Aktuelle Literatur Aus Indonesien Von Tigermännern Und Protestpriestern Von Katharina Borchardt
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Aktuelle Literatur aus Indonesien Von Tigermännern und Protestpriestern Von Katharina Borchardt Sendung: Donnerstag, 15. Oktober 2015, 08.30 Uhr Redaktion: Anja Brockert Regie: Alexander Schuhmacher Produktion: SWR 2015 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch sogenannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de MANUSKRIPT Atmo 1: Hafengeräusche, Straße Atmo 2: Gesang Khrisna Pabichara (buginesisch) O-Ton 1 - Khrisna Pabichara (indonesisch) / Zitator 1 (voiceover): Das ist ein Lied, das die Leute hier in Makassar singen, um die Seeleute zu begrüßen, die vom Meer zurückkommen. Manchmal waren sie sehr lange fort. Atmo 1 (weiter): Hafengeräusche, Straße O-Ton 2 - Khrisna Pabichara (indonesisch) / Zitator 1 (voiceover): Ich komme aus Makassar, und ich singe auf Buginesisch. Das ist unsere Sprache hier. Ich habe mich viel mit unserer alten Literatur beschäftigt. Man hat sie in Lontara- Schrift geschrieben. Ich halte die Traditionen lebendig. Ansage: „Aktuelle Literatur aus Indonesien - Von Tigermännern und Protestpriestern“. Eine Sendung von Katharina Borchardt. Atmo 2: Gesang Khrisna Pabichara (buginesisch) Autorin: Khrisna Pabichara lebt in Makassar, einer Hafenstadt an der Südküste der Insel Sulawesi. Makassar ist zwei Flugstunden von der indonesischen Hauptstadt Jakarta entfernt. Für seinen Auftritt am Hafen von Makassar hat sich der 39-jährige Sänger schick gemacht: Er trägt einen rot-gold-durchwirkten Sarong, ein hellgelbes Hemd und einen goldenen Fes. O-Ton 3 - Khrisna Pabichara (indonesisch) / Zitator 1 (voiceover): Ich trete überall auf. Wenn ich eingeladen werde, trete ich auch auf. Dann trage ich Lieder im Langgam-Stil vor, wie man ihn hier traditionellerweise singt. Das bin ich, und dafür bin ich bekannt: Gedichte und Lieder im Stil der Buginesen von Makassar vorzutragen. Atmo 1 (Ende): Hafengeräusche, Straße O-Ton 4 - Manneke Budiman: We do research on locality, you know… Autorin: Manneke Budiman von der Universitas Indonesia in Jakarta. Er ist Literaturwissenschaftler. Eine Arbeit, die mehr ist als ein reiner Schreibtischjob: O-Ton 5 - Manneke Budiman: Literature in relation to traditions; so not only modern, contemporary literature but also traditional literature, in which orality is still dominant. And lots of material in our research is actually based on oral data rather than written manuscripts. That’s also 2 an important part of what we do in this faculty in terms of research. Yes, and meeting the people who keep the tradition alive. Zitator 2 (voiceover): Wir forschen auch vor Ort und untersuchen Literatur im Verhältnis zu Traditionen - zeitgenössische Literatur genauso wie traditionelle Literatur, die vor allem mündlich weitergegeben wird. Unser Forschungsmaterial basiert mehr auf oraler Überlieferung als auf Schriftstücken. Das ist ein wichtiger Teil unserer wissenschaftlichen Arbeit: die Leute aufzusuchen, die die Traditionen lebendig halten. Musik: Flöte Autorin: Dazu gehören auch die vielen Mythen, die heute noch immer erzählt werden. Zum Beispiel der westjavanische Mythos vom Tiger, der Besitz von einem ergreifen kann. Zitator 1: „Nicht ich war es“, sagte Margio ruhig und ohne Schuldgefühl. „Ein Tiger wohnt in meinem Körper.“ (aus: „Tigermann“, S. 44) Autorin: Der junge Margio hat seinen Nachbarn Anwar Sadat umgebracht. Er hat ihm die Halsschlagader durchgebissen. Der Autor Eka Kurniawan erzählt Margios Geschichte in seinem Roman „Tigermann“, der jetzt zur Frankfurter Buchmesse auf Deutsch erschienen ist. Indonesien ist dieses Jahr das Gastland. Der Roman spielt in einem westjavanischen Dorf und erzählt einen alten Tigermythos dieser Region neu. Zitator 1: Nach dem, was Ma Muah, die Erzählerin des Dorfes, berichtete, besaßen viele Männer […] einen Tiger. Einige von ihnen waren mit einem Tiger verheiratet, andere hatten ihn von den vorangegangenen Generationen geerbt. Großvater hatte ihn von seinem Vater geerbt, dieser wiederum von dessen Vater und so weiter bis vielleicht zu den Urahnen, sodass man nicht mehr sagen