehrslenkung neu beleben will. Zudem, so Kaufmanns Behauptung, habe Kuhn im Wahlkampf das Gegenteil versprochen und sei insofern wortbrüchig geworden. Vielleicht würde Rommel einen seiner be- rühmten Sprüche auspacken, mit denen er sein Publikum zu unterhalten pflegte, bis die Tränen kamen. Auf jeden Fall würde schnell klar, auf welcher Seite der Alt-OB tritt war der heutige EU-Kommissar neu- U-Bahn vor: AutofahrerInnen könn- stünde: nicht auf der seiner Partei. er Fraktionschef im Landtag geworden. ten den ÖPNV finanzieren helfen. Denn mit voller Absicht werden zwei Nach seiner Meinung würden „die Bürger Fotos: Joachim E. Röttgers Begriffe vermengt. Kuhn hatte in seinem Rommels Erbe unangenehme Neuerungen akzeptieren, Wahlkampf 2012 tatsächlich erklärt, eine wenn rechtzeitig gesagt wird, was zu er- City-Maut werde es mit ihm nicht geben. warten ist“. Besonders eng war der Schul- dem „großen Mann der CDU in Stadt und Und obwohl die Nahverkehrsabgabe ein ausgeschlagen terschluss zwischen Rommel und Thomas Land“ (Kaufmann) in den Rücken. „Wir völlig anderes Instrument ist, stecken die Schäuble. Teufel hatte den jüngsten von sind dankbar dafür, dass Manfred Rom- CDU-Kommunalpolitiker beides in einen drei Schäuble-Brüdern zum Chef eines mel diese Stadt mehr als zwei Dekaden Sack, um ordentlich darauf einprügeln zu Gerade erst rühmte die Stuttgarter CDU Manfred eigenständigen Verkehrsministeriums be- geprägt hat“, sagt der Kreisvorsitzende, können. Anders als die City-Maut ver- rufen. Und der wollte Nägel mit Köpfen der besser mal ins Archiv gestiegen wäre. langt die Nahverkehrsabgabe von allen, Rommel anlässlich seines 90. Geburtstags. Sein poli- machen, gestützt auf ein Rechtsgutachten, O-Ton Rommel Anfang 1991: Er wünsche die mit ihrem Auto nach Stuttgart fahren das einer Nahverkehrsabgabe seinen Se- sich die Einführung einer Nahverkehrs- wollen, einen Betrag abzuführen bis hin tisches Vermächtnis zählt jedoch wenig. Denn der gen gegeben hatte, wenn die Einnahmen abgabe „so schnell wie möglich“. zum Jahresticket für den öffentlichen Per- populäre OB war Anhänger einer Nahverkehrsabgabe – daraus allein in den ÖPNV flössen. Inzwischen hat die CDU das Thema sonennahverkehr, kurz: ÖPNV. Aus der fortschrittlichen Idee wurde wieder so sehr Grünen überlassen, dass Dahinter steckt die realistische Hoff- wie sein Nachnachfolger Fritz Kuhn. Weil der aber ein nichts. Einen ersten förmlichen Beschluss Ministerpräsident WinfriedKretschmann nung, dass dieses Ticket immer öfter ge- Grüner ist und die Kommunalwahl ansteht, müssen die gegen den eigenen Ministerpräsidenten laut über eine neue Studie nachdenkt, nutzt und das Auto stehengelassen wird. Teufel fasste der Bezirksverband Nord- quasi zu Umerziehungszwecken. Auch Er kenne seine Schwaben, so Rommel Schwarzen heute mit Vehemenz dagegen sein. württemberg im Juni 1991. Nein, konter- wenn vor dem Gutachten nach dem Gut- Anfang der 1990er Jahre: Wenn sie erst te Teufel, die Idee sei damit „nicht tot“. achten ist. Denn eine sogenannte „Grund- einmal bezahlt hätten für Bus und Bahn, De facto war sie es. In der Großen Ko- lagenuntersuchung“ liegt bereits seit dem dann würden sie auch einsteigen. Die Von Johanna Henkel-Waidhofer alition von CDU und SPD ab 1992 gab vergangenen August vor. Daraus geht City-Maut hingegen muss bei jeder Ein- es zwar noch einzelne Vorstöße aus der hervor, dass die Nahverkehrsabgabe – in fahrt entrichtet werden. Immerhin lenken aus den neuen Ländern mit am Tisch. das Automobil selbst“, erläuterte deren Regierung, die Karten waren aber neu Mobilitätsausweis umbenannt – „die bes- 14 europäische Städte ihren Verkehr auf Eine gemeinsame Resolution schrieb Geschäftsführer Hans-Ulrich Mann bei gemischt. Unter anderem, weil die CDU te Lösung ist“. Sie würde zur Nutzung von diese Weise, von Bergen und Oslo über der Verkehrspolitik „eine neue Dimen- einer Anhörung. Mit einer Erhöhung der dem ungeliebten SPD-Umweltminister ÖPNV-Angeboten berechtigen, müsste Edinburgh und London bis Mailand und sion“ zu, nicht nur zwischen West und Mineralölsteuer, mit einer „Sonderabgabe Harald B. Schäfer einen derartigen Erfolg von allen erworben werden, die mit ihrem Rom. In Stuttgart, dem Mekka der Pre- Ost, sondern auch im Verhältnis Straße für Autos“ oder mit beidem müsse gegen- nicht gönnen mochte. Auto in die Stadt fahren wollen. mium-Hersteller, ist so etwas allerdings zu Schiene. „Die Zahlen unterstreichen gesteuert werden. Selbst die FDP wollte Erst 2005 kommt die Idee in der CDU „Das ist eine versteckte City-Maut“, politisch nicht durchsetzbar. den Handlungsbedarf“, sagte Heinrich sich dem in einem Gesamtkonzept nicht wieder auf die Tagesordnung, als 75 Euro reagierte die parlamentarische Geschäfts- Haasis, damals CDU-Fraktionsvize im verschließen, wie Fraktionschef Walter jährlich vorgeschlagen waren, die beim führerin der CDU-Fraktion unverzüglich Die CDU spielt mal den Stuttgarter Landtag und später Deutsch- Döring erklärte. Kauf einer VVS-Fahrkarte verrechnet und warf ebenfalls beide Instrumente in Antreiber, mal den Bremser lands Sparkassen-Präsident. Von 1970 bis In der Stuttgarter CDU saßen Antrei- würden. Oettinger, inzwischen Minister- einen Topf. Reflexe wie diese bestärken Als Erwin Teufel vor 28 Jahren Minister- 1989 hatte sich der Straßenverkehr etwa ber wie Bremser. Rommel argumentierte präsident, sah sich aber an seine früheren den Regierungschef erst recht, an der Idee präsident wurde, strebte die Debatte um verdoppelt, während es auf der Schiene mit dem weiteren Ausbau des öffentlichen Einsichten nicht mehr gebunden: „Die einer Untersuchung, etwa durch Prognos, verkehrslenkende Maßnahmen einem „kaum Zuwachs“ gab. Und Haasis berief Nahverkehrs, der ohne Abgabe „sehr er- Erhöhung der Kosten für das Auto und festzuhalten. Nur so seien „Kontroversen ersten Höhepunkt entgegen. Aufgegriffen sich auf eine Shell-Studie, die für 2010 schwert“ werde, weil Kosten allein aus Verringerung der Kosten für den öffentli- zwischen Grün und Schwarz auflösen“, hatte diese Idee der Grünen ausgerechnet eine massive Zunahme der Autodichte Steuermitteln nicht zu bestreiten seien. chen Personennahverkehr sind die beiden nur so Einschätzungen „durch Tatsachen ein CDU-Mann, Manfred Rommel, da- gerade in Innenstädten vorhersagte. Gerhard Mayer-Vorfelder, Kreisvorsitzen- Standbeine einer künftigen Verkehrspo- zu widerlegen“. Gutachten seien „ein gu- mals Präsident des Deutschen Städtetags. Besonders beeindruckt waren vor dem der und Finanzminister, stellte sich offen litik“, hatte er Anfang der 1990er Jahre tes Mittel“, sagt Kretschmann, weil, „wer In einem dpa-Gespräch vom Januar 1991 beginnenden Landtagswahlkampf 1992 gegen den Parteifreund und wollte die verkündet. Ein gutes Jahrzehnt später nicht zu tief im ideologischen Schützen- vertrat er die Ansicht, auf Dauer führe an die Verkehrspolitiker aller Fraktionen im „Autofahrer nicht weiter schröpfen“. Die sah er die Sache ganz anders: Eine Nah- graben sitzt, dann den Kopf herausstre- einer solchen Abgabe „kein Weg vorbei“. baden-württembergischen Parlament von drangvolle Enge in den Straßenbahnen verkehrsabgabe sei „zu bürokratisch und cken kann“. Für die Stuttgarter CDU Turnusmäßig trafen sich damals den Warnungen der Münchner Experten lasse ein Umsteigen gar nicht zu. mittelstandsfeindlich“. müsste eigentlich schon die Erinnerung Unionsfraktionschefs aus Bund und Län- der Intraplan Consult. Bei gleichbleiben- An Rommels und Teufels Seite stand Alles nicht richtig, aber für die CDU an Manfred Rommel reichen, um eben- dern in Stuttgart, erstmals saßen jene der Verkehrspolitik „stranguliert sich Günther Oettinger. Nach Späths Rück- offenbar zentral. Damit fällt sie sogar dieses zu bewerkstelligen.

Der Anspruch darauf, als dass einmal errungene Rechte und Mög- schnellen Antwort. Unabdingbar auch: Mensch wahrgenommen, lichkeiten nicht für alle Zeiten gesichert der Mut zum Dissens. anerkannt und respek- sind. Sie erscheinen gerade heute wieder Demokratie in diesem Sinne, als ge- tiert zu werden, war in gefährdet. Vor allem dann, wenn sie nicht lebte Praxis, die wirklich alle meint und ZEITGE Frauengedöns SCHEHEN den historischen Frauen- bewusst gewürdigt und verteidigt werden; mit einbezieht, ist keine bequeme Sache. bewegungen immer auch wenn sie nicht in – zugegeben, manch- Sie verlangt uns Geduld ab und Durch- mit dem Interesse verbun- Vor hundert Jahren wählten Frauen in Deutschland zum mal recht mühsamen und auch langwieri- haltevermögen, einen langen Atem für die den, Einsichten in die Mechanismen von gen – demokratischen Prozessen lebendig Klärung von komplexen Sachverhalten Herrschaft und Ausschluss zu gewinnen. ersten Mal. Der Stuttgarter Landtag feiert das mit der gehalten und weiterentwickelt werden. und Aufgabenstellungen, ein Aushalten Das machte sie zu einer (herrschafts-) Festveranstaltung „Herrengedeck und Frauengedöns“. In diesem Jahr feiern wir auch 70 Jahre von Widersprüchlichem, Mehrdeutigem, kritischen Kraft, und damit wurden sie Grundgesetz, und doch scheint der Geist Konflikthaftem. für die vorherrschenden Ordnungen auch Unsere Autorin moderiert dort einen Arbeitskreis. dieses Grundgesetzes vielen fremd gewor- Die historischen Erfahrungen derjeni- gefährlich. den zu sein. gen, die nicht gemeint waren, die nicht Es ist bemerkenswert, wie heftig – Einige Gedanken zu einer Jahrhundertfeier. Eine radikal-demokratische Haltung teilhaben sollten, denen der Zugang zur und auch hasserfüllt – das Bemühen um zeichnet sich aus durch ein entschiede- Welt – mit all ihren immateriellen und Gleichberechtigung heute erneut atta- Von Gastautorin Susanne Maurer nes Bekenntnis zu Egalität und Pluralität. materiellen Schätzen – nicht gewährt wer- ckiert wird. Von so etwas wie „Gender- Dazu gehört die Bereitschaft zur gerech- den sollte, legen davon beredtes Zeugnis Ideologie“ (oder „Frauengedöns“!) zu ten Umverteilung – von Macht, materiel- ab. sprechen, bedeutet, die Fragen nicht an- Zeit der Weimarer Republik. Eins ist für hässlich aus? In aktuellen gesellschaftli- len wie immateriellen Ressourcen. Dazu Sie können uns auch heute als „Roh- zuerkennen, die sich auf Ungleichheit, mich klar: Das Eintreten für (mehr) Frei- chen Tendenzen scheint die Bereitschaft gehört die Bereitschaft zur Anerkennung stoff der Erfahrung“ dienen, uns ebenso Ungerechtigkeit und Herrschaft in den heit und Gerechtigkeit in den Geschlech- zur respektvollen politischen Auseinan- von Verschiedenheit und „Andersheit“, beflügeln wie zaudern lassen. In jedem Geschlechterverhältnissen beziehen. Sie terverhältnissen bedeutet auch ein Eintre- dersetzung zu schrumpfen, der Raum des mag das auch noch so irritierend sein. Fall fordern sie uns heraus, genau hinzu- vielmehr entweder zu verzerren, zu dä- ten für (mehr) Freiheit und Gerechtigkeit Demokratischen sich zusammenzuzie- Hilfreich ist hier sicherlich ein leiden- schauen, was gerade geschieht. Und zu- monisieren, oder auch zu verharmlosen für alle Menschen. Es geht ums Ganze hen. schaftliches Interesse an dem noch Un- gleich laut und deutlich für das einzutre- und zu verniedlichen. der Herrschaftskritik. Vielleicht nerven Die Vergegenwärtigung der Kämpfe bekannten, noch Ungekannten (auch in ten, was erkämpft und erarbeitet worden Vieles an den heutigen Debatten er- Feminismus und an Vielfalt und Plura- um gleichberechtigte, gleichrangige und uns selbst!); eine Neugier auf die mannig- ist, weil wir dessen Kostbarkeit plötzlich innert auf beunruhigende Weise an die lität orientierte Positionen deshalb so, gleichermaßen anerkannte politische faltigen Möglichkeiten des Menschlichen. wieder besser wahrnehmen und spüren Verachtung demokratischer Prozesse zur vielleicht fallen die Attacken deshalb so und gesellschaftliche Teilhabe zeigt uns, Hilfreich ist die Liebe zur Frage, nicht zur können. 2 SAMSTAG, 12. JANUAR 2019

Herr Hermann, Stutt- Vertraglich verpflichtet zum Weiter- gart 21 trägt extrem zur bau? Verkehrsminister Winfried Finanzierungslücke und Hermann steht Kontext Rede und dem desolaten Zustand Antwort. Foto: Joachim E. Röttgers POLITIK der Bahn bei, die Sie in ihrem Brandbrief an- prangern (siehe Teil 1 des Schuster-Vertrag zur Geltung kommen Interviews in Kontext 405). Bis 2021 soll würde und die Stadt für jedes Jahr nach der Anteil des Projekts an den Netto- 2020 aufsteigend bis zu 20 Millionen Euro investitionen der DB auf ein Fünftel kriegt? steigen. Wäre so gesehen ein Ausstieg Das ist aber schön für die Stadt. nicht besser für die Bahn? Ich glaube, dass die Stadt Stuttgart am Grundsätzlich muss man sagen: Alle Ende den größten Vorteil aus dem Projekt Großprojekte haben die Bahn schwer be- zieht. Nicht in verkehrspolitischer Hin- lastet. Die Planungs- und Baukapazitä- sicht, sondern wegen der Grundstücke. ten fehlen einfach in anderen Bereichen. Das war auch immer das Hauptargument Die Konzentration auf die Großprojekte derer, die für Stuttgart 21 getrommelt mit viel Geld hat den Effekt gehabt, dass haben. Für jeden Verkehrs- und Bahn- das Nebennetz, das aber für den ländli- politiker war klar, dass S 21 nicht geeignet chen Raum und den Nahverkehr wichtig sein würde, einen guten zukunftsfähi- ist, nicht elektrifiziert ist, nicht auf dem gen Schienenverkehr mit viel regionalem neuesten Stand ist, ganz zu schweigen Nahverkehr zu bewältigen. Wer einen vom Güterverkehr. Stuttgart 21 ist im Bahnhof baut, der für Fernverkehr opti- Unterschied zu den Aus- und Neubaustre- miert ist, und für Nahverkehr eher eine cken, die der Bund komplett finanziert, Verschlechterung bringt, der hat ganz an- ein Projekt der DB, das hat das Verkehrs- dere Absichten. ministerium immer betont. Und ich glau- Deshalb sprechen nicht nur die Kritiker, be, wenn man heute eine Abstimmung im sondern auch die Immobilienbranche Bahnvorstand machen würde, würde man immer wieder vom Immobilienprojekt nicht mehr viele Befürworter für Stutt- S 21. In verkehrspolitischer Sicht aber gart 21 finden. ist der neue Bahnhof ein Rückbau, bietet Warum also nicht den endlosen Schre- weniger Kapazität als der Kopfbahnhof. cken beenden? Es war einer meiner größten Irrtümer, Ich schaue jetzt mal auf den Bahn- Mit Verlaub, ein Höhlenwerk und zu glauben, Stuttgart 21 würde im Volks- hof, wie er heute dasteht. So sehr ich an eine Grube, für die man schon mindes- entscheid krachend scheitern. Ich war bis ihm hänge, aber er ist längst nicht mehr tens drei Milliarden Euro ausgegeben hat „S 21 bleibt zum Schluss davon überzeugt, dass die so leistungsfähig wie er war. Er hat die und mindestens anderthalb Milliarden Mehrheit uns Kritikern glaubt und Nein 16 Gleise nicht mehr, mit entsprechenden fest gebunden sind, jetzt abzubrechen, zu dem Projekt sagen würde. Hat sie aber Zulaufgleisen, die über marode Brücken das kann man niemandem mehr erklä- eine grandiose nicht. Viele hatten offenbar gedacht, okay, und Strecken führen. Ich glaube nicht, ren und rechtfertigen. Selbst wenn man es wird ein bisschen teurer und es dauert dass der neue Bahnhof weniger leistungs- jetzt den Kopfbahnhof modernisieren ein bisschen länger, wie alles im Leben. fähig sein wird. Meine Befürchtung ist oder das Kombimodell machen wollte – Hätten sie gewusst, dass es so viel teurer eher, dass er nicht ausreicht, wenn der man müsste komplett von vorne anfangen Fehlentscheidung“ wird und so viel länger dauert, wäre der Verkehr, so wie wir es vorhaben, verdop- mit einer neuen Planfeststellung. Und wir Volksentscheid womöglich anders ausge- pelt wird. wissen ja, wie lange das dauern kann; am gangen. Da haben einige Leute schon böse Und dass nichtsmehrfunktioniert, wenn Flughafen gibt es ja bis heute noch keine Im zweiten Teil des Kontext-Interviews erklärt Landes- die Wahrheit verdreht oder Wahrheiten ein Tunnel mal gesperrt werden muss, Planfeststellung, obwohl da schon 20 Jah- verkehrsminister Winfried Hermann, warum er einen nicht ausgesprochen, die auch damals etwa zur Sanierung wegen quellenden re geplant wird. schon bekannt waren. Rüdiger Grube hat Anhydrits – wie der Engelbergtunnel. Genau das spräche ja eher für einen Aus- Ausstieg aus Stuttgart 21 nicht für realistisch hält, wie er dreist behauptet, dass 1,5 Milliarden bis Das ist das eigentliche Risiko des neuen stieg. zwei Milliarden Euro schon ausgegeben Bahnhofs. Wenn du nur einen Tag einen Diejenigen, die immer noch aussteigen die Bahn-Klage zur Mehrkostenübernahme beurteilt – wären. Es waren tatsächlich maximal Tunnel sperren musst, ist das schon eine wollen, glauben vermutlich, dass das eine und wie er mit der Kritik von Projektgegnern umgeht. 400 Millionen Euro. Katastrophe. Das bleibt ein unterirdisches einfache und schnelle Lösung wäre. Das Da sind die Wähler offensichtlich nach anfälliges Engpasssystem, das von den ist aber ein großer Irrtum: faktisch und Strich und Faden belogen worden. Befürwortern natürlich so nicht gesehen politisch. Der Volksentscheid ist eben so Interview von Oliver Stenzel Es gab in der Tat eine üble Desinfor- wird. Nicht von ungefähr ist die Bahn gelaufen, dass damit eine Regierung ge- mation, keine Frage. Aber das hilft heute beim sogenannten Stresstest während der bunden ist. Sie muss das Projekt zwar nicht mehr. Recht haben hat in der Politik Schlichtung von Heiner Geißler immer nicht realisieren, aber die vertraglich zu- tensprung von 4,5 auf 6,5 Milliarden Euro tinger und Stuttgarts Ex-OB Wolfgang noch nie zum Erfolg geführt. von einem funktionierenden System aus- gesagten 930 Millionen Euro zahlen und bekannt wurde, hat die Bahn noch einmal Schuster waren, die im Finanzierungsver- Wir erinnern uns: Nicht die Wahrheit gegangen. Das ist ja der Trick der Bahn: das Projekt förderlich begleiten. Denn erwogen, Stuttgart 21 zu stoppen. Damals trag rund zwei Drittel der Kostenrisiken entscheidet über die Lüge, sondern die Sie tut so, als wäre alles durchgeplant und Bauherr ist ja die Deutsche Bahn, nicht wurde zum ersten Mal im Bahnvorstand von 1,5 Milliarden Euro fest übernom- Mehrheit über die Minderheit. getaktet. Und wir wissen, dass die Bahn- das Land Baden-Württemberg, nicht die und im Aufsichtsrat über Wochen und men haben. Darüber hinaus gibt es nur In der Demokratie haben alle ein Welt so nicht ist. Stadt oder die Region. Und wir im Minis- Monate gerechnet. Und damals war noch eine Sprechklausel, die keinen Anspruch Wahlrecht. Die Informierten und die we- Zum Schluss noch eine Frage zur per- terium haben festgestellt: Seit das Verhält- vergleichsweise wenig Geld ausgegeben der Bahn auf Übernahme weiterer Mehr- niger Informierten, auch die, die einfach sönlichen Befindlichkeit bei diesem nis geklärt ist, können wir mit den Fach- beziehungsweise gebunden, etwa ein oder kosten begründet. Im Übrigen hat die da- anderer Meinung sind als man selbst. Das Thema: Wenn Winfried Kretschmann leuten der Bahn ganz gut arbeiten und zwei Milliarden Euro. Das war der letz- malige Bahnspitze lieber die finanzielle hat bisher im Großen und Ganzen funk- für viele S-21-Gegner ein Verräter ist, kommen auch an die Schwachstellen des te Zeitpunkt, zu dem man mit gemein- Festzusage der Projektpartner angenom- tioniert. Im Übrigen wurden damals in sind Sie zumindest ein halber. Projekts ran. Und die arbeiten wir suk- samem politischem Wille sinnvollerweise men als eine prozentuale Risikobeteili- der Broschüre der Landesregierung zur Für mich ist das sehr bitter, weil ich zessive ab. Aber grundsätzlich rumdrehen hätte aussteigen können. Dafür habe ich gung. Die haben doch selbst geglaubt, Abstimmung die Argumente beider Sei- sicherlich einer derjenigen bin, die mit können wir das Projekt nicht mehr. mit guten Argumenten geworben. Aller- dass damit die Finanzierung geklärt sei. ten klar dargestellt. am längsten und intensivsten gegen Stutt- Trotzdem haben Sie Stuttgart 21 als dings war dieser Wille beim damaligen Es ist erstaunlich ruhig an dieser Front. Selbst die „Süddeutsche Zeitung“ hat gart 21 gekämpft haben. Manche dieser „größte Fehlentscheidung in der Eisen- Koalitionspartner SPD und letztlich auch Sie gehen davon aus, dass der Bund ein- S 21 als das „dümmste Bauprojekt“ Damen und Herren, die heute dagegen bahngeschichte“ bezeichnet. bei der DB nicht vorhanden. springen wird. Deutschlands bezeichnet. protestieren, habe ich in der Phase, in Da habe ich den Mund vielleicht ein Heißt das, dass die Bahnspitze auch da- Ich kann nur sagen: Der Bund hat Ich bewahre immer noch einen hand- der wirklich noch etwas bewegt werden bisschen voll genommen, weil ich nicht mals nicht unbedingt weiter bauen woll- letztlich politisch entschieden, weiterzu- geschriebenen Brief von S-21-Vater Pro- konnte, nicht gesehen. Viele sind erst auf- die gesamte Eisenbahngeschichte kenne. te? machen, auch wenn es teurer und womög- fessor Gerhard Heimerl auf, in dem er gewacht, als die meisten Entscheidungen Aber Stuttgart 21 ist auf jeden Fall eine Bahnmanager haben mir gegenüber lich unwirtschaftlich wird, und damit hat versichert, nie dafür geworben zu haben, schon gefallen waren. Aber heute so zu grandiose Fehlentscheidung gewesen, die betont, dass sie nicht an dem Projekt hin- er auch die Verantwortung für das Projekt alles unterirdisch anzulegen und den tun, als sei man im Besitz der alleinigen in jeder Hinsicht sehr teuer ist. Schauen gen, dass sie sich nach der Politik richten übernommen. Kopfbahnhof völlig aufzugeben. Er wollte Wahrheit und der Volksentscheid nur wir uns nur an, was die Baustelle alles an würden. Sie seien vertraglich verpflichtet Die Bahn muss jetzt ans eigene Geld. eine Kombilösung, wie wir Grünen, mit Betrug gewesen, ist ärgerlich und demo- Verkehrsstörungen und Minderung der zu bauen. Wenn die Politik beziehungs- Die größten Anteile der bisherigen einem optimierten Kopfbahnhof. kratisch fragwürdig. Lebensqualität in der Stadt auslöst. Bis die weise die Vertragspartner Stopp gesagt Ausgaben sind von den Projektpartnern Die Aussicht auf das frei werdende Ge- Für Sie offenbar Schlachten von gestern. Entscheidung zum Bau gefallen ist, hat sie hätten, wäre das für sie auch in Ordnung bezahlt worden. Jetzt kommt die Bahn lände hat dann offenbar die Phantasie Da sind so viele gescheite Leute dabei, 20 Jahre lang alle Modernisierungsinves- gewesen. Stattdessen aber hat der dama- selbst immer stärker in die Finanzierung, der Entscheidungsträger angeregt. die ihre Zeit damit verschwenden, immer titionen in die Stadt und in das Schienen- lige Finanzminister Wolfgang Schäuble und das tut weh. Daher rühren ihre Auf- Es gab einmal eine Zeit, Mitte der und immer wieder nachweisen zu wollen, system blockiert. Heute ist Stuttgart eine öffentlich erklärt, das Projekt sei von al- schreie, und nun muss der Bund eben 1990er, in der behauptet wurde, S 21 wür- dass dies oder jenes eine Lüge war. Man einzige Großbaustelle, und das Ding wird lergrößter Bedeutung für Deutschland, überlegen, ob er sein Unternehmen weiter de allein durch den Verkauf des Geländes kann auch ein Leben in der Vergangen- und wird nicht fertig. Nur immer teurer. die Kanzlerin sprach von einer überra- in die roten Zahlen rutschen lässt wegen finanziert. Tatsächlich hat es die Bahn heit verbringen. Was hätten wir gewon- Wie lautet Ihre Prognose? Wann ist S 21 genden nationalen Bedeutung, es gehe der Infrastrukturkosten, oder ob er sagt: 2001 für umgerechnet 459 Millionen Euro nen, wenn wir alle zusammen versucht fertig und zu welchem Preis? um den Ruf Deutschlands in der Welt, als Für den Ausbau der Autobahnen und an die Stadt verkauft. Und jetzt kommt’s: hätten, aus Stuttgart eine Stadt moderner Meine Antwortet lautet: Einstwei- Industrienation, die Großprojekte kann. Bundestraßen zahlen wir auch Milliar- Oberbürgermeister Schuster hat damals Mobilität zu machen. Mehr Radverkehr, len Ende 2025 und einstweilen liegt der Und deshalb haben sie es dann durchge- den, allerdings direkt aus dem Haushalt. vertraglich vereinbart, dass die Bahn erst mehr öffentlicher Verkehr, mehr Verän- Kostenrahmen bei 8,2 Milliarden Euro. zogen. Auch Ministerpräsident Kretschmann, ab 2020 Zinsen zahlen muss, wenn das derungen dort, wo wir noch etwas verän- Die Betonung liegt auf einstweilen. Hardliner hinter jeder Ecke. für den der Käs gegessen war, ist plötz- Gelände zu diesem Zeitpunkt nicht be- dern können. Es gibt auch ein Leben nach Die Betonung liegt auf einstweilen. Der Stuttgarter Gemeinderat ist mehr- lich unwirsch und schimpft auf die baubar ist. Wer hätte je gedacht, dass der Stuttgart 21. Und für die Fertigstellung der Gäubahn- heitlich nach wie vor dafür, die Regional- Bahn. Was ist passiert? anbindung über den Flughafen kann die versammlung ebenso, CDU, SPD und FDP Das war ein emotionaler Ausbruch Projektgesellschaft kein Datum nennen. stehen sofort auf der Matte, wenn über angesichts der Nachricht, dass der Flug- Das Jahrhundertloch: Sie haben betont, das Projekt habe in- Alternativen nachgedacht wird, und im hafen ein Jahr lang abgehängt wird von Stuttgart 21 zwischen drei Milliarden Euro ver- Landtag haben wir das gleiche Spiel. Auch der S-Bahn. Fröhlich stimmt ihn wahr- schlungen. Jetzt sei ein Abbruch nicht wenn angesichts der Verzögerungen und scheinlich auch nicht, dass alle unsere Immer neue Kostensteigerungen, mehr vermittelbar. Wackersdorf, die Kostensteigerungen das peinliche Schwei- Prognosen, alle unsere Bedenken, die wir Risiken durch den Tunnelbau, milliardenteure Wiederaufbereitungs- gen vieler Befürworter von einst unüber- gegenüber S 21 geäußert haben, Realität ungelöste Brandschutzfragen, ein anlage, ist sogar nach der Fertigstellung hörbar ist, gibt es nach wie vor leiden- geworden sind, und er sie jetzt mittragen De-facto-Rückbau der Infrastruk- beerdigt worden. schaftliche Verfechter des Projektes. muss. tur – das sind nur einige Aspekte Die Wiederaufbereitungsanlage Das weiß auch die Bahn und klagt seit Trotzdem: Die Regierung zieht immer des Milliardengrabs. Unser Dossier brauchte man nicht mehr, es ergab kei- Ende 2016 auf die Übernahme der Mehr- den Volksentscheid als Legitimation für zum Jahrhundertloch finden Sie nen ökonomischen Sinn für die Betreiber. kosten. ihre Pro-S-21-Politik heran. unter www.kontextwochen Aber einen funktionierenden Bahnhof Ich darf daran erinnern, dass es der Wir haben in der Tat dadurch eine Ver- zeitung.de/dossiers Joachim E. Röttgers braucht die Bahn. 2013, als der große Kos- frühere Ministerpräsident Günther Oet- pflichtung, das Projekt zu unterstützen. SAMSTAG, 12. JANUAR 2019 3

Das hat Größe: Bei Lenks Kunstwerk, gerade mal zur Hälfte im Bild, reicht die 1,70 Meter große Belustigte nicht Der mit den mal ans Feigenblatt heran. Schlangen ringt Foto: Kontext andern habe das Kulturamt „aktuell auch kein Geld“, um neue Kunstwerke für den Exklusiv in Kontext: das erste Foto vom S-21-Laokoon öffentlichen Raum anzuschaffen. Außer- dem kenne seine Behörde die Arbeit nicht, aus dem Atelier von Peter Lenk. Nur der Kopf fehlt, er da sich Herr Lenk beim Kulturamt nicht bleibt noch geheim. Jetzt geht’s um die Finanzierung. gemeldet und auch kein Angebot unter- breitet habe. Ein Besuch beim Skandal-Bildhauer in Bodman, wo Über solche Ängstlichkeiten, womög- lich vor trojanischen Pferden, freut sich einem wieder mal das Lachen im Hals stecken bleibt. der Anarcho vom Bodensee. Geld von der Stadt? Iwo. Er wünscht sich nur einen an- Von unserer Redaktion gemessenen Standort und ist begeistert, wenn er hört, dass sich Verkehrsminister Winfried Hermann einen Platz direkt vor Für Kontext steigt der Man schaute sich’s an und lachte sich dem Hauptbahnhof vorstellen kann. Das Meister, inzwischen 71 scheckig, wenn es nicht so bitter wäre. Geld beschaffen andere. Jahre alt, auf die Leiter. Er Lenk nennt sein Werk, an dem er bereits Winfried Wolf zum Beispiel. Dass er will den richtigen Blick- seit einem Jahr hingebungsvoll arbeitet, geübt ist im Spendensammeln, hat er zu- KULTUR winkel festlegen für seine nicht von ungefähr „S 21 – Das Denkmal. letzt im September 2018 bewiesen, als er Skulptur, an der er seit ei- Die Chronik einer grotesken Entgleisung“. für eine Anzeige in der FAZ („Stoppen Sie nem Jahr arbeitet. Sie zeigt Und wer seine Plastiken und Reliefs kennt, Stuttgart 21 jetzt“) nicht nur 2.800 Unter- einen kämpfenden Laokoon. Auf dem Bild weiß, dass die verantwortlichen Figuren zeichner gefunden, sondern auch mehr als darf er aber nur ohne Kopf zu sehen sein, sauber modelliert und jederzeit identifi- 50.000 Euro zusammenbekommen hat. weil es noch streng geheim ist, wer hier zierbar sind, was zum Beispiel Martin Viele davon sind wieder dabei, vereint im mit den Schlangen ringt. So viel haben Walser veranlasst hat, seinen Friseur in Lenkschen Credo, den öffentlichen Raum wir in Kontext schon enthüllt: Die Unge- Überlingen zu wechseln. Auf dem Weg nicht den Spießern zu überlassen. Unter heuer sind unschwer als ICE zu erkennen, zum Barbier steht der „Bodensee-Reiter“, ihnen Lenks Freund Jürgen Resch von der und das Ganze soll ein Denkmal für Stutt- der ihn in gekrümmter Haltung auf dem Deutschen Umwelthilfe, Vincent Klink gart 21 werden. Für den „irren Tunneltrip Pferd zeigt, mit Schlittschuhen an den von der Wielandshöhe, Christine Prayon durch Gipskeuper und Mineralbäder“, wie Füssen, und da wollte der Großdichter von der „heute-show“, der Regisseur Vol- der Künstler sagt. nicht mehr dran vorbei gehen. ker Lösch mit seinen S-21-Widerständlern Lenk wäre nicht Lenk, wenn er nicht Walter Sittler und Wolfgang Schorlau. versuchen würde, bis zuletzt zu verbergen, Ein Wahrzeichen wie die Sie werden wieder als Frontleute für was er genau im Schilde führt. Immer- „Imperia“ in Konstanz eine Kampagne gebraucht, die diesmal hin: Bei seiner Privatführung durch das Nun ist das eher eine kleine Episode ver- mindestens 100.000 Euro erbringen soll, Bodmaner Atelier lässt er erkennen, wer letzter Eitelkeit. Der Personen-Zug auf wobei die gesamten Kosten deutlich höher alles aufs Korn genommen wird. Diver- dem irren Tunneltrip ist eine andere Kate- S-21-Front hätten es gerne auf dem Stutt- Wirtschaft und Tourismus“, betont der liegen. Dafür gibt es ein Denkmal bezie- se Ministerpräsidenten, sozialdemokra- gorie. Natürlich wegen der politischen garter Schlossplatz, dort, wo seit zehn Vetter von Justizminister Guido Wolf hungsweise ein Mahnmal, das stets daran tische Spitzenpolitiker, unerbittliches Dimension, aber auch wegen der schieren Jahren demonstriert wird. Am vergange- (CDU), wenn es zu einem „eindrucksvol- erinnern wird, wie unterirdisch Stuttgart Justizpersonal, bohrende Unternehmer Größe. Neun Meter hoch ragt die Skulp- nen Montag war es das 447. Mal. Wolf len Kristallisationspunkt des öffentlichen 21 ist. Es werde, verspricht Lenk, in jedem und weihrauchschwingende Pfarrer. tur, so hoch, dass man von unten nur noch meint, es könnte ein Wahrzeichen wer- Interesses“ werde. Fall im Frühjahr 2020 fertig und aufge- Ihre Namen bittet der Bildhauer (noch) vermuten kann, wer ganz oben schwebt. den wie die Lenksche „Imperia“, die an Die Stadtverwaltung, solchen Effekten stellt – wo auch immer. zu verschweigen; die Erfahrung hat ihn Es könnte ein Oberstaatsanwalt sein. der Konstanzer Hafeneinfahrt grüßt und sonst zugeneigt, reagiert eher kühl. Zum gelehrt, so lange wie möglich Identitäten Und jetzt ist die Frage: Wo soll das inzwischen zu den bekanntesten Statuen einen, sagt Rathaussprecher Sven Matis, Auf der Website www.lenk-in-stuttgart.de nicht preiszugeben, um sich vor Klagen Denkmal stehen? Verkehrsexperte Win- Deutschlands zählt. Das habe doch „aus- sei die Kommune für den Schlossplatz finden sich weitere Informationen zu der zu schützen. fried Wolf und seine Freunde von der gesprochen positive Auswirkungen auf nicht zuständig, weil Landesterrain, zum Spendenkampagne.

Wenn Uli Burchardt Hier geht viel Geld den Bach runter: Auch das andere von Burchardt damals (CDU) eines Tages mal Bodenseeforum in Konstanz. oft erwähnte Argument, dass man mit nicht mehr Oberbürger- Foto: Patrick Pfeiffer dem Kauf des Gebäudes einen Umzug der meister von Konstanz am Industrie- und Handelskammer (IHK) WIRT SCHAFT Bodensee ist, könnte man nach Singen verhindern könne, halten ihn sich auch gut auf der der Wahrheit. Dazu kommen auch hand- heute viele für aufgebauscht. Kaum einer Bühne einer Fuck-Up- werkliche Fehler, mangelndes Fingerspit- in der Politik glaubt heute noch daran, Night vorstellen. Das sind diese gerade zengefühl (der OB ließ zu, dass auch seine dass es diesen Druck seitens der IHK über- überall sehr beliebten Abende, an denen Ex-Frau über Monate ohne Ausschrei- haupt gab. Aber allein die Spekulationen Menschen auf einer Bühne möglichst lus- bung als Beraterin engagiert wurde) und darüber spielten dem Oberbürgermeister tig über ihr Scheitern reden. Burchardt insgesamt eine fehlende Idee dazu, was vor der Abstimmung im Gemeinderat in hätte da eine gute Geschichte parat. Sie man mit dem Haus eigentlich will. „Wir die Karten. So bekam er, was er wollte. geht in Kurzform so: Eine Stadt wünscht haben nicht gefragt, welches Konzept wir Große Zweifel an seinem Handeln sich seit Jahrzehnten ein Veranstaltungs- für unsere Stadt brauchen“, fasst Winfried sind dem Oberbürgermeister seither haus. Der OB sieht plötzlich eine Chance Kropp, Fraktionsreferent der SPD im Ge- nicht gekommen. Das Haus brauche bes- dafür und setzt alles auf eine Karte. Der meinderat, die entscheidenden Versäum- seres Management, dann würde das Ge- Plan geht schief. Das Sehnsuchtsziel wird nisse in der Projektplanung zusammen. schäft früher oder später besser laufen, zum Millionengrab. Vorerst. Weshalb wird so ein millionenschweres sagte Burchardt angesichts der aktuellen Tatsächlich ist das einstmals als „Jahr- Millionenspiel Projekt nicht sorgfältiger geplant? Liest Zahlen. Er selbst würde heute genauso hundertchance“ beworbene Projekt man den Bericht der Stadtverwaltung zur handeln wie bei der Entscheidung für „Bodenseeforum“ seit der Eröffnung im Aufarbeitung des Falls, dann kann man den Kauf der Immobilie, erklärte er im Herbst 2016 böse abgestürzt. 20 Millionen am Bodensee den Eindruck bekommen, dass der frü- Gemeinderat. Nur zwei Dinge würde er Euro hat die Stadt in den Kauf und Umbau here Berater Michel Maugé weitgehend demnach anders machen: Die vorgelegten einer ehemaligen Fabrikhalle investiert, schalten und walten konnte, wie es ihm Zahlen des Beraters kritischer hinterfra- vier Geschäftsführer haben es in zwei Durchgeboxt als „Jahrhundertchance“, vorerst gefiel. gen und dem Projekt nach dem Kauf und Jahren nicht geschafft, das groß angekün- Das ganze Desaster jetzt aber nur einem vor der Eröffnung mehr Zeit für die Ent- digte Kongress- und Tagungsgeschäft ins geendet als Millionengrab: Das Bodenseeforum Berater anzulasten, wäre zu einfach. Der wicklung geben. Laufen zu bringen. Die Einnahmen blie- in Konstanz zeigt exemplarisch, wie Kommunen Gemeinderat hat auch seinen Anteil da- Für den OB bleibt der Fall heikel: ben zu gering, die Kosten galoppierten ran: Wesentliche Beschlüsse zu Kauf und Scheitert das Bodenseeforum endgültig, davon. Aktuell hat das Haus ein jährliches an Großprojekten scheitern können. Umbau der Fabrikhalle sind mit großer sinken die Chancen für seine Wiederwahl Defizit von rund 2,8 Millionen Euro. Der Mehrheit gefasst worden. Einzig die Linke 2020 dramatisch. Also will er nun einen Blick in die Zukunft ist nicht wesentlich Liste hat sich immer klar gegen das Pro- Neustart beim Veranstaltungshaus. Eine rosiger: Insider gehen davon aus, dass Von Michael Lünstroth jekt gestellt. Haben sich die restlichen ge- Klausurtagung im Frühjahr 2019 soll Zu- man auch in den kommenden Jahren mit wählten Vertreter blenden lassen? Anselm kunftsszenarien für das Haus entwickeln, einem Minus zwischen 2 und 2,5 Millio- Venedeys (Freie Wähler) Antwort darauf Ergebnisse sollen im Sommer vorliegen. nen Euro rechnen muss. Pro Jahr. Erste sich von dem Projekt abgewendet, auch vergangenen Oktober. Wirtschaftlich ge- ist bemerkenswert: „Ich hatte von An- Neue Geschäftsführerin soll zumindest Reaktion darauf: Ende Dezember wurde in der Politik schwindet der Rückhalt. sehen ist die Bilanz vernichtend: Statt der fang an Bedenken bei dem Projekt. Aber übergangsweise Ruth Bader werden. Die mit Jochen Lohmar der vierte Geschäfts- Selbst aus bürgerlichen Kreisen hört man in der Planung bereits für 2018 vorher- ich habe wie viele andere wahrscheinlich 44-Jährige war bis zuletzt Organisations- führer des Hauses gefeuert. inzwischen Sätze wie diesen: „Man hät- gesagten Gewinne wird das Finanzloch auch gehofft, dass es schon funktionieren chefin des Konziljubiläums in Kons- Schon die Vorgeschichte des Bodensee- te das Haus zum 1. Januar dichtmachen Jahr um Jahr größer. Das macht diese würde“, so der Stadtrat offen. tanz. Sie ist erfahren im Veranstaltungs- forums war schwierig (Kontext berichte- sollen, um nicht weiter Geld zu verbren- Geschichte auch zu einem Beispiel dafür, Die größte Verantwortung für das Pro- management, aber unerfahren im Kon- te in Ausgabe 307), nach der Eröffnung nen“, sagt Anselm Venedey, Stadtrat der wie Politik sich Millionenprojekte schön jekt liegt beim Oberbürgermeister. Uli gressgeschäft. Ob sie dem angeschlagenen wurde es eher noch komplizierter: Stän- Freien Wähler. Das Haus habe keines der rechnet, wenn sie durchgepeitscht werden Burchardt hat das Vorhaben unter großem Haus wirklich weiterhelfen kann? Bader dige Wechsel im Personal, unzufriedene Versprechen gehalten, die im Vorfeld ge- sollen. Druck durchgesetzt. Selbst wenn man ihm selbst will dazu derzeit noch nichts sagen, Gäste, ausbleibende Nachfrage. Und so macht wurden. zugute halten möchte, dass er das Haus als „weil es nichts zu sagen gibt“, wie sie ge- hat, knapp zweieinhalb Jahre nach der Da ist was dran. Weder wurde das Mit blumigen Zukunftschance für seine Stadt sah, stellt genüber Kontext erklärt. Die Gespräche Eröffnung, die Debatte über die Zukunft Bodenseeforum ein Haus für alle Kon- Versprechungen gelockt sich die Frage, weshalb er vor der Abstim- über ihr mögliches Engagement sind of- des Hauses begonnen. Sämtliche Szena- stanzer, noch brachte es Konzerte und Die Stadt selbst hat in einer knapp 30-sei- mung über den Kauf des Hauses so gro- fenbar noch nicht abgeschlossen. rien von Verkauf bis Neuausrichtung sind Kulturveranstaltungen in die Stadt, die tigen Aufarbeitung des Falls mehrere ßen Zeitdruck aufbaute. Als sei das ganze Bis zu 150.000 Euro will die Stadt er- inzwischen möglich. Für die Stadt und es hier vorher nicht gab, und das ganze Gründe für die Entwicklung ausgemacht: eine Jetzt-oder-nie-Entscheidung. Dabei neut in externe Beratung investieren. Mit- vor allem für Oberbürgermeister Uli Bur- Tagungsgeschäft kam ohnehin nie in Die unglücklichen Personalentscheidun- steckte der damalige Eigentümer der Im- tel, die übrigens aus Mehreinnahmen bei chardt entwickelt sich das Veranstaltungs- Fahrt. Das aufregendste, was bislang in gen, die explodierenden Kosten sowie mobilie, der Solaranlagenbauer Centro- der Vergnügungssteuer stammen. Zumin- und Kongresshaus zunehmend zum De- dem Haus mit Seerhein-Blick stattfand, ein früherer Berater, dem man zu lange therm, mitten im Insolvenzverfahren. Die dest ihren Humor haben die Konstanzer saster. Ein Großteil der Bevölkerung hat war der Landesparteitag der Grünen im vertraut habe. Das ist aber nur ein Teil Stadt hätte locker warten können. noch nicht verloren. 4 SAMSTAG, 12. JANUAR 2019

