taz die tageszeitung montag 21. juni 2021 mit 8 seiten dossier zum überfall auf die sowjetunion vor 80 jahren

Editorial

m 22. Juni 1941 überfallen 3,2 Mil- lionen deutsche Soldaten auf ei- ner Frontlänge, die etwa der Ent- fernung –Neapel ent- Aspricht, die Sowjetunion. Es ist der Auftakt des „Unternehmens Barbarossa“. Hundert- tausende sowjetische Soldaten geraten in den ersten Wochen in Gefangenschaft. Etwa drei Millionen werden bis 1945 in deutschem Gewahrsam umkommen. Im deutschen Gedächtnis ist dieser Tag aber kaum präsent. Zuvor hatten Hitler und Stalin 1939 ei- nen Pakt geschlossen, gemeinsam Polen überfallen und zielgerichtet Angehörige der Intelligenz, Offiziere, Frauen und Kin- der deportiert und ermordet. Für Hitler ist dieser Terror die Vorlage für einen nie dage- wesenen, ideologisch begründeten Krieg, dem in der Sowjetunion etwa 27 Millio- nen Menschen zum Opfer fielen – durch Erschießungen, Aushungern, Zwangsar- beit, Gaswagen, Kälte. Der Massenmord Erinnert euch! hatte viele Facetten. Welche Folgen hat dieser von Deutsch- land angezettelte Krieg heute? Wie be- stimmt er unser Verhältnis zu den Völkern Russlands, Weißrusslands, der Ukraine? Wie bestimmt er unser Verhältnis zu den Regierungen dieser Länder? Die Beziehun- gen Deutschlands zu Russland sind, nach der Euphorie der deutschen Einheit, zer- rüttet. Wladimir Putin versucht, ein neues Imperium zu formen und begründet seine Pläne mit Rückgriff auf 1941, dass man den „westlichen Partnern“ nie ganz trauen dürfe und auf Angriffe der Nato vorberei- tet sein müsse. Und mit dem Verweis auf „ausländische Agenten“ erstickt er jeden Anflug von Opposition. Stärker noch hat sein belarussischer Vasall Alexander Luka- schenko den Faschismus-Begriff für seine Diktatur instrumentalisiert. Und in der Ukraine gärt im Osten ein Krieg, während Kiew den Weg in die EU sucht. Haben wir als Deutsche dem Land gegenüber eine be- sondere Verpflichtung? Wladimir Putin rüstet auch geschichts- politisch auf. Was auf uns oft wie in Bronze gegossene Ideologie wirkt, hat für Einhei- mische eine persönliche Bedeutung. In na- hezu jeder Familie sind Angehörige durch NS-Wahn ums Leben gekommen. Wer kann die Bedeutung des Wortes „Vernichtungs- krieg“ wirklich ermessen? Und wie gehen wir selbst mit diesem Erbe um? Dass es Mas- senmord nicht nur in Auschwitz und Babyn Jar gab, sondern auch in Gefangenenlagern der deutschen Provinz – diese Erkenntnis rückt erst jetzt ins öffentliche Bewusstsein. Höchste Zeit, dass Staatsanwälte auch gegen diese Wachmänner ermitteln. Es gibt viele Konflikte mit dem Kreml. Man sollte ihnen nicht ausweichen, schon gar nicht mit dem Hinweis auf den deut- schen Überfall. Im Gegenteil. Könnte es nicht sein, dass die Erinnerung an diesen Was der 22. Juni 1941 für uns heute bedeutet: Krieg ein Fundament legt, das nicht von Beiträge von Sasha Filipenko, Freya Klier, Sergey Gasrohren bestimmt wird, sondern von der gemeinsamen Verantwortung? Es wäre uns Lagodinsky, Karl Schlögel, Ingo Schulze, Thomas allen zu wünschen. Will und den deutschen KanzlerkandidatInnen Sabine Seifert, Thomas Gerlach 2–9

Im deutschen Geschichtsbewusstsein bisher unterbelichtet: NS-Kriegsgefangenenlager wie hier in Sandbostel, in denen 3 Millionen sowjetische Soldaten umkamen € 2,20 Deutschland Ausland 2,80 € Nr. 12568 Ausgabe Die taz wird ermöglicht durch Foto: Kay Michalak/fotoetage

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www.taz.de ORF/dpa Foto: 11 02 überfall auf die sowjetunion montag, 21. juni 2021 taz !

Kalendarium: 1939 bis 1945 9. Mai 2021, Kranzlegung 23. August 1939: Abschluss des deutsch- und Gedenk- sowjetischen Nichtangrifspakts. Im geheimen feier zum „Tag des Sieges“ Zusatzabkommen werden die gegenseitigen über den Interessensphären festgelegt. Polen wird Faschismus geteilt, die baltischen Staaten und Teile am Sowjeti- Rumäniens fallen der Sowjetunion zu. schen 1. September 1939: Mit dem Überfall der Ehrenmal im deutschen Wehrmacht auf Polen beginnt der Treptower Park Zweite Weltkrieg. Die polnische Armee kann in Berlin Foto: dem deutschen Druck nicht standhalten. Toni Petraschk/ Beginn der Morde an polnischen Intellektuellen Ostkreuz und Juden durch die SS. 17. September 1939: Die Rote Armee marschiert in Ostpolen ein. Das Land wird zwischen Deutschland und der UdSSR aufgeteilt. Ab 28.September 1939: Die UdSSR zwingt Litauen, Lettland und Estland „Freundschafts- verträge“ auf. Sie werden zu Sowjetrepubliken. 18. Dezember 1940: Hitler unterzeichnet die Weisung „Barbarossa“ zum Angrif auf die Sowjetunion. 22. Juni 1941: 3,2 Millionen deutsche und verbündete Soldaten greifen an. Der Wehr- macht gelingt ein rascher Vorstoß. Sowjetische Funktionäre werden systematisch ermordet. 3. Juli 1941: Stalin proklamiert den „Großen Vaterländischen Krieg“. Er ruft zum Einsatz von Partisanen auf. Doch noch im Juli fallen Minsk und Smolensk, im September wird Kiew, im Oktober Odessa von der Wehrmacht erobert. August 1941: Spätestens zu diesem Zeitpunkt dehnen die Einsatzgruppen der SS, der auch Polizeibeamte angehören, ihre Morde an sowjetischen Funktionären auf Zivilisten, ins besondere auf Jüdinnen und Juden aus. Die Menschen werden meist an vorbereiteten Massengräbern hinter der Front erschossen. 8. September 1941: Beginn der Blockade von Leningrad. Bis 1944 sterben etwa 1,1 Millionen Menschen. 29./30. September 1939: In der Schlucht von Babi Jar bei Kiew ermordet die SS etwa 33.000 Jüdinnen und Juden. November 1941: Deportation und Ermordung deutscher Juden in Riga und Minsk. In Minsk entsteht ein deutsch-jüdisches Ghetto. 1. Dezember 1941: Die Wehrmacht bricht Der Treptower Park und ich ihren Angrif auf Moskau ab. Gegenangrif der Roten Armee. Die Wehrmacht hat inzwischen Das Sowjetische Ehrenmal, errichtet 1949, ist Soldatenfriedhof und Gedenkstätte zugleich. etwa 3 Millionen sowjetische Soldaten Jährlich werden hier am 9. Mai Kränze niedergelegt. Was sagt es einem Jugendlichen heute? gefangen genommen. Bis 1945 sterben mehr als 3 Millionen der insgesamt 5,7 Millionen Von Ilja Gerlach Kriegsgefangenen in deutschem Gewahrsam. 20. Januar 1942: Wannseekonferenz zur 1946 suchten die Sowjets einen Platz, dings steht das ganze Ehrenmal unter ner Verwandten aus Russland bedau- Ich glaube, dass mein Stiefopa Organisation der Ermordung der europäischen um ihre gefallenen Kameraden zu Denkmalschutz, weshalb es nicht ein- ern noch heute den Verlust von vie- deutlich glücklicher wäre, wenn Juden. Bis zu diesem Zeit hatten die Nazis beerdigen und an sie zu denken. Der fach wäre, diese Sätze zu entfernen. len lieben Menschen aus ihrer Fami- sein Vater nicht in einem Panzer im etwa 900.000 Jüdinnen und Juden in Deutsch- Treptower Park in Berlin schien da- Das Ehrenmal wirkt auf mich mit lie oder der Nachbarschaft. Zweiten Weltkrieg so verbrannt wor- land, Polen und der UdSSR getötet. für geeignet zu sein, also fing man großer Ruhe und Stille. Alles ist über- Meiner Meinung nach ist Krieg den wäre, dass er sein Leben lang an 28. Juni 1942: Beginn der deutschen Ofen- an, eines der bedeutsamsten Ehren- dimensional und man erkennt an eine Ideologie. So viele Menschen Albträumen litt. Viele Soldaten, die sive im Kaukasus. Im August erreicht die mäler für den Zweiten Weltkrieg zu vielen Stellen Details. Es ist zu mer- eines Landes zu töten, bis sich das überlebt haben, kamen zwar kör- Wehr macht die Wolga. bauen. An den Seiten stehen viele ken, dass man sich bei seinem Auf- Land ergibt, klingt für mich wie ein perlich gesund, aber seelisch krank August 1942: Die Vernichtungsstätte Maly rechteckige Steine, die Sarkophage bau viel Mühe gegeben hat. Es sind schlechtes Computerspiel, in dem aus dem Krieg zurück. Diese ganzen Trostinez bei Minsk geht in Betrieb. Mindestens symbolisieren sollen. Etwas proble- etwa 27 Millionen Menschen allein man den Bezug zur Realität kom- schreckliche Erlebnisse begleiteten 60.000 Menschen, vor allem Jüdinnen und matisch ist aber, dass diese „Särge“ in der Sowjetunion durch den Krieg plett verloren hat. Das ist schlimmer sie noch ein Leben lang. Juden, werden dort ermordet. mit Zitaten von Josef Stalin versehen gestorben, allerdings hätte man das als die Fünfjährigen, die sich um ein Die Erinnerung an den Krieg ist 2. September 1942: Beginn der Belagerung sind, weil er damals der Herrscher Ehrenmal auch generell für alle er- Eis streiten. Und das soll was heißen. für mich sehr wichtig, und ich hoffe, Stalingrads. Größte Ausdehnung des deut- der Sowjetunion war. Stalin war ein richten können, die im Krieg ihr Le- Ich hoffe, dass wir in Zukunft bessere dass sie der Menschheit noch lange schen Machtbereichs im Zweiten Weltkrieg. totalitärer Diktator und anfangs ein ben verloren haben. Da ich ein hal- Lösungen für Probleme finden und im Kopf bleibt. 31. Januar 1943: Kapitulation der deutschen guter Partner von Adolf Hitler. Da- ber Russe bin, meine Mutter stammt dass nicht noch mehr Leben von un- 6. Armee bei Stalingrad. Bis zum Mai verliert her finde ich es nicht zeitgemäß, sol- aus dem Ural, geht mich das Thema schuldigen Menschen aufs Spiel ge- llja Gerlach ist 13 Jahre alt und die Wehrmacht deutlich an Boden. che Zitate dort noch zu sehen. Aller- auch persönlich etwas an. Viele mei- setzt werden. lebt in Berlin. 19. April 1943: Aufstand im jüdischen Ghetto von Warschau. 3. August 1943: Beginn der sowjetischen Sommer ofensive, am 24. September wird Smolensk befreit, am 6. November Kiew. 28. November 1943: Konferenz von Teheran Was bedeutet Ihnen der 22. Juni 1941? unter Teilnahme von Roosevelt, Churchill, Eine Frage an die Kanz ler kan di da t*in nen der CDU, der Grünen und der SPD Stalin. Einigung über Besetzung und Teilung Deutschlands und die Westverschiebung Polens. … Armin Laschet … Januar 1944: Befreiung weiter Teile der „Der 22. Juni 1941 ist ein Tag der Erin- „Wenn ich an die Verbrechen der Wehrmacht auf dem Gebiet „Vor 80 Jahren überfiel die deut- Ukraine. Ende der Blockade von Leningrad. nerung – an das Leid und die Grau- der ehemaligen Sowjetunion denke, denke ich zum Bei- sche Wehrmacht die Sowjetunion. 6. Juni 1944: Landung der westlichen Alliierten samkeit, die der deutsche Vernich- spiel an Babyn Jar, ein Tal in Kiew, wo Deutsche innerhalb Es war der Auftakt zu einem bei- in der Normandie. Aufbau einer zweiten Front. tungs- und Ausbeutungskrieg bei den von 36 Stunden mehr als 33.000 ukrainische Jüdinnen und spiellosen, an Berliner Schreib- 13. Mai 1944: Befreiung der Krim. Ab dem Völkern der Sowjetunion verursacht Juden ermordeten. Ich denke an die Leningrader Blockade, tischen geplanten Vernichtungs- 22. Juni sowjetischer Großangrif im Mittel- hat. Innerhalb von nur 4 Jahren star- die drei Jahre dauerte und über eine Million Menschen das krieg gegen die Völker der Sow- abschnitt. Befreiung von Minsk am 3. Juli. ben über 25 Millionen Menschen. Die Leben kostete. Und ich denke an die mehr als drei Millionen jetunion – gegen Russen, Polen, Die Rote Armee dringt in Polen ein. Versöhnung, die wir heute sehen, und Soldaten der Roten Armee, die in deutscher Kriegsgefangen- Ukrainer, Weißrussen, aber auch 20. Juli 1944: Fehlgeschlagenes Attentat auf die guten persönlichen Beziehungen schaft umkamen. Deutschland trägt eine bleibende Verant- Sinti und Roma, Jüdinnen und Ju- Adolf Hitler. zwischen Menschen, deren Väter und wortung für diese Verbrechen, für die Hinterlassenschaften den. Bis heute ist diese Geschichte 1. August 1944: Beginn des Warschauer Großväter noch Feinde waren, all das und erst Recht für die Aussöhnung. Deshalb ist der Dialog präsent und allgegenwärtig. In in- Aufstands, von den Deutschen nieder ge- ist wie ein Wunder. Wir müssen alles und die Brücke zur Zivilgesellschaft in Russland, in Belarus, dividuellen Biografien, in Famili- schlagen. Die nahen sowjetischen Truppen dafür tun, uns als Menschen verbun- in der Ukrai ne für uns so wichtig. Die Verantwortung für die enerzählungen, an den Orten des greifen nicht ein. den zu bleiben. Und bei allen aktuel- Geschichte steht jenseits der politischen Differenzen in der Schreckens. Wir als heutige Politi- 12. Januar 1945: Die Rote Armee dringt in len Konflikten mit Russland dürfen Gegenwart, sei es mit dem Kreml oder auch mit dem Regime kergeneration haben eine beson- Schlesien und in Ostpreußen ein. wir nie vergessen, wie viele unschul- in Belarus. Zu unserer konkreten Verantwortung als Deutsche dere Verantwortung, für Völker- 27. Januar 1945: Befreiung des Vernichtungs- dige Millionen Menschen unter dem gehören würdige Grabstätten für ermordete Opfer an den recht, Frieden und das Zusammen- lagers Auschwitz. deutschen Angriffskrieg gegen die Hunderten Erschießungsstellen auf dem Gebiet der ehema- wachsen unseres Kontinents und 16. April 1945: Oder-Ofensive der Roten Sowjetunion gelitten haben. Das ist für ligen Sowjet union. Dies ist ein kleiner Beitrag, den Deutsch- die Erinnerung an das aufrechtzu- Armee leitet den Angrif auf Berlin ein. mich die Lehre, die auch nach 80 Jah- land heute leisten kann, aber einer, der für die kommende erhalten, was für alle Zeit gelten Am 22. April erreichen die Sowjets den ren von diesem Tag ausgeht.“ Bundesregierung beizutragen bleibt.“ muss: Nie wieder!“ Stadtrand, am 2. Mai kapituliert die Stadt. 8./9. Mai 1945: Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht, zuerst in Reims, dann im Hauptquartier der Roten Armee in Berlin- Impressum Karlshorst. Klaus Hillenbrand Redaktion: Thomas Gerlach, Klaus Hillenbrand, Barbara Oertel, Stefan Reinecke, Sabine Seifert I Fotoredaktion: Nadine Torneri I Layout: Christiane Voß taz ! montag, 21. juni 2021 überfall auf die sowjetunion 03 Blutige Erde Jede Stadt, jedes Dorf, jeder Mensch erzählt im Osten Europas von Vernichtung und Massenmord – das alles, so bekennt der Historiker Karl Schlögel, ist viel zu monströs, um es wirklich begreifen zu können. Trotzdem muss man es versuchen

