Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 18/18

Deutscher

Stenografischer Bericht

18. Sitzung

Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 16: (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 1382 C a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Namentliche Abstimmungen ...... 1383 C, 1384 A Gesetzes zur Änderung des Abge- ordnetengesetzes und eines … Ge- Ergebnisse ...... 1388 C, 1390 D setzes zur Änderung des Europaab- geordnetengesetzes Drucksachen 18/477, 18/619 ...... 1371 A Tagesordnungspunkt 17: – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Unterrichtung durch die Bundesregierung: mäß § 96 der Geschäftsordnung Jahresbericht der Bundesregierung zum Drucksache 18/620 ...... 1371 B Stand der Deutschen Einheit 2013 b) Zweite und dritte Beratung des von den Drucksache 18/107 ...... 1384 A Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- Iris Gleicke, Beauftragte der Bundesregierung brachten Entwurfs eines … Strafrechts- für die neuen Bundesländer ...... 1384 B änderungsgesetzes – Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbe- Dr. (DIE LINKE) ...... 1386 C stechung (CDU/CSU) ...... 1393 A Drucksachen 18/476, 18/607 ...... 1371 B Stephan Kühn () (BÜNDNIS 90/ Bernhard Kaster (CDU/CSU) ...... 1371 C DIE GRÜNEN) ...... 1395 A Dr. (DIE LINKE) ...... 1373 A Andrea Wicklein (SPD) ...... 1396 C Axel Schäfer (Bochum) (SPD) ...... 1374 A (DIE LINKE) ...... 1397 D Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Dr. (CDU/CSU) ...... 1399 A DIE GRÜNEN) ...... 1375 B (BÜNDNIS 90/ Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) ...... 1376 B DIE GRÜNEN) ...... 1401 A Frank Tempel (DIE LINKE) ...... 1377 D (CDU/CSU) ...... 1402 A (SPD) ...... 1378 D (SPD) ...... 1403 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 1404 D DIE GRÜNEN) ...... 1380 A Wolfgang Tiefensee (SPD) ...... 1406 B Dr. (CDU/CSU) ...... 1380 C (SPD) ...... 1407 B (SPD) ...... 1382 A (CDU/CSU) ...... 1408 C II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Tagesordnungspunkt 18: Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einführung des neuen a) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin Entgeltsystems in der Psychiatrie stoppen von Notz, Katja Keul, , Drucksache 18/557 ...... 1431 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vorrats- (DIE LINKE) ...... 1431 D datenspeicherung verhindern Drucksache 18/381 ...... 1410 B (CDU/CSU) ...... 1433 A b) Antrag der Abgeordneten , Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ Dr. Petra Sitte, Dr. André Hahn, weiterer DIE GRÜNEN) ...... 1434 B Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Endgültig auf Vorratsdaten- (SPD) ...... 1435 A speicherung verzichten Drucksache 18/302 ...... 1410 C (CDU/CSU) ...... 1436 C Dr. (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 1437 C DIE GRÜNEN) ...... 1410 C (CDU/CSU) ...... 1438 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 1412 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Nächste Sitzung ...... 1439 D DIE GRÜNEN) ...... 1413 A Jan Korte (DIE LINKE) ...... 1413 D Anlage 1 Christian Flisek (SPD) ...... 1414 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 1441 A Dr. (CDU/CSU) ...... 1416 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 1417 D Anlage 2

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten DIE GRÜNEN) ...... 1419 A Inge Höger (DIE LINKE) zu der namentli- Christina Kampmann (SPD) ...... 1419 D chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung zu dem Antrag der Bundesregierung: (CDU/CSU) ...... 1421 A Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- (DIE LINKE) ...... 1422 B scher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbil- dungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der malischen Regierung sowie der Tagesordnungspunkt 19: Beschlüsse 2013/34/GASP und 2013/87/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in schusses für Tourismus zu der Unterrichtung Verbindung mit den Resolutionen 2071 (2012), durch die Bundesregierung: Tourismuspoliti- 2085 (2012) und 2100 (2013) des Sicherheits- scher Bericht der Bundesregierung – 17. Le- rates der Vereinten Nationen (17. Sitzung, Ta- gislaturperiode – gesordnungspunkt 6 a) ...... 1441 D Drucksachen 17/13674, 18/605 ...... 1423 A Iris Gleicke, Beauftragte der Bundesregierung für Mittelstand und Tourismus ...... 1423 A (DIE LINKE) ...... 1424 A Anlage 3 (CDU/CSU) ...... 1425 A Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- chen Abstimmung über den Entwurf eines …

Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetenge- DIE GRÜNEN) ...... 1426 C setzes und eines … Gesetzes zur Änderung Klaus Brähmig (CDU/CSU) ...... 1427 D des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesord- nungspunkt 16 a) (SPD) ...... 1428 D (Köln) (BÜNDNIS 90/ Barbara Lanzinger (CDU/CSU) ...... 1430 B DIE GRÜNEN) ...... 1442 A (CDU/CSU) ...... 1442 B Tagesordnungspunkt 20: Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) ...... 1442 C Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Dr. (CDU/CSU) ...... 1442 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 III

Anlage 4 Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetenge- setzes und eines … Gesetzes zur Änderung Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesord- Dr. Hans-Peter Bartels, , nungspunkt 16 b) Matthias Ilgen, Gabriele Hiller-Ohm, Sönke Rix, Dr. , Franz Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . 1443 D Thönnes (alle SPD) zu der namentlichen Ab- stimmung über den Entwurf eines … Geset- Dr. (CDU/CSU) . . . . . 1443 D zes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines … Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungs- Anlage 7 punkt 16 a) ...... 1443 A Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD): zu den namentlichen Abstimmungen über: Anlage 5 – den Entwurf eines … Gesetzes zur Än- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten derung des Abgeordnetengesetzes und , Richard Pitterle, Jörn Wunderlich eines … Gesetzes zur Änderung des (alle DIE LINKE) zu der namentlichen Ab- Europaabgeordnetengesetzes stimmung über den Entwurf eines … Geset- zes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes – den Entwurf eines … Strafrechtsände- und eines … Gesetzes zur Änderung des rungsgesetzes – Erweiterung des Straftat- Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungs- bestandes der Abgeordnetenbestechung punkt 16 a) ...... 1443 C (Tagesordnungspunkt 16 a und b)...... 1444 A

Anlage 6 Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- chen Abstimmung über den Entwurf eines … Amtliche Mitteilungen ...... 1444 D

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(A) (C)

18. Sitzung

Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin : Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollege Bernhard Kaster das Wort. Sitzung ist eröffnet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: neten der SPD)

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Bernhard Kaster (CDU/CSU): tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach- ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ände- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen rung des Abgeordnetengesetzes und eines und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn der Debatte … Gesetzes zur Änderung des Europaab- zunächst einmal ein Wort des herzlichen Dankes an alle geordnetengesetzes Mitglieder der Unabhängigen Kommission sagen, die aufgrund eines einvernehmlichen Auftrags des Deut- Drucksache 18/477 schen Bundestages zum Ende der letzten Legislatur- (B) periode einen sehr umfangreichen Bericht mit Fragestel- (D) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- lungen und Empfehlungen zum Abgeordnetenrecht schusses für Wahlprüfung, Immunität und vorgelegt hat. Das war sehr wertvoll, und das war eine Geschäftsordnung (1. Ausschuss) mühsame Arbeit in 17 Sitzungen. Dafür ein herzliches Drucksache 18/619 Dankeschön an die Kommission. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung GRÜNEN) Drucksache 18/620 Diese Empfehlungen des Berichts waren auch Gegen- b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- stand einer dreistündigen Anhörung am vergangenen nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- Montag, und sie bilden die Grundlage für die Änderun- wurfs eines … Strafrechtsänderungsgesetzes – gen des Abgeordnetenrechts, insbesondere im Bereich Erweiterung des Straftatbestandes der Abge- der Abgeordnetenentschädigung und im Bereich der ordnetenbestechung Kürzungen bei der Altersversorgung. Ich sage zur Infor- mation: Diese Unabhängige Kommission war eine ex- Drucksache 18/476 terne Kommission, eine Kommission mit Mitgliedern aus den Bereichen Wirtschaft, Handwerk, Verwaltung Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- und Wissenschaft. schusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Unsere Verfassung, aber auch das bekannte Diätenur- teil des Bundesverfassungsgerichts geben uns vor, dass Drucksache 18/607 wir unsere Abgeordnetenentschädigung selbst festsetzen Zu dem Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes müssen. Dafür sprechen viele gute staatsrechtliche liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Gründe. Man könnte da in die Geschichte gehen. Ver- Grünen vor. Über beide Gesetzentwürfe werden wir spä- ständlich ist es, dass wir uns regelmäßig – eigentlich seit ter namentlich abstimmen. Jahren und Jahrzehnten – mit dieser Regelung schwer- tun. Genauso verständlich ist es, dass Bürger, die Öffent- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für lichkeit, sich ebenfalls mit dieser Regelung schwertun die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu und jeder mit unterschiedlichem, subjektivem Blickwin- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. kel, ob jetzt als Arbeitnehmer, als Rentner oder auch als 1372 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Bernhard Kaster (A) gut bezahlte Führungskraft, die Entschädigungsregelun- Einkünften der Bürger aus nichtselbstständiger Tätig- (C) gen bewertet oder auch kritisiert. keit. Deswegen ist die Entscheidung, die Abgeordneten- entschädigung in der jeweiligen Wahlperiode an den Deshalb ist es so wichtig, mit diesem Thema verant- Nominallohnindex zu koppeln, richtig; es ist eine Ent- wortungsvoll und transparent umzugehen. Das liegt auch scheidung, die wir in jeder Wahlperiode treffen müssen. im Interesse des ganzen Deutschen Bundestages. Des- halb sind die Vorschläge, die die Kommission hierzu ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) macht hat, so wertvoll für unsere Arbeit hier im Parla- ment. Das bedeutet, dass wir nach fast 20 Jahren einmalig die Besoldungsgruppe R 6 als Bezugsgröße fixieren, und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) danach gilt die Koppelung an den Nominallohnindex. Wenn wir es ernst damit meinen, den Eindruck von Will- Seit 1995 sind im Abgeordnetengesetz die Besol- kür zu vermeiden, müssen wir aber auch zu dem stehen, dungsgruppen R 6 bzw. B 6 als Orientierungsgrößen was die Unabhängige Kommission und was wir auch verankert. Diese Besoldungsgruppen gelten für einfache selbst für richtig halten. Mein Kollege Richter an Bundesgerichten – mit dem Bundesverfas- hat es schon in der ersten Lesung auf den Punkt ge- sungsgericht nicht zu verwechseln – bzw. für Bürger- bracht, indem er sagte: Was wir für richtig halten, müs- meister und Landräte mittelgroßer Städte und Land- sen wir auch tun. – Ich denke, wir sind hier auf einem kreise. Es gibt viele gute Gründe, selbstbewusst zu guten Weg. dieser Orientierungsgröße zu stehen. Auch die Unabhän- gige Kommission zur Überprüfung des Abgeordneten- Die Altersversorgung wird – um auch das zu sagen – rechts hat diese Besoldungsgruppen als richtigen Maß- ebenfalls reformiert. Bei den Beratungen der Unabhän- stab angesehen und bestätigt. Dieser Maßstab orientiert gigen Kommission standen zwei Modelle im Raum: zum sich an der Bedeutung des demokratisch legitimierten einen die Modifizierung des bisherigen Altersversor- Verfassungsorgans Deutscher Bundestag, an der Verant- gungssystems, zum anderen ein sogenanntes Baustein- wortung in Bezug auf die Mitwirkung an Gesetzen zu al- system unter Einschluss des bisherigen Systems mit ver- len politischen Themen. schiedenen Bestandteilen. Bei der Diskussion in der Unabhängigen Kommission über die beiden möglichen Wir sind ein Arbeitsparlament. Das gilt in Bezug auf Modelle war die Höhe der Altersversorgung unstrittig. die Verantwortung für die gesamte Gesetzgebung des Die Anhörung am vergangenen Montag hat noch einmal Bundes, die Verantwortung für die kritisch hinterfra- sehr schön deutlich gemacht, dass das Bausteinmodell gende Regierungskontrolle, die Verantwortung für Alter- unter den Gesichtspunkten „tatsächliche Kosten“, „Ver- nativen, die Detailarbeit und Kärrnerarbeit in den Aus- waltungsaufwand“ und auch „Transparenz“ mit dem jet- schüssen und die Aufgaben im wöchentlichen Spagat (B) zigen Altersversorgungssystem nicht vergleichbar ist, (D) zwischen Berlin und den jeweiligen Wahlkreisen. Die di- sodass vieles für die Beibehaltung und Modifizierung rekte Kommunikation mit den Bürgern vor Ort über spricht. Bisherige Regelungen zu einer vorgezogenen Politik ist auch ein ganz wichtiger Arbeitsbereich der Altersversorgung für langjährige Kolleginnen und Kol- Abgeordneten. legen werden für die Zukunft komplett abgeschafft. Ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- denke, diese Regelungen wären in der heutigen Zeit neten der SPD) nicht mehr vermittelbar und damit vollziehen wir den richtigen Schritt. Deswegen sage ich: Wir, der Deutsche Bundestag und seine Abgeordneten, brauchen den Vergleich zu anderen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Führungsaufgaben und Verantwortlichkeiten wirklich neten der SPD) nicht zu scheuen. Dennoch wird das Thema Diäten im- mer und immer wieder von Selbstbedienungsvorwürfen Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich oder Willkürvorwürfen begleitet. Solche Vorwürfe wer- zum Schluss noch einmal betonen, dass wir bei dem, was den nicht in allen Politikbereichen erhoben. Ich selbst wir heute beraten und beschließen, nicht in erster Linie war vor meiner Tätigkeit im Deutschen Bundestag uns, die wir jetzt aktuell im Bundestag sind, im Blick ha- hauptamtlicher Bürgermeister. Ich kann mich nicht daran ben. Es geht letztlich darum: Welche Rahmenbedingun- erinnern, dass ich in dieser Zeit jemals kritisch gefragt gen bieten wir Bürgerinnen und Bürgern an, die bereit worden bin, ob ich zu viel verdiene. So ist das in anderen sind, für vier, für acht, für zwölf oder möglicherweise Bereichen auch. Das sollte uns dahin gehend zu denken mehr Jahre ihre eigene Lebens- und Arbeitsbiografie zu- geben, wie wir die Tätigkeit des Abgeordneten nach au- gunsten der Arbeit im deutschen Parlament zu unterbre- ßen noch besser darstellen können. chen? Es geht um die Unabhängigkeit des Parlaments, die Unabhängigkeit auch des freien Mandats. Die Unabhängige Kommission hat ihren Bericht zum Ende der letzten Legislaturperiode vorgelegt. Daher ist Wir brauchen Bedingungen in unserem Parlament, es folgerichtig, dass wir nun, zu Beginn der Legislatur- dass Menschen mit unterschiedlichsten Qualifikationen, periode, diesen Gesetzentwurf verabschieden. unterschiedlichem Alter, unterschiedlicher beruflicher Herkunft mit den damit verbundenen Risiken und Chan- Es ist auch eine Systemumstellung. Wir, der Deutsche cen unabhängig – unabhängig! – und der Bedeutung des Bundestag, die Abgeordneten, möchten in Zukunft keine Verfassungsorgans entsprechend ihr Mandat ausüben Besserstellung bei unseren Bezügen – noch nicht einmal können. Ich denke, dafür tragen wir hier Verantwortung, den Eindruck einer solchen Besserstellung – gegenüber Verantwortung für den Deutschen Bundestag, für das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1373

Bernhard Kaster (A) Verfassungsorgan. Mit diesen Gesetzesänderungen tra- Meine Damen und Herren, das Grundgesetz spricht (C) gen wir dieser Verantwortung auch Rechnung. von angemessener, die Unabhängigkeit sichernder Ent- schädigung. Vielen Dank. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) richtig!)