Alte analoge Stechuhr. Fotos: Joachim E. Röttgers Mehr Kontext online auf kontextwochenzeitung.de:

dort im Abschnitt „Für eine moderne Ar- beitswelt“ wie folgt ausformuliert: „Wir Bahn auf dem Kreuzweg stehen dafür, dass den Wünschen der Be- Es war ein schmerzensreiches Jahr für schäftigten nach mehr Arbeitszeitsouve- die Deutsche Bahn, urteilt der Ver- ränität und den Flexibilitätsanforderun- kehrsexperte Winfried Wolf. Die Lei- gen der Arbeitgeber Rechnung getra- den sind groß, der Kreuzweg ist lang, gen und vorhandene Hürden abgebaut und Stuttgart 21 trägt seinen Teil dazu werden.“ bei. Ein schwerer Gang über sieben Doch nicht nur der DGB bezweifelt, Stationen. dass die Beschäftigten tatsächlich von einem von der CDU flexibilisierten Ar- beitsrecht profitieren würden. Im Land- „Für uns hat auch tag bezeichnete der SPD-Fraktions- und niemand gezahlt“ -Landesvorsitzende Andreas Stoch den Die SPD will per Volksabstimmung ge- Vorstoß und die Argumentation von bührenfreie Kitas durchsetzen. Doch Ministerin Hoffmeister-Kraut als „Schlag schon die erste Unterschriften-Aktion ins Gesicht der Arbeitnehmerinnen und auf dem Stuttgarter Schlossplatz sagt Arbeitnehmer“, das Land brauche Be- einiges aus über die Bereitschaft zur schäftigte, „die unter würdigen Bedin- Solidarität im reichen Baden-Würt- gungen arbeiten und nicht als flexibili- temberg. Von Johanna Henkel-Waid- sierte Arbeitstiere gezählt werden“. hofer Anfang November vermeldeten zwei CDU-Abgeordnete vorschnell, die grün- s

schwarze Landesregierung habe sich auf an Ev

Initiative der Union bereits „auf Eckpunk- te te zur Flexibilisierung der Wochenarbeits- Ka Wen genau sie mit „Wir“ zeit geeinigt“. Sie mussten allerdings zu- meint, konkretisiert die rückrudern, nachdem der Koalitionspart- baden-württembergische ner davon gar nichts mitbekommen hatte. Wirtschaftsministerin Weniger ist mehr Auf Anfrage von Kontext positioniert sich POLITIK nicht weiter. Doch laut die Fraktion der Grünen nun gegen den Nicole Hoffmeister-Kraut Vorstoß der Wirtschaftsministerin: „Eine (CDU) stellen „wir“ in der Wirtschaftsnahe Organisationen wollen die pauschale Ausweitung der Tageshöchst- Praxis fest, „dass moderne Arbeitswelt arbeitszeit auf 12 Stunden lehnen wir ab. und Arbeitszeitrecht in vielen Branchen maximalen Arbeitszeiten in Deutschland „flexibi- Für uns steht der Gesundheitsschutz der Die rote Rosa immer häufiger in Konflikt miteinan- lisieren“. Jetzt hat es die Forderung nach einem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Vor 100 Jahren wurde Rosa Luxemburg der geraten“. Das betonte die Ministerin im Vordergrund“, sagt Andrea Lindlohr, am Ende der Berliner Januarkämpfe Ende November im StZN-Interview. Dem 12-Stunden-Tag in die Politik geschafft – angeblich die wirtschaftspolitische Sprecherin der ermordet. Die Comiczeichnerin Kate Wunsch nach Flexibilität und Arbeits- im Interesse der Beschäftigten. Doch Erfahrungen Grünen im Landtag. Tatsächlich biete das Evans hat ihr eine einfühlsame, fes- zeitsouveränität, den auch Arbeitnehmer bisherige Arbeitszeitgesetz bereits eine selnde und mit Quellen gesättigte äußern würden, will sie wie folgt entspre- aus Österreich zeigen das Gegenteil. Reihe von Möglichkeiten, flexiblere Ar- graphische Biographie gewidmet – die chen: „Sie sollen maximal zwölf Stunden beitszeiten zu vereinbaren, etwa im Be- zugleich ein guter Einstieg in das Werk an einem Tag arbeiten können.“ reich der Landwirtschaft, der Pflege und der Sozialistin ist. Von Oliver Stenzel Einen Monat später verlangt auch der Von Minh Schredle Gesundheitsberufe und im Ruf- und Be- bayerische Wirtschaftsminister Hubert reitschaftsdienst. „Wir sind bereit, dort Aiwanger (Freie Wähler) „endlich mehr Flexibilisierungsmöglichkeiten zu disku- Flexibilität“ im Arbeitszeitgesetz, hier ter Wirtschaftsweiser der Nation keinen Änderungen auch im Interesse der Be- tieren, wo sie nach Ansicht der beteilig- Kontext fördern allerdings (vorerst) beschränkt auf das Abbruch. Er will außerdem den Kündigs- schäftigten stünden, Stichwort: Flexibi- ten Tarif- und Betriebsparteien gebraucht Gastgewerbe, wo sich die „praxisfremden“ schutz weiter lockern, und die Rente mit lisierung. Die Bereitschaft zum 12-Stun- werden. Darum ist es für uns der richtige Unterstützen Sie KONTEXT dauerhaftmit einer rechtlichen Vorgaben „mittlerweile zur 67 ist für ihn „nicht zukunftsfähig“. den-Tag sei zudem freiwillig. Doch nur Weg, die Rolle der Sozialpartner im Ar- regelmäßigen Spende von 10,00 €/Monat – Wachstumsbremse“ entwickelt hätten. Laut dem Deutschen Gewerkschafts- wenige Wochen nach Inkrafttreten der beitszeitgesetz zu stärken“, so die Grüne. gerne auch mehr. Sie finden das Soli-Formular unter www.kontextwochenzeitung.de/soli. Ganz neu sind diese Gedanken nicht. bund (DGB) Baden-Württemberg hätten Gesetzesänderungen deckte die österrei- Und Bernd Riexinger, der Voristzende Gerne schicken wir Ihnen auch per Post oder Und auch die Wortwahl wirkt passagen- „diejenigen, die sich nun als Speerspitze chische Bundesarbeitskammer (AK) be- der Linkspartei, kommentiert: „Mit ihrer E-Mail ein Formular zu. weise eigenartig vertraut. Eine restrik- vermeintlicher Beschäftigteninteressen reits extreme Missbrauchsfälle auf. Forderung macht sich die Wirtschafts- tive, realitätsfremde und rückständige inszenieren, ausschließlich die betriebli- ministerin zur Handlangerin der Arbeit- Unser Spendenkonto bei der GLS Bank: Gesetzgebung soll modernisiert werden, chenInteressenimSinn“. Pressesprecherin Erzwungene geberverbände.“ Stattdessen solle die wö- IBAN: DE8043060967 7011 850600 damit die Wirtschaft wächst und alle Andrea Gregor erläutert im Gespräch mit Freiwilligkeit chentliche Arbeitszeit laut dem Stuttgarter BIC: GENODEM1GLS von mehr Flexibilität (sprich: Deregulie- Kontext, dass zwar das Narrativ bemüht So veröffentlichte die AK Auszüge aus Bundestagsabgeordneten besser reduziert KONTEXT e. V. ist gemeinnützig, Sie erhalten rung) profitieren können? Da haben na- werde, mehr Flexibilität stelle eine Win- Dienstverträgen, in denen es heißt: „Der werden, etwa auf 30 Stunden, sodass „Le- automatisch zum Jahresanfang eine Spenden- türlich auch die üblichen Verdächtigen Win-Situation für alle Beteiligten dar. Arbeitnehmer erklärt seine ausdrückliche ben und Arbeiten, Verantwortung und bescheinigung. Teilen Sie uns dazu bitte Ihre ihre Finger im Spiel. Denn arbeitgeber- „Dabei wird aber ausgeblendet, wer die und freiwillige Bereitschaft, bei Vorlie- Zeit für Kinder und Freundschaften und Adresse mit. Wenn Sie Fragen haben, senden nahe Organisationen, insbesondere der Gestaltungshoheit über die Arbeitszeiten gen eines erhöhten Arbeitsbedarfes eine gesellschaftliches Engagement in Ein- Sie uns eine E-Mail an verwaltung@kontext- Deutsche Hotel- und Gaststättenverband hat.“ In der betrieblichen Realität werde Tagesarbeitszeit von bis zu 12 Stunden klang gebracht werden können.“ wochenzeitung.de oder rufen Sie uns an (Dehoga), fordern genau das in Bezug auf das meist nicht gleichberechtigt ausgehan- sowie eine Wochenarbeitszeit von bis zu Eine solche Tendenz, die Arbeitszeiten unter Telefon 0711 66486548. Arbeitszeiten bereits seit Jahren. „Das delt, sondern vom Arbeitgeber bestimmt. 60 Stunden leisten zu wollen.“ Wie eine lieber zu verringern als auszubauen, ist deutsche Arbeitszeitgesetz war gut für Und auch der DGB-Landesvorsitzende Sprecherin der AK gegenüber Kontext derzeit in Skandinavien zu beobachten. Impressum das Industriezeitalter“, schrieb auch der Martin Kunzmann schreckt nicht vor prognostiziert, werde sich das Ausmaß Im November 2017 berichtete Reinhard Ökonom Christoph Schmidt in einem deutlichen Worten zurück: „Berge unbe- der Problematik in den kommenden Mo- Wolff in der „taz“ über Erkenntnisse aus KONTEXT:Wochenzeitung Gastkommentar für die „Süddeutsche zahlter Überstunden, Arbeit auf Abruf, naten noch deutlicher abzeichnen: „Viele Schweden: „Hier gilt der Achtstundentag ist unabhängig. Sie wird Zeitung“ bereits im November 2017: „Für permanente Arbeitsverdichtung sowie Menschen wollen weiterhin in ihrem Job schon länger nicht mehr als der Weisheit von keinem Wirtschafts- die digitale Welt taugt es nicht mehr.“ gravierende Mängel beim Arbeits- und arbeiten und durchhalten, bis es nicht letzter Schluss. Man hält auch nichts von unternehmen oder anderen Es sei zudem „deutlich restriktiver, als Gesundheitsschutz – das sind doch die mehr geht.“ Es sei aber davon auszuge- einer ‚Flexibilisierung‘, die die tägliche Lobbyisten finanziert. es die EU-Arbeitszeitrichtlinie zulassen Probleme, unter denen viele Beschäftigte hen, dass immer mehr Beschäftigte unter Arbeitszeit faktisch nur ausweiten würde. Getragen wird sie von Men- würde“, und „Arbeitnehmer brauchen jeden Tag leiden.“ Für Kunzmann wäre der zunehmenden Arbeitslast zusammen- Allerdings haben die Skandinavier gute schen, die wissen, dass eine und wollen mehr Flexibilität.“ Schmidt, es wichtiger, hier den Hebel anzusetzen brächen. Erfahrungen mit dem Sechsstundentag freie Presse das Brot der Demokratie ist. Vorsitzender des fünfköpfigen Sachver- und lieber gegen bestehende Rechts- „In Sachen Arbeitszeit wurden die For- bei gleichem Lohn gemacht.“ KONTEXT:Wochenzeitung erscheint ständigenrats zur Begutachtung der ge- brüche bei der Überschreitung maxima- derungen der Industriellenvereinigung Der verblüffende Befund, den Modell- mittwochs online auf www.kontextwochen- samtwirtschaftlichen Entwicklung (oft als ler Arbeitszeiten vorzugehen, „anstatt fast wortgleich ins Koalitionsprogramm versuche im Pflegebereich lieferten: Bei zeitung.de und samstags als Beilage der taz. „Wirtschaftsweise“ bezeichnet), argumen- auf die Legalisierung von zwölfstündigen übernommen“, berichtet der „Tagesspie- verringerter Arbeitszeit stieg die Produk- Herausgeber: KONTEXT Verein für Ganzheit- tiert, der Gesetzgeber dürfe „den Beschäf- Mega-Schichten zu dringen“. Nach Ein- gel“ über die Gesetzgebung der Regierung tivität. Denn ArbeitnehmerInnen, die we- lichen Journalismus e. V., Hauptstätter Str. 57, tigten ruhig mehr Selbstbestimmtheit zu- schätzung des DGB sei das Arbeitszeit- unter Sebastian Kurz. Eine Kostprobe aus niger unter Stress leiden, sind motivierter, 70178 Stuttgart, Telefon: 071166486548, trauen“. Das ist ihm so wichtig, dass er es gesetz in seiner bestehenden Form zudem dem Koalitionsvertrag: „Flexible Arbeits- zufriedener, seltener krank und ihnen un- [email protected] in seinem nur neun Absätze umfassenden „alles andere als verstaubt“. Und „hoch- zeitmodelle sind unter Bedachtnahme auf terlaufen weniger Fehler. Eine echte Win- Der Verein wird vertreten durch die Vorstands- mitglieder Uli Reinhardt (Vors.), Anni Endress, Kommentar gleich drei Mal erwähnt. flexible Arbeitszeitmodelle“ mit „vielen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteres- win-Situation. Jürgen Klose und Johannes Rauschenberger. Ausnahmemöglichkeiten für verschiede- sen im Sinne einer Win-win-Situation Redaktion: KONTEXT:Wochenzeitung, Ausgeblendet, wer die ne Berufe und Branchen“ ermögliche das auszubauen.“ Das klingt bekannt: Angeb- Arbeitszeiten bestimmt Hauptstätter Str. 57, 70178 Stuttgart, Gesetz schon heute. lich sollten alle profitieren. Und an an- Telefon: 071166486548, Fax: 0711 66486547, Bemerkenswert ist dabei, dass Schmidt Im Interview mit den StZN will Wirt- derer Stelle klingt es fast, als habe man [email protected] die Verlängerung der maximalen Arbeits- schaftsministerinHoffmeister-Kraut zwar beim Wirtschaftsweisen Schmidt abge- Redaktionsleitung: Susanne Stiefel (verantw. zeiten als Interesse der Beschäftigten dar- „ganz klar betonen“, dass es ihr „nicht um schrieben: „Die österreichischen Arbeits- gem. §8 PresseG BW/§55 RStV.) stellt. Denn in der Vergangenheit tat sich eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit“ zeitregelungen sind deutlich restriktiver, Produktion: Michael Uszinski, Berlin der neoliberale Ökonom vor allem durch gehe. So solle die „durchschnittliche wö- als die Europäische Arbeitszeit-Richtlinie Druck: prima Rotationsdruck Nord GmbH & Co. arbeitgebernahe Positionen hervor. 2013 chentliche Höchstarbeitszeit“ unberührt vorgibt.“ (Zur Erinnerung die Schmidt- KG, 19243 Wittenburg; A. Beig Druckerei und bezeichnete er die Forderung nach einem bleiben, und was darüber hinausgehe, sche Variante: „Sie [die Regelungen zur Verlag GmbH & Co. KG, 25421 Pinneberg; gesetzlichen Mindestlohn in einem Gast- müsse „wie bisher innerhalb einer Sechs- Arbeitszeit] sind deutlich restriktiver, MDV GmbH & Co. KG, 35390 Gießen beitrag für die „Bild“-Zeitung als „Spiel monatsfrist ausgeglichen werden“. In als es die EU-Arbeitszeitrichtlinie zulas- Die Redaktion übernimmt keine Haftung für mit dem Feuer“. Die Argumentation: „Je- Österreich, wo der 12-Stunden-Tag seit sen würde“). Übrigens: Wie auch in den unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos der Arbeitsplatz muss sich wirtschaftlich dem vergangenen Herbst bereits Realität Worten der baden-württembergischen und Illustrationen. KONTEXT:Wochenzeitung tragen, sonst fällt er weg. Daher muss der ist, zeigt sich jedoch, dass die Belastung Wirtschaftsministerin hieß es damals aus und alle in ihr enthaltenen Beiträge sind Mindestlohn niedrig angesetzt werden: für viele Beschäftigte seither drastisch zu- Österreich, an der wöchentlichen Durch- urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme 8,50 Euro ist entschieden zu hoch.“ genommen hat. schnittsarbeitszeit werde sich nichts ver- der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Dass sich die Schwarzmalerei vom Im Nachbarland wurden Warnungen ändern. Verwertung ohne Einwilligung der Redaktion Mindestlohn als Beschäftigungsbremse vor einer Verlängerung der Arbeitszeiten Ein Blick auf die Wortwahl hierzulan- strafbar. Alle Anbieter von Beiträgen, Fotos nicht im mindesten bewahrheiten sollte als Panikmache und Schmutzkampagnen de und den grün-schwarzen Koalitions- und Illustrationen stimmen der Nutzung in der und er mit seiner Prognose völlig daneben abgetan. Die Regierungsparteien ÖVP vertrag. Leicht paraphrasiert wird die Möchte 12-Stunden-Tag: CDU-Wirt- KONTEXT:Wochenzeitung-Printausgabe, im lag, tat Schmidts Expertenruf als obers- und FPÖ versprachen zudem, dass die Absicht, das Arbeitsrecht zu deregulieren, schaftsministerin Hoffmeister-Kraut. Internet, auf DVD sowie in Datenbanken zu. ein Projekt der taz sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 Panter Stiftung

Staatspräsident Erdoğan versichert beharrlich, dass es keine Wirtschaftskrise gibt. Doch die Menschen leiden. Der Metzger von Maltepe kann ein Lied davon singen

Muharrem Culhas Metzgerei ist eine der beliebtesten im Viertel. Nun wartet er auf Kund*innen Foto: Vedat Arık

Am liebsten Was ist die Stiftung?

Die taz Panter Stiftung wurde 2008 gegründet, um die Erfahrungen von HackfleischVon Pelin Ünker unabhängigem Journalismus weiterzugeben. Sie unterstützt JournalistInnen aus Ländern, in denen lumentöpfe und Fotos mit Gu- Woche vier Kälber gekauft, heute nur noch stalt für Fleisch und Milch. Denn die wirft die Pressefreiheit eingeschränkt ist. lasch und Steak dekorieren die zwei, sagt er. billig Importfleisch auf den Markt, um die 3.500 SpenderInnen Mehr als haben Wände, daneben hängt die Leute bei Laune zu halten – und er bleibt auf 100 journalistische inzwischen fast Preistafel. Seit dreißig Jahren Dann brach auch noch seinem Fleisch sitzen. Und dann brach auch Projekte arbeitet Muharrem Culha, 44, noch eine Seuche aus. Die Behörden muss- finanziert. in der kleinen weißgekachel- eine Seuche aus ten eine Anlage im Ankaraner Landkreis Bten Metzgerei in Maltepe, einem der ältes- Gölbaşı, wohin ein Teil von 6.968 Stück ten Viertel auf der asiatischen Seite von Is- Statt hundert Kund*innen am Tag kom- Schlachtvieh aus Brasilien und Irland ver- Weitere Informationen zu den tanbul. Hin und wieder kommen an diesem men nun nur noch fünfzig in seine Metz- frachtet worden war, am 27. August wegen Projekten der taz Panter Stiftung Tag Kund*innen, die meisten verlangen gerei. Und die schauen genau auf die Preise, Milzbrandes schließen. Anfang September finden Sie unter: Huhn und Hackfleisch. die Culha immer wieder neu an die Tafel meldeten sich im Bezirk Silivri von Istanbul Culha fing in jungen Jahren bei seinem schreibt – Tendenz nach oben. Wer früher 48 Personen mit Verdacht auf Milzbrand www.taz.de/stiftung Vater in der Metzgerei an, dann übernahm ein Kilo Gulasch erwarb, kauft heute noch in Kliniken. er sie und machte sie zu einer der belieb- ein halbes oder auch nur 400 Gramm. Filet­ testen im Viertel. Als jüngst die Devisen- kostet 12 Euro, Kotelett 11 und Gehacktes Fleisch, das vom Opferfest kurse durch die Decke gingen, brach sein rund 7 Euro pro Kilo. Geschäft ein. „Herrscht derzeit eine Krise?“ übrig geblieben ist Was ist taz gazete? Die Frage verblüfft ihn. „Wie jetzt, gibt es etwa keine Krise?“ Deshalb kauften die Leute derzeit lieber Wirtschaftskrisen treffen die kleinen weißes Fleisch, sagt Metzger Culha. Der Leute zuerst, etwa die Menschen in Mal- Preis für Hühnerfleisch stieg in letzter Zeit taz gazete ist die zweisprachige tepe. Und sie treffen die kleinen Handwer- um rund 20 Prozent. Pressefreiheit ker, zum Beispiel den Metzger im Ort. In Besuchen Sie Erdem Yılmaz kommt herein. Er ist Mitte Onlineplattform für seinem Laden ist jene Krise, die Präsident siebzig und will sein vom Opferfest üb- in der Türkei. das deutsch-türkische Ein dichtes Recep Tayyip Erdoğan heftig abstreitet, wie rig gebliebenes Fleisch schneiden lassen. Korrespondentennetzwerk mit zum unter einem Mikroskop zu beobachten. „Diesmal bitte Gulasch“, sagt der alte Mann. Webportal unter Teil arbeitslosen KollegInnen in und www.gazete.taz.de Er studiert die Preisschilder, kaufen will er Culha verkauft nur noch aber nichts. Früher, sagt er, hätten sie in aus der Türkei ist entstanden und der Familie alle zwei Tage Fleisch gegessen, liefert wöchentlich neue Geschichten. zwei Kälber pro Woche jetzt kommt es nur noch höchstens einmal in der Woche auf den Tisch. „Ich bin Rent- Culha verkauft vor allem heimisches „Am liebsten kaufen die Leute Hack- ner. Ich kümmere mich um zwei Enkelkin- Fleisch: An den Wänden seines Geschäfts fleisch“, sagt Culha. Er verkaufe inzwischen der. Das Leben ist schwer. Ich lebe in einer hängen Zertifikate regionaler Produktion. nicht mehr als vier Filets in der Woche, vor eigenen Wohnung, aber ich komme trotz- Bitte spenden Sie! Sie stammt aus der Gegend Balıkesir in einem Jahr waren es noch acht. Jeder Türke dem nicht über die Runden.“ der Westtürkei. Er kauft zum Beispiel für und jede Türkin hatte 2017 rund 257 Euro Metzger Culha zerhackt das Fleischstück. 35 Lira (umgerechnet ca. 5 Euro) pro Kilo im Monat zum Ausgeben. Er verlangt dafür rund 40 Cent pro Kilo. Kalbfleisch vom Schlachthof ein. Das ist Culha muss nun sparen, was nicht im- Viele Menschen bringen in diesen schwe- viel mehr als früher. Aber auch die Bau- mer möglich ist. Die Kühlaggregate zum ren Zeiten ihre Opfergaben – und anstatt, taz Panter Stiftung ern müssen leben, Futter, Düngemittel Beispiel müssen ununterbrochen brum- wie die religiöse Tradition eigentlich ver- und Treibstoff sind teurer geworden. Denn men. Vor einem Monat bezahlte er für langt, einen großen Teil davon den Armen GLS-Bank Bochum mit dem Anstieg der Devisenkurse müssen Strom noch fast 86 Euro, in diesem Mo- und Nachbarn zu spenden, essen sie das IBAN: DE97 4306 0967 1103 7159 00 die Türk*innen für ausländische Produkte nat waren es 150. Also dürfen seine bei- ganze Fleisch selbst. BIC: GENODEM1GLS mehr bezahlen, etwa für Importfutter. den Kinder nicht mehr mit dem Schulbus Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe www.taz.de/spenden In den letzten sechs Monaten verteuer- zur Schule fahren, der kostete rund 28,50 Jede Spende zählt! ten sich die Preise von rund 7 auf 12 Euro Euro im Monat. Nun müssen sie den öffent- Dieser Artikel ist im zweiten gazete-Journal Ihre finanzielle Unterstützung pro Kilo. Entsprechend stiegen die Fleisch- lichen Bus nehmen. erschienen. Sie können das Magazin unter preise. Und Culhas Absatz brach um die Eines der größten Probleme für den kann steuerlich geltend diesem Link bestellen oder als E-Paper hier Hälfte ein. Vor zwei Jahren habe er pro Metzger von Maltepe ist die staatliche An- gemacht werden. im E-Kiosk downloaden. 41

Bradley Secker fotografierte syrische Flüchtlin- ge in der Türkei mit den Schlüsseln ihrer zurückgelas- senen Häuser in der Hand. Alle Bilder hier zeigen Schlüssel von Häusern in Aleppo, wo auch Widad Nabi lebte. Mehr aus der Fotoserie Syrian Nakba unter www.bradleys- ecker.com Fotos: Bradley Secker/laif

sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  berlin taz am wochenende btaz

2015 flüchtete die kurdische Dichterin Widad Nabi aus Syrien nach Berlin. Interview auf den Seiten 46 und 47 Der Ort von Erinnerung beleuchtet

Auf dem Weg zu deinem neuen Zuhause gibt es eine lange Straße der Sehnsucht, du wirst dort ewig entlanglaufen.

Anzeige Berührst du das harte Metall Anzeige schaf irt t a w n d d des Busses hier, n e r

a s L wächst dort eine Narzisse auf dem Metallgriff deiner Haustür. UNSER GRÜNE WOCHE E So bleiben die Häuser ihren DIE GRÜNE BUNDESTAGSFRAKTION LÄDT EIN: vertriebenen Besitzern treu. Mo, 14. – Sa, 19. Januar, Fr, 18. Januar, 15.30 Uhr, Diskussion Fotoausstellung von Ines Meier Agrarökologie stärken! Für eine Tellerrand zukunftsgerichtete Politik & Praxis Mitten im Schlaf EUROPA À LA CARTE! Mo, 14. Januar, 19 Uhr, Vortrag Sa, 19. Januar, 12 Uhr wachst du jede Nacht auf. Gentechnik – Alles neu? Demo – Der Agrarindustrie den Der Wasserhahn tropft immer noch Was essen wir morgen? Geldhahn abdrehen! Di, 15. Januar, 19 Uhr, Diskussion Brandenburger Tor in deiner alten Küche. EU Agrarpolitik: Konferenz am 19. Januar 2019 Ein Blick über den Tellerrand Sa, 19. Januar, ab 14.30 Uhr im Deutschen Bundestag Suppn’ Talk – Aufwärmen, Genießen, Mi, 16. Januar, 19 Uhr, Vernetzen und Diskutieren in der Das Leben wird nicht so schlimm, Lesung mit Krimiautor Oliver Bottini Heinrich-Böll-Stiftung nach der Demo es schenkt dir ein neues Haus. Anmeldung und Information: Tod in den stillen Winkeln des gruene-bundestag.de/alacarte Lebens – Landraub in Rumänien Di, 22. Januar, 19 Uhr, Diskussion Aber deine Seele bleibt ein Wolf, Ein giftiges Geschäft – Kleinbauern #igw19 Do, 17. Januar, 18 Uhr, Diskussion im Fokus der Agrarindustrie der jede Nacht heult Nach dem Hype: Und wie retten wir jetzt die Insekten? boell.de/landwirtschaft-anders auf der Stufe deines alten Hauses.

Ort (wenn nicht anders angegeben): Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, 10117 Berlin Auszug aus „Der Ort von Erinnerung beleuchtet“ Info: T 030.2 85 34-312 E [email protected] www.boell.de von Widad Nabi sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  42 das bleibt taz am wochenende

Ein Nicht deutliches unbedingt Signal gerechter Was wird Die AfD Brandenburg hat Änderung im ihre Kandidaten gekürt aus dem Haushaltsgesetz igentlich ist sie nur kon- anchmal verbirgt sich sequent, die Liste, mit der Dorfplatz? hinter vermeintlich die Brandenburger AfD kleinen Streitereien E in den Wahlkampf zieht. Eine Räumungsklage M ein weit grundsätz- Das geht Am vergangenen Wochenende bedroht die Liebig34 licheres Problem. Das ist auch kürte die Partei im südlich von in Pankow der Fall, dort sorgte auf Kosten Berlin gelegenen Rangsdorf ihre a fragen einen die Be- der Konflikt um die Finanzie- Kandidaten. Den Spitzenplatz sucherInnen beim rung des Kinderbauernhofs vieler konnte sich, wenn auch mit ei- Spaziergang über die Pinke Panke in der vergange- die woche in berlin nigen Gegenstimmen, der Par- D Rigaer Straße: „Wo nen Woche für Aufregung. Der teichef Andreas Kalbitz sichern. ist denn jetzt eigentlich die- Bezirk wollte die Unterstützung Mehrheit für Enteignung Kalbitz war in den neunzi- ser Dorfplatz?“ Zugegeben, im für dieses Jahr um die Hälfte zu- von Großvermietern ger Jahren Mitglied der Repub- Lichte eines gewöhnlichen Tages rückfahren, dem Bauernhof hät- Mit dieser ehr als die Hälfte der likaner, 2007 nahm er an einem sieht die Kreuzung Rigaer Ecke ten damit auf einen Schlag rund Berliner ist dafür, Treffen der inzwischen verbote- Liebigstraße recht unscheinbar 40.000 Euro an Projekt- und Ho- große Wohnungsun- nen rechtsextremen Kaderorga- aus. Eine Bäckerei auf der ei- norarmitteln gefehlt. Doch eine Doppelspitze M ternehmen zu enteig- nisation Heimattreue Deutsche nen Seite, ein Kinderladen auf im Dezember noch ins neue nen, nur gut ein Drittel ist da- Jugend teil, er war Mitglied im der anderen, dazwischen ein Ze- Haushaltsgesetz gerutschte Er- gegen. Das sagt eine am Diens- völkischen Witikobund und brastreifen. gänzung schob diesen Plänen vollzieht die tag veröffentlichte Umfrage, die noch bis 2015 Vorsitzender ei- Das berüchtigte Hausprojekt einen Riegel vor: Die Abgeord- der Tagesspiegel in Auftrag ge- nes rechtsextremen Kulturver- Rigaer94 ist ein Stück entfernt, neten von Rot-Rot-Grün hatten geben hatte. Die Frage ist: War eins. In der AfD gehört er zum und wahrscheinlich wäre dies beschlossen, dass die Bezirke Brandenburger­ denen, die sich so festlegten, „Flügel“ um den thüringischen hier tatsächlich eine ganz ge- bewusst, was das kostet, weil ja Fraktionschef Björn Höcke, und wöhnliche Straßenkreuzung, Projekte ohne eine Entschädigung fällig wäre? wer sich anhört, was Kalbitz in wäre da nicht das Eckhaus Lie- AfD,was sie über Und – noch wichtiger – auf wes- seinen Reden auf den Kyffhäu- bigstraße 34: bunt bemalt, da- Lobby könnten sen Kosten ein entsprechendes sertreffen, der Zusammenkunft zwischen noch das Graubraun am Ende die Volksbegehren ginge? Es liegt dieser Parteigliederung, so ins der DDR-Fassade, beflaggt mit die letzten Jahre nahe, dass dem nicht so war – Mikrofon sagt, kann hinter- Solidaritätsbekundungen von Verlierer sein und dass ein Unternehmens- her jedenfalls nicht behaupten, anderen und dem eigenen verbandschef recht hat, der die nichts von den Deportationsfan- queer-feministischen Projekt. nicht mehr aus der Finanzie- vorbereitet hat: Umfrage damit kommentierte, tasien der AfD-Funktionäre ge- Ende Dezember lief der Pacht- rung von Projekten aussteigen genauso hätte man auch nach wusst zu haben. vertrag aus, in dieser Woche hat können, wenn die Landesebene Freibier für alle fragen können. Noch bemerkenswerter aber der Eigentümer Räumungsklage diese kofinanziert. Pankows Ju- den endgültigen Natürlich wäre es schön, mehr ist der zweite Listenplatz: Mit eingereicht. gendhilfeausschuss musste am Wohnungen in staatlicher Hand kaum weniger Stimmen als Kal- Man könnte dieses Haus als Dienstag die im November be- und damit mehr Einfluss auf bitz wählten die AfD-Delegier- letzte Bastion an einem Ort be- schlossenen Kürzungen zurück- Schulterschluss den Wohnungsmarkt zu haben ten den Labormediziner Chris- trachten, an dem sich Demons- nehmen. Das dürfte aber via Enteignung toph Berndt. Der Charité-An- trationen sammeln, Kundge- Böses Jugendamt, armer Bau- trotz anderslautender Einschät- gestellte zog erst vor wenigen bungen veranstaltet und Stra- ernhof, richtiger Vorstoß von mit Jahren von Berlin in den Spree- ßenfeste gefeiert werden oder Rot-Rot-Grün? So einfach ist es War denen, die wald und begann dort prompt einfach standesgemäß herum- nicht. Der Grundgedanke leuch- mit der rassistischen Mobilma- gelungert wird, ein Bier auf der tet zwar ein: Die Bezirke sollen sich so festleg­ chung gegen eine Flüchtlingsun- Hand aus dem Bäckerladen, der sich nicht aus der Verantwor- rechtsextremen ten, bewusst, terkunft. Bekannt wurde er als auch Späti ist und es sich einst tung stehlen können, wenn das Chef des Vereins Zukunft Hei- mit Polizisten verscherzte, weil Land zuschießt – um dann mit was das kostet? mat, der mobilisierungsstärks- er ihnen den Klogang verwehrte. dem Geld irgendwo anders ein Bewegungen ten flüchtlingsfeindlichen Ini- Das ist der Dorfplatz. Haushaltsloch zu stopfen. zung der Initiative, die hinter tiative in Deutschland nach Pe- Tatsächlich sorgt die Ge- dem Volksbegehren steht, einen gida, die ihren Schwerpunkt im Baustadtrat setzesänderung jedoch nicht zweistelligen Milliardenbetrag Frühling 2017 nach Cottbus ver- zwangsläufig für mehr Gerech- Malene Gürgen kosten. Die Hauptbetroffene, die legte und dort im letzten Win- Florian Schmidt tigkeit. In Pankow müssen nun über die Spitzenkandidaten der AfD in Brandenburg Deutsche Wohnen, bewertet ihre ter Demonstrationen mit meh- glaubt noch an fünf andere Projekte – etwa ein rund 100.000 Wohnungen in reren tausend Teilnehmern ver- Mädchentreff und ein Club für Berlin mit 15,6 Milliarden Euro. anstalten konnte. eine Lösung benachteiligte Jugendliche –, die Und das Volksbegehren zielt ja Mit dieser Doppelspitze – und sich über die Pinke-Panke-Gel- nicht nur auf sie, sondern noch weiteren Kandidaten, die eben- Vieles hat sich hier schon der gefreut hätten, wieder ban- Beruht die Zustimmung vieler Berliner auf mutmaßlich rund zehn an- falls aus außerparlamentari- gewandelt, was dem Gelegen- gen: nämlich darum, dass der dere Unternehmen mit mehr als schen rechten Initiativen stam- heits-Besucher entgehen mag. Bezirk die schon versprochenen zur Enteignung großer Immobilien­ 3.000 Wohnungen in der Stadt. men – vollzieht die Brandenbur- An der Liebigstraße 14, da, wo Mittel noch irgendwo anders im konzerne auf einem Mangel an Der komplette Haushalt des ger AfD, was sie über die letzten jetzt besagter Kinderladen re- Haushalt findet. Landes Berlin für dieses Jahr ist Jahre vorbereitet hat: den end- sidiert, erinnert nur eine un- Pankows Jugendstadträtin Information? Eine Änderung des Berliner mit 29,3 Milliarden Euro noch gültigen Schulterschluss mit scheinbare Plakette deutlich Rona Tietje (SPD) ist zwar opti- Haushaltsgesetzes setzt die Bezirke nicht mal doppelt so groß – für rechtsextremen Bewegungen. über Blickhöhe daran, dass auch mistisch und guten Willens, wie alles, vom Kugelschreiber übers Wie kaum ein anderer Landes- dies einst ein politisches Haus sie der taz sagt. Das ist einer- unter Druck. Wenn die Brandenburger Beamtensalär bis zum Feuer- war. Bis zu 2.500 PolizistInnen seits schön, und es zeigt auch: AfD mit ihren Rechtsaußen- wehrauto. Natürlich könnte Bewegung heißt sollen im Jahr 2011 bei der Räu- Wenn eine gewisse öffentlich- man künftig auf jegliche Schul- mung des hier damals ansässi- keitswirksame Aufmerksam- Spitzenkandidaten Wahlerfolge erzielen dentilgung verzichten und statt- in diesem Fall gen Hausprojekts beteiligt ge- keit entsteht – die Pinke-Panke- kann, wird das bundesweit zum üblen dessen jährlich eine Milliarde nun mal meist wesen sein. Und der schwarze Leute waren da mit Protestaktio­ Euro zur Entschädigung nut- Asphalt, der die alten Gehweg- nen und einer Onlinepetition Signal an die Partei. Dem queer- zen. Aber bleibt jedes Jahr so rechtsextrem platten rund um den Dorfplatz recht erfolgreich –, kann diese feministischen Hausprojekt Liebig34 viel Geld übrig? aufs Hässlichste einsäumt, ist Gesetzesänderung positiven Und ja, Wohnraum ist ein verband hat sich der Branden- noch keine zwei Jahre alt. Er Druck erzeugen. So mancher droht die Räumung schützenswertes Gut. Aber was burger dafür eingesetzt, dass soll die wurfgeschosstauglichen Stadtrat oder so mache Stadträ- ist mit Schule, Bus und Bahn, die AfD Bewegungspartei sein Pflastersteine ersetzen, die hier tin entdeckt da vielleicht doch Sicherheit? Alle können mehr soll – und Bewegung, das heißt eigentlich mal lagen. noch einen Notgroschen im Be- Geld gut gebrauchen. Und an- in diesem Fall nun mal mindes- Auch das Projekt Liebig34 zirkssäckel. geblich fehlen mehrere Tau- tens rassistisch, meist rechtsext- sollte schon längst weichen, Das muss aber nicht immer send Polizisten, deren Bezah- rem, oft neonazistisch. Sollte die nach dem Willen des Eigentü- so laufen. Was die Änderung lung auch jenseits der Milliar- Partei, die momentan gemein- mers, der berüchtigten Familie im Haushaltsgesetz also vor al- dengrenze läge. sam mit der SPD in Umfragen Padovicz. Noch weigert sich das lem schafft: dass am Ende ein- Allein diese Zahlen erschla- auf Platz 1 liegt, mit dieser Stra- Kollektiv. Und auch Bezirksbau- zelne Projekte und Vereine die gen einen. Mit welchem Recht tegie an die Regierung kom- stadtrat Florian Schmidt (Grüne) Leidtragenden sein können. soll eine einzelne politische Ent- men, ist das auch ein Signal an glaubt trotz Räumungsklage an Orte wie der Kinderbauern- scheidung mit viel höheren Kos- den Rest der Partei. Im Osten so- eine Lösung im Sinne aller Be- hof Pinke Panke verfügen über ten Vorrang haben? Eine, von wieso, aber auch darüber hinaus. teiligten. eine große Strahlkraft und eine der eine Minderheit über eine Malene Gürgen Man braucht viel Fantasie, auch politisch gut vernetzte El- hoffentlich verträgliche Miete um sich vorzustellen, wie er ternlobby, die öffentlichkeits- profitiert. Aber fahren nicht einen renditeorientierten Im- wirksame Proteste auf die Beine noch mehr S-Bahn? Gehen nicht mobilienunternehmer und ein stellen können. Bei einem Mäd- mehr zur Schule? Und mit wel- anarcha-queer-feministisches chentreff oder einem kleinen Ju- chem Geld soll das Land dann Wohnprojekt, das mit allen Ob- gendclub sieht das anders aus. noch neue Wohnungen bauen? rigkeiten auf Kriegsfuß steht, Anna Klöpper Man kann das anders sehen unter einen Hut bringen will. und einer Enteignung mit mil- Gelingt dies nicht, dann wird liardenschwerer Entschädigung die Frage „Wo ist denn jetzt ei- den Vorrang geben – man sollte gentlich dieser Dorfplatz?“ zu ei- aber auch wissen, was das be- nem Fall für historische Stadt- deutet. Stefan Alberti rundgänge. Manuela Heim  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende schwerpunkt 43

Die Luxemburg-Liebknecht-Demo Damals Mehr als 100.000 Menschen nahmen am 25. Januar 1919 an dem Trauerzug zum Friedhof Friedrichsfelde teil, wo an diesem Tag Karl Liebknecht und weitere Tote des Januaraufstands begraben wurden. Nachdem ihre Leiche entdeckt worden war, wurde hier im Juni 1919 auch Rosa Luxemburg beigesetzt.

Heute Am Sonntag zieht die Luxemburg-Lieb- knecht-Demonstration vom Frankfurter Tor zur Gedenkstätte am Bahnhof Lichtenberg. Los geht es um 10 Uhr, 10.000 Teilnehmer sind angemel- det. Am Dienstag, wenn sich der Todestag der beiden jährt, wird es einen Spaziergang zu den Gedenktafeln im Tiergarten geben. (mgu)

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auf Transparenten bei der LL-Demo im Januar 2018 Foto: Florian Boillot Ungemütlich gedenken

100 Jahre nach der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts könnte die Erinnerung an die beiden Sozialisten-Führer und ihre Mitstreiter im besten Fall zu unbequemen Einsichten führen

den meist eisigen Sonntagmorgen im Sich an den Tod Luxemburgs und ten des Jahres 1919. Unsichtbar wird die truppen erschossen. Leo Jogiches, lang- Von Malene Gürgen Januar, die ehemalige Stalinallee ent- Liebknechts zu erinnern als das, was Rolle des Militärs, der Regierung, der jähriger Lebensgefährte Luxemburgs, s ist so einfach, sich lustig lang, und am Ende eine Nelke ablegen er war, nämlich ein heimtückischer Justiz, der Presse. im März 1919 im Gefängnis in Moabit zu machen über diese De- auf einer der Tafeln in dem Rondell der Mord rechtsradikaler Militärs mit Bil- Verschwinden diese strukturellen ermordet. Eugen Leviné, im Juni im monstration. Immer am Gedenkstätte. ligung der politischen Führung, ist also Zusammenhänge aus dem Blick, ver- Münchener Gefängnis getötet. Alle drei zweiten Sonntag des Jah- Wenn man sich also umhört unter an sich schon ein politischer Akt, weil schwindet auch, was uns die Gescheh- stammten aus jüdischen Familien. Kon- res, also nah dran am Jah- diesen Teilnehmern und fragt, warum diese Lesart bis heute gegen eine Ge- nisse von damals heute sagen können. terrevolutionäre Flugblätter der dama- restag der Ermordung Rosa sie hier sind, dann antworten viele, schichtsschreibung der Herrschenden Fern und isoliert erscheinen sie dann, ligen Zeit strotzen vor Antisemitismus. ELuxemburgs und Karl Liebknechts am dass dieses Gedenken an Luxemburg, erkämpft werden muss. aus einer ganz, ganz anderen Zeit. Auch heute richten sich reaktio- 15. Januar 1919, zieht die Luxemburg- Liebknecht und die anderen ermorde- Und es sind nicht nur offensichtli- Doch das ist falsch. näre Kräfte gegen die progressiven Er- Liebknecht-Demonstration zur Ge- ten Sozialisten ihnen persönlich viel che politische Entgleisungen wie die Natürlich, 2019 ist beileibe nicht rungenschaften der letzten Jahre oder denkstätte der Sozialisten auf dem Zen- bedeute. Nicht nur wegen der Dinge, der Vorwärts-Redaktion, gegen die die- 1919, um das festzustellen reicht der Jahrzehnte, indem diese als extern, als tralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde. die Liebknecht und Luxemburg getan, ses Gedenken verteidigt werden muss. oberflächlichste Blick. Und plumpe, nicht zugehörig markiert werden. Da- Es geht pünktlich los, der Abstand zwi- geschrieben und gesagt haben. Es ist auch eine Form des Erinnerns, die historisch nicht haltbare Vergleiche mals versuchte die Rechte, die Errun- schen den einzelnen Blöcken wird pe- Sondern auch, weil dieses Gedenken man gerade in den Super-Gedenkjah- zwischen damals und heute helfen genschaften von 1918 als von außen nibel eingehalten, politisch völlig irre- selbst ein politischer Akt ist: Die Ermor- ren 2018 und 2019 vielerorts finden niemandem weiter. Und doch kann kommend zu konstruieren, auch das levante Splittergruppen haben hier ih- dung der beiden marxistischen, anti- kann: Da werden Liebknecht und insbe- die Vergegenwärtigung der aktuel- ein Grund für die starke Verbindung ren Auftritt des Jahres, ein Mao- oder militaristischen Politiker wurde jahre- sondere Luxemburg zu Popfiguren, zu len politischen Situation einen Reso- von Konterrevolution und Antisemitis- Stalinbild findet sich auch immer ir- lang vertuscht. Noch heute gibt es ins- Rosa und Karl, die irgendwie toll sind, nanzraum bilden, in dem die Ereig- mus: Mit dem echten deutschen Volk gendwo. Hipsterberlin ist sehr weit weg. besondere zu der Frage, wer für diese aber auch für nichts weiter stehen als nisse von damals anders zum Schwin- habe das alles nichts zu tun. Es ist einfach, sich über dieses jähr- die politische Verantwortung trug, ein Quäntchen Revolutionsromantik. gen kommen, als sie es ohne ihn täten, Die Verschwörungstheorie vom Ju- liche Spektakel mit sinkender Teilneh- höchst unterschiedliche Auffassun- Die Ereignisse von 1918/1919 werden und umgekehrt. den George Soros, der Massenmigra- merzahl lustig zu machen. Man kann gen, insbesondere zur historischen personalisiert und damit gleichzeitig Auch heute wird insbesondere eine tion nach Europa finanziere und auf sich aber auch umhören unter den- Mitschuld der SPD. Erst vor wenigen entpolitisiert: Durch die Verengung kosmopolitische Linke zum Hassob- der ganzen Welt als von außen kom- jenigen, die daran teilnehmen. Viel- Tagen wurde das wieder anschaulich, auf Luxemburg und Liebknecht bei jekt der völkischen Rechten – ein Bild, mender Störer Gesellschaften durch li- leicht bei denen, die weiter hinten lau- als die Redaktion der SPD-Zeitung auf deren gleichzeitiger Reduzierung auf das sich dann ergibt, wenn man die Er- beralen Verfall spalten wolle, ist ein ak- fen, nicht in einem der organisierten Facebook und Twitter schrieb, es sei der unterkomplexe Popstars wird etliches mordeten des Jahres 1919 in den Blick tuelles Beispiel für dieses rechte Denk- Blöcke. Bei denen, die selber mit eini- Spartakusaufstand selbst gewesen, der unsichtbar. Etwa die politischen Be- nimmt, gerade auch über Luxemburg muster. gen der Parolen, die hier gerufen wer- zum Tod Luxemburg und Liebknechts dingungen des Januaraufstands 1919, und Liebknecht hinaus. Viele von ih- den, ihre Probleme haben und den geführt habe, während die SPD damals der bei Weitem nicht nur ein Werk der nen sind heute weitgehend in Verges- Fortsetzung und Schwerpunkt Kopf schütteln angesichts so viel Folk­ „mit Hilfe des Militärs“ die Demokra- Spartakusgruppe war. Unsichtbar wer- senheit geraten: Wolfgang Fernbach, zum 100. Todestag von Luxemburg lore. Und die trotzdem mitgehen an tie verteidigt habe. den auch die vielen anderen Ermorde- bereits am 11. Januar von Regierungs- und Liebknecht 44,45

Julia Boek kämmten sie sich gegenseitig bespannten Kippliegen beweg- die großstadtgeplagten Archi- Bei den ersten fünf Strophen, Kuren in die langen Haare und ten. Bei Ungeübten knallte die tekten, Radioredakteurinnen Damon hat soeben die Schwes- Teilnehmende peelten die Arme und Beine mit Liege samt Schwungmasse auf und Projektmanager im Bam- ter verheiratet, war ich beein- Beobachtung einem Handschuh. So viel Nähe, die blanken Fliesen, wenn von busgarten oder auf den beheiz- druckt. Dann, Werner schickte nur eine Armlänge entfernt – der sitzenden in die liegende Po- ten Holzliegen, während sie ihre Schillers Helden jetzt auf seine das musste nun auch wieder sition gewechselt wurde. definierten Körper vor der Ple- beschwerliche Rückreise nach

Foto: Axel Voelcker Axel Foto: nicht sein. Derlei Weltliches hat man in xiglaswand präsentieren, auf Syrakus, dämmerte mir, warum Doch nicht nur der interkul- der Olivin Wellness Lounge in die tosende Brandungen proji- die anderen Nackten fluchtartig Schwitzen mit Schiller und turelle Horizont lässt sich in Ber- der Schönhauser Allee längst ziert werden. Wenngleich man die Sauna verlassen hatten, als lins Saunen prima erweitern, hinter sich gelassen. Beim Ein- sich im Olivin gemeinschaftlich der 80-Jährige zur Tür herein- Schalkragenbademänteln man kann dort herrliche Milieu- treten in das ehemalige Fab- ausruht, an- und auszieht und kam. studien betreiben. In der Gewöl- rikgebäude eröffnet sich eine duscht, bleibt hier doch jeder für Inbrünstig rezitierte Wer- etzt, da sich der Berli- cing in der 92 Grad heißen Tro- besauna in der Fröbelstraße un- licht- und geräuschgedämpfte sich allein mit seinem weißen ner Vers für Vers, ließ Damon ner Winter in all seinen ckensauna in die Nase brennen weit des Bürgeramts Prenzlauer Schalkragenbademantel. flehen, kämpfen und weinen, Grautönen zeigt, gehe würde, wurden ausgezischt, als Berg schwitzte ich mit altein- Wenn man richtig Glück während mir der Schweiß von J ich wieder ab und zu in hätte man einen Schwall Wasser gesessenen OstberlinerInnen. Neulinge erkennen hat, wird einem in der Berliner der Stirn in die Augen tropfte die Sauna. Dabei stellte ich fest, über die glühenden Steine des Jens, Katrin und Jürgen saunier- die Stammgäste am Sauna sogar Hochkultur gebo- und ich meinem Körper wie wie nahe Entspannung und Ver- Saunaofens gekippt. ten nackt und konzentriert. An- ten. So wie im Paracelsus-Bad in ein Taschenmesser zusammen- spannung beieinanderliegen. Derartige Rüffel wären in der schließend wickelten sie sich in ungeübten Umgang Reinickendorf: „Zu Dionys, dem klappte, um mich vor der bren- Den freundlich grüßen- Sauna des Weddinger Frauen- bunte Handtücher, die Werbe- mit den Kippliegen Tyrannen, schlich Damon, den nenden Hitze zu schützen. Fast den Zuspätkommer in der Bio- Fitnessstudios, das ich eine Zeit botschaften der DAK und von Dolch im Gewande; Ihn schlu- hätte ich aufgegeben, als Werner sauna gingen die schwitzenden lang besuchte, undenkbar ge- Fitness First trugen. Im rusti- gen die Häscher in Bande. ‚Was endlich sprach: Bäuche und Busen während des wesen. Laut und deutlich spra- kalen Gastraum mit Bar und 25 Wohlfühlkulisse, in die feine wolltest du mit dem Dolche?, „Es ist euch gelungen, Sandelholzaufgusses mit „Dit chen hier Damen wie Özlem, Biersorten wurde Weizenbier Hölzer verbaut und gedeckte sprich!‘“, intonierte Rentner Wer- Ihr habt das Herz mir bezwun- darf ja wohl nich wahr sein“, Nevin oder Esra über ihre Lie- und Fassbrause getrunken, im Farben gestrichen wurden. Oli- ner dort Die Bürgschaft nach gen; „noch so eener“ an. Die flüs- besziehungen, zarte Haut oder Ruheraum laut berlinert. Neu- vin heißt der Edelstein, dem Friedrich Schiller mit geschlos- Und die Treue, sie ist doch kein ternden Freundinnen, von de- über die Bäckereien, in denen linge erkannten die Stammgäste eine positive Wirkung wie Zu- senen Augen und einem immer leerer Wahn; nen die eine von der anderen es das süßeste Baklava der Stadt in der Fröbelstraße daran, wie versicht und Gelassenheit nach- länger werdenden Schweißtrop- So nehmet auch mich zum Ge- wissen wollte, ob sich ihr Pier- zu kaufen gab. Währenddessen diese sich auf den mit Kunststoff gesagt wird. Beides empfangen fen an der Nase. nossen an.“ 44 schwerpunkt