Von Karl Schlögel

er nach dem Anfang denmord, aber nur wenig vom Krieg gebo- Juli 1941: Sow- Massensterben der sowjeti- ren oder auf- jetische schen Kriegsgefangenen. Man gewachsen Kriegsgefan- spricht vom Russlandfeldzug, ist und sich gene an einer obwohl sich Krieg und Besat- auch nur ein Sammelstelle zung vor allem in der Ukraine wenig dafür interessiert hat, der Wehr- und Belarus abgespielt hatten. W macht, vermut- was „im Osten“ geschehen ist, Man wird nicht müde, auf die dem haben sich die Bilder ein- lich in Belarus, ukrainischen Hilfswilligen zu gebrannt: von den Ruinenland- der Fotograf verweisen, während die russi- schaften, Städten wie Minsk, ist unbekannt. sche Wlassow-Armee kaum er- Derzeit über die zweimal die Walze des wähnt wird. Es reicht nicht ein erinnert eine Kriegs hinweggerollt war, die Leben, jedenfalls nicht meines, Ausstellung in Filmaufnahmen vom Pogrom Berlin-Karls- nicht das einer Generation, um in Kaunas, den Massenerschie- horst an das wirklich zu erfassen, geschweige ßungen von Juden im kurländi- Schicksal von denn dahinterzukommen, was schen Libau, von den Hundert- sowjetischen da passiert ist. tausenden gefangenen Rotar- Gefangenen; Im achtzigsten Jahr der Wie- misten, die auf blanker Erde siehe Seite 5 derkehr des Angriffs auf die So- zusammengepfercht Krankheit Foto: dpa/ wjetunion bedrückt einen nicht und Tod ausgeliefert waren, von picture alliance nur die Ungeheuerlichkeit der den Galgen, die überall errich- deutschen Verbrechen, son- tet waren, wo es Partisanen gab dern auch, dass es ein diesem oder es danach aussah, von den Anlass angemessenes gemein- zerstörten Fabriken, die alles sames Gedenken nicht gibt, zunichte gemacht hatten, was derzeit wohl auch nicht geben in einer beispiellosen Kraftan- kann. Putins Russland führt strengung in den Vorkriegsjah- Krieg gegen die Ukraine, Luka- ren aufgebaut worden war. schenko hetzt seine Schläger auf Wir haben die Statistiken im das Volk, in Russland gibt es fast Kopf mit den unfassbaren Zah- täglich neue Maßnahmen, um len der Opfer unter Zivilisten jede oppositionelle Regung im und Militär. Wir sehen die Lenin- rollend und sich mit verbunde- in der Literatur: Konstantin Si- dem Krieg jungen, angehenden Rot armisten. Ich war zum ersten Keim zu ersticken. grader, die ihre Toten auf Schlit- nen Händen vorwärts stoßend. monow, Wiktor Nekrassow, Da- Hoferben aus dem Allgäu, nicht Mal in Babi Jar: In der Schlucht Aber es ist nicht aller Tage ten über die vereisten Straßen Auf den Campingplätzen traf ich niil Granin, Lidia Ginsburg. mehr interessiert. Sogar in der am Kiewer Stadtrand waren in Abend. Als Wassili Grossman in ziehen, und die Rauchwolken auf Kriegsveteranen, die mich Später traf ich den Historiker scheinbar von Kriegsschrecken drei Tagen im September 1941 den sechziger Jahren die Veröf- über den von Stukas in Brand ins Zelt baten, weil sie mit dem Alexander Nekritsch, der in den so abgelegenen Gegend gab es über 30.000 Juden getötet wor- fentlichung seines Romans „Le- geschossenen Lebensmittel- Deutschen reden und ihn wohl sechziger Jahren die Legende Spuren, die in „den Osten“ führ- den. Ich war in Charkiw, weil ich ben und Schicksal“ forderte, be- magazinen. Wir sehen die Res- auch testen wollten, wie viel er von Stalin als militärischem ten – auf den Friedhöfen gab es die Architektur der sowjetischen schied ihm die Ideologie-Abtei- tauratoren in den Gewölben der vom Kräuterschnaps vertrug. Genie infrage gestellt hatte und die Schilder mit der Zeile „gefal- Avantgarde bewunderte, und lung der KP, dieser würde auch Eremitage, die die Kunstschätze So weit ich mich erinnern dann ins Exil nach Harvard ge- len im Osten“, und viele im Dorf entdeckte erst später, dass dies in 200 Jahren nicht erscheinen packen für die Evakuierung kann, bin ich nie als Deutscher gangen war. Ich lernte bei der erinnerten sich noch an „den auch eine Metropole im Land können. Grossmans Epos zeigt in den Ural, den Platz vor der geschnitten worden. Ich kann Vorbereitung der „Berlin – Mos- Ukrainer“, „die Ukrainerin“, die des Holodomor4 und der deut- das ganze Drama zwischen Sta- Isaaks-Kathedrale, auf dem nun mir bis heute diese merkwür- kau“ Irina Antonowa, die Direk- als Ersatz für die Männer an der schen Besatzung war. So war es lingrad und Berlin, zwischen Kohl gepflanzt wird; und doch dige Großzügigkeit nicht recht torin des Puschkin-Museums Front Zwangsarbeit leisteten – überall, in diesem von Unglück, dem Getto in Berditschew und gibt es Schostakowitschs „Lenin- erklären, waren sie es doch, die kennen (und schätzen), die als über 2 Millionen Menschen wa- Terror, Massenmord verheerten der „Hölle von Treblinka“, zwi- grader“1. Und vor allem: Wir se- nach 1945 um die Früchte ihres junge Frau ins besetzte Berlin ren aus der Ukraine ins Reich de- Land. Und so ist es heute, wohin schen Buchenwald und Wor- hen vor der Schneelandschaft Siege gebracht worden waren, gekommen war, um Kunstob- portiert worden. auch immer ein Deutscher im kuta. Die damals Mächtigen die wie Säulen in den Himmel während die Feinde von gestern jekte zu requirieren. Der Vater hätte mir vielleicht östlichen Europa unterwegs ist. haben sich verrechnet, Wassili ragenden Schornsteine der nie- sich fast alles leisten konnten. Die Gespräche in Moskau, Le- sagen können, was er mit eige- Es war eine der Langzeitfol- Grossman war stärker. dergebrannter Dörfer. Das weite Ich habe die vom Krieg ver- ningrad und Kiew in den Acht- nen Augen gesehen hat. Als „Ku- gen des Kalten Kriegs und der Land entvölkert. Abermillionen heerten Orte gesehen, die Denk- zigern drehten sich allerdings lak“2 hatte er einen Horror vor Teilung Europas, dass uns die 1 auf der Flucht, Tausende von Fa- mäler und Dioramen in Sewas- weit mehr um die Gewalt im Kollektivierung und Kolcho- Welt jenseits des Eisernen Vor- Die Leningrader Sinfonie briken ostwärts verfrachtet. „Al- topol und Dnipropetrowsk, die Lande selbst, um die innere Ver- sen, er schwärmte auch später hangs fremder wurde als die widmete Dmitri Schostakowitsch der belagerten Stadt, sie wurde les für die Front!“. von einem Gitter oder Mäuer- wandtschaft der Diktaturen Hit- noch von den Weizenfeldern in Rückseite des Monds. Für die in dort am 9. August 1941 uraufge­ Wir haben nicht alles, aber lers und Stalins, die Schicksale, der Ukraine und machte sich der DDR Aufgewachsenen sieht führt. viel gelesen, und wir haben ver- die mit dem Großen Terror, dem tatsächlich noch einmal dort- es wohl anders aus. Sie waren 2 Kulaken, selbstständige Bauern, standen, dass es nicht allein Dik- Gulag und der Verbannung ver- hin auf den Weg, wo er 40 Jahre durch Ausbildung, Beruf, Reisen wurden mit ihren Familien tatur und Stalins Befehl Nr. 227 bunden waren. Für die meisten zuvor gewesen war: Kiew, Dni- näher an den Schauplätzen, aber zwischen 1929 und 1932 in Lager „Kein Schritt zurück“ war, son- überdeckte der Große Vaterlän- propetrowsk, Odessa, Rostow, mussten aus lauter Nähe zur Sie- deportiert oder erschossen. dern Not, Überlebenskampf, dische Krieg den Krieg, den Sta- Wolga-Don-Kanal – Stalingrad, germacht auch vieles verdrän- 3 NKWD: Geheimpolizei der Heimatliebe, Hass auf einen lin gegen das eigene Volk lange das nun Wolgograd hieß. Von gen oder übersehen. Sowjetunion von 1934 bis 1946. Eindringling, der nicht einmal vorher entfesselt und nach dem der Schiffstour gibt es Fotos mit Die Wahrnehmung dessen, 4 Holodomor (ukr.) bezeichnet die erklären konnte, was er dort zu Es war mir bei Sieg über Hitler wieder aufge- Neptunfest an Bord. was im Krieg geschehen war, Hungersnot, bei der in den 1930er suchen hatte. Wir haben die Ge- meinen Reisen nommen hatte, mit der Depor- Erst nach seinem Tod habe ich blieb asymmetrisch – und ist Jahren bis zu 7 Millionen Men­ schichte und die Theorien stu- nicht klar, dass tation ganzer Völker, der Depor- seine Stationen an der Ostfront es bis heute. Man weiß vom Ju- schen in der Ukraine starben. diert, die uns erklären wollen, tation von Hunderttausenden im Wehrpass aufgelistet gefun- wie es dazu kam: zum Welt- ich mich auf den aus dem „befreiten“ Baltikum den, sie decken sich exakt mit krieg, zum Überfall auf die So- Spuren meines und der Ukraine, der Bestra- den Daten der Militärhistori- Anzeige wjetunion, zur Schoah. Vaters bewegte fung von Hunderttausenden der ker. Mein Vater kam bis Stalin- Aber sie kommen nicht he- in ihre Heimat zurückgekehrten grad, wurde aber ausgeflogen, ran an das Erleben derer, die Zwangsarbeitern und Kriegsge- bevor der „Kessel“ geschlossen in diese heillose und furcht- fangenen, die als Vaterlandsver- wurde. Er hatte die Ortsnamen, bare Geschichte hineingezo- chen eingefassten Grabstätten räter verdächtigt worden waren. die über Leben und Tod ent- gen, in ihr umgebracht worden für Rotarmisten in fast jeder Es war mir bei meinen Reisen schieden, immer parat: Stalino oder umgekommen sind. Es gibt Siedlung im ehemaligen Kriegs- seit den siebziger Jahren nicht (heute Donezk), Kalatsch, Gum- Foto:Bundesarchiv(Bild 14 6-2007-0127, eine unüberschreitbare Mauer gebiet. Auf der Datscha an der klar, dass ich mich auf den Spu- rak, Rostow, Charkiw. CC-BY-SA 3.0., wikimedia.org) in der Verständigung zwischen Moschajsker Chaussee kamen ren meines Vaters bewegte, der Meine späteren Reisen be- einer so erfahrungsarmen Ge- die Nachbarskinder manchmal – bis auf ein Jahr in Belgien und wegten sich in dem von Krieg neration wie der meinen und mit Menschenknochen aus dem Frankreich – an der „Ostfront“ und Völkermord kontaminier- Vor80Jahren:Überfallauf die Sowjetunion jenen, die alles, was das Jahr- Wald zurück – Überreste der im Einsatz war. Wie viele meiner ten Gelände. Ich kam nach hundert an Katastrophen be- Schlacht um Moskau. Generation, die alles besser und Lwow/Lwiw, weil ich die Viel- Derrassenideologische VernichtungskriegNazi-Deutschlands reit hielt, durchlebten oder da- Alle Orte hatten ihre beson- sich auf der richtigen Seite der völkerstadt Lemberg suchte brachte unendliches Leid über dieMenschenund forderte mehr rin zugrunde gingen. dere Bedeutung: Brest, wo die Geschichte wussten, war es bald und stieß auf die Massaker des als27Millionen Opferaus allenTeilen derSowjetunion. Ich war 1966 zum ersten Mal Gleise breiter wurden, war der zum Bruch gekommen. Man NKWD3 und die Judenpogrome Es liegtinder Verantwortung heutiger in der Sowjetunion (in einer Ort der gemeinsamen Parade schwieg, wo es besser gewesen des ukrainisch-nationalisti- Generationen, dass niemand diese Gräueltaten Schülergruppe aus einem baye- von Wehrmacht und Sowjetar- wäre, nachzubohren und zuzu- schen Mobs. Ich kam nach Brody je vergessen oder relativierendarf! rischen Benediktiner-Internat). mee nach der Zerschlagung Po- hören. Aber ich, der marxistisch auf der Suche nach der Schule Zwei der Lehrer waren in russi- lens im September 1939 und aufgeklärte und moralisch über- Joseph Roths, wusste aber nichts Wirtretenein: scher Kriegsgefangenschaft ge- nach dem 22. Juni 1941 der Ort legene Sohn, war an dem Ge- von der mörderischen Kessel- •für eine angemessene Erinnerungund Würdigung wesen, hatten Russisch gelernt des Kampfs „bis zum letzten spräch mit dem Vater, dem vor schlacht und den Abertausen- derOpfer und sprachen bewegt von dem Tropfen Blut“ gegen die Deut- den sowjetischen Kriegsgefan- •gegen jede Form vonGeschichtsrevisionismus „russischen Menschen“, der ih- schen! Wer vom Flughafen in genen. Ich kam nach Kiew, wo •für eine Friedenspolitik, dieimDialog mitRussland undden anderen Staaten derehemaligen Sowjetunion nen geholfen hatte, lebend da- Sche re metjewo ins Moskauer Karl Schlögel, 1948 im Allgäu der Campingplatz in Darni- vonzukommen. Zentrum fuhr, passierte die Pan- tsa nicht weit entfernt lag von eine neue Politikder Entspannung geboren, Osteuropahistoriker, undAbrüstung in Europa ermöglicht. Auf den Straßen von Kiew zersperren. Der Krieg war allge- Publizist, vielfältige Veröfent­ den NKWD-Erschießungsplät- und Kursk sah man damals noch genwärtig. Bei den Treffen der lichungen zur sowjetischen zen von 1937 und den deut- die vom Krieg Verstümmelten, Veteranen im Gorki-Park, wo sie Geschichte, unter anderem „Der schen Lagern für die im Kiewer https://vvn-bda.de/wir-erinnern-80-jahre- ueberfall-auf-die-sowjetunion/ auf ihren hölzernen Wägelchen sich zum Tanz einfanden. Oder Duft der Imperien“ (2020). Kessel gefangen genommenen 04 überfall auf die sowjetunion montag, 21. juni 2021 taz ! 05