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Was angemessen ist, wird natürlich je nach konkreter Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Redne- persönlicher sozialer Situation unterschiedlich bewertet; rin hat Dr. Sitte das Wort. darüber sind wir uns hier klar, und das sollten wir vor al- lem auch nicht ausblenden. Selbst wenn das Richterge- (Beifall bei der LINKEN – halt hier mehrheitlich als Richtgröße hingenommen [CDU/CSU]: Reißen Sie sich am Riemen, wird, so muss man sich doch die Frage stellen, ob das Frau Sitte!) Angleichungstempo angemessen ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Guten Morgen, meine Damen und Herren! Dass wir den Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetenge- Wir meinen, eine Erhöhung um 830 Euro, also um setzes bereits eine Woche nach der Einbringung be- 10 Prozent, innerhalb von konkret sieben Monaten, das schließen, hat nicht wirklich etwas mit politischer Effi- ist schon ziemlich drastisch. Ich glaube, man findet zienz zu tun. keine Berufsgruppe, die eine solche Steigerung verbu- chen kann. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch!) [CDU/CSU]: Doch!) Genau genommen wollen Sie den Gegenstand „Abge- Dieser Prozentsatz, finden wir, passt einfach nicht in ordnetenentschädigung“ quasi wie eine heiße Kartoffel eine Gesellschaft, in der für die Masse der Beschäftigten ganz schnell loswerden. die Reallöhne seit 2000 stagnieren, während unsere Be- züge seit 2000 eine Steigerung um 25 Prozent erfahren Ich will noch einmal daran erinnern – mein Kollege haben. Meine Damen und Herren, es ist kein Opfer, im hat es schon angesprochen –: Es hat eine Expertenkom- Bundestag zu sitzen. mission fast eineinhalb Jahre an Empfehlungen zur Re- form des Systems „Abgeordnetenrecht“ gearbeitet. Sie (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (B) hat 17 Sitzungen abgehalten. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (D) Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn man euch ( [SPD]: Gründlich vorbe- anhören muss, schon!) reitet!) Am Ende ist ein umfangreicher Bericht vorgestellt wor- So forsch Sie nun die Diätenerhöhung angehen, so den. Über diesen Bericht haben wir hier und in den Aus- schaumgebremst sind Sie bei Veränderungen der Alters- schüssen nie im Einzelnen geredet. Er hat bei der Anhö- versorgung. Es gab nicht wirklich ein Signal an irgendei- rung eine Rolle gespielt – das ist wohl wahr –; das reicht ner Stelle, dass Sie bereit sind, das bestehende System aber nicht; das ist unangemessen. infrage zu stellen. Sie balsamieren mit dieser Gesetzes- änderung das bestehende beamtenrechtsähnliche Mo- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- dell. Die Änderungen sind, wenn man es genau nimmt, NIS 90/DIE GRÜNEN) eigentlich eher kosmetischer Natur. Da besteht der Leis- tungsanspruch etwas später, da liegt das Leistungsniveau Meine Damen und Herren, die Große Koalition hat etwas niedriger, während man durch die Diätenerhöhung außer einem mittelschweren politischen Erdbeben noch schon einen spürbaren Verlustausgleich feststellen kann. nichts ausgelöst, auch keines ihrer Großvorhaben. Aber Auch ein Rentenanspruch in Höhe von 65 Prozent, bezo- die Änderung des Abgeordnetengesetzes rauscht jetzt in- gen auf unsere Diät, steht, selbst wenn dieser erst nach nerhalb einer Woche ganz schnell durch den Bundestag, 26 Jahren bestehen soll, immer noch in einem krassen quasi wie durch ein Wurmloch, während andere Geset- Widerspruch zum Rentenanspruch der Masse der Bevöl- zesvorhaben monatelang quasi scheintot in den Aus- kerung, der ja bis 2030 nach Ihren Beschlüssen auf schüssen schmoren. Mit diesem Verfahren nehmen Sie 43 Prozent reduziert werden soll. auch der Öffentlichkeit die Chance, sich kritisch dazu zu verhalten oder eben auch sich einzumischen. Dabei be- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten darf aus unserer Sicht gerade ein so hochsensibles des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Thema einer öffentlichen Mitsprache und einer öffentli- chen, transparenten Darstellung. Das Wort „Armutsrente“ gehört mittlerweise zu unse- rem alltäglichen Wortschatz. Wir haben immer die Posi- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, was tion vertreten, dass Abgeordnete und alle anderen Men- machen wir denn gerade?) schen mit Erwerbseinkommen in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen sollten. Damit ist dann eben nicht Auch davon leitet sich Akzeptanz ab. nur den öffentlichen Systemen geholfen, sondern dann (Beifall bei der LINKEN) würden vielmehr eben auch – Sie haben ja von der Ver- 1374 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Dr. Petra Sitte (A) gleichbarkeit der Abgeordneten mit allen anderen im Mit dem habe ich gestern noch einmal telefoniert und (C) Land gesprochen – Maßstäbe wieder geradegerückt. habe ihn gefragt: Was hältst du eigentlich davon, wie wir es machen? Er hat gesagt: „Völlig in Ordnung. Es gibt Fazit: Eine echte Reform des Abgeordnetenrechts einen Unterschied zwischen euch und uns. Bei uns Bür- wäre dringend notwendig gewesen. Die Große Koalition germeistern ist es so, dass wir für alles verantwortlich hat aber nun mit ihrem Turboverfahren diese Chance auf gemacht werden, was in der Verwaltung schiefläuft, aber Jahre vertan; denn es ist klar, dass dieses Gesetz über nicht für unser Gehalt. Das wird im Landtag festgelegt. Jahre Bestand haben wird. Ich und meine Fraktion, viel- Ihr habt andere Verhältnisse, aber ihr habt auch leicht auch die Öffentlichkeit, haben gelernt: Große Ko- 100 000 Bürgerinnen und Bürger in euren Wahlkreisen.“ alition bedeutet nicht automatisch großer Entwurf. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – NIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Christian Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt! Automa- Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tisch nicht!) 200 000! – Volker Kauder [CDU/CSU]: 260 000! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: 250 000! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: DIE GRÜNEN]: Also müssen die Diäten noch Als nächster Redner hat der Kollege Axel Schäfer das höher sein! Alles falsch berechnet!) Wort. – Bei 62 Millionen Wählerinnen und Wählern und (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- 631 Abgeordneten kommt man insgesamt so etwa auf Werner Kammer [CDU/CSU]) ein Verhältnis von 1: 100 000. Ich glaube, darüber brau- chen wir nicht zu streiten. Axel Schäfer (Bochum) (SPD): (Heiterkeit) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 19. März 2013 hat uns eine unabhängige Kommis- Die zweite Frage – ich bin ja froh, dass es bei so einer sion ihre Empfehlungen bezüglich der Stellung der Ab- Debatte auch noch Erheiterung gibt – ist: Ist der Bundes- geordneten, ihrer Bezüge und ihrer Versorgung vorge- tag lernfähig? Dazu ist in keiner öffentlichen Diskussion legt. Heute entscheiden wir über eine Reihe von etwas gesagt worden. Wir haben seit 1977 hier 14 Null- Gesetzesänderungen. Das ist wichtig, und das ist richtig runden beschlossen. Wir haben seit 1977 eine Reihe von so, dass wir das heute gemeinsam tun. Schritten unternommen, um die Altersversorgung abzu- senken. Nachdem wir 1990 erfreulicherweise die deut- (B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (D) sche Einheit hatten, haben wir zehn Jahre später den Es gibt drei Fragen, die wir beantworten müssen. Bundestag in seiner Größe um 10 Prozent der Abgeord- neten reduziert. Auch das hat etwas mit der Geschichte Die erste Frage ist: Stimmen die Proportionen noch? dieses Parlaments, mit seiner Zusammensetzung, seinen Die heutige Situation ist so, dass das Verhältnis zwi- Abgeordneten und dem, was hier ansteht, zu tun. Wir ha- schen dem Einkommen eines vollbeschäftigten Arbeit- ben auch von uns aus bereits Reduzierungen vorgenom- nehmers, einer Arbeitnehmerin und den Bezügen der men. Darüber muss man einmal öffentlich reden. Ich Abgeordneten etwa 1: 3 beträgt. Ich glaube, das Verhält- sage: Wo, wenn nicht hier in diesem Hause? nis ist völlig in Ordnung. Das war auch in der gesamten Zeit so, seit Abgeordneter im Bundestag als Vollzeitbe- Ich komme zu meiner dritten Frage: Sind wir damit ruf eingeordnet wird. Das Verhältnis zwischen dem zukunftsfähig? Generationen von Abgeordneten haben durchschnittlichen Einkommen eines vollbeschäftigten hier in diesem Haus versucht, eine Lösung zu finden. Arbeitnehmers in Deutschland und dem eines Konzern- Das ist trotz vieler Bemühungen irgendwie dann doch chefs dagegen hat sich in dieser Zeit – nicht von 1: 3; es immer nicht überzeugend und auf Dauer gelungen. Ich betrug einmal 1: 30 – zu 1: 300 entwickelt. Da sind die bin der Meinung: Jetzt haben wir die Chance dazu und Verhältnisse auseinandergelaufen. sollten diese auch nutzen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Mein Sohn ist Jahrgang 1980, meine Schwiegertoch- GRÜNEN]: Das wollen wir auch ändern!) ter ist Jahrgang 1982. Ich habe mir einmal angeschaut, Das ist schlecht für diese Gesellschaft. Deshalb ist es wer aus dieser Generation hier im Parlament sitzt: Das richtig, dass wir bei diesen Proportionen bleiben. sind zum Beispiel , , und aus unserer Fraktion Christina (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kampmann. Wollen wir ihnen wirklich zumuten, dass der CDU/CSU) sie die nächsten 20 Jahre solche Diskussionen führen Ich habe für mich persönlich auch einen Maßstab. Der müssen? Es wäre doch besser, sagen zu können: Wir ha- hat nichts mit Richtern zu tun, sondern mit dem Bürger- ben uns auf etwas verständigt, das tragbar ist, und zwar meister einer mittelgroßen Stadt. Ich kenne einen. Der darauf, dass sich die Bezüge in den nächsten Jahren am heißt auch Schäfer, Roland Schäfer, Bergkamen. Einkommen eines Bürgermeisters einer mittelgroßen Stadt orientieren. Das ist doch völlig in Ordnung. Ich (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Kenne wollte das insbesondere in Bezug auf diese Generation ich auch!) einmal erwähnen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1375