Fortsetzung von Seite 41 Auch heute gibt es Fälle, in denen die Presse zu großen Teilen ungeprüft übernimmt, was die Sicherheitsbehörden verlautbaren, wie sich erst diese Woche wieder beobachten ließ. Am Tag nach der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts verbreitete das Wolffsche Tele- „Man grafenbüro eine Meldung, die fast wortgleich war mit der Erklärung der Garde-Kavallerie- Schützen-Division, die die Morde durchgeführt hatte – und die meisten Zeitungen übernah- men diese Agenturmeldung ungeprüft. Auch heute gibt es rechten Terror. Auch hätte heute gibt es rechten Terror, der von Sicher- heitsbehörden mindestens gedeckt, wenn nicht sogar befördert wird, von staatlichen Stel- len vertuscht. Und das gilt nicht nur für den NSU. Die, die davon betroffen sind, wissen das. Pabst Für viele aber, die von diesem rechten Ter- ror und insbesondere den staatlichen Verstri- ckungen nicht betroffen sind, sind diese Tat- sachen auch heute noch eine unbequeme, eine ungemütliche Wahrheit, so wie es auch unbe- Aufstand in quem und ungemütlich ist, zu fragen, was uns vor Berlin 1919 die Ereignisse von damals über heute sagen Foto: Johannes Eisele/reuters Regisseur und Buchautor Auch heute gibt es rechten Klaus Gietinger sieht kleine Terror, der von Sicherheits- Gericht behörden gedeckt wird Fortschritte bei der Diskussion über die Verantwortung für und umgekehrt. Ungemütlich ist auch die Be- die Morde an Luxemburg und schäftigung mit der Ernsthaftigkeit, der Kon- bringen sequenz der damaligen Revolutionäre – nicht nur derer, die mit flammenden Reden berühmt Liebknecht geworden sind, sondern auch derer, die in jah- relanger Organisationsarbeit in den Fabriken überhaupt erst die Basis für die massenhaften Streiks und Aufstände geschaffen haben. Denn man die denn standrechtlich Inwiefern?können“taz mitgegründet hat, am 9. No- Interview Malene Gürgen sich diese Ernsthaftigkeit zu vergegenwärtigen, erschießen lassen? Rosa Luxem- Ich konnte nachweisen, dass vember folgendes geschrieben: kann einem auch die eigene Inkonsequenz vor taz: Herr Gietinger, Sie be- burg hat Artikel geschrieben in Pabst damals mit dem SPD- „So rabiat die junge Republik – Augen führen. schäftigen sich seit den acht- der Roten Fahne, sie hat keine Oberbefehlshaber Gustav Nos­ke auch unter Zuhilfenahme der al- Wie viel bequemer ist es da, sich etwa aus ziger Jahren mit den Morden Waffe in die Hand genommen. gesprochen hatte und dass der ten Apparate – gegen alles, was dem Werk Luxemburgs nur dieses eine Zitat an Rosa Luxemburg und Karl Auch Liebknecht hat keine Waffe die Erschießung der beiden ab- links von ihr stand, vorging, so herauszunehmen, das davon handelt, dass Frei- Liebknecht. Wie sind Sie zu die- in die Hand genommen, der hat genickt hatte. Ich habe auch mit vernünftig war das auch.“ Das ist Foto: Edition Nautiilus Edition Foto: heit immer die Freiheit der Andersdenkenden sem Thema gekommen? zwar mitgemacht bei den Auf- Otto Kranzbühler gesprochen, meines Erachtens eine Rechtfer- sei. Wie viel bequemer, dessen damalige Aussa- Klaus Gietinger: Ich habe ständen, aber das allein hätte dem Anwalt Souchons, der da- tigung nicht nur dieser Morde, Klaus gekraft dann so lange zu verwässern, bis nichts 1989 das 1969 veröffentlichte niemals für ein solches Urteil mals noch lebte und der Vertei- sondern auch des Terrors. Noske Gietinger, 64, mehr übrig bleibt, als dass man doch irgendwie Fernsehspiel des SWR-Redak- gereicht. diger in den Nürnberger Pro- hat ja später mit Pabst auch noch ist Regisseur, für alles Toleranz aufbringen müsse, dass das teurs Dieter Ertel über die Die Bundesregierung hat da- zessen gewesen war, ein beein- diesen Schießbefehl erlassen, Drehbuch­ Wichtigste sei, die AfD nur ja nicht von irgend- Morde gesehen und mit ihm mals mit dieser Bezeichnung druckender Mann. Der hat mir wo Gefangene erschossen wur- autor und einem „demokratischen Diskurs“ auszuschlie- Kontakt aufgenommen, weil ich versucht, den Morden nach- bestätigt, dass Pabst auch ihm – den, wo 1.200 Menschen allein Schriftsteller. ßen. Wie viel bequemer, sich darauf zurückzu- dachte: Da ist ja noch vieles un- träglich Legalität zuzuschrei- sozusagen „unter Offizieren“ – in Berlin in wenigen Tagen um- Er war ziehen, dass nichts, aber auch gar nichts von klar, da müsste man mal einen ben? von dieser Absprache mit Noske kamen. Über diese Dinge wird Regisseur dem, was damals passiert ist, im Heute wieder- Film drüber machen. Das hat So ist es. Ich habe übrigens erzählt hatte. kaum mehr gesprochen. Das ist diverser zufinden sei, schließlich haben wir doch jetzt aber leider nicht geklappt, Ertel auch Dokumente des Ministe- Hat sich denn diese Sicht, verrückt. „Tatort“-Fol­ das Grundgesetz, und dass etwa die Sicher- ging in Pension und ich habe das riums für Staatssicherheit ge- dass die damalige SPD-Füh- Und die SPD? gen, der heitsbehörden lügen oder selbst vor Gericht nicht finanziert gekriegt. Dann funden, aus denen hervorgeht, rung Verantwortung für die Da wird oft versucht zu tren- Kinderserie nicht immer Recht gesprochen wird, das gibt habe ich einfach weiterrecher- dass auch die Stasi auf das Spie- Morde trug, mittlerweile nen: Noske war böse, aber der „Löwenzahn es schlicht nicht mehr. chiert und bin an den Nachlass gel-Interview aufmerksam durchgesetzt? Rest war gut. Insbesondere „und vieler Sich der enormen Errungenschaften des von Waldemar Pabst gekom- wurde. Die dachten damals ei- Das ist unterschiedlich. And- Friedrich Ebert wird hochgehal- Kino- und Heute bewusst zu sein, zu denen selbstver- men, den sonst noch niemand gentlich, Pabst sei schon tot. Da- rea Nahles hat im November in ten. Aber Noske wurde gestützt Fernsehfilme. ständlich auch das Grundgesetz zählt, und hatte. Dort habe ich sehr inter- mals hat der Generalstaatsan- einer Rede gesagt, dass Nos­ke von der Führung der SPD, auch Über die trotzdem nicht in diese Bequemlichkeit zu ver- essante Dinge entdeckt. walt der DDR einen Haftbefehl wohl seine Finger im Spiel ge- von Ebert – die haben alles ab- Geschehnisse fallen, ja sogar aktiv gegen sie anzukämpfen, Der Offizier Waldemar Pabst gegen Pabst erlassen und den habt habe bei der Ermordung gesegnet, was der gemacht hat. 1918/1919 kann sehr ermüdend sein. So wie es ermüdend veranlasste 1919 die Erschie- an den damaligen Justizminis- Luxemburgs und Liebknechts. Und die Basis hat zwar immer hat er mehrere sein kann, das Andenken an Rosa Luxemburg ßung Luxemburgs und Lieb- ter der BRD geschickt, aber da Das werte ich als kleinen Fort- verlangt: Verurteilt die Mör- Bücher und Karl Liebknecht gegen entpolitisieren- knechts. Nachdem er jahr- ist nie darauf geantwortet wor- schritt. Gleichzeitig erlebe ich der, macht einen vernünftigen veröffentlicht den Personenkult und Geschichtsverdrehung zehntelang geschwiegen hatte, den. Das Verrückte ist ja: Mord derzeit aber auch einen Roll- Prozess, die haben schon auf- (siehe Kasten zu verteidigen. prahlte er 1962 öffentlich mit verjährt ja nicht und ist auch da- back, was die Lesart dieser Er- begehrt. Aber am Ende haben unten). Aber gleichzeitig kann man aus diesem Ge- dieser Tatsache. Hatte er nichts mals nicht verjährt. Man hätte eignisse angeht. sie sich doch immer damit ab- denken auch Kraft schöpfen für genau diese zu befürchten? Pabst vor Gericht bringen kön- Was meinen Sie damit? gefunden, dass die Parteifüh- Kämpfe – und deswegen kann es sich trotz al- Er hat damals dieses sagen- nen. Aber es hat sich in der ge- Zum Beispiel hat der Journa- rung das einfach so von oben lem auch sehr richtig anfühlen, eine Nelke umwobene Spiegel-Interview samten Bundesrepublik kein list Arno Widmann, der ja die bestimmt hat. durch einen kalten Vormittag im Januar zu gegeben mit dem Satz: „Ich ließ Staatsanwalt gefunden, der das tragen. sie richten.“ Danach gab es Straf- gemacht hätte. anzeigen gegen ihn, aber da ist Wie sind Sie an den Nachlass nichts passiert. Im Gegenteil: von Pabst gekommen? Tipps zum Weiterlesen: siehe Kasten rechts Kurz vorher gab es eine Presse- Eigentlich durch Zufall: Der erklärung der Bundesregierung, lag im Militärarchiv Freiburg Anzeige in der die Morde als „standrecht- und hatte eine Sperrfrist, die liche Erschießung“ bezeichnet 1989, als ich mich darum be- wurden. Dazu muss man wis- müht habe, noch lange nicht sen: Pabst hatte gute Kontakte verstrichen war. Aber ich habe zum damaligen Regierungs- ihn einfach immer wieder be- sprecher, Felix von Eckardt – ein stellt und irgendwann haben sie alter Nazi, der Drehbücher für ihn mir dann hingelegt (lacht). NS-Propagandafilme geschrie- Was waren die zentralen Er- ben hatte. Der hat damals diese kenntnisse, zu denen Sie dann Erklärung herausgegeben, die gekommen sind? übrigens nie widerrufen wurde. Einmal, dass es tatsächlich Standrecht bezeichnet eine der junge Offizier Herrmann militärische Ausnahmege- Souchon gewesen war, der da- Eine Nelke zum Gedenken Foto: BPK richtsbarkeit. Was bedeutete es, mals Rosa Luxemburg erschos- 17. - 19. 1.2019, 20UHR dass die Morde als „standrecht- sen hat, und nicht Kurt Vogel, 20. 1.2019, 19UHR liche Erschießung“ bezeichnet wie man jahrzehntelang ge- wurden? glaubt hatte. Vogel wiederum Lektüretipps zum Weiterlesen Das ist ein Topos, der immer war ja damals von Wilhelm Ca- Klaus Gietinger (Interview oben) hat die Bücher „November wieder angewandt wird in sol- naris, einem der Richter im UNRESTRICTED 1918“, „Eine Leiche im Landwehrkanal“ und „Waldemar Pabst chen Fällen und fast immer völ- Prozess 1919, der übrigens spä- – eine deutsche Karriere“ in der Editon Nautilus veröffentlicht. CONTACT liger Quatsch ist. So auch hier: ter Adolf Hitlers Abwehrchef Damals gab es ja gar keinen Be- wurde, die Flucht ermöglicht EINE TANZPERFORMANCE VON GRUPO OITO Zu empfehlen sind auch die Bücher des Berliner Historikers Ralf lagerungszustand, das heißt, worden. Gegen Dieter Ertel hatte Hoffrogge, etwa „Richard Müller. Der Mann hinter der Novem­ TICKETS & INFOS: (030) 754 537 25 man hätte gar kein Standrecht Souchon noch geklagt, weil der berrevolution“ (Dietz Verlag). Hoffrogge ist Teil der Redaktion der anwenden dürfen, und selbst das in seinem Fernsehspiel so geschichtswissenschaftlichen Zeitschrift Arbeit – Bewegung wenn, hätte es auch da eine Ver- darstellen wollte. Die zweite Er- – Geschichte, deren Januarausgabe sich mit der Revolution handlung geben müssen. Und kenntnis betraf die Verstrickung 18/19 beschäftigt (arbeiterbewegung-jahrbuch.de). (mgu) außerdem: Weswegen sollte der SPD. sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  taz am wochenende 45

des 17. Juni Die letzten Staße Tiergarten

22.45 Uhr: Liebknecht wird 23 Uhr: Liebknecht wird aus dem Hotel Eden erschossen Har abtransportiert Stunden denb er gst ra ße

andwe L hrka Kantstraße nal HALENSEE

endamm rfürst Mannheimer Straße 27: Luxemburg und Ku Liebknechts letztes Versteck

23.40 Uhr: Luxemburg wird 23.45 Uhr: Luxemburgs im Auto erschossen Leiche wird in den Landwehr- kanal geworfen 21.30 Uhr: Liebknecht wird zuerst in die 22 Uhr: Luxemburg Cecilienschule (Haupt- wird ins Hotel Eden quartier der Wilmersdor- gebracht fer Bürgerwehr) und dann (gemeinsam mit ins Hotel Eden transpor- Wilhelm Pieck) tiert SCHÖNEBERG

r. WILMERSDORF

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r Ber liner Str aße eime

nh taz grafik: infotext-berlin.de

Man

An die letzten Stunden von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erinnern heute Gedenktafeln. Uwe Hiksch bietet Führungen auf den Spuren der beiden Ermordeten an. Ihn verbindet vor allem ihr Antimilitarismus mit Liebknecht und Luxemburg

der Partei aus. Heute arbeitet er nal gefahren wurde. Auf dem geht er auf Luxemburgs theo- Von Volkan Ağar für die Linksfraktion. Seit 1993 Weg zu diesem heutigen Denk- retisches Denken ein, erzählt as letzte Haus, das führt er durch Berlin – auf Stadt- malort spielen auf der Budapes- Anek­doten, wie zum Beispiel, Was geschah im Januar 1919? Liebknecht und touren über Gentrifizierung, jü- ter Straße zwei Frauen eine his- dass Luxemburg das Parlament Schon 1917 hatten die Kriegsgegner in der SPD mit der Luxemburg betre- disches Leben oder eben durch torische Szene nach. Eine hat einmal als „Quasselbude“ be- USPD eine eigene Partei gegründet, der sich auch die ten haben, heißt die letzten Stunden von Lieb- Zeitungen in der Hand, die an- zeichnet habe – weil ein Parla- Spartakusgruppe um Luxemburg und Liebknecht anschloss. Eden. Das Hotel knecht und Luxemburg. dere eine rote Fahne. Auf ei- ment, das nicht auch über die Nach der Novemberrevolution 1918 wollte die verbliebene steht schon lange Am Abend des 15. Januar 1919 nem Baumstamm klebt ein Pla- Wirtschaft entscheide, nicht SPD um Friedrich Ebert schnell zu „geordneten Verhältnissen“ nicht mehr. Im Zweiten Welt- wurden im Hotel Eden erst Lieb- kat von Karl Liebknecht, darauf wirkmächtig sei. D zurückkehren, während die USPD das Militär weiter entmach- krieg wurde es teilweise zerstört, knecht, dann Luxemburg dem steht: „Hinein in die KPD!“. Eine Über dem Luxemburg-Denk- ten und die Ziele der Rätebewegung umsetzen wollte. in den fünfziger Jahren abgeris- Freikorps-Hauptmann Pabst dritte Frau filmt die beiden und mal führt die Lichtensteinbrü- Während die Revolutionären Obleute, die USPD und die frisch sen. Nur eine Gedenktafel, ein- vorgeführt. Klaus Gietinger einen Uniformierten. cke weiter in den Tiergarten. gegründete KPD zu Generalstreiks aufriefen, zogen Ebert und geweiht 2010 vor dem Zooein- (siehe Interview) rekonstruiert Dort, wo sie in den Kanal Manche haben sich bemüht, Noske die rechtsradikalen Freikorps sowie verbliebene gang an der Budapester Straße, in seinem Buch „Eine Leiche im geworfen worden sein soll – auch diese grüne Brücke nach kaiserliche Regimenter um Berlin zusammen. erinnert daran, dass Rosa Lu- Landwehrkanal“ beide Morde. Hiksch zeigt auf einen länge- Luxemburg zu benennen. 2012 xemburg und Karl Liebknecht Er beschreibt Szenen, die eine ren Uferabschnitt und sagt rela- hat es die Berliner Geschichts- Mit der Absetzung des USPD-Polizeichefs durch Ebert am am 15. Januar 1919 hierher ver- werkstatt geschafft, zumindest 4. Januar 1919 begann der Januaraufstand. Die Kämpfe schleppt wurden. einen Teil nach ihr zu benennen. dauerten bis zum 12. Januar, am 13. ließ Gustav Noske die Mitglieder der Wilmersdor- Jetzt gibt es einen Rosa-Luxem- rechtsradikalen Freikorps einmarschieren. Die Morde an fer Bürgerwehr hatten sie in der Auf dem Weg zum heutigen Denkmalort burg-Steg. Wenige hundert Me- Luxemburg und Liebknecht waren Teil des Gewaltexzesses Wohnung der befreundeten Fa- ter entfernt, am Nordufer des spielen auf der Budapester Straße zwei dieser Truppen, die alles Aufständische niederschlugen. (mgu) milie Marcusson in der Mann- Neuen Sees, wurde Liebknecht heimer Straße 43 aufgespürt, wo Frauen eine historische Szene nach. erschossen. Auf einer Wiese un- sie sich am 14. Januar versteckt Eine hat Zeitungen in der Hand, die ter grauem Januarhimmel und Anzeige hatten. Zuerst ging es in die Ceci- andere eine rote Fahne. An einem Baum vor einem dunklen Teich steht lienschule, Zentrale der Bürger- eine Säule aus rotem Backstein. wehr. Dann in jenes Hotel Eden, klebt ein Plakat von Karl Liebknecht, An der Spitze bilden fehlende in dessen edler Bar sonst Schrift- darauf steht: „Hinein in die KPD!“ Steine Stufen. Hiksch sagt, dass steller wie Heinrich Mann und die unterbrochene Säule für Schauspieler wie Marlene Diet- das unterbrochene Leben Lieb- 2019 rich verkehrten. 1919 hatte die knechts stehe. Das Bündnis für Mut und Garde-Kavallerie-Schützen-Di- Idee vom Hass geben, dem sich tivierend „irgendwo hier“ –, ragt An beiden Denkmälern liest Verständigung zeichnet vision unter ihrem Hauptmann Luxemburg und Liebknecht im heute eine quasi ins Wasser stür- Hiksch immer auch einen Aus- Waldemar Pabst hier ihr Haupt- Hotel Eden ausgesetzt sahen. Als zende Gusseisenplatte mit dem zug aus den letzten Texten der besonderes Engagement aus quartier eingerichtet. Luxemburg „umgeben von gei- Schriftzug ihres Namens. Ge- beiden vor. „Trotz alledem!“ von Sie kennen Menschen oder Gruppen, die sich in besonderer Einer, der selbst gedenkt und fernden Hotelgästen und Uni- genüber von dem Denkmal der Karl Liebknecht erschien am Tag Weise gegen Diskriminierung einsetzen, die hinsehen und sich aktiv Gedenken ermöglicht, formierten“ in das Hotel ge- Künstler Ralf Schüler und Ur- seines Todes in der Roten Fahne, einmischen, sich engagieren und Verantwortung übernehmen, heißt Uwe Hiksch. Über das Ho- bracht wurde, habe man sie „als sulina Schüler-Witte, das 1987 „Die Ordnung herrscht in Ber- Zivilcourage zeigen? Wir zeichnen Einzelpersonen und Initiativen tel Eden sagt er: „Das war ein Hure beschimpft“, schreibt Gie- angebracht wurde, hängt eine lin“ von Luxemburg am Tag zu- aus Berlin und Brandenburg für ihre langjährige, ehrenamtliche ganz normales, teures Hotel, mit tinger. Und zu Liebknecht, der Gedenktafel: „Im Kampf gegen vor in derselben Publikation. Tätigkeit oder ihr couragiertes Eingreifen aus. Machen Sie uns einem Minigolfplatz auf dem nach der Vernehmung zum Ort Unterdrückung, Militarismus Luxemburgs Text über die ge- einen Vorschlag! Das Band für Mut und Verständigung wür- Dach.“ Hiksch sitzt im Bundes- seiner Hinrichtung gebracht und Krieg starb die überzeugte scheiterte Revolution endet so: digt beispielhaftes Handeln gegen rassistische Diskriminierung vorstand der Naturfreunde, ei- wird: „Unter Beschimpfungen Sozia­listin Rosa Luxemburg.“ „‚Ordnung herrscht in Berlin!‘ und Gewalt und den Einsatz für ein friedliches, respektvolles ner Organisation mit Wurzeln und bespuckt von Hotelgästen Hiksch findet es bemerkens- Ihr stumpfen Schergen! Eure Miteinander. Er wird im Sommer 2019 vom Regierenden in der Arbeiterbewegung des 19. und Uniformierten führten sie wert, dass Begriffe wie „Sozia- ‚Ordnung‘ ist auf Sand gebaut. Bürgermeister von Berlin vergeben. Jahrhunderts. Für acht Jahre saß Liebknecht die Treppe hinunter listin“ auf dieser Tafel stehen. Die Revolution wird sich mor- Schicken Sie uns Ihre Vorschläge bis zum 31.03.2019 an er auch im Bundestag, zunächst zum Nebenausgang des Hotels.“ Schließlich sei das Denkmal gen schon ‚rasselnd wieder in vorschlag@band-mut-verständigung.de für die SPD. Nachdem die Sozial- Liebknecht wurde erst im 1987 von einem Westberliner Be- die Höh’ richten‘ und zu eurem mit einer kurzen Begründung zu. demokratern einem deutschen Tiergarten erschossen. Rosa Lu- zirk genehmigt worden. Wenn Schrecken mit Posaunenklang Engagement im Kosovokrieg zu- xemburg bereits im Automobil, Hiksch mal wieder mit einer verkünden: Ich war, ich bin, ich gestimmt hatten, trat er aber aus mit dem sie zum Landwehrka- Gruppe Interessierter hier ist, werde sein!“ sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  46 das interview taz am wochenende 47

über die Zusammenhänge mit deut- tut. Und nicht genug für Menschen, die schen und weltweit stattfindenden im Krieg leben oder schreckliche Erin- Waffenexporten berichten. Wir brau- nerungen an Krieg und Flucht haben chen dringend mehr kritische Stim- – so wie ich. „Ich will weiterleben men. Schriftsteller*innen, die in Frei- heit leben und schreiben können, was Wann genau haben sind Sie die Flucht sie wollen, sollten das auch nutzen. angetreten? Anfang 2015. Ich bin über See- und Viele Ihrer Texte, vor allem regime­ Landwege über die Türkei, Griechen- und Neues ermöglichen“ kritische, gibt es bislang nur auf Ara­ land, Ungarn, Mazedonien und Öster- bisch. Planen Sie, diese ins Deutsche reich nach Deutschland gekommen. zu übersetzen, oder inwieweit knüp­ Teilweise war ich gemeinsam mit fen Sie mit neuen Veröffentlichun­ Freunden unterwegs. An die Flucht „Literatur kann Menschen in Kriegszeiten Hoffnung geben“, sagt die kurdische Dichterin gen daran an? habe ich schreckliche Erinnerung. Und Ja, das stimmt. Beispielsweise ist mein ich bin tieftraurig, dass immer noch Widad Nabi. In den Schriftsteller*innen der deutschen Nachkriegszeit hat sie nach ihrer Flucht Buch „Syrien und die Sinnlosigkeit des so viele Menschen jeden Tag fliehen aus Syrien Vorbilder gefunden, in den Bibliotheken ein neues Zuhause – von dem sie Todes“, das ich 2016 im Libanon veröf- müssen. fentlichte, bislang nur auf Arabisch er- hofft, dass es keine Illusion ist. Angst hat die 33-Jährige vor dem Aufstieg der Rechtsextremen schienen. Viele meiner arabischen Ge- Was sind das für Erinnerungen? dichte und Texte werden aber bald auf In dem Lastwagen etwa, der uns von Deutsch erscheinen. Gemeinsam mit der türkischen Stadt Izmir zum Meer Interview Sophie Schmalz, Fotos Karsten Thielker meinem Übersetzer Suleman Taufiq brachte, wurden wir wie Vieh behan- bin ich im Kontakt mit Verlagen. delt und zusammengedrängt. Kin- taz: Frau Nabi, Bibliotheken wie die, der Fakt, dass ich jetzt hier im Exil an- der schrien. Der Schmuggler war wü- in der wir uns heute treffen, sind für gekommen bin. Auch wenn ich Angst Lyrik zu übersetzen ist sicher schwie­ tend und schrie, dass die Kinder nicht Sie nicht nur sichere Orte, sondern Widad Nabi habe vor der Zukunft in diesem Land. rig? schreien sollten. Fragen drängten sich haben viel mit Ihrer Heimatstadt Ja, das ist es. Die arabische Sprache hat mir auf: „Warum renne ich weg?“ Ich Der Mensch Widad Nabi, 33, ist in im Secession Verlag sowie im Aleppo zu tun. Warum? Wovor genau haben Sie Angst? viel mehr Emotion, Bilder und Fanta- wollte dem Tod und Erniedrigungen Kobani in Syrien geboren und in Manesse Verlag das Buch „Die Widad Nabi: Wenn man alles verlo- Vor dem Aufstieg der Rechtsextremen. sien. Deutsch ist eine härtere Spra- entkommen – und jetzt erlebte ich Be- Aleppo aufgewachsen. Sie hat einen Flügel meines schweren Herzens“. ren hat, bleibt nur die Erinnerung. Als Seit drei Jahren lerne ich Deutsch und che. Wenn Suleman Taufiq meine Ge- leidigungen andere Art und schwere Bachelor in Wirtschaftswissen- Momentan arbeitet Nabi mit dem ich vor gut drei Jahren nach Deutsch- baue mir hier ein Zuhause auf. Ich dichte vom Arabischen ins Deutsche Demütigungen. Aber auch an die Zeit schaften. In Aleppo finanzierte die Projekt „Weiter Schreiben“, einem land kam, war ich mir selbst eine hoffe sehr, dass dieses neue Leben hier übersetzt, bekommt nicht nur das Ge- davor habe ich schreckliche Erinnerun- Kurdin ihr Schreiben zeitweise mit Portal für Autor*innen aus Krisenge- fremde Person. Damals stand ich in im Exil keine Illusion ist. dicht an sich etwas Neues – das man, gen. Zu wandern und das Meer zu über- einem Job beim Finanzamt. bieten, zusammen, das die Antholo- der Schlange vorm Lageso … wenn man will, eine neue Seele nen- queren, dazu habe ich mich entschie- Während des Krieges schloss sie gie „Das Herz verlässt keinen Ort, an Um das Leben im Exil geht es auch in nen kann. Auch die Sprache an sich den, weil ich alles verloren hatte. sich der Opposition gegen das dem es hängt“ mit Texten von Nabi … dem Amt, das bis Mitte 2016 für die Ihrem Gedichtband, der bald erschei­ erfährt durch die Übersetzung etwas Was drängt sich Ihnen auf, wenn Sie Assad-Regime an, bevor sie 2015 herausgegeben hat. Derzeit ist sie Aufnahme Geflüchteter in Berlin zu­ nen wird. In den Gedichten verbinden Neues. an die Zeit vor der Flucht denken? die Flucht über See- und Landwege zudem Stipendiatin bei „Weiter ständig war und vor dem sich damals Sie Orte des Exils mit Orten der Erin­ Ich war verzweifelt, bevor ich auf die nach Europa aufnahm. In Berlin Schreiben“ in Wiesbaden. Zur Hunderte Menschen drängten … nerung. Warum? Was denn genau? Flucht ging. Ich wusste nicht mehr lernte sie ihren jetzigen Ehemann Leipziger Buchmesse wird Anfang Und ich hatte nirgendwo in Berlin ei- Ich suche Geschichten über die Ge- kennen; er ist auch Autor. Gemein- 2019 ihr Buch „Kurz vor dreißig, küss nen Ort, den ich mit irgendeiner Er- meinsamkeiten von Menschen und sam leben sie in Charlottenburg. mich“, eine Sammlung von Gedich- innerung verbinden konnte. Schmerz- Orten – nicht über die Unterschiede. ten über Liebe, Frauenrechte, Leben hafte Erinnerungen an die Flucht Erfahrungen in Syrien verbinde ich Die Autorin In ihrer Heimat Syrien im Exil und Ankommen im neuen drängten sich auf. Also suchte ich ei- mit neuen Erfahrungen in Deutsch- schrieb Nabi für zahlreiche Zeit- Land, im Sujet Verlag erscheinen. „Als ich hier ankam, kannte nen Ort, an dem ich mich aufgehoben land. Liebe verbinde ich mit Hass. Ich schriften und Zeitungen. 2013 fühlte. Eine Bibliothek ist ein sicherer möchte Opfer vor dem Vergessen be- ich nichts von diesem Land. erschien ihr Buch „Zeit für Liebe, Zeit Weiter schreiben Das Projekt Ort für alle Menschen. Ich vertraue Bü- wahren und über die Schande, die pas- für Krieg“ in Aleppo. Ihr Buch „Syrien „Weiter Schreiben“ stellt sich und Ich hatte nirgendwo in chern; sie haben keine Vorurteile ge- siert ist, berichten. Gleichzeitig will ich und die Sinnlosigkeit des Todes“ Texte seiner Autor*innen am gen Menschen. Als ich hier ankam, weiterleben und Neues ermöglichen. Berlin einen Ort, den ich mit erschien 2016 in Beirut im Libanon, Dienstag, 16. Januar, im Literari- kannte ich nichts von diesem Land, So schreibe ich über die Situation in wo sie auch weitere regimekritische schen Colloquium Berlin vor: Am irgendeiner Erinnerung außer ein wenig von der deutschen Syrien, den Krieg und das Ankommen Texte publizierte. In Deutschland Sandwerder 13, 14109 Berlin, Literatur. Die Grimm-Bibliothek war in Deutschland. Zudem schreibe ich in verbinden konnte“ erschienen erste Texte in der S-Bahnhof Wannsee, www.lcb.de. mein erster Zufluchtsort in Deutsch- meinem neuen Buch: „Kurz vor drei- Anthologie „Weg sein – hier sein“ Der Eintritt ist frei. land. Sie erinnert mich an meine Hei- ßig, küss mich“, das Anfang 2019 hier matstadt Aleppo, wo Buchhandlungen in Deutschland erscheinen wird, aber und Bi­blio­the­ken für die Menschen auch über Liebe, Erotik und über Frau- Übersetzungen verändern die Sprache, weiter. Aleppo versank im Krieg. Die sehr wichtig sind. Und inzwischen sehe enrechte, die es weltweit, auch hier in indem Dinge mit anderen Worten aus- Stadt war geteilt, und auf dem Grenz- ich viele weitere Parallelen zwischen Berlin, zu verteidigen gilt. gedrückt werden, indem Beschreibun- streifen zwischen Ost und West musste Aleppo und Berlin. gen hinzukommen, um den Sinn bes- ich erleben, wie direkt neben mir Men- Darin geht es auch um „eine ser zu treffen. Jede Übersetzung ist eine schen erschossen wurden, die versuch- Welche denn? schlechte Frau, die nach einem hal­ individuelle Interpretation. Auch Re- ten die Grenze zu überqueren. Die Das reicht von kleinen Details wie dem ben Glas Wodka die Welt verflucht“ dewendungen kommen hinzu. Je bes- Verzweiflung war groß. Der Schrift- Fußboden in der Kulturbrauerei, der an und die „den Schlangenbiss zwi­ ser mein Deutsch und mein Gefühl für steller Walter Benjamin, der eine dra- die Altstadt Aleppos erinnert, bis hin schen ihren Beinen“ nicht bedau­ diese Sprache wird, desto spannender matische und verzweifelte Flucht im zu gesellschaftlichen Parallelen. Zum ert. Warum ist diese Frau schlecht? finde ich das. Zweiten Weltkrieg erlebte, nahm sich Beispiel, dass die Menschen nach Nie- Für viele Menschen bin ich selbst eine in einem Grenzort in Spanien das Le- derschlägen wieder aufstehen und schlechte Frau – vor allem für Men- [Widad Nabi lacht der Übersetzerin zu, ben. Für mich ergaben sich in vielen schreckliche Dinge hinter sich lassen schen in Syrien und anderen arabi- die neben ihr sitzt und bisher nicht viel schrecklichen Situationen Vergleiche können, ohne zu verzweifeln. Was der schen Ländern; weil ich über Liebe, sprechen musste. Lediglich ein paarmal, mit bedeutenden Schriftsteller*innen Krieg heute in Syrien anrichtet, rich- Sex und persönliche Beziehungen bei Verständnisproblemen oder wenn oder der Literatur. tete er vor ein paar Jahrzehnten in schreibe. Wenn ich einen Text in ei- wir es genauer wissen wollten, sprang Deutschland an. Vieles von dem, was ner arabischen Zeitung veröffentlichte, Maya El-Auwad ein und übersetzte aus Was kann die Literatur denn besser die Menschen damals in Deutschland sagten viele Leser*innen: „Diese Frau dem Arabischen.] machen, um, wie Sie sagen, mehr erlebten, erleben die Menschen heute ist schlecht.“ Damit sind genauso alle gegen Rassismus, Hass und Krieg zu in Syrien. anderen Frauen gemeint, die über so- In Berlin kann ich wunderbar leben – tun? genannte private Themen sprechen trotz sprachlicher Barrieren. Natürlich Die heutige deutschsprachige Litera- „Ich vertraue Büchern; sie haben keine Vorurteile gegen Menschen“ In Ihren Gedichten und Texten schrei­ oder gar schreiben. Das wird gesell- gibt es hier auch Rassismus. Aber ich tur basiert zu großen Teilen auf der ben Sie auch über Zerstörung, Häuser schaftlich abgelehnt und führt bis zu schätze es sehr, dass Berlin multikultu- Gruppe 47, die nach dem Zweiten Welt- und Erinnerung. Spielten diese The­ ten uns frei und furchtlos – und woll- Deutschland weiterleben und weiter einer Tabuisierung von Gewalt gegen rell ist und hier so viele verschiedene krieg gegründet wurde. Autor*innen men für Sie schon vor Ihrer Flucht ten nichts weniger als den Sturz des Re- schreiben zu können. Frauen. Viele Frauen in Syrien, Saudi- Identitäten friedlich zusammenleben dieser Gruppe wie Ingeborg Bachmann eine Rolle? gimes. Dafür sind wir auf die Straße Arabien, im Irak, in Jemen und – ent- können. Ich persönlich habe noch und Günter Grass schrieben in einer Ja, denn ich habe beobachtet, wie die gegangen. Doch dann mischten sich Derzeit arbeiten Sie mit dem Projekt gegen häufigen anderslautenden Be- keinen Rassismus in Berlin erfahren extrem radikalen und realistischen Menschen ihre Häuser und Orte der Er- Islamist*innen unter die Reihen der „Weiter Schreiben“ in Berlin zusam­ hauptungen – auch in Kurdistan müssen. Allerdings trage ich auch kein Sprache über den Krieg. Das versuche innerungen in Syrien verlassen muss- Oppositionellen; und zusammen mit men, einem Portal, das geflüchtete haben oftmals keine gute oder über- Kopftuch, dann hätte ich es sicherlich ich heute auch. Sie erneuerten prak- ten, bis ich anschließend selbst diese den Nachbarstaaten, mit den USA und Au­to­r*in­nen aus Krisengebieten un­ haupt keine Bildung genießen dürfen schwerer. Rassismus gibt es überall auf tisch die Literatur nach dem Krieg, um harte Erfahrung gemacht habe. Mit terstützt. Haben Sie hier als Autorin und haben sehr wenige Rechte. Aber der Welt. Mein Mann ist Araber. Ich möglichen Wiederholungen etwas ent- meinem Buch „Zeit für Liebe, Zeit für wieder eine Stimme? für mich geht es um Frauenrechte bin Kurdin. Das war ein großes Pro­ gegenzusetzen. So etwas bräuchte es in Krieg“, das ich 2013 noch in Aleppo ver- „In Syrien konnte In Syrien war ich Widad Nabi, die sy- auf der ganzen Welt – nicht nur in Sy- blem für meine Familie, vor allem für jedem Land. Die Gruppe 47 kann ein öffentlichen konnte, wollte ich nicht risch-kurdische Autorin. In Deutsch- rien, sondern auch hier in Westeuropa. meine Mutter. Vorbild sein und sie kann vielen Au­ nur über meinen eigenen Schmerz auch vor Ausbruch land wurde ich erst mal reduziert Frauen sind gesellschaftlich ganz un- to­r*in­nen als Quelle der Inspiration schreiben, sondern einen imaginären des Krieges auf Widad Nabi, Geflüchtete. Egal wer ten angesiedelt, auch in Europa. Darü- Hat Ihnen Ihre Mutter mittlerweile dienen. Viele Schriftsteller*innen von Platz schaffen, an dem andere Men- sich für mich interessierte – ob beim ber muss gesprochen werden: auch in verziehen, dass Sie einen Araber ge­ damals haben unermüdlich gekämpft, schen ihre Erinnerungen versammeln niemand in Freiheit Radio, in der Öffentlichkeit oder der Deutschland und auch unter Linken in heiratet haben? um mit ihren Worten etwas zu bewe- und einen Ort für ihren Schmerz fin- Verwaltung: Als ich in Berlin ankam, Deutschland. Sagen wir es so: Es gab eine große Ver- gen. Schauen wir Hannah Arendt an: den können. Kurz darauf konnte ich schreiben“ war ich „ein Flüchtling“. Frühestens auf söhnung. Aber als ich meinen Mann Wie sie damals über Herrschaft und nicht mehr in Syrien veröffentlichen. den zweiten Blick waren meine Texte Das Thema bewegt Sie sehr. „Als ich vor hier in Berlin kennenlernte, war das Rassismus geschrieben hat, das war re- Regimekritische Autor*innen waren Russland sowie weiteren Großmäch- und Themen von Interesse. So geht es, Zwar wurde 2018 der Jesidin Nadia Mu- gut drei ein Riesenproblem für meine Mut- volutionär. Die Literatur heute braucht dort großen Gefahren ausgesetzt. ten wurde der Aufstand für verschie- denke ich, vielen Menschen mit Flucht­ rad der Friedensnobelpreis verliehen … Jahren nach ter, die mittlerweile auch in Deutsch- wieder neue Ideen, um über die Kata- dene machtpolitische Interessen ver- erfahrung. „Weiter Schreiben“ hilft mir Deutschland land lebt. Mein Mann ist auch Autor strophen und Opfer der heutigen Zeit Konnten Sie jemals in Freiheit schrei­ einnahmt. dabei, wieder eine Stimme als Autorin … für ihr Eintreten gegen sexuelle Ge­ kam, war ich – für mein Ankommen hier im Exil, kritischer und mutiger schreiben zu ben? zu bekommen. Das ist großartig, und walt an jesidischen Frauen … mir selbst war das eine wunderschöne Berei- können. Doch auch wenn die Litera- In Syrien konnte auch vor Ausbruch Was bedeutete das für Sie persönlich? ich schreibe weiter – um mich Hass … doch weiterhin leben Frauen unter eine fremde cherung. Heute leben wir gemeinsam tur Kriege nicht aufhalten kann, kann des Krieges niemand in Freiheit schrei­ Weil ich keinen Schleier trage, konnte und Krieg zu widersetzen und Reali- der Herrschaft der Terrororganisation Person“: in Charlottenburg. Er ist auch Syrer – sie Menschen in Kriegszeiten Hoff- ben. Als 2011 die Revolution friedlich ich nicht mehr in den Osten Aleppos, täten aufzudecken. Vergangene Wo- IS. Tausende Jesidinnen, eine kurdische Zwischen den aber eben Araber. Es gibt viel Rassis- nung geben. begann, änderte sich das schlagartig. der von oppositionellen Milizen ver- che erst haben wir eine neue Antholo- Minderheit, wurden nach Syrien ver- Büchern mus zwischen kurdischen und arabi- Auf einmal konnten wir über Krieg, einnahmt wurde. Wegen meiner re- gie herausgegeben. Mittlerweile fühle schleppt und vergewaltigt. Ein Großteil in Berlins schen Leuten – mit dem Krieg in Sy- In der Bibliothek, in der wir uns be­ Tod und Politik schreiben, ohne jedes gimekritischen Texte konnte ich je- ich mich als Flüchtling und als Autorin wird vermisst. Es gibt keine Nachrich- Bibliotheken rien hat sich das verschlimmert. Das finden, lassen sich viele dieser Schrif­ einzelne Wort abwägen zu müssen. doch auch nicht mehr in den Westen, gleichermaßen. Natürlich hat meine ten darüber, was mit ihnen passiert hat Widad ist grausam. Grausam ist aber auch, ten finden. Ich veröffentlichte regimekritische der vom Regime kontrolliert wurde. Fluchterfahrung mich und mein ist. Die Literatur und der Journalismus Nabi zu sich dass die Literatur in der Welt nicht ge- Ja, nicht zuletzt deswegen ist sie ein si- zurück­ Texte; sogar auf Facebook. Wir fühl- Deshalb bin ich geflohen, um hier in Schrei­ben verändert. Genauso wie müssen darüber schreiben und auch nug gegen Rassismus, Hass und Krieg cherer Ort für mich. gefunden sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  46 das interview taz am wochenende 47

über die Zusammenhänge mit deut- tut. Und nicht genug für Menschen, die schen und weltweit stattfindenden im Krieg leben oder schreckliche Erin- Waffenexporten berichten. Wir brau- nerungen an Krieg und Flucht haben chen dringend mehr kritische Stim- – so wie ich. „Ich will weiterleben men. Schriftsteller*innen, die in Frei- heit leben und schreiben können, was Wann genau haben sind Sie die Flucht sie wollen, sollten das auch nutzen. angetreten? Anfang 2015. Ich bin über See- und Viele Ihrer Texte, vor allem regime­ Landwege über die Türkei, Griechen- und Neues ermöglichen“ kritische, gibt es bislang nur auf Ara­ land, Ungarn, Mazedonien und Öster- bisch. Planen Sie, diese ins Deutsche reich nach Deutschland gekommen. zu übersetzen, oder inwieweit knüp­ Teilweise war ich gemeinsam mit fen Sie mit neuen Veröffentlichun­ Freunden unterwegs. An die Flucht „Literatur kann Menschen in Kriegszeiten Hoffnung geben“, sagt die kurdische Dichterin gen daran an? habe ich schreckliche Erinnerung. Und Ja, das stimmt. Beispielsweise ist mein ich bin tieftraurig, dass immer noch Widad Nabi. In den Schriftsteller*innen der deutschen Nachkriegszeit hat sie nach ihrer Flucht Buch „Syrien und die Sinnlosigkeit des so viele Menschen jeden Tag fliehen aus Syrien Vorbilder gefunden, in den Bibliotheken Berlins ein neues Zuhause – von dem sie Todes“, das ich 2016 im Libanon veröf- müssen. fentlichte, bislang nur auf Arabisch er- hofft, dass es keine Illusion ist. Angst hat die 33-Jährige vor dem Aufstieg der Rechtsextremen schienen. Viele meiner arabischen Ge- Was sind das für Erinnerungen? dichte und Texte werden aber bald auf In dem Lastwagen etwa, der uns von Deutsch erscheinen. Gemeinsam mit der türkischen Stadt Izmir zum Meer Interview Sophie Schmalz, Fotos Karsten Thielker meinem Übersetzer Suleman Taufiq brachte, wurden wir wie Vieh behan- bin ich im Kontakt mit Verlagen. delt und zusammengedrängt. Kin- taz: Frau Nabi, Bibliotheken wie die, der Fakt, dass ich jetzt hier im Exil an- der schrien. Der Schmuggler war wü- in der wir uns heute treffen, sind für gekommen bin. Auch wenn ich Angst Lyrik zu übersetzen ist sicher schwie­ tend und schrie, dass die Kinder nicht Sie nicht nur sichere Orte, sondern Widad Nabi habe vor der Zukunft in diesem Land. rig? schreien sollten. Fragen drängten sich haben viel mit Ihrer Heimatstadt Ja, das ist es. Die arabische Sprache hat mir auf: „Warum renne ich weg?“ Ich Der Mensch Widad Nabi, 33, ist in im Secession Verlag sowie im Aleppo zu tun. Warum? Wovor genau haben Sie Angst? viel mehr Emotion, Bilder und Fanta- wollte dem Tod und Erniedrigungen Kobani in Syrien geboren und in Manesse Verlag das Buch „Die Widad Nabi: Wenn man alles verlo- Vor dem Aufstieg der Rechtsextremen. sien. Deutsch ist eine härtere Spra- entkommen – und jetzt erlebte ich Be- Aleppo aufgewachsen. Sie hat einen Flügel meines schweren Herzens“. ren hat, bleibt nur die Erinnerung. Als Seit drei Jahren lerne ich Deutsch und che. Wenn Suleman Taufiq meine Ge- leidigungen andere Art und schwere Bachelor in Wirtschaftswissen- Momentan arbeitet Nabi mit dem ich vor gut drei Jahren nach Deutsch- baue mir hier ein Zuhause auf. Ich dichte vom Arabischen ins Deutsche Demütigungen. Aber auch an die Zeit schaften. In Aleppo finanzierte die Projekt „Weiter Schreiben“, einem land kam, war ich mir selbst eine hoffe sehr, dass dieses neue Leben hier übersetzt, bekommt nicht nur das Ge- davor habe ich schreckliche Erinnerun- Kurdin ihr Schreiben zeitweise mit Portal für Autor*innen aus Krisenge- fremde Person. Damals stand ich in im Exil keine Illusion ist. dicht an sich etwas Neues – das man, gen. Zu wandern und das Meer zu über- einem Job beim Finanzamt. bieten, zusammen, das die Antholo- der Schlange vorm Lageso … wenn man will, eine neue Seele nen- queren, dazu habe ich mich entschie- Während des Krieges schloss sie gie „Das Herz verlässt keinen Ort, an Um das Leben im Exil geht es auch in nen kann. Auch die Sprache an sich den, weil ich alles verloren hatte. sich der Opposition gegen das dem es hängt“ mit Texten von Nabi … dem Amt, das bis Mitte 2016 für die Ihrem Gedichtband, der bald erschei­ erfährt durch die Übersetzung etwas Was drängt sich Ihnen auf, wenn Sie Assad-Regime an, bevor sie 2015 herausgegeben hat. Derzeit ist sie Aufnahme Geflüchteter in Berlin zu­ nen wird. In den Gedichten verbinden Neues. an die Zeit vor der Flucht denken? die Flucht über See- und Landwege zudem Stipendiatin bei „Weiter ständig war und vor dem sich damals Sie Orte des Exils mit Orten der Erin­ Ich war verzweifelt, bevor ich auf die nach Europa aufnahm. In Berlin Schreiben“ in Wiesbaden. Zur Hunderte Menschen drängten … nerung. Warum? Was denn genau? Flucht ging. Ich wusste nicht mehr lernte sie ihren jetzigen Ehemann Leipziger Buchmesse wird Anfang Und ich hatte nirgendwo in Berlin ei- Ich suche Geschichten über die Ge- kennen; er ist auch Autor. Gemein- 2019 ihr Buch „Kurz vor dreißig, küss nen Ort, den ich mit irgendeiner Er- meinsamkeiten von Menschen und sam leben sie in Charlottenburg. mich“, eine Sammlung von Gedich- innerung verbinden konnte. Schmerz- Orten – nicht über die Unterschiede. ten über Liebe, Frauenrechte, Leben hafte Erinnerungen an die Flucht Erfahrungen in Syrien verbinde ich Die Autorin In ihrer Heimat Syrien im Exil und Ankommen im neuen drängten sich auf. Also suchte ich ei- mit neuen Erfahrungen in Deutsch- schrieb Nabi für zahlreiche Zeit- Land, im Sujet Verlag erscheinen. „Als ich hier ankam, kannte nen Ort, an dem ich mich aufgehoben land. Liebe verbinde ich mit Hass. Ich schriften und Zeitungen. 2013 fühlte. Eine Bibliothek ist ein sicherer möchte Opfer vor dem Vergessen be- ich nichts von diesem Land. erschien ihr Buch „Zeit für Liebe, Zeit Weiter schreiben Das Projekt Ort für alle Menschen. Ich vertraue Bü- wahren und über die Schande, die pas- für Krieg“ in Aleppo. Ihr Buch „Syrien „Weiter Schreiben“ stellt sich und Ich hatte nirgendwo in chern; sie haben keine Vorurteile ge- siert ist, berichten. Gleichzeitig will ich und die Sinnlosigkeit des Todes“ Texte seiner Autor*innen am gen Menschen. Als ich hier ankam, weiterleben und Neues ermöglichen. Berlin einen Ort, den ich mit erschien 2016 in Beirut im Libanon, Dienstag, 16. Januar, im Literari- kannte ich nichts von diesem Land, So schreibe ich über die Situation in wo sie auch weitere regimekritische schen Colloquium Berlin vor: Am irgendeiner Erinnerung außer ein wenig von der deutschen Syrien, den Krieg und das Ankommen Texte publizierte. In Deutschland Sandwerder 13, 14109 Berlin, Literatur. Die Grimm-Bibliothek war in Deutschland. Zudem schreibe ich in verbinden konnte“ erschienen erste Texte in der S-Bahnhof Wannsee, www.lcb.de. mein erster Zufluchtsort in Deutsch- meinem neuen Buch: „Kurz vor drei- Anthologie „Weg sein – hier sein“ Der Eintritt ist frei. land. Sie erinnert mich an meine Hei- ßig, küss mich“, das Anfang 2019 hier matstadt Aleppo, wo Buchhandlungen in Deutschland erscheinen wird, aber und Bi­blio­the­ken für die Menschen auch über Liebe, Erotik und über Frau- Übersetzungen verändern die Sprache, weiter. Aleppo versank im Krieg. Die sehr wichtig sind. Und inzwischen sehe enrechte, die es weltweit, auch hier in indem Dinge mit anderen Worten aus- Stadt war geteilt, und auf dem Grenz- ich viele weitere Parallelen zwischen Berlin, zu verteidigen gilt. gedrückt werden, indem Beschreibun- streifen zwischen Ost und West musste Aleppo und Berlin. gen hinzukommen, um den Sinn bes- ich erleben, wie direkt neben mir Men- Darin geht es auch um „eine ser zu treffen. Jede Übersetzung ist eine schen erschossen wurden, die versuch- Welche denn? schlechte Frau, die nach einem hal­ individuelle Interpretation. Auch Re- ten die Grenze zu überqueren. Die Das reicht von kleinen Details wie dem ben Glas Wodka die Welt verflucht“ dewendungen kommen hinzu. Je bes- Verzweiflung war groß. Der Schrift- Fußboden in der Kulturbrauerei, der an und die „den Schlangenbiss zwi­ ser mein Deutsch und mein Gefühl für steller Walter Benjamin, der eine dra- die Altstadt Aleppos erinnert, bis hin schen ihren Beinen“ nicht bedau­ diese Sprache wird, desto spannender matische und verzweifelte Flucht im zu gesellschaftlichen Parallelen. Zum ert. Warum ist diese Frau schlecht? finde ich das. Zweiten Weltkrieg erlebte, nahm sich Beispiel, dass die Menschen nach Nie- Für viele Menschen bin ich selbst eine in einem Grenzort in Spanien das Le- derschlägen wieder aufstehen und schlechte Frau – vor allem für Men- [Widad Nabi lacht der Übersetzerin zu, ben. Für mich ergaben sich in vielen schreckliche Dinge hinter sich lassen schen in Syrien und anderen arabi- die neben ihr sitzt und bisher nicht viel schrecklichen Situationen Vergleiche können, ohne zu verzweifeln. Was der schen Ländern; weil ich über Liebe, sprechen musste. Lediglich ein paarmal, mit bedeutenden Schriftsteller*innen Krieg heute in Syrien anrichtet, rich- Sex und persönliche Beziehungen bei Verständnisproblemen oder wenn oder der Literatur. tete er vor ein paar Jahrzehnten in schreibe. Wenn ich einen Text in ei- wir es genauer wissen wollten, sprang Deutschland an. Vieles von dem, was ner arabischen Zeitung veröffentlichte, Maya El-Auwad ein und übersetzte aus Was kann die Literatur denn besser die Menschen damals in Deutschland sagten viele Leser*innen: „Diese Frau dem Arabischen.] machen, um, wie Sie sagen, mehr erlebten, erleben die Menschen heute ist schlecht.“ Damit sind genauso alle gegen Rassismus, Hass und Krieg zu in Syrien. anderen Frauen gemeint, die über so- In Berlin kann ich wunderbar leben – tun? genannte private Themen sprechen trotz sprachlicher Barrieren. Natürlich Die heutige deutschsprachige Litera- „Ich vertraue Büchern; sie haben keine Vorurteile gegen Menschen“ In Ihren Gedichten und Texten schrei­ oder gar schreiben. Das wird gesell- gibt es hier auch Rassismus. Aber ich tur basiert zu großen Teilen auf der ben Sie auch über Zerstörung, Häuser schaftlich abgelehnt und führt bis zu schätze es sehr, dass Berlin multikultu- Gruppe 47, die nach dem Zweiten Welt- und Erinnerung. Spielten diese The­ ten uns frei und furchtlos – und woll- Deutschland weiterleben und weiter einer Tabuisierung von Gewalt gegen rell ist und hier so viele verschiedene krieg gegründet wurde. Autor*innen men für Sie schon vor Ihrer Flucht ten nichts weniger als den Sturz des Re- schreiben zu können. Frauen. Viele Frauen in Syrien, Saudi- Identitäten friedlich zusammenleben dieser Gruppe wie Ingeborg Bachmann eine Rolle? gimes. Dafür sind wir auf die Straße Arabien, im Irak, in Jemen und – ent- können. Ich persönlich habe noch und Günter Grass schrieben in einer Ja, denn ich habe beobachtet, wie die gegangen. Doch dann mischten sich Derzeit arbeiten Sie mit dem Projekt gegen häufigen anderslautenden Be- keinen Rassismus in Berlin erfahren extrem radikalen und realistischen Menschen ihre Häuser und Orte der Er- Islamist*innen unter die Reihen der „Weiter Schreiben“ in Berlin zusam­ hauptungen – auch in Kurdistan müssen. Allerdings trage ich auch kein Sprache über den Krieg. Das versuche innerungen in Syrien verlassen muss- Oppositionellen; und zusammen mit men, einem Portal, das geflüchtete haben oftmals keine gute oder über- Kopftuch, dann hätte ich es sicherlich ich heute auch. Sie erneuerten prak- ten, bis ich anschließend selbst diese den Nachbarstaaten, mit den USA und Au­to­r*in­nen aus Krisengebieten un­ haupt keine Bildung genießen dürfen schwerer. Rassismus gibt es überall auf tisch die Literatur nach dem Krieg, um harte Erfahrung gemacht habe. Mit terstützt. Haben Sie hier als Autorin und haben sehr wenige Rechte. Aber der Welt. Mein Mann ist Araber. Ich möglichen Wiederholungen etwas ent- meinem Buch „Zeit für Liebe, Zeit für wieder eine Stimme? für mich geht es um Frauenrechte bin Kurdin. Das war ein großes Pro­ gegenzusetzen. So etwas bräuchte es in Krieg“, das ich 2013 noch in Aleppo ver- „In Syrien konnte In Syrien war ich Widad Nabi, die sy- auf der ganzen Welt – nicht nur in Sy- blem für meine Familie, vor allem für jedem Land. Die Gruppe 47 kann ein öffentlichen konnte, wollte ich nicht risch-kurdische Autorin. In Deutsch- rien, sondern auch hier in Westeuropa. meine Mutter. Vorbild sein und sie kann vielen Au­ nur über meinen eigenen Schmerz auch vor Ausbruch land wurde ich erst mal reduziert Frauen sind gesellschaftlich ganz un- to­r*in­nen als Quelle der Inspiration schreiben, sondern einen imaginären des Krieges auf Widad Nabi, Geflüchtete. Egal wer ten angesiedelt, auch in Europa. Darü- Hat Ihnen Ihre Mutter mittlerweile dienen. Viele Schriftsteller*innen von Platz schaffen, an dem andere Men- sich für mich interessierte – ob beim ber muss gesprochen werden: auch in verziehen, dass Sie einen Araber ge­ damals haben unermüdlich gekämpft, schen ihre Erinnerungen versammeln niemand in Freiheit Radio, in der Öffentlichkeit oder der Deutschland und auch unter Linken in heiratet haben? um mit ihren Worten etwas zu bewe- und einen Ort für ihren Schmerz fin- Verwaltung: Als ich in Berlin ankam, Deutschland. Sagen wir es so: Es gab eine große Ver- gen. Schauen wir Hannah Arendt an: den können. Kurz darauf konnte ich schreiben“ war ich „ein Flüchtling“. Frühestens auf söhnung. Aber als ich meinen Mann Wie sie damals über Herrschaft und nicht mehr in Syrien veröffentlichen. den zweiten Blick waren meine Texte Das Thema bewegt Sie sehr. „Als ich vor hier in Berlin kennenlernte, war das Rassismus geschrieben hat, das war re- Regimekritische Autor*innen waren Russland sowie weiteren Großmäch- und Themen von Interesse. So geht es, Zwar wurde 2018 der Jesidin Nadia Mu- gut drei ein Riesenproblem für meine Mut- volutionär. Die Literatur heute braucht dort großen Gefahren ausgesetzt. ten wurde der Aufstand für verschie- denke ich, vielen Menschen mit Flucht­ rad der Friedensnobelpreis verliehen … Jahren nach ter, die mittlerweile auch in Deutsch- wieder neue Ideen, um über die Kata- dene machtpolitische Interessen ver- erfahrung. „Weiter Schreiben“ hilft mir Deutschland land lebt. Mein Mann ist auch Autor strophen und Opfer der heutigen Zeit Konnten Sie jemals in Freiheit schrei­ einnahmt. dabei, wieder eine Stimme als Autorin … für ihr Eintreten gegen sexuelle Ge­ kam, war ich – für mein Ankommen hier im Exil, kritischer und mutiger schreiben zu ben? zu bekommen. Das ist großartig, und walt an jesidischen Frauen … mir selbst war das eine wunderschöne Berei- können. Doch auch wenn die Litera- In Syrien konnte auch vor Ausbruch Was bedeutete das für Sie persönlich? ich schreibe weiter – um mich Hass … doch weiterhin leben Frauen unter eine fremde cherung. Heute leben wir gemeinsam tur Kriege nicht aufhalten kann, kann des Krieges niemand in Freiheit schrei­ Weil ich keinen Schleier trage, konnte und Krieg zu widersetzen und Reali- der Herrschaft der Terrororganisation Person“: in Charlottenburg. Er ist auch Syrer – sie Menschen in Kriegszeiten Hoff- ben. Als 2011 die Revolution friedlich ich nicht mehr in den Osten Aleppos, täten aufzudecken. Vergangene Wo- IS. Tausende Jesidinnen, eine kurdische Zwischen den aber eben Araber. Es gibt viel Rassis- nung geben. begann, änderte sich das schlagartig. der von oppositionellen Milizen ver- che erst haben wir eine neue Antholo- Minderheit, wurden nach Syrien ver- Büchern mus zwischen kurdischen und arabi- Auf einmal konnten wir über Krieg, einnahmt wurde. Wegen meiner re- gie herausgegeben. Mittlerweile fühle schleppt und vergewaltigt. Ein Großteil in Berlins schen Leuten – mit dem Krieg in Sy- In der Bibliothek, in der wir uns be­ Tod und Politik schreiben, ohne jedes gimekritischen Texte konnte ich je- ich mich als Flüchtling und als Autorin wird vermisst. Es gibt keine Nachrich- Bibliotheken rien hat sich das verschlimmert. Das finden, lassen sich viele dieser Schrif­ einzelne Wort abwägen zu müssen. doch auch nicht mehr in den Westen, gleichermaßen. Natürlich hat meine ten darüber, was mit ihnen passiert hat Widad ist grausam. Grausam ist aber auch, ten finden. Ich veröffentlichte regimekritische der vom Regime kontrolliert wurde. Fluchterfahrung mich und mein ist. Die Literatur und der Journalismus Nabi zu sich dass die Literatur in der Welt nicht ge- Ja, nicht zuletzt deswegen ist sie ein si- zurück­ Texte; sogar auf Facebook. Wir fühl- Deshalb bin ich geflohen, um hier in Schrei­ben verändert. Genauso wie müssen darüber schreiben und auch nug gegen Rassismus, Hass und Krieg cherer Ort für mich. gefunden sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  48 berlin kultur taz am wochenende