er Friedhof liegt etwas außerhalb stätte. Der Friedhof hat seine eigene Geschichte von Anderlingen, einer kleinen Ort- und Ordnung, so wie das Lager seine eigene Hier- Porträts schaft im niedersächsischen Land- archie hatte, in der die sowjetischen Gefangenen kreis Rotenburg. Er ist gut gepflegt, ganz unten standen. Dort, wo die Leichname der der Opfer das Gras saftig grün, die Wege sind sowjetischen Gefangenen in 70 Massengräbern frisch geharkt. Es gibt ein Mahnmal, beigesetzt wurden, sind keine Namen zu sehen, Eine Ausstellung in Berlin Ddas die Namen der Gefallenen des Dorfes aus dem nur orthodoxe Kreuze an den Umfassungsmau- erinnert an sowjetische Ersten und Zweiten Weltkriegs auflistet, umrankt ern lassen einen osteuropäischen Hintergrund er- Kriegsgefangene von lila blühenden Rhododendronbüschen. Am ahnen. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele Tote anderen Ende des Friedhofs, wo Gras über die ein- hier wirklich liegen“, sagt Hellwinkel, knapp 4.700 geebneten Gräber gewachsen ist, steht ein einzel- Opfer sind der Gedenkstätte namentlich bekannt. Zum Beispiel an Diomid Ta- ner grauer Felsstein, nicht sehr groß. „Unbekann- Auch die im April 1945 nach Sandbostel verlegten wadse: Der 1921 geborene ter russischer Soldat“ steht darauf. Wer war er, der und verstorbenen 3.000 KZ-Häftlinge aus Neu- Student aus Georgien kämpft unbekannte russische Soldat? Wie kam der Stein engamme sind in den 1950ern auf die Kriegsgrä- bei der Roten Armee. Am 3. Juli dorthin und wer hat ihn gesetzt? berstätte umgebettet worden. Eine große Wiese, Namenlos 1941 gerät er bei Minsk in deut- „Der Stein ist typisch für die Einzelgräber“, sagt kleine Gedenksteine in Dreiergruppen, mehr ist verscharrt: sche Gefangenschaft. Mitte Ok- Lars Hellwinkel, Jeans, Brille, hellblau kariertes nicht zu erkennen. Grab eines tober wird er in das Lager Stalag Hemd. „Er steht am Rand des Friedhofs – versteckt Der Friedhof atmet an diesem Tag friedlich: unbekannten 321 Oerbke in Niedersachsen und getrennt von den deutschen Gräbern.“ Der hohe Bäume, die Schatten spenden, lila, rot und sowjetischen verlegt. Die Gefangenen leben Geschichtslehrer, Jahrgang 1974, arbeitet als pä- weiß blühen die Sträucher. Vom Eingangstor läuft Kriegs- in Erdlöchern. Seuchen breiten dagogischer Leiter der nahen Gedenkstätte La- man auf ein Rondell mit drei Stelen aus Sandstein gefangenen sich aus. Am 26. Dezember 1941, ger Sandbostel, einem ehemaligen Kriegsgefan- zu. Hier stand bis 1956 ein großes Ehrenmal, das auf dem kurz vor seinem 21. Geburts- genenlager. 140 solcher Lager richtete die Wehr- die sowjetische Militäradministration zu Ehren Friedhof von tag, stirbt Diomid Tawadse. Als macht nach Kriegsbeginn ein; in Sandbostel ihrer im Stalag X B „zu Tode gequälten“ Soldaten Anderlingen Todesursache wird „allgemeine durchliefen bis zur Befreiung am 29. April 1945 errichten ließ. Das Land Niedersachsen hat es 1956 Körperschwäche“ angegeben, insgesamt 300.000 Menschen das Lagersystem, in der Hochzeit des Kalten Krieges abtragen las- schiedlichen Biografien sei interessant für die Ju- Die Sonne scheint an diesem Junitag, die über eine Chiffre für den Hungertod. davon 70.000 sowjetische Kriegsgefangene. Die sen. „Die Schüler stehen dann hier und fragen ent- gendlichen, „wenn sie erkennen, wie lange die Sol- die Jahrzehnte gräulich gewordenen Holzwände Tawadse ist einer von mehr meisten wurden in Arbeitskommandos geschickt, geistert“, erzählt Hellwinkel: „Wie, das hat man ein- daten im Lager überlebt haben, manche nur einen sind verblichen. Wo sich früher eine Lagerküche als drei Millionen sowjetischen in die Landwirtschaft oder Rüstungsbetriebe. Ge- fach abgerissen? So sind wir gleich drin in der De- Monat“. Sowjetische Kriegsgefangene hatten die befand, sind im Innenraum noch die Abdrücke der Soldaten, die die Kriegsgefan- schätzt 10.000 von ihnen starben an Unterernäh- batte über Erinnerungspolitik.“ geringsten Überlebenschancen. „Wenn die Schü- runden Kessel zu sehen. In einer anderen Baracke genschaft nicht überleben. Sie rung, durch Krankheiten oder eine Gewehrkugel, An diesem Ort setzt Hellwinkel mit den Schul- ler verstehen, dass sie eigentlich genauso schlecht haben DDR-Jugendliche farbige Wandbilder hin- und die Überlebenden stehen manche im Lager, andere an ihren Einsatzorten. klassen das Namensziegel-Projekt fort: Je de*r behandelt wurden wie KZ-Insassen, und wenn sie terlassen. Die Nutzungsschichten überlagern sich. im Mittelpunkt der Open-Air- Es war die Wehrmacht, die ein dichtes und Schü le r*in erhält eine Personalkarte eines ver- dann sehen, dass manche auch in ihrer Heimat- Authentisch bewahren lässt sich so ein Ort nicht, Ausstellung „Dimsionen eines kaum zu übersehendes Netz an Zwangsarbeits- storbenen sowjetischen Gefangenen. So haben gemeinde zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden, aber authentisch nutzen. Verbrechens“ im Deutsch-Rus- lagern aufbaute und lieblos und oft anonym be- sie eine karge Biografie, ein Foto und einen Ton- wird Geschichte für sie greifbar. Sie verstehen, Auf dem Rückweg steuert Lars Hellwinkel seinen sischen Museum Berlin-Karls- stattete Tote hinterließ. ziegel, in den sie den Namen ritzen können. Später dass diese Politik die Umsetzung einer mörderi- Wagen in Richtung Bremervörde. Etwa zehn Kilo- horst. Auf großen Tafeln auf ei- Die Kirchengemeinden führten nicht immer werden die Ziegel gebrannt und in die von Berufs- schen Ideologie war. Das ist Vernichtungskrieg.“ meter beträgt die Strecke, die die Gefangenen vom ner Wiese finden sich Porträts gewissenhaft Buch über die Begräbnisse sowje- schülern gefertigten metallenen Stelen eingefügt, Doch warum wurden die Gefangenen so ek- dortigen Bahnhof zu Fuß nach Sandbostel laufen der Geknechteten. Es findet sich tischer Gefangener, sagt Lars Hellwinkel, oftmals die in einem Halbrund auf einem Hügel stehen. latant unterschiedlich behandelt? Deutschland mussten. Es gibt fünf Fotografien, die ein unbe- dort ebenfalls die Order des Ge- seien sie gar nicht informiert worden. Die Gefan- Hellwinkel führt seine Gäste durch den Stelen- führte auch gegen andere Länder einen vernich- kannter Wachmann von den ersten sowjetischen neralquartiermeisters des Hee- genen trugen eine Metallmarke mit ihrer Erken- wald, „zum 80. Jahrestag sind wir mit dem Pro- tenden Krieg. „Es gab immense Unterschiede“, be- Ankömmlingen im Herbst 1941 gemacht hat. Mit res vom November 1941, der nungsnummer um den Hals; diese wurde manch- jekt fertig“, sagt er. Die Personalkarten waren mit stätigt Gedenkstättenleiter Andreas Ehresmann Bleistift geschrieben steht auf der Rückseite eines deutlich macht, dass dies ein mal in den Kirchenbüchern notiert. Namen oder am Telefon. Die westeuropäischen, aber beispiels- Fotos: „Erschossener Russe von uns, weil Flucht auf deutscher Vernichtungskrieg Herkunftsland der Toten blieben meist unge- weise auch polnische Gefangenen seien pragma- Gemüseacker“. Bäuchlings liegt der Tote im Feld, er war: „Nichtarbeitende Kriegs- nannt, wenn es darum ging, ihnen einen Stein tisch als Arbeitskräfte wahrgenommen worden, hatte vermutlich Hunger. Eine andere Aufnahme gefangene haben zu verhun- auf dem Friedhof zu setzen. „Bei diesem hier wird erklärt er, „sie waren nicht vom antislawischen zeigt den Ort, eine enge Straße mit Spitzgiebelhäu- gern.“ zumindest die Nation genannt“, erklärt Hellwin- Rassismus betroffen“. Sie galten nicht als „Un- sern, die heute noch an der Straße zum Bahnhof Auf der Wiese stehen auch, kel auf dem Anderlinger Friedhof. In anderen Fäl- termenschen“ oder „jüdische Bolschewisten“, sie stehen. „Man kann nicht sagen, dass man nichts nebeneinander, die Bilder von len stünde nur „unbekannter Soldat“ oder einfach wurden zumindest formal nach der Genfer Kriegs- sehen konnte“, sagt Hellwinkel. Der Bahnhof habe Iwan Demjanjuk und Ale xandr „Russe“ auf einem Stein. Den in Anderlingen hat, rechtskonvention behandelt. Und die niedrigere bis heute kein Hinweisschild auf die Transporte. Petscherski. Der eine entkam der vermutet er, der Volksbund Deutsche Kriegsgrä- Sterberate, auch unter Polen, scheint dies zu bele- In über tausend Arbeitskommandos wurden Gefangenschaft durch seine Kol- berfürsorge in den 1950er Jahren gesetzt. gen. Zum Vergleich: 90.000 Franzosen waren in die Kriegsgefangenen von Sandbostel verteilt. In laboration mit der SS – er wurde Die Gedenkstätte Sandbostel hat die Corona- Sandbostel interniert, von ihnen starben nachweis- fast jedem Dorf gab es Zwangsarbeiter, die nahe zum „Hilfswilligen“ im Vernich- Zeit genutzt, die Grabstellen sowjetischer Solda- lich 103. Von den 70.000 sowjetischen Gefange- an den Menschen lebten, mit ihnen arbeiteten. Sel- tungslager Sobibor. Der Zweite, ten im einstigen Wehrkreis X zu identifizieren, nen starben verbürgt 4.696, in Wahrheit dürften ten entstanden so Freundschaften, noch seltener ein Musik- und Theaterwissen- dem das Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stamm- es deutlich mehr sein. Liebschaften. Wie bei den Eltern von Gerd A. Meyer, schaftler, organisierte im Okto- lager Sandbostel (Stalag X B) zugeordnet war. Bis Eine Ausstellung führt durch die Geschichte des dessen Vater Anatolij Pokrowskij auf einem Hof in ber 1943 den Aufstand der Ge- heute, achtzig Jahre nach Beginn des grausamen Lagers. Klassische Führungen veranstalten sie in Haaßel arbeitete, wo er mit der Tochter des Hauses, fangenen von Sobibor. Beide ha- Angriffs- und Vernichtungskriegs der Deutschen Sandbostel nicht, sondern es gibt Projektarbeit, Tine, ein verbotenes Verhältnis hatte. Pokrowskij ben sie überlebt. Demjanuk aber Gedenkstätte gegen die Sowjetunion, sind viele Schicksale sow- Studientage, internationale Workcamps. Die Ge- starb im April 1945 im Lazarett von Sandbostel, im wird 2011 in München für seine Sandbostel in jetischer Kriegsgefangener ungeklärt. Das hat mit denkstätte ist keine nationale Einrichtung; sie wird November wurde Sohn Gerd geboren. Tine Meyer Taten zu fünf Jahren Haft verur- Niedersachsen. verschleppten Dokumenten, verschlossenen Ar- durch eine private Stiftung mit Landesbeteiligung erfuhr nie, was mit ihrem Freund geschehen war. teilt. Klaus Hillenbrand Hier stand bis chiven und dem Kalten Krieg zu tun. Doch selbst finanziert. Das feste Team ist klein: drei Festange- 2009 konnte sich Gerd Meyer dank der geöffne- 1945 das heute lassen sich noch Schicksale klären. Kriegs- stellte plus zwei von Land und Kirche beauftragte ten Archive auf Spurensuche begeben. Er fand die Dimensionen eines Ver- Kriegsgefange- brechens. Sowjetische Kriegs- nenlager Stalag opfer werden der Anonymität und dem Verges- pädagogische Kräfte plus zwei Freiwillige. Und Krankenkarte seines Vaters, fuhr nach Russland ins X B. Etwa sen entrissen, Familien können erfahren, wo ihr eine Gruppe Ehrenamtlicher, ohne die die Arbeit Dorf seines Vaters und brachte von dort eine Tür- gefangene im Zweiten Welt- Zehntausend Angehöriger verstorben oder bestattet ist. kaum zu schaffen wäre. Immerhin hat Bundesprä- klinke mit, die am Haus seiner Großeltern hing. krieg. Sonderausstellung in inhaftierte Über das Grab in Anderlingen haben Hellwin- sident Frank-Walter Steinmeier Sandbostel am 14. Sein Vater, Anatolij Pokrowskij, Kosename Tolja, Karlshorst, geöfnet Dienstag Rotarmisten kel und ein Einheimischer herausgefunden: Der Lars Hellwinkel von der Gedenkstätte Juni einen Besuch abgestattet. „Es war eine große hat eines der wenigen Einzelgräber in der Kriegs- bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, starben „unbekannte russische Soldat“ war im April 1945 Ehre und Anerkennung unserer Arbeit“, sagt Leiter gräberstätte Sandbostel. Einer, der der Anonymi- bis 3. Oktober. Der Eintritt ist mit einem Pferdewagen auf eine Mine gefahren. dem Ende der Sowjetunion im russischen Militär- Andreas Ehresmann. „Und es ist ein wichtiges Zei- tät entrissen wurde. frei. „Das wusste man im Dorf“, erzählt Hellwinkel. Die archiv in Podolsk aufgetaucht, sie galten lange als chen, dass vom deutschen Staatsoberhaupt an den Straßen seien wegen der anrückenden britischen verschollen. Die NS-Bürokratie hatte dafür gesorgt, 80. Jahrestag des Überfalls, der ja den Beginn eines Armee vermint, die Personalunterlagen im Lager dass im Fall des Todes eines Kriegsgefangenen das völlig neuartigen Weltanschauungs- und Vernich- bereits vernichtet, so dass man den Toten nicht Datum in der Personalkarte vermerkt und diese an tungskrieges darstellte, adäquat erinnert wird.“ mehr identifizieren konnte. 212 Grabanlagen – die Wehrmachtsauskunftsstelle in Berlin geschickt Bei den namenlosen Toten vom Einzelgrab bis zu Massengräbern mit meh- wurde. Dort gerieten sie nach Kriegsende in die reren hundert Toten – haben er und seine Hel fe- Hände der Roten Armee, die sie nach Moskau mit- „Ich kann Ihnen nicht r*in nen aufspüren können. nahm, um dort vom Geheimdienst für die nächs- sagen, wie viele Tote hier Dachau kennen die meisten, Besonders gern bezieht Hellwinkel interes- ten 50 Jahre weggeschlossen zu werden. Erst die sierte Schü le r*in nen mit ein, die mit ihrer Klasse Öffnung der Archive nach dem Ende der Sowjet- wirklich liegen“ in die Gedenkstätte kommen. Ausgestattet mit ei- union brachte sie wieder zum Vorschein. Lars Hellwinkel, Gedenkstättenmitarbeiter Bergen-Belsen auch. Aber wer hat ner Personalkarte bekommen sie den Auftrag, die Die Digitalisierung war es, die der historischen Geschichte eines der Gräber in ihrem Heimatort Forschung in jüngster Zeit einen entscheidenden oder ihrer Umgebung zu rekonstruieren. Impuls verlieh. Erst seit zehn Jahren lassen sich die Hellwinkel erzählt von Lisa-Marie, einer Schüle- Namen von Gefallenen über das elektronische Ar- Die Gedenkstätte selbst gibt es erst seit 2013, ein schon einmal von Sandbostel rin aus der Ortschaft Donnern bei Bremerhaven. chiv des russischen Außenministeriums abfragen lokaler Verein hatte hartnäckig darum gekämpft, Dort gab es ein Einzelgrab auf dem Friedhof, auf und mit denen der vor zwei Jahren online gegan- dass die Stiftung einen Teil des Terrains erwerben dem nicht mehr als „Michail, gest. 10. 1944“ stand. genen Arolsen Archives abgleichen, ursprünglich konnte. Dass 13 (von einst 150) historischen Holz- gehört? Dabei starben hier, im Die Schülerin besuchte gezielt das Seniorenkränz- als Suchdienst von den Alliierten gegründet. Der und Steinbaracken überhaupt noch stehen, ver- chen der Kirche. Eine alte Frau erinnerte sich und ITS (International Tracking Service) im deutschen dankt sich ihrer Nutzung in der Nachkriegszeit: erzählte, dass „der hier erschossen worden ist – Bad Arolsen fragte nach 1945 alle Gemeinden nach als britisches Internierungslager, als Notaufnah- Kriegsgefangenenlager der wegen Arbeitsverweigerung“. „So hat der russische nichtdeutschen Toten ab, bat um Friedhofspläne, melager für geflüchtete DDR-Jugendliche, als Straf- Soldat zwar keinen Nachnamen bekommen“, sagt Totenlisten und Grabverzeichnisse. gefängnis, Bundeswehrdepot, zuletzt als Gewerbe- Hellwinkel zufrieden, „aber dank Lisa-Marie ken- Erst jetzt lassen sich falsch geschriebene Na- gebiet. Heute befindet sich nebenan ein Tiergna- nen wir wenigstens sein Schicksal.“ men, Geburts- oder Sterbedaten, Personalkarten denhof. Als der einstige französische KZ-Häftling Wehrmacht, etwa 10.000 sowjetische Hellwinkel ist Geschichtspädagoge, delegiert oder Erkennungsmarken zusammenfügen: aus Raymond Gourlin 2015 zu Besuch kam, erinnert vom Land Niedersachsen arbeitet er an zwei Tagen Nummern werden Biografien. Das gilt auch für sich Lars Hellwinkel, begann dieser zu zittern, als in der Woche in der Gedenkstätte Lager Sandbos- die Familien in Russland, Weißrussland oder der er das Jaulen eines der Hunde hörte. Gefangene. Ein Rundgang mit Lars tel, die anderen drei unterrichtet der promovierte Ukraine, die oft nicht wussten, wo ihr Angehöri- Die brutale Hackordnung spiegelte sich im Lager Historiker in Stade am Gymnasium. Auch wenn ger sein Leben ließ. Stalin galten die in Kriegsge- selbst wider. Die Unterkünfte der sowjetischen Ge- Grab von es sich um ein ehemaliges Kriegsgefangenenlager fangenschaft geratenen Soldaten als Verräter, die fangenen waren durch Stacheldraht getrennt von Anatolij Hellwinkel – mit Blick auf die Zukunft handelt, verbänden die Schüler mit dem Wort La- angeblich freiwillig für die Deutschen gearbeitet denen anderer Nationalitäten. Hellwinkel schließt Pokrowskij, ger meist etwas anderes, sagt Hellwinkel. „Ihre As- hätten. Starben sie, bekamen die Familien oft keine eine der Holzbaracken auf, die bestandswahrend Kosename soziationskette läuft so: Lager – Zweiter Weltkrieg Pension und forschten aus Angst nicht nach dem instandgesetzt wurden. Hier und da sind Holz- Tolja, eines der = KZ. Davon müssen wir sie erst mal wegkriegen.“ Verbleib ihrer Angehörigen. Wer aber Lager und Ar- balken für die Statik eingesetzt, wird ein Dach ge- wenigen Aus Anderlingen und Sandbostel Sabine Seifert (Text) und Kay Michalak (Fotos) Deswegen fängt er normalerweise nicht in der beitskommandos überlebt hatte, landete nicht sel- stützt. Zwei andere Baracken sind einsturzgefähr- Einzelgräber in Gedenkstätte selbst an, sondern am einstigen La- ten nach seiner Rückkehr im sowjetischen Gulag. det dem Verfall preisgegeben. „Da ist nichts mehr der Kriegsgrä- gerfriedhof von Sandbostel, der sich außerhalb be- Das Projekt mit den Namensziegeln liegt Lars zu erhalten“, sagt Hellwinkel. „Man soll ja in Ge- berstätte fand. Heute firmiert er offiziell als Kriegsgräber- Hellwinkel am Herzen. Die Arbeit mit den unter- denkstätten nicht rekonstruieren.“ Sandbostel 04 überfall auf die sowjetunion montag, 21. juni 2021 taz ! 05