Axel Schäfer (Bochum) (A) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) GRÜNEN]: Die müssen ja nicht 20 Jahre hier sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sein! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben ein Mandat auf Zeit. Niemand weiß, ob ich NEN]: Das ist hier kein lebenslanger Job!) oder die Kolleginnen und Kollegen, die du genannt hast, Ich bin Jahrgang 1952. Im Unterschied zu meiner Ge- die nächsten 20 Jahre im Parlament sein werden. Dessen neration hat diese Generation ein paar andere Probleme sollten wir uns bewusst sein. zu lösen. Das Hauptproblem dieser Generation wird (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- sein, dass es in dieser Gesellschaft weniger Menschen SES 90/DIE GRÜNEN – Hans-Christian geben wird, die bereit sind, sich dauerhaft in Gewerk- Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ge- schaften, Vereinen, Kirchen oder Initiativen zu engagie- nau! Und sie müssen es auch nicht sein!) ren. Natürlich haben wir für jede Entscheidung im Parla- Die Art und Weise, in der wir hier über unsere Bezüge ment als einzelne Abgeordnete geradezustehen und müs- diskutieren, stellt eine Form von Beschämung und Be- sen jede Entscheidung auch jederzeit gegenüber den schädigung von Politik dar. Wir müssen zu einer klaren Wählerinnen und Wählern legitimieren und erklären Regelung kommen. Die Chance dazu haben wir heute, können. Deshalb kann ich Ihr Argument überhaupt nicht und diese sollten wir wahrnehmen. Wir sollten sie auch nachvollziehen. mit einer gewissen Haltung wahrnehmen. Wir können das machen, weil wir die außergewöhnliche Freiheit ha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ben, zu gestalten, und weil wir uns gleichzeitig eine Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Schade!) Selbstverpflichtung auferlegt haben. Nun aber zur Sache: Wir haben in der Tat hier im Wir können auch selbstbewusst an die Sache herange- Deutschen Bundestag sehr lange, sehr oft und sehr inten- hen. Denn wir alle, egal in welcher Partei wir sind, arbei- siv über die Frage, wie die künftige Abgeordnetenent- ten ziemlich viel. Sechs oder sieben Tage die Woche hat schädigung und die Altersversorgung aussehen sollen, die Politik für uns Priorität. Das können wir nicht ewig, diskutiert. Im Jahr 2011 haben wir uns dazu entschlos- sondern nur für eine bestimmte Zeit machen. Im Durch- sen, eine Kommission aus unabhängigen Sachverständi- schnitt sind das hier in diesem Hause zehn Jahre. Was gen einzurichten, weil immer wieder Kritik von außen wir damit an Bezügen auf der einen Seite und an Alters- an uns herangetragen wurde. Zentrale Frage: Warum ent- absicherung auf der anderen Seite haben, entspricht die- scheidet ihr das im Parlament eigentlich selbst? Deshalb sen Realitäten und vor allen Dingen auch diesen Relatio- war es gut und richtig, diese Unabhängige Kommission nen. einzurichten. Mit ihren Vorschlägen setzen wir uns heute (B) auseinander. (D) Ich fände es gut, wenn wir in diesem Haus zu einer großen Übereinstimmung kämen. Wir müssen uns we- Es ist aber nicht so, dass der 18. Deutsche Bundestag gen unserer Entscheidungen nirgendwo verstecken. Das die Zeit und Ruhe hatte, die vorliegenden Vorschläge zu muss das Selbstverständnis dieses Parlaments sein. Wir beraten. können heute etwas vorlegen, das tragfähig ist. Deshalb (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der werbe ich dafür, dass wir das heute gemäß den entspre- 17. hat das schon gemacht!) chenden Empfehlungen der Unabhängigen Kommission auf den Weg bringen und zu einer Entscheidung kom- Deshalb ist die Frage des Verfahrens keine Petitesse. men. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank. und bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben hier noch nicht darüber diskutiert. Ich frage einmal die Fraktionen: Wer kennt denn die- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: sen Bericht? Wer hat ihn in Ruhe gelesen? Als nächste Rednerin hat die Kollegin Haßelmann das (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir!) Wort. Wenn ihn jemand in Ruhe gelesen hat, weiß er oder sie auch, dass bei der Frage der grundsätzlichen Orientie- Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rung an der Besoldungsgruppe R 6 eine große Überein- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und stimmung besteht. Das sehen auch wir Grüne so. Kollegen! Auf der Regierungsbank sehe ich Frau Hendricks sitzen. Es ist also eine Ministerin da. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut! Zustimmen!) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist ja keine Regierungsangelegenheit!) Klar ist, dass die Fragen des Mandates auf Zeit, der Un- abhängigkeit des Abgeordneten, der Bestechlichkeit und Liebe Staatssekretärinnen und Staatssekretäre! Lieber deshalb der Unabhängigkeit so wesentlich sind. Wir ha- Axel Schäfer, ich muss ehrlich sagen: Dem Argument, ben auch in Bezug auf unsere Verfassung unglaublich dass die jüngeren Abgeordneten die nächsten 20 Jahre wichtige Entscheidungen zu treffen. Wir wirken an Ge- im Parlament sind und sich solchen Fragen sonst immer setzgebungen mit. Also lassen sich viele Gründe finden wieder stellen müssten, kann ich überhaupt nicht folgen. für eine grundsätzliche Orientierung an R 6. Das ist zu- 1376 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Britta Haßelmann (A) treffend. Warum wir aber R 6 innerhalb eines halben sind die Vertreter des ganzen Volkes. Wir sind an Wei- (C) Jahres – Erhöhung in zwei Schritten um 10 Prozent – er- sungen nicht gebunden und nur unserem Gewissen un- reichen wollen, ist nicht diskutiert. terworfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE und bei der LINKEN – [Heil- GRÜNEN]: Und nehmen keine Aufträge an! – bronn] [CDU/CSU]: Weil wir es seit zehn Jah- Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE ren diskutieren!) LINKE]) Hier könnten wir auch ein Signal senden, dass wir die Diese Berufsbeschreibung ist außergewöhnlich. Sie ist Erhöhung zwar anstreben, aber gestaffelt und in Maßen von einer gewissen Erhabenheit. Ich kenne keine andere vornehmen. Berufsbeschreibung, die so formuliert ist. Wer diesem hohen Anspruch gerecht wird, soll gerecht belohnt wer- Der Hauptkritikpunkt für uns betrifft allerdings die den. Frage der Altersversorgung. Ich glaube, hier gibt es auch öffentlich die größte Kritik. Viele Menschen verstehen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!) nicht, warum wir im Vergleich zu Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit einer normalen Erwerbsbiogra- Wer sein Handeln nicht an seinem Gewissen orientiert, fie in so kurzer Zeit sehr hohe Rentenansprüche erwer- sondern sich anderen Geldgebern unterwirft, soll auch ben können. bestraft werden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Pensionen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das ist ein großer Kritikpunkt. Hier hätten wir die Beides regeln wir heute. Chance nutzen sollen, den Bericht auch ernst zu nehmen, Wir regeln heute die Entlohnung für diejenigen, die ihn in Ruhe zu prüfen und zu diskutieren, welche Vor- diesem hohen Anspruch gerecht werden und sich das teile sich beim sogenannten Bausteinmodell, nämlich ganze Jahr bemühen. Das sind alle hier im Saal, und sie der Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung sollen sich angesichts dieser Arbeit nicht verstecken, plus Zusatzversorgungskasse und Eigenvorsorge erge- sollen vor das Volk treten und sagen, was sie tun und ob ben. die Entlohnung gerecht ist. Ich habe gegenüber jeder Be- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wäre suchergruppe, die ich hier im Hause empfangen habe, nicht günstiger!) dieses Thema immer proaktiv, von mir aus, angespro- chen. Ich sage, was wir tun, und sage dann von mir aus (B) Es ist ein Modell, das wir Bürgerinnen und Bürgern, die – auch gestern wieder –, was wir dafür bekommen. Ges- (D) in einem normalen Erwerbsleben sind, zumuten, indem tern sagte ich auch, dass wir heute die Bezüge erhöhen. wir sagen: Das ist die künftige Art der Altersversorgung. Ich habe noch nie Probleme mit dem Thema gehabt. Unser größter Kritikpunkt ist, dass wir bei dem schnel- len Verfahren – letzen Freitag erste Lesung und heute Ich persönlich habe aus einem ganz einfachen Grund zweite und dritte Lesung – nicht die Chance haben, das keine Probleme mit dem Thema: Bevor ich vor 16 Jah- Altersvorsorgesystem der Abgeordneten näher an das ei- ren hierher kam, hatte ich als kommunaler Wahlbeamter ner normalen Erwerbsbiografie anzupassen. eine B-7-Besoldung bekommen, also mehr als das, was wir jetzt festsetzen. Ich habe mich damals nicht über B 7 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschwert, und ich habe mich auch nicht darüber be- und bei der LINKEN) schwert, dass ich heute weniger – unter B 6 – bekomme. Ich habe es hingenommen; aber gerecht, meine Damen Wir hätten uns die Zeit nehmen können, um zu einer und Herren, war das zu keiner Zeit. einvernehmlichen Lösung im Parlament zu kommen. Die Chance haben Sie aber verstreichen lassen, da wir Wenn Sie, Frau Haßelmann, kunstvoll eine Gehalts- nur eine Woche Zeit zur Beratung des Bausteinmodells erhöhung um 10 Prozent in einem Jahr errechnen, – Einbeziehung in die Rentenversicherung, Anpassung an eine normale Erwerbsbiografie – hatten. Deshalb (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: werden wir dem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen. Ja, ist doch so!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dann mache ich meine Rechnung auf: 1995 haben wir und bei der LINKEN) beschlossen, die Höhe der Entlohnung entsprechend Be- soldungsgruppe B 6 anzusetzen, Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Uhl das R 6!) Wort. und hatten 20 Jahre lang nicht den Mut, vor den Wähler (Beifall bei der CDU/CSU) zu treten und diesen Beschluss zu vollziehen. Feigheit vor dem Wähler nenne ich so etwas. Wir hätten es schon vor 20 Jahren machen müssen. Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- legen! Das Grundgesetz belehrt uns: Wir Abgeordnete neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1377

Dr. Hans-Peter Uhl (A) Und jetzt tun wir es. Deswegen setze ich die Erhöhung lich vorermitteln und ermitteln; sie müssen ihnen nach- (C) in Bezug zu den 20 Jahren, in denen wir es nicht getan gehen. Aber wir leben in einer Zeit, in der sich in unserer haben. Medienlandschaft etwas entwickelt hat, das wir immer wieder ansprechen müssen, weil es eine Fehlentwick- (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜND- lung ist. Vorermittlungen von Staatsanwaltschaften sind NIS 90/DIE GRÜNEN]) Gift für unsere Arbeit, wenn sie in der Medienlandschaft Meine Damen und Herren, wir sollten uns kurz mit breitgetreten werden. Es kommt der öffentlichen Hin- dem Thema Mandatsträger- oder Abgeordnetenbeste- richtung eines Abgeordneten gleich, wenn aufgrund von chung auseinandersetzen. Es ist ein hochkomplexes und politischer Denunziation durch die Schlagzeilen geht, schwieriges Thema. dass Vorermittlungen eingeleitet worden sind, auch wenn diese sich später als haltlos erweisen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen wir es in einer Woche!) (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn keiner quatscht, kann das ja nicht pas- Warum? Wir sind Vertreter des ganzen Volkes. Das sieren!) heißt, unsere Aufgabe ist es, aus den Partikularinteres- sen, die das ganze Jahr über auf uns einströmen, das Ge- Wir müssen an die Staatsanwaltschaften appellieren, meinwohl, die Gemeininteressen herauszuschälen. Da dass sie sensationslüsternen Medienvertretern nicht gibt es Interessen, die man vertreten kann, und solche, nachgeben dürfen, weil die Unschuldsvermutung – Herr die man besser nicht vertreten sollte. Das ist unsere Auf- Ströbele, als alter Advokat wissen Sie das – eine Errun- gabe, dieser anspruchsvollen Tätigkeit müssen wir nach- genschaft zivilisierter Rechtsstaaten ist. gehen. Also sind wir im wohlverstandenen Sinne auch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Interessenvertreter, aber es gilt, die richtigen Interessen zu vertreten. Wenn der Fall nur eines Abgeordneter von uns 631 Abgeordneten pro Jahr durch die Medien geht und Jetzt ist es natürlich schwierig, jeden Tag mit Vertre- sich hinterher auch noch als falsch herausstellt, dann ent- tern von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden und steht trotzdem das Bild eines bestechlichen Parlamentes. mit Lobbyisten aller Art zu sprechen – übrigens teils Das müssen wir gemeinsam verhindern. sehr viel besser bezahlt, als wir es sind – und ihre Inte- ressen zu bewerten, zu sortieren, für gut oder schlecht zu (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) erklären und das Gemeinwohl herauszuschälen. Wir ha- Wir alle sollten und wollen dem Art. 38 Grundgesetz ben da eine sehr anspruchsvolle, immens schwierige gerecht werden. Wir sind unserem Gewissen unterwor- Aufgabe, bei der man auch Fehler machen kann. Wenn fen und wollen das Gemeinwohl aus den vielen Partiku- (B) (D) wir uns auf unseren Anspruch besinnen, dass wir Vertre- larinteressen herausschälen, jeder auf seine Weise, je ter des ganzen Volkes sind, dann müssen wir, wie ich nach parteipolitischer Zugehörigkeit und Gesinnung. meine, zum einen das Gespräch mit den Interessenver- tretern suchen – das tun wir auch – und zum anderen im- Wir sollten das Bild vom unbestechlichen Volksver- mer wieder zu dem rückkoppeln, was auch andere wol- treter verkörpern. Denjenigen, der dem Bild nicht ge- len. recht wird, der bei dieser Arbeit strauchelt, der sich an- deren Geldgebern unterwirft, müssen wir aus diesem Ich erinnere mich jetzt gerade an die unendlich müh- Hohen Hause verabschieden. Er soll bestraft werden. seligen Gespräche der letzten Legislaturperiode zum Das ist die Aufgabe. Thema Arbeitnehmerdatenschutz. Da hatten wir müh- same Gespräche mit den Gewerkschaftsvertretern, die (Beifall des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) die Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich des Schut - Sollte sich herausstellen, dass der heute vorliegende zes ihrer Daten vorgetragen haben. Dann folgten die Ge- Gesetzentwurf geeignet ist, dann belassen wir es so. spräche mit den Arbeitgebern, Wirtschaftsverbänden Wenn sich herausstellen sollte, dass im praktischen Voll- und Versicherungsunternehmen, die ihrerseits auch gute zug Probleme auftauchen, sollten wir heute schon ver- Argumente hatten. Diese Interessen gilt es auszuglei- einbaren, dass wir das Gesetz nachbessern. chen. Das ist das ewige, schwierige Bemühen, dem wir nachkommen müssen. Ich bedanke mich sehr herzlich für die Aufmerksam- keit. Natürlich muss man dabei integer bleiben. Aber es gibt im politischen Meinungskampf auch die politische (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Denunziation. Das heißt, dass einem Abgeordneten un- terstellt wird, dass er nicht das Volk mit seinen Interes- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: sen vertritt, sondern einzelne Partikularinteressen, bei Jetzt hat der Kollege Frank Tempel das Wort. denen es unverantwortlich ist, sie zum Gesetz zu ma- chen. (Beifall bei der LINKEN) (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Reden Sie Frank Tempel (DIE LINKE): jetzt noch zum Abgeordnetengesetz?) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Meine Damen und Herren, wir sollten einen Blick auf und Herren! Bis heute musste sich der Bundestag zu den Umgang mit solchen Denunziationen richten. Die Recht international den Vorwurf gefallen lassen, eine Staatsanwaltschaften müssen bei solchen Dingen natür- wirkliche Verfolgung korrupten Verhaltens von Abge- 1378 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Frank Tempel (A) ordneten durch Untätigkeit als Gesetzgeber zu verhin- die im Rechtsausschuss gestellt wurden, gerade von Ih- (C) dern. Da die Bestimmungen zum Stimmenkauf völlig nen, Herr Uhl, drehten sich aber zum größten Teil eher unzureichend waren, hieß das also: Der Bauamtsleiter darum, wer für was zu Unrecht belangt werden könnte. einer Kleinstadt kann wegen Korruption und Bestech- Das wirkte eher wie Strafverteidigung, wie ein Selbst- lichkeit von einem Gericht bestraft werden, der Bundes- schutzreflex. Damit kann man aber keine Korruptionsbe- tagsabgeordnete nicht. Das versteht in der Bevölkerung kämpfung gewährleisten. Einige konstruierten in der niemand. Anhörung lieber kommunale Beispiele, um diesen Ein- druck etwas abzuschwächen. Aber ich bitte Sie: Es geht (Beifall bei der LINKEN – Katja Keul darum, einen ungerechtfertigten – ich betone: einen un- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Rest der gerechtfertigten – Vorteil zu verbieten. Sie fassen das Welt auch nicht!) nun deutlich enger und verbinden das mit dem Tatbe- Dass der heute vorliegende Gesetzentwurf zur Abge- standsmerkmal, dass damit eine Gegenleistung verbun- ordnetenbestechung parallel mit einer deutlichen Diäten- den sein muss, die der Abgeordnete nach Auftrag oder erhöhung beschlossen wird, spricht für sich. Unabhängig Weisung erbringt. Aus Sicht eines Ermittlers muss ich davon sage ich Ihnen, dass es die Linke begrüßt, dass es Sie warnen: Dieser enge Rahmen wird sehr, sehr schwer mit der heutigen Abstimmung endlich eine gesetzliche zu beweisen sein. Regelung zur Bestechung und Bestechlichkeit von Ab- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten geordneten in Deutschland geben wird. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Die Begründung, dass die Worte „Auftrag“ und „Wei- Burkhard Lischka [SPD]) sung“ nicht wörtlich zu nehmen sind, gilt nicht; denn Die Linke begrüßt auch die Zusammenarbeit der wenn das so im Gesetz steht, dann muss das einem Be- Fraktionen bei der Entstehung des Gesetzentwurfs. Ne- schuldigten auch genau so nachgewiesen werden. Der ben den Vorstellungen anderer Fraktionen wurden zum Vorschlag der Grünen, diesen Passus durch eine andere Beispiel auch unsere Vorschläge zu den Verhaltensrege- Formulierung zu ersetzen – das ist etwas milder als die lungen in Abs. 4 übernommen sowie die Ansiedlung von uns bevorzugte Variante, ihn komplett zu streichen –, möglicher Verfahren bei Oberlandesgerichten festgelegt. ist vielleicht ein annehmbarer Kompromiss für die Re- gierungskoalition. Deswegen kein weiter gehender Än- (Beifall bei der LINKEN) derungsantrag von uns. Die Linke begrüßt ausdrücklich den Änderungsantrag (Beifall bei der LINKEN) der Grünen. (B) Nehmen wir diese Änderung nicht vor, befürchte ich (D) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- eine fast völlige Wirkungslosigkeit dieses Paragrafen. SES 90/DIE GRÜNEN) § 108 e des Strafgesetzbuches könnte dann ganz schnell Mit Blick auf eine vernünftige Oppositionsarbeit haben Placeboparagraf heißen. Das heißt, wir hätten zwar eine wir übrigens darauf verzichtet, schnell einen weiterge- Rechtsvorschrift, aber wenn man sich nicht zu dusselig henden Änderungsantrag vorzulegen, in der Hoffnung, anstellt, kann einem nichts passieren. dass der hier vorliegende Änderungsantrag von allen Um einen langen Prozess jetzt vernünftig abzuschlie- Fraktionen getragen werden kann. Liebe Kolleginnen ßen, schlägt die Linke Ihnen vor: Lassen Sie uns zu- und Kollegen von den Grünen, in der Opposition geht nächst dem Änderungsantrag und dann dem Gesetzent- das schon mal. wurf einstimmig zustimmen. Korruptionsbekämpfung (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten oder Placeboparagraf? – Das ist jetzt hier die Frage. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Am vergangenen Montag fand zum vorliegenden Ge- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – setzentwurf eine Anhörung im Rechtsausschusses statt. Burkhard Lischka [SPD]: Das ist kein Place- Was dort gesagt wurde, fand ich schon ein wenig merk- boparagraf!) würdig. Ziel des Gesetzes soll eigentlich sein, korruptes Verhalten von Abgeordneten unter Strafe zu stellen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Aber kaum einer, vor allem nicht von den Regierungs- Jetzt hat die Kollegin Sonja Steffen das Wort. fraktionen, fragte, ob das mit dem vorliegenden Wort- laut, also mit den Tatbestandsmerkmalen tatsächlich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten möglich ist. Die Tatbestandsmerkmale müssen in den der CDU/CSU) Ermittlungen beweisbar sein, sonst nützt dieser Paragraf nichts. Sonja Steffen (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Burkhard Lischka [SPD]: Das ist bei jeder Kollegen! Meine Damen und Herren! Es gibt eine Frage, Korruption so!) die in Deutschland selten gestellt und noch seltener ehr- lich beantwortet wird. Das ist die Frage: Und was ver- Ich habe drei Jahre in der Korruptionsbekämpfung in dienst du? Nach einer Umfrage, dem Gehaltsreport des Thüringen gearbeitet. Ich kenne mich also aus. Ich weiß, manager magazins, weiß nicht einmal jeder Fünfte, was wie schwer eine solche Beweisführung ist. Die Fragen, seine Kollegen verdienen. Je höher die Hierarchiestufe, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1379