berliner szenen Busfahrer- rhetorik Im Schuhcenter an der Quitzowstraße sind die LED- Sohlen-Skechers jetzt preis- reduziert. Die Schuhe leuch- ten giftgrün bis rosarot. Man muss nur an der „Schuh- Das Berliner Ehepaar zunge mit An/Aus-Schalt- Marion und Jörg knopf“ ziehen. USB-Kabel gibt es bei Kauf von was an- Schwandt sammelt derem gratis dazu. Das al- seit 1974 dänischen les kann man in Ruhe lesen, denn der M27 schleicht nur Schmuck, der Kunst noch. Vor der Perleberger für das Volk sein Brücke kapituliert er end- gültig. sollte. Jetzt ist die „Leute, wir sind jetzt de- Sammlung im Bröhan- finitiv zu viele. Ein paar von euch müssen raus. Und mein Museum zu sehen Kollege kommt ja in zehn Minuten. Die frische Luft tut auch richtig gut!“ Kei- ner rührt sich. Alle schauen Die verstört zum Busfahrer. Der macht einfach alle Türen auf. „Leute, ich fahr nicht wei- ter, bevor nicht mindestens organische zehn von euch draußen sind. Vielleicht fangen wir mal mit den Radfahrern an, die sich wohl zu fein sind, bei zwei Kraft des Schmuck am Grad Plus und dem bisschen Handgelenk Schneeregen auf der Straße der Sammlerin zu fahren. Nur bei schönem Foto: André Wetter das Carbonrad schau- Schmucks Wunstorf keln, bei ein paar Tropfen Re- gen aber mit Mama Bus fah- ren, dit is nun wirklich nicht Architekten Thorvald Bindes- Hals ein Ring in drei Teilen von schichte und ihre Strömungen und ging dann nach Italien, wo Von Henriette Harris die feine Art.“ Einige schauen bøll. Er war quasi Japaner, weil Bent Gabrielsen Pedersen von im 20. Jahrhundert, sondern er in Florenz zum Katholizismus jetzt empört, andere grinsen. agen wir es gleich, er die Kräfte der Natur, wie auch 1958. Beide Objekte sind auch auch, wie die Schmuckstücke konvertierte. Aber keiner steigt aus. damit die Leserin die Japaner, wirklich begriffen in den Vitrinen zu sehen. darüber hinaus ihre Zeit und Zurück in Kopenhagen, grün- „Mit euch allen zusammen nicht später sauer hat. Bindesbøll kann man nicht Mit dem Verkauf an das Mu- die Gesellschaft widerspiegeln. det Mogens Ballin die Werkstatt, bin ich außerdem ’ne rich- wird: Wer die Aus- imitieren, da wird eine organi- seum in Aarhus war es aber Die Geschichte fängt im Jahr die einer künstlerischen und so- tige Virenschleuder. Wenn stellung „Sim- sche Kraft dargestellt, und eben nicht vorbei. Einmal Sammler, 1900 an, als Mogens Ballin eine zialpädagogischen Idee folgt: ich mir so anhöre, was hier ply Danish“ im darin liegt die Stärke des däni- immer Sammler. Die 174 Ob- Werkstatt für Metallkunst in Ko- „Ich will Gebrauchsgegenstände gehustet wird; das klingt gar SBröhan-Museum besucht und schen Silberschmucks.“ jekte im Bröhan-Museum hat penhagen gründet. Er stammt machen – von schöner Form, nicht gut. Und da geht es gar sich dänischen Silberschmuck Die Schwandt-Sammlung das Ehepaar seit 2013 erwor- aus einem wohlhabenden jüdi- ausgeführt in Bronze, Zinn, po- nicht mal darum, nicht zur aus dem 20. Jahrhundert an- umfasst heute 950 dänische Sil- ben. Wenn man sich von Jörg schen Haus, hat in den 1880er liertem Kupfer und anderen Arbeit zu dürfen. Da geht schaut, wird danach für im- berschmuckstücke. „Wir können Schwandt durch die Ausstel- Jahren mit Mette Gauguin, der billigen Metallen; es ist meine denn auch zu Hause nichts mer mit einem kritischen Blick sie aber nicht mit in die Urne lung führen lässt, erfährt man dänischen Ehefrau des Malers Absicht, Dinge zu machen, die mehr. Ich würd mich an eu- auf den Inhalt des eigenen nehmen“, sagt Jörg Schwandt. über den Silberschmuck und Paul Gauguin, Französisch stu- selbst der bescheidenste Geld- rer Stelle nicht so anstecken Schmuckkästchens gucken. 174 2013 wurde die Sammlung an seine Entwicklung nicht nur et- diert und ist nach Paris gefah- beutel bezahlen kann, Kunst lassen.“ Jetzt fragende Ge- einzigartige Objekte, hergestellt das Museum Den Gamle By was über die gesamte Kunstge- ren. Dort malte er symbolistisch für das Volk – und nicht raffi- sichter. Erschrecken ist auch zwischen 1899 und 2002, wer- (Die alte Stadt) in Aarhus ver- nierte Kunst für reiche Parve- dabei. „Na denn is’ auch im fen den Schmuckliebhaber, Frau kauft, und die dadurch entstan- nus“, schreibt er 1900. Bett tote Hose. Nichts los oder Mann, einfach um. dene permanente Ausstellung Silber gehörte anscheinend im Moos und Strafkolonie Ein Sommerurlaub auf der „Smykkeskrinet“ (Das Schmuck- auch zu den relativ billigen Me- Wohnzimmersofa.“ dänischen Insel Møn hat dem kästchen) wurde im Februar tallen, und 1901 stellte Ballin Das Erschrecken wird zum Berliner Ehepaar Marion und 2017 von Kronprinzessin Mary den Silberschmied Georg Jensen Entsetzen. „Ja, fragt mich nur, Jörg Schwandt 1971 die Augen eingeweiht. Jörg Schwandt hat als Werkmeister an. Jensen hatte was passiert, wenn der Bus zu für dänisches Kunsthandwerk es genossen. „Die Dänen kön- an der Kunstakademie ein Bild- voll ist!“ geöffnet. Als die beiden 1974 zu nen sich glücklich schätzen, hauerstudium absolviert und Die Ersten gehen. Der sammeln anfingen, war ihre Lei- dass sie die Kronprinzessin ha- vermochte so das Ideal der Ein- Nachfolgerbus ist auch da. denschaft der Silberschmuck. ben, und das meint auch meine heit von Entwerfen und Produ- Der Busfahrer grinst. „Man „Silber ist überall anwe- Frau“, schwärmt er. zieren von der britischen Arts- muss nur die richtigen Argu- send in Dänemark“, sagt Jörg Marion Schwandt ist zurück- and-Crafts-Bewegung, die Ende mente haben. Gute Rhetorik Schwandt. Der ausgebildete Lite- haltend, während ihr Mann des 19. Jahrhunderts entstan- ist wichtig für gutes Busfah- raturwissenschaftler und seine spricht. Aber als er sich allein vor den war, einzulösen. Als Georg ren!“ Theresa Heinewald Frau, die pensionierte Kunstleh- der großen Wand mit schwarz- Jensen 1904 seine eigene Werk- rerin ist, sprechen hervorragend weißen Porträts bedeutender statt gründet, ist der internatio- Dänisch. Die Sprache haben sie dänischer Schmuckdesigner nale Erfolg nicht weit. Lassen Sie auf zahlreichen Reisen nach Dä- hinsetzt, um fotografiert zu wer- sich selbst von seinen und den nemark kennengelernt. „Kunst- den, und sie selbst zu erzählen Ein Sommer- anderen Werken in der Ausstel- handwerk hat in Dänemark eine beginnt, merke ich sofort, dass urlaub auf lung verzaubern, wenn möglich große Bedeutung. In den öffent- Marion Schwandt genauso viel der Insel Møn in der kundigen Begleitung von lichen Institutionen sieht man weiß wie ihr Mann und ihre hat Marion Jörg Schwandt. Lampen von Poul Henningsen Leidenschaft tatsächlich eine und Jörg und Stühle von Arne Jacobsen“, gemeinsame ist. Schlicht ge- Schwandt die Bröhan Museum. Jörg sagt Schwandt und erzählt, wie kleidet zeigt ihr Schmuck ihren Augen für Schwandt macht kostenlose groß der Einfluss aus Japan, der guten Geschmack: An Marion dänisches Führungen am 20. Januar, am Japonismus, auf die Entwick- Schwandts Handgelenk schim- Kunsthand- 3. und 17. 2. Februar, und am lung des dänischen Silber- mert ein Armband von Bent werk geöffnet 3. März. Anmeldung ist nicht schmucks war. „Nehmen Sie den Knudsen von 1957, um ihren Foto: André Wunstorf erforderlich. Bis 3. März Foto: dpa Foto:

Anzeige Heavy Metal OPening was tun? Alte weiße Days Schrubb’ on! Hotel Auschwitz Cis-Männer Der Metal hat es schwer BIs 13.1. Curling ist natürlich die geilste Wintersportart Nächste Woche kommt der Film „Hotel Ausch- genug in diesen Tagen. Gilt ever, oder sind Sie etwa anderer Meinung? Und witz“ in die Kinos. Er dreht sich um Martin, einen als alt, weiß, männlich und Curling im Club-Kontext klingt auch super. Der karrierebesessenen Theaterregisseur, der „Die provinziell, das Schlimmste, EiNTRITT DJ und Produzent Frank Nubala scheint bekannt Ermittlung“ von Peter Weiss inszeniert und eine was einem passieren kann. FREi A zu sein für außergewöhnliche Partys, nun Recherchereise nach Auschwitz unternimmt. Der „Painkiller“-Abend im kündigt er „Community Curling“ im Fitzroy Berlin Doch eigentlich will er auf der Reise seiner Badehaus Berlin verspricht (Holzmarktstr. 15, Mitte) an. Das Line-up besteht Hauptdarstellerin Sabine näherkommen, die er Vintage Heavy Metal und Heute zumindest aus klingenden Namen wie DJ Fucks überredet hat mitzukommen. Sowieso kümmert Hard Rock. Da werden Performances, Lectures, Himself, Helmut Cool und Krabben Öde. Verspro- sich das Ensemble weniger um Recherche als doch hoffentlich die Judas Filme, Party mit Kader Attia, chen wird eine unvergessliche Nacht mit Tanzen, vielmehr um Befindlichkeiten und die eigene Priests, Manowars, Accepts, Filipa César, Maryisonacid Essen, Körperkontakt und Teamwork. Da kann Karriere. Eine schön böse Satire auf den Van Halens und Maidens (African Acid is the Future), man nur das alte Curling-Motto bemühen: Theaterbetrieb. Am Sonntag gibt es im B-Ware- dieser Welt ausführlich Diana McCarty, Hito Steyerl, Schrubb’ on! Ladenkino (Friedrichshain) eine Vorpremiere. gewürdigt. Am Samstag, ab Mark Waschke u.v.a. 22.30 Uhr, Revaler Str. 99. 12. Januar, 23.59 Uhr, Fitzroy 13.1., 18.50 Uhr, B-Ware-Ladenkino  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende berlin kultur 49 Sei kein Schaf Unser Autor Helmut Höge macht sich auf die Suche nach Schafen in Berlin. Zwischendurch liest er Foucault und regt sich über schreckliche Hirtenreligionen auf Von Helmut Höge utta Behrens ist seit Wissenshistoriker Michel Fou- ihrem Kunsthoch- cault herausgearbeitet, dass die schulabschluss ar- Idee einer „pastoralen Macht“ beitslos gemeldet, (Häuptling, König, Gott) im Ori- hat sich aber zu ei- ent entstand: „Man findet diese ner Schäferin fort- Machtvorstellung in Ägypten, Jgebildet, indem sie vier Prak- Assyrien und Babylon. Der Ti- tika bei Schafzüchtern im Um- tel des ‚Hirten‘, des ‚Pastors‘, land gemacht hat – ohne Wissen gehörte zur königlichen Titula- des Jobcenters: heimlich quasi. tur für die babylonischen Mon- Zuletzt arbeitete sie in einem archen.“ Vor allem bei den Heb- Ausbildungsbetrieb, wo ihr eine räern wurde dann das „Pastorat Lehrstelle („Tierpflegerin Schä- ein grundlegender Verhältnis- ferei“) angeboten wurde, wenn typus zwischen Gott und dem sie zuvor ein Dreimonatsprakti- Menschen“, aus dem sich die an- kum absolviere. Ihr Arbeitsver- deren zwei Monotheismen her- mittler sagte jedoch: „Es gibt auskristallisierten. Es ging dabei keine Schäfereien in Berlin – nicht um das Besetzen eines Ter- und deswegen Nein.“ Sein Vor- ritoriums: „Die Macht des Hir- gesetzter fügte hinzu: „Das Ar- ten wird per definitionem auf beitsamt ist kein Wunschkon- eine Herde ausgeübt.“ zert!“ Außerdem zahle das Amt nur noch Einmonats-Praktika Der Hirte und – „zum Schutz des Arbeitneh- die Herde mers!“ Dem griechischen Denken ist Jutta gibt jedoch nicht auf, die Idee fremd, dass die Göt- Im Berliner sie schätzt die ruhige Arbeit ter die Menschen wie ein Hirte Umland mit Schafen sehr, auch wenn in seine Schafherde führen. Sie ha- weidet’s sich der Herde ein paar renitente Zie- ben „territoriale Götter“. Die ori- gut gen mitlaufen. Ein Hütehund ist entalische Hirtenmacht werde, Foto: Gita Fuori ihr aber oft schon zu viel – und so Foucault, dagegen auf „eine besonders Spaziergänger, die Herde in ihrer Fortbewegung, sie jedes Mal fragen: „Wie viele in der Bewegung“ ausgeübt. Das liner Schafen ist nun, dass sie Gotlandschafen, Heidschnu- rassen in kleinen Gruppen ge- und beobachtete das aus einiger Schafe sind denn das?“ Jutta ist „Heil der Herde ist für die pasto- gerade nicht geschlachtet oder cken und drei Bergziegen). halten werden: Hissar-Schafe Entfernung, irgendwann wurde lieber ungestört und allein: „In rale Macht das wesentliche Ziel“. geschächtet werden: Hier dür- Die vornehme Öko-Do- aus Tadschikistan, baltische es ihr zu viel und sie lockte ihr jeder Wohngemeinschaft wäre Foucault meint, der Schä- fen sie noch oder besser: schon mäne Dahlem hat nicht nur Skudde, Gescheckte Bergschafe Junges zurück, indem sie einmal ich eine Katastrophe,“ sagt sie. fer/Hirte verliere kein verirr- eines „natürlichen Todes“ ster- eine Schafherde, sondern auch aus den Alpen, Mongolenschafe, leise blökte – in einem ganz an- Die Auskunft des Jobcenters tes Schaf aus seiner Herde. In ben. Das war nicht immer so: eine kommerzielle Spinn- und Rotkopfschafe aus den Pyre- deren Ton als ihr sonstiges Blö- war natürlich falsch: Es gibt et- der „hebräischen Thematik der Mindestens in Kreuzberg stand Webgruppe. Der Tagesspiegel näen, Walliser Schwarznasen- ken. Ihr Lamm reagierte sofort, liche Schäfereien in Berlin, er- Herde“ schulde der Hirte sei- bis in die Achtzigerjahre vor schreibt, dass das Schaf „Pünkt- schafe und ein Kreishornschaf, kam angerannt und stürzte wähnt sei die größte von Björn nen Schafen alles, „derart, dass dem islamischen Opferfest bei chen“ am beliebtesten ist, weil dieses starb jedoch im Winter, sich geradezu an ihr Euter. Das Hagge am Spandauer Hahne- er hinnimmt, sich selbst für das den Türken gelegentlich ein le- es feinste Wolle liefert. Bei der wie ich einem Aushang des Tier- Mädchen, das eine Jahreskarte berg, der 530 Schafe und 20 Heil der Herde zu opfern“. Dass bendes Westberliner Schaf als Schafherde im Gutshof des Brit- parks entnahm. Vielleicht beim für den Tierpark hatte, machte Ziegen hält, sowie der Stadt- Sohn­ersatz auf ihrem Balkon – zer Schlosses handelt es sich da- Ablammen? mich darauf aufmerksam, dass schäfer, dessen Tiere das Flug- danach hing sein Fell über dem gegen um eine „robuste Tier- In der anderen Rubrik „Neu- eines der Somalischafe hinke, feld Johannisthal beweiden, Sie töteteten die Geländer. rasse“. geburten“ fand ich jedoch meh- die für die Tiere im Streichelge- ferner die zwei Schäfer, die Heute hat fast jeder Bezirk ei- Den von der Senatsumwelt- rere Lämmer nicht aufgeführt, hege zuständige Pflegerin wisse mit einer Herde Pommerscher bezaubernde nen subventionierten Kinder- verwaltung angestellten Stadt- unter anderem das Lamm einer jedoch Bescheid. Den Schafen Landschafe die Grünflächen des kleine, dazu bauernhof und diese alle eine schäfer Hagge könnte man Rotkopfschafmutter. Es traute in der Stadt werden die wilden Lichtenberger Landschaftsparks kleine Schafherde, der in Hel- mit seinen Hunden Julie und sich aus der „Ruhezone“ heraus Wölfe (noch) nicht gefährlich, Herzberge pflegen, und der noch hoch- lersdorf sogar eine große mit Jake sogar als einen Wander- an einen Zaun, hinter dem ein dafür reißt jedoch von den etwa Schäfer Knut Kucznik, der seine schwangere Braunen Bergschafen und Thü- schäfer bezeichnen, auch wenn Schafbock stand – gleich drei 100.000 zahmen Stadthunden 200 Schafe auf dem ehemaligen ringer Waldziegen. In Kreuz- er seine Schafe nicht wie die Kinder umringten und strei- immer mal wieder einer eins. Tempelhofer Flugfeld hütet, wo Angoraziege berg kommt noch ein weiterer Schäfer in Paris zu den einzel- chelten es. Die bis dahin dö- Für die Schafe macht das kei- 2018 auch das erste Berliner Lilly – und sitzen nichtsubventionierter Hof mit nen Weideflächen treibt, son- sende Mutter stand unruhig auf nen Unterschied. „Schäferfest“ stattfand. Es gibt zwei Schafen (Luna und Blanca) dern mit dem Lastwagen trans- hier ferner den Schafzuchtver- dafür nun in dazu, sowie die Schafe und Zie- portiert – unter anderem zu den band Berlin-Brandenburg, der Tegel ein gen im Tiergehege am Fuße des Wiesen an der Düne im Grune- Anzeige 100 Herdbuchzüchter betreut Kreuzbergs. In Neukölln gibt es wald, in der Murellenschlucht und auf der Grünen Woche für den Streichelzoo des Volksparks an der Waldbühne, im Natur- seine Weiterbildungskurse in er seine Herde gegebenenfalls Hasenheide, der seine Schaf- park Schöneberger Südgelände „Tiergerechter Schaf- und Zie- im Stich lässt, um eins zu retten, herde zum Abweiden ausleiht. und am Schloss Charlotten- genhaltung“ wirbt. das sich verirrt hat, nennt Fou- Die Verwaltung der Pfaueninsel, burg. Hier weiden allein 100 Gelegentlich gibt es Demons- cault „das Paradox des Hirten“, des Pankower Bürgerparks und Schafe, sie verschonen im Ge- trationen von Schäfern vor dem der das eine für das Ganze op- der Naturschutzstation Marien- gensatz zum Motormäher nicht Landwirtschaftsministerium; fere und das Ganze notfalls für felde halten eigene kleine Her- nur die Insekten, sondern „tra- an der Humboldt-Uni bei den das eine: „Etwas, das im Mittel- den. gen auch zur Entspannung der Agrar- sowie bei den Kulturwis- punkt der christlichen Proble- Städter bei“, sagte der Schloß- senschaftlern gibt es eine gedie- matik des Pastorats steht.“ Da- Dahlemer Spinn- parkleiter Gerhard Klein zur gene Schafforschung. Bei den bei habe der „abendländische und Webgruppe Stadtschaf­forscherin Annette Ersteren, wo seltsamerweise Mensch“ in Jahrtausenden ge- In Marienfelde schlug kürzlich Kuhn, die der Meinung ist, dass Cheer Out Loud! viele Dozenten Schäfer heißen, lernt, „was zweifellos kein Grie- der Schafsbock mehrere Verbre- Stadtschafe „im Kommen seien, Eine Komödie über einen bankrotten Sportverein, wird praktisches Schafwissen che je zuzugestehen bereit ge- cher in die Flucht. Die Neuköll- eine Entwicklung, die vor etwa Inklusion als Zauberwort und ein ehrgeiziges gelehrt (das wichtigste Buch zur wesen wäre, sich als Schaf un- ner und Kreuzberger Streichel- 15 Jahren begann.“ Derk Ehlert, Cheerleading-Team Schafhaltung wurde dort bereits ter Schafen zu betrachten“. herden wurden schon mehr- der Tierexperte bei der Senats- zu DDR-Zeiten veröffentlicht). Es gibt jedoch neben diesen mals nächtens von Schaf- bzw. verwaltung für Umwelt, fügte von Susanne Lipp | in einer Fassung des GRIPS Theaters Bei Letzteren hat Profes- armseligen Gläubigen auch Ziegenmördern heimgesucht, hinzu: „In der Stadt ist die Schaf- Uraufführung 17. Januar sor Thomas Macho über „Poli- noch ganz viele richtige Schafe, zwei töteten unter anderem die haltung meist kostendeckend“. tische Pastorate“ doziert, also die nicht aus Gottesebenbild- bezaubernde kleine, dazu noch Zu den ältesten Schafhaltun- 18.1., 18 Uhr | 19.1., 19.30 Uhr über diese drei schrecklichen lichkeit entstanden, sondern hochschwangere Angoraziege gen in Berlin zählt der Westber- Hirtenreligionen, die aus den von Mufflons abstammen. Sie Lilly, und sitzen dafür jetzt im liner Zoo und der Ostberliner Tickets & Infos: 030–39 74 74 -77 (auch online) verschiedenen Hütemethoden stehen mir natürlich viel näher Gefängnis in Tegel. Dort wer- Tierpark. Hier erfuhr ich von von Schäfern hervorgegangen als alle Monotheismusanhän- den die Wiesen am Flughafen- einem kleinen Mädchen, dass sind. In seiner „Geschichte der ger (die sich Gott unterwerfen). see sowie das Vogelschutzgebiet innerhalb und außerhalb des HANSAPLATZ grips-theater.de Gouvernementalität“ hat der Das Interessante an den Ber- am Flughafen beweidet (mit 46 Streichelgeheges sechs Schaf- sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  50 lokalprärie taz am wochenende

briefe Ticketloser ÖPNV Falsch verstanden tereinander die Lappen, wenn sie werden durch die Fehlermeldung Gesamtbeißstatistik – dazugehö- ihn mal in die Hände bekommen! eher abgeschreckt. Sie werden ein ren? Und da halt keiner dran will? taz.die tageszeitung „Der Irrweg der Chefjuristin“, „Der Irrweg der Chefjuristin“, Kathleen Weise, Pulsnitz Arbeitsverhältnis daher nicht ein- Silke Karcher, Berlin Friedrichstr. 21 10969 Berlin taz am wochenende vom 5./6. 1. 19 taz am wochenende vom 5./6. 1. 19 gehen. Obdachlosigkeit wird da- [email protected] Wenn Stefan Alberti noch nie in Stefan Alberti hat es wohl nicht durch zur Falle. www.taz.de Städten wie Paris oder London ge- richtig verstanden: Schwarzfahren Ohne Wohnsitz Torsten Dirk Hübner, Dresden Möhre aus der Erde

Die Redaktion behält wesen ist und sich keine Zugangs- würde – wenn es nach der Gene- „Nur eine Art Nothilfe“, „Currywurst für 17 Euro“, sich Abdruck und schranken zur Metro vorstellen ralstaatsanwältin geht – weiterhin taz vom 8. 1. 19 taz vom 9. 1. 19 Kürzen von kann („ohne Strafen würde der eine Ordnungswidrigkeit sein und Sehr geehrte Redaktion, Gesamtbeißstatistik bin derzeit bei bekannten, welche Leserbriefen vor. Ticketkauf zur freiwilligen Leis- mit Bußgeld sanktioniert wer- ich schätze, dass auch Sie über „Ein Fall für Herrn Mux“, hartnäckig an der idee festhalten, Die veröffentlichten Briefe geben nicht tung“), ist das persönlich schade den, nur eben keine Straftat mit Obdachlosigkeit berichten. Ich bin taz vom 4. 1. 19 von ihrer hände arbeit leben zu unbedingt die für ihn. Journalistisch schon Anklage, Hauptverhandlung und Rechtsanwalt auf dem Gebiet des Herr Efler sagt, unwidersprochen wollen – durch produktion von le- Meinung der bedenklicher ist, dass sein Kom- gegebenenfalls Freiheitsstrafe. Sozialrechts und des Ausländer- von Ihnen, alle Experten seien bensmitteln womöglich. ich kann Redaktion wieder. mentar zur Entkriminalisierungs- Peter Osten, Wernigerode rechts. Schon mehrfach habe ich sich einig, es gebe keine gefähr- deshalb ähnliches berichten. die forderung von Generalstaatsan- jemanden eingestellt, der „ohne lichen Hunde. Was sind das für kundschaft kommt immer häu- wältin Koppers so klingt, als habe festen Wohnsitz“ war. „Experten“? Offensichtlich gibt es figer im hausfrauenpanzer zum der Autor die langjährige Debatte Lappentausch In diesem Zusammenhang ungefährliche Hunde, zum Bei- bioladen. die qualitätsansprüche über einen fahrscheinlosen ÖPNV „Berliner Szenen: Eine Aura von stößt man auf ein Problem, das spiel Yorkshire Terrier, (Zwerg-)Pu- sind dementsprechend – wenn komplett verschlafen. Verderbnis“, taz vom 8. 1. 19 richtig nervt. Über jeden Arbeit- del, Rehpinscher, Dackel, Möpse, man der möhre ansieht, dass sie Besonders ärgerlich ist aber aus Herr Hamann saß vielleicht wohl nehmer muss ich die Lohnsteuer- etc. Gefährlich sind dann, so kann in erde großgeworden ist, geht bürgerrechtlicher Sicht, wie be- etwas verwirrt beim Warten in klasse in Erfahrung bringen. man messerscharf schließen, alle gar nicht! spuren von eben dieser denkenlos für Alberti offenbar ein einer Klinik, wenn er schreibt: „Es Früher gab es da die Lohnsteu- Hunde, die nicht ungefährlich erde könnten ja auch im gelieb- monetärer Zweck („700 Millionen gab [...] Pflegekräfte, die sich in erkarte und jetzt gibt es das On- sind. So wie alle Autos gefährlich ten panzer landen. ist fleisch im aus dem Landeshaushalt“) bereits Raum- und Körperpflege unter- linemodul Elstam. Dabei gibt es sind, und man deshalb einen angebot – für die völlig entfrem- das Mittel des staatlichen Strafens teilten, und das medizinische dort folgende Regel: Macht das Führerschein braucht – während deten: winterzeit ist schlachtzeit –, heiligt – mit all seinen Folgen. Fachpersonal.“ Pflegekräfte sind Modul eine Fehlermeldung, gilt man den für Schubkarren nicht bitte nur filet. warum haben diese Sollte einem Kommentator in Fachkräfte. Krankenschwestern die ungünstigste Lohnsteuer- benötigt. Darin sieht ja auch nie- blöden viecher eigentlich immer einem linksliberalen Medium, (gibt es auch als Bachelorstudien- klasse, die 6. Nun ist das so, dass mand eine Diskriminierung oder nur so wenig filet? und so viel selbst wenn er strafrechtswissen- gang) haben 3 Jahre Ausbildung bei jedem „ohne festen Wohn- Verteufelung des Autos. suppenfleisch? bäh. die krönung schaftlich ahnungslos ist, nicht hinter sich, als Fachschwester sitz“ diese Fehlermeldung auf- Ist das Problem nicht weniger, war kürzlich kundschaft, welche zumindest klar sein, dass Krimi- 5 Jahre. Die Unterteilung in tritt. Folglich wird Obdachlosig- nicht zu wissen, welche Hunde ge- vom filet nur das mittelteil wollte. nalisierung nur als Ultima Ratio Raum- und Körperpflege ist nicht keit steuerrechtlich bestraft. Bei fährlich sind, also die Kraft haben, diese lästigen zipfel immer. und zum Rechtsgüterschutz legitim wirklich witzig, da soll Herr Ha- einem Brutto von 500 Euro sind zu töten, als dass beliebte Rassen, dann so teuer! der bauer blieb sein kann? mann bloß aufpassen: Vielleicht 56,58 Euro Lohnsteuer zu zahlen. vorneweg der „Deutsche“ Schäfer- cool. filet bleibt im haus. und John Philipp Thurn, Berlin tauschen die Mannschaften un- Andere potenzielle Arbeitgeber hund – der auch noch mit mieser raus! Boris Krumm, Hopfgarten

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taz Verlags- und Vertriebs-GmbH • Friedrichstraße 21 • 10969 Berlin wir trauern um Alanna Lockward

Alanna Lockward –dekoloniale Denkerin, Kuratorin, Dokumen-

tarfilmmacherin und Wissenschaftlerin –ist tot. Die domini- Gomez kanisch-deutsche Aktivistin wurde mitten aus dem Leben geris- sen, als sie am Montag völlig überraschend in Santo Domingo Miguel verstarb. Alanna hinterlässt einen Sohn, Marlon, der Musik liebt. Gerade hatte sie eine Stelle als Forschungsprofessorin Credits: am Centro de Estudios Caribeños an der Pontificia Universidad Católica Madre yMaestra in Santo Domingo angetreten und plante zahlreiche künstlerisch-diskursive Projekte in der Kari- bik und in Berlin (u.a. beim Young Curators Programm und dem 4. Berliner Herbstsalon am Gorki-Theater). Voreinem Monat haben wir noch zusammen mit viel Schampus ihre Doktorarbeit gefeiert. Alanna war überglücklich, den Endpunkt einer zehnjährigen Forschungsarbeit in vier Sprachen und drei Kontinenten erreicht zu haben. Alanna war eine Reisende, sie lebte und studierte in Guadalajara (Mexiko), in Australien, Bonn und schließlich zwischen Berlin und Santo Domingo. In der Dominikanischen Republik, wo sie 1961 geboren wurde, war Alanna politisch sehr engagiert als Aktivistin und viel gefragte Journalistin im Kampf gegen Ungerechtigkeit und für eine dekoloniale Erinnerungskultur und Reparationen. Sie setzte sich viele Jahre unermüdlich für den Dialog zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik ein (wie man ihrem Essayband, »Un Haiti Dominicano« entnehmen kann). Ihre letzte Reise führte sie über Silvester nach Haiti. Alanna war eine begeisterte und begeisternde Per- sönlichkeit und strahlte eine unerschöpfliche Kraft und Em- pathie aus. Mit der kreativen Energie einer Künstlerin, die sie mit ihrer Ausbildung als Tänzerin sowie an der Berliner Hochschule der Künste im Projekt ›kunst im kontext‹ war,riss sie ihre Freun- offizielle Geschichtsversionen in der Karibik, aber auch in den tin für dekoloniale kursorische Praktiken, die wir gerade de und ihr Publikum mit. 1996 war Alanna Gründungsdirektorin Black Studies, die den Widerstand der schwarzen Kirchen oft auch im deutschen Kontext so dringend brauchen. Immer tat von Art Labor Archives, einer Plattform, die sich auf Theorie, unterbewerten. Sie widerspricht darüber hinaus großen Teilen sich bei BE.BOP ein Kosmos von im offiziellen Kunstbetrieb politischen Aktivismus und Kunst konzentriert. Sie hatte wenig der postkolonialen Studien, die Revolution und Säkularität nicht wahrgenommenen und von den diversen Migrations- materielle Mittel und selten gesicherte Jobs, was sie aber nicht zusammendenken und Religiosität häufig zu einem Hindernis forschungen nicht realisierten Zusammenhängen auf. Man daran hinderte, mit unglaublicher Tatkraft, mit Zutrauen und für Befreiung erklärt haben. versammelte sich unter Stichworten wie Post-Migrantisch, Geduld eine Vielzahl ganz großer Projekte anzupacken. DerMut, gegen den Strich zu denken und zu handeln, Dekolonial oder ›Black Diaspora +Berlin. Decolonial Narratives‹ zeichnet auch ein anderes Projekt aus, welches für die Berliner im Versuch, die vielen zugemuteten Narrationen über Afro- Eines dieser Projekte war ein neuer Blick auf Kämpfe autonomer Community –und den deutschen Diskurs –bahnbrechend war: Europäer*innen mit eigenen Wahrnehmungen, Erlebnissen, Schwarzer Selbstbehauptung und ihre transnationalen und das künstlerisch-diskursive-aktivistische Format »BE.BOP – Deutungen und Interventionen zu unterlaufen. In Alannas transatlantischenVerflechtungen:AufdieLage›freier‹Schwarzer Black Europe Body Politics«, das Alanna Lockward initiiert und Projekten war der Anspruch, hegemoniale Formen und Formate in den USA vor dem Bürgerkrieg, von denen einige nach Haiti, seit 2012 in Berlin durchgeführt hat, zunächst am Ballhaus zu dekolonisieren Programm. in das Land einer ersten erfolgreichen Selbstbefreiung von Naunynstrasse, dann an der Volksbühne und zuletzt am Gorki Versklavten in der Neuzeit auswanderten. Aus der Rekonstruktion Theater.ImRahmen von BE.BOP brachte Alanna Lockward ein Alannas Handschrift prägte die Veranstaltungen, für die sie dieser weitgehend unbekannten Geschichte zeigt Alanna dissidentisches Europa von AfroEuropäer*innen und anderen das Funding, das Format und die Einladungen organisierte. bisher nie verfolgte personelle (durch Missionare) und ideelle Black Diaspora und dekolonialen Künstler*innen, Aktivist*innen Sie ließ viel Raum für bisher wenig Gehörtes und Gesehenes, Verbindungen zum Widerstand der Nama und Herrero gegen die und Denker*innen zusammen, für deren Erfahrungen und auch wenn es nicht im Programm stand. Sie gab aber auch deutsche Kolonialherrschaft in Südwest-Afrika auf. Diese lassen Ideen das Format einen Raum bot und deren Performances den unvermeidlichen Konflikten, die sich in Gesellschaften sich, wie Alanna veranschaulicht, bis in heutige transnationale und Kunstprojekte bahnbrechende ästhetische Interventionen des Globalen Nordens immer über Rassismus und Whiteness Kämpfefür Reparationenfür Versklavungund Kolonisierung in den Diskurs um Kolonialität, Rassismus und Zugehörigkeit entspannen, Raum und gelegentlich Schärfe, lenkte aber nachzeichnen. darstellten. gleichzeitig mit leichter Hand die Veranstaltungen in ein Alanna ist diesen Spuren in dem beeindruckenden Ende, das fast allen ermöglichte, bereichert heimzufahren und Dokumentarfilm »The Allen Report. Retracing Transnational Alanna besaß ein einmaliges Talent, Menschen zusammen- wiederkommen zu wollen. Alanna schaffte durch ihre Arbeit African Methodism« (2016) nachgegangen, den sie wie immer zubringen und Communities von künstlerischer und poli- die seltenen, doch so notwendigen Räume, in denen wir in mit wenigen Mitteln, aber unermüdlichem Einsatz –inklusive tischer Schlagkraft zu bilden, in denen zugleich Solidari- Zeiten fortbestehender und neuer kolonialer Machtasymmetrien eines verwehrten Visums –mit Filmaufnahmen in Berlin, tät, Freundschaft und die menschliche Seite im Mittelpunkt und Rassismen andere Formen des Sozialen, des Politischen Namibia, Haiti und in der Dominikanischen Republik umgesetzt standen. BE.BOP beruht auf dem von Alanna in Anlehnung an und des Künstlerischen und Ästhetischen denken und leben hat. Im Film arbeitet Alanna Lockward die revolutionäre Walter Mignolo entwickelten Konzept der dekolonialen Ästhetik/ konnten. Dafür sind wir unendlich dankbar.Der Verlust an Weitsicht von Bischof Richard Allen aus Philadelphia heraus, Aesthesis. Damit leistete sie einen zentralen Beitrag zum Charisma, Energie, Äußerung, Bündelung und Organisation der 1794 die erste autonome schwarze Kirche in den USA lateinamerikanischen postkolonialen Diskurs der Decoloniality, dissidentischen Handelns, Organisierens und Denkens wird gegründet und über diese die Auswanderung einer kleinen den sie stets auch auf europäische und deutsche Konzepte noch lange zu spüren sein. Gruppe Afroamerikaner*innen in ein freies Land unter rückzublenden wusste. schwarzer Herrschaft organisiert hatte. Damit stellte sie den Im Rahmen der von Alanna mitorganisierten Wirtrauern um eine große Denkerin, Wissenschaftlerin, weitgehend unbekannten Geistlichen Richard Allen und seine Decolonial Summer School in Middelburg wurde dieses Wis- Kuratorin, Aktivistin, Kämpferin, Womanist Feministin, spirituelle Revolte neben die großen Befreiungshelden W. E. B. sen diskutiert und weitergeben. Diese theoretische Interven- Freundin, Komplizin, Mutter,Schwester im Geiste und Dubois oder Frantz Fanon. Alanna Lockward verwirft damit tion machte Alanna zu einer international gefragten Referen- Revolutionärin.

JuliaRoth UniversitätBielefeld, Gabriele Dietze Humboldt-Universität zu Berlin, SherminLanghoff Intendantin Maxim Gorki Theater,Berlin Mit Walter Mignolo DukeUniversity, Durham, ElenaQuintarelli +Familie Berlin, ManuelaBotacă Albert-Ludwigs-UniversitätFreiburg, Claudia Brunner Universität Klagenfurt, Tanja Ostojic Künstlerin, Berlin, Ovidiu Tichindeleanu Philosoph und politischer Theoretiker,Cluj, Roberto Zurbano Autor +Aktivist, El Club del Espendru+Casadelas Américas, Havanna, Lesley-Ann Brown Autorin+Aktivistin,Kopenhagen, Patricia Kaersenhout Künstlerin-Aktivistin, Amsterdam, Jeannette Ehlers Künstlerin,Kopenhagen, Rolando Vázquez University College Roosevelt +University of Utrecht Tereza Díaz Nerio Performance-Künstlerin, Amsterdam, Simmi Dulay, Mette Moestrup Kopenhagen, Artwell Cain University of Aruba, Sandra Álvarez Bloggerin und Aktivistin,Hannover undHavanna, Michael Küppers-Adebisi AFROTAK TV,Berlin, Adetoun Küppers-Adebisi Berlin, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung SAVVY Contemporary, Berlin, Thomas Krüger Bundeszentrale für politische Bildung, Michael Thoss Goethe Institut, Izabela Dahl, Netzwerk BlackDiaspora,MajaFigge Universität derKünste Berlin, EvaBoesenberg, Humboldt-Universität zu Berlin, Ulrike Hamann Humboldt-UniversitätzuBerlin, Claudia Rauhut FreieUniversität Berlin, Nanna Heidenreich ifs internationale filmschule Köln, Ina Kerner Universität KoblenzLandau, BlackAmericas Network Bielefeld, Grada Kilomba artist andtheorist, Berlin, TunçayKulaoğlu Autor, Berlin, Mekonnen Mesghena Department Head Migration &Diversity Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, Philippa Ebéné Künstlerische Leiterin Werkstatt der Kulturen, Berlin, Jens Hillje Ko-Intendant MaximGorki Theater, Berlin, LudwigHaugk Maxim Gorki Theater,Berlin, Irina Szodruch Maxim GorkiTheater, Berlin, Aljoscha Begrich Maxim Gorki Theater, Berlin, Çağla Ilk MaximGorkiTheater, Berlin, Johanna Höhmann MaximGorkiTheater,Berlin, Veronika Gerhard Maxim GorkiTheater, Berlin, Tobias Herzberg Studio Maxim Gorki Theater,Berlin, Monica Marotta Studio MaximGorki Theater, Berlin, LuciaLeyser Studio MaximGorki Theater,Berlin, Duygu Türeli Maxim Gorki Theater, Berlin WagnerCarvalho Künstlerischer LeiterBallhaus Naunynstraße, Berlin, SylviaErse Keller Ballhaus Naunynstraße,Berlin, VolkanTüreli Künstler, Berlin, Yael Ronen Regisseurin, Berlin, SibillaFerrara Berlin, Autograph ABP,Mark Sealy Autograph ABP,London, Lucy Keany Autograph ABP,London, Renée Mussai Autograph ABP,London, Gurminder KBhambra School of Global Studies, UniversityofSussex, Jonas Tinius Humboldt-Universität zu Berlin, CharoOquet Künstlerin,Miami, TaniaCañas Künstlerin, Melbourne, Leticia Charton Berlin,ElenaSinanina Maxim Gorki Theater, Berlin, Lutz Knospe MaximGorki Theater, Berlin, Wilson Remigio Berlin, Nelly Sanchez Berlin Leticia Naty und Vanessa Charton Berlin, JennyAlarono Berlin,Arelis Ernst Berlin, Arelis Estrella Berlin, Manu Perez Berlin, Juana Arias Berlin, JoiriMinaya Künstlerin, New York, Sasha Huber Künstlerin, Helsinki, Alya Sebti ifa Galerie,Berlin, Nikola Hartl ifaGalerie, Berlin, ifa Galerie, Patrice Naiambana Darsteller,London, ThalyMoncayo Berlin, AugustusCasely-Hayford Smithsonian NationalMuseum of AfricanArt, WashingtonD.C., Chandra Frank Kurator,London, Dalida MaríaBenfield Forscher, U.S., SumuganSivanesan Künstler,Berlin, Daniella Brito New York, Magnus EliasRosengarten New York, Puo-An Wu Berlin, Momodou Malcolm Jallow Mälmo, SAVVY Contemporary, Cornelia Knoll SAVVYContemporary, Berlin, Elena Agudio SAVVY Contemporary, Laura Klöckner Berlin, Hana Copic Berlin, Argentina Goldberg Berlin, Rod Sachs, Laura Judit Alegre Übersetzerin, Buenos Aires, Gina Mönch Berlin, Napuli Paul Berlin, Nana Adusei Poku CooperUnion, New York, Karen McKinnon,Caecilia Tripp, Suely Torres, Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin, Theresa Sigmund, Berlin und viele weitere, die wir in derKürze der Zeitnicht erreicht haben. sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  52 das war's taz am wochenende b

Feierabend (2) In der Rusche 43, einer Begegnungs- stätte in Lichtenberg, trifft sich eine Gruppe von Münzsammlern. Ich sehe zu, wie Kisten geöffnet und Häufchen aufgetürmt werden, wie eifrig in Katalogen und Alben geblättert wird. Ein Herr erzählt, dass er gerne an Supermarktkassen mit 10-Euro-Münzen bezahlt, um sich über irritierte Reaktionen von Verkäuferinnen zu amüsieren.

