La Terra Trema / Die Erde Bebt
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internationales berlin forum 25.6.-2.7. des jungen films 1972 LA TERRA TREMA Vorspann-Text Die Erde bebt "Die Ereignisse, die in diesem Film dargestellt werden, tragen sich in Italien zu, genauer in Sizilien, im Dorf Aci Trezza, das am Io• nischen Meer in geringer Entfernung von Catania liegt. Land Italien 1948 Die Geschichte, die der Film erzählt, ist die gleiche, die sich in der Welt überall da wiederholt, wo Menschen andere Menschen aus• Produktion Universalia, Rom beuten. Die Häuser, die Straßen, die Boote, das Meer sind die von Aci Regie Luchino Visconti Trezza. Buch Luchino Visconti, nach dem Roman Alle Darsteller des Films wurden unter den Einwohnern des Dor• / Malavoglia von Giovanni Verga fes ausgewählt: Fischer, Jungen, Tagelöhner, Maurer, Fischgroß• händler. Sie kennen keine andere Sprache als das Sizilianische, um Rebellion, Regieassistenz Francesco Rosi, Franco Zeffirelli Schmerz und Hoffnung auszudrücken. Die italienische Sprache ist in Sizilien nicht die Sprache der Armen." Kamera G.R. Aldo Kameraassistenz Gianni di Venanzo Musik Luchino Visconti, Willy Ferrero Luchino Visconti Von Verga zu Gramsci Schnitt Mario Serandrei Da mich die tieferen Gründe interessieren, die die Existenz so vie• ler Italiener mit Qual, Beunruhigung und Angst vor der Zukunft Darsteller Einwohner des Dorfes Aci Trezza erfüllen, habe ich das Problem Süditalien stets als eine der haupt• sächlichen Inspirationsquellen für mein Werk betrachten. Ich muß klarstellen, daß ich mich diesem Problem zunächst auf rein litera• Uraufführung Venedig, September 1948 rischem Weg genähert habe; ich kann sogar sagen, daß ich es auf diese Weise eigentlich erst entdeckt habe: durch die Romane von Länge 4.453 m Verga. Das vollzog sich 1940/41, während ich Ossessione vorberei• tete. Die einzigen Romane innerhalb der italienischen Literatur, Format 35 mm die mich seit der Lektüre meiner Jugend unwiderstehlich anzogen, waren der Mastro Don Gesualdo und I Malavoglia. Dies geschah in dem Augenblick, als ich mit meinem ersten Film, sei es auch Inhalt eingeengt durch die vom Faschismus gesetzten Schranken, ein zeitgenössisches Thema des italienischen Lebens in Angriff nahm. Der Film erzählt die Geschichte der Fischerfamilie Valastro aus Ich muß sagen, daß von diesem Augenblick an der Plan in mir Aci Trezza und ihrer Revolte gegen die Diktatur der Fischgroß• reifte, nach dem zweiten Roman einen Film zu machen. Dann kam händler. Gegen den Rat ihres Großvaters beschüeßen die beiden der Kriegend mit dem Krieg der Widerstand,und mit dem Wider• Brüder Ntoni und Cola Valastro eines Tages, nicht mehr die Be• stand für einen Intellektuellen meiner Bildung die Einsicht, daß dingungen der Großhändler zu akzeptieren, die den Fischern die Probleme sowohl durch die kulturelle, geistige und moralische ihren Fang für so geringes Geld abkaufen, daß ihre Lebensbedin• Orientierung als auch durch die gesellschaftliche Struktur bedingt gungen immer unerträglich bleiben müssen, sondern sich selb-, sind. Die Unterschiede, Widersprüche und Konflikte zwischen Nor• ständig zu machen und auf eigene Rechnung zum Fischfang aus• den und Süden begannen mich leidenschaftlich zu beschäftigen, zufahren. Sie nehmen eine Hypothek auf ihr Haus auf, um eine und zwar über das Maß hinaus, in dem das 'Mysterium' des Grundlage für das eigene Unternehmen zu haben. Die ersten