Sonja Steffen (A) desto wortkarger werden die Menschen. Das ist kein ten, und das will in unserer modernen Demokratie wohl (C) Wunder: Wer über dem Schnitt verdient, fürchtet den niemand. Neid der anderen, und wer weniger verdient, der schämt sich vielleicht. Hinzu kommt, dass die Gehaltsstrukturen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie oftmals als sehr ungerecht empfunden werden. Häufig des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) heißt es: Wer laut genug schreit, der bekommt auch was. Im Laufe der Zeit ist also eine Vollalimentation der So können sogar Gehälter für die gleiche Tätigkeit stark Abgeordneten aus der Staatskasse entstanden. Auf die variieren. mit dem Mandat verbundenen zeitlichen und auch in- haltlichen Belastungen möchte ich an dieser Stelle nicht In Bezug auf die Gehälter der Abgeordneten gilt je- mehr eingehen; das haben meine Kollegen Herr Uhl und doch etwas völlig anderes: Das Grundgesetz verpflichtet auch Herr Kaster bereits gemacht. Auch in der ersten Le- uns selbst, in eigener Sache zu entscheiden. Das demo- sung ist dies schon angesprochen worden. kratische Prinzip verlangt, dass der gesamte Willensbil- dungsprozess für den Bürger durchschaubar ist und das Eine Orientierung an den Einkommen in der Privat- Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen wirtschaft, vielleicht mit Blick auf Geschäftsführergehälter, wird. Dies ist nämlich die einzig wirksame Kontrolle in kann allein aufgrund der dort vorhandenen Einkom- diesem Zusammenhang. mensunterschiede nicht erfolgen. Das Abgeordnetenge- setz orientiert sich daher bereits seit 1995, also schon Frau Sitte, ich bin der Meinung, wir gewähren diese seit beinahe 20 Jahren, an den Bezügen eines Bundes- Transparenz. Sie haben selber darauf hingewiesen: Wir richters oder eines höheren kommunalen Wahlbeamten haben 2011 eine unabhängige Kommission eingerichtet, auf Zeit. Ich meine, dies ist ein schlüssiges Maß der in die übrigens auch von der Linken und den Grünen be- Ausrichtung. Wir setzen uns damit in der Tat mit einem nannte Experten entsandt wurden. Alle Fraktionen haben Bürgermeister einer mittelgroßen Stadt und einem Land- Experten für die Kommission benannt. Diese Kommis- rat gleich, wobei der Landrat ein Gebiet mit einer Grö- sion hat dieses Thema ausführlich, mehrere Jahre lang, ßenordnung von 80 000 bis 100 000 Einwohnern be- erörtert und eine Empfehlung für die Abgeordnetenent- treut. Kollege Schäfer hat darauf schon hingewiesen. schädigung erarbeitet. Von einer „heißen Kartoffel“ kann man in dem Zusammenhang nicht reden. Ob dies nun in zwei oder in zehn Stufen geschieht, macht letztendlich keinen Unterschied. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!) In der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf wurde inten- siv diskutiert. Wir beraten ihn heute in zweiter und drit- Meiner Meinung nach wäre eine mehrstufige, beispiels- (B) ter Lesung zu prominenter Stunde. weise eine zehnstufige, Anpassung sogar Augenwische- (D) rei. In Anbetracht der Transparenz, die wir den Bürgern Selbstverständlich und völlig zu Recht schauen die schuldig sind, ist eine zweistufige Anpassung offener. Bürger kritisch auf unsere Pläne. Schnell, aber auch ver- ständlicherweise wird der Ruf laut, dass das Parlament (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ein Selbstbedienungsladen sei. Jedoch hat das Bundes- der CDU/CSU) verfassungsgericht in seinem sogenannten Diätenurteil Meine Redezeit ist fast zu Ende. Ich möchte nur noch betont, dass diese häufig kritisierte Entscheidung in ei- kurz darauf hinweisen, dass das Bausteinmodell, Frau gener Sache zwingend ist, genauso wie die Transparenz. Haßelmann, von allen Experten in der Anhörung zwar Das kann uns niemand abnehmen. Das führt aber dazu, als für durchaus möglich befunden wurde, aber auch teu- dass die Bevölkerung – ebenfalls zu Recht – über die an- rer. Sie werden sich daran erinnern. Insofern, denke ich, gemessene Höhe der Abgeordnetenentschädigung disku- sollten wir auch aus Kostengründen dem Steuerzahler tiert. Schließlich geht es bei dieser Frage auch um die dieses von uns bevorzugte Modell vorstellen. Verteilung von Steuergeldern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Ich will den Blick auf die einzige Vorschrift im CDU/CSU) Grundgesetz lenken, die sich damit beschäftigt. Das ist der Art. 48. Hier heißt es: Letztendlich haben wir heute über noch einen Gesetz- entwurf zu entscheiden. Dabei geht es um ein sehr wich- Die Abgeordneten des Bundestages haben An- tiges Thema. Die SPD-Fraktion hat sich schon seit lan- spruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit gem dafür eingesetzt. Es handelt sich um die Bestrafung sichernde Entschädigung. der Abgeordnetenbestechung. Mein Kollege Lischka wird gleich ausführlicher darauf eingehen. Ich will Ihnen Die wichtige Frage, die wir uns beantworten müssen, nur noch sagen: Ich freue mich ganz besonders, dass wir lautet also: Was ist angemessen, und was ist die Unab- nach so vielen Anläufen nun auch unseren Koalitions- hängigkeit sichernd? partner, die CDU/CSU-Fraktion, endlich von der Not- Im 19. Jahrhundert herrschte übrigens die Auffas- wendigkeit dieses Straftatbestandes überzeugen konnten. sung, dass das Abgeordnetenmandat selbstverständlich Vielen Dank fürs Zuhören. ein unbezahltes Ehrenamt sei. Wenn dies heute noch so wäre, dann hätten wir diese Debatte nicht. Aber dann (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten könnten sich nur richtig Wohlhabende ein Mandat leis- der CDU/CSU) 1380 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) Als nächster Redner, liebe Kolleginnen und Kollegen, sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- spricht der Kollege Hans-Christian Ströbele. KEN) Nun haben Sie diesen Gesetzentwurf, der positiv ist, Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE mit der Debatte über die Abgeordnetendiätenerhöhung GRÜNEN): verbunden. Ich sage Ihnen: Dieser gute Gesetzentwurf Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! darf nicht als Alibi für die schnelle Verabschiedung des Es war vor langer, langer Zeit, Entwurfs des Diätenerhöhungsgesetzes dienen. (Heiterkeit – Volker Kauder [CDU/CSU]: Opa (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Ströbele erzählt!) SES 90/DIE GRÜNEN) da hat eine Ministerin einer rot-grünen Regierung die Die Eile, mit der der Gesetzentwurf zur Diätenerhöhung Abgeordneten des Bundestages darüber informiert, dass durch den Bundestag gewunken werden soll – innerhalb sie bei der UNO ein Abkommen vereinbart habe, von einer Woche und ohne anständige Beratung –, zeigt (Thomas Oppermann [SPD]: Das ist zehn bzw. atmet Ihr schlechtes Gewissen, Ihre Furcht. Da Jahre her!) müssen Sie sich nicht wundern, dass Sie deshalb „ge- bissen“ werden, von der Öffentlichkeit und von uns. das weltweit die Abgeordnetenbestechung wie die Be- stechung von Amtspersonen unter Strafe stellen soll. Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat gesagt, dass sie das unterschreiben möchte. Viele, und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ viele Abgeordnete haben gesagt: Tu das nicht, tu das CSU]: Was, „gebissen“? Sind Sie jetzt auf ein- nicht! mal für Körperverletzung? Das ist ja ein di- ckes Ei!) (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Die Staatsanwälte werden uns alle ins Gefängnis bringen Als nächster Redner, liebe Kolleginnen und Kollegen, oder jedenfalls unseren Ruf schädigen. – Die mutige hat der Kollege Johann Wadephul das Wort. Ministerin hat trotzdem am 9. Dezember 2003 unter- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schrieben, also vor mehr als einem Jahrzehnt. Heute soll- neten der SPD) ten wir dieses Abkommen endlich ratifizieren. Wir ha- ben einen Vorschlag dazu vorgelegt. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Wir reden ja hier heute nicht nur über Diätenerhöhun- Herren! Herr Kollege Ströbele, ich glaube, dass wir dem gen, sondern auch über den von der Koalition vorgeleg- Selbstverständnis des Mandats und dem Selbstverständ- ten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 108 e nis des Parlaments keinen Dienst erweisen, wenn wir Strafgesetzbuch, Abgeordnetenbestechung. Ich sage: Es alle Regelungen, die hier zu treffen sind, öffentlich dar- ist gut, dass endlich das ganze Haus einen solchen Ge- stellen, sozusagen als Akt der Selbstkasteiung. setzentwurf verabschiedet. (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Richtig! – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sowie bei Abgeordneten der SPD) Das hat doch gar keiner gesagt! Ströbele ver- steht nichts von Selbstkasteiung!) Nur: Auch ein guter Gesetzentwurf kann noch besser werden. Außerdem wird von manchen unterstellt, wir hätten ei- nen ungezügelten Entwicklungsdrang, vielleicht auch ei- ( [SPD]: Aber nur, wenn nen Bereicherungsdrang, vielleicht auch einen Gestal- Ströbele mitmacht!) tungsdrang – als wenn wir uns ständig zügeln müssten. Deshalb haben wir einen Änderungsantrag vorgelegt. Meine Fraktion – das sage ich nicht deshalb, weil ich Wir sagen: Die Einschränkung, dass nur dann bestraft irgendeiner rechtswidrigen Verhaltensweise von Abge- wird, wenn ein Auftrag oder eine Weisung nachgewiesen ordneten Vorschub leisten möchte – geht den schweren wird – das wird ganz selten der Fall sein –, Weg dieser Gesetzgebung zur strafrechtlichen Regelung der Abgeordnetenbestechung mit; wir stimmen dem Ge- (Christine Lambrecht [SPD]: Das ist wie im setzentwurf zu. Aber der Kollege Uhl hat einige Beden- Strafrecht!) ken zum Ausdruck gebracht, die unser Erleben in ist zu eng. Wir wollen diese Worte ganz streichen; denn Deutschland widerspiegeln. Man kann in unserer Me- wir brauchen sie nicht. Wir haben dazu aber auch eine diengesellschaft nämlich recht frühzeitig Opfer eines Alternative vorgelegt und gesagt: Wenn das Handeln des Vorverurteilungsprozesses werden. Abgeordneten zur Durchsetzung der Interessen eines (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dritten geschieht, dann soll die Strafbarkeit einsetzen. – Aber nur, wenn jemand quatscht!) Ich sage Ihnen: Nehmen Sie unseren Änderungsantrag an! Dann können wir mit noch besserem Gewissen zu- Das muss uns beiden als Anwälte, die die Unschuldsver- stimmen. Wir werden aber in jedem Fall zustimmen. mutung hochhalten müssen – sie ist Ihnen ja besonders Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1381