er Friedhof liegt etwas außerhalb stätte. Der Friedhof hat seine eigene Geschichte von Anderlingen, einer kleinen Ort- und Ordnung, so wie das Lager seine eigene Hier- Porträts schaft im niedersächsischen Land- archie hatte, in der die sowjetischen Gefangenen kreis Rotenburg. Er ist gut gepflegt, ganz unten standen. Dort, wo die Leichname der der Opfer das Gras saftig grün, die Wege sind sowjetischen Gefangenen in 70 Massengräbern frisch geharkt. Es gibt ein Mahnmal, beigesetzt wurden, sind keine Namen zu sehen, Eine Ausstellung in Berlin Ddas die Namen der Gefallenen des Dorfes aus dem nur orthodoxe Kreuze an den Umfassungsmau- erinnert an sowjetische Ersten und Zweiten Weltkriegs auflistet, umrankt ern lassen einen osteuropäischen Hintergrund er- Kriegsgefangene von lila blühenden Rhododendronbüschen. Am ahnen. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele Tote anderen Ende des Friedhofs, wo Gras über die ein- hier wirklich liegen“, sagt Hellwinkel, knapp 4.700 geebneten Gräber gewachsen ist, steht ein einzel- Opfer sind der Gedenkstätte namentlich bekannt. Zum Beispiel an Diomid Ta- ner grauer Felsstein, nicht sehr groß. „Unbekann- Auch die im April 1945 nach Sandbostel verlegten wadse: Der 1921 geborene ter russischer Soldat“ steht darauf. Wer war er, der und verstorbenen 3.000 KZ-Häftlinge aus Neu- Student aus Georgien kämpft unbekannte russische Soldat? Wie kam der Stein engamme sind in den 1950ern auf die Kriegsgrä- bei der Roten Armee. Am 3. Juli dorthin und wer hat ihn gesetzt? berstätte umgebettet worden. Eine große Wiese, Namenlos 1941 gerät er bei Minsk in deut- „Der Stein ist typisch für die Einzelgräber“, sagt kleine Gedenksteine in Dreiergruppen, mehr ist verscharrt: sche Gefangenschaft. Mitte Ok- Lars Hellwinkel, Jeans, Brille, hellblau kariertes nicht zu erkennen. Grab eines tober wird er in das Lager Stalag Hemd. „Er steht am Rand des Friedhofs – versteckt Der Friedhof atmet an diesem Tag friedlich: unbekannten 321 Oerbke in Niedersachsen und getrennt von den deutschen Gräbern.“ Der hohe Bäume, die Schatten spenden, lila, rot und sowjetischen verlegt. Die Gefangenen leben Geschichtslehrer, Jahrgang 1974, arbeitet als pä- weiß blühen die Sträucher. Vom Eingangstor läuft Kriegs- in Erdlöchern. Seuchen breiten dagogischer Leiter der nahen Gedenkstätte La- man auf ein Rondell mit drei Stelen aus Sandstein gefangenen sich aus. Am 26. Dezember 1941, ger Sandbostel, einem ehemaligen Kriegsgefan- zu. Hier stand bis 1956 ein großes Ehrenmal, das auf dem kurz vor seinem 21. Geburts- genenlager. 140 solcher Lager richtete die Wehr- die sowjetische Militäradministration zu Ehren Friedhof von tag, stirbt Diomid Tawadse. Als macht nach Kriegsbeginn ein; in Sandbostel ihrer im Stalag X B „zu Tode gequälten“ Soldaten Anderlingen Todesursache wird „allgemeine durchliefen bis zur Befreiung am 29. April 1945 errichten ließ. Das Land Niedersachsen hat es 1956 Körperschwäche“ angegeben, insgesamt 300.000 Menschen das Lagersystem, in der Hochzeit des Kalten Krieges abtragen las- schiedlichen Biografien sei interessant für die Ju- Die Sonne scheint an diesem Junitag, die über eine Chiffre für den Hungertod. davon 70.000 sowjetische Kriegsgefangene. Die sen. „Die Schüler stehen dann hier und fragen ent- gendlichen, „wenn sie erkennen, wie lange die Sol- die Jahrzehnte gräulich gewordenen Holzwände Tawadse ist einer von mehr meisten wurden in Arbeitskommandos geschickt, geistert“, erzählt Hellwinkel: „Wie, das hat man ein- daten im Lager überlebt haben, manche nur einen sind verblichen. Wo sich früher eine Lagerküche als drei Millionen sowjetischen in die Landwirtschaft oder Rüstungsbetriebe. Ge- fach abgerissen? So sind wir gleich drin in der De- Monat“. Sowjetische Kriegsgefangene hatten die befand, sind im Innenraum noch die Abdrücke der Soldaten, die die Kriegsgefan- schätzt 10.000 von ihnen starben an Unterernäh- batte über Erinnerungspolitik.“ geringsten Überlebenschancen. „Wenn die Schü- runden Kessel zu sehen. In einer anderen Baracke genschaft nicht überleben. Sie rung, durch Krankheiten oder eine Gewehrkugel, An diesem Ort setzt Hellwinkel mit den Schul- ler verstehen, dass sie eigentlich genauso schlecht haben DDR-Jugendliche farbige Wandbilder hin- und die Überlebenden stehen manche im Lager, andere an ihren Einsatzorten. klassen das Namensziegel-Projekt fort: Je de*r behandelt wurden wie KZ-Insassen, und wenn sie terlassen. Die Nutzungsschichten überlagern sich. im Mittelpunkt der Open-Air- Es war die Wehrmacht, die ein dichtes und Schü le r*in erhält eine Personalkarte eines ver- dann sehen, dass manche auch in ihrer Heimat- Authentisch bewahren lässt sich so ein Ort nicht, Ausstellung „Dimsionen eines kaum zu übersehendes Netz an Zwangsarbeits- storbenen sowjetischen Gefangenen. So haben gemeinde zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden, aber authentisch nutzen. Verbrechens“ im Deutsch-Rus- lagern aufbaute und lieblos und oft anonym be- sie eine karge Biografie, ein Foto und einen Ton- wird Geschichte für sie greifbar. Sie verstehen, Auf dem Rückweg steuert Lars Hellwinkel seinen sischen Museum Berlin-Karls- stattete Tote hinterließ. ziegel, in den sie den Namen ritzen können. Später dass diese Politik die Umsetzung einer mörderi- Wagen in Richtung Bremervörde. Etwa zehn Kilo- horst. Auf großen Tafeln auf ei- Die Kirchengemeinden führten nicht immer werden die Ziegel gebrannt und in die von Berufs- schen Ideologie war. Das ist Vernichtungskrieg.“ meter beträgt die Strecke, die die Gefangenen vom ner Wiese finden sich Porträts gewissenhaft Buch über die Begräbnisse sowje- schülern gefertigten metallenen Stelen eingefügt, Doch warum wurden die Gefangenen so ek- dortigen Bahnhof zu Fuß nach Sandbostel laufen der Geknechteten. Es findet sich tischer Gefangener, sagt Lars Hellwinkel, oftmals die in einem Halbrund auf einem Hügel stehen. latant unterschiedlich behandelt? Deutschland mussten. Es gibt fünf Fotografien, die ein unbe- dort ebenfalls die Order des Ge- seien sie gar nicht informiert worden. Die Gefan- Hellwinkel führt seine Gäste durch den Stelen- führte auch gegen andere Länder einen vernich- kannter Wachmann von den ersten sowjetischen neralquartiermeisters des Hee- genen trugen eine Metallmarke mit ihrer Erken- wald, „zum 80. Jahrestag sind wir mit dem Pro- tenden Krieg. „Es gab immense Unterschiede“, be- Ankömmlingen im Herbst 1941 gemacht hat. Mit res vom November 1941, der nungsnummer um den Hals; diese wurde manch- jekt fertig“, sagt er. Die Personalkarten waren mit stätigt Gedenkstättenleiter Andreas Ehresmann Bleistift geschrieben steht auf der Rückseite eines deutlich macht, dass dies ein mal in den Kirchenbüchern notiert. Namen oder am Telefon. Die westeuropäischen, aber beispiels- Fotos: „Erschossener Russe von uns, weil Flucht auf deutscher Vernichtungskrieg Herkunftsland der Toten blieben meist unge- weise auch polnische Gefangenen seien pragma- Gemüseacker“. Bäuchlings liegt der Tote im Feld, er war: „Nichtarbeitende Kriegs- nannt, wenn es darum ging, ihnen einen Stein tisch als Arbeitskräfte wahrgenommen worden, hatte vermutlich Hunger. Eine andere Aufnahme gefangene haben zu verhun- auf dem Friedhof zu setzen. „Bei diesem hier wird erklärt er, „sie waren nicht vom antislawischen zeigt den Ort, eine enge Straße mit Spitzgiebelhäu- gern.“ zumindest die Nation genannt“, erklärt Hellwin- Rassismus betroffen“. Sie galten nicht als „Un- sern, die heute noch an der Straße zum Bahnhof Auf der Wiese stehen auch, kel auf dem Anderlinger Friedhof. In anderen Fäl- termenschen“ oder „jüdische Bolschewisten“, sie stehen. „Man kann nicht sagen, dass man nichts nebeneinander, die Bilder von len stünde nur „unbekannter Soldat“ oder einfach wurden zumindest formal nach der Genfer Kriegs- sehen konnte“, sagt Hellwinkel. Der Bahnhof habe Iwan Demjanjuk und Ale xandr „Russe“ auf einem Stein. Den in Anderlingen hat, rechtskonvention behandelt. Und die niedrigere bis heute kein Hinweisschild auf die Transporte. Petscherski. Der eine entkam der vermutet er, der Volksbund Deutsche Kriegsgrä- Sterberate, auch unter Polen, scheint dies zu bele- In über tausend Arbeitskommandos wurden Gefangenschaft durch seine Kol- berfürsorge in den 1950er Jahren gesetzt. gen. Zum Vergleich: 90.000 Franzosen waren in die Kriegsgefangenen von Sandbostel verteilt. In laboration mit der SS – er wurde Die Gedenkstätte Sandbostel hat die Corona- Sandbostel interniert, von ihnen starben nachweis- fast jedem Dorf gab es Zwangsarbeiter, die nahe zum „Hilfswilligen“ im Vernich- Zeit genutzt, die Grabstellen sowjetischer Solda- lich 103. Von den 70.000 sowjetischen Gefange- an den Menschen lebten, mit ihnen arbeiteten. Sel- tungslager Sobibor. Der Zweite, ten im einstigen Wehrkreis X zu identifizieren, nen starben verbürgt 4.696, in Wahrheit dürften ten entstanden so Freundschaften, noch seltener ein Musik- und Theaterwissen- dem das Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stamm- es deutlich mehr sein. Liebschaften. Wie bei den Eltern von Gerd A. Meyer, schaftler, organisierte im Okto- lager Sandbostel (Stalag X B) zugeordnet war. Bis Eine Ausstellung führt durch die Geschichte des dessen Vater Anatolij Pokrowskij auf einem Hof in ber 1943 den Aufstand der Ge- heute, achtzig Jahre nach Beginn des grausamen Lagers. Klassische Führungen veranstalten sie in Haaßel arbeitete, wo er mit der Tochter des Hauses, fangenen von Sobibor. Beide ha- Angriffs- und Vernichtungskriegs der Deutschen Sandbostel nicht, sondern es gibt Projektarbeit, Tine, ein verbotenes Verhältnis hatte. Pokrowskij ben sie überlebt. Demjanuk aber Gedenkstätte gegen die Sowjetunion, sind viele Schicksale sow- Studientage, internationale Workcamps. Die Ge- starb im April 1945 im Lazarett von Sandbostel, im wird 2011 in München für seine Sandbostel in jetischer Kriegsgefangener ungeklärt. Das hat mit denkstätte ist keine nationale Einrichtung; sie wird November wurde Sohn Gerd geboren. Tine Meyer Taten zu fünf Jahren Haft verur- Niedersachsen. verschleppten Dokumenten, verschlossenen Ar- durch eine private Stiftung mit Landesbeteiligung erfuhr nie, was mit ihrem Freund geschehen war. teilt. Klaus Hillenbrand Hier stand bis chiven und dem Kalten Krieg zu tun. Doch selbst finanziert. Das feste Team ist klein: drei Festange- 2009 konnte sich Gerd Meyer dank der geöffne- 1945 das heute lassen sich noch Schicksale klären. Kriegs- stellte plus zwei von Land und Kirche beauftragte ten Archive auf Spurensuche begeben. Er fand die Dimensionen eines Ver- Kriegsgefange- brechens. Sowjetische Kriegs- nenlager Stalag opfer werden der Anonymität und dem Verges- pädagogische Kräfte plus zwei Freiwillige. Und Krankenkarte seines Vaters, fuhr nach Russland ins X B. Etwa sen entrissen, Familien können erfahren, wo ihr eine Gruppe Ehrenamtlicher, ohne die die Arbeit Dorf seines Vaters und brachte von dort eine Tür- gefangene im Zweiten Welt- Zehntausend Angehöriger verstorben oder bestattet ist. kaum zu schaffen wäre. Immerhin hat Bundesprä- klinke mit, die am Haus seiner Großeltern hing. krieg. Sonderausstellung in inhaftierte Über das Grab in Anderlingen haben Hellwin- sident Frank-Walter Steinmeier Sandbostel am 14. Sein Vater, Anatolij Pokrowskij, Kosename Tolja, Karlshorst, geöfnet Dienstag Rotarmisten kel und ein Einheimischer herausgefunden: Der Lars Hellwinkel von der Gedenkstätte Juni einen Besuch abgestattet. „Es war eine große hat eines der wenigen Einzelgräber in der Kriegs- bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, starben „unbekannte russische Soldat“ war im April 1945 Ehre und Anerkennung unserer Arbeit“, sagt Leiter gräberstätte Sandbostel. Einer, der der Anonymi- bis 3. Oktober. Der Eintritt ist mit einem Pferdewagen auf eine Mine gefahren. dem Ende der Sowjetunion im russischen Militär- Andreas Ehresmann. „Und es ist ein wichtiges Zei- tät entrissen wurde. frei. „Das wusste man im Dorf“, erzählt Hellwinkel. Die archiv in Podolsk aufgetaucht, sie galten lange als chen, dass vom deutschen Staatsoberhaupt an den Straßen seien wegen der anrückenden britischen verschollen. Die NS-Bürokratie hatte dafür gesorgt, 80. Jahrestag des Überfalls, der ja den Beginn eines Armee vermint, die Personalunterlagen im Lager dass im Fall des Todes eines Kriegsgefangenen das völlig neuartigen Weltanschauungs- und Vernich- bereits vernichtet, so dass man den Toten nicht Datum in der Personalkarte vermerkt und diese an tungskrieges darstellte, adäquat erinnert wird.“ mehr identifizieren konnte. 212 Grabanlagen – die Wehrmachtsauskunftsstelle in Berlin geschickt Bei den namenlosen Toten vom Einzelgrab bis zu Massengräbern mit meh- wurde. Dort gerieten sie nach Kriegsende in die reren hundert Toten – haben er und seine Hel fe- Hände der Roten Armee, die sie nach Moskau mit- „Ich kann Ihnen nicht r*in nen aufspüren können. nahm, um dort vom Geheimdienst für die nächs- sagen, wie viele Tote hier Dachau kennen die meisten, Besonders gern bezieht Hellwinkel interes- ten 50 Jahre weggeschlossen zu werden. Erst die sierte Schü le r*in nen mit ein, die mit ihrer Klasse Öffnung der Archive nach dem Ende der Sowjet- wirklich liegen“ in die Gedenkstätte kommen. Ausgestattet mit ei- union brachte sie wieder zum Vorschein. Lars Hellwinkel, Gedenkstättenmitarbeiter Bergen-Belsen auch. Aber wer hat ner Personalkarte bekommen sie den Auftrag, die Die Digitalisierung war es, die der historischen Geschichte eines der Gräber in ihrem Heimatort Forschung in jüngster Zeit einen entscheidenden oder ihrer Umgebung zu rekonstruieren. Impuls verlieh. Erst seit zehn Jahren lassen sich die Hellwinkel erzählt von Lisa-Marie, einer Schüle- Namen von Gefallenen über das elektronische Ar- Die Gedenkstätte selbst gibt es erst seit 2013, ein schon einmal von Sandbostel rin aus der Ortschaft Donnern bei Bremerhaven. chiv des russischen Außenministeriums abfragen lokaler Verein hatte hartnäckig darum gekämpft, Dort gab es ein Einzelgrab auf dem Friedhof, auf und mit denen der vor zwei Jahren online gegan- dass die Stiftung einen Teil des Terrains erwerben dem nicht mehr als „Michail, gest. 10. 1944“ stand. genen Arolsen Archives abgleichen, ursprünglich konnte. Dass 13 (von einst 150) historischen Holz- gehört? Dabei starben hier, im Die Schülerin besuchte gezielt das Seniorenkränz- als Suchdienst von den Alliierten gegründet. Der und Steinbaracken überhaupt noch stehen, ver- chen der Kirche. Eine alte Frau erinnerte sich und ITS (International Tracking Service) im deutschen dankt sich ihrer Nutzung in der Nachkriegszeit: erzählte, dass „der hier erschossen worden ist – Bad Arolsen fragte nach 1945 alle Gemeinden nach als britisches Internierungslager, als Notaufnah- Kriegsgefangenenlager der wegen Arbeitsverweigerung“. „So hat der russische nichtdeutschen Toten ab, bat um Friedhofspläne, melager für geflüchtete DDR-Jugendliche, als Straf- Soldat zwar keinen Nachnamen bekommen“, sagt Totenlisten und Grabverzeichnisse. gefängnis, Bundeswehrdepot, zuletzt als Gewerbe- Hellwinkel zufrieden, „aber dank Lisa-Marie ken- Erst jetzt lassen sich falsch geschriebene Na- gebiet. Heute befindet sich nebenan ein Tiergna- nen wir wenigstens sein Schicksal.“ men, Geburts- oder Sterbedaten, Personalkarten denhof. Als der einstige französische KZ-Häftling Wehrmacht, etwa 10.000 sowjetische Hellwinkel ist Geschichtspädagoge, delegiert oder Erkennungsmarken zusammenfügen: aus Raymond Gourlin 2015 zu Besuch kam, erinnert vom Land Niedersachsen arbeitet er an zwei Tagen Nummern werden Biografien. Das gilt auch für sich Lars Hellwinkel, begann dieser zu zittern, als in der Woche in der Gedenkstätte Lager Sandbos- die Familien in Russland, Weißrussland oder der er das Jaulen eines der Hunde hörte. Gefangene. Ein Rundgang mit Lars tel, die anderen drei unterrichtet der promovierte Ukraine, die oft nicht wussten, wo ihr Angehöri- Die brutale Hackordnung spiegelte sich im Lager Historiker in Stade am Gymnasium. Auch wenn ger sein Leben ließ. Stalin galten die in Kriegsge- selbst wider. Die Unterkünfte der sowjetischen Ge- Grab von es sich um ein ehemaliges Kriegsgefangenenlager fangenschaft geratenen Soldaten als Verräter, die fangenen waren durch Stacheldraht getrennt von Anatolij Hellwinkel – mit Blick auf die Zukunft handelt, verbänden die Schüler mit dem Wort La- angeblich freiwillig für die Deutschen gearbeitet denen anderer Nationalitäten. Hellwinkel schließt Pokrowskij, ger meist etwas anderes, sagt Hellwinkel. „Ihre As- hätten. Starben sie, bekamen die Familien oft keine eine der Holzbaracken auf, die bestandswahrend Kosename soziationskette läuft so: Lager – Zweiter Weltkrieg Pension und forschten aus Angst nicht nach dem instandgesetzt wurden. Hier und da sind Holz- Tolja, eines der = KZ. Davon müssen wir sie erst mal wegkriegen.“ Verbleib ihrer Angehörigen. Wer aber Lager und Ar- balken für die Statik eingesetzt, wird ein Dach ge- wenigen Aus Anderlingen und Sandbostel Sabine Seifert (Text) und Kay Michalak (Fotos) Deswegen fängt er normalerweise nicht in der beitskommandos überlebt hatte, landete nicht sel- stützt. Zwei andere Baracken sind einsturzgefähr- Einzelgräber in Gedenkstätte selbst an, sondern am einstigen La- ten nach seiner Rückkehr im sowjetischen Gulag. det dem Verfall preisgegeben. „Da ist nichts mehr der Kriegsgrä- gerfriedhof von Sandbostel, der sich außerhalb be- Das Projekt mit den Namensziegeln liegt Lars zu erhalten“, sagt Hellwinkel. „Man soll ja in Ge- berstätte fand. Heute firmiert er offiziell als Kriegsgräber- Hellwinkel am Herzen. Die Arbeit mit den unter- denkstätten nicht rekonstruieren.“ Sandbostel 06 überfall auf die sowjetunion montag, 21. juni 2021 taz ! Unfassbare Wirklichkeiten Der Schriftsteller Ingo Schulze lebte Anfang der neunziger Jahre in St. Petersburg, der Stadt, die durch die Blockade der deutschen Wehrmacht besonders gelitten hat. Nie sei ihm dort jemand unfreundlich oder gar belehrend begegnet

