Der Ewige Lothar Weil Teamchef Erich Ribbeck Nicht Weiterwußte, Hat Lothar Matthäus Die Macht in Der Nationalelf Übernommen
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Sport FUSSBALL Der ewige Lothar Weil Teamchef Erich Ribbeck nicht weiterwußte, hat Lothar Matthäus die Macht in der Nationalelf übernommen. Nicht einmal Franz Beckenbauer hatte als Spieler soviel Einfluß wie der 38jährige Münchner. Der bereitet sich schon jetzt auf das Amt des Bundestrainers vor. en eindrucksvollsten Nachweis seiner uner- Dschütterlichen Konditi- on liefert der bejahrte Libero beim Geländelauf durch seine mittelfränkische Heimat. Lothar Matthäus, 38, diktiert während der Fitneßschulung der Natio- nalmannschaft vor dem 2:0 ge- gen Finnland am vergangenen Mittwoch nicht nur die Pace, er führt beim Trab durch Wald und Feld auch noch das Wort. In der vertrauten Umgebung von Herzogenaurach, wo er einst beim örtlichen FC das Fußballspiel erlernte und als Raumausstatter-Lehrling Tep- pichböden verlegte, überrascht der Rekordnationalspieler die Kameraden mit einem topogra- phischen Vortrag. Nordwestlich der Gemar- kung Zweifelsheim führt er Oliver Bierhoff und Kumpane an den Karpfenteichen des Drohnwaldes vorbei, bereitet Deutschlands Kickerelite kurz- atmig auf das nahende Tierge- hege vor („Es gibt Wildschwei- ne“) und erzählt im Laufschritt von seinen Kindheitserlebnis- sen am angrenzenden Drei- ecksweiher. Da, erfährt die stau- nende Trainingsgruppe, war der elfjährige Lothar „mal unter die M. HANGEN Eisdecke geraten, das ging ganz Nationalspieler Matthäus*: „Ich hab’ gemerkt, daß es ein Druckschmerz ist, wenn man draufdrückt“ schnell“. Solche Ansprachen ihres mitteilsamen Es ist ein bekanntes Phänomen, daß in gang der Ära von „Prost-ich-bin-der-Jupp“ Mitspielers erdulden die Angehörigen der Krisenzeiten der Nationalelf die Selbstre- Derwall. DFB-Auswahl neuerdings mit Fassung. gulierungskräfte der Mannschaft wirken. Daß Ribbeck jetzt seine Macht an einen Denn sie wissen: Matthäus, nach Kreuz- Bei der WM 1974 stellte nach der 0:1-Nie- Spieler abgegeben hat, dessen Blüte längst bandriß,Verbannung und altersbedingtem derlage gegen die DDR Libero Franz verwelkt ist, weist die Richtung: Bei der Retiro im letzten Herbst schon zum drit- Beckenbauer nach Rücksprache mit Gerd deutschen Nationalelf handelt es sich um tenmal in den erlesenen Kreis zurück- Müller das DFB-Team neu auf, und Bun- ein Auslaufmodell. So beliebig, wie der gekehrt, ist bei der Nationalmannschaft destrainer Helmut Schön wurde Weltmei- Teamchef über Fußball schwadroniert, so wieder der Boß. Von Berti Vogts bei der ster. Das jüngste Machtvakuum in der besetzt er auch seine führenden Planstellen. Weltmeisterschaft in Frankreich weniger Mannschaftsführung allerdings ist ohne- Ganz offensichtlich hatte Ribbeck, des- geschätzt als geduldet und nach eigener gleichen und erinnerte nach dem fuß- sen Tonfall dem Reporter von der „Times“ Erinnerung bloß „als Notnagel“ gebraucht, ballsportlichen Desaster von Florida im vor dem durchaus erleichternden 3:0 gegen wurde Deutschlands Ältester unter neuer Februar (0:3 gegen die USA) schon an Nordirland schon „lebensmüde“ vorkam, Führung mit der Richtlinienkompetenz die herrschaftslosen Zustände zum Aus- gerade keinen