Dr. Johann Wadephul (A) wichtig, Herr Kollege Ströbele –, zu denken geben. Wir wenn wir denn der Überzeugung seien, dass diese An- (C) gehen in diesen Gesetzgebungsprozess – das sage ich passung berechtigt ist – und dieser Überzeugung sind ganz offen – nicht ohne Sorge und nicht ohne den deutli- wir –, diese Anpassung sofort, in einem Schritt, vorzu- chen Appell an die Staatsanwaltschaften in Deutschland, nehmen. Die Empörung würde wahrscheinlich größer mit diesem Instrumentarium vorsichtig, sorgfältig und ausfallen; aber zulässig wäre das in jedem Fall – und angemessen umzugehen. konsequent: Wenn man der Meinung ist, dass das Gehalt eines Bundesrichters der Maßstab für die Abgeordneten- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- entschädigung sein muss, dann muss man diese Anpas- neten der SPD) sung auch durchführen. Dass Begeisterung und Nach- Was das Verfahren, die Abgeordnetenentschädigung vollziehbarkeit im Hinblick auf diese Regelung in der zu regeln, angeht, muss man sagen: Wir haben in der Tat deutschen Öffentlichkeit zunähmen, wenn wir die An- einen zügigen Beratungsprozess gehabt. passung in homöopathischen Dosen – in vier, fünf, zehn, zwölf Schritten – durchführten, das glaube ich im Ernst (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nicht. Deswegen ist eine Anpassung in zwei Schritten Das kann man wohl sagen! – Hans-Christian angemessen, und wir stehen dazu. Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist untertrieben!) Zweiter Grundsatz. Wir stehen auch zur Transparenz. Die Kollegin Steffen hat angesprochen, dass man, wenn Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hat- man sich damit beschäftigt, wer in Deutschland wie viel ten sehr sorgfältige Beratungen. Ich möchte ganz herz- verdient, festhalten muss, dass kaum ein Gehalt so trans- lich allen danken, die daran mitgewirkt haben. Es hat parent ist wie die Abgeordnetenentschädigung. Und das kritische Fragen gegeben, auch im Geschäftsordnungs- ist auch gut so – um es mit diesem berühmten Satz eines ausschuss. Wir haben lange beraten. Wir hatten aber Berliners zu sagen –, und das bleibt auch so, meine sehr Grundlagen. Wir hatten die Vorschläge der Unabhängi- verehrten Damen und Herren. gen Kommission aus der letzten Legislaturperiode. Na- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und türlich gilt die Diskontinuität; sie gilt aber für Gesetzge- der SPD) bungsvorhaben. Das heißt nicht, dass wir in der neuen Legislaturperiode dümmer werden. Wir bauen auf dem Wir haben jetzt eine Regelung gefunden; aber wir wer- auf, was die Kommission erarbeitet hat. Wir können den in jeder Wahlperiode gesondert festlegen, dass wir auch darauf aufbauen. Wir haben eine über dreistündige uns an diese Regelung halten, das heißt, es wird eine Be- Anhörung durchgeführt. Es sind alle Aspekte erörtert schlussfassung durch das Plenum des Deutschen Bun- worden. Deswegen können wir heute guten Gewissens destages geben – transparenter geht es insgesamt nicht. entscheiden, meine sehr verehrten Damen und Herren. (B) Dritter Punkt. Unstreitig ist in der Kommission auch (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Höhe der Altersentschädigung gewesen. Das ist von der SPD) den Kritikern des jetzigen Modells etwas verschwiegen worden. Man muss aber einmal darauf hinweisen, dass, Ich bin nicht der Auffassung, dass eine längere Erörte- wenn dieselbe Höhe der Altersentschädigung erreicht rung uns irgendwie klüger machen würde. werden soll, wie sie jetzt geregelt ist – und wie wir sie für die Zukunft regeln wollen –, es schwierig wird, dies (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das mit einem Bausteinmodell – gesetzliche Rentenversiche- sowieso nicht! Aber besser informiert!) rung plus eine Art betriebliche Zusatzversorgung – zu Ich bin übrigens auch nicht der Auffassung, dass sie die erreichen. Dies richte ich auch an die Grünen; der Kol- Debatte in der deutschen Öffentlichkeit insgesamt ver- lege Strengmann-Kuhn hat sich ja in der ersten Lesung sachlichen würde – man muss eher gegenteilige Be- als ausgewiesener Rentenexperte zu Wort gemeldet. fürchtungen haben. Wenn man für die Altersentschädigung ein dreistufiges Bausteinmodell einführen wollte, wie es in der Arbeits- Wir können, meine sehr verehrten Damen und Herren und Lebenswirklichkeit Deutschlands in der Tat nicht – das soll bei aller Kritik, die geäußert wurde, nicht in unbekannt ist, ergeben sich zwei Probleme: Man erreicht den Hintergrund treten –, Einigkeit feststellen über die so keine Transparenz, und es wird eine Ungleichbehand- wesentlichen Ziele der Reform des Abgeordnetenrechts. lung von Abgeordneten geben. Wie Professor Zeh gesagt Die Abgeordnetenentschädigung soll sich am Gehalt ei- hat: Die Ausübung eines Staatsamtes nun gerade der nes Bundesrichters orientieren. Warum wir dieses für an- Entwicklung der Kapitalmärkte zu überlassen, das ist gemessen halten, ist mehrfach hergeleitet worden. Wenn schon fragwürdig. wir dieses Ziel ins Gesetz schreiben, dann liegt es – die Kollegen Uhl und Kaster haben das schon hervorgeho- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ben – in unserem ureigensten Interesse als Gesetzgeber, der SPD) der ernst genommen werden will, dafür zu sorgen, dass Dass dieser Vorschlag aus den Reihen der Grünen diese Gesetzeslage auch Wirklichkeit wird. Deswegen kommt, hat mich, gelinde ausgedrückt, schon etwas führen wir die Anpassung jetzt durch, in zwei Schritten. überrascht. Die Sachverständigen haben uns bescheinigt, dass wir Wir stehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, selber gestalten können, auf welchem Wege wir diese am Ende eines langen Diskussionsprozesses. Anpassung erreichen. Natürlich könnte man sie genauso gut in vier Schritten vornehmen. Ich will hier aber nicht (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE unerwähnt lassen, dass wir aufgefordert worden sind, GRÜNEN]: Der war diesmal kurz!) 1382 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Dr. Johann Wadephul (A) Ich bin mit unserem Sachverständigen, Herrn Spranger Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) – er ist ein langjähriger ehemaliger Kollege –, einig in Vielen Dank, Herr Kollege Lischka. – Sie haben eben der Hoffnung, dass das Dauerbrennerthema Abgeordne- gesagt, es sei jetzt Gott sei Dank endlich soweit, dass tenrecht/Abgeordnetenentschädigung hiermit endlich zu strengere Regelungen gegen die Abgeordnetenbeste- einer befriedigenden Lösung kommt. Ich meine das ganz chung in Kraft treten. Ich frage Sie: Warum haben Sie wörtlich; denn eine hervorragende Lösung wird man sel- unseren Gesetzentwurf, der die Schaffung von Voraus- ten erreichen. Wenn die Selbstbeschäftigung mit diesem setzungen für die Ratifikation der UN-Konvention zum Thema einen vernünftigen Abschluss gefunden hat, kann Inhalt hat, von der Tagesordnung genommen? das dazu beitragen, dass wir uns um unsere eigentlichen Aufgaben kümmern können. In diesem Sinne appelliere Wir behandeln jetzt die Abgeordnetenbestechung und ich an Sie alle, den vorliegenden Beschlussempfehlun- werden zustimmen. Nach wie vor werden wir aber die gen des Rechtsausschusses und des Geschäftsordnungs- UN-Konvention nicht ratifiziert haben, obwohl das ohne ausschusses zuzustimmen. Weiteres zeitgleich mit der Verabschiedung der strenge- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ren Regelungen gegen die Abgeordnetenbestechung möglich gewesen wäre. Warum haben Sie auf Vertagung (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gedrängt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner erhält der Kollege Burkhard Lischka das Wort. Burkhard Lischka (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frau Keul, ich habe darüber bereits im Rechtsaus- der CDU/CSU) schuss gesprochen und gesagt, dass wir bestimmte Rechtsförmlichkeitsregelungen haben, die voraussetzen, dass diese Regelungen, die wir heute verabschieden, ins Burkhard Lischka (SPD): Bundesgesetzblatt kommen. Danach können wir das Ra- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit tifizierungsverfahren einleiten. Das wird die Bundesre- über zehn Jahren warten die Vereinten Nationen auf den gierung tun; das ist klar. Das ist ja auch ein Ziel des Ge- heutigen Tag. Sie warten darauf, dass wir endlich auch in setzentwurfes, den wir heute verabschieden. Deutschland die Bestechung und die Bestechlichkeit von Abgeordneten unter Strafe stellen, wie das bereits Meine Damen und Herren, die Bestechung eines Ab- 169 Länder weltweit getan haben. In wenigen Minuten geordneten ist wahrscheinlich der schwerste Angriff auf (B) hat das Warten ein Ende. ein Parlament und auf die Funktionsweise einer Demo- (D) kratie, den man sich überhaupt vorstellen kann. Das trifft (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eine Demokratie mitten ins Herz. Deshalb sagen wir klar der CDU/CSU) und deutlich: In Deutschland ist das in Zukunft ein Wenn sich künftig ein Abgeordneter kaufen lässt, dann Straftatbestand. ist das strafbar, und das ist auch gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der LINKEN) Mit diesen Regelungen, die wir heute verabschieden, Heute Morgen wird das verboten, was in einer Demo- verlassen wir schließlich auch diesen wirklich unsägli- kratie definitiv nicht erlaubt sein sollte, nämlich die Be- chen Dunstkreis von Nordkorea, Sudan und Syrien. Dass stechung und das Schmieren von frei gewählten Abge- wir wie diese Länder in der Vergangenheit keine umfas- ordneten; denn jede Demokratie lebt doch vor allen sende Regelung zur Abgeordnetenbestechung hatten, Dingen davon, dass die Auseinandersetzungen hier im war peinlich und beschämend. Es war aber auch voll- Parlament mit Argumenten geführt werden und nicht kommen unnötig, sich zehn Jahre lang mit diesen Län- durch die Bestechung einzelner Abgeordneter beein- dern auf eine Stufe zu stellen. Deutschland hat es wirk- flusst werden können. Jede Demokratie lebt auch davon, lich nicht verdient, in diesem lächerlichen und absurden dass Politiker das Gemeinwohl im Blick haben und sich Licht dazustehen; nicht nur von Einzelinteressen leiten, geschweige denn, von Einzelnen kaufen lassen. Jede Demokratie lebt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schließlich auch von unabhängigen Parlamentariern, die sich nicht in die Hände von irgendwelchen Geldgebern denn wir sind ja nun wirklich kein Land, in dem die begeben. Korruption blüht und in dem sich Volksvertreter schmie- ren lassen. Deshalb wurde es jetzt wirklich höchste Zeit, Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: das zu regeln, was in unseren Breitengraden eigentlich Kollege Lischka, gestatten Sie eine Zwischenfrage selbstverständlich ist: Wer sich als Abgeordneter kaufen der Kollegin Keul? lässt, begeht ein Unrecht und muss dafür geradestehen. Diese Selbstverständlichkeit kommt jetzt in das Bundes- gesetzblatt. Burkhard Lischka (SPD): Sehr gerne. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1383

Burkhard Lischka (A) Ich kann ja verstehen, dass die Opposition auch bei Wir kommen jetzt zur (C) einem so guten Gesetzentwurf immer noch versucht, das Haar in der Suppe zu finden. dritten Beratung und Schlussabstimmung. Es ist namentliche Abstim- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mung verlangt worden. Ich möchte in diesem Zusam- Das ist gar nicht so schwierig!) menhang auch noch darauf hinweisen, dass im An- schluss an diese namentliche Abstimmung dann eine So ist das meines Erachtens übrigens auch mit einer zweite namentliche Abstimmung erfolgt. Deshalb bitte Weisung oder einem Auftrag: Jedes Korruptionsdelikt ich die Kolleginnen und Kollegen, im Saal zu bleiben. – das ist kennzeichnend – beruht auf einem Gegenseitig- keitsverhältnis. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen, damit wir mit der Noch etwas: Ich habe in den letzten Tagen vonseiten Abstimmung beginnen können. Sind alle Plätze an den der Opposition gehört, wir würden auch bei diesem Ent- Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann ist die Abstim- wurf eines Gesetzes gegen die Abgeordnetenbestechung mung eröffnet. überhastet vorgehen und große Eile an den Tag legen. Dazu sage ich deutlich: Das fand ich persönlich etwas Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine dürftig. Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später be- Der Europarat wartet seit 1999 darauf, dass wir eine Re- kannt gegeben.2) gelung zur Abgeordnetenbestechung schaffen. Die Ver- einten Nationen – Herr Kollege Ströbele, Sie haben es Die Kolleginnen und Kollegen bitte ich, sich wieder gesagt – warten seit 2003 darauf. Der Bundesgerichtshof zu setzen, damit wir mit unseren Beratungen und Ab- hat uns 2006 angemahnt, hierzu endlich eine Regelung stimmungen fortfahren können. auf den Weg zu bringen. Nein, übergroße Eile hat der Tagesordnungspunkt 16 b. Abstimmung über den von Deutsche Bundestag bei diesem Thema wirklich nicht an den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrach- den Tag gelegt. ten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes – Erwei- terung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbeste- Es wird jetzt wirklich höchste Zeit, dass wir diese chung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Peinlichkeit schnellstmöglich beenden. Die Große Ko- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- alition wird das tun. Ich freue mich, wenn heute die Op- che 18/607, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ position an diesem überfälligen Schritt mitwirkt. (B) CSU und SPD auf Drucksache 18/476 in der Ausschuss- (D) fassung anzunehmen. Recht herzlichen Dank. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/624 vor, über den der CDU/CSU) wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände- rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: – Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt worden mit den Stimmen der CDU/CSU und SPD bei Zustim- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die mung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Lin- Aussprache. ken. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- wurf eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetenge- zeichen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – setzes und zur Änderung des Europaabgeordnetengeset- Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf einstim- zes. Es liegen mehrere Erklärungen zur Abstimmung mig in zweiter Beratung angenommen. nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE schäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- GRÜNEN) lung auf Drucksache 18/619, den Gesetzentwurf der Damit sind wir hier endlich unserer Verpflichtung nach- Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/477 gekommen. anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser zur Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU und dritten Beratung SPD bei Gegenstimmen aus den Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen und einigen Enthaltungen und Schlussabstimmung. Hierzu ist wiederum namentli- seitens der Fraktion Die Linke in zweiter Beratung ange- che Abstimmung verlangt worden. Deshalb frage ich: nommen worden. Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre

1) Anlagen 3 bis 7 2) Ergebnis Seite 1388 C 1384 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Plätze an den Urnen eingenommen? – Das ist der Fall. beit verdient Dank und Respekt. Ich denke, ich spreche (C) Dann eröffne ich die Abstimmung. da im Namen des ganzen Hauses. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die GRÜNEN) Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Auch das Ergebnis dieser Abstim- In diesem und im kommenden Jahr gibt es mit Blick mung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) auf die deutsche Einheit einiges zu feiern. Ich will den Festreden hier und heute nicht vorgreifen. Ich werde Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: mich als Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Bundesländer in den kommenden Jahren ganz bestimmt gierung nicht darauf beschränken, feierliche Reden zu halten; das dürfen Sie mir glauben. Nein, ich gehe dieses Amt Jahresbericht der Bundesregierung zum mit ganzer Kraft an, mit viel Optimismus und voller Zu- Stand der Deutschen Einheit 2013 versicht, etwas zu bewegen, auch wenn es nach meiner Drucksache 18/107 Ernennung Kritik daran gab, dass nur eine „halbe Staats- sekretärin“ zur Ostbeauftragten ernannt worden sei. Sa- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) gen Sie dem Kollegen Gysi einen schönen Gruß! Mich Innenausschuss hat schon lange niemand mehr als halbe Portion bezeich- Sportausschuss net. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Scherz beiseite! Mich treibt natürlich die Sorge um, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit dass der eine oder die andere der Versuchung erliegt, die Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur vor uns liegenden Jubiläen als willkommene Gelegen- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und heit für einen Schlussstrich zu betrachten. Aber wir Reaktorsicherheit brauchen 25 Jahre nach der friedlichen Revolution alles Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien andere als einen Schlussstrich. Wir brauchen keinen Haushaltsauschuss Schlussstrich unter eine Vergangenheit, die vielleicht nicht für alle, wohl aber für viele noch sehr lebendig ist, Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion (B) auch wenn manch einer sie am liebsten vergessen oder (D) Die Linke vor. vergessen machen möchte. Wir brauchen auch keinen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Schlussstrich unter die deutsche Einheit als solche, weil die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu sie eben noch nicht vollendet ist. Genau deshalb wird je- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. des Jahr ein Bericht zur deutschen Einheit vorgelegt: da- mit wir einigermaßen genau wissen, wo wir bei der Her- Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die stellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Staatssekretärin Frau Gleicke das Wort. Deutschland stehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir haben wirklich viel erreicht. Die Lebensverhält- der CDU/CSU) nisse und der materielle Wohlstand in den ostdeutschen Bundesländern haben sich kontinuierlich verbessert. Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Aber der Abstand zum Westen bei der Wirtschaftskraft minister für Wirtschaft und Energie und Beauftragte der liegt noch immer bei rund 30 Prozent. Die Einkommens- Bundesregierung für die neuen Bundesländer: unterschiede liegen im Durchschnitt bei knapp 20 Pro- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und zent. In manchen Branchen dümpeln die Einkommen so- Kollegen! Ich kann diese Debatte zum Stand der deut- gar noch immer bei 45 Prozent unter Westniveau. Wenn schen Einheit nicht eröffnen, ohne ein Wort zu den Er- wir daran etwas ändern wollen, müssen wir die ostdeut- eignissen in der Ukraine zu sagen. Wir erleben in diesen sche Wirtschaftskraft stärken und dafür sorgen, dass sich Tagen wieder, wie Menschen um Freiheit und Demokra- bei den Löhnen etwas tut. tie ringen und sich der Unterdrückung entgegenstellen. Sie stehen in der Tradition all derer, die dazu beigetragen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben, die Teilung Europas und damit auch unseres Lan- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE des zu überwinden. Diese Menschen verdienen unsere GRÜNEN) uneingeschränkte Solidarität. Unser Ansatz für die ostdeutsche Wirtschaft besteht (Beifall im ganzen Hause) unter anderem darin, den Mittelstand bei den notwendi- gen Innovationen zu unterstützen, damit er wachsen und Ich möchte ein Wort des Dankes an meinen Vorgän- im europäischen und internationalen Wettbewerb beste- ger richten. Sehr geehrter Herr Kollege Bergner, Ihre Ar- hen kann. Das tun wir etwa mit Programmen wie dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, des 1) Ergebnis Seite 1390 D Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1385

Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke (A) Aber machen wir uns nichts vor: Bereits heute ist ab- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) sehbar, dass die neuen Bundesländer und Berlin auch der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE nach Auslaufen des Solidarpakts II auf die Unterstüt- GRÜNEN) zung des Bundes und die gemeinsame Solidarität aller Länder angewiesen sein werden. Genau deshalb muss Derzeit verdient etwa ein Fünftel der ostdeutschen eine verlässliche und gerechte Anschlussregelung im Arbeitnehmer weniger als 8,50 Euro pro Stunde, viele Rahmen der Neuverhandlungen der Bund-Länder-Fi- müssen zusätzlich Hartz IV beantragen, um ihren Le- nanzbeziehungen ganz oben auf der wirtschafts- und fi- bensunterhalt zu bestreiten. Damit muss endlich Schluss nanzpolitischen Agenda stehen. sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) des Abg. Stephan Kühn [Dresden] [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Künftig müssen sich alle strukturschwachen Regio- nen in ganz Deutschland auf ein verlässliches und aufga- Allen Betrieben, die glauben, die 8,50 Euro nicht bewäl- bengerechtes Finanzierungssystem stützen können. Das tigen zu können, sage ich: Ihr habt immer noch die Mög- müssen wir erreichen, und deshalb ist ein festes Bündnis lichkeit, vorher einen Tarifvertrag abzuschließen, bei Ostdeutschlands mit den strukturschwachen Regionen dem der Lohn unter 8,50 Euro liegt. Dann greift der im Westen eines meiner erklärten politischen Ziele. Mindestlohn erst ab Anfang 2017. – In diesem Zusam- menhang finde ich es wirklich bemerkenswert, dass al- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lein die Ankündigung des Mindestlohns innerhalb weni- der CDU/CSU) ger Wochen dazu geführt hat, dass auf einmal Tarifverträge geschlossen werden. Alleine das ist schon Wir brauchen dieses Bündnis angesichts der jetzt schon ein Erfolg; denn da geht es auch um so elementare Fra- sichtbaren und für die Zukunft absehbaren Verteilungs- gen wie Urlaubstage und Arbeitsbedingungen. kämpfe. Entweder tun wir uns zusammen und sind ge- meinsam stark, oder wir gehen getrennt voneinander un- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ter. Das alles ist auch von großer Bedeutung für ein in Ost Wir dürfen uns nicht damit begnügen, die ostdeutsche und West einheitliches Rentensystem. Das wird 2019 mit Wirtschaft zu unterstützen. Wir müssen auch etwas bei dem Auslaufen des Solidarpakts kommen. Das haben den Löhnen und Gehältern tun. Die Unterschiede bei den wir so in den Koalitionsvertrag geschrieben. Ob wir bis Löhnen und Gehältern sind nicht nur ungerecht und eine dahin einen Zwischenschritt in Form einer teilweisen (B) der wesentlichen Ursachen für die Abwanderung, son- Rentenangleichung brauchen, werden wir 2016 prüfen. (D) dern sie führen auch zu einer geringeren Binnennach- Das hängt wiederum davon ab, in welchem Umfang die frage. Auch deshalb ist die Einführung eines gesetzli- ostdeutschen Einkommen und damit auch die Renten chen Mindestlohns besonders für Ostdeutschland steigen. wichtig und richtig. Die Forderung nach einem einheitlichen Rentensys- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem tem ist fast 25 Jahre nach der Einheit natürlich berech- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tigt. Ich habe sie selber oft genug mit Nachdruck erho- ben. Und dennoch ist die Rentengeschichte der Das wird eine Premiere. Damit wird erstmals bundes- vergangenen 25 Jahre eine Erfolgsgeschichte. Das Ren- weit ein einheitlicher Verdienst festgeschrieben, und da- ten-Überleitungsgesetz ist Ausdruck gelebter Solidarität mit setzen wir ein wichtiges Signal; damit zeigen wir, von Ost und West. Niemand im Osten musste nach der dass wir es mit der Angleichung der Lebensverhältnisse Wende von einer DDR-Rente leben. Die Ostrenten sind in ganz Deutschland ernst meinen. seither auf fast 92 Prozent des Westniveaus gestiegen. Jetzt arbeiten wir an der vollständigen Angleichung, und Ich weiß, dass wieder Bedenkenträger unterwegs die wird kommen. sind. Da wird zum Teil der Teufel an die Wand gemalt. Trotzdem bin ich strikt gegen Ausnahmeregelungen, die Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Jahren seit über das im Koalitionsvertrag Vereinbarte hinausgehen. der friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung Natürlich wird die Einführung des Mindestlohns einige sind wir ein anderes Land geworden. Wir haben uns wei- Betriebe vor Probleme stellen, im Osten, aber auch im terentwickelt und werden das auch weiter tun. Wir haben Westen; kein Mensch leugnet das. Natürlich werden die viel erreicht; aber es bleibt auch noch viel zu tun, zum Preise im Dienstleistungssektor zum Teil steigen. Beispiel bei der entschiedenen Bekämpfung des Rechts- extremismus. Das ist ein Thema, das mich seit vielen (Zuruf von der CDU/CSU: Und Jobs verloren Jahren bewegt. Ich versichere Ihnen: Ich werde alle mir gehen!) zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um un- sere Kinder und Kindeskinder, unsere ganze Gesell- Aber wer selber einigermaßen anständig verdient, der schaft vor diesem braunen Pack zu schützen. wird auch nichts dagegen haben, beim Friseur oder im Blumenladen etwas mehr zu bezahlen. Es muss doch da- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie rum gehen, dass alle vernünftig über die Runden kom- bei Abgeordneten der CDU/CSU und des men. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 1386 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke (A) Gott sei Dank führt die Generation unserer Kinder ein Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): (C) freies Leben ohne Mauer, Teilung und Diktatur. Den- Sehr geehrte Frau Gleicke, das verbindet uns: dass noch begegnet uns die Teilung mit ihren langandauern- wir stolz sind, aus Ostdeutschland zu kommen. – Frau den Folgen immer wieder im Alltag und in der Politik. Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschaue- Das ist zum Beispiel so beim Heimkinderfonds Ost, der rinnen und Zuschauer! Ja – um es klar und deutlich zu vom Bund und von den ostdeutschen Ländern getragen sagen –, auch die Linke freut sich über alle Fortschritte wird. Aus diesem Fonds werden Menschen unterstützt, bei der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse. die in sehr jungen Jahren zum Opfer staatlicher Repres- sion geworden sind, und das ist gut und richtig so. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Wolfgang Tiefensee [SPD]: Aber?) Aber es hat sich herausgestellt, dass das ursprünglich eingeplante Geld wider Erwarten nicht reicht. Es steht Es ist gut so, dass das Ganze bei allen europäischen Pro- fest, dass dieser Fonds erheblich aufgestockt werden blemen, die wir haben, weiter ein Thema bleibt. Wir muss, und das wird nicht billig. Aber die Vorstellung, freuen uns, wenn sich die Infrastruktur entwickelt, die hier sparen zu können, indem man den Zugang zu die- Verkehrswege, die Kommunikationswege. Im Osten gibt sem Fonds im Nachhinein stärker beschränkt und den es international anerkannte Hochschulen, Universitäten, Leistungskatalog verändert, ist einfach abenteuerlich. Forschungseinrichtungen. Es gibt wunderbare Beispiele beim Städtebau, beim Stadtumbau. Da haben wir aus der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Opposition und mit den Ländern dafür gesorgt, dass die der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Kürzungen, die Herr Ramsauer immer wollte, nicht ein- NISSES 90/DIE GRÜNEN) getreten sind. Damit hätten wir dann nicht nur unterschiedliche Leis- (Beifall bei der LINKEN) tungen in Ost und West, sondern auch innerhalb der Gruppe der ehemaligen ostdeutschen Heimkinder, und Darauf können wir, gemeinsam mit den Sozialdemokra- das geht nun wirklich überhaupt nicht. ten, auch ein bisschen stolz sein. Auf diese Leistungen können die Menschen stolz sein, besonders die Men- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen in den neuen Ländern. der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber zur Realität im Osten – im Übrigen auch im Westen – zählt im Jahre 2014 auch, dass in oft fabelhaft Da steht der Bund gemeinsam mit den ostdeutschen Län- sanierten Städten viele Läden leer stehen. Dazu zählt dern in der Pflicht, eine gute Lösung im Sinne der Be- troffenen zu finden. Ich bin durchaus zuversichtlich, was auch, dass wir überall weltberühmte Künstler engagie- die Beratungen in der kommenden Woche angeht. ren, aber dass es viele Eltern gibt, die den Kinobesuch (B) ihrer Kinder nicht bezahlen können. (D) Bei diesem und bei anderen Themen wird jedenfalls deutlich, dass es noch immer Folgen der Teilung gibt, Die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse ist eben die es zu überwinden gilt. Ich bin davon überzeugt, dass nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Wir alle wissen: Die uns das gelingen wird. Die deutsche Einheit ist eben Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern ist weiterhin na- nichts Statisches. Sie will und sie muss immer wieder hezu doppelt so hoch wie in den alten Ländern. Es wiegt neu gestaltet werden. Dazu will ich meinen Beitrag leis- besonders schwer, dass seit 1992 in den neuen Ländern ten. die Zahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze um 17,5 Prozent, nämlich um 1,2 Millionen, gesunken ist. Ich bin in den vergangenen Wochen immer wieder ge- Im gleichen Zeitraum ist in den alten Ländern die Zahl fragt worden, ob ich stolz darauf bin, aus Ostdeutschland dieser Beschäftigungsverhältnisse um 5 Prozent gestie- zu kommen. gen. Das ist ein wirklich schwerwiegendes Problem. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ja!) Bei den Löhnen und Gehältern hat sich der Unter- Wir Ostdeutsche haben einiges durchgemacht. Wir ste- schied zwischen Ost und West seit Mitte der 90er-Jahre hen zu unserer friedlichen Revolution und zur Verant- nicht wesentlich verändert. Das sage ich jetzt, da wir ja wortung für unsere Geschichte. Wir haben besondere Ta- gerade über die Diätenerhöhung diskutiert haben. lente und Ressourcen. Und: Wir können Veränderung. Die Vermögensungleichheit ist geblieben. Haushalte Deshalb ist der Osten in manchen Bereichen unterdessen im Osten verfügen im Schnitt nur über 42 Prozent des wirklich Avantgarde. Darauf kann man schon stolz sein; Vermögens von Haushalten im Westen. Das alles sind ich bin es jedenfalls. Ich bin stolz darauf, aus Ost- doch Riesenprobleme. deutschland zu kommen. Frau Gleicke, Sie verweisen auf die Wirtschaftskraft. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Jawohl, einverstanden! Dafür ist das Bruttoinlandspro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dukt pro Kopf der Bevölkerung ein ganz wichtiger Indi- der CDU/CSU und der LINKEN) kator. Wenn wir uns die Zeit von 2001 bis 2012 an- schauen, stellen wir fest: Alle drei Jahre gab es eine Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Angleichung um 1 Prozent. Wir sind jetzt bei 75,5 Pro- zent des Westniveaus. Wenn wir die Aufholjagd mit die- Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner sem „rasanten“ Tempo fortsetzen, dann haben wir 2085 erhält der Kollege Dietmar Bartsch das Wort. gleichwertige Verhältnisse – fast 100 Jahre nach Herstel- (Beifall bei der LINKEN) lung der deutschen Einheit! Sie haben nicht einen einzi- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1387