Foto und Text Lena Giovanazzi

Mitte? Ganz schön arm pflanzen“. Gothe plädierte Gib sie wieder her! Neue Sozialstatistik auch für schärfere gesetzliche zeigt: Der Bezirk Regelungen zur Mietpreisbin- dung: „Mietpreise müssen sich Einst verscherbelte Rot-Rot 60.000 landeseigene Wohnungen an die Deutsche Wohnen verarmt zusehends im an den Kosten orientieren.“ AG. Jetzt möchte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sie zurückkaufen Vergleich zu seinen Marx-Allee wegzuschnappen. „Deutsche Wohnen & Co. ent- Die Grünen unterstützten am Von Uwe Rada Nachbarn Schere zwischen Bezirken Daraus, so Müller in seiner po- eignen“ ein. Müller ließ kei- Freitag die Ankündigung Mül- Ausgangspunkt von Gothes erlins Regierender litischen Vorausschau auf 2019, nen Zweifel daran, dass das lers, gingen aber noch einen Überlegungen sind die aktu- Bürgermeister Mi- müsse man nun „neue Schluss- Thema Enteignung für ihn erst Schritt weiter. „Wir schlagen vor, Von Susanne Memarnia ellen Sozialdaten des Bezirks. chael Müller (SPD) folgerungen ziehen“. der „dritte, vierte oder fünfte nicht nur einzelne Teile, son- und Sarah Schroth Sie zeigen, dass die soziale will die einstigen Dass der Regierende dabei Schritt“ sei: „Das ist ein sehr dern alle Wohnungsbestände In der aktuellen Debatte um Schere in Berlin weiter aus- Bestände der frü- ausdrücklich die alten GSW-Be- kompliziertes Verfahren mit fi- der Deutsche Wohnen in Berlin die mögliche Enteignung von einandergeht – „und dies 20 heren landeseige- stände von rund 60.000 Woh- nanziellen Risiken, das gut be- zu kaufen“, sagte Fraktionsche- großen Wohnungseigentü- Jahre nach Beginn des Quar- Bnen Wohnungsbaugesellschaft nungen zurückkaufen möchte, gründet sein muss.“ Gleichzeitig fin Antje Kapek. mern in Berlin hat sich am tiersmanagements“, wie der GSW von der Deutsche Wohnen forderte er Stadtentwicklungs- Freitag auch der Sozialstadt- Stadtrat betonte. Das durch- zurückkaufen. „Ich kann mir senatorin Katrin Lompscher Zankapfel Video rat von Mitte, Ephraim Go- schnittliche Netto-Pro-Kopf- vorstellen, dass es da ein Kauf- „Die Enteignung ist (Linke) auf, genau zu prüfen, Nicht ganz so harmonisch dürfte the (SPD), zu Wort gemeldet: Einkommen lag zum Beispiel und Übernahmeangebot an die welche Schritte dazu unternom- das neue Jahr beim Thema In- „Das finde ich sympathisch“, im Jahr 2001 zwischen Mitte Deutsche Wohnen geben wird“, für mich erst der men werden müssten. „Die zu- nere Sicherheit werden. Trotz erklärte er bei der Vorstellung (775 Euro) und Pankow (875 sagte er bei seiner Jahresauftakt- dritte, vierte oder ständige Senatorin“, so Müller, Absage der Linken hält Müller einer neuen Statistik zur sozi- Euro) nur 100 Euro auseinan- pressekonferenz am Freitag im fünfte Schritt“ „muss dem Senat einen Weg (SPD) am Plan für mehr Video- alen Lage im Bezirk Mitte. Al- der. Bis 2017 stieg das Durch- Fraunhofer Heinrich-Hertz-In- aufzeigen.“ überwachung in der Stadt fest. lerdings sei er skeptisch, ob ein schnittsgehalt in Pankow auf stitut. Michael Müller, Regierungschef Über die Kosten eines mög- „Wir werden mit den Koalitions- solches Vorgehen angesichts 1.475 Euro, in Mitte aber nur Müller begründete den über- lichen Rückkaufs von 60.000 partnern weiter darüber reden“, der hohen Kosten für die öf- auf 1.075 Euro. raschenden Vorstoß mit dem Ge- Wohnungen wollte sich der Re- sagte er. fentliche Hand „zielführend“ Insgesamt zeigten die Zah- schäftsgebaren des mit 110.000 zeigt auch, dass es inzwischen gierende Bürgermeister nicht Optimistisch äußerte sich der sei, „zumal damit keine einzige len, so Gothe, dass „von Chan- Wohnungen größten privaten nicht nur die Linke, sondern äußern. Auch habe es bislang Regierende zu den wirtschaftli- Wohnung geschaffen wird“. cengleichheit in Berlin nicht Vermieters. „Wie die Deutsche auch Müllers SPD bereut, die kein Gespräch mit der Deutsche chen Perspektiven. „Berlin ist Gothe machte eine Reihe die Rede sein kann“. Ein in Wohnen agiert und sich in der GSW 2004 verkauft zu haben. Wohnen zu diesem Thema gege- eine boomende Metropole“, anderer Vorschläge zur Schaf- Wedding geborenes Kind habe Stadt präsentiert, wird immer Seit 2013 gehören die ehemali- ben. Gut möglich also, dass Mül- freute sich Müller. Allerdings fung von mehr bezahlba- heute weniger Aussichten als unglücklicher.“ Vor Kurzem erst gen landeseigenen Wohnungen ler mit dem Volksbegehren im habe dieses Wachstum auch ne- rem Wohnraum. „Wir müssen damals, „einen guten Schulab- machten der Senat, der Bezirk der Deutsche Wohnen. Rücken, das im Frühjahr starten gative Aspekte. „Es wird voller, bauen, bauen, bauen, aber zu- schluss zu machen, die deut- Friedrichshain-Kreuzberg und Mit seiner Ankündigung soll, die Deutsche Wohnen un- enger und teurer.“ Dem steu- sammen mit Brandenburg sche Sprache zu beherrschen die landeseigene Gewobag den schaltete sich Michael Müller ter Druck setzen will – nach dem ere der Senat unter anderem und gekoppelt an mehr Grün.“ und einen Zugang zum Ar- Weg frei, der börsennotierten erstmals persönlich in die Dis- Motto „besser verkaufen als ent- mit kostenlosem Schulessen Auch solle der Senat nicht nur beitsmarkt zu bekommen, der AG 700 Wohnungen in der Karl- kussion um das Volksbegehren eignet werden“. und Schülertickets entgegen. Wohnungen zurückkaufen, ihm eine Chance zur Selbstver- sondern auch Boden. Zur Ent- wirklichung gibt“. wicklung neuer Flächen für Wichtigste Ursache laut Go- Bauland und Stadtgrün müsse the: 1999 habe man gesagt, Demo am Ostkreuz Obdachlose vertrieben man zudem vom Autoverkehr „die Wohnungsfrage ist gelöst“. wegkommen. „Wir brauchen in Heute sei der Wohnungsmarkt Mitte so viel Raum für Park- ein zentraler Faktor bei der so- Mieter*innen, Gewerbetreibende und Clubkultur Der Bürgermeister von Mitte verteidigt die plätze wie der ganze Tiergar- zialen Lage. „Wenn man eine machen gegen den Bebauungsplan mobil Räumung eines Zeltlagers am Hauptbahnhof ten.“ Auf Parkstreifen könne neue Wohnung suchen muss, man zwar „keine Schule bauen, hat man ein erhebliches Pro­ Die Mieter*innen­be­we­gung Großaquarium Coral World, Der Bezirksbürgermeister von seinen „hygienisch unhaltba- aber Radwege und Bäume blem“, so der Stadtrat. meldet sich am Samstag mit ei- das 500.000 Besucher*innen Berlin-Mitte, Stephan von Das- ren Bedingungen zeitnah zu ner Demonstration gegen den pro Jahr anziehen soll. sel (Grüne), hat die Räumung räumen“, betonte Dassel. Auch Bebauungsplan Ostkreuz aus Unmut erregt auch die eines illegalen Obdachlosen- über mögliche Hilfsangebote Anzeige der Weihnachtspause zurück. Räumung eines Platzes an lagers verteidigt. Die katastro- sei informiert worden. Am Ein Bündnis aus Gewerbe- der Rummelsbucht vor we- phalen Zustände vor Ort seien Tag vor dem Einsatz sei den treibenden, Anwohner*innen nigen Tagen, auf dem Roma Anlass für zahlreiche Bürger- Obdachlosen die Räumung er- tongue twisters und Vertreter*innen der Club- vor ­allem aus Osteuropa ge- beschwerden gewesen, erklärte neut angekündigt worden. kultur rund um die Rummels- lebt haben.­ Auch der Bezirk- Dassel am Freitag. Das Obdach- Die Situation obdachloser Modjgan Hashemian bucht ruft dazu auf. „Statt selternausschuss Lichtenberg losenlager im Ulap-Park in der Menschen sei bedrückend, be- günstigem Wohnraum, Ge- mobilisiert mit dem Slogan Nähe des Hauptbahnhofs sei tonte Dassel. Allen Obdachlo- Fr, 01.02.2019 meinschaftsprojekten, einer „Wir sind hier, wir sind laut, deshalb Mitte der Woche aufge- sen stünden jedoch vielfältige Grundschule, inhabergeführ- weil ihr keine Schulen baut!“. löst worden. Danach seien rund und sehr niedrigschwellige Hil- Sa, 02.02.2019 ten Läden und Stadtnatur sind Er kritisiert, dass im Bebau- acht Kubikmeter Unrat besei- fen zur Verfügung. „Menschen ein Aquarium, ein Hotel und ungsplan kein Schulneu- tigt worden. Alle obdachlosen in den katastrophalen Bedin- So, 03.02.2019 Luxuswohnungen geplant“, bau vorgesehen ist. Start der Menschen vom Ulap-Park seien gungen zu belassen, in denen heißt in einer Petition an die Demo: 11 Uhr, Max-Taut-Aula vorab durch Streifen des Ord- sie in Grünanlagen oder unter www.radialsystem.de Lichtenberger BVV. Besonders nahe S-Bahnhof Nöldnerplatz. nungsamtes wiederholt aufge- Brücken leben“, sei daher keine in der Kritik steht das geplante Peter Nowak fordert worden, das Lager mit Lösung. (epd) nord

sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  tazwww.taz.de, [email protected] taz am wochenende

An der Figur Helmut Schmidt zeigt sich, wie groß das Bedürfnis nach Heldenverehrung immer noch ist. Der Kabarettist Thomas Ebermann hat Schmidt schon 1983 abgewatscht, als dieser Hamburger Ehrenbürger wurde. Ein kleiner Beitrag zur Dekonstruktion 44, 45

Projektionsflä- che: Helmut Schmidt auf einer Vergrö- ßerung der ihm gewidmeten Briefmarke, ausgestellt vorigen Monat im Hamburger Rathaus vor den Feierlich- keiten zu seinem 100. Geburtstag Überkanzler Foto: Georg hat Wendt/dpa ausgedient

Von Friederike Gräff

onderbar: dass wir im lein einem inhaltlichen Bedürf- Willy Brandt starb zu früh, um Schmidt wuchs beträchtlich, als Wir leben in verwirrenden sen will, nicht auf starke Männer postheroischen Zeit- nis folgt, sondern einem ästhe- noch Stammgast in Talkshows Franz-Josef Strauß als für viele Zeiten. Breitbeinige Männer er- – oder Frauen – wartet, sondern alter leben, hat uns tisch-stilistischen. „Oh“, sagte werden zu können. Helmut abschreckende Alternative auf klären in Talkshows die Welt, das zu tun versucht, was sie für inzwischen fast jeder ein Kollege zu mir, als die Rede Schmidt kam rechtzeitig. Er hat die Bühne trat. Sie wuchs erneut während schmale Frauen sie richtig hält. Publizist und jede So- auf Schmidt kam, „diese An- davon profitiert, hat etwa die in der Ära Merkel. Angela Mer- auf Parteitagen entzaubern. Wer weiß, vielleicht ist das ziologin mitgeteilt, züge, diese Frisur.“ So erstaun- Darstellung seiner Rolle bei der kel ist beliebig weit entfernt von Ein Mann wie Stéphane Hes- die Zukunft: mündige BürgerIn- Saber entweder sind wir daraus lich es auf den ersten Blick sein Bewältigung der Sturmflut in der testosterongeschwängerten sel, in seiner entschiedenen nen, deren Sehnsucht nach Hel- schon wieder enteilt oder doch mag: Körperliche Attraktivität Hamburg nachträglich an eini- Luft starker Führer, schwer vor- Zartheit der Gegenentwurf der den eher überschaubar ist, mehr noch nicht angekommen. Fasst öffnet dem alten Mann Türen, gen Stellen geschärft: der Mann, stellbar, dass sie ihr Gegenüber raumgreifenden Alpha-Männer, Sidekick als Dauerprogramm. man den Begriff Held großzü- die der alten Frau weiter fest der in der Stunde der Not zur fragt, ob es gedient habe. wird europaweit zum Idol. Wäh- Nicht auszudenken, wenn die gig, fällt auch die Spielart gro- verschlossen bleibt, weil deren Stelle ist, wo die Kleinmütigen Die Soziologen blättern in ih- rend die Furcht umgeht, eine Medien dem folgten, wenn sie ßer alter Mann darunter, und Schönheit nach wie vor nicht wie Hühner umherflattern. Er ren Aufsätzen eine kleine Aus- Mehrheit könne sich nach star- neue Stimmen entdeckten: alte zu dessen Inbegriff ist Helmut gilt. Die alte Frau ist alt, der alte wahl von Heldentypen auf, es ken Führerfiguren sehnen, or- Frauen mit unvorteilhaften Fri- Schmidt geworden. Posthume Mann ist markant: dieses volle gibt neben dem Kriegsheld auch ganisieren zahlreiche Namen- suren, die ihr Gegenüber aus- Beigaben für den großen alten weiße Haar, das adlerartige Pro- Schwer noch den zivilen Helden, aber lose eine Bürgergesellschaft, sprechen lassen. Mann sind ein Museum, eine fil. Wen interessiert es denn, ob in der medialen Öffentlichkeit die sich nicht überwältigen las- Briefmarke und ein Gedenkgot- Schmidts Politikverständnis von vorstellbar, dass scheint eine gewisse Zackigkeit, tesdienst im Hamburger Michel. Immanuel Kant und Karl Pop- Angela Merkel eine gewisse Aggressivität, eine Anzeige Beigaben zu Lebzeiten war der per geprägt war, wenn er sich gewisse Zweifelsfreiheit vorteil- Stammplatz in den bundesdeut- gut macht im Studio. Da ist der ihr Gegenüber haft. Es ist nicht die Schuld Hel- schen Medien. große alte Mann dann Coffeeta- fragt, ob es mut Schmidts, dass die bundes- Was tut es, könnte man fra- ble-Book in der Auslage der Öf- deutsche Heldenöffentlichkeit SCHREIBUNG gen, es gibt viel Sendezeit im fentlich-Rechtlichen, er macht gedient habe so monoton ist. STELLENAUS deutschen Fernsehen, warum sich gut im Zeit-Magazin, des- Auf einen Tee mit Thomas de CHER*IN dort nicht Helmut Schmidt zu- sen Anzeigen für Nobel-Uhren Mazière statt auf eine Zigarre PRESSESPRE hören statt einem Promi-Koch, an den Handgelenken segelnder hat sich inszeniert und er wurde mit Karl-Theodor zu Gutten- warum nicht ihn die Welt erklä- Männer die gleiche weltläufige inszeniert: als unbestechlicher, berg? Unwahrscheinlich, aber GESUCHT! ren lassen, wenn die Alternative Anmutung atmen. vom Zeitgeist unkorrumpierba- nicht so abwegig, wie es eine Karl Lagerfeld ist, der sich zur Was sind das für große alte rer Tatmensch. Zigarette mit Hildegard Hamm- Flüchtlingspolitik äußert. Wa- Männer, deren prominentes- Dabei war die Zustimmung Brücher gewesen wäre. Ohne Die GrüneLandtagsfraktioninNiedersachsen rum nicht Helmut Schmidt in ter Charakterzug in der öffent- für ihn nicht in den Zeiten Platzhirschgehabe kein Stamm- sucht zumnächstmöglichen Zeitpunkt eine*n Ruhe den großen alten Staats- lichen Inszenierung das Behar- am größten, in denen er sich platz im deutschen Fernseh- Pressesprecher*in. Mehr Infosunter: mann sein lassen, ihm den ren darauf ist, überall rauchen schwierige Entscheidungen studio. Karin Beier und Amelie Überschuss an Renommee in zu können? „Ein dröger Nord- abrang: im Deutschen Herbst Deuflhard statt Claus Peymann www.gltn.de/ausschreibung der Öffentlichkeit geben, der deutscher“, sagt meine Mutter, 1977, als er sich nicht darauf und Frank Castorf? Angela Mer- Helmut Kohl über seine Fami- als ich sie nach der Ausstrah- einließ, die von der RAF Ent- kel, die einem staunenden Gio- lienquerelen abhanden gekom- lung Schmidts zu Zeiten seiner führten gegen inhaftierte Ter- vanni di Lorenzo durchdekli- men ist? Kanzlerschaft frage. „Immer im roristen auszutauschen, weil er niert, was ihre Nachfolgerin ei- Hannah-Arendt-Platz 1, 30159Hannover Warum nicht? Weil sein Platz Schatten Willy Brandts, der un- den Staat nicht erpressbar ma- gentlich zu tun hat? Beliebig www.gltn.de//[email protected] in der Öffentlichkeit nicht al- gleich mehr Charisma hatte.“ chen wollte. Die Zustimmung zu unwahrscheinlich. Noch. sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  54 was war – was kommt taz am wochenende

zitat der woche Sayn- Es ist zwar nicht Silberstreif Wittgenstein sehr wahrscheinlich, im Abgas- wieder da aber es kann auch Grau Rauswurf AfD-Schiedsgericht U-Bahn ein Raubüberfall aus der kassiert Vorstandsvotum bewegt Kiel will Luft rein gewesen sein“ ie Bundesführung der waschen statt rein halten Klasse AfD ist mit dem Entzug sich doch Der AfD-Bundestagsabgeordnete der Mitgliedsrechte der auf bild.de, nachdem ie Angst geht um in Schüler*innen wegen ehemaligen schleswig- er von Unbekannten angegriffen D Werbung vom Auschwitz wurde Kiel, die Angst vor Hassvideo suspendiert holsteinischen Landesvorsitzen- dem Dieselfahrverbot. den Doris von Sayn-Wittgen- Komitee darf laufen D Aber nun ist ein Silber- ie sollen ein Enthaup- stein gescheitert. In der Nacht streif am abgas-düsteren Hori- tungsvideo in sozia- zum 7. Januar postete Sayn-Witt- m das naheliegendste zont aufgetaucht. Er kommt in len Medien geteilt ha- genstein auf Facebook, das Lan- Missverständnis zu ver- Form eines Kastens von den S ben und müssen nun desschiedsgericht habe „mei- meiden: „Natürlich ist Ausmaßen eines Kleinbusses, teilweise harte Konsequen- nen vorläufigen Ausschluss von U der Gedenktag wichtig“, der demnächst auf dem Seiten- zen ertragen: Gleich sechs allen Mitgliedsrechten“ aufge- das sagte Ende der Vorwoche streifen des Theodor-Heuss- Siebtklässler*innen hat die ka- hoben. Die drei Volljuristen Unternehmenssprecher Chris- Klare-Kante-Foto: dpa Rings parken soll. Dort werden tholische Ludgerus-Oberschule des Parteigerichts sahen keine toph Kreienbaum der taz. Dass die Stickoxid-Grenzwerte dauer- in Vechta sanktioniert. „mutmaßlich strafrechtlich re- also erinnert wird an die Be- haft deutlich überschritten. Das Zwei Jungen wurden für den levanten Vorgänge“ gegeben. freiung des deutschen Vernich- Gerät, das eine Firma in Trittau gesamten Januar vom Unter- Das ist eine Niederlage für tungslagers Auschwitz, alljähr- entwickelt hat, soll wie ein gro- richt ausgeschlossen. Ein Mäd- die Bundesführung und die lich am 27. Januar: Damit habe ßer Staubsauger das Stickoxid- chen muss für zwei Wochen aus Landtagsfraktion. Der Bun- Hamburgs U-Bahn-Betreibe- Schwermetall-Sauerstoff-Ge- der Klasse. Laut Schulleiter Cle- desvorstand um Jörg Meuthen rin, die Hamburger Hochbahn misch ansaugen, das in deut- mens Feldhaus werden sie wäh- und Alexander Gauland sowie AG, kein Problem, ganz im Ge- schen Innenstädten als „Luft“ rend dieser Zeit aber weiter in die Fraktionsführung von Jörg genteil. bezeichnet wird. der Schule betreut. Nach Schul- Nobis und Claus Schaffer hat- Als aber das ebenfalls in Ham- Im Gerät werden Schadstoffe schluss müssen sie außerdem ten Distanz zu der ehemaligen burg ansässige Auschwitz Komi- herausgefiltert. Zur Bürgersteig- ein sechsstündiges Sozialtrai- Landesvorsitzenden wegen de- tee, gegründet 1986 von Schoah- seite entlässt das Gerät eine fri- ning bei der Schulsozialarbei- ren Nähe zum rechtsextremen Überlebenden, ihren Ange- sche Brise. Wie es die Stadtpla- terin mitmachen. Möglicher- Verein „Gedächtnisstätte e. V.“ hörigen und Freund*innen, die gegenrede nung will, soll der Stadtluft- weise dürfen sie auch nicht an gesucht. Werbung machen wollte für reiniger ganz dicht bei einer der Klassenfahrt im kommen- Schon vor der Bundesent- eine Veranstaltung zum Thema, Messstation parken. Davon den Schuljahr teilnehmen. scheidung hatte die Fraktion in lehnte der Verkehrsbetrieb ab – „Die Möglichkeit, dass es sich gibt es mehrere an der Straße, Bei zwei weiteren Schülern Kiel am 4. Dezember Sayn-Witt- in der Hauptsache, weil da, so und die meisten zeigten in den beließ es die Schulleitung nach genstein aus der Fraktion aus- Kreienbaum, „geworben wird um einen Raubüberfall handeln vergangenen Monaten zu hohe einer kurz vor den Weihnachts- geschlossen. Die Bundesfüh- mit einem politischen Ziel, für könnte, kann aufgrund der Stickoxid-Werte. Sauger an, ferien angesetzten Klassenkon- rung wirft ihr aber nicht nur das es nach unserer Auffassung Werte sinken, Problem gelöst? ferenz bei schriftlichen Ver- die Nähe zu dem im thüringi- aber keinen parteiübergreifen- Funktion und des Ach, wenn es so einfach wäre! warnungen plus vier Stunden schen Guthmannshausen an- den Konsens gibt“. Abgerückt Bekanntheitsgrades von Der Filterbus ist ein Prototyp Sozialtraining. In einem Fall er- sässigen Verein vor, dem lange sind die U-Bahner dann doch und noch in der Erprobungs- teilte die Schule lediglich einen die bekannte Holocaust-Leugne- von dieser Position: Seit Mitte Magnitz und der Gewalt­ phase. Er wird daher nur einige schriftlichen Verweis. rin Ursula Haverbeck vorgestan- der nun ausgehenden Woche bereitschaft der linksextremen Wochen in Kiel stehen, dann soll Am Abend des 5. Dezember den hatte. Der Parteivorstand läuft im unterirdischen „Fahr- die Technik in anderen Städten hatte zunächst offenbar ein hält Sayn-Wittgenstein eine ei- gastfernsehen“ doch ein Hin- Szene, die in der Vergangenheit zum Einsatz kommen. Die An- Schüler einer Nachbarschule desstattliche Versicherung eines weis auf die Veranstaltung. auch in Bremen eindeutig unter lage sei ohnehin nur eine Ergän- das Video in die inoffizielle Honorarmitarbeiters der Land- zung zu den weiteren Plänen der Whatsapp-Gruppe der Klasse an tagsfraktion und pensionierten Beweis gestellt wurde, mit an Stadt, sagte Oberbürgermeister der Ludgerus-Schule gepostet. Oberstaatsanwaltes vor, laut der Sicherheit grenzender Ulf Kämpfer (SPD) am Donners- Mehrere Schüler sollen das Vi- sie über die Vernichtung der Ju- tag. Unter anderem wird über- deo dann weitergeleitet haben. den gesagt haben soll: „Diese La- Wahrscheinlichkeit legt, eine Fahrspur für böse Die- Das Filmchen beginnt mit ei- ger gab es gar nicht. Das ist alles ausgeschlossen sel zu sperren, um sie etwas wei- nem Comic, nach einem Schnitt von den Amerikanern und Eng- ter weg vom Bürgersteig und ist die brutale Enthauptungs- ländern getürkt worden.“ werden den Häusern zu bringen. szene zu sehen. Es ist aber un- In ihrem Beschluss führen Worum also hatte man sich Das Umweltministerium klar, ob sie echt oder gestellt ist. die Parteirichter nun aus, die gestritten? Der Plakat- respek- Die Sprecherin der AfD Bremen hatte ein grundsätzliches Die- AfD habe einen Brief des um- tive Anzeigenentwurf, erschie- Ann-Katrin Magnitz zu dem Angriff auf selfahrverbot für die Straße strittenen Vereins erhalten, nen dann unter anderem im ihren Vater Frank ins Gespräch gebracht. Um das nach dem die AfD-Landespo- Hamburger Lokalteil der taz, zu verhindern, greife die Stadt litikerin niemals Mitglied ge- zeigt das Bild einer Demonstra- nach jedem Strohhalm, sagte wesen sei. Sie selbst hatte ge- tion. Oder, genauer: unter ande- der Leiter des Kieler Umwelt- sagt, sie habe die Gedenkstätte rem ein Transparent mit der For- schutzamtes, Andreas von der in Guthmannshausen lediglich derung, die Stadt „zum sicheren Heydt, laut den Kieler Nachrich- im Juni 2014 besucht. Im Aus- Hafen“ für Geflüchtete zu ma- ten im Bauausschuss. Die Klassensprecherin, die schlussantrag hatte der Bun- chen. Eine Position also, die zu- Der Strohhalm in Form des aus Syrien stammt, hatte am desvorstand am 17. Dezember letzt vielerorts erhoben worden Stadtluftreinigers soll voraus- folgenden Tag die Klassenleh- mit einer Mitgliedschaft Sayn- ist, aber auch schon mal kontro- sichtlich Ende Januar aufge- rerin über das Video informiert. Wittgensteins in dem Verein ar- verser diskutiert wird. stellt werden. Stadt und Firma Die Schulleitung zeigte die ver- gumentiert, der auf der Unver- Für das Auschwitz Komitee wollen im Testbetrieb unter an- dächtigen Schüler wegen drei einbarkeitsliste der Partei steht. und seine Vorsitzende Esther derem feststellen, wie laut das Straftatbeständen bei der Poli- Der Vorwurf der Holocaust- Bejarano wiederum ist die Ver- Gerät ist, ob die Luft auf der Bür- zei an und informierte ihre El- Leugnung überzeugte die bindung von gestern und heute Einfach unbezahlbar gersteigseite tatsächlich saube- tern. Allerdings sind die zwölf- Schiedsrichter ebenfalls nicht. eine enge: „Erinnern heißt han- Mieten und Wohnungspreise in Großstädten rer wird und wie viele Todesop- und dreizehnjährigen Kinder Die Betroffene streite die Aus- deln“ ist die anstehende Ge- steigen und steigen. Die weniger Wohlhabenden fer die Technik fordert. Denn für noch gar nicht strafmündig. sage ab. Und selbst wenn sie sich denk-Matinee überschrieben. werden aus attraktiven Quartieren verdrängt, Biene Maja und Verwandte be- Schon gleich nach Bekannt- so geäußert haben sollte, so das Dass Hamburg sicherer Hafen Geld wird auf Kapitalbesitzer umverteilt, Mieter deutet ein Dauersauger auf der werden der Vorwürfe waren die Schiedsgericht, sei nicht von ei- sei, in genau dem hier gemein- Straße so etwas wie einen stati- verdächtigten Schüler aus der nem „erheblichen Verstoß“ aus- ten Sinne, hatte übrigens auch zahlen drauf. onären Wirbelsturm mit letalen Whatsapp-Klassengruppe he- zugehen. Denn die Parteikolle- Bürgermeister Peter Tschen­ Als Gegenmittel stehen in der Debatte u. a. die Folgen. rausgenommen worden. Drei gin hätte ihre Äußerung „mit tscher (SPD) im Herbst erklärt Mietpreisbremse, die Nutzung des städtischen Doch die Sorge ist unbegrün- von ihnen wurden für einen Tag einem Werturteil“ vermengt, – unisono mit den Amtskollegen Vorkaufsrechts und Zwangsvermietung. det: Dank des Insektensterbens von der Schule suspendiert, vier indem sie von einer Fälschung und Parteifreunden in Bremen gibt es ja gar nicht mehr so viele weitere in den folgenden Tagen durch die Engländer und Ame- und Berlin. An Tschentscher Diskutieren Sie mit unseren Gästen, warum das Krabbler, die im Filter verenden getrennt von ihren Klassen be- rikaner gesprochen hätte. Und hatte sich Bejarano in einem Wohnen so teuer ist und was die Stadt Hamburg können. Wieder ein Problem ge- treut. Alle drei siebten Klassen solche „Mischerklärungen“ fie- offenen Brief gewandt – anzu- dagegen tun kann: löst. Esther Geißlinger der Ludgerus-Schule nahmen len unter die Meinungsfreiheit. nehmen, dass das den Kurs- zudem am Montag und Diens- Die Richter heben jedoch her- wechsel auslöste. Zur taz äu- Jan Kuhnert, Vorstandsmitglied tag dieser Woche an einer Dop- vor, dass über einem Ausschluss ßerte sich das Komitee am Frei- Wohnraumversorgung Berlin (WVB) pelstunde „Medienprävention“ noch nicht entschieden sei. tag erleichtert – nicht ohne den Petra Memmler, Geschäftsführerin Verband der Polizei teil. Bundes- und Fraktionsfüh- Hinweis, dass es immer gut sei, norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) Das große Medienecho, das rung halten Sayn-Wittgenstein die Stimme zu erheben, statt zu Landesverband Hamburg e.V. der Fall zwischenzeitlich aus- bislang nicht ihren internen E- schweigen. Dem dürfte auch der löste, findet Schulleiter Feld- Mail-Verteiler vor. Im Dezem- Hochbahn-Sprecher zustimmen Karin Siebeck, Leiterin des Amtes für Wohnen, haus gut. Es sei auch ein Appell ber hatte die taz anhand des können. Alexander Diehl Stadterneuerung und Bodenordnung Hamburg an die Gesellschaft, die Schulen Verteilers belegt, das sie breit und vor allem die Eltern, ver- im rechtsextremen Milieu ver- Heike Sudmann, Bürgerschaftsfraktion Die Linke „Gemeinsam gegen den Hass antwortungsbewusst mit dem netzt ist. Die 64-Jährige, der 2017 – Erinnern heißt handeln“: So, Moderation: Smartphone umzugehen und nur zwei Stimmen auf dem Bun- 13. 1., 13 Uhr, Hamburg, Gernot Knödler, Redakteur der taz nord mit den Kindern über die darü- desparteitag fehlten um zweite Polittbüro (Eintritt frei) ber verbreiteten Inhalte zu spre- Bundessprecherin zu werden, chen. Reimar Paul leitete E-Mails von Freunden der Dienstag, 22. Januar, 19.30 Uhr, Eintritt frei Waffen-SS, Holocaust-Leugnern und Verfechtern einer Reichs­ Kulturhaus 73, Schulterblatt 73, 20357 Hamburg ideologie weiter. Andreas Speit  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende interview 55

7. Dezember 2018, Rathaus Bremen: Die britische Bankenkritike- rin Ann Pettifor nimmt den Hannah-­ Arendt-Preis entgegen Foto: Radio Bremen

„Wir müssen den

Wir sind dem Finanzkapitalismus nicht ausgeliefert, sondern wir Kapitalismus liefern uns ihm aus, wenn wir die Rahmenbedingungen der globalen Wirtschaft nicht politisch definieren: Für ihr Engagement erhielt Ann Pettifor im Dezember den Hannah-Ahrendt-Preis, der von der Bremer managen“ Heinrich-Böll-Stiftung und dem Bremer Senat vergeben wird

schaubar, sondern eine Materie, die für weiß es, es gibt keine Transparenz. Und Was wären die Grenzen – Europa oder Interview Klaus Wolschner alle zugänglich sein sollte. Wir müssen keine Kontrolle. Mister Blackrock managt ? taz: Frau Pettifor, viele Ökonomen pro- darüber diskutieren lernen, damit wir sechs Milliarden Dollar solcher Gelder. Es sind die Grenzen, die wir wählen. gnostizieren den nächsten Finanzcrash, das System endlich ändern können. Das Was wissen wir über Blackrock? Wir können nationale Grenzen wählen Krisen über Krisen prägen unser Bild ist meine Mission. Ich gebe ihnen ein Was muss man tun, damit die verun- oder zum Beispiel europäische. Es dürfte vom Kapitalismus – wäre nicht der So- Beispiel. Ich habe „Jubilee 2000“ gelei- sicherten Menschen nicht Trump wäh- schwierig sein, es auf europäischer Ebene zialismus eine Alternative? tet, eine Kampagne zur Begrenzung der len, sondern die Freunde von Pettifor? zu managen, aber für bestimmte Fragen Ann Pettifor: Ich bin eine Sozialistin, Schulden der ärmsten Länder. Viele Leute Wir haben darauf gesetzt, dass Politi- ist es möglich. Ich glaube an nationale ich streite für soziale Gerechtigkeit. Aber kamen da und haben das unterstützt. Sie ker, die sich Sozialdemokraten nennen, Autonomie und internationale Koope- ich bin Realist, ich weiß, wir leben in ei- wollten nach Washington kommen und für die Mehrheit der Bevölkerung han- ration. Wir müssen die Kapitaltransak- ner globalisierten kapitalistischen Welt, vor dem Internationalen Währungsfonds deln. Aber sie haben sich von den Lob- tionssteuer gegen die Lobby der Finanz- der Sozialismus liegt in weiter Ferne. demonstrieren. Ich habe gesagt: Nein. Ihr byisten der Banken kaufen lassen. Des- wirtschaft durchsetzen und dann über Aber es gibt eine Möglichkeit, den Kapi- habt keinen direkten Einfluss auf die Bü- wegen hat die Sozialdemokratie das Ver- nationales Finanzmarkt-Management talismus so zu managen, dass er weniger rokratie des IWF. Ihr müsst euch an die trauen verloren. Die Sozialdemokratie reden. Unter dem Gesichtspunkt der de- destruktiv wirkt. Wir haben das gemacht Politiker wenden, die den IWF beaufsich- zerstört sich selbst. In Frankreich haben mokratischen Kon­trolle sind die Grenzen und wir können das wieder tun. Wir dür- tigen sollen. Die Gesellschaft gibt den Po- sie ihre historische Parteizentrale in Paris wichtig. Die Bevölkerung will ihre Politi- fen der unsichtbaren Hand des Marktes litikern ein Mandat. verkauft, sie existieren dort nicht mehr. ker kennen, sonst gibt es kein Vertrauen, nicht die großen Entscheidungen über- Heute repräsentiert Donald Trump Wohin sollen die Gelbjacken gehen? das geht auf globaler Ebene nicht. lassen über unsere Gesellschaft. Die Ge- in diesem Sinne die Bevölkerung der Emmanuel Macron kommt von Gold- Der Brexit könnte nationale Kont- sellschaft muss den Markt managen und USA. Braucht die Trump-Administra- man Sachs. Tony Blair wurde nach sei- rolle ermöglichen? regulieren. tion für seine Machtpolitik mehr Ins- nem Rücktritt für zwei Millionen Pfund Nein, ich bin tief besorgt über die Die Erfahrungen der realen sozia- trumente über den Markt? Sterling Jahresgehalt Berater der ameri- wirtschaftlichen Auswirkungen des Bre- listischen Länder, die versucht haben, Trump repräsentiert einen großen kanischen Investmentbank JP Morgan. xit. Wir wissen nicht genau, was passie- den Kapitalismus zu managen, sind ge- Teil der Gesellschaft, sicherlich. Er re- Wir müssen Politiker suchen, die nicht ren wird, aber es ist sicherlich eine Art scheitert. präsentiert die ängstliche Bevölkerung, von den Banken in die Tasche gesteckt Selbstmord, den freien Handel mit der Richtig. Ich bin keine Kommunistin. Menschen, die verunsichert sind durch werden. Die Sozialdemokratie hat ein übrigen Welt zu fordern und den freien Ann Pettifor Auch Venezuela wäre ein Beispiel für eine die Wirtschaftskrise. Die Banken wurden Vakuum hinterlassen. Ich hoffe, dass es Handel mit den 28 Staaten in Europa zu gescheiterte Wirtschaftspolitik, die sich gerettet, der Bevölkerung wurde Auste- wieder genuine Sozialdemokratien ge- verweigern. Das ist ein echter Quatsch! geboren 1947 in Südafrika, selbst als sozialistisch beschrieben hat. rity verordnet und ihr wurde gesagt, sie ben wird. Ob die Grünen diese Lücke fül- Die Hoffnung der Brexit-Anhänger ist, ist eine englische Ökonomin. Ich beziehe mich auf die Periode nach müsse Opfer bringen. Die Löhne sind len können? dass es eine amerikanische Liberalisie- Die streitbare Wissenschaft- dem Zweiten Weltkrieg, von 1945 bis heute noch niedriger als vor der Krise. Wird es in den nächsten drei Jahren rung gibt. Das ist der hässlichste Kapi- lerin war mit ihrem eloquen- 1971. Da gab es mehr soziale Gerechtig- Einfache Menschen haben ihre Wohnun- wieder eine große Finanzkrise geben? talismus von allen, weil er unser natio- ten Sachverstand eine keit als heute. Nicht in den sowjetischen gen verloren, sie sehen ihre Jobs bedroht Ich habe in Paris vor einer Versamm- nales Gesundheitswesen zerstören wird, Begründerin der „Jubilee Ländern, aber in den westlichen Ländern. von der chinesischen Konkurrenz, und in lung von 500 Asset-Bankern gesprochen. unser Engagement für die Sozialsysteme 2000“-Kampagne, die Die Wirtschaft war stabiler als heute, es Washington geht es den Banken so gut Denen wurde diese Frage gestellt und 55 und das soziale Wohlergehen. weltweit die Streichung der gab weniger Ungleichheit und Polarisie- wie zuvor. Schon Karl Polanyi hat in den Prozent haben dazu Ja gesagt. Das Sys- Sie haben einen offenen Brief an Je- Schulden der ärmsten rung als heute. Alle Geschichtsbücher be- 1930ern erklärt, dass die einfachen Men- tem ist nach wie vor instabil und krisen- remy Corbyn geschrieben, den Chef der Länder forderte. 70.000 Men- schreiben diese Zeit als das goldene Zeit- schen einen starken Mann wählen, wenn anfällig. Es gibt eine exzessive Entwick- britischen Labour-Party … schen umzingelten 1998 den alter der Ökonomie. Dahin möchte ich sie das Gefühl haben, dass sie Schutz lung der Kredite und der Schulden, viel- … und habe dafür geworben, dass wir G8-Gipfel in Birmingham. zurück, das wäre für mich ein Fortschritt. brauchen. Das ist eine Reaktion auf eine leicht sogar schlimmer als 2007. Damals mit einer Kampagne für einen grünen 1999 hatte die Kampagne Die Gesellschaft soll die Finanz-Öko- unregulierte Ökonomie. Der starke Mann beliefen sich die globalen Schulden auf New Deal die Austerity-Sparpolitik be- einen großen Erfolg, als der nomie managen, sagen Sie – das heißt: verspricht, eine Mauer an der Grenze zu weniger als 300 Prozent des Bruttosozi- enden. Dafür brauchen wir eine partei- Kölner G8-Gipfel den 18 die politische Administration. Eine Mexiko zu errichten und gegen die Chi- alproduktes, heute sind es deutlich mehr übergreifende Allianz britischer Abge- ärmsten Ländern rund 100 staatliche Bürokratie soll die Banker nesen zu kämpfen. In Frankreich erleben als 300 Prozent. Gleichzeitig sind durch ordneter, auch mit Grünen, Liberalde- Milliarden Dollar erließ. Im kontrollieren? wir den Aufstand von ähnlich Benach- Neoliberalismus und Austerity die Löhne mokraten und einigen Konservativen. Jahre 2006 veröffentlichte Ich verwende nicht das Wort Kontrolle, teiligten. gedrückt worden. Wir brauchen Investitionen für die Schaf- Pettifor ein Buch, das sich im ich spreche von managen. Der Chef von Die Verfechter eines demokratisch Aber die Finanzwelt ist globalisiert, fung qualifizierter, gut bezahlter Arbeits- Rückblick wie eine Prognose Apple würde niemals zulassen, dass sein gemanagten Kapitalismus, in dem ge- wie können Gesellschaften sie mana- plätze in Wirtschaftsbereichen, die so- der großen Schuldenkrise Konzern von der unsichtbaren Hand des nug Kredite für ökologische Ziele vor- gen? wohl für die Wirtschaft als auch für die liest. Titel: „The Coming First Marktes gesteuert würde, er will sein Un- handen sind, haben die Bevölkerung Wenn man demokratische Politik ma- Ökologie von entscheidender Bedeutung World Debt Crisis“. ternehmen managen. Wenn die Gesell- nicht überzeugen können … chen will, braucht man Grenzen. Wenn sind. Dazu gehört eine höhere Energieef- Im Herbst 2018 wurde Ann schaft in diesem Sinne die Ökonomie ma- … und die Wahl eines autoritären Füh- Sie ein Strafrecht haben, gilt das inner- fizienz. In Großbritannien sind Investiti- Pettifor in Bremen für ihr nagen will, muss sie Politiker wählen. Ich rers löst die Probleme für die Bevölke- halb der Grenzen. Wenn Sie soziale Hil- onen gegen den Klimawandel ganz we- Buch „Die Produktion des bin Demokratin. Sicherlich, manchmal rung nicht, sondern verschlimmert sie. fen haben, gelten die innerhalb der Gren- sentliche Investitionen für die Zukunft, Geldes“ mit dem Hannah- geraten die Bürokraten außer Kontrolle, Diese Erfahrung werden die Menschen zen. Aber das Kapital hasst Grenzen. Sie insbesondere in den hochwassergefähr- Arendt-Preis ausgezeichnet, manchmal geben die Politiker ihnen aber machen. In den USA und in Großbritan- wollen sich heute in Hongkong Geld be- deten Gebieten. weil sie im Sinne Hannah auch zu viel Macht. Dann muss die Ge- nien sind die Pensionen weitgehend pri- sorgen und es in Brasilien zu hohen Zin- Corbyn ist nicht so klar, wenn es um Arendts das Primat der sellschaft zu den Politikern sagen: Nein. vatisiert, das Geld liegt bei Schattenban- sen ausleihen. Wir können das Geldsys- den Brexit geht. Politik über die Ökonomie Wie geht das? ken. Die spekulieren damit. Was machen tem nur managen innerhalb bestimm- Aber die Mitglieder von Labour sind es. fordert. Die Finanzpolitik ist nicht undurch- sie genau mit den Pensionen? Niemand ter festgelegter Grenzen. Darauf setze ich meine Hoffnung. sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  56 schwerpunkt taz am wochenende 57

Soldat und Softie Stählernes Lachen: Helmut Kreative verdanken ihm soziale Schmidt im September Absicherung. Auch deshalb galt 1980 vor der Helmut Schmidt bei seinem Sturz Abfahrt des 1982 vielen als „Kanzler der Künste“ Wahlkampf- „Helmut Schmidt hat sich Zeit seines Lebens für Staatsräson entschieden“ Sonderzuges in Bonn. Zwei Von Alexander Diehl Jahre später Auszug aus der Rede von Thomas Ebermann gesellschaftliche Konflikte zu lösen wie Naturka- war er kein anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde tastrophen: „Alles hört auf mein Kommando! Ich st das schon Dekonstruktion, gar Denkmal- Kanzler mehr der Stadt Hamburg an den ehemaligen Bundes- erwarte Vollzugsmeldung.“ Das sind die beiden sturz? Ja, vielleicht – für jene, die bei Hel- Foto: Fritz kanzler Helmut Schmidt geflügelten Worte aus den Tagen der Flutkatast- mut Schmidt vor allem ans Soldatische den- Fischer/dpa rophe, in der Helmut Schmidt unbürokratisch viel ken möchten, das Pflichtbewusste, zuweilen I Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen geleistet haben soll. Ich glaube, daß in dieser übermäßig Korrekte, wie sich‘s ja schon im Sie mich sagen, was ich hier will. Ich bin gestern Situation unbürokratisches Handeln und Kompe- strammen Scheitel gezeigt haben soll. Aber von einem Journalisten, keinem linken und auch tenzübertretung nötig waren, um Menschen so dieser Helmut Schmidt, er hatte eine weiche keinem alternativen Journalisten, angerufen gut es ging zu retten. Aber solche Maximen sind Seite, lesen wir – und die stellte er am ehesten worden, der mich fragte: „Herr Ebermann, morgen nicht gut für Politik, wie wir sie verstehen. aus, ging’s um die Kunst. hauen Sie doch bestimmt auf die Sahne; können Mancher braucht Krisen. Menschen, die im Beziehungsweise „die schönen Künste“, wie Sie mir schon sagen, womit Sie den Skandal sozialen Frieden leben wollen, nicht. sie auftreten im Untertitel des Buches von provozieren werden?“ Will ich gar nicht. Es reicht Werner Irro, das jetzt die Helmut-und-Loki- schon aus, in dieser Situation bedrückender Technokratischer Perfektionismus kann bei Natur- Schmidt-Stiftung herausgegeben hat. Denn Feierlichkeit kühlen Kopf zu bewahren und zu katastrophen wertvoll sein; in anderen Situationen das ist ja weithin in Vergessenheit geraten: Am versuchen, sowohl einiges über denjenigen zu lässt mich erschauern, was als Tugend an Helmut Ende seiner Amtszeit, 1982, war die Wahrneh- sagen, der heute von der Hamburger Bürger- Schmidt herausgestellt wurde. Conrad Ahlers lobt mung des Sozialdemokraten als „Kanzler der schaft geehrt werden soll, als auch über das Ritual Helmut Schmidt mit folgenden Worten: „Ein Künste“ so exotisch nicht. selbst. (...) Geheimnis seiner Stärke liegt in der Fähigkeit zur Irro erklärt das einerseits mit der Künstler- Konzentration. Sie bezieht sich nicht nur auf das sozialversicherung, die es nur geben dürfte, 1965 – auf einem Parlamentariertreffen der SPD Wesentliche, sondern auch aufs Detail. So lenkte weil Schmidt diese Tugenden an den Tag legte, – beklagte Helmut Schmidt die Mißachtung von er sich von sorgenvollen Gedanken dadurch ab, die ihm so gern nachgesagt werden. Dass vie- Parteitagsbeschlüssen durch die CDU-Minister. daß er jede Mitteilung an die Schleyer-Entführer lerorts seine Rolle beim zähen Zustandekom- 1979 sagte er hingegen: „Auf Parteitagen kann mit seinem grünen Filzstift verbesserte und dabei men dieses sozialpolitischen Instituts un- beschlossen werden, was will; so richtig großen genau auf die Interpunktion achtete.“ Welch ter den sprichwörtlichen Tisch fällt – es wird Schaden haben wir noch nie angerichtet.“ 1977 grandiose Sekundärtugend, in der Situation der Schmidt weniger gestört haben als vieles an- sagte er: „85 Prozent seiner Kraft und Zeit braucht Schleyer-Entführung die Interpunktion nicht zu dere, das so im Umlauf war und ist. man, um Entscheidungen, die man getroffen hat, vernachlässigen, denn seine Primärtugend war Sehr wohl gestört hat er sich dagegen am in tausend demokratischen Gremien zu vertreten.“ auch hier die Staatsräson. Denn es gab ja eine lange kaum zu erschütternden Bild des bloßen 1974 – auf einem Hamburger Parteitag – sagt er: Abwägung zwischen unbedingter Humanität, also „Machers“ – „als hätte ich noch nie ein Buch ge- „Ihr beschäftigt euch mit der Krise des eigenen auf alle Fälle Menschenleben zu retten, und schrieben“, zitiert Irro einen 1975 in der Zeit do- Hirns statt mit den ökonomischen Bedingungen, Staatsräson, also das Risiko des Lebens Schley- kumentierten Ausbruch Schmidts im kleinen mit denen wir es zu tun haben.“ Und 1981 sagt er: ers und der Insassen der Maschine in Mogadi- Kreis. „Als hätte ich nicht in Hunderten von Mich interessiert nicht, was die Partei beschließt; schu, das Risiko, diese Leben auszulöschen, damit Reden und Aufsätzen beigetragen zur vertief- ich handele nach meinem Gewissen.“ der Staat Stärke zeigt und so seine Vorstellung ten Analyse und zur Substanz unserer Politik!“ von sittlicher Ordnung durchsetzen würde. Fürs Analysieren und, noch wichtiger, das Vor- Hierin liegt nicht nur Mißachtung der SPD; diese tragen dieser Analysen fand sich dann ja noch will ja solche Führernaturen an der Spitze haben. Helmut Schmidt hat sich Zeit seines Lebens für Gelegenheit – auch als Elder Statesman der Zeit. (...) Es liegt in dem Zitat von der Krise des eigenen Staatsräson entschieden. Helmut Schmidt hat Noch etwas Störendes: Als er auf Willy Hirns statt der Reflexion der ökonomischen sich deswegen entschieden, sich selbst leitender Brandt folgte, hinterließ dieser mächtig große Bedingungen auch eine sichtbare Lust an Angestellter der Bundesrepublik Deutschland zu Spuren – was die Rede angeht von der Wichtig- Diffamierung anderer. Hierfür ein Beispiel: Helmut nennen. Über leitende Angestellte wissen wir keit der Kunst; auch war der Vorgänger enorm Schmidt hat nicht nur das Atomprogramm der folgendes: Leitende Angestellte werden nicht von beliebt gewesen unter Kunstschaffenden. Ne- SPD durchgesetzt – erinnert sei an seine Rück- allen Arbeitnehmern eingesetzt, sondern von ben Schmidts, siehe oben, sehr viel konkrete- Dissens trittsdrohung auf dem SPD-Parteitag in Berlin einer Aktionärsversammlung. Leitende Angestell- rer Politik machte ihn dann noch etwas anderes 1979 –, er hat nicht nur dafür gesorgt, dass te verkörpern also nicht den Begriff von Demokra- zum „Kanzler der Künste“: Stellte sich Nachfol- Hamburg auch ökonomisch noch lange an den tie, der häufig gemalt wird, das jeder eine Stimme ger Helmut Kohl (CDU) erst mal eine Deutsch- unsinnigen Reaktoren Krümmel und Brokdorf hat. Auf den Aktionärsversammlungen sind landfahne ins Büro (und ein Aquarium), hatte leiden wird, er hat auch Umgang mit Atomenergie- wiederum meistens nicht diejenigen wichtig, die das Ehepaar Schmidt Kunst und Künstler ins gegnern verordnet oder geprägt. (...) Helmut laut debattieren, die Kleinaktionäre, für die Kanzleramt geholt; am deutlichsten sichtbar, Schmidt sagt im Rahmen der Atomenergiedebat- Würstchen bereitgestellt werden, sondern die klar, Henry Moores Skulptur „Large two forms“ zur te: „Wer mit dem Aufkleber ‚Atomkraft - Nein Großen, die die großen Aktienpakete halten. Gute, (1979) draußen auf dem Rasen. Und drinnen? danke‘ herumfährt, dem möchte ich dazukleben: leitende Angestellte tun alles für das Wohl des Hängte und stellte man ausdrücklich solche ‚Ich habe mich freiwillig zum Kohlebergbau Anteilseigners; gute, leitende Angestellte weisen Maler und Bildhauer, die dem NS-Regime gemeldet‘.“ Das ist Humor! Das ist fast so gut wie unbillige Ansprüche von Belegschaften zurück. als „entartet“ gegolten hatten – nicht ganz Oswald Paulig: „Wer das Quecksilber in der Elbe Wir, die wir versuchen, diejenigen zu vertreten, die ohne das Kalkül, den Bogen zu schlagen zum beklagt, soll da keine Thermometer reinschmei- nicht einmal Kleinaktionäre, sondern Arbeitslose, Deutschland vor dem Sündenfall, sozusagen. ßen.“ (...). Bloß nicht mit der Sache auseinander- Sozialhilfeempfänger oder Fließbandarbeiter in Feierstunde setzen, bloß die Assoziation erzeugen: Wer gegen dieser Gesellschaft sind, bestätigen Ihnen, Herr Atomkraft ist, arbeitet nicht und gehört deswegen Schmidt: Sie waren für die Großaktionäre dieser Unsere Autorin war Schülerin, als der Abgeordnete Thomas Ebermann Helmut Schmidt in der eigentlich ins Bergwerk. Republik ein hervorragender leitender Angestell- ter. (...) Hamburger Bürgerschaft zu kritisieren wagte – in dessen Beisein. Schmidt begann gerade, ein Aber in den Zitaten, die ich vorgestellt habe, liegt auch Lust am Krisenstab, liegt auch Lust an (Beifall bei der GAL – Ove Franz, CDU: Pfui!) Denkmal zu werden, Ebermann war bei der GAL. Später wurde er Kabarettist – und tritt jetzt überdimensionaler formaler Kompetenz, an der mit einer Schmidt-Beschimpfung im Deutschen Schauspielhaus auf Nichtrechtfertigung vor den vielen demokratisch Quelle: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt gewählten Gremien. Hierin liegt die Tendenz, Hamburg, Plenarprotokoll 11/27 vom 22. 12. 1983