Von Ingo Schulze

1992 kam ich als Ostler in der man sagen, nahezu „erreicht“. mit Artillerie aller Kaliber und ser großstädtischen Bevölke- zwar auf die qualvollste und un- ausgegebenen „Blockadebuch“ Rolle eines westlichen Ge- „Der Führer hat beschlossen, laufendem Bombeneinsatz dem rung“. menschlichste Art und Weise ge- lässt sich nachlesen, was die Blo- schäftsmannes nach St. Pe- die Stadt Petersburg vom Ant- Erdboden gleichzumachen. Sich Der Schriftsteller Daniil Gra- tötet haben, indem sie den Krieg ckade Leningrads tatsächlich be- tersburg, um das erste kosten- litz der Erde zu tilgen“, heißt es aus der Lage der Stadt ergebende nin, der zu den Verteidigern Le- nicht mit der Waffe in der Hand deutet hat, was sich hinter der lose Anzeigenblatt der Stadt zu in einer geheimen Direktive des Bitten um Übergabe werden ab- ningrads gehört hatte, sprach führten, sondern für die Men- Zahl von achthunderttausend, gründen. Ich kannte Leningrad, Stabes der deutschen Kriegsma- geschlagen werden. (…) Ein In- am 27. Januar 2014 vor dem deut- schen in der Stadt Bedingungen wahrscheinlich aber von über das ich zuletzt im Sommer 1989 rine vom 22. September 1941. „Es teresse an der Erhaltung auch schen Bundestag über die Bela- schufen, unter denen man nicht einer Million Opfern verbirgt. als einen Ort des Aufbruchs er- besteht nach der Niederwerfung nur eines Teils dieser großstäd- gerung. „Ich, der ich als Soldat an überleben konnte.“ Der 95-Jäh- Zeugnisse wie diese zur Kennt- lebt hatte. Jetzt geriet ich in eine Sowjetrusslands keinerlei Inter- tischen Bevölkerung besteht (…) vorderster Front vor Leningrad rige resümierte: „Heute sind nis zu nehmen ist auch eine Zu- Gesellschaft, die förmlich explo- esse an dem Fortbestand die- unsererseits nicht.“ gekämpft habe, konnte es den diese bitteren Gefühle von da- mutung. Aber wie anders sollen dierte, wobei der allergrößte ser Großsiedlung. (…) Es ist be- Kein Interesse am Fortbe- Deutschen sehr lange nicht ver- mals nur noch Erinnerung.“ wir Nachgeborene verstehen Teil der Bevölkerung mit einer absichtigt, die Stadt eng einzu- stand der „Großsiedlung“, kein zeihen, dass sie 900 Tage lang In dem von Daniil Granin können, was ein Vernichtungs- ungekannten Armut konfron- schließen und durch Beschuss Interesse an der Erhaltung „die- Zivilisten vernichtet haben, und und Ales Adamowitsch her- krieg bedeutet. Von den 24 Mil- tiert wurde, die insbesondere lionen Opfern auf sowjetischer für die ältere Generation le- Seite (andere Schätzungen spre- bensbedrohliche Ausmaße an- chen von 27 Millionen) waren nahm. Die Inflation schuf Tag zehn Millionen Soldaten (von für Tag immer absurdere Wirk- denen drei Millionen in deut- lichkeiten. Ich verdiente mehr scher Kriegsgefangenschaft um- als das Hundertfache dessen, gebracht wurden; auch das Gift- was die Redakteure bekamen – gas Zyklon B war zuerst an ihnen und das Zweihundertfache von „getestet“ worden, bevor es in dem, was Milizionäre erhiel- Auschwitz zum Einsatz kam), 14 ten. Die über 70-jährige Pfört- Millionen waren Zivilisten, das nerin im Tass-Gebäude, in dem heißt, hauptsächlich Frauen, äl- sich auch unsere Redaktion be- tere Männer und Kinder. fand, konnte ein paar Brocken Während der Zeit in St. Peters- Deutsch. Als ich fragte, woher burg hat mich niemals jemand sie ihr Deutsch habe, stellte sich daran erinnert, dass ich, der ich heraus, dass sie es als Zwangsar- mehr als nur privilegiert lebte, beiterin in Deutschland gelernt aus jenem Land kam, das den hatte. Mein Redaktionschef war Krieg verloren hat und verant- Leningrader, er nannte sich ei- wortlich ist für das, was den Be- nen „Blokadnik“, einen Überle- wohnern dieser Stadt (und nicht benden der Blockade, da war er nur dieser) angetan wurde. Und ein Kind gewesen. Er habe nur niemand hat mich dort darauf wenige Erinnerungen, es lohne hingewiesen, dass mein Leben, nicht, darüber zu sprechen. ja unser aller Leben in Deutsch- Ich weiß nicht, ob es mög- land, letztlich überhaupt nur lich ist, die Bedeutung des Wor- möglich ist, weil jene, die das tes „Vernichtungskrieg“ wirklich nationalsozialistische Deutsch- zu ermessen. Mit dem Überfall land besiegten, uns das Schick- auf die Sowjetunion am 22. Juni sal ersparten, das ihnen selbst 1941 begannen in den besetzten im deutschen Namen zugedacht Gebieten die Massenmorde an gewesen war. den Juden, zugleich auch Mas- senmorde an der Bevölkerung. Ingo Schulze, geboren 1962 in Ein erklärter Zweck des Krie- Dresden, debütierte 1995 mit ges war die „Dezimierung der „33 Augenblicke des Glücks“; slawischen Bevölkerung um 30 2020: „Die rechtschafenen Millionen“ und wurde, so muss Winter 1941/42: Leningrader*in nen füchten nach einem Bombenangrif. Die Belagerung der Stadt wird noch bis 1944 dauern Foto: akg-Images Mörder“.

