WEBFEHLER Geschichten Aus Der Digitalen Welt
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das goethe Ausgabe 2/2019 WEBFEHLER Geschichten aus der digitalen Welt Datensammler Kolonialismus Widerstand Wir sind alle Teil eines Der „Norden“ hat im Russlands Netzaktivisten globalen Geschäftsmodells Netz das Sagen suchen letzte Freiräume Sprache. Kultur. Deutschland. IS IT A BOX? 3 LIEBE LESERINNEN UND LESER! er im Internet danach sucht, wird rasch ein ziemlich verräterisches Bild finden: ein Porträt von Face- W book-Gründer Mark Zuckerberg, dessen Computer im Hintergrund eine abgeklebte Kamera zeigt. Wer von Ihnen öfter mit der Bahn fährt, dem werden sicher immer wieder Mitrei- sende auffallen, die die offenkundige Sorge Zuckerbergs teilen, dass uns Laptop-Kameras ohne unser Wissen ausspionieren. Technisch ist das natürlich kein Problem, viel subtiler dagegen Johannes Ebert (links) und Klaus-Dieter Lehmann ist das Sammeln jener Daten, die wir ohnehin freizügig im Netz preisgeben. Wer online einkauft und erst recht, wer in den sozialen Medien unterwegs ist, gibt tiefe Einblicke in sein Privat- Wenn Sie mehr über dieses und andere Themen erfahren wollen, leben. Selbst Fernsehgeräte übermitteln mittlerweile unsere besuchen Sie uns auf der neuen Seite des Magazins: Seh gewohnheiten. Für Unternehmen sind solche Informationen eine Ware, die beispielsweise an Werbetreibende verkauft wird. www.goethe.de/dasgoethe Die Frage nach Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit im Internet Hier können Sie uns auch schreiben – zum Beispiel, wie Ihnen betrifft also nicht, wie man auf den ersten Blick denken mag, diese Ausgabe von „das goethe“ gefiel. Wir wünschen Ihnen eine Menschen, die in restriktiven Systemen unter beschränkten anregende Lektüre und danken herzlich den Mitgliedern des Zugängen oder zensierten Meinungen leiden. Sie betrifft uns alle. Wirtschaftsbeirates des Goethe-Instituts, die uns bei der Realisie- rung dieser Ausgabe unterstützt haben. Wir haben Ihnen in dieser Ausgabe Geschichten zusammengestellt, die zum einen Ungerechtigkeiten aufzeigen, die vielen von uns womöglich gar nicht bewusst sind. Zum anderen stellen wir Ihnen Menschen und Initiativen vor, die sich für Gerechtigkeit und Gleichheit im Netz engagieren. Vielerorts sind es Künstler*innen, die Klaus-Dieter Lehmann Johannes Ebert sich unter schwierigen Umständen kritisch damit auseinandersetzen. Präsident Generalsekretär Am zentralen Tahrir-Platz in Kairo brachten sich 2012 während der Proteste gegen den damaligen Präsidenten Mohammed Mursi Fernsehteams in Stellung und sendeten mit diesem UNSER TITELBILD Satelliten-Uplink ihre Liveübertragungen. Ein temporärer Teil des Internets. Internetcafé im marokkanischen Sidi Mokhtar westlich von Marrakesch. Das Internet des Landes gehört zu den schnellsten in Afrika. Knapp 60 Prozent der Bevölkerung haben Zugang dazu (Deutschland: 88 Prozent). Die In dieser Ausgabe zeigen wir Ihnen Fotos des Hamburger Fotografen HEINRICH HOLTGREVE. Zu seiner Serie „is it a box? – durchschnittliche Verbindungs- Das Internet als Ort“ schreibt er: „Im summer of ’69 ursprünglich aus militärischen Interessen entwickelt, dient das Internet geschwindigkeit liegt in Marokko heute dank Facebook und YouPorn der Völkerverständigung und wird damit den Idealen seines Geburtsjahres gerecht. bei 5,2 Megabit pro Sekunde Milliarden von Menschen tummeln sich im Internet. Doch woraus besteht das Internet? Kann man es besuchen? (Deutschland: 15,4 MBit/s). Ist es schön dort?“ Holtgreve ist Fotograf der Berliner Agentur Ostkreuz. Einige seiner Werke waren im Rahmen von „Allemagne Année 2019“ im Goethe-Institut Paris zu sehen. 4 5 Die meisten Weltkarten zeigen die Kugeloberfläche der Erde so, dass Nordamerika, Europa und und Europa Nordamerika, so, dass der Erde zeigen die Kugeloberfläche Weltkarten Die meisten klein erscheinen. und die Regionen südlich davon entsprechend unverhältnismäßig groß Russland Entfernungen hingegen fast vollkommen der Realität. hingegen fast Entfernungen Auf diesem Entwurf des japanischen Architekten Hajime Narukawa entsprechen die Größen und und die Größen entsprechen Hajime Narukawa diesem Entwurf des japanischen Architekten Auf WER ERKLÄRT DIE WELT? INHALT 6 10 12 Diese Karte zeigt den Anteil der Wikipedia-Artikel mit lokalen Inhalten, die von Autor*innen des jeweiligen DIGITALE KLUFT AFRIKA RECHT AM EIGENEN ICH Landes verfasst wurden. Untersucht wurden alle der Decolonize „Wenn die Ein digitales rund 300 Sprachversionen der Online-Enzyklopädie. In Deutschland stammen demnach mehr als drei Viertel the Internet! analoge Welt Panopticon aller Beiträge von Nutzer*innen, die auch hier leben. In Ina Holev ungleich ist, …“ Marc Garrett afrikanischen Ländern liegt dieser Anteil hingegen bei Auch das Internet teilt die Welt Ein Gespräch mit Isla Haddow- Globale Konzerne