das nie erlebt. „Die russischen Frauen wicht des Schreckens“. Die eine Macht Ende 1977 gab es eine Großdemons- Als am 22. Dezember 1983 Helmut Schmidt heute gut da, weil die Abrüs- durchaus aus mit Krawall, aber da war hörte zu den Ökosozialisten bei den Von Kaija Kutter sagten, dass von ihrem Land nie wie- hätte die andere nicht angreifen kön- tration gegen das AKW in Kalkar. Ich Schmidt per Abstimmung zum Ehren- tungsverhandlungen letztlich erfolg- mein Hemd am Ende nass geschwitzt. Grünen, verließ 1990 die Partei aus Pro- ls Helmut Schmidt die der Krieg ausgeht, stünde in ihrer Ver- nen, ohne sich selbst zu vernichten. bestieg in Wandsbek einen Demo-Rei- bürger Hamburgs ernannt wurde, war reich waren. Am Morgen des 22. De- Es war kein schöner Moment, aber ein test gegen die realpolitische Tendenz. Ehrenbürgerschaft der fassung“, erinnert meine Mutter. „Das Die neuen Waffen aber hätten nach sebus und sah erstmals Polizisten mit dieser seit gut einem Jahr kein Kanzler zember 1983 konnte das aber noch kei- wichtiger. Ich war mir und meinen Bald schrieb er dann Texte und The- Stadt Hamburg erhielt, haben wir nach Hause mitgenommen Planspielen von Pentagon-Strategen vorgehaltener Maschinenpistole. Wir mehr. Später sagte er, sein Eintreten für ner wissen. Als erster sprach Klaus von Leuten das schuldig, davon bin ich bis aterstücke, manchmal zusammen mit war ich noch Schülerin und hier verbreitet.“ auch einen atomaren Enthauptungs- durften nicht losfahren, verbrachten den NATO-Doppelbeschluss habe ihn Dohnanyi, lobte in seiner Rede, es sei heute überzeugt.“ Rainer Trampert, einst Bundesspre- Auch Konzerte richteten Schmidts aus, noch Helmut und damit beschäftigt, Helmut Schmidt erinnere ich als schlag auf die Sowjetunion möglich die halbe Nacht auf der Autobahn und das Amt gekostet. Denn seine SPD war Schmidt zu verdanken, dass die Welt- Die Rede ist in der Datenbank der cher der Grünen, mit dem er ein Ka- im Palais Schaumburg: Klassik und Romantik, Schmidt bei Schulstreiks für den Kind auf Plakaten bei uns in der Straße. gemacht. Wir sahen uns Bilder des kehrten um. Der Schock von Kalkar, nicht dafür. Die FDP, die damals mitre- mächte seit 1981 wieder am Genfer Ver- Hamburger Bürgerschaft dokumen- barettprogramm entwickelt hat. Ge- wie Schmidt sie liebte und auch selbst spielte. der Eröffnung AFrieden zu organisieren. Ich hatte die Fand ihn ansehnlich, er hatte mehr 1945 durch Atombomben vernichte- wo sich das Land als Polizeistaat zeigte, gierte, sah den NATO-Beschluss in Ge- handlungstisch saßen. Er räumte ein, tiert. Das Abendblatt schrieb später, fragt nach den Erfolgen der 68er sagte Der eigentliche Buchtitel entstammt ei- einer Ausstel- Weltkarte und die Position der russi- Haare als Willy Brandt. Die außerpar- ten Hiroshima an. Tausende gingen führte zur Idee, die außerparlamentari- sie sei darauf angelegt, „Schmidt zu er der Zeit, es gebe zwei Lager. Das eine nem Brief, den Schmidt 1968 an Siegfried lung der Reihe schen und amerikanischen Raketen lamentarische Opposition in der Bun- auf die Straße, weil sie Angst vor ei- sche Bewegung ins Parlament zu brin- verletzen“. Doch in der Senatskanzlei Lager, das den Alltag der Deutschen ver- Lenz schrieb. Da hatte er gerade „Die Deutsch- „Kunst im auf eine Matrize gezeichnet, um Mit- desrepublik der 1970er-Jahre und der nem „Euroshima“-Atomkrieg hatten. gen. In Hamburg kam es zu einem Zer- muss sie jemandem imponiert haben: ändern wollte, habe viel erreicht. Also Kanzleramt“ stunde“ gelesen, Lenz’ fiktionalisierte Befas- schülern zu erklären, wie groß die Ge- SPD-Bundeskanzler waren wohl keine Thomas Ebermann kannte ich aus fallsprozess bei den linken Gruppen. Es Vor seiner Politzeit arbeitete Ebermann im Auf deren Homepage ist sie ausführ- kulturell. Nicht lange her, dass Gewalt am 8. Novem- sung mit dem Maler Emil Nolde und dessen in- fahr eines neuen Atom-Krieges ist. Ich Freunde. Schmidt stand für die ver- der Ferne vom Sehen und Zuhören. Er entstanden die Bunt-Alternative-Liste lich zitiert. gegen Kinder oder Vergewaltigung in ber 1978 Akkord in einer Turnschuhfabrik und nerem Exil während des „3. Reichs“, mit Schuld sprühte nachts mit Freunden Parolen hasste Atomkraft, für die harte Linie hatte im Sommer 1977 von einer Anti- und die Grünen. Kurz vor der Wahl 1982 Ebermann war damals noch 32 Jahre der Ehe noch erlaubt war. Das zweite Foto: Ludwig lernte, den Kapitalismus abzulehnen und – Pflichterfüllung. Ach, ja: Dass Nolde zu Wegmann/ wie „Pershing go home“ an die Turn- des Staates im Umgang mit Demonst- Atom-Demonstration in Frankreich fusionierten beide Parteien zur „Grün jung, hatte aber viel erlebt. Vor seiner Lager, das den Kapitalismus abschaffen Schmidts Lieblingskünstlern gehörte, dass er Presse- und halle, im Ohr das Lied von Nena über ranten bei AKW-Demos, als es galt, Bau- berichtet, wo es einen toten Demonst- Alternativen Liste“ (GAL). Politzeit arbeitete der Realschüler im wollte, zu dem er sich zählte, habe gar das Gemälde „Meer III“ vom Amtsschreibtisch Informations- „99 Luftballons“, die einen Krieg aus- platzbesetzungen zu vermeiden. Und ranten gab. Er trug Trainingsjacke und Ebermann war Gründungsmitglied Akkord in einer Turnschuhfabrik und nichts erreicht. aus stets im Blick hatte: Das haben wohl so- amt der lösen. In Kasernen war der Song ver- im Umgang mit der RAF, der die Re- Turnschuhe, wirkte lässig, nuschelte et- der Grünen und einer von neun Abge- fahr und stieg aus. Per Misstrauensvo- dass auch die Hamburger SPD-Genos- lernte, den Kapitalismus abzulehnen. Und nun macht Ebermann die gar die mitbekommen, denen Schmidt vor al- Bundesregie- boten. pression gegen „Sympathisanten“ mit was. Er war auch wichtiges Mitglied des ordneten, die in die Hamburger Bürger- tum verlor er am 1. Oktober 1982 nach sen gegen die Stationierung waren, Die Rede ist geschliffen. Ebermann Schmidt-Kritik zur Kunst, tritt am 19. Ja- lem soldatisch war, „Macher“ und überkorrekt. rung Der von Helmut Schmidt auf den einschloss und im „Deutschen Herbst“ „Kommunistischen Bundes“ (KB) ge- schaft einzogen. Es sei darum gegan- acht Jahren seinen Posten, Helmut Kohl doch diese Meinungsverschiedenheit stellte Schmidts Glaubwürdigkeit in- nuar mit „Ebermann beleidigt Helmut Weg gebrachte „Nachrüstungsbe- 1977 die Stimmung trübte. Und doch wesen, der damals in Hamburg rund gen, „Sand im Getriebe“ zu sein, sagte von der CDU wurde Kanzler. Am Tag da- könne „die Hamburger SPD von ih- frage: Habe der als Oppositionspoliti- Schmidt“ im Foyer des Schauspielhau- schluss“ beschäftigte viele Menschen. war er nur Teil des Regierungsapparats 1.500 Mitglieder hatte und in Form er später dem Magazin Prager Frühling. nach habe die Legende um Schmidt be- rem bedeutenden Genossen Helmut ker vor Atombomben gewarnt, habe er ses auf. Der Abend ist ausverkauft. Nach Werner Irro: „‚Mit großem Vergnügen und mit Meine Eltern zum Beispiel. Meine Mut- und nicht so sehr Feindbild wie später einer Bündnispolitik bei vielen Anti- Das hieß „Lust am Enthüllen, Lust am gonnen, schrieb die Welt. Hamburger Schmidt“ nicht trennen. als Kanzler die SPD zum „loyalen NATO- dem unkritischen Hype um den 100. tiefer innerer Zustimmung …‘ – Helmut Schmidt ter reiste mit anderen „Friedensfrauen“ Helmut Kohl. Atom- und sonstigen Ini­tiativen der Vorführen“ und „große Sorgfalt mit SPD-Leute liefen mit Fackeln zu seinem Auf Ebermann lastete wohl schon Partner“ geformt und die „Nachrüs- Geburtstag des Ex-Kanzlers scheint der und die schönen Künste“. Edition Temmen nach Moskau, um dort mit dem Komi- Der Nato-Doppelbeschluss, der dazu sozialen Bewegung mitmachte, nach- dem imperativen Mandat“. Grüne Ab- Haus in Langenhorn. Die von SPD-Bür- auch ein Erwartungsdruck, als er im tung“ eingeleitet? Titel einen Nerv zu treffen. 2018, 152 S., 14,90 Euro tee der Sowjetfrauen über die Gefahren führte, dass amerikanische Mittelstre- zulesen in Michael Steffens Buch „Ge- geordnete sollten durch Rotation nach germeister Klaus von Dohnanyi verlie- Anschluss eine Rede hielt. Später Für meinen Geschmack hätte er Doch auch mein Vater meint, das zu sprechen. Sie wurden sich einig: Rus- ckenraketen auf westdeutschem Bo- schichten vom Trüffelschwein“. Wer da- kurzer Zeit das „Feindesland“ Parla- hene Ehrenbürgerschaft war auch so et- sagte er in der Zeit über die Rede: „Das noch viel mehr dazu sagen können. Helmut Schmidt seine Verdienste hat: Buchvorstellung mit Kultursenator Carsten sen und Deutsche kennen den Krieg den stationiert wurden, ging gar nicht, mals in Hamburg linke Politik machte, ment wieder verlassen und nicht mehr was wie ein Trost. war keine angenehme Sache, das kön- Aber er war der erste, der sich dem „Er hat mit der Nachrüstung die Frie- Brosda (SPD): 7. Februar, 18 Uhr, Hamburg, im eigenen Land, Amerikaner haben fand ich. Bis dahin galt das „Gleichge- kam am KB eigentlich kaum vorbei. verdienen als ein Facharbeiter. Im Lichte der Geschichte steht nen Sie mir glauben. Ich kannte mich Schmidt-Hype entgegen stellte. Er ge- densbewegung befeuert.“ Staats- und Universitätsbibliothek sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  56 schwerpunkt taz am wochenende 57

Soldat und Softie Stählernes Lachen: Helmut Kreative verdanken ihm soziale Schmidt im September Absicherung. Auch deshalb galt 1980 vor der Helmut Schmidt bei seinem Sturz Abfahrt des 1982 vielen als „Kanzler der Künste“ Wahlkampf- „Helmut Schmidt hat sich Zeit seines Lebens für Staatsräson entschieden“ Sonderzuges in Bonn. Zwei Von Alexander Diehl Jahre später Auszug aus der Rede von Thomas Ebermann gesellschaftliche Konflikte zu lösen wie Naturka- war er kein anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde tastrophen: „Alles hört auf mein Kommando! Ich st das schon Dekonstruktion, gar Denkmal- Kanzler mehr der Stadt Hamburg an den ehemaligen Bundes- erwarte Vollzugsmeldung.“ Das sind die beiden sturz? Ja, vielleicht – für jene, die bei Hel- Foto: Fritz kanzler Helmut Schmidt geflügelten Worte aus den Tagen der Flutkatast- mut Schmidt vor allem ans Soldatische den- Fischer/dpa rophe, in der Helmut Schmidt unbürokratisch viel ken möchten, das Pflichtbewusste, zuweilen I Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen geleistet haben soll. Ich glaube, daß in dieser übermäßig Korrekte, wie sich‘s ja schon im Sie mich sagen, was ich hier will. Ich bin gestern Situation unbürokratisches Handeln und Kompe- strammen Scheitel gezeigt haben soll. Aber von einem Journalisten, keinem linken und auch tenzübertretung nötig waren, um Menschen so dieser Helmut Schmidt, er hatte eine weiche keinem alternativen Journalisten, angerufen gut es ging zu retten. Aber solche Maximen sind Seite, lesen wir – und die stellte er am ehesten worden, der mich fragte: „Herr Ebermann, morgen nicht gut für Politik, wie wir sie verstehen. aus, ging’s um die Kunst. hauen Sie doch bestimmt auf die Sahne; können Mancher braucht Krisen. Menschen, die im Beziehungsweise „die schönen Künste“, wie Sie mir schon sagen, womit Sie den Skandal sozialen Frieden leben wollen, nicht. sie auftreten im Untertitel des Buches von provozieren werden?“ Will ich gar nicht. Es reicht Werner Irro, das jetzt die Helmut-und-Loki- schon aus, in dieser Situation bedrückender Technokratischer Perfektionismus kann bei Natur- Schmidt-Stiftung herausgegeben hat. Denn Feierlichkeit kühlen Kopf zu bewahren und zu katastrophen wertvoll sein; in anderen Situationen das ist ja weithin in Vergessenheit geraten: Am versuchen, sowohl einiges über denjenigen zu lässt mich erschauern, was als Tugend an Helmut Ende seiner Amtszeit, 1982, war die Wahrneh- sagen, der heute von der Hamburger Bürger- Schmidt herausgestellt wurde. Conrad Ahlers lobt mung des Sozialdemokraten als „Kanzler der schaft geehrt werden soll, als auch über das Ritual Helmut Schmidt mit folgenden Worten: „Ein Künste“ so exotisch nicht. selbst. (...) Geheimnis seiner Stärke liegt in der Fähigkeit zur Irro erklärt das einerseits mit der Künstler- Konzentration. Sie bezieht sich nicht nur auf das sozialversicherung, die es nur geben dürfte, 1965 – auf einem Parlamentariertreffen der SPD Wesentliche, sondern auch aufs Detail. So lenkte weil Schmidt diese Tugenden an den Tag legte, – beklagte Helmut Schmidt die Mißachtung von er sich von sorgenvollen Gedanken dadurch ab, die ihm so gern nachgesagt werden. Dass vie- Parteitagsbeschlüssen durch die CDU-Minister. daß er jede Mitteilung an die Schleyer-Entführer lerorts seine Rolle beim zähen Zustandekom- 1979 sagte er hingegen: „Auf Parteitagen kann mit seinem grünen Filzstift verbesserte und dabei men dieses sozialpolitischen Instituts un- beschlossen werden, was will; so richtig großen genau auf die Interpunktion achtete.“ Welch ter den sprichwörtlichen Tisch fällt – es wird Schaden haben wir noch nie angerichtet.“ 1977 grandiose Sekundärtugend, in der Situation der Schmidt weniger gestört haben als vieles an- sagte er: „85 Prozent seiner Kraft und Zeit braucht Schleyer-Entführung die Interpunktion nicht zu dere, das so im Umlauf war und ist. man, um Entscheidungen, die man getroffen hat, vernachlässigen, denn seine Primärtugend war Sehr wohl gestört hat er sich dagegen am in tausend demokratischen Gremien zu vertreten.“ auch hier die Staatsräson. Denn es gab ja eine lange kaum zu erschütternden Bild des bloßen 1974 – auf einem Hamburger Parteitag – sagt er: Abwägung zwischen unbedingter Humanität, also „Machers“ – „als hätte ich noch nie ein Buch ge- „Ihr beschäftigt euch mit der Krise des eigenen auf alle Fälle Menschenleben zu retten, und schrieben“, zitiert Irro einen 1975 in der Zeit do- Hirns statt mit den ökonomischen Bedingungen, Staatsräson, also das Risiko des Lebens Schley- kumentierten Ausbruch Schmidts im kleinen mit denen wir es zu tun haben.“ Und 1981 sagt er: ers und der Insassen der Maschine in Mogadi- Kreis. „Als hätte ich nicht in Hunderten von Mich interessiert nicht, was die Partei beschließt; schu, das Risiko, diese Leben auszulöschen, damit Reden und Aufsätzen beigetragen zur vertief- ich handele nach meinem Gewissen.“ der Staat Stärke zeigt und so seine Vorstellung ten Analyse und zur Substanz unserer Politik!“ von sittlicher Ordnung durchsetzen würde. Fürs Analysieren und, noch wichtiger, das Vor- Hierin liegt nicht nur Mißachtung der SPD; diese tragen dieser Analysen fand sich dann ja noch will ja solche Führernaturen an der Spitze haben. Helmut Schmidt hat sich Zeit seines Lebens für Gelegenheit – auch als Elder Statesman der Zeit. (...) Es liegt in dem Zitat von der Krise des eigenen Staatsräson entschieden. Helmut Schmidt hat Noch etwas Störendes: Als er auf Willy Hirns statt der Reflexion der ökonomischen sich deswegen entschieden, sich selbst leitender Brandt folgte, hinterließ dieser mächtig große Bedingungen auch eine sichtbare Lust an Angestellter der Bundesrepublik Deutschland zu Spuren – was die Rede angeht von der Wichtig- Diffamierung anderer. Hierfür ein Beispiel: Helmut nennen. Über leitende Angestellte wissen wir keit der Kunst; auch war der Vorgänger enorm Schmidt hat nicht nur das Atomprogramm der folgendes: Leitende Angestellte werden nicht von beliebt gewesen unter Kunstschaffenden. Ne- SPD durchgesetzt – erinnert sei an seine Rück- allen Arbeitnehmern eingesetzt, sondern von ben Schmidts, siehe oben, sehr viel konkrete- Dissens trittsdrohung auf dem SPD-Parteitag in Berlin einer Aktionärsversammlung. Leitende Angestell- rer Politik machte ihn dann noch etwas anderes 1979 –, er hat nicht nur dafür gesorgt, dass te verkörpern also nicht den Begriff von Demokra- zum „Kanzler der Künste“: Stellte sich Nachfol- Hamburg auch ökonomisch noch lange an den tie, der häufig gemalt wird, das jeder eine Stimme ger Helmut Kohl (CDU) erst mal eine Deutsch- unsinnigen Reaktoren Krümmel und Brokdorf hat. Auf den Aktionärsversammlungen sind landfahne ins Büro (und ein Aquarium), hatte leiden wird, er hat auch Umgang mit Atomenergie- wiederum meistens nicht diejenigen wichtig, die das Ehepaar Schmidt Kunst und Künstler ins gegnern verordnet oder geprägt. (...) Helmut laut debattieren, die Kleinaktionäre, für die Kanzleramt geholt; am deutlichsten sichtbar, Schmidt sagt im Rahmen der Atomenergiedebat- Würstchen bereitgestellt werden, sondern die klar, Henry Moores Skulptur „Large two forms“ zur te: „Wer mit dem Aufkleber ‚Atomkraft - Nein Großen, die die großen Aktienpakete halten. Gute, (1979) draußen auf dem Rasen. Und drinnen? danke‘ herumfährt, dem möchte ich dazukleben: leitende Angestellte tun alles für das Wohl des Hängte und stellte man ausdrücklich solche ‚Ich habe mich freiwillig zum Kohlebergbau Anteilseigners; gute, leitende Angestellte weisen Maler und Bildhauer, die dem NS-Regime gemeldet‘.“ Das ist Humor! Das ist fast so gut wie unbillige Ansprüche von Belegschaften zurück. als „entartet“ gegolten hatten – nicht ganz Oswald Paulig: „Wer das Quecksilber in der Elbe Wir, die wir versuchen, diejenigen zu vertreten, die ohne das Kalkül, den Bogen zu schlagen zum beklagt, soll da keine Thermometer reinschmei- nicht einmal Kleinaktionäre, sondern Arbeitslose, Deutschland vor dem Sündenfall, sozusagen. ßen.“ (...). Bloß nicht mit der Sache auseinander- Sozialhilfeempfänger oder Fließbandarbeiter in Feierstunde setzen, bloß die Assoziation erzeugen: Wer gegen dieser Gesellschaft sind, bestätigen Ihnen, Herr Atomkraft ist, arbeitet nicht und gehört deswegen Schmidt: Sie waren für die Großaktionäre dieser Unsere Autorin war Schülerin, als der Abgeordnete Thomas Ebermann Helmut Schmidt in der eigentlich ins Bergwerk. Republik ein hervorragender leitender Angestell- ter. (...) Hamburger Bürgerschaft zu kritisieren wagte – in dessen Beisein. Schmidt begann gerade, ein Aber in den Zitaten, die ich vorgestellt habe, liegt auch Lust am Krisenstab, liegt auch Lust an (Beifall bei der GAL – Ove Franz, CDU: Pfui!) Denkmal zu werden, Ebermann war bei der GAL. Später wurde er Kabarettist – und tritt jetzt überdimensionaler formaler Kompetenz, an der mit einer Schmidt-Beschimpfung im Deutschen Schauspielhaus auf Nichtrechtfertigung vor den vielen demokratisch Quelle: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt gewählten Gremien. Hierin liegt die Tendenz, Hamburg, Plenarprotokoll 11/27 vom 22. 12. 1983

das nie erlebt. „Die russischen Frauen wicht des Schreckens“. Die eine Macht Ende 1977 gab es eine Großdemons- Als am 22. Dezember 1983 Helmut Schmidt heute gut da, weil die Abrüs- durchaus aus mit Krawall, aber da war hörte zu den Ökosozialisten bei den Von Kaija Kutter sagten, dass von ihrem Land nie wie- hätte die andere nicht angreifen kön- tration gegen das AKW in Kalkar. Ich Schmidt per Abstimmung zum Ehren- tungsverhandlungen letztlich erfolg- mein Hemd am Ende nass geschwitzt. Grünen, verließ 1990 die Partei aus Pro- ls Helmut Schmidt die der Krieg ausgeht, stünde in ihrer Ver- nen, ohne sich selbst zu vernichten. bestieg in Wandsbek einen Demo-Rei- bürger Hamburgs ernannt wurde, war reich waren. Am Morgen des 22. De- Es war kein schöner Moment, aber ein test gegen die realpolitische Tendenz. Ehrenbürgerschaft der fassung“, erinnert meine Mutter. „Das Die neuen Waffen aber hätten nach sebus und sah erstmals Polizisten mit dieser seit gut einem Jahr kein Kanzler zember 1983 konnte das aber noch kei- wichtiger. Ich war mir und meinen Bald schrieb er dann Texte und The- Stadt Hamburg erhielt, haben wir nach Hause mitgenommen Planspielen von Pentagon-Strategen vorgehaltener Maschinenpistole. Wir mehr. Später sagte er, sein Eintreten für ner wissen. Als erster sprach Klaus von Leuten das schuldig, davon bin ich bis aterstücke, manchmal zusammen mit war ich noch Schülerin und hier verbreitet.“ auch einen atomaren Enthauptungs- durften nicht losfahren, verbrachten den NATO-Doppelbeschluss habe ihn Dohnanyi, lobte in seiner Rede, es sei heute überzeugt.“ Rainer Trampert, einst Bundesspre- Auch Konzerte richteten Schmidts aus, noch Helmut und damit beschäftigt, Helmut Schmidt erinnere ich als schlag auf die Sowjetunion möglich die halbe Nacht auf der Autobahn und das Amt gekostet. Denn seine SPD war Schmidt zu verdanken, dass die Welt- Die Rede ist in der Datenbank der cher der Grünen, mit dem er ein Ka- im Palais Schaumburg: Klassik und Romantik, Schmidt bei Schulstreiks für den Kind auf Plakaten bei uns in der Straße. gemacht. Wir sahen uns Bilder des kehrten um. Der Schock von Kalkar, nicht dafür. Die FDP, die damals mitre- mächte seit 1981 wieder am Genfer Ver- Hamburger Bürgerschaft dokumen- barettprogramm entwickelt hat. Ge- wie Schmidt sie liebte und auch selbst spielte. der Eröffnung AFrieden zu organisieren. Ich hatte die Fand ihn ansehnlich, er hatte mehr 1945 durch Atombomben vernichte- wo sich das Land als Polizeistaat zeigte, gierte, sah den NATO-Beschluss in Ge- handlungstisch saßen. Er räumte ein, tiert. Das Abendblatt schrieb später, fragt nach den Erfolgen der 68er sagte Der eigentliche Buchtitel entstammt ei- einer Ausstel- Weltkarte und die Position der russi- Haare als Willy Brandt. Die außerpar- ten Hiroshima an. Tausende gingen führte zur Idee, die außerparlamentari- sie sei darauf angelegt, „Schmidt zu er der Zeit, es gebe zwei Lager. Das eine nem Brief, den Schmidt 1968 an Siegfried lung der Reihe schen und amerikanischen Raketen lamentarische Opposition in der Bun- auf die Straße, weil sie Angst vor ei- sche Bewegung ins Parlament zu brin- verletzen“. Doch in der Senatskanzlei Lager, das den Alltag der Deutschen ver- Lenz schrieb. Da hatte er gerade „Die Deutsch- „Kunst im auf eine Matrize gezeichnet, um Mit- desrepublik der 1970er-Jahre und der nem „Euroshima“-Atomkrieg hatten. gen. In Hamburg kam es zu einem Zer- muss sie jemandem imponiert haben: ändern wollte, habe viel erreicht. Also Kanzleramt“ stunde“ gelesen, Lenz’ fiktionalisierte Befas- schülern zu erklären, wie groß die Ge- SPD-Bundeskanzler waren wohl keine Thomas Ebermann kannte ich aus fallsprozess bei den linken Gruppen. Es Vor seiner Politzeit arbeitete Ebermann im Auf deren Homepage ist sie ausführ- kulturell. Nicht lange her, dass Gewalt am 8. Novem- sung mit dem Maler Emil Nolde und dessen in- fahr eines neuen Atom-Krieges ist. Ich Freunde. Schmidt stand für die ver- der Ferne vom Sehen und Zuhören. Er entstanden die Bunt-Alternative-Liste lich zitiert. gegen Kinder oder Vergewaltigung in ber 1978 Akkord in einer Turnschuhfabrik und nerem Exil während des „3. Reichs“, mit Schuld sprühte nachts mit Freunden Parolen hasste Atomkraft, für die harte Linie hatte im Sommer 1977 von einer Anti- und die Grünen. Kurz vor der Wahl 1982 Ebermann war damals noch 32 Jahre der Ehe noch erlaubt war. Das zweite Foto: Ludwig lernte, den Kapitalismus abzulehnen und – Pflichterfüllung. Ach, ja: Dass Nolde zu Wegmann/ wie „Pershing go home“ an die Turn- des Staates im Umgang mit Demonst- Atom-Demonstration in Frankreich fusionierten beide Parteien zur „Grün jung, hatte aber viel erlebt. Vor seiner Lager, das den Kapitalismus abschaffen Schmidts Lieblingskünstlern gehörte, dass er Presse- und halle, im Ohr das Lied von Nena über ranten bei AKW-Demos, als es galt, Bau- berichtet, wo es einen toten Demonst- Alternativen Liste“ (GAL). Politzeit arbeitete der Realschüler im wollte, zu dem er sich zählte, habe gar das Gemälde „Meer III“ vom Amtsschreibtisch Informations- „99 Luftballons“, die einen Krieg aus- platzbesetzungen zu vermeiden. Und ranten gab. Er trug Trainingsjacke und Ebermann war Gründungsmitglied Akkord in einer Turnschuhfabrik und nichts erreicht. aus stets im Blick hatte: Das haben wohl so- amt der lösen. In Kasernen war der Song ver- im Umgang mit der RAF, der die Re- Turnschuhe, wirkte lässig, nuschelte et- der Grünen und einer von neun Abge- fahr und stieg aus. Per Misstrauensvo- dass auch die Hamburger SPD-Genos- lernte, den Kapitalismus abzulehnen. Und nun macht Ebermann die gar die mitbekommen, denen Schmidt vor al- Bundesregie- boten. pression gegen „Sympathisanten“ mit was. Er war auch wichtiges Mitglied des ordneten, die in die Hamburger Bürger- tum verlor er am 1. Oktober 1982 nach sen gegen die Stationierung waren, Die Rede ist geschliffen. Ebermann Schmidt-Kritik zur Kunst, tritt am 19. Ja- lem soldatisch war, „Macher“ und überkorrekt. rung Der von Helmut Schmidt auf den einschloss und im „Deutschen Herbst“ „Kommunistischen Bundes“ (KB) ge- schaft einzogen. Es sei darum gegan- acht Jahren seinen Posten, Helmut Kohl doch diese Meinungsverschiedenheit stellte Schmidts Glaubwürdigkeit in- nuar mit „Ebermann beleidigt Helmut Weg gebrachte „Nachrüstungsbe- 1977 die Stimmung trübte. Und doch wesen, der damals in Hamburg rund gen, „Sand im Getriebe“ zu sein, sagte von der CDU wurde Kanzler. Am Tag da- könne „die Hamburger SPD von ih- frage: Habe der als Oppositionspoliti- Schmidt“ im Foyer des Schauspielhau- schluss“ beschäftigte viele Menschen. war er nur Teil des Regierungsapparats 1.500 Mitglieder hatte und in Form er später dem Magazin Prager Frühling. nach habe die Legende um Schmidt be- rem bedeutenden Genossen Helmut ker vor Atombomben gewarnt, habe er ses auf. Der Abend ist ausverkauft. Nach Werner Irro: „‚Mit großem Vergnügen und mit Meine Eltern zum Beispiel. Meine Mut- und nicht so sehr Feindbild wie später einer Bündnispolitik bei vielen Anti- Das hieß „Lust am Enthüllen, Lust am gonnen, schrieb die Welt. Hamburger Schmidt“ nicht trennen. als Kanzler die SPD zum „loyalen NATO- dem unkritischen Hype um den 100. tiefer innerer Zustimmung …‘ – Helmut Schmidt ter reiste mit anderen „Friedensfrauen“ Helmut Kohl. Atom- und sonstigen Ini­tiativen der Vorführen“ und „große Sorgfalt mit SPD-Leute liefen mit Fackeln zu seinem Auf Ebermann lastete wohl schon Partner“ geformt und die „Nachrüs- Geburtstag des Ex-Kanzlers scheint der und die schönen Künste“. Edition Temmen nach Moskau, um dort mit dem Komi- Der Nato-Doppelbeschluss, der dazu sozialen Bewegung mitmachte, nach- dem imperativen Mandat“. Grüne Ab- Haus in Langenhorn. Die von SPD-Bür- auch ein Erwartungsdruck, als er im tung“ eingeleitet? Titel einen Nerv zu treffen. 2018, 152 S., 14,90 Euro tee der Sowjetfrauen über die Gefahren führte, dass amerikanische Mittelstre- zulesen in Michael Steffens Buch „Ge- geordnete sollten durch Rotation nach germeister Klaus von Dohnanyi verlie- Anschluss eine Rede hielt. Später Für meinen Geschmack hätte er Doch auch mein Vater meint, das zu sprechen. Sie wurden sich einig: Rus- ckenraketen auf westdeutschem Bo- schichten vom Trüffelschwein“. Wer da- kurzer Zeit das „Feindesland“ Parla- hene Ehrenbürgerschaft war auch so et- sagte er in der Zeit über die Rede: „Das noch viel mehr dazu sagen können. Helmut Schmidt seine Verdienste hat: Buchvorstellung mit Kultursenator Carsten sen und Deutsche kennen den Krieg den stationiert wurden, ging gar nicht, mals in Hamburg linke Politik machte, ment wieder verlassen und nicht mehr was wie ein Trost. war keine angenehme Sache, das kön- Aber er war der erste, der sich dem „Er hat mit der Nachrüstung die Frie- Brosda (SPD): 7. Februar, 18 Uhr, Hamburg, im eigenen Land, Amerikaner haben fand ich. Bis dahin galt das „Gleichge- kam am KB eigentlich kaum vorbei. verdienen als ein Facharbeiter. Im Lichte der Geschichte steht nen Sie mir glauben. Ich kannte mich Schmidt-Hype entgegen stellte. Er ge- densbewegung befeuert.“ Staats- und Universitätsbibliothek sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  58 kultur nord taz am wochenende

das ding, das kommt Offiziell im Off

Nicht viel dahinter Die Off-Kunstorte in Hamburg fordern mehr Aufmerksamkeit und Geld. Auch die

Potemkinsche Kulturbehörde hat erkannt, dass Nachholbedarf besteht, und baut die Förderung aus Dörfer wie anders“, einer Reihe gemeinsa- lern der Freien Bildenden Kunst In einem ersten Schritt wird es Von Hajo Schiff hier im mer Symposien und Veranstal- weiterentwickeln und an verän- 2019 100.000 Euro und in 2020 schwedischen ine schwarz-rote tungen waren die freien Ham- derte Bedingungen und Bedürf- 200.000 Euro für Ausstellungs- Vårgårda, Flagge fordert: „COU- burger Kunstinitiativen und nisse anpassen.“ vergütungen geben. An dem gibt’s wirklich. RAGE!“. Doch neben Kunsträume schon von 2006 bis Der Förderbetrag für die Pro- konkreten Verteilungsschlüs- Der Fotograf dem Fanal mögli- 2009 an die breitere Öffentlich- jekträume wurde nun, ohne sel wird derzeit gearbeitet. Gregor Sailer cher Aufstände zei- keit getreten. Doch statt um Be- auf zusätzlich Sondermittel an- hat sie mit der gen die ausgetrunke- geisterung für Kunst und Kom- gewiesen zu sein, mit 200.000 Das Hauptproblem Kamera bleibt bestehen eingefangen Enen Sektgläser, dass Anspruch munikation, für Form gewor- Euro im Haushalt verankert. Foto: Gregor und Lebensfreude in der Kunst dene Geistesproduktion und Erstmalig seit D-Mark-Zeiten Was fordert die Initiative der Sailer doch ganz gut zusammenpas- kreativen Austausch, muss es wurden auch die zehn gerade freien Kunstorte noch? Die sen. Es gibt an der Wand ab­ nun ganz deutlich um ein paar vergebenen Hamburg-Stipen- Wiederbelebung der „Woche atürlich stimmt nicht mal diese Ge- strakte Kompositionen oder Zahlen gehen: Die Off-Orte ma- dien von etwas peinlichen 820 der Bildenden Kunst“ mit ei- schichte – jedenfalls so, wie sie ge- Plakat­entwürfe für mehr Tole- chen geltend, eine kollektive Euro auf einigermaßen kosten- ner größeren gemeinsamen meinhin erzählt wurde. Hinter der ranz. Es gibt gespenstisch figür- Kulturinstitution zu sein, die deckende 1.500 Euro angeho- Veranstaltung der Hamburger N beeindruckenden Fassade: nichts. liche oder eine dystopische Zu- mit 44.534 Stunden freiwilli- ben. Und zusätzlich ist die Zeit- Kunstschaffenden, eine Initia- Als Katharina die Große 1787 die just eroberte kunft erzählende Gemälde, es ger Arbeit 1.435 Künstlerinnen Stiftung bereit, erst einmal für tive zu mehr Öffentlichkeitsar- südrussische Provinz und die Krim habe ins- finden sich Seifenskulpturen­ und Künstler rund 97.040 Inte- drei Jahre insgesamt 250.000 beit, Gastateliers für internatio- pizieren wollen, sei Feldmarschall Grigori Ale- und auf einem Tisch liegen Kör- ressierten aus dem In- und Aus- Euro für Projektstipendien zu nalen Künstleraustausch, einen xandrowitsch Potjomkin auf die geniale Idee perteile aus Keramik. land nahe gebracht hat. geben. Es sollen hieraus jähr- „runden Tisch“ mit der Kultur- gekommen, entlang ihres Reiseweges bemalte Zwischen den Zeichnungen lich sieben Projektstipendien á behörde und generell mehr Pla- Kulissen aufzubauen – um zu verbergen, wie es und Fotos, den Videos und In- Eine „schlappe Null“ mehr 10.000 Euro finanziert werden, nungssicherheit. Das einiges an dort in Wahrheit aussah: heruntergekommen stallationen aller Art taucht Dafür wurden sie von der Stadt die Ausschreibung wird dem- einem solchen Forderungskata- und armselig. Und wenn die Zarin weiterreiste, manchmal „Vincent“ auf, das nach kompliziertem, jedes Jahr nächst starten. log für freie Kunstorte ein wenig soll Potjomkin die Scheinhäuser wieder habe plüschige, lebendige Maskott- neu juriertem Schlüssel mit bis- Schon seit 1981 wird zudem bürokratisch erscheint, ist wohl einpacken und im nächsten Dorf stromabwärts chen der freien Kunstorte in her 140.000, aktuell aufgrund von Künstlervertretern immer unvermeidlich, um nicht allzu noch mal aufbauen lassen. Und des Feldmar- Hamburg. In die Wand der Frap- von Sondermitteln mit rund wieder gefordert, ausstellende pfauenhaft zu erscheinen. shalls Leute mimten die Dorfbewohner. pant-Galerie geschossen mar- 175.000 Euro gefördert. In ihrem bildende Künstler wie Per- Ein Hauptproblem allerdings Tatsächlich sei der Urheber dieser Fake- kieren 22 Pfeile diese manch- Manifest zur aktuellen Ausstel- former oder Musiker für ihre ist von allen Beteiligten kaum zu News über russische Fake-Towns aber einfach mal nur der eigenen Clique be- lung fordern diese offiziell an- Eventdienstleistung zu hono- optimieren: Die schwierige Situ- ein deutscher Hater gewesen, vermuten man- kannten Stätten der Kunst und erkannten Off-Orte nun nur rieren – inzwischen gibt es das ation mit geeigneten und vor al- che Historiker, der Potjomkin beneidete, weil des Austauschs. eine kleine schlappe Null mehr beispielsweise in den 15 kom- lem bezahlbaren Räumen. Aber er so eine gute Beziehung zur Regentin gehabt Diese sogenannten Off-Orte – aber hinten: Das wäre dann munalen Bezirksgalerien in Ber- das betrifft die kommerziellen haben soll. Der kursächsische Diplomat in St. haben seit dem Sommer vergan- ein Plus von 1.575.000 Euro. Bei lin. Nun wird das auch in Ham- Galerien genauso. Und der- Petersburg, Georg von Helbig, vermutet man, genen Jahres einen neuen An- aller Liebe: Das ist nicht durch- burg vorsichtig angegangen: artig kunstbegeisterte und fi- habe diese Geschichte in Depeschen erfunden. lauf genommen, stärker zusam- setzbar, selbst nicht mit Seiten- nanziell entgegenkommende Potemkinsche Dörfer wiederum – also die menzuarbeiten. Sie wollen bes- blick auf die großzügigen För- Grundstückseigner wie bei- Vorspiegelung falscher, oder, nun ja, zumin- ser sichtbar werden und mehr dermaßnahmen in Berlin. spielsweise Hans Jochen Waitz dest ein klitzekleines bisschen verschönerter Wertschätzung erhalten: Auf- Aber es ist ja nicht so, dass Art Off Hamburg in der Admiralitätstraße sind Tatsachen – gibt’s wirklich und nicht nur im merksamkeit und auch Geld. die Kulturbehörde nicht erkannt selten. So muss das Hinterconti übertragenen Sinne! Und zwar zuhauf und Erst einmal haben sie kurzfris- hat, dass bei der Förderung bil- in der Marktstraße zurzeit gegen 21 Kunstorte haben sich zur überall auf dieser Erde. Das kann man nach- tig diese Gemeinschaftsausstel- dender Künstler ein Nachbes- seine Kündigung kämpfen – in Initiative „Art Off Hamburg“ weisen, zum Beispiel mit einer riesigen ana- lung in der Viktoria-Kaserne re- serungsbedarf besteht. Kultur- der Ausstellung steht trotzig ein zusammengeschlossen. logen Plattenkamera. Der österreichische Fo- alisiert und einen Forderungs- senator Carsten Brosda sagt: Ofen, der mit Vermieterschrei- tograf Gregor Sailer hat’s gemacht. Jahrelang katalog veröffentlicht. „Hamburg zeichnet sich durch ben beheizt wird. Acht Forderungen hat die Initia- hat er für seine Serie „The Potemkin Village“ Aber was ist ein Off-Ort über- eine sehr vielfältige und enga- Vielleicht ist Jan Holtmanns tive formuliert, darunter die recherchiert und etliche solcher Scheinorte haupt? Auch manche Beteiligte gierte Freie Szene in der Bilden- raumungebundenes Konzept Erhöhung der Fördersumme gefunden, die er dann auf Film gebannt hat. finden den Begriff etwas un- den Kunst aus, die wir seit vie- doch eine Lösung dieses Prob- des Programmmitteltopfes von Dörfer im National Training Center der US- glücklich. Es geht um die Räume, len Jahren unter anderem mit lems: Seine Noromgallery fin- 175.000 Euro auf 1.750.000 Armee in der US-amerikanischen Mojave- in denen meist junge Künstle- den Arbeitsstipendien erfolg- det für die zahlreichen Formate Euro. Wüste etwa hat Sailer fotografiert, die ausse- rinnen und Künstler weitge- reich unterstützen.“ Und wei- ihrer performativen Kunst kurz- hen, als stünden sie im Nahen Osten, inklusive hend unkommerziell ihre Ar- ter: „Ich freue mich, dass es uns fristig jeweils andere, neue und Gefordert wird eine „differen- kleiner Moschee. In Schweden gibt’s Dörfer, die beiten präsentieren. Es sind zu- endlich gelungen ist, die vor- besondere Orte. zierte Wahrnehmung der bloß dort stehen, um einen hübschen Hinter- dem selbstbestimmte Orte der handene Förderung deutlich Vorbildfunktion der freien grund für eine Autoteststrecke abzugeben. Kommunikation mit und über auszubauen und neue Förderin- Künstlerinitiativen ... für eine „Art Off Hamburg #1: Ausstel- Aber auch ganz klassische Potemkinsche Dör- Kunst, die auch weit nach Schlie- strumente anzubieten. Wir wer- nachhaltige Gestaltung unserer lungen der freien Kunstorte in fer hat Sailer dokumentiert. Die stehen tatsäch- ßung der großen Häuser noch den diese Förderung auch in Zu- Stadtgesellschaft“. Hamburg“: Noch bis So, 13. 1., lich in Russland und dienten tatsächlich dem aktiv sind. kunft im engen Austausch mit 14-19 Uhr, Frappant-Galerie in Zweck, dem Potentaten falsche Tatsachen vor- Mit dem Projekt „Wir sind wo- den Künstlerinnen und Künst- Infos: www.art-off-hamburg.de der Viktoria-Kaserne zuspiegeln: In Ufa wurden für Putin ganze Stra- ßenzüge mit Planen verkleidet, um den mise- rablen Zustand der Häuser zu kaschieren. Ab Donnerstag ist diese, übrigens men- schenleere, surreale Welt aus Fassaden, Kulis- sen und Blendwerk in der Hamburger Freelens- Galerie zu sehen. Robert Matthies

Eröffnung und Künstlergespräch: Do, 17. 1., 19 Uhr, Hamburg, Freelans-Galerie. Ausstellung bis 8. März

Ein Prost auf die Bildkraft

Am Freitag würde Arno Schmidt 105 Jahre alt. Das wird gefeiert – mit Briefen und mit Schnaps ein, Arno Schmidt hat er jetzt – wird angestoßen, um nicht nur gern mal ei- 11 Uhr in Hamburg-Hamm, wo nen getrunken. Ganz sein Geburtshaus stand: mit ei- N gezielt hat sich der nem Gläschen Schnaps. Literat gleich morgens einen Ob der auch floss am 18. Ja- genehmigt: um die „Bildkraft nuar 1982 im Celler Schlossthe- der Seele“ zu stärken. Allein ater, ist nicht überliefert. Da war der weltflüchtende Eigen- nämlich erhielt der Autor und brötler dabei nicht, Esprit mit Übersetzer Hans Wollschlä- Sprit zu mischen im deutsch- ger (1935–2007) den Arno- sprachigen Nachkriegslitera- Schmidt-Preis, und daran turbetrieb vielmehr üblich: wiederum erinnert das Haus Heinrich Böll, als Soldat noch ebenfalls am Freitag: Bernd auf Crystal Meth, hat viel ge- Rauschenbach und Joachim soffen, ebenso Ingeborg Bach- Kersten lesen aus dem Brief- mann, und auch Günter Grass: wechsel zwischen Schmidt unvorstellbar ohne Pfeife und und seinem – so heißt es – ein- – Rotwein. zigen Schüler. (matt/aldi) Aber niemand war so akri- bisch blau wie Arno Schmidt, Trinken: Fr, 18. 1., 11 Uhr, und akribisch sind auch seine Hamburg, Rumpffsweg 27; Fans: Alljährlich an seinem Ge- Zuhören: 20 Uhr, Celle, Halle burtstag – 105 Jahre alt würde 19 „Art Off Hamburg“-Mitglieder überreichen Kultursenator Carsten Brosda all ihre Förderanträge aus dem vergangenen Jahr Foto: Julia Melzner  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende hamburg kultur 59