„Niemand aus diesen Lagern sollte überleben“ Auch in Kriegsgefangenenlagern haben Massentötungen stattgefunden. Seit Kurzem ermittelt die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen gegen einstige Wachleute. Warum erst jetzt?

Interview Klaus Hillenbrand

Wachmann im Visier taz: Herr Will, Sie ermitteln gegen deut- gen begannen im vorletzten Jahr. Derzeit samen Tötungen durch die Lebensver- unserem Bestand dokumentiert und sche Wachleute, die in Lagern für sowje- haben wir sechs Personen ermittelt. hältnisse, also Mord. Gefangene wurden sind deshalb auch auf sachverständige Die Generalstaatsanwalt- tische Kriegsgefangenen eingesetzt wa- Die Zentrale Stelle übernimmt nur durch schwere und schwerste Arbeit bei Unterstützung angewiesen, die wir uns schaft Celle hat Ermittlungen ren. Warum erst jetzt? die Vorermittlungen. Konnten Sie einer Ernährung von nur wenigen hun- verschaffen. in Zusammenhang mit einem Thomas Will: Wir ermitteln das jetzt, schon Fälle zur weiteren Bearbeitung dert Kalorien am Tag bis zum Tode ausge- Waren die Personen, gegen die Sie ehemaligen deutschen nachdem sich in den letzten zehn Jah- an Staatsanwälte abgeben? presst. Die höchsten Sterbequoten hatten jetzt ermitteln, Angehörige der Wehr- Wachhabenden in einem ren die Rechtsprechung entsprechend Ja, wir haben einen Fall vor Kurzem die sowjetischen Soldaten, die als „Unter- macht? Gefangenenlager bestätigt. entwickelt hat. Ausgangspunkt war die an die zuständige Staatsanwaltschaft menschen“ galten. 60 Prozent haben die Ja. Das waren typischerweise nicht Sie richten sich gegen einen Verurteilung von John Demjanjuk 2011 übergeben. Das Verfahren gegen einen Kriegsgefangenschaft nicht überlebt. Wir Angehörige von kämpfenden Truppen, heute 95-jährigen Mann mit in München, der Wachmann im Vernich- ehemaligen Wachmann eines Stalags müssen allerdings in jedem Lager und sondern oft etwas ältere Soldaten – Män- Wohnsitz in Bayern. Ihm wird tungslager Sobibor gewesen ist. Darauf- im ehemaligen Wehrkreis VI Münster bei jeder einzelnen beschuldigten Person ner, die nicht fronttauglich waren. Viele zur Last gelegt, zwischen hin erfolgten neue Ermittlungen zu An- wurde an die Staatsanwaltschaft Osna- untersuchen, ob es dort tatsächlich sol- der dort Eingesetzten sind deshalb auch dem 26. Oktober 1943 und gehörigen von Wachmannschaften in brück abgegeben und im weiteren Ver- che Phasen gegeben hat. schon lange verstorben. dem 5. April 1945 Dienst im Konzentrationslagern mit Verurteilun- lauf durch die Generalstaatsanwaltschaft Sie müssen also nachweisen, dass Die Kreis der Beschuldigten ist heute Kriegsgefangenen-Mann- gen von drei ehemaligen Wachleuten. Celle übernommen. Verdächtige tatsächlich zum Zeitpunkt, in der Regel über 95 Jahre alt. Ist das schaftsstammlager (Stalag) Das erste dieser Urteile hat der Bundes- Sie werfen diesen Personen Beihilfe als in einem solchen Lager massenhaft nicht ein bisschen spät, jetzt mit den VI C in Bathorn versehen zu gerichtshof mit einer enorm wichtigen zum Mord vor? gestorben wurde, dort anwesend wa- Ermittlungen zu beginnen? haben. Dort seien insbeson- Entscheidung bestätigt. Wir meinen, dass Wenn in einem Konzentrationslager ren? Wir erledigen unsere Arbeit, solange dere sowjetische Kriegsge- die verheerenden Bedingungen in Kon- Phasen systematischer Tötungen stattge- Wir haben bei der Vorauswahl der Un- es noch Verfolgungsaufgaben gibt. Die fangene in großer Zahl zu zentrationslagern und manchen Gefan- funden haben, dann ist das vergleichbar tersuchung noch nicht nach Lagern un- Verfolgung von Mord ist gesetzlich zwin- Tode gekommen, sagte genenlagern vergleichbar sind und die mit einem Vernichtungslager und ist so- terschieden. Zunächst haben wir aus gend vorgeschrieben. Ich wünschte mir Oberstaatsanwalt Bernd Rechtsprechung damit insoweit über- mit Beihilfe zum Mord, wenn eine allge- der Gesamtheit aller Lager Personen ge- natürlich auch, dass einige dieser Verfah- Kolkmeier der taz. Das tragbar ist. Da wir mit der Überprüfung meine Dienstausübung in solch einem sucht, die vermutlich noch am Leben ren schon früher geführt worden wären. Lagergelände liegt heute in von Personal in Konzentrationslagern Lager in einer Phase mit systematischen sind. Solche haben wir ermittelt und in der Gemeinde Hoogstede im schon fortgeschritten sind, haben wir Tötungen in Kenntnis der Umstände jedem Einzelfall Feststellungen zum kon- Landkreis Grafschaft uns daher nun auch auf die Kriegsge- stattgefunden hat. In der jüngsten Recht- kreten Lager, zur Zeit des Einsatzes dort Bentheim. Nach Angaben der fangenenlager fokussiert. sprechung wird auch die Tötung durch und zum Geschehen in diesem Zeitraum Gedenkstätte Esterwegen Gibt es schon konkrete Personen, ge- die Lebensumstände – also mittels ex- getroffen. Haben sich solche Phasen des waren dort im August 1941 gen die Sie Anschuldigungen erheben tre mer Mangelernährung und versagter systematisch herbeigeführten Massen- 4.016 sowjetische Soldaten können? medizinischer Versorgung – als Teil des sterbens ereignet? Es kann durchaus pas- gefangen. Dem Verfahren in Wir haben in unserer Zentralkartei Konzepts betrachtet, dass niemand aus sieren, dass wir das in einzelnen Fällen Celle gingen mehr als zwei sehr viele Erkenntnisse über Lagerper- diesen Lagern überleben sollte. In den aus tatsächlichen oder aus Beweisgrün- Jahre Vorermittlungen der sonal. Daraus haben wir die Personen für Kriegsgefangenenlagern gab es neben den nicht nachweisen können. Wichtig Ludwigsburg Stelle Zentrale F.: Zentralen Stelle zur Aufklä- eine Überprüfung aufbereitet, deren Ge- der Aussonderung und Tötung bestimm- ist auch, dass der Betroffene erkennen Thomas Will, 61, ist Staatsanwalt und leitet rung von NS-Verbrechen burtsjahrgänge darauf hindeuten, dass ter Personen aufgrund des sogenannten konnte, was sich im Lager ereignete. Wir die Zentrale Stelle zur Aufklärung von voraus. (klh) sie noch leben können. Die Überprüfun- Kommissarbefehls ebenfalls solche grau- haben etwa 200 verschiedene Lager in NS-Verbrechen in Ludwigsburg. taz ! montag, 21. juni 2021 überfall auf die sowjetunion 07

Sergey Lagodinsky ist russisch- „Wir haben jüdischer Herkunft und wurde 1975 in Astrachan geboren. Seit Verantwortung 1993 lebt er in Deutschland. Er war Mitglied der SPD, trat gegenüber der aber aus Protest gegen Thilo Sarrazin aus. Seit 2019 ist er für die russischen Grünen im Europäischen Parlament. Fo to: Jens Bevölkerung“ Gyarmaty Es ist richtig, Kritik an Russland vorsichtig zu formulieren, sagt der grüne EU- Abgeordnete Sergey Lagodinsky. Trotzdem müsste der Kreml kritisierbar sein