anderen zur Hand als den auf taktischem Gebiet ausgestattet. Von angejahrten Bayern-Star, den er bei der Teamchef Erich Ribbeck erhielt er Proku- * Im EM-Qualifikationsspiel gegen Finnland am 31. März EM 1980 in seiner Eigenschaft als Derwall- ra bis hin zu Aufstellungsfragen. in Nürnberg. Assistent noch aus dem Liegestuhl in der 236 der spiegel 14/1999 prallen Sonne vertrieb: „Ich werd’ dir galt. Ribbeck, weiß er jetzt, „bezieht mich ses Spielsystem einstellen“. Auf beson- gleich Schatten beschaffen – den im Flug- mit ein wie früher Franz Beckenbauer“. deren Wunsch des Mannschafts-Doyens zeug auf der Heimreise.“ Doch selbst bei Beckenbauer, seinem stimmte Ribbeck auch einer weiteren Daß Matthäus jetzt als Genius der Fuß- ewigen Förderer, besaß der Franke nicht so- Neuerung zu: der Installation eines Ab- balltaktik daherkommt, ist allein schon viel Macht. Inzwischen, das wurde bei den wehrchefs zur besonderen Verwendung. deshalb verblüffend, weil er nur wieder- Europameisterschafts-Qualifikationsspielen Das hat den Vorteil, daß Matthäus zwi- holt, was er daheim bei Bayern München in Belfast und Nürnberg deutlich, amtiert schendurch Luft holen kann: Auf dem Ra- von seinem Trainer gelernt hat. Aus Erich Matthäus als eigentlicher Teamchef. sen nimmt er nämlich gelegentlich für ei- Ribbeck, dem Teamchef, wird so das Ab- Der Trainerwechsel vollzog sich Anfang nige Minuten die Position ein, auf die ihn ziehbild von Ottmar Hitzfeld, dem Fuß- Februar auf Amelia Island. Am Morgen der Fluß des Spiels gerade gespült hat. Sei- ballehrer. Und die Nationalelf wirkt wie nach dem Chaos-Kick gegen die USA ne zeitweilige Abwesenheit im Deckungs- ein Bayern-Bonsai, weil Münchens wich- tippte Ribbeck in seiner Verzweiflung im verbund sollen die Außenverteidiger tigste Kräfte – Effenberg, Lizarazu und El- Mannschaftshotel Ritz Carlton die Zim- künftig durch Mehrarbeit kompensieren: „Strunz und Heinrich müssen dann einen seitlichen Libero spielen.“ Inwieweit Ribbeck das Sy- stem seines Souffleurs durch- schaut, ist nicht abschließend geklärt. Wenn er im Fernsehen Magnetplättchen auf einem klei- nen Spielfeld verschiebt, meint er, nach absolviertem Rückzug „zwei Viererformationen“ zu- sammengefügt zu haben, ob- wohl in der hinteren Reihe er- kennbar nicht vier, sondern fünf Plättchen liegen. Vor dem Ab- flug nach Nordirland vermutete er in der Frankfurter Lufthan- sa-Lounge vage, Matthäus wer- de „nicht so Libero spielen, wie wir uns das eigentlich bisher im- mer vorgestellt haben“. Damit sich auch der Trainer in Ruhe auf die neue Ordnung einstellen konnte, nahm ihm Matthäus gegen Nordirland die Aufgaben des Coachings ab.Als er sich selbst wegen einer Ver- spannung im Schenkel („Ich hab’ gemerkt, daß es ein Druck- schmerz ist, wenn man drauf- drückt“) ausgewechselt hatte, gab er von der Trainerbank, sei- ner Lieblingsposition, Anwei- sungen; Ribbeck strich bald die Segel und holte vor jeder Ent- scheidung den Rat des Routi- H. RAUCHENSTEINER niers ein. Teamchef Ribbeck (l.), Berater Matthäus: Richtlinienkompetenz auf taktischem Gebiet Der spielt zwar gelegentlich nur für die Galerie, aber das ber – nicht für Deutschland spielen wollen merdurchwahl des Liberos ins Telefon. Er kommt an bei den Leuten. Offenen Beifall oder