Hajo Schiff Hamburger Kunsträume

Die Kunst als großer Tierpark

s ist ein bisschen wie Inventur – so als ob zu gucken wäre, ob auch im neuen Jahr noch alle da sind: Kaum ist im Kunst- E haus am Klosterwall die Ausstellung der 21 Nominierten für das Hamburg-Stipen- dium zu Ende gegangen, eröffnet am kommen- den Donnerstag der Berufsverband bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) dort seine Jahresausstellung. Wieder gut 20 künstlerische Positionen werden diesmal unter dem Motto „Me at the Zoo“ subsummiert. Mit Bezug auf ei- Das Festival „Klub nen der ersten Beiträge auf „Youtube“ von 2005 Katarakt“ hat sich soll die ganze Breite der Selbstdarstellung re- Nimmt auch ab dieses Jahr vom flektiert werden. und an Es ist seltsam: Während im Internet privates- zumindest Komponisten Bernd tes Zeug zum Weltereignis aufgeblasen wird, eine haben professionelle Kunstproduzenten hart Kreisgestalt Alois Zimmermann um Wahrnehmung zu kämpfen. Da stellt sich an: Im Projekt inspirieren lassen. schon mal die Vorstellung ein, die Kunst sei „EXP“ ein großer Tierpark, in dem einem staunen- visualisiert- Festival-Leiter Jan den Publikum vom Aussterben bedrohte Selt- Frank Feddersen über samkeiten vorgeführt werden. Und sieht man Bretschneider sich nicht selbst betroffen, so bleibt doch ein musikalische Collagetechniken einfühlendes Interesse an Tieren, in denen sich Qualitäten wie und Menschliches beispielhaft spiegeln lässt: Ger- Rhythmus, rit Frohne-Brinkmanns 15 krauses Zeug plap- Stimmung und experimentelle pernde Papageien haben ihm ebenso das Ham- Intensität Foto: Camil Musik aus neun burg-Stipendium eingebracht wie die Horde Scorteanu Hundchen ihrer Herrin Magdalena Los. Jahrhunderten Die weiteren glücklichen Ausgewählten sind: die eher skulptural und inszenierend ar- beitenden Farideh Jamshidi, Fion Pellacini, Pa- blo Schlumberger und Saskia Senge sowie die „In einem Zeitenstrudel“ mit Video, Film und Performance im weiteren Sinne arbeitenden Mona Herrmann, Marko Mijatovic, Judith Rau und Goscha Steinhauer. tionen, Lautsprecher auf der legt von einem Jazz-Rhythmus, der am Donnerstag seine au- Interview Robert Matthies Der Zirkus kann also mit neuen Attraktionen Bühne und im Publikum. schafft einen Rahmen für colla- diovisuelle Performance „EXP“ weitergehen. Keine Zeit für Müdigkeiten. Selbst taz: Herr Feddersen, für den Es ist auch bei seinen spä- geartige Figuren, figurierte Ein- präsentiert. das „Resignations-Center“ von Simon Starke Komponisten Bernd Alois Zim- teren Orchesterstücken so. In zelstimmen, die übereinander Bei Bretschneider gibt es ei- wird ins schöne Falkenstein ausgelagert und mermann, von dem Sie sich für „Photoptosis“ kommen so un- gelagert werden können. Dann nen direkten Zusammenhang bietet im „Poolhaus“ im Grotiusweg 55 eine den diesjährigen Eröffnungs- terschiedliche Zitate, die sich bauen wir da Zitate ein. Das ist zwischen dem klanglichen und dreiteilige Installation zum mehrfachen Sinn abend des Festivals haben in- eben teilweise auch überlappen, jedenfalls der Plan … dem visuellen Ereignis. Das ist dieses Begriffs (Eröffnung am heutigen Sams- spirieren lassen, hat die Zeit dass man das Gefühl bekommt, Zitate aus 900 Jahren Musik- sehr feine elektronische Musik, tag um 19 Uhr). eine Kugelgestalt. Wie ist das sich in einem Zeitenstrudel zu geschichte … ein Versuch, die Qualitäten von Und werden alle Frustrationen überwun- zu verstehen? befinden, wo die Dinge durchei- Richtig, wir hatten durch Zim- Musik – Bewegung, Rhythmus, den, schafft es die Kunst vielleicht auch ins Jan Feddersen: Dass Zim- nander geworfen werden. mermanns Kompositionen und Tempo, Stimmung, Intensität Museum – und trifft da wiederum auf man- mermann die Zeit nicht als li- Im Gegensatz zu Komponis- seine Idee von der Kugelgestalt und kompositorische Struktur – ches Zweifelhafte. Das meint nicht die Quali- neare Aufeinanderfolge von ten-Kollegen wie Karlheinz der Zeit die Idee, nicht nur zeit- in visuelle Phänomene zu über- tät, sondern die Provenienz. An diesem Sonn- Zeitpunkten, Epochen oder Sti- Stockhausen oder Pierre Bou- genössische experimentelle setzen. Die Klänge sind dann tag (von 11 bis 16 Uhr) veranstaltet die Kunst- len begreift, sondern als Kugel, lez scheint Zimmermann aber Musik zu bringen. Natürlich auch eher Feedbacks, Clicks, halle ein Symposion zum Thema „Raubkunst. bebildert er mit unserer moder- nicht so konsequent an einem liegt auch diesmal der Schwer- Impulse und so weiter, so ver- Forschung und Öffentlichkeit“. Anlass ist der nen Situation als Musikkonsu- Prinzip ausgerichtet. Es wirkt punkt auf Zeitgenössischem. stehe ich das. Eben sehr dynami- 80. Geburtstag ihres ehemaligen Direktors menten. In einem Text stellt er gebrochener. Aber die Frage war auch: Wel- sche Sounds, die man natürlich Uwe M. Schneede. Der hatte schon vor drei- fest, dass wir ständig von den Ich denke, das liegt auch an che Musik, die wir kennen und sehr gut in Visuelles übertragen zehn Jahren eine der ersten festen Stellen für zitierten Zeugen der Vergan- seiner Biografie. Er ist 1918 ge- lieben, hat einen experimentel- kann. Das ist für mich eines der Provenienzforschung eingerichtet. genheit umgeben sind, sodass boren. Als der Zweite Weltkrieg len Ansatz und ist trotzdem alt? Highlights des Festivals. manche Werke früherer Zeiten ausbrach, war er Anfang 20 – Wie wird das umgesetzt? Bei Maximilian Marcolls im heutigen Musikkonsum im Stockhausen war zehn Jahre Am Eröffnungsabend spielen Projekt „Hack“ am Freitag wie- Grunde gegenwärtiger sind als jünger, er war Anfang 20, als 35 Performerinnen und Perfor- derum geht es eher um ein ge- die Musik der Gegenwart selber. der Krieg vorbei war. Das spielt mer rund 40 Musikstücke aus genseitiges Stören? was tun in hamburg? In Zimmermanns Stücken spielt generell in Zimmermanns Hal- neun Jahrhunderten. Die kom- Jein, weil das klangliche Er- diese Art von Gleichzeitigkeit – tung zur Musik eine Rolle. In sei- men einzeln, aber überlappen gebnis glaube ich nicht so emp- man könnte heute vielleicht sa- nem letzten Stück – „Ich wandte sich auch, sonst wäre es zeitlich funden wird. Da stehen zwei Gi- Mi, 16. 1., 19 Uhr, Werkstatt 3 gen: Verfügbarkeit – eine beson- mich und sah alles Unrecht, das gar nicht zu schaffen. tarristen, die jeweils eine ziem- Diskriminierte Körper dere Rolle. geschah unter der Sonne“ – geht Welche Stücke gibt es dabei lich große Wand aus Verstärkern Immer häufiger setzt das Bundesamt für Migration und Zum Beispiel? es letzten Endes darum, dass es zu hören? haben, und sie spielen kons- Flüchtlinge (Bamf) in Asylverfahren zunehmend Hilfsmittel An „Photoptosis“ von 1968 keine Gerechtigkeit gibt. Die Cembalistin Christine tant einen Wall of Sound. Aber ein, zum Beispiel ein System zur automatisierten Erkennung oder „Stille und Umkehr“ aus Das Durcheinanderwirbeln Lanz spielt zum Beispiel ein die Signale werden erst durch von Dialekten von Asylbewerber*innen. Viel länger schon wer- dem Jahr 1970 ist zum Beispiel von Zeiten war von Beginn Prélude non mesuré von Louis Marcolls Computer geschickt den biometrische Daten wie Fingerabdrücke oder die Iris in faszinierend, welche großen be- an ein zentrales Motiv vom Couperin, einem Clavecinisten. und er verfremdet sie, fächert der Verbrechensbekämpfung benutzt. Je mehr unsere Körper ziehungsweise reduzierten mu- „Klub Katarakt“. Am Eröff- Das ist Barockmusik für Cem- sie neu auf und schickt sie auf als Daten erfasst werden, desto genauer können Maschinen sikalischen Räume Zimmer- nungsabend aber dient Zim- balo aus dem 17. Jahrhundert. die beiden Verstärkerwände, os- menschliches Verhalten interpretieren, so die These. Welche mann eröffnet. In „Photopto- mermann nur als Inspiration? Bei Couperin nun ist zwar jeder zillierend zwischen rechts und Techniken es mittlerweile gibt, Körper anhand von Daten zu sis“ ist es etwa ein sehr großer Ausgangspunkt war die schon Ton aufgeschrieben, aber im- links. So entsteht quasi eine Täu- unterscheiden, erklärt am Mittwoch die Wissenschaftlerin, Raum um den Ton d mit allen angesprochene Idee von der mer als ganze Note. Das heißt, schung des Ohrs, Marcoll sagt: Autorin und Informationsaktivistin Maya Indira Ganesh, seit Oktaven. Zimmermann färbt Kugelgestalt der Zeit. Wir prä- die Dauer der einzelnen Töne ist „ein akustisches Stroboskop“. 2010 Leiterin des Bereichs Angewandte Forschung im Tactical diesen Raum dann mit seiner sentieren in allen drei Hallen überhaupt nicht festgelegt. Das Auf jeden Fall auch ein kräftiges Technology Collective in Bangalore und Berlin. Mit ihr spricht Musik, bringt plötzlich Zitate, gleichzeitig Musik verschiede- ist im Prinzip schon so, wie es Konzert! Aber danach kommt ja die Journalistin und taz-Autorin Kübra Gümüşay. die er aber vorbereitet. Er ver- ner Epochen. In zwei Tutti-Tei- John Cage machen würde: Der auch noch Phill Niblock … wendet zum Beispiel ein Beet- len greifen wir die Grundanlage Interpretin wird Freiheit über- hoven-Zitat aus der 9. Sinfonie, der Komposition „Stille und Um- geben! Do, 17. 1., 19 Uhr, Museum für Kunst und Gewerbe Mi, 16. 1., bis Sa, 19. 1., Kamp- wo sehr häufig ein bestimmtes kehr“ auf: Der immer anders in- Und es gibt noch ältere expe- nagel; www.klubkatarakt.net Auf zur Wahl Intervall vorkommt, ein Trito- strumentierte Ton d1, unter- rimentelle Musik? Am kommenden Samstag jähren sich die ersten demokra- nus. Zimmermann bereitet das Ja, es gibt etwa ein Chorstück tischen Wahlen in Deutschland zum hundertsten Mal. Vor vor, das Zitat wird nicht einfach Anzeige aus der Zeit um 1200 von Pero- dem Hintergrund aktueller Debatten zeigt das Museum für hineingeworfen, sondern kom- tin. Das ist das älteste Stück für Kunst und Gewerbe aus diesem Anlass in der Ausstellung positorisch eingearbeitet. So er- vier Stimmen, das uns erhalten „Darum wählt!“ rund 75 Plakate und 40 kleinere Drucke, also leben wir das Zitat als folgerich- ist. Interessanterweise benutzt Handzettel, Flugblätter oder Aufkleber, aus den entscheiden- tig im musikalischen Verlauf. Er die Komposition nur sechs ver- den elf Wochen vor der Wahl. Auch um daran zu erinnern, so hat sehr viel collagenartig gear- SA 05.01. – 22 UHR schiedene Rhythmuspatterns, der Ankündigungstext des Museums, „dass demokratische beitet, auch in seiner einzigen aber dafür klingt es sowas von Jan Feddersen, 52, ist Kompo- Werte immer wieder neu im kollektiven Gedächtnis verankert Oper „Die Soldaten“. modern! Eigentlich wie ein sehr KANDIE nist und Pianist und gründete werden müssen. Auffällig dabei: Auf den Plakaten setzt sich Eine Anti-Kriegs-Oper, die gutes minimalistisches Chor- gemeinsam mit Jan Dvorak den die brutale Bildsprache und Propaganda der Kriegstage fort, als unaufführbar galt, weil sie KLUB stück, aber es ist 800 Jahre alt. Klub Katarakt, dessen künstleri- populistische Parolen verhärten die Fronten, Schlagworte wie heterogene Ebenen collagiert IMMER AM ERSTEN SAMSTAG IM MONAT Einen Zusammenhang zwi- scher Leiter er ist. Seit 2006 ist Heimat oder Freiheit werden parteipolitisch aufgeladen. Gar und so viele Mittel benutzt: schen Raum und Klang gibt es WWW.GROSSEFREIHEIT36.DE er Mitglied des Komponistenkol- nicht so viel anders als heute also. (matt) Simultanszenen, Filmprojek- auch bei Frank Bretschneider, lektivs Nelly Boyd. 60 hamburg

sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  tazwww.taz.de, [email protected], Stresemannstraße 23, 22769 Hamburg taz am wochenende

Kommt abgeworben vielleicht bald Fun ist ein Stadtteil weg: C&A-Haus in der Möncke- erecht geht anders: Von den sieben bergstraße Bezirken, die die Hansestadt bilden, Foto: Christian schultern nicht alle gleich viel an Charisius/dpa G Lasten. Zumindest nicht, wenn diese Lasten als „Großevent“ durchgehen; die bal- len sich, das ist nicht neu, dann doch in Ham- burg-Mitte, und da eigentlich auch nur in Ha- fen-Hörweite. Nicht neu sind auch die Klagen der Anwohner*innen, als wäre der ganz nor- male Wochenendtrubel nicht schon arg genug, dazu gefühlt 26 Wochen Dom im Jahr. Und es wird doch auch niemand ernsthaft bestreiten wollen: Benähme man sich anderswo in der Stadt (von den Vororten ganz zu schweigen), wie’s Hans und Franz auf St. Pauli tun, es würde längst Wutbürgerkrieg herrschen in Harburg und in Pinneberg. Neuer ist da schon, dass Mittes Bezirksamts- leiter Falko Droßmann nun laut darüber nach- dachte, dass doch die anderen auch mal, sagen wir: den Schlagermover aushalten könnten. Was Wandsbeks Gewerbetreibende – zumin- dest den Verein City Wandsbek – frohlocken ließ, aber jene, die sich in der IG St. Pauli und Hafenmeile bündeln, jammern: ums Geld und das Image, also noch mehr (und obendrein zu- künftiges) Geld. Weil das offenbar wahnsinnig kompliziert ist, verwechselte dieser Tage der halbe Blät- terwald letztgenanntes Lobbyistenklübchen gleich mit dem ganzen Stadtteil: Diesem St. Pauli, kopfschüttelte es allerorten, könne man es einfach nicht recht machen, und das klingt schon sehr nach: warum noch zuhören? Umso mehr: Sollte man, anstelle dieser und jener, die vom Rummel profitierend, einfach mal wirkliche Menschen fragen, vielleicht so- gar abstimmen lassen über Fragen, die vor ih- ren Haustüren spielen, in Wandsbek und in St. Pauli? Nee, das geht ja nur auf Bezirksebene – und der Rest von Mitte fährt bisher ja sehr gut mit all der Kotze auf dem Kiez. Alexander Diehl Abschied nehmen nachrichten

Organe gespendet knapp drei Millionen Euro Eigentlich sollte das C&A-Gebäude in der Mönckebergstraße bloß modernisiert werden, Die Zahl der Organspenden unterstützen. Die Mittel in Hamburg hat sich im aus dem Sanierungsfonds aber dann fanden sie in einigen Zwischendecken Asbest, mit dem Brandschutz ist es vergangenen Jahr mehr als sollten genutzt werden, um auch nicht weit her. Nun wird der ganze Komplex vielleicht abgerissen. Ein Blick zurück verdoppelt. 2018 stellten 55 zwölf der 32 Bücherhallen Menschen ihre Organe für der Stadt substanziell zu mark oder H&M sind außer- Schlüpfer bei C&A. Die gibt es len, weil es etwas so Unpräten- Von Katrin Seddig eine Transplantation zur modernisieren, sagten die dem viel modischer als C&A. sonst nur noch bei Karstadt. Es tiöses hatte, wie die DDR. Verfügung, 2017 waren es nur Fraktionsvorsitzenden Dirk ls ich nach der Noch billiger und modischer. gibt große, weiße Büstenhalter. Jetzt soll das große Gebäude 24, wie die Deutsche Stiftung Kienscherf (SPD) und Anjes Wende das erste Wer geht also noch zu C&A? Es gibt die ewigen Snoopy-Shor- an der Mönckebergstraße ab- Organtransplantation (DSO) Tjarks (Grüne) am Freitag. Ein Mal ein west- Wie sieht es aus mit dem Bun- tys zum Schlafen, aber auch die gerissen werden, wegen des As- am Freitag mitteilte. Die Zahl entsprechender Antrag soll in deutsches Waren- desdeutschen, der gerne günstig Dame um die 70 findet ein lan- bests, auch so eine Sache, die der gespendeten Organe stieg die Bürgerschaft eingebracht haus betrat, näm- einkauft oder einkaufen muss? ges Nachthemd in Pastellfar- mich meine ganze Kindheit in Hamburg von 77 (2017) auf werden. (dpa) lich das C&A auf Kauft er noch bei C&A? ben. So etwas gibt es bei Pri- hindurch begleitet hat. Mein 182 (2018). Auch bundesweit Adem Ku’damm in Berlin, war mark nicht. Vater schnitt die Asbestplatten sind die Zahlen der DSO zu- Bank überfallen ich überwältigt von den wun- C&A ist auch für ältere Kun- zur Dachdämmung auf dem Hof folge angestiegen. (epd) Einen mutmaßlichen Bank- derbaren, modischen Kleidern. Jetzt soll das große den. Älteren Kunden bleibt mit der Säge zurecht. Asbest war räuber hat die Polizei am Überwältigt auch davon, dass sonst ja fast nur noch der Ein- normal, war überall. Aber jetzt Geld in Aussicht gestellt Donnerstag festgenommen, ein wunderbarer modischer Gebäude an der zelhandel, und das ist vielleicht nicht mehr. Alles ändert sich. Al- SPD und Grüne wollen nachdem dieser eine Spar- Pullover zum Beispiel 20 Mark Mönckebergstraße die einzige Rettung für den Ein- les passt sich einer neuen Wirk- den Wandel der Hambur- kasse in St. Georg überfallen kostete. Das war sie also, die fan- abgerissen werden, zelhandel, dass man dort große lichkeit an. Ich kaufe mehr Se- ger Bücherhallen von der hatte. Der 70-Jährige betrat tastische westdeutsche Waren- Schlüpfer kaufen kann. Es soll ja condhand ein, mehr Bio-Klei- Bibliothek zu Stadtteilbegeg- maskiert eine Filiale und welt. Und ich sah die ganzen wegen des Asbests, alles klein und sexy sein. Wenn dung. Aber manchmal gehe ich nungsorten in diesem und bedrohte drei Angestellte mit westdeutschen Menschen jetzt auch so eine nämlich der jugendliche Käufer immer noch in die Wäscheabtei- nächstem Jahr mit zusätzlich einer Schusswaffe. (dpa) mit anderen Augen. Mit solchen um die 14 einen großen Schlüp- lung von C&A und kaufe Knie- Möglichkeiten könnten sie doch Sache, die mich fer sieht, kriegt er einen großen strümpfe. eigentlich viel besser gekleidet meine ganze Schreck und weiß sofort, dass er Anzeige sein, oder nicht? Kindheit hindurch an einem uncoolen Ort ist. Anzeige In den fast 30 Jahren die in- Als sie das C&A an der Wands- zwischen vergangen sind, habe begleitet hat beker Chaussee abrissen, ein ich kaum einen Mann gekannt, Flachbau, eine Neonhalle, da der keine „Angelo-Litrico-Un- war ich direkt etwas sentimen- terhose“, also eine Unterhose Sieht man sich in den Läden tal, weil ich da ja ab und an dort der Hausmarke von C&A, sein um, dann bemerkt man eigent- meine Kniestrümpfe gekauft eigen nannte. C&A steht für lich kaum einen Unterschied hatte. Und unten, im Unterge- mich am allermeisten für eine zu anderen Ketten. Es hängen schoss, habe ich Strumpfhosen bundesdeutsche Einstellung zur ungefähr dieselben Pullover und Regenhosen für die Kinder Kleidung. Ich selbst kaufe dort da, dieselben Jacken, es ändert gekauft. manchmal Kniestrümpfe. sich monatlich, die Mode ist Es hatten ja fast alle Kinder Ich kaufe auch Kniestrümpfe ja ein Wettlauf, aber dennoch in unserem Stadtteil Regenho- bei Karstadt. Aber die von C&A scheint C&A immer ein wenig sen von C&A an. Dunkelblau tun es auch. Kniestrümpfe gibt altbackener, ein wenig lang- und gelb. Genau solche Dinge es bei C&A, Unterwäsche, Nacht- samer, ein wenig gemütlicher kaufte man bei C&A. Strumpf- hemden, sogar ein paar billige zu sein. Es rasen weniger Jung- hosen, Regenhosen, Unterhosen Dessous. C&A ist immer noch mädchengruppen zwischen den von Angelo Litrico. Vielleicht hat günstig, aber es gibt günstigere Ständern mit den Klamotten he- mir dieses Kaufhaus auch aus Läden, KIK oder Primark. Pri- rum. Es gibt immer noch große sentimentalen Gründen gefal-  sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019 taz am wochenende bremen kultur 61

Jan-Paul Koopmann Popmusik und Eigensinn Weil der Brandschutz im Schlachthofturm Foto: privat Foto: nicht mehr ausreicht, zieht die Immer fremd bleiben Theaterwerkstatt nach Woltmershausen an vantgarde schreibt heute man schnell, wenn sich kein Genre anbietet, um die Weser. Und eine Künstlerin widerspruchsfrei während Bremen um A zu verorten. Und dass dies so falsch auch gar nicht ist, sagt eine Menge über die einen neuen Kulturort im durchsortierten Kulturbetrieb herrschende reicher wird, stellt sich Langeweile. Bei Mary Ocher ist ganz besonders oft davon die Rede und hier fühlt es sich auch die freie Szene ganz besonders komisch an. Weil sie ja gerade Ganz kurz noch nirgendwo hinprescht, keine Bewegung stiftet insgesamt neu auf: Ein Baustelle: Das und überhaupt so, nun ja, zu ruhen scheint Schlachthof- neues Miteinander in in ihrem Chaos aus minimalistisches Geklim- theater erfindet per und einem Gesang, der mal folkloristisch ungewöhnlich sich schon Druck macht und dann wieder so sphärisch freundlichem Ton, wieder neu Foto: rumeiert. Dass diese arg hilflose Beschreibung sogar wenn es ums Tobias Pflug/ total beliebig klingt, die Musik aber überhaupt Schlachthof nicht so ist, macht es gerade so interessant. Geld geht Mary Ocher hat inzwischen vier Alben vor- gelegt, die alle toll sind. Da machen so Leute wie Felix Kubin mit, oder Die Tödliche Doris. Und weil die ja nun auch nicht gerade hilf- Neues Theater, neues Glück reich dabei sind, einen Stil irgendwo verbind- lich festzunageln, bleibt fürs Erste nur, das Phä- nomen Mary Ocher weiter einzukreisen: Vor fen“, sagt Schlachthof-Spreche- rampe vor der Tür, einer langen zeit an allen möglichen Ecken ein paar Jahren war sie mal mit der ehemali- Von Jan-Paul Koopmann rin Gudrun Goldmann. Und wo Fensterfront mit Blick auf den und Enden zu beobachten ist. gen Pornodarstellerin Sasha Grey für das Arte- s war dann doch sich die ebenfalls im Turm an- Hafen und jeder Menge Indust- In der Schwankhalle etwa sind Format „Durch die Nacht mit ...“ in Hamburg ein kurzes Vergnü- sässigen Medien- und Zeitungs- riecharme. Neu sind die Böden, gerade die „Spotlights“ zu Ende unterwegs. Richtig toll war das, obwohl beide gen mit dem neuen werkstätten irgendwie behel- Heizkörper, Fenster und Lam- gegangen: ein Gastspielmonat, konsequent aneinander vorbeigeredet haben Theater im Schlacht- fen konnten, war doch an Pu- pen. Und auch wenn die Ballett- in dem das Neustädter Theater und auch da kein Stück miteinander funktio- hof. Vor nicht einmal blikumsverkehr nicht mehr zu stangen und ein bisschen Tech- diversen Akteur*innen aus der niert haben, wo sie sich offenbar einig waren. zwei Jahren hatte denken. Wie lange das so bleibt, nik noch unterwegs sind, ist der Szene Raum gegeben hat, in Und darauf kommt es an: Ocher kulturiviert Eman dort (auch in der taz) Eröff- ist unklar. Zwar gibt es laut Gold- Probenbetrieb seit diesem Wo- ihre Produktionen vorzustellen. eine unüberwindbare Fremdheit gegenüber ei- nung gefeiert. Aus dem Probe- mann inzwischen ein akzep- chenende im Gang. Auch der vor vier Jahren gegrün- ner Welt, die selbst auch nicht mehr versteht, raum im alten Wasserturm des tiertes Konzept für eine Außen- Auch diese erste Produktion dete Landesverband Freie Dar- wer Ocher nur lang genug zuhört. Im Video Kulturzentrums war ein richti- treppe, aber: „Dieses Bauvorha- im neuen Studio ist eine direkte stellende Künste Bremen e. V. zu ihrem Song „Arms“ posiert sie auf israeli- ges kleines Theater geworden: ben ringt jetzt mit anderen in Fortsetzung des Explosive-Festi- tritt heute durch koordinierte schen Straßen mit zufällig vorbeikommenden mit Bühne, Platz fürs Publikum Bremen um einen guten Platz Öffentlichkeitsarbeit in Er- Soldat*innen, die mit dem Gewehr über der und so weiter. Und jetzt baut auf der Prioritätenliste.“ scheinung. Und überhaupt: Man Schulter etwa zum Einkauf gehen. Ocher ist sich Theaterleiter Tobias Pflug Kein Grund zur Panik also, In der freien spricht heute in ungewöhnlich sichtlich nicht wohl bei diesen Waffen, ihr Um- schon wieder ein Theater. Dies- aber die Zukunftsperspektive wohlwollendem Ton über die zug aus Tel Aviv nach Berlin sollte wohl auch mal an der Weser, direkt hinter ist jedenfalls im Moment noch Theaterszene hiesigen Kolleg*innen. Es macht die Wehrpflicht umgehen. Aber trotzdem ver- dem Neustädter Bahnhof, nur zu vage, um mit dem Theater- herrscht ein neues sich nach Jahren des Produzie- fällt ihre Bildsprache keine Sekunde in das an- ein paar Meter von den Pusdorf- betrieb bis dahin zu warten. Zu- Miteinander. Und rens weit unterhalb des Exis- tisemitische Gefasel hiesiger Israelkritik. Der Studios entfernt – dem ande- mal es gerade ja auch richtig gut tenzminimus sogar so etwas wie mal mehr und mal weniger kalte Kriegszu- ren frisch gebackenen Hotspot lief: Rund 40 Künstler*innen aus das sogar beim Geld Optimismus breit, seit die Kul- stand bleibt abstrakt, fremd und etwas, wor- der freien Szene. Ganz freiwil- Bremen und dem Rest der Bun- turbehörde kürzlich ihren Kul- über nachzudenken bleibt. Und genauso wäre lig war der Umzug nicht, auch desrepublik waren zwischen turförderbericht vorgelegt hat. es bei Ocher wahrscheinlich auch, wenn sie ein wenn Pflug schon auf der Bau- Neueröffnung und Zwangs- vals: Hakan Sonakalan von der Der zeigt tatsächlich einen in- Stück Butter besänge. In Bremen spielt Ocher stelle ehrlich ins Schwärmen pause im Turm aktiv. Darun- renommierten Folkwang-Hoch- teressierten und informierten mit den Spröden Lippen. Und wer auch immer kommt über die kreative Ener- ter sind zahlreiche Residenzen schule in Essen arbeitet hier mit Überblick über das kulturelle sich das ausgedacht hat, war sehr schlau. gien, die so frei werden, wenn und Veranstaltungsreihen, die Bremer Jugendlichen an einer Geschehen jenseits der gro- man etwas Neues aufbaut und hier ihr organisatorisches Zen- Tanzproduktion, die im August ßen Häuser und wird sich – so So, 13. 1., 20 Uhr, Schwankhalle die Vernetzung mit der Bremer trum hatten. Tatsächlich geht es Premiere feiern wird (nebenbei die Hoffnung der Kulturschaf- Szene vorantreibt. hier nicht nur um Bühnen für bemerkt: Es sind noch einzelne fenden –, auch in den nächsten Aus dem Schlachthof musste einmalige Inszenierungen, son- Plätze für Teilnehmer*innen Haushaltsverhandlungen als Anzeige das Theater raus, weil der Turm dern vor allem auch um zuver- zwischen 14 und 18 Jahren frei.). hilfreich erweisen. zumindest auf dem Papier lässig planbare Orte zur Probe. Kommende Woche nimmt Denn natürlich geht es im- termine vorschau ☎ ein Problem mit dem Brand- Das im Schlachthoftheater dann auch die Explosive-Aka- mer auch ums Geld. Die Stim- Werben Sie in unserem Terminekasten! 0421 -9 60 26 443 schutz hat. Das seit 1981 für beheimatete Explosive-Festi- demie ihren Betrieb im neuen mung war – gelinde gesagt Veranstaltungen und verschie- val etwa hatte gerade zur letz- Raum auf, mit einem Synthesi- – angespannt bei denen, die ☎ dene Projektwertstätten ge- ten Ausgabe begonnen, ein zer-Workshop in Kooperation nun lange um außerordentlich 0421-365 33 33 nutzte Gelände ist zwar immer wieder stärker produzierendes mit dem Tonstudio Track 1. Für knappe Fördermittel konkur- mal wieder in Teilen moderni- Festival zu werden – und lang- spätere Veranstaltungen und rieren mussten. Nun ja. Heute Sa., 12. Januar 19.30 Larzarus siert worden, gleichzeitig ha- fristige Kooperationen anzubie- Projektphasen sei auch eine Zu- jedenfalls ist etwa über den 20.00 Hiatus ben sich aber auch die Ansprü- ten. Kurzum: Ein neues Gebäude sammenarbeit mit den Pusdorf- Landesverband oder in den So., 13. Januar 10.00 Die Abenteuer des Huckleberry che der Behörden geändert. Vor war nötig, um das ambitionierte Studios von der anderen Stra- von der Behörde unterstütz- Finn knapp einem Jahr hat die Bau- Ganzjahresprogramm auch tat- ßenseite denkbar, sagt Pflug. ten „Denkzellen“-Treffen ein 18.00 Die Entführung aus dem Serail behörde die Nutzung des Turm sächlich auf und über die Bühne Dass zum Einstand gleich transparenterer Austausch dar- Fr., 18. Januar 20.00 KnausgardV:Träumen zwar nicht vollständig untersagt zu bringen. dreimal das große Wort „Ko- über zu beobachten, wo das Geld Der gesamteSpielplan auf: www.theaterbremen.de – aber doch die zulässige Perso- Nach langer Suche ist Pflug operation“ fällt, ist kein Zu- herkommt und welche Förder- nenzahl stark beschränkt. „Die- nun also in Woltmershausen fall, sondern auch Ausdruck ei- töpfe noch offen stehen. Und ☎ ses Verbot hat besonders die gelandet – in einem ehema- nes neuen Miteinanders in der das sind doch tatsächlich mal Sendesaal Bremen 0421-330 057 67 Theaterwerkstatt hart getrof- ligen Lagerhaus mit Verlade- freien Szene, das in Bremen der- vielversprechende Aussichten. Sa., 12. Januar 20.00 Aufschwarzen und weißen Tasten I: Antonio Pompa-Baldi Mi., 16. Januar 20.00 Aufschwarzen und weißen Tasten II: Schaghajegh Nosrati Fr., 18. Januar 20.00 Uli Beckerhoff Quartett was tun in bremen? WeitereKonzerte auf: www.sendesaal-bremen.de Sa, 12. 1., 20 Uhr, Di, 15. 1., 20 Uhr, Mi, 16. 1., 18.30 Uhr, ☎ Café Kweer im Rat + Tat Café Ambiente Villa Ichon 0421 -5 20 80 70 Finsterlinge mit Herz Bremens beste Bücher Henschels Epos Fr., 18. Januar 20.00 EvaMeyer-Keller: Physik Show Bremens berühmteste Grufti-Soap kehrt Das Bremer Autorenstipendium 2018 Gerhard Henschels „Erfolgsroman“ ist Sa., 19. Januar 16.00 EvaMeyer-Keller: Physik Show im Spielfilmformat zurück. „Engel mit erhalten die Autoren Helge Hommers wirklich einer. Seine kaum verschlüs- nur einem Flügel“ erzählt vom misan­ und Jörg Kasimir. Hommers Romanpro- selte Autobiografie (der Protagonist Der gesamteSpielplan auf: www.schwankhalle.de thropischen Miteinander einer WG jekt beginnt als historische Erzählung heißt sogar noch Schlosser) nähert sich ☎ voller Gothics, Satanisten und Metal- über die NS-Zeit, stellt sich aber schließ- nach dem „Kindheitsroman“, dem „Bil- Bremer Philharmoniker 0421-62 673 21 heads in computeranimierten Bildern. lich als sehr gegenwärtige Reflexion der dungsroman“, „Künstlerroman“ und „Ar- Lustig ist das, ein bisschen traurig auch Möglichkeit heraus, eben darüber zu beiterroman“ so langsam der Gegenwart. So., 13. Januar 11.00 5. Philharmonische Konzert und zwischen den Zeilen viel tiefsinni- schreiben. Kasimirs Erzählung handelt Räumlich geht es dabei weiter durchs Neujahrskonzert-Prosit ger, als es auf den ersten Blick scheint. dagegen von der Wendezeit. In einem Land, nach Oldenburg etwa, wo ein Mo., 14. Januar 19.30 5. Philharmonische Konzert Für den Abend im Café Kweer haben die Postamt nahe der polnische Grenze Künstler die Geschichte des Universums Neujahrskonzert-Prosit Filmemacher*innen ihre Webserie zu schließt sich der letzte verbliebene nachjongliert. Ein Witz, den Oldenbur- Di., 15. Januar 19.30 5. Philharmonische Konzert einem abendfüllenden Film zusammen- Posthauptsekretär ein, um sich mitsamt ger nicht verstehen, Ortsfremde schon Neujahrskonzert-Prosit geschnitten. Wer sich in Sachen Vorge- seines Arbeitsplatzes aufzulösen. Zur gar nicht, über den sich aber totlacht, schichte noch schnell auf Stand bringen Verleihung am Dienstag lesen beide wer dort länger leben musste. So ist das WeitereKonzerte auf: www.bremerphilharmoniker.de will, macht das auf www.emnef.de. Stipendiaten aus ihren Texten vor. ganze Buch. Also super. (jpk) das museums-wetter 62 Angesichts der Großwetterlage kann man nun zu Hause in die Kunsthalle gehen: Ihre Werke sind jetzt bei Google zu sehen, für 20 Räume gibt es bei stürmischen sieben Grad bremen 360°-Ansichten über Google Street View

sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  tazwww.taz.de, [email protected], Tel. 960 260, Trägerdienst Tel. 36 71 66 77 taz am wochenende „Ein Gradmesser für die Demokratie“ Bremer Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm im Interview über die feministische Verantwortung des Mannes und den Einfluss von Wirtschaft und Politik auf die Gleichberechtigung

In der Gender-Debatte geht Stellenanzeigen nach wie vor oft Interview Lea Schweckendiek es aber oft mehr um Sprache … nur männlich formuliert, da- Frau Wilhelm, kämpfen Sie Ih- Sprache drückt unser Den- hinter dann (m/w) für männ- ren Feminismus allein unter ken und Handeln aus, sie spie- lich und weiblich, mittlerweile Frauen oder gemeinsam mit gelt unsere Auffassung von auch schon mit (d), also divers. Männern? Wirklichkeit. Nur die männli- Ist das ein Verharren in Tra- Bettina Wilhelm: „Kämp- che Form zu verwenden, unter- ditionen oder können wir von fen“ trifft meine Tätigkeit nicht schlägt die größere Hälfte der einem Backlash reden? wirklich. Ich setze mich ein, ar- Bevölkerung. Sprache wirkt. Sowohl als auch. Rollenbilder gumentiere, rege an, diskutiere, Wo trifft das auf die Realität sind im Umbruch, aber gebro- streite auch mal – und im bes- der Menschen? chen ist ihre Wirkmacht noch ten Fall überzeuge ich. Natür- Wenn von „Ingenieurinnen nicht – mehr noch: Bilder davon, lich ist es Kern und gesetzli- und Ingenieuren“ statt nur „In- wie Männer und Frauen, Jungs cher Auftrag meiner Arbeit wie genieuren“ gesprochen wird, und Mädchen sein sollen, sind der meiner Behörde, Strukturen schätzen Kinder typisch männ- heute mächtiger denn je, befeu- so zu verändern, dass sie Frauen liche Berufe als erreichbarer ert von einer Industrie, die mit nicht mehr benachteiligen. Das den Klischees gute Geschäfte geht aber nur im Miteinan- macht, sie so aber reproduziert der, und auch nicht immer ge- „Bilder davon, und damit verstärkt. räuschlos. Und bei vielen unse- Das bedeutet? rer Anliegen bedeutet Verände- wie Männer Bestes Beispiel: Lego. Frü- rung nicht nur Veränderung für und Frauen her gab es da eine Form, auf Frauen, sondern auch für Män- die passte alles: Bausteine, Dä- ner – bei den tradierten Rollen- sein sollen, cher, Fenster, Räder. Heute gibt bildern beispielsweise. sind mächtiger es zwei Linien, eine für Jungs, Müsste Ihre Behörde nicht in eine für Mädchen. Beide sind „Zentralstelle für die Verwirkli- denn je“ nicht kompatibel, die Fee hat chung der Gleichberechtigung eine andere Größe als der Jedi- der Geschlechter“ umbenannt Ritter. Und Lego ist nur ein Bei- werden? ein und trauen sie sich selbst spiel von endlos vielen anderen. Der Name ist gesetzlich fest- eher zu. Das hat eine Studie er- Mädchen und Jungen lernen so geschrieben. Und so langatmig geben. Eine weitere hat gezeigt: vor allem anderen, dass sie ver- dieser Name auch ist, beschreibt Frauen bewerben sich weni- schieden sind und Verschiede- er doch unverändert den – noch ger auf männlich formulierte nes von ihnen erwartet wird. Sieht sich nicht als Kämpferin: Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm Foto: Nikolai Wolff/Fotoetage unvollendeten – Auftrag, der im Stellenausschreibungen. Das Spielen politische Parteien selben Gesetz festgeschrieben meint nicht nur die Berufsbe- hier gar keine Rolle? in unserer Gesellschaft alltäg- Feld Frauen und Flucht und die Die Ergänzung des Landesge- ist. In vielen Bereichen ist es zeichnung, sondern die gesamte In unserer Marktwirtschaft lich. Sexismus ist diskriminie- Frage, wie mehr Mädchen für setzes, für die ich mich stark ge- aber seit Jahren schon so, dass Sprache der Ausschreibung. Un- kaum. Hier können nur Konsu- rend und in höchstem Maße Mint-Berufe gewonnen werden macht habe, steht. Die Gesund- wir die Belange von Männern ternehmen bekommen also we- mentinnen und Konsumenten demokratiefeindlich. Dieser können. heitssenatorin veröffentlicht als oder Jungen mitdenken. An- niger Bewerbungen, wenn sie mit ihrem Kaufverhalten etwas Aspekt kommt mir in der aktu- Welche konkreten Bedarfe unabhängige Behörde Informa- ders könnten wir manche The- nicht geschlechtergerecht for- bewirken. Und Initiativen wie ellen Diskussion um den Wert machen Sie da aus? tionen über Arztpraxen, die Ab- men gar nicht bearbeiten. mulieren. Tatsächlich aber sind die Plattform Pinkstinks, die unserer Demokratie deutlich Im Bereich Gewalt gegen treibungen vornehmen. Auf die- im Netz sehr erfolgreich ein Be- zu kurz. Denn Gleichstellung ist Frauen setze ich mich für ei- ser Liste stehen aktuell aber nur wusstsein für Geschlechterkli- ein Gradmesser für die Demo- nen Landesaktionsplan und die Krankenhäuser und Pro Fa- schees schaffen. Politik könnte kratie. Der Beißreflex, mit dem eine Koordinierungsstelle ein – milia. Denn Ärztinnen und hier durchaus Impulse setzen, Rechtspopulisten auf Gender- und dafür, dass beides im nächs- Ärzte möchten in der Öffent- wie beispielsweise Frankreich Themen reagieren, ist nichts als ten Regierungsprogramm fest- lichkeit nicht genannt werden, es tut – macht sie aber nicht. In ein weiterer Beleg ihrer Demo- gehalten wird. Bezüglich der sie fürchten öffentliche Hetze, der Politik erleben wir ja gerade kratiefeindlichkeit. Thematik Frauen mit Flucht­ leider zurecht. Deshalb bin ich auch eine Rückwärtsbewegung, Wie positioniert sich Ihre Be- erfahrung konnten wir in ei- trotz unserer Landesinitiative weniger Frauen denn je sitzen hörde in diesem politischen nem umfangreichen Projekt unverändert davon überzeugt, in den Parlamenten. Die ohne- Feld wachsender Spannungen? Erkenntnisse über Hürden ge- dass Paragraf 219a des Strafge- hin langsame Entwicklung von Wir halten Kurs. Und haben winnen, die dieser Gruppe Teil- setzbuchs, das Werbeverbot für Einfach unbezahlbar Gleichberechtigung wurde in in Bremen in fast allen Parteien, habe und Integration erschwe- Schwangerschaftsabbrüche, ab- Mieten und Wohnungspreise in Großstädten steigen den vergangenen Jahren noch die im Parlament vertreten sind, ren – etwa unzureichende Kin- geschafft werden muss. und steigen. Die weniger Wohlhabenden werden ausgebremst. starken Rückhalt, das muss ich derbetreuung für Sprachkurse. 2019 beginnt mit dem aus fe- Kann man denn deren hier deutlich sagen. Aber ich Nun stellen wir Verantwortlich- ministischer Sicht fragwürdi- aus attraktiven Quartieren verdrängt, Geld wird auf Tempo bestimmen? ecke auch mal an, das gehört zu keit für diese Themen in der Po- gen Eiswettfest. Festigt sich da Kapitalbesitzer umverteilt, Mieter zahlen drauf. Man kann sich zumindest meinem Amt. Die ZGF hat ins- litik her, um Maßnahmen auf das Problem der Un-Gleichbe- darum bemühen. Gerade ge- gesamt aber ein gutes Standing, den Weg zu bringen. rechtigung? Als Gegenmittel stehen in der Debatte u. a. die schieht aber das Gegenteil: Das auch auf Bundesebene. Viele un- Was hat es mit den Mädchen Ja. Man könnte es als Relikt Mietpreisbremse, die Nutzung des städtischen Weltwirtschaftsforum hat in sei- serer Impulse und Projekte fin- in Mint-Berufen auf sich? vergangener Zeiten belächeln – Vorkaufsrechts und Zwangsvermietung. nem Global Gender Gap Report den bundesweite Beachtung Das Berufswahlverhalten wenn dort nicht Macht und Ein- Deutschland gerade eben den und oft auch Nachahmung. junger Menschen ist nach wie fluss zusammenkämen, Netz- Diskutieren Sie mit unseren Gästen, warum das Rückwärtsgang attestiert: Wir Steht Ihre Arbeit in den vor geschlechtsspezifisch ge- werke gefestigt und Geschäfte Wohnen so teuer ist und was die Stadt Bremen liegen auf Platz 14, nach Platz 12 sprichwörtlich „großen Fuß- prägt. Hier ändert sich zwar et- angebahnt würden. Der Aus- vor zwei Jahren und – Achtung! stapfen“ Ihrer Vorgängerin? was, aber nur sehr, sehr lang- schluss von Frauen ist eine dagegen tun kann: – noch Platz 5 im Jahr 2006. Al- Das empfinde ich nicht so. sam – zu langsam. Uns geht es massive Diskriminierung und Joachim Barloschky, Aktionsbündnis Menschen- lein bis die Gleichstellung am Meine Vorgängerin Ulrike darum, Frauen und Mädchen ein Skandal. Da sind wir wieder Arbeitsplatz erreicht wäre, dau- Hauffe hat großartige Arbeit für Berufe in technischen, ma- bei der Verantwortung von Män- recht auf Wohnen ert es beim aktuellen Schne- geleistet. Ich möchte aber keine thematischen und naturwissen- nern: Die Frauenrechte sollten Claudia Bernhard, Fraktion Die Linke ckentempo noch 202 Jahre. Fußstapfen füllen, sondern eine schaftlichen Kontexten zu inte- den Männern, die das Eiswett- Joachim Lohse, Bausenator Bündnis 90/Die Grünen Wieso entwickelt sich eigene Spur ziehen – mit eige- ressieren, zu stärken und ihnen fest besuchen und mit ihrer An- Gleichberechtigung denn so nen Arbeitsschwerpunkten und diesen Bereich als Möglichkeit wesenheit stärken, endlich nicht Peter Stubbe, Vorstandsvorsitzender GEWOBA langsam? Methoden. Es wäre falsch, mei- zu vermitteln. Dazu haben wir mehr egal sein. Weil die Hierarchie der Ge- ner Vorgängerin nachzueifern. einen umfangreichen Projekt- Moderation: schlechter so tief verwurzelt Wie sieht Ihr Weg aus? antrag gestellt und hoffen auf Bettina Wilhelm, 54, ist seit Gernot Knödler, Redakteur der taz nord ist in unserer Gesellschaft. Das Ich habe drei große Arbeits- Gelder, um ein Projekt zur kli- dem 1. November 2017 die diesjährige Jubiläum des Frau- felder benannt, die aus mei- scheefreien Berufsorientierung Leiterin der Bremischen enwahlrechts war da sehr erhel- ner Sicht verstärkt zu bearbei- auf die Beine zu stellen. Zentralstelle für die Verwirkli- Dienstag, 15. Januar, 19 Uhr, Eintritt frei lend: Hier wurde nochmal deut- ten sind – was mein Team und Ihr erstes Jahr im Amt war chung der Gleichberechtigung lich, wie sehr Frauen bis heute ich getan haben und 2019 fort- von kontroversen Debatten be- Kulturzentrum Lagerhaus der Frau (ZGF). Vorher war sie für gleichberechtigte Teilhabe setzen werden. Das ist der Be- gleitet – etwa um den Paragra- Schildstraße 12 – 19, 28203 Bremen acht Jahre lang Erste Bürger- kämpfen müssen. Sexismus ist reich Gewalt gegen Frauen, das fen 219a. meisterin von Schwäbisch Hall. 63 

sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  nachhaltignord & fair / wohnen thema & gestalten taz am wochenende „Nachhaltigkeit ist kein fixer Maßstab“ Die nachhaltige Entwicklung sei das Hauptziel unserer Generation – oder sollte es zumindest sein. Auch Hamburg muss handeln, sagt der dortige Zukunftsrat. Eine Nachhaltigkeitsstrategie nennt Sprecher Hans-Joachim Menzel lange überfällig niert und die beiden anderen Di- Was muss Hamburg machen, Fußabdruck reduzieren. Ham- tistiken eingespeist, wodurch Reduktion von CO2-Emissionen Interview David Günther mensionen leicht zu kurz kom- um sich nachhaltig zu entwi- burg hat einen Lebensstil, der, grafisch angezeigt wird, wie und bei den Abfällen. Tendenzi- taz: Herr Menzel, was macht men. Konkretes Beispiel ist der ckeln? wenn man ihn auf die Welt ver- sich Hamburg entwickelt und ell entwickelt sich einiges in die der Zukunftsrat Hamburg? Wohnungsbau, wo Politik auf In- Der Senat muss sich mit ei- allgemeinert, drei Erden erfor- wo sich Hamburg hätte entwi- richtige Richtung, aber das ist al- Hans-Joachim Menzel: Der vestoren angewiesen ist, auch ner richtigen Nachhaltigkeits- dert. ckeln müssen. les sehr marginal und nicht auf Zukunftsrat versucht, die Vi- um für bezahlbaren Wohnraum strategie beschäftigen, die Ziel- Hätte der Zukunftsrat denn Wie entwickelt sich Ham- nachhaltigem Niveau. sion der nachhaltigen Entwick- zu sorgen. Wenn man sich die konflikte benennt und zu lösen Vorschläge einer Nachhaltig- burg laut dem Heinz? lung in Hamburg bekannt zu Bevölkerung ansieht, reichen versucht. Er muss etwa beim Kli- keitsstrategie, um genau das Das ist sehr unterschiedlich. machen und die Politik in diese 30 Prozent sozialer Wohnungs- maplan, der gerade in der Um- zu vermeiden? Im sozialen Bereich entwickeln Hans-Joachim Menzel, 69, ist Richtung zu drängen, indem wir bau an den Neubauten nicht aus. weltbehörde neu gemacht wird, Wir haben die Hamburger wir uns sehr wenig, wenn es promovierter Jurist, verheiratet öffentliche Veranstaltungen or- Wieso dominiert die Wirt- wirklich ambitioniert sein. Wie Entwicklungs-Indikatoren Zu- um Armutsbekämpfung und und Vater zweier erwachsener ganisieren, Pressemitteilungen schaft? wollen wir das Klimaziel von 50 kunftsfähigkeit erarbeitet, kurz die Gleichstellung zwischen Kinder. Von 1990 bis 1995 war veröffentlichen und Lobbyar- Viele Verbände haben nicht Prozent CO2-Reduktion bis 2030 Heinz. Der beinhaltetet dreißig Mann und Frau geht. Gut entwi- er Bundesvorsitzender der beit betreiben. die finanzielle Ausstattung wie schaffen, wenn wir in 26 Jahren Indikatoren, indem alle Hand- ckelt sich die Kinderbetreuung, Kinderrechtsorganisation Terre Was bedeutet nachhaltige Organisationen aus der Wirt- nicht mal eine Reduktion von lungsbereiche aufgeführt sind die den Frauen die Möglichkeit des hommes; zurzeit ist er Entwicklung? schaft. Auch die politische Wahr- 19 Prozent erreicht haben. Wir und wo wir Zielwerte benannt gibt, zu arbeiten. Viel zu lang- Sprecher des Zukunftsrats Nachhaltige Entwicklung ist nehmung spielt eine Rolle. So- müssen unseren ökologischen haben. Dort sind jährliche Sta- sam entwickeln wir uns bei der Hamburg: www.zukunftsrat.de. für uns, den nachfolgenden Ge- lange man das Bruttoinlands- nerationen eine Lebensgrund- produkt als obersten Maßstab lage auf unseren Planeten zu einer politischen Entwicklung ermöglichen. Es geht um unse- sieht, dominiert der ökonomi- ren heutigen Lebensstil und was sche Weg. für die zukünftigen Generatio- Sind wachsende Wirtschaft nen übrig bleibt. Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung besteht aus einer Balance zwi- überhaupt miteinander ver- schen Ökologie, Wirtschaft und einbar? Sozialem. Aktuell beschäftigen Das ist sehr schwer. Wir be- wir uns mit der Abfallwirtschaft, schäftigen uns damit, wie un- nachhaltigem Tourismus und sere gesellschaftliche, politi- bezahlbarem Wohnraum. Es gibt sche und wirtschaftliche Struk- Der aber viele andere Probleme, die tur aufgebaut ist und warum der Zukunftsrat je nach Kompe- sie uns vielfach zu Wachstum tenz der Mitglieder und Anlass zwingt. behandelt. Was müsste man also tun, Wer ist im Zukunftsrat da- um die Konflikte zu vermei- bei? den? Unsere Mitglieder sind aus Allgemein könnten die Steu- Klima- allen gesellschaftlichen Berei- ern eine Möglichkeit sein. Wenn chen. Zum Beispiel haben wir CO2 etwas kostet oder das Kero- Verbände wie den BUND und sin für Flugzeuge besteuert wer- den Nabu, die sich für die Um- den würde, würden viele auf welt einsetzen. Von der Wirt- manchen Konsum verzichten. schaft sind Unternehmen wie Die CO2-Besteuerung ist wandel Budnikowsky, der Drogeriekette, gerade aktuell, schauen sie dabei. Aus der Wissenschaft zäh- nach Frankreich. Dort haben Ist dir egal? len wir die Hochschule für An- sich die „Gelbwesten“ mobili- gewandte Wissenschaften Ham- siert, nachdem die Ökosteuer burg (HAW) und Teile der Tech- für Benzin eingeführt werden nischen Universität zu unseren sollte. Es entstand nahezu eine Mitgliedern und auch Teile der Revolution, die immer noch im Evangelischen Kirche. Auch Gange ist. Werbeagenturen, die sich mit Bei allem ist es so, dass sich DU Ihm der Verbreitung der Nachhaltig- Wohlhabende immer mehr leis- keit beschäftigen, sind bei uns ten können und mehr Ressour- vertreten. cen verbrauchen als Ärmere. Gibt es zwischen diesen Ak- Die Frage sollte sein, was für ei- teuren nicht Interessenkon- nen Lebensstil wir wollen. Im flikte? Bereich der öffentlichen Ver- Leider Deswegen halten wir es nicht kehrsmittel kann man auf jeden allgemein, sondern schauen uns Fall etwas tun, indem man dort konkrete Themen an. Nehmen die Kosten senkt und sie durch wir die Kreislaufwirtschaft. Die Steuern finanziert. Der Flugbe- Abfallwirtschaft muss natür- trieb, bei dem es einen hohen auch. lich wettbewerbsfähig bleiben. CO2-Ausstoß gibt, könnte teu- Auf der anderen Seite haben wir rer werden. die gesellschaftliche Aufgabe, Der soziale Aspekt schließt Ressourcen zu sparen. Wichtig die Arbeitsbedingungen in Ent- ist es, die Zielkonflikte zu be- wicklungsländern ein. Klei- nennen und anhand der unter- dung würde teurer werden, schiedlichen Interessen lang- wenn die Beschäftigten besser ZEIT FÜR EHRLICH GUTEN STROM. fristige nachhaltige Strategien bezahlt werden, zum Nachteil zu gestalten. Nachhaltigkeit ist der Ärmeren in wohlhabenden kein fixer Maßstab, sondern es Ländern. ist eine politische Aufgabe, die Bei vielen Kleidungsstü- nachhaltigen Aspekte in den po- cken handelt es sich um Billig- litischen Entscheidungen zu be- ware, die oft wieder weggewor- rücksichtigen. fen wird. Es werden Ressourcen Welche Interesse bekommt verschwendet. Der Verbraucher mehr Zugeständnisse? müsste auf weniger, aber bes- Besonders hier in Hamburg sere Qualität setzen. Aber auch haben wir eine sehr starke Wirt- die Unternehmen können ihren schaftsorientierung. Schauen Beitrag leisten. Die Otto Group sie sich die Handelskammer an, etwa ist im Denken der Nach- welche Macht sie hatte und viel- haltigkeit vielen Unternehmen leicht auch noch hat. Vielfach ist weit voraus, indem sie auf öko- es so, dass die Wirtschaft domi- logische Produktion setzt.  64 sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019   65 nord thema nachhaltig & fair taz am wochenende nord thema wohnen & gestalten