Interview Thomas Gerlach und Stefan Reinecke taz: Herr Lagodinsky, vor 80 tet werden. Aber das gilt auch Welche? Wir müssen über Menschen- zur Einhaltung der Menschen- Etwa mit einer Sicherheitsga- Jahren begann der Vernich- für die Mythen. Ich nenne drei Kriterien. Ers- rechte, Solidarität und Korrup- rechte verpflichtet. rantie für die Ukraine. Es gehört tungskrieg der Wehrmacht. Was Welche? tens, ob solche Kooperationen tion ernsthaft reden. Grundsätz- Warum gibt es in Russland zur historischen Verantwortung bedeutet das für Sie persönlich? Die russische Regierung mo- auf Kosten der Menschenrechte lich lehne ich das Projekt aber trotzdem das Gefühl, dass wir , legitime Ängste dieser Sergey Lagodinsky: Die Fa- nopolisiert und instrumenta- und der Umwelt geschehen … als unnötig und langfristig kli- sie von oben herab belehren? Länder ernst zu nehmen und milie meiner Großmutter ist lisiert diesen Tag. Für uns lau- Da sieht es bei US-Fracking- maschädlich ab. In Russland, wie in immer nicht, wie es zu oft passiert, als 1941 aus Odessa geflüchtet. Ru- tet daher die Frage: Wem ge- Gas mieser aus … Wenn man die drei Krite- mehr Staaten, wird jede Kritik Hysterie abzutun. mänische Truppen rückten als genüber fühlt sich Deutschland Zweitens, ob sie auf Kosten rien zum Maßstab des EU-Au- als Einmischung hingestellt. Das „Wir leisten unseren ge- Verbündete der Deutschen vor heute verpflichtet? der innereuropäischen Soli- ßenhandels macht, wird es mit ist ein sehr nützliches und einfa- meinsamen Beitrag zum Auf- und die jüdische Bevölkerung Russland ist der Rechtsnach- darität oder zu Lasten unserer vielen Rohstoffen schwierig. ches Mittel, Kritik zu diskreditie- bau des europäischen Hauses“, floh. Auch mein Urgroßvater, folger der Sowjetunion. Nachbarstaaten stattfinden. Bei Zunächst müssen wir uns fra- ren. Darauf sollen wir uns nicht sagte Putin 2001 im Bundes- der Professor in Odessa war. Nur Formal ist das richtig. Aber die Nord Stream II ist das der Fall. gen, welche Rohstoffe wir lang- einlassen. Es gibt aktuell Geset- tag. Standing Ovations bei al- eine Tante meiner Großmutter, Regierung Putin hat das massiv Deshalb protestieren Polen und fristig brauchen und unsere zesverschärfungen, vielen, die len Fraktionen – heute unvor- sie war hochschwanger, blieb zum Narrativ gemacht. Die Erin- die Ukraine. Und drittens soll- Abhängigkeit von ihnen redu- mit NGOs aus dem Westen ge- stellbar. mit der Familie. Sie hoffte, dass nerungspolitik wurde seit Ende ten wir fragen, wohin fließt das zieren. Aber ja, wir müssen im- arbeitet haben, drohen jetzt bis Leider. die Rumänen nicht so schlimm der neunziger Jahre zum einzi- Geld? Nord Stream II ist keine mer abwägen. Wir können mit zu sechs Jahren Haft. Hat der Westen Fehler ge- sein werden. Sie hat zunächst im gen Weg, um eine positive na- Brücke zu den Menschen, es ist Russland und China kooperie- Aber war der Westen Russ- macht? Untergrund überlebt, ist dann tionale Erzählung zu konstruie- eher ein wirtschaftliches Pro- ren, aber nicht blind oder naiv. land gegenüber nicht tatsäch- Wir müssen auch selbstkri- aber vom Hausmeister verra- ren. Per se ist das ein legitimes jekt, das nicht in erster Linie Wir müssen deren geostrategi- lich herablassend? tisch sein. Natürlich hätten wir ten worden. Das kam in Odessa Anliegen, aber es wurde mit den dem russischen Volk, sondern schen Interessen erkennen. Obamas Satz, Russland sei mehr Offenheit und Einbin- häufig vor. Die Hausmeister be- wachsenden aggressiven Ambi- der oligarchischen Spitze nutzt. Viele Russen haben das Ge- eine Regionalmacht, war arro- dung gerade gegenüber den rus- kamen dann die Habseligkeiten tionen Russlands zu einer Waffe Sollte die Pipeline fast fertig fühl, Europa wolle ihnen vor- gant. Aber der Westen hat Mos- sischen Bürgerinnen und Bür- der Abtransportierten. ideologischer Art. nicht in Betrieb gehen? schreiben, wie sie zu leben hät- kau nie versprochen, dass es gern und der Zivilgesellschaft Diese Geschichten sind Teil Muss deutsche Politik nicht Sie soll entweder nicht in Be- ten. Zu Recht? keine Nato-Erweiterung geben zeigen können. Aber wir sind Ihrer Familienerzählung? berücksichtigen, dass Russland trieb gehen oder man friert das Wo schreiben wir etwas vor, würde. Und wir konnten die nicht schuld, dass Putin sich Ja, mit diesen Erzählungen Rechtsnachfolger ist – und sich Projekt ein. Es gibt verschiedene wenn wir über Moskaus geo- Wünsche von unabhängigen zu einem Autokraten entwi- bin ich groß geworden. Meine mit Kritik zurückhalten? Vorschläge. Wir sollten sie als strategische Ambitionen re- Ländern nicht einfach beiseite- ckelt hat. Schon 2008 war der Großmutter floh über Südruss- Der Überfall zielte 1941 nicht Hebel nutzen. Wenn wir sagen, den? Nehmen wir als Beispiel schieben. Georgien-Krieg. Das kann man land nach Georgien und Ka- auf Russland, sondern auf die wir brauchen das Gas um jeden Nawalny: Da gibt es ein Urteil Also kommt es irgendwann nicht schönreden, das war eine sachstan. Nach dem Krieg war Sowjetunion als Ganzes. Ich Preis, geben wir diesen Hebel des Europäischen Gerichtshofs zum Nato-Beitritt der Ukraine? aggressive Politik gegenüber ei- die Familie in Moskau, wo mein finde es richtig, Kritik an Russ- aus der Hand. für Menschenrechte. Darauf Das sollte man unideologisch nem Nachbarland, die in einer Urgroßvater an einer Uni unter- land vorsichtig zu formulieren. Wofür sollten wir ihn nut- zu verweisen, ist keine Einmi- sehen und Wege finden, wie das Besatzung mündete, sechs Jahre kam. Dort mussten sie 1948 vor Wir müssen den geschichtli- zen? schung. Auch Russland hat sich Sicherheitsgefühl gestärkt wird. vor der Krim-Besetzung. Stalin fliehen, jüdischer Pro- chen Kontext berücksichtigen. fessor in Moskau zu sein, war Aber das heißt nicht, dass die Re- riskant. Sie sind in die Provinz gierung unberührbar ist. Wem Anzeige gegangen, nach Astrachan am schulden wir Respekt? Auch die Wolgadelta. Da gab es später Vorfahren von Alexei Nawalny Hochschulen, weil viele jüdi- haben den Großen Vaterländi- sche Professoren dorthin geflo- schen Krieg überleben müssen. Wir Kriegskinder sind entsetzt und empört: hen sind, wie damals mein Ur- Wir haben Verantwortung ge- großvater. Deshalb bin ich in genüber der russischen Bevölke- 80 Jahre nach dem nationalsozialistischenÜberfall stehen schon wieder Astrachan geboren – wegen An- rung, nicht gegenüber der russi- tisemitismus und Krieg. schen Regierung. deutsche Soldaten feindlich an der russischen Grenze Welche Bedeutung hatte der Würden Sie das Israel gegen- Am 22. Juni 1941 um vier Uhr früh hattedie deutsche Wehrmacht die Doch wie US-Historiker herausfanden, war in Washington die NATO-Ost- Tag in der Sowjetunion? über auch so formulieren? Sowjetunion überfallen. Es war ein geplanter Vernichtungskrieg. Die deut- erweiterung bereits Anfang Februar 1990 beschlossene Sache. Gorba- Der Tag wurde immer über- Ich bin genauso kritisch ge- sche Kriegsführung dortumfasstehistorisch beispiellose Kriegsverbre- tschowwar belogen worden, unter Beteiligung westdeutscher Politiker, strahlt vom Tag des Sieges, in genüber Netanjahu gewesen, chen: Vonden fünf Millionen sowjetischen Soldaten in deutscher Kriegs- im Verlauf der Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung. Dieses Russland der 9. Mai. Aber die aber wir sollten die legitimen gefangenschaftstarben 3,3 Millionen. Unversorgt unter freiem Himmel Wissen ist in Russland allgegenwärtig, so auch der Friedensgedanke! Der Erinnerung an den Krieg war Anliegen Israels, wie sein Exis- eingesperrt, warensie verhungert, erfroren, an Krankheitenzugrunde ge- KalteKriegist wieder aufgeflammt.Amerikanisches Militärmaterial strömt gangen. Über eine Million Einwohner der Stadt Leningrad, heuteSankt nach Osteuropa. an beiden Tagen authentisch. tenzrecht, berücksichtigen. In Petersburg, ließ die Wehrmacht während einer 872 Tage dauernden Be- Seit 2020 findet nach 25 Jahren erstmals wieder jährlich in Europa ein Gerade der 9. Mai traf die Seele Russland ist das Existenzrecht lagerung verhungern. Die Taktik der „verbrannten Erde“machtehunderte der Menschen. Die staatliche nicht gefährdet, auch wenn die NATO-Großmanövergegen Russland statt,befehligt aus den US-Komman- Dörfer in der Sowjetunion unbewohnbar.Dieses Land hatteberichtete27 dobunkern in Stuttgart, Ramstein, Wiesbaden und Bitburg. Inszenierung war nicht so dick, Einkreisungstheorien, die Teil Millionen und damit über dreimal so viele Kriegstotewie Deutschland, es ging um Familie, Großeltern der Mythenbildung sind, ande- und über fünfzig mal so viele wie die Kriegsverbündeten USA und Groß- 2019 kündigteUS-Präsident Donald Trump den INF-Vertrag von1987. Seither bauen die USA neue Mittelstreckenraketen. Daraufhin stationierte und Eltern. In den Sowjetzeiten res suggerieren. britannien. Russland Atomraketen in Kaliningrad, dem ehemaligen Ostpreußen, Flug- war das ein Fest, bei dem es we- Die Nato hat in den neunzi- Nach 45 Jahren Besetzung Deutschlands erlaubten die vier Siegermäch- zeit zu den US-Stellungen in Deutschland rund sieben Minuten. Die ato- niger um die Partei ging als um ger Jahren die Osterweiterung te 1990 die Wiedervereinigung Deutschlands. In dieser Zeit waren die mare Falle spannt sich erneut. Dankbarkeit gegenüber den frü- gegen Russland durchgesetzt. Besatzungszonen zum Brennpunkt eines Konflikts zwischen der US-ge- führtenNATOund der Sowjetunion geworden, mit aufeinander zielenden Wir Kriegskinder sind entsetzt und empört: 80 Jahre nach dem Überfall heren Generationen. Sind die Ängste in Moskau der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion stehen wieder deutsche Wird der 22. Juni 1941 in nicht real? Atomwaffen in beiden Teilen Deutschlands. 1987 hatteder sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschowdie Initiativeergriffen, diese atoma- Soldaten an der russischen Grenze, wieder in feindlicher Funktion. Könn- der bundesdeutschen Erinne- Ängste sind immer real, dort, re Falle in Mitteleuropa zu entschärfen, durch denINF-Vertrag über das te in einer Krise die russische Regierung unter einer empfundenen Pro- rungskultur ausreichend ge- genauso wie in Polen, im Balti- Verbot vonMittelstreckenraketen. Nach Öffnung der Berliner Mauer 1989 vokation die US-Kommandobunker in Deutschland zerstören, um eigene würdigt? kum oder in der Ukraine. Die stimmteGorbatschowzu, dass die sowjetischen Besatzungstruppen aus Sicherheit zu gewinnen? Er ist immer noch unterbe- Kunst ist, nicht nur über die der DDR abgezogen wurden, während Truppen der USA in Westdeutsch- Es gibt für uns einen Weg, aus der Bedrohung herauszukommen: Der UN- lichtet. Vielleicht aus nachvoll- Angst von Moskau zu sprechen. land blieben. Atomwaffenverbotsvertrag,seit Januar 2021 in Kraft,verbietet seinen Teil- ziehbaren Gründen, weil wir Muss Deutschland härter ge- Dies solltesich zu einem massiven bleibenden Nachteil Russlands ent- nehmern Atomwaffen und atomare Kommandostrukturen in ihren Län- den 1. September 1939 als Be- genüber Putin auftreten? wickeln, des Rechtsnachfolgers der 1991 aufgelösten Sowjetunion. 1990 dern. Es braucht also nur die deutsche Unterschriftunter den UN-Vertrag. ginn des Zweiten Weltkrieges Deutschland muss klüger auf- hattenämlich US-Außenminister James Baker Gorbatschowindie Hand Ohne Deutschland als atomares Waffenlager,Drehscheibe und Schlacht- feld funktioniertein LandkrieginEuropa nicht. stärker wahrnehmen. Aber für treten. Das schließt ein, dass wir versprochen, die NATO werde sich „nicht einen Zoll“nach Osten ausdehnen. die Sowjetunion, den Vielvölker- bei bestimmten Themen härtere staat, war dieses Datum eine Zä- Ansagen machen müssen, zum So werden Deutschland und zugleich Russland und ganz Europa sicherer, offen fürden sur, der Beginn des Leides und Beispiel bei Nord Stream II. Wir Wegzur gesamteuropäischen Friedensordnung unter dem Dach der OSZE Terrors gegen die sowjetische sollten Kooperationen nicht Bevölkerung, egal welcher Her- pauschal ablehnen, aber dabei Dietrich Antelmann, Berlin ·Ana Warwara vonKeitz, Berlin ·Dr. Karin Ritter-Pichl, Berlin ·Hildegard vonMeier,Berlin kunft. Das muss besser beleuch- rote Linien markieren. Dr.-Ing. Joachim Wernicke, Berlin ·Heide Schütz, Bonn 08 überfall auf die sowjetunion montag, 21. juni 2021 taz ! „Lukaschenko benutzt den Krieg als Rechtfertigung für alles“ In Russland wie in Belarus versuchen die Machthaber, die Geschichte umzuschreiben, sagt der belarussische Autor Sasha Filipenko. Der Begrif Faschismus werde dabei instrumentalisiert

Interview Barbara Oertel

gar die Wände der Baracken mitgenom- Mit welchem Ziel? men haben, um sie zu Hause wieder Um Geschichte zu verschleiern, In- aufzubauen. Oder etwa bei den Nürn- formationen zurückzuhalten. Doch das berger Prozessen, wo Roman Rudenko geht nicht mehr. Daher wird es ihnen als sowjetischer Ankläger auftrat, ein nicht gelingen, die jungen Menschen Mann, der persönlich außergericht- umzuerziehen. Ein simples Beispiel: liche Erlasse unterschrieb, um Men- Als Kind habe ich Trickfilme geschaut, schen zu erschießen. Und so einer trat die liefen immer zur selben Zeit auf im Namen des Guten auf, um über Na- demselben Kanal, es gab ja nur zwei. zis zu richten. Heute ist in Russland die Mein Sohn kann sich auf Youtube zwi- Rede davon, für Felix Dserschinski (Lei- schen unendlich vielen Filmen ent- ter der ersten sowjetischen Geheimpo- scheiden. Putin und Lukaschenko be- lizei, Anm. d. Red.) wieder ein Denkmal greifen nicht, dass sich die Menschen zu errichten. längst daran gewöhnt haben, mehrere Und wenn Historiker bei dieser Optionen zu haben. „Umdeutung“ nicht mitspielen? Welche Rolle spielt Literatur in die- Historiker, die über die Repressio- sem Kontext? nen schreiben, stehen unter großem Keine. Die Bücher von Nobelpreis- Druck. Außerdem sind viele Quel- träger Alexander Solschenizyn wurden len nicht zugänglich. Die Dokumente, schon zur Sowjetzeit millionenfach ge- die ich in „Rote Kreuze“ benutzt habe, lesen. Das hat Russland nicht daran ge- wurden mir nicht in Russland ausge- hindert, in nur 20 Jahren dorthin zu- händigt, ich habe sie in Genf gefun- rückzukehren, wo es jetzt steht. Des- den. Moskau erkennt nicht an, dass halb sollten wir die Rolle von Literatur der Kommunismus ein genauso ver- keinesfalls überschätzen. brecherisches System war wie der Fa- Sie schreiben trotzdem. schismus. Die Frage ist nicht, welchen Ein- Was sind die Gründe dafür? fluss ein Buch hat, sondern ob ein Au- Reiner Machterhalt und der Aufbau tor diese Sisyphos-Arbeit tun muss. einer totalitären Gesellschaft, die mit Wenn du Zugang zu Dokumenten hast den gleichen Mitteln regiert wird wie und darin deine Mission siehst, musst in der Sowjetunion. Putin sehnt sich du schreiben und veröffentlichen. Das nach einem neuen Imperium, zu dem Wichtigste ist, dass die Geschichte nicht auch die Ukraine und Belarus wieder vergessen wird. Sobald Menschen die gehören. Repression vergessen, wird sie sich wie- Umfragen des Lewada-Zentrums in derholen. Moskau zeigen, dass der Zuspruch für Sie halten sich derzeit in der Stalin wächst … Schweiz auf. Werden Sie dort bleiben? Die Umfragen zeigen nur, was sie Ich habe nur bis Oktober einen Auf- zeigen müssen. Die Soziologie ist tot, enthaltstitel. Dann werde ich mit mei- in Russland gibt es keine unabhängi- ner Familie wohl nach Russland oder gen Erhebungen mehr. Durch die Pro- Belarus zurückkehren müssen. paganda, der wir seit zehn Jahren aus- Das ist sehr riskant. gesetzt sind, steigt die Zahl der Anhän- Ja. Die Schweiz ist das einzige Land ger der Sowjetunion. Heute werden im Westen, das Swetlana Tichanows- Bücher mit Preisen bedacht, in denen kaja (belarussische Oppositionsfüh- steht: Gut, dass es in der Sowjetunion rerin, derzeit im Exil, Anm. d. Red.) auch Lager gegeben hat, auch da habe nicht auf höchster Ebene empfangen man sich verlieben können. hat. Hier ist man immer noch der Mei- Moskau und Minsk gebrauchen nung, dass Lukaschenko ein rechtmä- Verhaftungen beim Protestmarsch der Frauen in Minsk am 12. September 2020 Foto: Dmitry Azarov/Polaris/laif den Begriff Faschismus inflationär. ßig gewählter Präsident ist. Dennoch So wird gesagt, dass die ukrainische versuchen wir, hierzubleiben. Mein Regierung eine faschistische Junta Vater wurde in Belarus bereits vier- sei, und der Direktor der belarussi- mal vorgeladen, er hat seine Arbeit taz: Herr Filipenko, in Ihrem Ro- schen sein, weil ihnen die deutschen gleichbedeutend mit Faschisten, alle schen Fluggesellschaft Belavia hat die verloren und man teilte ihm mit, wel- man „Rote Kreuze“ spielt die Ausei- Uniformen aus den Filmen so gut ge- europäischen Werte sind faschistisch. Einstellung des Flugverkehrs durch che Gefängnisstrafe mich erwartet. Es nandersetzung mit dem Stalinismus fielen. Wenn du jedoch ein Hakenkreuz Die Sowjetunion gilt als Bollwerk da- die EU eine „faschistische Perversi- ist erniedrigend, nachweisen zu müs- eine wichtige Rolle. Das gilt auch für auf die Bank maltest, kamen sofort El- gegen. tät“ genannt … sen, dass ich in Gefahr bin. Sie werden Ihr neues Buch über den Direktor ei- tern und Freunde und schimpften, das Auch nach innen? Der Begriff Faschismus wird als Sy- mir wohl erst glauben, wenn ich fest- nes Moskauer Krematoriums. Woher dürfe man nicht, weil es sonst wieder Seit 26 Jahren lautet Lukaschenkos nonym für das Böse schlechthin ge- genommen werde. kommt dieses historische Interesse? Krieg geben würde. Erzählung: Hauptsache kein Krieg! Al- braucht und das von Leuten, wie den Sasha Filipenko: Dokumente zu le- Welchen Stellenwert hat dieser les, was er getan hat, alle Repressionen, Anhängern Lukaschenkos, die selbst sen ist ein unvergleichliches Gefühl, Krieg heute, vor allem in der jungen aber auch alle wirtschaftlichen Prob- für das Böse stehen. Als Putin Truppen vor allem, wenn man dann davon er- Generation? leme, hat er immer so begründet: in die Ukraine geschickt hat, musste zählen kann. In Belarus und Russland Die einen sehen das als große Tra- Die belarussische Literaturnobel- schnell eine Erklärung her: Es hieß, ist das jetzt besonders wichtig, weil die gödie. Andere erkennen, dass der preisträgerin Swetlana Alexijewitsch alle dort seien Faschisten, die russische Machthaber versuchen, die Geschichte Staat diesen Krieg jetzt zur Propa- fühlt sich von den Ereignissen in Menschen erschießen. Das versteht je- umzuschreiben und alle Schrecken, die ganda nutzt, um die Menschen einzu- Belarus an finsterste Stalin-Zeit er- der, weil jeder eine Großmutter oder passiert sind, vergessen zu machen. schüchtern und äußere Feinde zu fin- innert … einen Großvater hat, die im Zweiten Woran ist das zu merken? den. In Russland werden alle heuti- Es gibt viele Parallelen. Jeden Tag Weltkrieg gekämpft haben. Du siehst in Russland Leute, die auf gen Schwierigkeiten in der Wirtschaft verschwinden Menschen und wer- Wenn keine Auseinandersetzung ihren Autos Aufkleber mit der Auf- mit dem Zweiten Weltkrieg begrün- den so lange gefoltert, bis sie sagen, mit der Geschichte stattfindet, wie schrift „1941–1945“ haben. Das bedeu- det. Dabei weiß die junge Generation Lukaschenko sei ein großer Führer. wirkt sich das auf künftige Genera- tet: Wir sind bereit, die Deutschen noch kaum noch etwas von den Schrecken Der einzige Unterschied ist, dass wir tionen aus? einmal zu besiegen. des Krieges. nicht so viele Opfer haben wie wäh- Glücklicherweise gibt es immer Welche Rolle hat der „Große Vater- Gibt es weitere Folgen von Propa- rend der Stalin’schen Repressionen. noch Verrückte, die versuchen, in die ländische Krieg“ in Ihrer eigenen Fa- ganda? Aber wir sind ja in Belarus auch nur Archive zu gelangen. Der größte Feh- milie gespielt? In Russland sind viele davon über- neun Millionen. Doch allein in den ler von Putin und Lukaschenko ist, dass Der Krieg hatte für mich als Kind zeugt, dass der Krieg 1941 mit dem letzten neun Monaten sind 40.000 sie gegen ihre eigenen Völker kämp- der Sowjetunion immer eine große Be- Überfall der Deutschen auf die Sowjet- Menschen durch die Gefängnisse ge- fen. Doch ihnen läuft davon. deutung. Mein Großvater war Luftwaf- union begonnen hätte. Niemand er- gangen. Lukaschenko hat 2020 die Wahl ge- Gilleron/epa Laurent Foto: fengeneral. Von frühester Kindheit an innert sich daran, dass Russland und Sie haben davon gesprochen, dass nauso gefälscht wie allen anderen zu- Sasha Filipenko, geboren 1984 in Minsk, wurde uns gesagt, dass wir die Guten Deutschland Verbündete waren, als sie die Geschichte umgeschrieben wer- vor. Nur hat er nicht verstanden, dass ist ein belarussischer Schriftsteller, der seien, die das Böse besiegt hätten. 1939 Polen aufgeteilt haben. den soll. Wie geschieht das? er die Leute nicht mehr betrügen kann. auf Russisch schreibt. Er studierte Das war doch auch die offizielle Gilt das auch für Belarus? Dafür gibt es sehr viele Beispiele. Warum? Literatur in St. Petersburg und arbeitete Lesart? Auch Alexander Lukaschenko be- Aus Dokumenten geht hervor, dass Während Europa das Internet weiter- als Journalist und Drehbuchautor. Auf Ja, aber als wir im Hof Krieg spielten, nutzt den Krieg als Rechtfertigung die sowjetischen Truppen, als sie deut- entwickelt, versuchen Putin und Luka- Deutsch liegen die Romane „Rote Kreuze“ wollten alle Kinder immer die Deut- für alles. Der ganze Westen ist für ihn sche Lager befreit haben, hinterher so- schenko, es zu verbieten. und „Der ehemalige Sohn“ (Diogenes) vor. taz ! montag, 21. juni 2021 überfall auf die sowjetunion 09