Fän• Mezzogiomo und der Inseln mich als Nordländer faszinierten... ge sind günstig. Viele Fässer mit Fisch können eingesalzen werden. Vittorini hatte mit seinen Gesprächen in Sizilien bereits guten . Auch das soziale Ansehen und die Heiratsaussichten Ntonis und Alarm geschlagen. Der mythische Schlüssel, den ich bis zu diesem seiner Schwester Mara scheinen zu steigen. Aber eines Tages gerät Augenblick an Verga geschätzt hatte, war mir nicht mehr genug. das Boot der Valastros in einen schweren Sturm, vor dem sie nicht Ich verspürte das dringende Bedürfnis, herauszubekommen, wel• hatten ausweichen können, weil die Familie unter dem Zwang ches die historischenjökonomischen und gesellschaftlichen Grün• steht, auch bei schlechtem Wetter zum Fang ausfahren zu müssen. de waren, aus denen das Drama des Südens gewachsen war... Das Boot wird vollständig zerschlagen und ist nicht mehr seetüch• tig, die Brüder können gerade ihr Leben retten. Von da ab geht es Man kann mir die Frage stellen, warum ich mich in meinen beiden den Valastros immer schlechter, sie müssen die Fässer mit dem Filmen über den Süden LA TERRA TREMA und Rocco und gesalzenen Fisch doch an die Großhändler zu deren Preisen ver• seine Brüder auf wesentlich psychologische Konflikte konzentriert kaufen, die Bank aus Catania vertreibt sie schließlich aus ihrem habe, die in der Tradition des Verga'schen Themas des Scheiterns, Haus, und am Ende müssen Ntoni und die anderen aus seiner der 'vinti' also, liegen. Ich werde versuchen, auf diese Frage zu Familie nicht nur den Spott der Bevölkerung auf sich nehmen, antworten. sondern sich wiederum bei den Großhändlern verdingen, um nicht zu verhungern. Ntonis Bruder Cola hat inzwischen Aci Ein Film erwächst aus der allgemeinen Beschaffenheit einer Kul• Trezza verlassen, um woanders sein Glück zu suchen. Das letzte tur. Wenn ich mich mit der Thematik des Südens befassen wollte, Bild zeigt Ntoni mit seinem kleinen Bruder, wie sie wiederum konnte ich nur von der Basis des höchsten Niveaus, das hinsicht• aufs Meer hinausfahren, im Dienste der Sklavenhalter, aber ihre lich dieses Themas bereits erreicht worden war, ausgehen: von Bewegungen sind anders als zu Beginn des Films. Verga. Aber wenn man genauer hinsieht, habe ich auch in LA TERRA TREMA versucht, als Grund und Quelle der ganzen dramatischen Entwicklung einen ökonomischen Konflikt zu ent• das nachschaffen können. Er hat eine eigene Sprache erfunden, die binden. ein Mittelding ist zwischen dem Schrift-Italienischen und dem Dia• lekt. Es ist, wenn Sie wollen, Italienisch, das aber die dialektale Der Schlüssel zum Verständnis von Gcisteshaltungen, von Seelen- Syntax beibehält. Der echte katanische Dialekt, den die Fischer aus zuständen und Konflikten ist für mich also vorwiegend gesellschaft• LA TERRA TREMA sprechen, ist wirklich sehr schwer verständ• licher Natur, auch wenn die Schlüsse, zu denen ich komme, nur rein menschliche sind und konkret einzelne Individuen betreffen. lich. Aber die Hefe, das Blut gleichsam in der Erzählung, ist angerei• Als Brancati, ein sehr guter sizilianischer Autor, die Dialoge hörte, chert mit staatsbürgerlichen Leidenschaften, mit gesellschaftlicher hat er ausgerufen: "Aber das sind die schönsten Dialoge der Welt! Problematik. Nie hätte man so etwas schreiben können!" Das ist die Wahrheit. Die Dialoge sind schön, weil sie wahr sind. Sie sind so, wie die mei• Da Verga a Gramsci. In: Vie Nuove, Nr. 42, 