Von „vier Wänden“ sang einst Rio Reiser: „Eine Wand für gut und gerecht Ein Date mit mein Klavier, eine Wand für kurz und gut ein Bild von dir, eine Wand für Temporäres eine Tür, sonst kommst du ja Baukindergeld Warenhaus nicht zu mir.“ dem Windmüller Handwerker bauen in einer wird nachgefragt Der Heldenmarkt kommt wieder nach Hamburg: Unter dem Messehalle in Hannover an Drei Monate nach dem Programmstart haben in Niedersachsen Motto #fuerallediewasmerken wird es zahlreiche Möglichkei- einem Fertighaus aus Holz und Bremen insgesamt 6.458 Familien Baukindergeld bean- Foto: Wolfgang Weihs/dpa ten geben sich zu informieren, zu probieren und auch einzu- Kein Fußbreit den Konzernen? Das Hamburger Unternehmen Enyway will die tragt. Das geht aus Zahlen der zuständigen KfW-Bankengruppe kaufen. Zum sechsten Mal bietet das wohl größte temporäre und des Bundesbauministeriums hervor. Dabei entfallen auf Warenhaus für Nachhaltigkeit auch wieder Vorträge, Ausstel- Produzent*innen von Ökostrom mit den Verbraucher*innen direkt in Verbindung bringen Niedersachsen 6.039 Anträge, auf Bremen 419. Bundesweit sind lungen und Workshops an. es 47.741 Familien. Sa, 26. 1, 10–19 Uhr; So, 27. 1., 10–18 Uhr, Hamburg, Van-der- – ganz im Sinne der Sharing Economy, wie sie in anderen Branchen floriert. Das soll nicht Gefördert werden Familien, die zwischen dem 1. Januar 2018 Smissen-Straße 5. Eintritt: 8 Euro (erm. 6), Kinder bis 14 Jahre zuletzt den Energiemarkt transparenter machen und dem 31.12.2020 ihren Kaufvertrag unterzeichnet beziehungs- frei. Infos: www.heldenmarkt.de weise die Baugenehmigung erhalten haben. Pro Jahr erhält eine Familie 1.200 Euro pro Kind. Das Baukindergeld wird zehn Jahre Gründer*innen – Heiko von seien selbst unter Berücksich- es nicht durchweg Erfrolgsge- lang gezahlt, so dass insgesamt 12.000 Euro an Förderung flie- Von Florian Maier Digitale Tschischwitz, Varena Junge und tigung eine „Enyway-Beitrags“ schichten sind). Nehmen wir ßen. Die meisten Familien haben ein oder zwei Kinder. (dpa) Zukunft Eon, RWE, EnBW und Vattenfall: Andreas Rieckhoff – arbeiteten – in Höhe von 3,99 Euro – „voll Ebay – freilich längst zu einem Den deutschen Energiemarkt zuvor beim Hamburger Strom­ wettbewerbsfähig, weil die Ver- nicht eben kleinen Konzern ge- Wie funktioniert Nachhaltigkeit in Zeiten der Digitalisierung? dominieren nach wie vor ei- anbieter Lichtblick. Der for- waltungskosten der Energiever- worden – und die Idee, nicht Dänisches Design Diese Frage stellt sich das Gemeinschaftsprojekt „nachhaltig. nige wenige große Konzerne. mulierte bereits 1998 den An- sorger wegfallen“. Vergleicht mehr gebrauchte Dinge abseits in Bremer Museum digital“ des Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewuss- Sie machen über 80 Prozent spruch, ein „Ökostromanbie- man es mit Eon, der nur kon- klassischer Auktionshäuser zu tes Management (B.A.U.M.) auf seinem Jahreskongress. Dort des Stromhandels aus. Kleine ter für den Massenmarkt“ zu ventionell erzeugten Strom mo- versteigern. Wer heute die ei- Design aus Dänemark steht im Mittelpunkt einer Ausstellung wird es um die Leitthemen „Künstliche Intelligenz“, „Messbar- Produzenten haben dabei kaum sein. Nach eigenen Angaben natlich kündbar anbietet, ist die- gene Wohnung kurzzeitig ver- im Bremer Wilhelm Wagenfeld Haus. Bis zum 22. April fragt das keit“ und „New Work“ gehen. eine Chance. Und doch versucht hat Lichtblick, seit Kurzem kom- ser sogar teurer als die meisten mieten möchte, kann dies via Museum, warum dänisches Design so populär ist: „Wie wurde es Mi, 20. 3, 10–16.30 Uhr, Osnabrück, An der Bornau 2. Anmel- ein Hamburger Unternehmen plett im Besitz der niederlän- Angebote bei Enyway. Nur An- Airbnb machen; in Städten mit zu einer Marke, die heute als cool gilt? Was bedeutet das Ideal des dung bis 11. 3., Infos: www.baumev.de auf diesem Spielfeld mitzumi- dischen Eneco-Gruppe, heute gebote mit langer Vertragslauf- angespanntem Mietmarkt aber Handwerks in einer industrialisierten Welt?“ Antworten darauf schen – mit einem beachtens- eine Million Kunden und 460 zeit schaffen es hier, Enyway zu zieht der Erfolg dieser Plattform sollen Objekte wie Möbel, Leuchten und Wasserfilter geben. Preiswürdige werten Konzept. Mitarbeiter*innen. Eneco übri- unterbieten – dessen Stromver- auch erste Regulierung nach Fertighäuser aus Holz Der erste Teil stellt die 1950er- und 1960er-Jahre vor: Damals „Enyway“ heißt die Firma, die gens gehört derzeit noch mehre- träge aber sind monatlich künd- sich. Suche ich indes eine güns- habe Design eine zentrale Rolle im Konzept des Wohlfahrtsstaa- Projekte seit November 2017 den unüber- ren niederländischen Kommu- bar. „Es gibt Anbieter, die vier tige Fahrt quer durch Deutsch- tes gespielt, viele Gestalter*innen hätten einfache, aber qualitäts- sichtlichen Energiemarkt demo- nen, ist aber auf der Suche nach Wochen Erstvertragslaufzeit an- land, ist Bla Bla Car oft billiger volle Möbel für das Volk entwickelt. Der zweite Teil dreht sich um Zusammen mit den drei anderen „Regionalen Netzstellen kratisieren will – mit einer Art einem Investor. Und Enyway, um bieten. Das ist vorbildlich“, so die als die Deutsche Bahn. Und wer werden immer beliebter die Jahre 1968 bis 1990, als sich industrielle Fertigungsmethoden Nachhaltigkeitsstrategien“ (Renn) – und in Kooperation mit Online-Marktplatz für Ökostrom so viel jünger, beziffert die Zahl Bremer Verbraucherzentrale. gut im Nähen ist, kann selbst- und neue Materialien durchsetzten. Und der dritte Ausstellungs- dem „Rat für Nachhaltige Entwicklung“ – vergibt auch Renn versucht es Erzeuger*innen und seiner Mitarbeiter*innen bereits „Sechs Monate sind akzeptabel. gemachte Kleidung auf Platt- teil zeigt, wie Gestalter*innen die Möbel-Tradition heute neu in- Nord einmal mehr das Siegel „Projekt Nachhaltigkeit“: Gesucht Verbraucher*innen zu verknüp- auf immerhin mehr als 50. Von darüber hinausgehenden formen wie Dawanda – im ver- Holzhäuser in Fertigbauweise sollen ein besonders angenehmes Raumklima haben terpretieren. (dpa) werden Projekte, die sich auf „innovativ für eine nachhaltige fen. „Windrad-Betreiber Jan von Angeboten raten wir ab.“ gangenen Jahr eingestellt – oder Entwicklung engagieren und einen Beitrag zur Umsetzung der der Nordsee“, heißt es in einem Ausfälle soll es Niedrige Preise und per- Etsy verkaufen; gezielt auf den und genau so lange halten wie massiv gebaute Gebäude. Baudauer: drei Monate 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung leisten“. Online können älteren Werbeslogan, „kann ab keine geben sönliche Beziehungen zwi- Umschlag gebrauchter Kleidung Vorschläge noch bis Ende Februar eingereicht werden: www. sofort seinen Windstrom an schen Anbieter*innen und richtet sich derweil Kleiderkrei- Holz-Fertighäuser werden modelle beliebter, die es für Bauschäden eine Gewährleis- Von Joachim Göres projektnachhaltigkeit.renn-netzwerk.de. Lisa nach Berlin verkaufen.“ Angst vor Stromausfall müssen Nutzer*innen: Das sind die Ver- sel. Und diese Liste ist längst meist in der Holz-Tafelbauweise unter 100.000 Euro gibt – bei tungsfrist von fünf Jahren ein. Das Ziel: die klassischen Ener- die Verbraucher*innen dem Un- sprechungen der Sharing Eco- nicht vollständig. Holz-Fertighäuser sind für die errichtet. Dabei werden großfor- ihnen kann man durch Eigenar- Auch bei der Vertragsgestal- gieversorger überflüssig zu ternehmen nach angeblich auch nomy, mitunter auch bezeichnet Diese Plattformen bean- einen wegen des schnellen Auf- matige Holzelemente vorgefer- beit Geld sparen. Die Hersteller tung bleibt Vorsicht geboten, Sachverständiger fürErdstrahlung undElektrosmog Fairer machen – und gleich noch den nicht haben: Steht Jans Wind- als „kollaborativer Konsum“. Da- spruchen, persönlicher zu sein baus bis heute ein Wunder der tigt und in ein bis zwei Tagen haben aber auch schlüsselfer- um für alle Eventualitäten ge- Messung vonElektrosmog,Wasseradern und Erdstrahlung Kunsthandel deutschen Energiemarkt trans- kraftwerk mal still, verpflichtet bei wollen Netzwerke von Men- als die traditionellen Alternati- Technik, für andere dagegen regendicht als Fertighaus auf- tige Luxushäuser für 800.000 rüstet zu sein: Das traditions- Grundstücks,- Wohnungs,-und Hausuntersuchung. parenter. Auf der Online-Platt- Enyway ihn dazu, stattdessen ge- schen und Gruppierungen die ven: Das Roadtrip-Gespräch bei eher ein fragwürdiges Unter- gebaut. Die Decken bestehen Euro im Angebot. reiche Fertigbauunternehmen Seminarweg4,23795 BadSegeberg,www.torstenmey.de,Tel. 045519082677 Seit zehn Jahren schon präsentiert (und verkauft) der Hambur- form kann sich nicht Ulf mit sei- kauften Ökostrom bereit zu stel- Produktion, den Konsum, die der Mitfahrgelegenheit ergibt nehmen. Skeptisch wird an die aus Holz beziehungsweise einer Experten raten, sich von ei- Haacke Haus aus dem nieder- ger „Kunst Kiosk“ Arbeiten zahlreicher regionaler Künstlerin- nem Kohlekraftwerk vorstellen len. Dabei ist der angebotene Bildung und die Finanzierung sich selten so im Zug oder Fern- dünnen Wände geklopft und die Kombination aus Holz und Be- nem Besuch eines der bun- sächsischen Celle, das mehrfach nen und Künstler – mit dem Anspruch, mit diesen fair umzu- und schon gar nicht Sabine mit Ökostrom nicht einmal signifi- von Gütern und Dienstleistun- bus. Eine persönlich eingerich- Qualität infrage gestellt. Und ton. Innerhalb von drei Monaten desweit rund 600 Musterhäu- für seine energieeffizienten Ge- Verkauf•Vermietung gehen. Aus Anlass des Jubiläums gibt es nun eine Ausstellung. ihrem Atommeiler: Das können kant teurer als der herkömmli- gen auf möglichst viele Indivi- tete Wohnung fühlt sich anders doch erfreuen sie sich wach- ist die Übergabe eines komplett ser oder einer der 19 Muster- bäude ausgezeichnet wurde, hat Eröffnung: Sa, 19. 1., 18 Uhr, Hamburg, Paul-Roosen-Straße 5, nur Ökostromanbieter*innen. cher Anbieter*innen. duen verlagern, anstatt Konzer- an als ein Hotel. Die Geschichte sender Beliebtheit: Im ersten eingerichteten Hauses möglich. hausparks – unter anderem in im Sommer Insolvenz angemel- FürunsereKundensuchen wirEigentumswohnungen,Mehrfamilienhäuser undGrundstücke(Wohnen undGewerbe) zumAnkauf. Hamburg. Infos: www.kunstkiosk-hamburg.de Die drei Enyway- Ökostrom von den Stadtwer- nen oder politischen Institutio- hinter dem selbst gemachten Halbjahr 2018 entfielen mehr Die Lebensdauer entspricht Langenhagen bei Hannover – det und ist inzwischen an einen ken Bremen beispielsweise be- nen die alleinige Gewalt darüber Stirnband gibt es so nicht bei als 19 Prozent aller Bauanträge laut BDF dem eines Massiv- nicht blenden zu lassen, da die anderen Fertighaushersteller in KURWAN IMMOBILIENIVD wegt sich im gleichen Preisspek- zu lassen. H&M. In diese Kerbe schlagen für Ein- und Zweifamilienhäu- hauses. Der Verband wirbt zu- Musterhäuser häufiger bes- Süddeutschland verkauft wor- Immobilienkompetenzseit1993 trum: Die Preise der Enyway- Klingt kompliziert? Mit dem auch die Geschichten hinter ser in Deutschland auf Häuser dem mit einem ausgegliche- ser ausgestattet und auch grö- den. Der Standort Celle wurde Inhaber: Dipl.-Volkswirt H.-J.Kurwan Stromverkäufer*innen, sagt Internet steigt die Zahl von den Stromanbieter*innen bei in Holz-Fertigbauweise. Damit nen Raumklima, das durch die ßer seien als die Standardaus- aufgegeben, zahlreiche Beschäf- Mitgründerin Varena Junge, Beispielen stetig (auch wenn Enyway: Man bezieht demnach wurde der Rekordanteil aus dem Fähigkeit des Holzes zur Auf- führungen. Extras wie Balkon, tigte haben ihre Arbeit verloren. Tel.:040 -31794540 • Fax: 040-31 79 46 06 nicht einfach nur Strom, son- Vorjahr wieder erreicht. Die Her- nahme und Abgabe von Was- Dachgaube oder Erker sind Auch rund 40 Bauherren www.kurwan.de • [email protected] dern bekommt gleich ein gan- steller hoffen durch das neue serdampf entsteht. meist nicht im Festpreis erhal- wurden davon überrascht: Nach zes Paket. Bei Stromanbieter Baukindergeld auf neue Kun- Holz ist traditionell als Bau- ten. Im Vertrag sollte außerdem der Insolvenz wurden ihre zum Frühjahrstagung des Jan kann man beispielsweise den und weitere Steigerungen. stoff in Süddeutschland wesent- genau geregelt werden, von wel- Großteil bezahlten Häuser nicht NetzwerksSolidarische eine alte Mühle besichtigen. Die „Die Möglichkeiten zur indi- lich beliebter als in anderen Re- chen Firmen Fliesen oder Hei- mehr weitergebaut. Um nicht Landwirtschaft persönliche Beziehung zu den viduellen Gestaltung eines Fer- gionen. Bei den Holz-Fertighäu- zungen geliefert werden. Bei auf einem Rohbau sitzenzublei- „LebendigeStrukturen entwickeln“ Anbieter*innen scheint schon tighauses sind grenzenlos, die sern liegt Baden-Württemberg der Bauabnahme ist ein unab- ben, mussten sie andere Firmen fast im Vordergrund zu sein. Bauzeit ist kurz und die Plan- in diesem Jahr mit einem Anteil hängiger Sachverständiger zu mit dem Weiterbau beauftragen 8.-10.2.2019 im Schloss Tempelhof bei Crailsheim barkeit groß, zudem sind fast von 35,7 Prozent an den Bauge- empfehlen. Die meisten, aber und dafür zusätzlich zahlen. Infosund Anmeldung unter: Ideen für alle Fertighäuser Niedrigener- nehmigungen an der Spitze, ge- nicht alle Firmen räumen bei Die Schadenssumme liegt teil- www.solidarische-landwirtschaft.org/aktuelles/netzwerktreffen die Wende giehäuser, was gut für die Um- folgt von Bremen mit 32,8 Pro- weise in sechsstelliger Höhe. Als welt ist und Kosten spart“, sagt zent. In Schleswig-Holstein wa- Grund für die wirtschaftlichen Dabei ist Enyway nicht der Achim Hannott, Geschäftsfüh- ren es 14,6 Prozent, in Hamburg „Die Möglichkeiten Probleme hatte Haacke unter einzige Anbieter von Strom – rer des Bundesverbandes Deut- 10,7 Prozent. Schlusslicht ist Nie- anderem die insgesamt gesun- zur individuellen und Lösungen für die Energie- scher Fertigbau (BDF). Wegen dersachsen mit 8,6 Prozent. kene Zahl der Baugenehmigun- Heizkostenhals? Geh' wende. Beim Münchner Un- der großen Nachfrage müsse Das durchschnittliche Ein- Gestaltung sind gen genannt – sie ging im ersten Unser Rat zählt. ternehmen Buzzn etwa würde man derzeit allerdings bei Her- familien-Fertighaus aus Holz grenzenlos“ Halbjahr 2018 im Vergleich zum Windradbetreiber Jan seinen stellern zum Teil mit mehrmo- ist 140 Quadratmeter groß und Vorjahr bei den Ein- und Zweifa- Jetzt Strom in eine „Energiegruppe“ natigen Wartefristen rechnen, kostet gut 270.000 Euro. In Ost- milienhäusern bundesweit um Mitglied richtig Achim Hannott, Bundesverband werden abgeben, die ihn weiter an die bevor die Fertigung beginnt. deutschland sind die Ausbau- Deutscher Fertigbau (BDF) 1,7 Prozent zurück. Endnutzer*innen verteilt. Wei- ran! tere Anbieter wie Sonnen-Com- Mieterverein Mobilfunk jetzt nachhaltig munity oder Beegy arbeiten mit zu Hamburg Crowdfunding ab dem 15.02. ähnlichen Konzepten. Eve Raatschen im Deutschen Mieterbund wetell-change.de Enyway scheint für die di- rekte Konkurrenz gewappnet Der Miethai 879 79-0 zu sein: Mit einem neuen Pro- jekt wollen die Hamburger die mieterverein-hamburg.de Energiewende beschleunigen. Für einmalig 39 Euro kann man sich an einer Photovoltaikan- lage in Sachsen-Anhalt beteili- gen. Dafür liefert Enyway min- Neues Jahr, neues Modernisierungsrecht destens zwei Jahre lang Strom zum Einkaufspreis. Der jährli- che Ausschüttungsbetrag der Zum 1. Januar 2019 sind bundesweit einige Beträgt die monatliche Miete vorher we- wäre es allerdings gewesen, diese Möglich- Anlage beläuft sich allerdings Neuregelungen zur Mieterhöhung nach ei- niger als sieben Euro pro Quadratmeter, keit der Mieterhöhung komplett zu strei- nur auf 65 Cent. ner Modernisierung in Kraft getreten. Sie darf sie innerhalb von sechs Jahren um chen. Derzeit steckt diese Energie- gelten für alle Ankündigungen, die ab dem nicht mehr als zwei Euro pro Quadratme- Versuche des Vermieters, durch belas- wende noch in den sprichwört- neuen Jahr zugestellt werden. Auf den Zeit- ter erhöht werden. Dem Vermieter wird ein tende, objektiv nicht notwendige bauli- lichen Kinderschuhen. Das exis- punkt des Beginns der Arbeiten kommt es vereinfachtes Verfahren bei der Mieterhö- che Veränderungen Mieter zum Auszug tierende Stromnetz dominieren nicht an. hung zugestanden, wenn der Modernisie- zu bewegen, werden als Pflichtverletzung – neben der öffentlichen Hand Eine Mieterhöhung wegen Moderni- rungsaufwand pro Wohnung nicht mehr definiert und mit einem Bußgeld belegt. – große Konzerne. Firmen wie sierungsmaßnahmen wird zukünftig nur als 10.000 Euro beträgt. Ob diese Regelung praxistauglich ist, wird Enyway bringen Ideen ein. Bis noch in Höhe von acht Prozent der Mo- Der Vermieter kann ersparte Reparatur- sich zeigen. Ein wichtiges Signal gegen das sich eine Sharing Economy bei dernisierungskosten berechnet werden kosten pauschal mit 30 Prozent abziehen. „Rausmodernisieren“ ist sie auf jeden Fall. der Energie für ganz Deutsch- dürfen – bisher waren es elf Prozent. Und: Ein Härteeinwand des Mieters aufgrund land umsetzen lässt, sind wir Innerhalb von sechs Jahren darf sich die unzumutbarer Kostenbelastung ist gegen Eve Raatschen ist Juristin beim Mieterver- wohl noch angewiesen auf Ulfs monatliche Miete aufgrund von Moderni- eine solche Mieterhöhung nicht möglich. ein Mieter helfen (MhM), Bartelsstraße 30, Kohle- und Sabines Atomkraft- sierungen um nicht mehr als drei Euro pro Eine Senkung der Mieterhöhungsquote ist ☎ Hamburg, Telefon 431 39 40; werk. Quadratmeter erhöhen. aus unserer Sicht begrüßenswert. Besser https://mhmhamburg.de  64 sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019   65 nord thema nachhaltig & fair taz am wochenende nord thema wohnen & gestalten

Von „vier Wänden“ sang einst Rio Reiser: „Eine Wand für gut und gerecht Ein Date mit mein Klavier, eine Wand für kurz und gut ein Bild von dir, eine Wand für Temporäres eine Tür, sonst kommst du ja Baukindergeld Warenhaus nicht zu mir.“ dem Windmüller Handwerker bauen in einer wird nachgefragt Der Heldenmarkt kommt wieder nach Hamburg: Unter dem Messehalle in Hannover an Drei Monate nach dem Programmstart haben in Niedersachsen Motto #fuerallediewasmerken wird es zahlreiche Möglichkei- einem Fertighaus aus Holz und Bremen insgesamt 6.458 Familien Baukindergeld bean- Foto: Wolfgang Weihs/dpa ten geben sich zu informieren, zu probieren und auch einzu- Kein Fußbreit den Konzernen? Das Hamburger Unternehmen Enyway will die tragt. Das geht aus Zahlen der zuständigen KfW-Bankengruppe kaufen. Zum sechsten Mal bietet das wohl größte temporäre und des Bundesbauministeriums hervor. Dabei entfallen auf Warenhaus für Nachhaltigkeit auch wieder Vorträge, Ausstel- Produzent*innen von Ökostrom mit den Verbraucher*innen direkt in Verbindung bringen Niedersachsen 6.039 Anträge, auf Bremen 419. Bundesweit sind lungen und Workshops an. es 47.741 Familien. Sa, 26. 1, 10–19 Uhr; So, 27. 1., 10–18 Uhr, Hamburg, Van-der- – ganz im Sinne der Sharing Economy, wie sie in anderen Branchen floriert. Das soll nicht Gefördert werden Familien, die zwischen dem 1. Januar 2018 Smissen-Straße 5. Eintritt: 8 Euro (erm. 6), Kinder bis 14 Jahre zuletzt den Energiemarkt transparenter machen und dem 31.12.2020 ihren Kaufvertrag unterzeichnet beziehungs- frei. Infos: www.heldenmarkt.de weise die Baugenehmigung erhalten haben. Pro Jahr erhält eine Familie 1.200 Euro pro Kind. Das Baukindergeld wird zehn Jahre Gründer*innen – Heiko von seien selbst unter Berücksich- es nicht durchweg Erfrolgsge- lang gezahlt, so dass insgesamt 12.000 Euro an Förderung flie- Von Florian Maier Digitale Tschischwitz, Varena Junge und tigung eine „Enyway-Beitrags“ schichten sind). Nehmen wir ßen. Die meisten Familien haben ein oder zwei Kinder. (dpa) Zukunft Eon, RWE, EnBW und Vattenfall: Andreas Rieckhoff – arbeiteten – in Höhe von 3,99 Euro – „voll Ebay – freilich längst zu einem Den deutschen Energiemarkt zuvor beim Hamburger Strom­ wettbewerbsfähig, weil die Ver- nicht eben kleinen Konzern ge- Wie funktioniert Nachhaltigkeit in Zeiten der Digitalisierung? dominieren nach wie vor ei- anbieter Lichtblick. Der for- waltungskosten der Energiever- worden – und die Idee, nicht Dänisches Design Diese Frage stellt sich das Gemeinschaftsprojekt „nachhaltig. nige wenige große Konzerne. mulierte bereits 1998 den An- sorger wegfallen“. Vergleicht mehr gebrauchte Dinge abseits in Bremer Museum digital“ des Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewuss- Sie machen über 80 Prozent spruch, ein „Ökostromanbie- man es mit Eon, der nur kon- klassischer Auktionshäuser zu tes Management (B.A.U.M.) auf seinem Jahreskongress. Dort des Stromhandels aus. Kleine ter für den Massenmarkt“ zu ventionell erzeugten Strom mo- versteigern. Wer heute die ei- Design aus Dänemark steht im Mittelpunkt einer Ausstellung wird es um die Leitthemen „Künstliche Intelligenz“, „Messbar- Produzenten haben dabei kaum sein. Nach eigenen Angaben natlich kündbar anbietet, ist die- gene Wohnung kurzzeitig ver- im Bremer Wilhelm Wagenfeld Haus. Bis zum 22. April fragt das keit“ und „New Work“ gehen. eine Chance. Und doch versucht hat Lichtblick, seit Kurzem kom- ser sogar teurer als die meisten mieten möchte, kann dies via Museum, warum dänisches Design so populär ist: „Wie wurde es Mi, 20. 3, 10–16.30 Uhr, Osnabrück, An der Bornau 2. Anmel- ein Hamburger Unternehmen plett im Besitz der niederlän- Angebote bei Enyway. Nur An- Airbnb machen; in Städten mit zu einer Marke, die heute als cool gilt? Was bedeutet das Ideal des dung bis 11. 3., Infos: www.baumev.de auf diesem Spielfeld mitzumi- dischen Eneco-Gruppe, heute gebote mit langer Vertragslauf- angespanntem Mietmarkt aber Handwerks in einer industrialisierten Welt?“ Antworten darauf schen – mit einem beachtens- eine Million Kunden und 460 zeit schaffen es hier, Enyway zu zieht der Erfolg dieser Plattform sollen Objekte wie Möbel, Leuchten und Wasserfilter geben. Preiswürdige werten Konzept. Mitarbeiter*innen. Eneco übri- unterbieten – dessen Stromver- auch erste Regulierung nach Fertighäuser aus Holz Der erste Teil stellt die 1950er- und 1960er-Jahre vor: Damals „Enyway“ heißt die Firma, die gens gehört derzeit noch mehre- träge aber sind monatlich künd- sich. Suche ich indes eine güns- habe Design eine zentrale Rolle im Konzept des Wohlfahrtsstaa- Projekte seit November 2017 den unüber- ren niederländischen Kommu- bar. „Es gibt Anbieter, die vier tige Fahrt quer durch Deutsch- tes gespielt, viele Gestalter*innen hätten einfache, aber qualitäts- sichtlichen Energiemarkt demo- nen, ist aber auf der Suche nach Wochen Erstvertragslaufzeit an- land, ist Bla Bla Car oft billiger volle Möbel für das Volk entwickelt. Der zweite Teil dreht sich um Zusammen mit den drei anderen „Regionalen Netzstellen kratisieren will – mit einer Art einem Investor. Und Enyway, um bieten. Das ist vorbildlich“, so die als die Deutsche Bahn. Und wer werden immer beliebter die Jahre 1968 bis 1990, als sich industrielle Fertigungsmethoden Nachhaltigkeitsstrategien“ (Renn) – und in Kooperation mit Online-Marktplatz für Ökostrom so viel jünger, beziffert die Zahl Bremer Verbraucherzentrale. gut im Nähen ist, kann selbst- und neue Materialien durchsetzten. Und der dritte Ausstellungs- dem „Rat für Nachhaltige Entwicklung“ – vergibt auch Renn versucht es Erzeuger*innen und seiner Mitarbeiter*innen bereits „Sechs Monate sind akzeptabel. gemachte Kleidung auf Platt- teil zeigt, wie Gestalter*innen die Möbel-Tradition heute neu in- Nord einmal mehr das Siegel „Projekt Nachhaltigkeit“: Gesucht Verbraucher*innen zu verknüp- auf immerhin mehr als 50. Von darüber hinausgehenden formen wie Dawanda – im ver- Holzhäuser in Fertigbauweise sollen ein besonders angenehmes Raumklima haben terpretieren. (dpa) werden Projekte, die sich auf „innovativ für eine nachhaltige fen. „Windrad-Betreiber Jan von Angeboten raten wir ab.“ gangenen Jahr eingestellt – oder Entwicklung engagieren und einen Beitrag zur Umsetzung der der Nordsee“, heißt es in einem Ausfälle soll es Niedrige Preise und per- Etsy verkaufen; gezielt auf den und genau so lange halten wie massiv gebaute Gebäude. Baudauer: drei Monate 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung leisten“. Online können älteren Werbeslogan, „kann ab keine geben sönliche Beziehungen zwi- Umschlag gebrauchter Kleidung Vorschläge noch bis Ende Februar eingereicht werden: www. sofort seinen Windstrom an schen Anbieter*innen und richtet sich derweil Kleiderkrei- Holz-Fertighäuser werden modelle beliebter, die es für Bauschäden eine Gewährleis- Von Joachim Göres projektnachhaltigkeit.renn-netzwerk.de. Lisa nach Berlin verkaufen.“ Angst vor Stromausfall müssen Nutzer*innen: Das sind die Ver- sel. Und diese Liste ist längst meist in der Holz-Tafelbauweise unter 100.000 Euro gibt – bei tungsfrist von fünf Jahren ein. Das Ziel: die klassischen Ener- die Verbraucher*innen dem Un- sprechungen der Sharing Eco- nicht vollständig. Holz-Fertighäuser sind für die errichtet. Dabei werden großfor- ihnen kann man durch Eigenar- Auch bei der Vertragsgestal- gieversorger überflüssig zu ternehmen nach angeblich auch nomy, mitunter auch bezeichnet Diese Plattformen bean- einen wegen des schnellen Auf- matige Holzelemente vorgefer- beit Geld sparen. Die Hersteller tung bleibt Vorsicht geboten, Sachverständiger fürErdstrahlung undElektrosmog Fairer machen – und gleich noch den nicht haben: Steht Jans Wind- als „kollaborativer Konsum“. Da- spruchen, persönlicher zu sein baus bis heute ein Wunder der tigt und in ein bis zwei Tagen haben aber auch schlüsselfer- um für alle Eventualitäten ge- Messung vonElektrosmog,Wasseradern und Erdstrahlung Kunsthandel deutschen Energiemarkt trans- kraftwerk mal still, verpflichtet bei wollen Netzwerke von Men- als die traditionellen Alternati- Technik, für andere dagegen regendicht als Fertighaus auf- tige Luxushäuser für 800.000 rüstet zu sein: Das traditions- Grundstücks,- Wohnungs,-und Hausuntersuchung. parenter. Auf der Online-Platt- Enyway ihn dazu, stattdessen ge- schen und Gruppierungen die ven: Das Roadtrip-Gespräch bei eher ein fragwürdiges Unter- gebaut. Die Decken bestehen Euro im Angebot. reiche Fertigbauunternehmen Seminarweg4,23795 BadSegeberg,www.torstenmey.de,Tel. 045519082677 Seit zehn Jahren schon präsentiert (und verkauft) der Hambur- form kann sich nicht Ulf mit sei- kauften Ökostrom bereit zu stel- Produktion, den Konsum, die der Mitfahrgelegenheit ergibt nehmen. Skeptisch wird an die aus Holz beziehungsweise einer Experten raten, sich von ei- Haacke Haus aus dem nieder- ger „Kunst Kiosk“ Arbeiten zahlreicher regionaler Künstlerin- nem Kohlekraftwerk vorstellen len. Dabei ist der angebotene Bildung und die Finanzierung sich selten so im Zug oder Fern- dünnen Wände geklopft und die Kombination aus Holz und Be- nem Besuch eines der bun- sächsischen Celle, das mehrfach nen und Künstler – mit dem Anspruch, mit diesen fair umzu- und schon gar nicht Sabine mit Ökostrom nicht einmal signifi- von Gütern und Dienstleistun- bus. Eine persönlich eingerich- Qualität infrage gestellt. Und ton. Innerhalb von drei Monaten desweit rund 600 Musterhäu- für seine energieeffizienten Ge- Verkauf•Vermietung gehen. Aus Anlass des Jubiläums gibt es nun eine Ausstellung. ihrem Atommeiler: Das können kant teurer als der herkömmli- gen auf möglichst viele Indivi- tete Wohnung fühlt sich anders doch erfreuen sie sich wach- ist die Übergabe eines komplett ser oder einer der 19 Muster- bäude ausgezeichnet wurde, hat Eröffnung: Sa, 19. 1., 18 Uhr, Hamburg, Paul-Roosen-Straße 5, nur Ökostromanbieter*innen. cher Anbieter*innen. duen verlagern, anstatt Konzer- an als ein Hotel. Die Geschichte sender Beliebtheit: Im ersten eingerichteten Hauses möglich. hausparks – unter anderem in im Sommer Insolvenz angemel- FürunsereKundensuchen wirEigentumswohnungen,Mehrfamilienhäuser undGrundstücke(Wohnen undGewerbe) zumAnkauf. Hamburg. Infos: www.kunstkiosk-hamburg.de Die drei Enyway- Ökostrom von den Stadtwer- nen oder politischen Institutio- hinter dem selbst gemachten Halbjahr 2018 entfielen mehr Die Lebensdauer entspricht Langenhagen bei Hannover – det und ist inzwischen an einen ken Bremen beispielsweise be- nen die alleinige Gewalt darüber Stirnband gibt es so nicht bei als 19 Prozent aller Bauanträge laut BDF dem eines Massiv- nicht blenden zu lassen, da die anderen Fertighaushersteller in KURWAN IMMOBILIENIVD wegt sich im gleichen Preisspek- zu lassen. H&M. In diese Kerbe schlagen für Ein- und Zweifamilienhäu- hauses. Der Verband wirbt zu- Musterhäuser häufiger bes- Süddeutschland verkauft wor- Immobilienkompetenzseit1993 trum: Die Preise der Enyway- Klingt kompliziert? Mit dem auch die Geschichten hinter ser in Deutschland auf Häuser dem mit einem ausgegliche- ser ausgestattet und auch grö- den. Der Standort Celle wurde Inhaber: Dipl.-Volkswirt H.-J.Kurwan Stromverkäufer*innen, sagt Internet steigt die Zahl von den Stromanbieter*innen bei in Holz-Fertigbauweise. Damit nen Raumklima, das durch die ßer seien als die Standardaus- aufgegeben, zahlreiche Beschäf- Mitgründerin Varena Junge, Beispielen stetig (auch wenn Enyway: Man bezieht demnach wurde der Rekordanteil aus dem Fähigkeit des Holzes zur Auf- führungen. Extras wie Balkon, tigte haben ihre Arbeit verloren. Tel.:040 -31794540 • Fax: 040-31 79 46 06 nicht einfach nur Strom, son- Vorjahr wieder erreicht. Die Her- nahme und Abgabe von Was- Dachgaube oder Erker sind Auch rund 40 Bauherren www.kurwan.de • [email protected] dern bekommt gleich ein gan- steller hoffen durch das neue serdampf entsteht. meist nicht im Festpreis erhal- wurden davon überrascht: Nach zes Paket. Bei Stromanbieter Baukindergeld auf neue Kun- Holz ist traditionell als Bau- ten. Im Vertrag sollte außerdem der Insolvenz wurden ihre zum Frühjahrstagung des Jan kann man beispielsweise den und weitere Steigerungen. stoff in Süddeutschland wesent- genau geregelt werden, von wel- Großteil bezahlten Häuser nicht NetzwerksSolidarische eine alte Mühle besichtigen. Die „Die Möglichkeiten zur indi- lich beliebter als in anderen Re- chen Firmen Fliesen oder Hei- mehr weitergebaut. Um nicht Landwirtschaft persönliche Beziehung zu den viduellen Gestaltung eines Fer- gionen. Bei den Holz-Fertighäu- zungen geliefert werden. Bei auf einem Rohbau sitzenzublei- „LebendigeStrukturen entwickeln“ Anbieter*innen scheint schon tighauses sind grenzenlos, die sern liegt Baden-Württemberg der Bauabnahme ist ein unab- ben, mussten sie andere Firmen fast im Vordergrund zu sein. Bauzeit ist kurz und die Plan- in diesem Jahr mit einem Anteil hängiger Sachverständiger zu mit dem Weiterbau beauftragen 8.-10.2.2019 im Schloss Tempelhof bei Crailsheim barkeit groß, zudem sind fast von 35,7 Prozent an den Bauge- empfehlen. Die meisten, aber und dafür zusätzlich zahlen. Infosund Anmeldung unter: Ideen für alle Fertighäuser Niedrigener- nehmigungen an der Spitze, ge- nicht alle Firmen räumen bei Die Schadenssumme liegt teil- www.solidarische-landwirtschaft.org/aktuelles/netzwerktreffen die Wende giehäuser, was gut für die Um- folgt von Bremen mit 32,8 Pro- weise in sechsstelliger Höhe. Als welt ist und Kosten spart“, sagt zent. In Schleswig-Holstein wa- Grund für die wirtschaftlichen Dabei ist Enyway nicht der Achim Hannott, Geschäftsfüh- ren es 14,6 Prozent, in Hamburg „Die Möglichkeiten Probleme hatte Haacke unter einzige Anbieter von Strom – rer des Bundesverbandes Deut- 10,7 Prozent. Schlusslicht ist Nie- anderem die insgesamt gesun- zur individuellen und Lösungen für die Energie- scher Fertigbau (BDF). Wegen dersachsen mit 8,6 Prozent. kene Zahl der Baugenehmigun- Heizkostenhals? Geh' wende. Beim Münchner Un- der großen Nachfrage müsse Das durchschnittliche Ein- Gestaltung sind gen genannt – sie ging im ersten Unser Rat zählt. ternehmen Buzzn etwa würde man derzeit allerdings bei Her- familien-Fertighaus aus Holz grenzenlos“ Halbjahr 2018 im Vergleich zum Windradbetreiber Jan seinen stellern zum Teil mit mehrmo- ist 140 Quadratmeter groß und Vorjahr bei den Ein- und Zweifa- Jetzt Strom in eine „Energiegruppe“ natigen Wartefristen rechnen, kostet gut 270.000 Euro. In Ost- milienhäusern bundesweit um Mitglied richtig Achim Hannott, Bundesverband werden abgeben, die ihn weiter an die bevor die Fertigung beginnt. deutschland sind die Ausbau- Deutscher Fertigbau (BDF) 1,7 Prozent zurück. Endnutzer*innen verteilt. Wei- ran! tere Anbieter wie Sonnen-Com- Mieterverein Mobilfunk jetzt nachhaltig munity oder Beegy arbeiten mit zu Hamburg Crowdfunding ab dem 15.02. ähnlichen Konzepten. Eve Raatschen im Deutschen Mieterbund wetell-change.de Enyway scheint für die di- rekte Konkurrenz gewappnet Der Miethai 879 79-0 zu sein: Mit einem neuen Pro- jekt wollen die Hamburger die mieterverein-hamburg.de Energiewende beschleunigen. Für einmalig 39 Euro kann man sich an einer Photovoltaikan- lage in Sachsen-Anhalt beteili- gen. Dafür liefert Enyway min- Neues Jahr, neues Modernisierungsrecht destens zwei Jahre lang Strom zum Einkaufspreis. Der jährli- che Ausschüttungsbetrag der Zum 1. Januar 2019 sind bundesweit einige Beträgt die monatliche Miete vorher we- wäre es allerdings gewesen, diese Möglich- Anlage beläuft sich allerdings Neuregelungen zur Mieterhöhung nach ei- niger als sieben Euro pro Quadratmeter, keit der Mieterhöhung komplett zu strei- nur auf 65 Cent. ner Modernisierung in Kraft getreten. Sie darf sie innerhalb von sechs Jahren um chen. Derzeit steckt diese Energie- gelten für alle Ankündigungen, die ab dem nicht mehr als zwei Euro pro Quadratme- Versuche des Vermieters, durch belas- wende noch in den sprichwört- neuen Jahr zugestellt werden. Auf den Zeit- ter erhöht werden. Dem Vermieter wird ein tende, objektiv nicht notwendige bauli- lichen Kinderschuhen. Das exis- punkt des Beginns der Arbeiten kommt es vereinfachtes Verfahren bei der Mieterhö- che Veränderungen Mieter zum Auszug tierende Stromnetz dominieren nicht an. hung zugestanden, wenn der Modernisie- zu bewegen, werden als Pflichtverletzung – neben der öffentlichen Hand Eine Mieterhöhung wegen Moderni- rungsaufwand pro Wohnung nicht mehr definiert und mit einem Bußgeld belegt. – große Konzerne. Firmen wie sierungsmaßnahmen wird zukünftig nur als 10.000 Euro beträgt. Ob diese Regelung praxistauglich ist, wird Enyway bringen Ideen ein. Bis noch in Höhe von acht Prozent der Mo- Der Vermieter kann ersparte Reparatur- sich zeigen. Ein wichtiges Signal gegen das sich eine Sharing Economy bei dernisierungskosten berechnet werden kosten pauschal mit 30 Prozent abziehen. „Rausmodernisieren“ ist sie auf jeden Fall. der Energie für ganz Deutsch- dürfen – bisher waren es elf Prozent. Und: Ein Härteeinwand des Mieters aufgrund land umsetzen lässt, sind wir Innerhalb von sechs Jahren darf sich die unzumutbarer Kostenbelastung ist gegen Eve Raatschen ist Juristin beim Mieterver- wohl noch angewiesen auf Ulfs monatliche Miete aufgrund von Moderni- eine solche Mieterhöhung nicht möglich. ein Mieter helfen (MhM), Bartelsstraße 30, Kohle- und Sabines Atomkraft- sierungen um nicht mehr als drei Euro pro Eine Senkung der Mieterhöhungsquote ist ☎ Hamburg, Telefon 431 39 40; werk. Quadratmeter erhöhen. aus unserer Sicht begrüßenswert. Besser https://mhmhamburg.de sonnabend/sonntag, 12./13. januar 2019  66 nordwiese taz am wochenende

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von Leserbriefen vor. taz nord | Stresemannstraße 23 | 22769 Hamburg | [email protected] | www.taz.de Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. wochenschnack Verbotenes Jauchzen Unsere Autorin berichtete von ihrem behinderten Sohn, der gern das Weihnachtsoratorium hören möchte, aber meistens nicht darf

Ich hätte gerne Sehgehnuss mit der Komplexität von sehr gefallen, was deutlich zu hören Etwas über zahlt habe, dann möchte ich bitte je- Instrumentalität auch überhaupt war. Ich halte mich mit ihm eher des Detail der Aufführung mitbekom- die Wahl nicht verstanden haben, weil Sie ab- hinten, auf der Seite auf, da fällt er den Noten men und keine überlagernden Ge- gelenkt von solchen Fällen hier sind nicht so auf. Da er sehr gut hört und räusche hören. Ich möchte, dass die „Ich persönlich finde, jeder hat Pech und Political Correctness vorgeben sehr schlecht sieht, ist ihm das recht … „Irgendwann“, sagte Charlie Parker, Musik im Mittelpunkt steht und nicht gehabt, der noch nie erlebt hat, wie müssen. Und ich bezweifle, dass Sie und die Leute sind nicht so gestört. So „habe ich erkannt, da ist mehr, da gibt irgendein Zuhörer, egal ob mit oder hingerissen Willi sein kann bei Bachs wissen, wie der Junge Musik mit sei- haben alle was vom Konzert. es noch etwas ‚über‘ den Noten.“ ohne Behinderung. Das gehört näm- Toccata und Fuge in d-Moll. Gerne nen Sinnen wahrnimmt. Sie sind Sie Roland Ebner, taz.de Und ich denke, Willi hat es auch er- lich auch zur Wahrheit, dass manche würde ich viel mehr Menschen die und nicht der Junge. kannt. Virilio, taz.de der emotionalen Reaktionen auch als Chance geben, das zu erleben.“ Wenn bei einer Klaviersonate je- Heischen nach öffentlicher Aufmerk- Und ich hätte gerne die Wahl, sel- mand wild und laut gestikuliert, dann Kein Problem samkeit verstanden werden können. ber zu entscheiden, ob ich der Perfor- ist das nun mal ein natürlicher Stör- In UK ist das kein Problem. Bei der Heischen nach Wolfgang Neumann, taz.de mance des Kindes oder der Musiker faktor. Bei Rockkonzerten wäre der Last Night of the Proms tanzen so- Aufmerksamkeit zuhöre. Limits2Growth, taz.de Junge weitaus besser aufgehoben. wieso alle herum. Hier gibt es ja wohl Nun mag er jedoch Klassik und das auch jetzt so was. Keine Ahnung, wie Ehrlich gesagt, ich sitze sehr ent- Jahrelanges Üben als ganz andere Wahrnehmung als die Dinger ablaufen. spannt in klassischen Konzerten, Als klassischer Musiker möchte ich Richtig abrocken 99 Prozent der Anderen. Ja, in der Tat Hier muss wirklich einmal irgend- aber ich mag es schon, wenn in der bei allem Verständnis darauf hin- @Limits2Growth Ich finde ja, so Leute doof. Den Königsweg gibt es für Men- eine Organisation, die sich für die Be- Zuhörerschaft Schweigen und Stille weisen, dass die Ruhe in solchen wie Sie sollten von solchen Konzerten schen mit Behinderungen fast nie. lange von Behinderten einsetzt, sich herrscht. Wenn ich Lust habe zu einer Konzerten aus zwei Gründen wichtig ausgeschlossen werden. Gesellschaftliche Normen bleiben mit Konzerthäusern kurzschließen klassischen Aufführung zu tanzen, ist. Zum einen, weil die Schönheit Man kann bei klassischer Musik wandelbar. Aber eben meist extrem und Ähnliches in Deutschland er- oder mitzusingen, dann schau ich klassischer Musik oftmals im Detail ruhig mal richtig abrocken. Wer sich langsam. Ob ein Junge da als Einzel- möglichen. Wichtig ist meines Erach- mir das Konzert zu Hause auf mei- liegt, das sich erst entfaltet, wenn ganz auf die Musik einlässt, kann kämpfer etwas bewirken kann? tens nur, dass auch die anderen Kon- nem großen Fernseher an, mach’ die eine Fokussierung des Hörers auf das ja kaum verhindern. Diese typi- Akula, taz.de zertbesucher erfahren, wie das Kon- 5.1-Sourround-Anlage etwas lauter die Musik ermöglicht ist. Und zum schen „Stock im Arsch“-Konzertbesu- zert konzipiert ist. Ich muss auch und ab geht’s. Ansonsten gibt es vor anderen ist es für die Aufführenden cher haben keine Ahnung, was Musik sagen, dass, wenn ich eine Oper erle- jeder Aufführung eine Generalprobe, eine enorme Konzentrationsaufgabe. wirklich ist und wie man sie mit allen Geräuschegenießer ben will, ich zumindest vorher wis- zu der man nach Absprache oft auch Es verlangt jahre-, sogar jahrzehnte- Sinnen wahrnimmt. @Limits2Growth Unser Sohn ist sen will, ob ich sie in der klassischen mal zum Zuhören kommen darf. langes Üben, um die Schwierigkei- magheinz, taz.de genau so. Ein „Geräuschgenießer“, der Form oder als Event mit Publikums- Ich hab schon einiges mit Men- ten technisch und musikalisch zu Musik liebt und laut jubelt, wenn’s beteiligung erleben werde. Es gibt ja schen mit Behinderung musiziert meistern und ist dennoch im Konzert ihm gefällt. Zum Glück haben wir im- auch Menschen, die nicht mal behin- und gearbeitet und schätze deren Ge- immer ein Drahtseilakt. Somit ist die Natürlicher Störfaktor mer wieder Konzerte, wo er willkom- dert sein müssen, die aber in Panik fühlsausbrüche und Performances Stille im Publikum auch ein Zeichen @magheinz Leider muss ich attes- men ist. Gestern waren wir in einem geraten, wenn zu viel Action um sie durchaus. Bloß, wenn ich 25 Euro für des Respekts gegenüber den Musi- tieren, dass Sie Musik als Hör- und Weihnachts-Benefiz-Konzert. Hat ihm herum passiert. Age Krüger, taz.de ein Ticket Weihnachtsoratorium be- kern. Christopher Bender, taz.de

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