2.500 Euro als Gnadenbrot Der 95-jährige Kriegsveteran Nikolai Orlow war als Minderjähriger in deutscher Kriegsgefangenschaft

„2016 haben wir erneut einen Antrag gestellt“, erzählt Nikolai Orlow mit kräftiger Stimme. Kurz zuvor hatte die Bundesrepublik noch ein- mal Entschädigungsleistungen für sowjetische Kriegsgefangene beschlossen: einmalige Zah- lungen in Höhe von 2.500 Euro. Orlows Enkel kümmerte sich um den Antrag, auch er hat be- reits das Rentenalter erreicht. „Wir warten im- mer noch auf eine Antwort“, sagt sein Großva- ter mit 95 Jahren gelassen. „Wenn sie sich nicht melden, habe ich wohl keinen Anspruch.“ Orlow saß in einem Lager in der Nähe von Smolensk, bis die Deutschen ihn gegen Kriegs- ende zum Arbeitseinsatz nach Italien schick- ten. Weil er da noch minderjährig war, hätte er wohl keinen Anspruch auf Entschädigung, ver- mutet er. In den 1990er Jahren hat er einmal eine Entschädigungszahlung erhalten. Allerdings ist Orlow kein hilfloser Rentner, jahrelang arbeitete er im Moskauer Veteranen- komitee. Ehrenamtlich. Seine Odyssee begann im Snamenski-Rajon im Gebiet Smolensk. In jenem Lager saßen russische Kriegsgefangene, Orlow wurde als Pferdeknecht eingesetzt. Von hier aus marschierten sie im Konvoi bis Bela- rus, wo sie in einen Pferdewaggon verfrachtet wurden, erzählt Orlow. Die Fahrt endete in Roc- chetta bei Ravenna in Italien. Dort arbeiteten die Häftlinge in einer Ziegelfabrik. „Damals waren die Amerikaner schon im Süden Italiens. Wir sollten verlegt werden“, er- zählt er. Er nutzte amerikanische Luftangriffe zur Flucht. Zwei Wochen streifte Orlow durch die Berge, bis er auf Partisanen der Garibaldi- Eine Weltkriegsveteranin bei der Einweihungszeremonie des neuen Soldatendenkmals in Rschew Foto: Sergei Karpukhin/picture alliance Brigade traf, der er sich anschloss. Noch in den 1990er Jahren trafen sich die ehemaligen Bri- gadisten in Italien oder Russland. Die Amerikaner entwaffneten die Parti- sanen, Nikolai Orlow wurde in ein Lager für deutsche Kriegsgefangene bei Livorno ge- Im Fleischwolf steckt. „Wir traten in den Hungerstreik. Und siehe da, nach kurzer Zeit wurden wir nach Rom verlegt!“, wundert sich Orlow noch heute. Danach seien sie auf eine kleine Weltreise ge- der Diktatoren schickt worden: von Rom nach Neapel bis nach Taranto. Von dort ging es per Schiff ins ägyp- In der Stadt Rschew fand eine der furchtbarsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs statt. tische Alexandria. Weiter über Suez, Teheran und Baku. „Am 1. Januar 1945 war ich wieder Sowjetische Truppen stoppten den Vormarsch der Deutschen, erlitten aber hohe Verluste in Russland. Das war mein Leben als Soldat“, sagt der Veteran. Danach wurde es beschaulicher. Nikolai Or- Aus Rschew Klaus-Helge Donath low kümmerte sich um die sowjetische Land- wirtschaft. Einige Erfolge hätte er auch vor- Sergei Petuchow steht in dem klei- und Geschütz auf seinen Befehl hin wendete. Moskau als Ziel der Wehr- zuweisen, sagt er bescheiden. Insgesamt ver- nen Museum des „militärisch-histo- wegen Mangels verschossen werden. macht kam in dieser Darstellung schlechterte sich die Lage aber immer weiter, rischen Suchdienstes“ in Rschew vor Auch Kommandeuren befahl er, Le- nicht vor – wohl um Fehler der mi- räumt er ein. Am Ende sei die Sowjetunion zu- der Gedenktafel für Käthe Kollwitz. bensmittel „vor Ort“ zu beschaffen. litärischen Führung zu verbergen. sammengebrochen. Orlow bedauert das, auf- Rschew, eine Kleinstadt am Oberlauf Die Historikerin Swetlana Geras- „Ich bin vor Rschew gefallen, in richtig. der Wolga, liegt 180 Kilometer nord- simowa bezweifelt in ihrer Disser- feuchten Niederungen. Der Angriff Die Kriegserfahrungen vieler Veteranen westlich der russischen Hauptstadt tation „Schlacht von Rschew, Schu- war uns allen so plötzlich aufge- nahmen der Generation den Glauben an ge- Moskau. Am Eingang des deutschen Am 22.Juni 2021 werden kows verlorener Sieg“, gar, dass der zwungen. Sind’s Jahre, die ich liege? waltsame Lösungen. Wenn doch nur Frieden Soldatenfriedhofs mahnt Käthe Koll- die im vergangenen Generalstab über die wahre Lage der Vor wie viel Tagen, Wochen hat man herrschte, lautete die Hoffnung. Neonazis und witz’ Skulptur „Trauernde Eltern“. Jahr entdeckten Truppen informiert gewesen sei und in diesem Krieg von Stalingrad ge- Unruhestifter seien heute jedoch wieder am Rschew war die blutigste Schlacht in zieht die Vernunft hoher Militär- sprochen?“, fragte der Dichter Alex- Werk, sagt Nikolai Orlow aufgebracht. Angeb- der Geschichte, in der bis zu 2 Mil lio- Überreste beigesetzt. und Staatsführer in Zweifel. ander Twardowski schon 1946. Die lich verbreiteten sie sich in Windeseile und nen Soldaten umkamen. Selten sind es weniger Rschew war nicht nur die blutigste Vers er zählung wurde in das Brü- würden in der Ukraine schon den Staat be- Nebenan ruhen die Gefallenen Schlacht aller Zeiten. Die extremen ckengeländer der Ehrenallee einge- herrschen, fürchtet er. der Roten Armee. Kollwitz’ Denkmal als tausend Gebeine Verluste waren auf zögerliche Kom- lassen, die über den Ufern der Wolga Der Veteran gibt wieder, was das russische stand vorher in Vladslo in Westflan- mandeure zurückzuführen, die sich zu einem Obelisken führt. Im Tal da- staatliche Fernsehen den Zuschauern regelmä- dern. Dort war Sohn Peter 1914 für strikt an Vorgaben hielten, vor allem hinter fand ein erbarmungsloser ßig einbläut. Wie erholsam sei früher das Fern- „Kaiser und Vaterland“ gefallen. Erst aber Soldaten ohne Schutz und Waf- Kampf statt, den das örtliche Mu- sehen gewesen, sagt der Veteran. Heute werde 2014 wurde das nachgebildete Figu- scher Soldaten neben Rasierbeste- fen ins Feuer schickten. Angeblich seum nachzeichnete. Heute erinnert über alles berichtet, was vom Himmel falle, be- renensemble in Rschew eingeweiht. cken und Schuhputzcremes. sollte sich die Hälfte der Angreifer nur noch ein sowjetischer Flieger auf klagt sich Orlow. Klaus-Helge Donath „Anfangs gab es viel Wider- Rschew hatten die Deutschen im das Gewehr eines Gefallenen auf einem Podest an das Geschehen. stand“, erzählt Petuchow, der Leiter Oktober 1942 besetzt. Die Stadt war dem Schlachtfeld besorgen. In 15 Mo- Auch Bildhauer Andrei Korob- des Suchkommandos ist. „Bei deut- Teil der großen Schlacht um Moskau. naten fielen in Rschew und im be- zow wählte den Kranich als Motiv schen Soldaten und einer deut- Stalins Soldaten brachten die deut- nachbarten Vjasma mehr als 2 Mil- für sein „Denkmal des sowjetischen schen Künstlerin bei uns erhitzten schen Einheiten an der Moskauer lionen Rotarmisten. Soldaten“. Im Sommer 2020 wurde Was bedeutet sich die Gemüter!“ Das habe sich Stadtgrenze zum Stehen. Attacke „Wir haben Rschew über Lei- es eingeweiht. Der 25-Meter-Koloss gelegt. Der Friedhof wurde schon „um jeden Preis“, „keine Atempause chenfelder angegriffen.“ Durch „Tä- steht auf einer Anhöhe vor Rschew, Ihnen der 2002 von der deutschen Kriegsgrä- für die Deutschen“, so der Befehl. ler des Todes“ seien sie gekrochen, in einem Park mit Frontküche um- berfürsorge eingeweiht. Petuchow Bei Rschew gelang es, einen Brü- schreibt Veteran Pjotr Michin. Vor- geben von Fotos sowjetischer Solda- 22. Juni 1941? trägt eine Tarnjacke über einem T- ckenkopf zu schaffen und die Front bei an Leichen, aufgequollen und ten aus Zentralasien, die hier im Ein- Shirt des Suchdienstes. Die Arbeit einzudrücken. Die deutsche 9. Ar- voller Würmer, dem Gestank zer- satz waren. Nachdenklich schaut der … Freya Klier wird von der Stadt unterstützt, frü- mee lief Gefahr, abgekoppelt zu setzender menschlicher Körper aus- Soldat zu Boden, während aus dem her war sie ehrenamtlich. werden. Auch Hitler fürchtete das. gesetzt. „In sieben Schichten liegen Militärhemd Kraniche aufsteigen. „Der Eroberungskrieg Hitlers und seiner Am 22. Juni jährt sich zum 80. Mal Rschew sei eine „uneinnehmbare Li- sie manchmal übereinander“, bestä- Auch das Erbe Stalins wird im Nazis begann mit der Liquidierung der der deutsche Überfall auf die Sowjet- nie des Führers“ drohte er in einer tigt auch Petuchow. Falsche Planung Zuge der Erinnerung gesäubert. An- polnischen Intelligenz und der bestialischen union. An diesem Tag setzt der Such- Radiobotschaft den Soldaten. „Es ist der Kampfhandlungen, wenig Tech- fang August 1943 besuchte er erst- Misshandlung polnischer Frauen im KZ dienst die im vergangenen Jahr ent- das erste Mal, dass in diesem Krieg nik und mangelnde Truppenfüh- mals die Front. In Rschew. Weder Re- Ravensbrück. Im Juni 1941 kam die Sowjet- deckten Überreste bei. Selten sind es von mir der Befehl zur Zurücknahme rung mussten durch den „mensch- pressionen noch das Verheizen der union mit der Vernichtung dran, allein über weniger als tausend Gebeine. Meist eines größeren Frontabschnitts ge- lichen Faktor“ ausgeglichen werden, eigenen Kräfte werden ihm zur Last Leningrad warf die Luftwaffe bis Ende 1941 sind es nur 20 Prozent, deren Iden- geben wird“, meinte Hitler. Ende Ja- schreibt Gerassimowa. gelegt. Ehrfurchtsvoll wird des Heer- fast 70.000 Sprengbomben ab, viele gezielt tität ermittelt werden kann. nuar wendete sich das Blatt zuguns- Die Anerkennung der Stadt als führers gedacht. Anfang März 1943 auf Kindergärten, Schulen, Betriebe und Petuchow stammt aus Rschew. ten Stalins erneut, in drei Wochen „Ort militärischer Ehre“ ließ auf sich zogen die Sowjets wieder in Rschew Straßenbahnhaltestellen. Die persönliche Schon als Jugendlicher war er faszi- fielen 80.000 Soldaten. warten. Erst 2007 verlieh Präsident ein. Die Wehrmacht war vorher ab- Geschichte von Polen, Russen, Ukrainern niert, wenn er Orden, Hülsen oder General Georgi Schukow, der Ber- Wladimir Putin Rschew den Titel. gerückt. Stalins Befehl, die Heeres- und Weißrussen aus dieser Zeit berührt mich Ehrenabzeichen fand. Er sammelte lin von den Nazis befreite, grüßt Den Angriff auf Moskau hatten Mi- gruppe Mitte zu zerschlagen, wurde auch heute noch sehr.“ alles. Im neuen Museum finden sich auch heute in tadelloser Uniform litärs jahrzehntelang als mehrteilige nicht ausgeführt. Den deutschen Nivea-Dosen, Bayers Aspirin-Tablet- von Plakatwänden in Rschew. Ein Operation dargestellt, die sich gegen Truppen fehlte auch die Kraft, Sta- Freya Klier ist Autorin, Regisseurin und ehemalige ten und Antimückencreme deut- bis zwei Granaten durften pro Tag Norden, Süden und das Hinterland lingrad zur Hilfe zur eilen. DDR-Bürgerrechtlerin Angesichts der immer weiter voranschreitenden Handtuch Klimawandel. 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