22. Oktober 1960. sten Leute dort sprechen. Selbst in den dramatischsten Augenblicken Zitiert nach: TheodorKotulla (Hrsg.), Der FümManifeste, Ge• drücken sie sich so aus. spräche, Dokumente. München, 1964, S. 68 f. Gespräch mit Luchino Visconti, von Jacques Doniol-Valcroze und Jean Domarchi, in: Cahiers du Cinema, Paris, Nr. 93, März 1958. Interview mit Luchino Visconti Zitiert nach: Theodor Kotulla (Hrsg.) a.a.O., S. 64 f. Visconti: Laien zu verwenden^st keineswegs eine unerläßliche Bedingung des Neorealismus. Gewiß, es ist möglich, 'wirkliche' Drehbuchauszug Leute von der Straße zu holen, die genau den Filmfiguren ent• sprechen, aber dann besteht die Arbeit darin, sie zu Schauspielern Szene 113: Schiffsreparatur am Strand. Außen. Tag. 487. Halbnah. zu machen. Ich habe Stunden um Stunden mit meinen Fischern Vom Innern der Werkstatt aus gesehen. Rechts ein Boot, das in Re• aus LA TERRA TREMA geprobt, um sie eine kleine Replik paratur liegt. Am Eingang unterhält eine Frau ein Feuer. Im Hinter• sprechen zu lassen. Ich wollte mit ihnen zu den gleichen Resul• grund das Meer. Ein kleiner Junge mit einem Korb kommt ins Bild. taten kommen wie mit Schauspielern. Wenn sie Talent hatten, Ein Mädchen mit einem Kopftuch, Rosa, erscheint von links und und das hatten sie (sie hatten vor allem etwas Außerordentliches: versteckt sich im Eingang, als ob es jemanden beobachten wollte. keinerlei Komplexe vor der Kamera), kamen sie sehr schnell da• Geräusche aus der Werkstatt; im Hintergrund das Rauschen des hin. Die Hauptarbeit mit Schauspielern besteht darin, sie ihre Meeres. Komplexe und ihre Scheu überwinden zu lassen. Aber diese Fischer 488. Halbtotale. Aus dem Eingang der Werkstatt. Antonio erscheint hatten keinerlei Scheu. Mit ihnen konnte ich etwas erreichen, im Hintergrund und kommt auf die Kamera zu. Rosa (im Vorder• wohin ich mit Schauspielern erst nach bedeutend längerer Zeit grund) beobachtet ihn. Rechts stehen zwei Männer bei einem ande• komme. Auch der Text lag nicht vorher fest; ich ließ sie ihn selbst ren Feuer. finden. Ich nahm mir etwa die beiden Brüder vor und sagte zu ihnen: "Also, die Situation ist die: Ihr habt die Barke verloren, Di Luca: Guten Tag, Antonio. ihr seid im Elend, ihr habt nichts mehr zu essen, ihr wißt nicht Bastiano: Guten Tag, Antonio. mehr, was ihr tun sollt. Du willst fortgehen, du bist sehr jung, Antonio: Grüß Dich, Bastiano. und der andere will dich zurückhalten. Sag ihm, was dich von hier wegzieht." Er hat mir geantwortet: "Ich will Neapel sehen, Antonio geht an ihnen vorbei und verläßt das Bild nach rechts. ich weiß nicht, schließlich..." - "Gut, das ist es, aber nun sag ihm 489. Nah. Antonio, die Hände in den Taschen, geht an den beiden noch, weshalb du nicht hierbleiben willst." Darauf hat er genau Männern vorbei. Im Hintergrund der Eingang der Werkstatt. Rosa das geantwortet, was er auch im Film sagt: "Weil man hier lebt kommt auf die Kamera zu (groß), während Antonio sich entfernt wie die Tiere. Man gibt uns nichts. Ich möchte die Welt sehen." und nach ünks aus dem Bild geht. Für ihn war Neapel die Welt. Das war sehr weit fort, es war der Nordpol. Dann bin ich zu dem andern gegangen; "Was würdest 490. Halbnah. Vor dem Hintergrund des Meeres liegt das Boot der du deinem Bruder sagen, wenn du ihn zurückhalten wolltest, dei• Valastros auf dem Trockenen. Ein Mann bearbeitet es mit einem nem wirklichen Bruder? " Er war schon bewegt und hatte Trä• Hammer.