dürfen. wußte nicht mehr weiter, und in Anwe- erntete der Recke, als er im Spiel gegen die Letzte Zweifel an der Notwendigkeit ei- senheit der DFB-Direktoren Wolfgang Finnen bei einem Kopfball telegen in die ner Taktikreform räumte bei Ribbeck ein Niersbach und Bernd Pfaff sowie des Co- Knie sank – einfacher wäre es gewesen, er Experte aus, dessen Trainerstationen Fre- Trainers Uli Stielike unterbreitete Mat- hätte den Ball gleich mit dem Fuß behan- chen, Königsdorf und Lövenich hießen. thäus seine Lösungsvorschläge. delt. Doch selbst der ZDF-Mann Johan- Reiner Calmund, heute Manager bei An diesem Vormittag in Florida wurde nes B. Kerner verlor hinterm Mikrofon in Bayer Leverkusen, erklärte dem Bundes- das Spielsystem des FC Bayern München Nürnberg die Beherrschung: „Pässe der Teamchef während der Florida-Reise, wie über die Nationalelf gestülpt.Von den Vor- Marke Lothar Matthäus – da möcht’ man des Gegners beständiger Überzahl künftig zügen doppelt besetzter Außenpositionen Ball sein.“ beizukommen sei. wußte der Bayern-Angestellte Matthäus da So ist es Matthäus gerade recht. „Bei Matthäus, der zeitlose Anführer, genießt überzeugend zu berichten, von Flügelstür- Berti“, klagt der, habe er zuletzt nicht ge- derweil die neue Macht. Er erfreut sich an mern, die sich bei Ballbesitz des Gegners wußt: „Darf ich husten, oder darf ich nicht der „schönen Bestätigung, daß das alles aus der Angriffsreihe zurückziehen. Er husten?“ Der Vogts-Nachfolger hat für je- zurückgekommen ist“, nachdem er über nennt das ein „modisches System“ – und des Räuspern ein offenes Ohr. zwei Jahre lang – als Quertreiber verschrien nun „erwarte ich beziehungsweise der Ribbecks Günstling ist zwar – dem Spie- – beim Fußballbund als Persona non grata Trainer, daß wir uns vom Kopf her auf die- lertrainer einer Altherrenmannschaft ähn- der spiegel 14/1999 237 Sport läßt sich stehenden Fußes von der Gute- Laune-Offensive des Zampanos mitziehen. Jörg Heinrich bekommt schon am Flug- hafen unaufgefordert vom Weltmann Mat- thäus („Ich versuch’ das ja alles zu beob- achten“) Respekt gezollt: „Vor ’nem Jahr hast’n Polohemd vom DFB getragen mit ‚Keine Macht den Drogen‘ drauf, jetzt hast’n Anzug an.“ So, sagt ein Nationalspieler, „ist er halt, wenn er sich stark fühlt“. Manchmal ner- vend stark. Als Matthäus minutenlang per Knopfdruck von außen den Lift aufhält, in dem drei Spieler dem Mittagsschlaf im Kempinski-Hotel entgegenschweben wol- len, stürmt Bierhoff wenig amüsiert aus dem Aufzug und sucht augenrollend das Treppenhaus. „Sehr unwichtig“ findet zwar Ersatz- Torwart Lehmann die neue Machtzutei- lung fürs Mannschaftsgefüge, doch der An- führer selbst weiß es besser. Herberger hat- te 1954 seinen Fritz Walter, Beckenbauer 1990 seinen Lothar Matthäus,Vogts bei der EM 1996 seinen Matthias Sammer – „und 1994 und 1998 hat es gefehlt“, sagt Mat- thäus, „daß man einen Spieler stark macht“. Und 1999? 1999 pflegt Ribbeck eben wie- der Beckenbauers Matthäus. Donnerstags in Neu-Isenburg denkt der Libero – schließlich „muß man ja immer denken H. RAUCHENSTEINER wie ein Trainer“ – vernehmlich darüber Kapitän Bierhoff: „Gefährlich wie ein Stück Dosenfleisch im Kühlschrank“ nach, den als Spielmacher gescheiterten Andreas Möller künftig als Linksaußen lich –