Dr. Dietmar Bartsch (A) gen Vorschlag gemacht, wie wir das wirklich ändern habe ich in den vergangenen vier Jahren zu dieser Frage (C) wollen. Nicht die Langsamkeit ist das Problem, sondern nicht einmal gehört. Ich wünsche mir, dass Sie in der dass es keinen einzigen Vorschlag gibt. Sie setzen im Bundesregierung laut und deutlich sagen, wenn irgendet- Kern auf ein Weiter-so. was in Bezug auf den Aufbau Ost nicht läuft. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU) Nun haben Sie etwas zur Rente gesagt. Das war schon einigermaßen verwunderlich. Natürlich ist das eine zen- Der erste Punkt wäre zum Beispiel, dass Sie bei den trale Frage für viele Menschen in den neuen Ländern. Regionalisierungsmitteln dafür sorgen, dass der Osten Ich will noch einmal daran erinnern: Die thüringische nicht weniger davon bekommt. Das ist eine ganz zen- Ministerpräsidentin, Frau Lieberknecht – noch stellt in trale Frage. Daran werden wir Sie messen. Wenn das we- Thüringen die CDU den Ministerpräsidenten –, niger wird, haben Sie Ihren Auftrag nicht erfüllt. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Zum Glück!) (Beifall bei der LINKEN) hat im Jahr 2012 gesagt, dass das Agieren der damaligen Es muss ganz klar sein, dass das funktioniert. Koalition auf Bundesebene offensichtlich einen Fall von Arbeitsverweigerung darstellt. Das haben auch Sie da- Dann noch eine Bemerkung zum Mindestlohn. Sie mals kritisiert. Aber auch an diesem Punkt nehmen Sie haben damals gesagt: Ohne Wenn und Aber und sofort. – überhaupt keine Veränderung vor. Schwarz-Rot stellt auf Na ja, das kann ich im Koalitionsvertrag wirklich nicht diesem Gebiet das Handeln wirklich ein. feststellen. Wo ist denn da der Mindestlohn ohne Wenn und Aber? Wann ist denn der Zeitpunkt? Bis es so weit (Daniela Kolbe [SPD]: Das stimmt ja gar ist, sind die geplanten 8,50 Euro doch viel weniger wert. nicht!) Vor allen Dingen müssen Sie dafür sorgen, dass für die kleinen und mittleren Unternehmen Übergänge geschaf- Sie prüfen nur. Sie kündigen nur an. Das ist skandalös, fen werden, sodass sie das zahlen können und nicht Ar- und das ist auch mit dem Verfassungsauftrag „Herstel- beitsplätze kaputtgehen. lung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ nicht vereinbar. (Beifall bei der LINKEN – Daniela Kolbe [SPD]: (Beifall bei der LINKEN) Das ist aber jetzt widersprüchlich!) Nun noch zu einem Thema, bei dem mich etwas be- Wir brauchen in dieser Legislatur dringend die Verab- sonders stört, zur Mütterrente. Wir alle wissen: Ostmüt- schiedung eines Solidarpakts III. Das kriegen wir in der ter bekommen für ein Kind, das vor 1992 geboren ist, nächsten Legislatur nicht hin; das muss jetzt geschehen. (B) 25,74 Euro. Bei Westmüttern sind die Kinder wertvoller; (D) Dabei muss es darum gehen, strukturschwache Regionen dafür gibt es nämlich 28,14 Euro. in Ost und in West zu fördern. Das ist notwendig. Wir (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ein Blöd- müssen die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern sinn! – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: So ein und Kommunen insgesamt neu regeln. Eine Föderalis- dummes Zeug!) muskommission III ist angesagt. Das ist extrem notwen- dig. Es wäre im Übrigen sinnvoll, liebe Kolleginnen und Wir sagen ganz klar und deutlich: Jedes Kind muss auf Kollegen aus Bayern und Hessen, wenn die Klagen zu- dem Rentenkonto gleich viel wert sein, rückgezogen würden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- egal ob es 1958 oder 2012, ob es in Schwerin oder in neten der SPD) München geboren ist. Hier muss wirklich etwas neu ver- Das ist nämlich destruktiv und verunsichert die Men- standen werden. Das kann so nicht weitergehen. schen in den neuen Ländern. Die deutsche Einheit muss neu verstanden und poli- Ganz klar und eindeutig: Die Rückstände des Ostens tisch auch anders gestaltet werden. Der Aufbau Ost als im Hinblick auf gleichwertige Lebensverhältnisse müs- Nachbau West ist letztlich gescheitert. Wir brauchen sen gezielt und vorrangig überwunden werden. Das darf eine gezielte Struktur- und Regionalpolitik und auch da nicht irgendein Punkt der Wirtschaftspolitik oder im nicht nur Ankündigungen, dass wir neue Wege erproben Wirtschaftsministerium sein. Es wäre auch sinnvoll, müssen, wie es bei Ihnen steht. Nein, da müssen die Er- wenn der Minister bei diesem Punkt einmal anwesend fahrungen des Ostens in ganz anderer Weise aufgegrif- wäre. fen werden. Wir werden Sie genau betrachten; ich habe das ange- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) kündigt. Ich hoffe, dass das, was Sie angekündigt haben, Sie haben, Frau Gleicke, heute und in den letzten Ta- mit ganzer Kraft umgesetzt wird. Dann werde ich mich gen viel angekündigt, vieles zum Thema Ost. Wir wer- auch nachhaltig dafür einsetzen, dass mein Kollege Gysi den Sie bei vielen Dingen auch unterstützen können. Ich von der halben Portion zur ganzen kommt. Das verspre- hoffe, dass Sie da einen langen Atem haben. Nutzen Sie che ich Ihnen. Ihre Chance! Sie haben eine. Sie sind neu im Amt. Sa- Herzlichen Dank. gen Sie vor allen Dingen laut und rechtzeitig, wenn et- was nicht klappt! Sie haben Ihren Vorgänger gelobt. Den (Beifall bei der LINKEN) 1388 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Zunächst das Ergebnis der Abstimmung über den Ent- (C) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem wurf eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetenge- nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen die setzes und eines Gesetzes zur Änderung des Europaab- von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittel- geordnetengesetzes. Abgegeben wurden 589 Stimmen. ten Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmun- Mit Ja haben gestimmt 464, mit Nein haben gestimmt gen zur Kenntnis geben. 115, und 10 Kolleginnen und Kollegen haben sich ent- halten.

Endgültiges Ergebnis Ingrid Fischbach Anette Hübinger Abgegebene Stimmen: 589; Dirk Fischer (Hamburg) Hubert Hüppe davon Axel E. Fischer (Karlsruhe- Thomas Mahlberg Land) Dr. Thomas de Maizière ja: 464 Dr. Sylvia Jörrißen nein: 115 Klaus-Peter Flosbach Dr. enthalten: 10 (Konstanz) Dr. (Altötting) Ja Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Egon Jüttner Reiner Meier (Hof) Bartholomäus Kalb Dr. CDU/CSU Hans-Werner Kammer Dr. Dr. Michael Fuchs Steffen Kampeter Hans-Joachim Fuchtel Steffen Kanitz Katrin Albsteiger Alexander Funk Dr. h. c. Ingo Gädechens Dr. Mathias Middelberg Dr. Bernhard Kaster Philipp Mißfelder Dorothee Bär Volker Kauder Thomas Bareiß Dr. Stefan Kaufmann Karsten Möring Julia Bartz Josef Göppel Dr. Günter Baumann Ursula Groden-Kranich Dr. Gerd Müller Hermann Gröhe Jürgen Klimke Carsten Müller (Börde) Klaus-Dieter Gröhler (Braunschweig) (B) Veronika Bellmann Michael Grosse-Brömer Stefan Müller (Erlangen) (D) Astrid Grotelüschen Dr. Dr. André Berghegger Markus Grübel Carsten Körber Dr. Dr. Christoph Bergner Hartmut Koschyk Ute Bertram Monika Grütters Helmut Nowak Dr. Dr. Georg Nüßlein Fritz Güntzler Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Florian Oßner Dr. Dr. Dr. Maria Böhmer Jürgen Hardt Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Klaus Brähmig Mark Hauptmann Andreas G. Lämmel Dr. Martin Pätzold Michael Brand Dr. Stefan Heck Dr. Dr. Dr. Dr. Sibylle Pfeiffer Ulrich Lange Dr. Barbara Lanzinger Dr. (Chemnitz) Dr. Mark Helfrich Jörg Hellmuth Dr. Alois Rainer Cajus Caesar Dr. Dr. Dr. Eckhardt Rehberg Alexandra Dinges-Dierig Philipp Graf Lerchenfeld (Potsdam) Dr. Lothar Riebsamen Dr. Thomas Dörflinger Dr. Marie-Luise Dött Robert Hochbaum Matthias Lietz Johannes Röring Hansjörg Durz Alexander Hoffmann Dr. Norbert Röttgen Jutta Eckenbach Dr. Carsten Linnemann Dr. Franz-Josef Holzenkamp Anita Schäfer (Saalstadt) Hermann Färber Dr. Wilfried Lorenz Margaret Horb Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Bettina Hornhues Dr. Jan-Marco Luczak Charles M. Huber Daniela Ludwig Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1389

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Heiko Schmelzle Rita Hagl-Kehl Stefan Rebmann (C) Christian Schmidt (Fürth) Peter Wichtel Gerold Reichenbach Gabriele Schmidt (Ühlingen) Annette Widmann-Mauz Ulrich Hampel Dr. Carola Reimann Heinz Wiese (Ehingen) Dr. Klaus-Peter Willsch Michael Hartmann Sönke Rix Nadine Schön (St. Wendel) Elisabeth Winkelmeier- (Wackernheim) Dr. Ole Schröder Becker Dirk Heidenblut Dr. Dr. Kristina Schröder (Peine) Dr. Ernst Dieter Rossmann (Wiesbaden) Dagmar G. Wöhrl Michael Roth (Heringen) Bernhard Schulte-Drüggelte Barbara Woltmann Bernd Rützel Dr. Klaus-Peter Schulze Dr. Barbara Hendricks Heinrich Zertik Heidtrud Henn Annette Sawade (Weil am Emmi Zeulner Dr. Hans-Joachim Rhein) Dr. Gabriele Hiller-Ohm Schabedoth Christina Schwarzer Gudrun Zollner () Axel Schäfer (Bochum) Dr. SPD Dr. Eva Högl Matthias Ilgen (Schwandorf) Dr. Patrick Sensburg Ingrid Arndt-Brauer Christina Jantz Bernd Siebert Frank Junge Dr. Dorothee Schlegel Heike Baehrens (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Heinz-Joachim Barchmann Johannes Kahrs (Erfurt) Dr. Christina Kampmann Carola Stauche (Spandau) Dr. Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Marina Kermer Dr. Sören Bartol Rita Schwarzelühr-Sutter Bärbel Bas Dr. Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Norbert Spinrath Christian Freiherr von Stetten (Heidelberg) Birgit Kömpel Rita Stockhofe Martina Stamm-Fibich (B) Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Hans-Ulrich Krüger Sonja Steffen (D) Edelgard Bulmahn Helga Kühn-Mengel Peer Steinbrück Max Straubinger Marco Bülow Christine Lambrecht Christoph Strässer Matthäus Strebl Christian Lange (Backnang) Dr. Steffen-Claudio Lemme Thomas Strobl (Heilbronn) Petra Crone Burkhard Lischka Lena Strothmann Gabriele Lösekrug-Möller Franz Thönnes Michael Stübgen Dr. Wolfgang Tiefensee Dr. Sabine Sütterlin-Waack Kirsten Lühmann Carsten Träger Dr. Martin Dörmann Rüdiger Veit Elvira Drobinski-Weiß Astrid Timmermann-Fechter Siegmund Ehrmann Dirk Vöpel Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Michaela Engelmeier-Heite Dr. Volker Ullrich Dr. h. c. Arnold Vaatz Petra Ernstberger Andrea Wicklein Bettina Müller Michelle Müntefering Karin Evers-Meyer Gülistan Yüksel Michael Vietz Dr. Rolf Mützenich Dr. (Kleinsaara) Elke Ferner Sven Volmering Dr. Ute Finckh-Krämer Dr. Jens Zimmermann Christel Voßbeck-Kayser Christian Flisek Thomas Oppermann Manfred Zöllmer Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr. Johann Wadephul Dr. Aydan Özoğuz Nein CDU/CSU Joachim Poß Iris Gleicke (Hamburg) Martin Patzelt Dr. Dr. Wilhelm Priesmeier Peter Weiß (Emmendingen) Gabriele Groneberg SPD Sabine Weiss (Wesel I) Michael Groß Dr. Uli Grötsch Dr. Simone Raatz Karl-Georg Wellmann Wolfgang Gunkel René Röspel Marian Wendt Bettina Hagedorn 1390 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) DIE LINKE Niema Movassat Manuel Sarrazin (C) Dr. Alexander S. Neu Katrin Göring-Eckardt Elisabeth Scharfenberg Dr. Dietmar Bartsch Britta Haßelmann Matthias W. Birkwald Dr. (Havelland) Dr. Dr. Bärbel Höhn Kordula Schulz-Asche Dr. Petra Sitte Eva Bulling-Schröter Dr. Wolfgang Strengmann- Roland Claus Kuhn Dr. Wolfgang Gehrcke Katja Keul Hans-Christian Ströbele Azize Tank Sven-Christian Kindler Dr. Harald Terpe Frank Tempel Diana Golze Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Dr. Halina Wawzyniak Dr. Sylvia Kotting-Uhl Doris Wagner Harald Weinberg Dr. André Hahn Dr. Valerie Wilms Heike Hänsel Stephan Kühn (Dresden) Birgit Wöllert Dr. Christian Kühn (Tübingen) Enthalten Inge Höger Renate Künast Markus Kurth Sabine Zimmermann CDU/CSU Sigrid Hupach (Zwickau) Susanna Karawanskij Dr. Ulrich Petzold BÜNDNIS 90/ Kerstin Kassner Peter Meiwald DIE GRÜNEN Jan Korte Luise Amtsberg Beate Müller-Gemmeke SPD Özcan Mutlu Dr. Dr. Konstantin von Notz Katrin Kunert Annalena Baerbock Dr. Volker Beck (Köln) (Minden) Cem Özdemir Ekin Deligöz DIE LINKE Katja Dörner Katharina Dröge Brigitte Pothmer Dr. Dr. Gesine Lötzsch Tabea Rößner Klaus Ernst Dr. Thomas Gambke (Augsburg) Richard Pitterle Cornelia Möhring Corinna Rüffer Jörn Wunderlich (B) (D)

Zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf ei- sind 593 Stimmen abgegeben worden. Mit Ja haben ge- nes Strafrechtsänderungsgesetzes – Erweiterung des stimmt 583, mit Nein haben gestimmt 3, und 7 Kollegin- Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung. Hier nen und Kollegen haben sich enthalten.