konnte, wer unter den Vorfahren zum ersten Mal mit einem Tiger verheiratet gewesen war. (aus: „Tigermann“, S. 50) Autorin: Margio hat den Familientiger geerbt, der nicht mit, sondern in ihm lebt. Den Kräften des Tigers aber ist der junge Mann noch nicht gewachsen. Zitator 1: Seinem späteren Geständnis bei der Polizei zufolge hatte er Anwar Sadat in der Tat mit einem Biss getötet, der diesem die Halsschlagader durchtrennte. Er gab an, keine andere Waffe eingesetzt zu haben. (aus: „Tigermann“, S. 56) O-Ton 6 - Eka Kurniawan: This is a mythical belief in Indonesia that a man can marry a tiger. Especially in the village because the tiger has supernatural power. So if a man hopes to have this power, who wants to have supernatural power, he has to marry a tiger, a female tiger. 3 Zitator 1 (voiceover): Das ist eine mythische Überzeugung in Indonesien, dass ein Mann von einem Tiger bewohnt werden kann. Vor allem auf dem Dorf glaubt man das, denn ein Tiger hat übernatürliche Kräfte. Wenn ein Mann also eine solche Kraft besitzen will, muss er einen Tiger heiraten, einen weiblichen Tiger. Autorin: Die bloße Neuauflage eines alten Mythos aber ist Eka Kurniawans Roman nicht. Vielmehr analysiert er Margios psychische Verfassung ebenso genau wie die sozialen Spannungen in seiner Familie und im Dorf. Sein Gewaltausbruch hat nachvollziehbare Gründe, wird von ihm selbst aber dem Tiger zugeschrieben. Gleichzeitig hat der Autor ein ausgeprägtes religionspolitisches Bewusstsein. O-Ton 7 - Eka Kurniawan: I love these tiger myths because there is an ancient story about the mythical tiger in Sundanese. We believe that the ancient king of Sundanese - Siliwangi was the last king in Sundanese before his kingdom fell. He never died. He doesn't die but became a tiger. It's kind of critical because the Hindunese reject the coming of Islamic belief. Zitator 1 (voiceover): Ich liebe diese Tiger-Mythen, denn sie haben auch mit der sundanesischen Tradition zu tun, in der ich aufgewachsen bin. Wir glauben, dass Siliwangi - das war unser letzter König - niemals wirklich gestorben ist. Er ist stattdessen ein Tiger geworden! Das ist auch eine Kritik von hinduistischer Seite am sich ausbreitenden islamischen Glauben. Autorin: Der Hinduismus als kulturelle Tiefenschicht im heutigen Indonesien. Überlagert wird sie durch den Islam, der sich im 16. Jahrhundert über den Archipel ausbreitete. Heute sind knapp 90 Prozent der Indonesier Muslime. Islamische Literatur boomt deshalb, und ihre Bandbreite ist groß. Sie reicht von betulichen über dogmatische bis hin zu rebellischen Geschichten. Trotzdem erreichen diese Texte kaum je den deutschen Buchmarkt. Eine Ausnahme sind in diesem Herbst drei Geschichten der Schriftstellerin Abidah El Khalieqy: Musik: Trommel Zitatorin: Ich bin Gendhis, die Hure, die gestern Abend dem Herrn Bezirksvorsteher ins Gesicht gespuckt hat. (aus: „Gendhis“, S. 115) Autorin: Abidah El Khalieqy ist selbst Muslima und trägt ein Kopftuch. 4 Zitatorin: Wer sagt, dass ich Angst vor dem Herrn Bezirksvorsteher habe? Ich hatte noch nie Angst vor ihm, vor seiner Pilgerreise nach Mekka genauso wenig wie nach seiner Rückkehr. (aus: „Gendhis“, S. 115) Autorin: Der Bezirksvorsteher giert nach Gendhis. Einerseits will er sie besitzen, andererseits erniedrigt er sie vor dem ganzen Dorf. Zitatorin: Ich habe ihm in seine widerliche Krokodilvisage gespuckt. Ich könnte pausenlos kotzen und in dieses Gesicht spucken, und allmählich bekommt er Angst, weil ich ihm mit dem Klappmesser gedroht habe, das ich seit zwei Tagen immer bei mir trage. (aus: „Gendhis“, S. 117) Autorin: Geschichten wie diese von El Khalieqy sind in Indonesien hochumstritten, sagt der Literaturwissenschaftler Manneke Budiman: O-Ton 8 - Manneke Budiman: Sometimes male religious leaders are even trying to ban these books written by Muslim women saying: She is influenced too much by Western, liberal, feminist ideas and so on. And they urge the Muslim youth, or Muslim teenagers or women not to read their books. Like Abidah El Khaleqy. Zitator 2 (voiceover): Manchmal versuchen die männlichen Religionsführer sogar, Bücher zu verbieten. Diese Bücher, die von muslimischen Frauen geschrieben