kontrollieren nur fünf Prozent. Die meisten Einträge, die sich inhaltlich in „Nord“ und „Süd“. Es ist Flood über ihr Projekt das Internet. Künstler*innen mit diesen Ländern befassen, wurden also von ein Abbild des Kolonialismus „Wiki Loves Women“ wollen das ändern Menschen geschrieben, die dort gar nicht leben – sondern vornehmlich in Europa und den USA. Deshalb sind in der Wikipedia die Kolonialzeiten stets Anteil der Wikipedia-Artikel mit lokalen Inhalten, 16 20 22 besonders detailliert beschrieben – und zwar meist aus die von Autor*innen des jeweiligen Landes stammen der Sicht der ehemaligen Kolonialisten. Auch für Japan RUSSLAND KOLUMBIEN FÜNF SÄTZE KUNST und China gilt: Die Historien sind vollständiger für 75 – 86 % Digitaler Druck Ein demokratischer I think I saw Perioden, in denen es europäische Kontakte gab. Weil in 50 – 74 % Tamina Kutscher Raum her blink China überdies der Zugang zu Wikipedia weitgehend 25 – 49 % Der russische Staat steigert gesperrt ist, ist die Geschichte des Landes maßgeblich Ana Luisa González Die Fotokünstlerin Julia 5 – 2 4 % den Druck auf die freien von Autor*innen aus Hongkong und Taiwan geprägt. Wie Juan Carlos Rincón mit Steinigeweg fragt sich, 0 – 4 % Medien. Auch die Freiräume seinem YouTube-Kanal die wie Technologien unsere im Internet schwinden Die Enzyklopädie ist somit auch Sinnbild des „Digitalen Medien des Landes aufmischt Lebensweisen verändern Quelle: Martin Dittus und Mark Graham, Kolonialismus“, weshalb die Wikimedia Foundation Oxford Internet Institute, University of Oxford (Stand 2018) den Kampf gegen diesen zum strategischen Ziel erklärte. geography.oii.ox.ac.uk 6 DIGITALE KLUFT 7 DECOLONIZE THE INTERNET! m Internet sind alle gleich, so dachten noch zu Beginn des Zusammengebaut werden die Handys, Computer und anderen Millenniums viele Menschen hoffnungsvoll. Als es Ende der elektronischen Gerätschaften der globalen Konzerne wiederum in I 1950er-Jahre von militärischen Thinktanks aus nach und nach Fabriken der Billiglohnländer, wo die Arbeitsbedingungen oft Das Internet ist geprägt von Machtstrukturen. in die Wissenschaft und eine zunächst noch kleine Öffentlichkeit schlecht sind. Der digitale Kolonialismus zeigt, wie sich etablierte fand, glich das Internet einer Utopie. Hinter der Maske der Anonymität sollten alle Nutzer*innen gleich sein und somit alle die Dabei geht es übrigens nicht nur um die Herstellung von Gütern: Hierarchien auch im weltweiten Netz verfestigen. gleichen Rechte haben. Keine Hierarchien – auch nicht zwischen Auf den Philippinen durchsuchen Content-Moderator*innen Tag für Doch bei Aktivist*innen und Künstler*innen wächst den User*innen in verschiedenen Ländern. Tag die sozialen Netzwerke nach Gewaltvideos – im Auftrag der der Widerstand. großen Social-Media-Unternehmen und ohne jedwede psycholo- Doch diese Hoffnung vom Internet als einem diskriminierungs- gische Unterstützung. freien Raum bleibt bis heute eine Illusion. Im Gegenteil: Macht- INA HOLEV strukturen sind schon in der technischen Infrastruktur fest DIE KARTELLE VON AMAZON, angelegt. Sie führen die Geschichte des Kolonialismus auch in der FACEBOOK, GOOGLE … virtuellen Sphäre fort: in Gestalt des „digitalen“ oder „elektroni- schen Kolonialismus“. Doch der digitale Kolonialismus geht noch viel weiter. Er durch- dringt das Netz beinahe vollkommen und beschreibt „eine neue, So sind viele Algorithmen der Künstlichen Intelligenz rassistisch. quasi-imperiale Machtstruktur, die von dominanten Mächten einer Viele Programme der Gesichtserkennung im Rahmen von Über- großen Anzahl an Menschen ohne deren Einverständnis auferlegt wachungen sind nicht in der Lage, „people of colour“ zu erkennen. wird“ – so definiert die Menschenrechtsanwältin Renata Avila Gerade Schwarze Frauen werden von diesen Technologien oft diese Kontinuität des Kolonialismus. falsch zugeordnet. Das liegt vor allem an den Programmierern dieser Anwendungen: Meist handelt es sich dabei um weiße Männer aus einem westlichen Umfeld. Ihnen fällt es selber viel schwerer, „people of colour“ zu unterscheiden als weiße Menschen. Auch wenn es um Das prägt mehr oder weniger unbewusst ihre Weltsicht und damit auch die von ihnen entwickelten Technologien. die weltweite Vernetzung Es bleibt, wie es immer war. Auch wenn es um die weltweite geht, gibt es die globale Vernetzung geht, gibt es die globale Teilung in den „Norden“ und den „Süden“. Die ab dem 16. Jahrhundert entstandenen kolonialen Teilung in den „Norden“ Strukturen finden sich heute in neuer Form wieder. Ohne die Rohstoffe des Südens kommt die Hightech-Industrie nicht aus. und den „Süden“. Entlang der alten Routen von Sklavenschiffen kommen heute die Seltenen Erden in den Norden. Diese werden in den Ländern des Südens unter teils furchtbaren Bedingungen gewonnen – Kobalt in zentralafrikanischen Minen etwa. Avila ist eine Aktivistin aus