Endgültiges Ergebnis Veronika Bellmann Alexander Dobrindt Hans-Joachim Fuchtel Abgegebene Stimmen: 592; Sybille Benning Michael Donth Alexander Funk davon Dr. Andre Berghegger Thomas Dörflinger Ingo Gädechens Dr. Christoph Bergner Marie-Luise Dött Dr. Thomas Gebhart ja: 582 Ute Bertram Hansjörg Durz Alois Gerig nein: 3 Peter Beyer Jutta Eckenbach Eberhard Gienger enthalten: 7 Steffen Bilger Dr. Bernd Fabritius Cemile Giousouf Clemens Binninger Hermann Färber Josef Göppel Ja Peter Bleser Uwe Feiler Ursula Groden-Kranich Dr. Maria Böhmer Dr. Thomas Feist Hermann Gröhe CDU/CSU Wolfgang Bosbach Enak Ferlemann Klaus-Dieter Gröhler Norbert Brackmann Ingrid Fischbach Michael Grosse-Brömer Stephan Albani Klaus Brähmig Dirk Fischer (Hamburg) Astrid Grotelüschen Katrin Albsteiger Michael Brand Axel E. Fischer (Karlsruhe- Markus Grübel Peter Altmaier Dr. Reinhard Brandl Land) Manfred Grund Artur Auernhammer Helmut Brandt Dr. Maria Flachsbarth Monika Grütters Dorothee Bär Dr. Ralf Brauksiepe Klaus-Peter Flosbach Dr. Herlind Gundelach Thomas Bareiß Dr. Helge Braun Thorsten Frei Fritz Güntzler Norbert Barthle Heike Brehmer Dr. Astrid Freudenstein Christian Haase Julia Bartz Ralph Brinkhaus Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Stephan Harbarth Günter Baumann Cajus Caesar (Hof) Jürgen Hardt Maik Beermann Gitta Connemann Michael Frieser Gerda Hasselfeldt Manfred Behrens (Börde) Alexandra Dinges-Dierig Dr. Michael Fuchs Matthias Hauer Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1391

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Mark Hauptmann Dr. Andreas Lenz Heiko Schmelzle Annette Widmann-Mauz (C) Dr. Stefan Heck Dr. Ursula von der Leyen Christian Schmidt (Fürth) Heinz Wiese (Ehingen) Dr. Matthias Heider Antje Lezius Gabriele Schmidt (Ühlingen) Klaus-Peter Willsch Helmut Heiderich Ingbert Liebing Patrick Schnieder Elisabeth Winkelmeier- Mechthild Heil Matthias Lietz Dr. Andreas Schockenhoff Becker Frank Heinrich (Chemnitz) Andrea Lindholz Nadine Schön (St. Wendel) Oliver Wittke Mark Helfrich Dr. Carsten Linnemann Dr. Ole Schröder Dagmar G. Wöhrl Jörg Hellmuth Patricia Lips Dr. Kristina Schröder Barbara Woltmann Rudolf Henke Wilfried Lorenz (Wiesbaden) Tobias Zech Michael Hennrich Dr. Claudia Lücking-Michel Bernhard Schulte-Drüggelte Heinrich Zertik Ansgar Heveling Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Klaus-Peter Schulze Emmi Zeulner Peter Hintze Daniela Ludwig Uwe Schummer Dr. Matthias Zimmer Christian Hirte Karin Maag Armin Schuster (Weil am Gudrun Zollner Dr. Heribert Hirte Yvonne Magwas Rhein) Robert Hochbaum Thomas Mahlberg Christina Schwarzer SPD Alexander Hoffmann Dr. Thomas de Maizière Detlef Seif Niels Annen Karl Holmeier Gisela Manderla Johannes Selle Ingrid Arndt-Brauer Franz-Josef Holzenkamp Matern von Marschall Reinhold Sendker Rainer Arnold Dr. Hendrik Hoppenstedt Hans-Georg von der Marwitz Dr. Patrick Sensburg Heike Baehrens Margaret Horb Andreas Mattfeldt Bernd Siebert Ulrike Bahr Bettina Hornhues Stephan Mayer (Altötting) Thomas Silberhorn Heinz-Joachim Barchmann Charles M. Huber Reiner Meier Johannes Singhammer Dr. Katarina Barley Anette Hübinger Dr. Michael Meister Tino Sorge Doris Barnett Hubert Hüppe Dr. Angela Merkel Jens Spahn Dr. Hans-Peter Bartels Erich Irlstorfer Jan Metzler Carola Stauche Klaus Barthel Thomas Jarzombek Maria Michalk Dr. Frank Steffel Dr. Matthias Bartke Sylvia Jörrißen Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Wolfgang Stefinger Sören Bartol Dr. Franz Josef Jung Philipp Mißfelder Albert Stegemann Bärbel Bas Xaver Jung Dietrich Monstadt Peter Stein Dirk Becker Andreas Jung (Konstanz) Karsten Möring Erika Steinbach Uwe Beckmeyer Dr. Egon Jüttner Marlene Mortler Sebastian Steineke Lothar Binding (Heidelberg) Bartholomäus Kalb Elisabeth Motschmann Johannes Steiniger Burkhard Blienert Hans-Werner Kammer Dr. Gerd Müller Christian Freiherr von Stetten Dr. Karl-Heinz Brunner Steffen Kampeter Carsten Müller Rita Stockhofe Marco Bülow (B) Steffen Kanitz (Braunschweig) Gero Storjohann Edelgard Bulmahn (D) Alois Karl Stefan Müller (Erlangen) Stephan Stracke Martin Burkert Anja Karliczek Dr. Philipp Murmann Max Straubinger Dr. Lars Castellucci Bernhard Kaster Dr. Andreas Nick Matthäus Strebl Petra Crone Volker Kauder Michaela Noll Karin Strenz Bernhard Daldrup Dr. Stefan Kaufmann Helmut Nowak Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Daniela De Ridder Roderich Kiesewetter Dr. Georg Nüßlein Lena Strothmann Dr. Karamba Diaby Dr. Georg Kippels Wilfried Oellers Michael Stübgen Sabine Dittmar Volkm ar K le in Florian Oßner Dr. Sabine Sütterlin-Waack Martin Dörmann Jürgen Klimke Dr. Tim Ostermann Dr. Peter Tauber Elvira Drobinski-Weiß Axel Knoerig Henning Otte Antje Tillmann Siegmund Ehrmann Jens Koeppen Ingrid Pahlmann Astrid Timmermann-Fechter Michaela Engelmeier-Heite Markus Koob Sylvia Pantel Dr. Hans-Peter Uhl Dr. h.c. Gernot Erler Carsten Körber Martin Patzelt Dr. Volker Ullrich Petra Ernstberger Hartmut Koschyk Dr. Martin Pätzold Arnold Vaatz Saskia Esken Kordula Kovac Sibylle Pfeiffer Oswin Veith Karin Evers-Meyer Michael Kretschmer Eckhard Pols Thomas Viesehon Dr. Johannes Fechner Gunther Krichbaum Thomas Rachel Michael Vietz Dr. Fritz Felgentreu Dr. Günter Krings Kerstin Radomski Volkmar Vogel (Kleinsaara) Elke Ferner Rüdiger Kruse Alexander Radwan Sven Volmering Dr. Ute Finckh-Krämer Bettina Kudla Alois Rainer Christel Voßbeck-Kayser Christian Flisek Dr. Roy Kühne Eckhardt Rehberg Kees de Vries Gabriele Fograscher Günter Lach Katherina Reiche (Potsdam) Dr. Johann Wadephul Dr. Edgar Franke Uwe Lagosky Lothar Riebsamen Marco Wanderwitz Dagmar Freitag Dr. Karl A. Lamers Josef Rief Nina Warken Michael Gerdes Andreas G. Lämmel Dr. Heinz Riesenhuber Kai Wegner Martin Gerster Dr. Norbert Lammert Johannes Röring Albert Weiler Iris Gleicke Katharina Landgraf Erwin Rüddel Marcus Weinberg (Hamburg) Ulrike Gottschalck Ulrich Lange Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Anja Weisgerber Kerstin Griese Barbara Lanzinger Andreas Scheuer Peter Weiß (Emmendingen) Gabriele Groneberg Dr. Silke Launert Karl Schiewerling Sabine Weiss (Wesel I) Michael Groß Paul Lehrieder Jana Schimke Marian Wendt Uli Grötsch Dr. Katja Leikert Norbert Schindler Kai Whittaker Wolfgang Gunkel Dr. Philipp Lengsfeld Tankred Schipanski Peter Wichtel Bettina Hagedorn 1392 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Rita Hagl-Kehl Dr. Sascha Raabe Christine Buchholz Kai Gehring (C) Metin Hakverdi Dr. Simone Raatz Eva Bulling-Schröter Katrin Göring-Eckardt Ulrich Hampel Martin Rabanus Roland Claus Anja Hajduk Sebastian Hartmann Mechthild Rawert Dr. Diether Dehm Britta Haßelmann Michael Hartmann Stefan Rebmann Klaus Ernst Dr. Anton Hofreiter (Wackernheim) Gerold Reichenbach Wolfgang Gehrcke Bärbel Höhn Dirk Heidenblut Dr. Carola Reimann Nicole Gohlke Uwe Kekeritz Hubertus Heil (Peine) Andreas Rimkus Diana Golze Katja Keul Gabriela Heinrich Sönke Rix Annette Groth Sven-Christian Kindler Wolfgang Hellmich Dennis Rohde Dr. Gregor Gysi Maria Klein-Schmeink Dr. Barbara Hendricks Dr. Martin Rosemann Dr. Andre Hahn Tom Koenigs Heidtrud Henn René Röspel Heike Hänsel Sylvia Kotting-Uhl Gustav Herzog Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Rosemarie Hein Oliver Krischer Gabriele Hiller-Ohm Michael Roth (Heringen) Inge Höger Stephan Kühn (Dresden) Petra Hinz (Essen) Bernd Rützel Andrej Hunko Christian Kühn (Tübingen) Thomas Hitschler Johann Saathoff Sigrid Hupach Renate Künast Dr. Eva Högl Annette Sawade Ulla Jelpke Markus Kurth Matthias Ilgen Dr. Hans-Joachim Susanna Karawanskij Monika Lazar Christina Jantz Schabedoth Kerstin Kassner Steffi Lemke Frank Junge Axel Schäfer (Bochum) Katja Kipping Dr. Tobias Lindner Josip Juratovic Dr. Nina Scheer Jan Korte Peter Meiwald Marianne Schieder Jutta Krellmann Irene Mihalic Oliver Kaczmarek (Schwandorf) Katrin Kunert Beate Müller-Gemmeke Johannes Kahrs Udo Schiefner Caren Lay Özcan Mutlu Christina Kampmann Dr. Dorothee Schlegel Sabine Leidig Dr. Konstantin von Notz Ralf Kapschack Ulla Schmidt (Aachen) Ralph Lenkert Omid Nouripour Gabriele Katzmarek Matthias Schmidt (Berlin) Michael Leutert Friedrich Ostendorff Ulrich Kelber Carsten Schneider (Erfurt) Stefan Liebich Cem Özdemir Marina Kermer Ursula Schulte Dr. Gesine Lötzsch Lisa Paus Cansel Kiziltepe Swen Schulz (Spandau) Thomas Lutze Brigitte Pothmer Arno Klare Ewald Schurer Cornelia Möhring Tabea Rößner Lars Klingbeil Frank Schwabe Niema Movassat Claudia Roth (Augsburg) Dr. Bärbel Kofler Stefan Schwartze Dr. Alexander S. Neu Corinna Rüffer Daniela Kolbe Andreas Schwarz Thomas Nord Manuel Sarrazin Rita Schwarzelühr-Sutter Petra Pau Elisabeth Scharfenberg (B) Birgit Kömpel (D) Anette Kramme Dr. Carsten Sieling Harald Petzold (Havelland) Ulle Schauws Dr. Hans-Ulrich Krüger Rainer Spiering Richard Pitterle Dr. Gerhard Schick Helga Kühn-Mengel Norbert Spinrath Martina Renner Dr. Frithjof Schmidt Christine Lambrecht Svenja Stadler Dr. Petra Sitte Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann- Christian Lange (Backnang) Martina Stamm-Fibich Kersten Steinke Kuhn Steffen-Claudio Lemme Sonja Steffen Dr. Kirsten Tackmann Hans-Christian Ströbele Burkhard Lischka Peer Steinbrück Azize Tank Dr. Harald Terpe Gabriele Lösekrug-Möller Christoph Strässer Frank Tempel Markus Tressel Hiltrud Lotze Kerstin Tack Kathrin Vogler Dr. Julia Verlinden Kirsten Lühmann Claudia Tausend Halina Wawzyniak Doris Wagner Caren Marks Michael Thews Harald Weinberg Dr. Valerie Wilms Katja Mast Franz Thönnes Katrin Werner Hilde Mattheis Wolfgang Tiefensee Birgit Wöllert Dr. Matthias Miersch Carsten Träger Jörn Wunderlich Nein Klaus Mindrup Rüdiger Veit Hubertus Zdebel Susanne Mittag Ute Vogt Pia Zimmermann CDU/CSU Dirk Vöpel Sabine Zimmermann Bettina Müller Dr. Joachim Pfeiffer Michelle Müntefering Gabi Weber (Zwickau) Bernd Westphal Dr. Norbert Röttgen Dr. Rolf Mützenich Karl-Georg Wellmann Dietmar Nietan Andrea Wicklein BÜNDNIS 90/ Ulli Nissen Dirk Wiese DIE GRÜNEN Gülistan Yüksel Thomas Oppermann Luise Amtsberg Enthalten Dagmar Ziegler Mahmut Özdemir (Duisburg) Kerstin Andreae Stefan Zierke CDU/CSU Aydan Özoguz Annalena Baerbock Dr. Jens Zimmermann Markus Paschke Volker Beck (Köln) Reinhard Grindel Manfred Zöllmer Christian Petry Agnieszka Brugger Philipp Graf Lerchenfeld Sabine Poschmann Ekin Deligöz Dr. Mathias Middelberg DIE LINKE Joachim Poß Katja Dörner Ulrich Petzold Florian Post Dr. Dietmar Bartsch Katharina Dröge Dr. Peter Ramsauer Achim Post (Minden) Karin Binder Harald Ebner Dieter Stier Dr. Wilhelm Priesmeier Matthias W. Birkwald Dr. Thomas Gambke Ingo Wellenreuther Florian Pronold Heidrun Bluhm Matthias Gastel Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1393

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Jetzt fahren wir fort in unserer Debatte. Das Wort er- sächlich können wir heute, wenn wir offenen Auges (C) hält der Kollege Mark Hauptmann. durch die neuen Länder fahren, ein Aufblühen Ost- deutschlands sehen. Die in den letzten Jahrzehnten er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- griffenen politischen Maßnahmen haben dazu geführt, neten der SPD) dass die neuen Länder heute auf einem guten Weg sind, so wie das auch in dem Bericht der Bundesregierung Mark Hauptmann (CDU/CSU): steht. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Ich möchte dafür einige Beispiele nennen; in den Damen und Herren! 2014 ist für mich als Thüringer Mit- neuen Ländern gibt es sie in genügender Zahl. Gestehen glied dieses Deutschen Bundestages ein ganz besonderes Sie mir als Thüringer zu, dass ich ein paar Beispiele aus Jahr. Wir feiern im November dieses Jahres 25 Jahre Fall meiner Heimat bringe. der Berliner Mauer. Dass meine ostdeutschen Kollegen und ich heute hier an diesem Pult frei sprechen dürfen, Ich komme zu meinem ersten Beispiel: Wir haben dass wir diese Gelegenheit haben, alleine das ist schon heute die niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wieder- ein herausragendes Ergebnis der deutschen Einheit, für vereinigung. Wir im Freistaat Thüringen hatten 2008 die viele Menschen hart, lange und mutig gekämpft ha- noch eine Arbeitslosenquote von 11,4 Prozent. Im Jahr ben. 2013 betrug sie nur noch 8,2 Prozent. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE neten der SPD) GRÜNEN) Das Erreichen von Vollbeschäftigung in absehbarer Zeit Vieles ist in den vergangenen 25 Jahren politisch um- ist kein leeres Versprechen mehr, sondern kann schon gesetzt worden. So hat besonders der Umgang mit der bald Wirklichkeit werden. Das ist ein Erfolg, auf den wir politischen Vergangenheit der DDR eine wichtige Rolle stolz stein können. gespielt. Nach wie vor ist das Interesse der Bürger an Das zweite Beispiel ist der Aufbau der deutschen In- dem SED-Regime groß. Alleine im Jahre 2013 wurden frastruktur. Denken Sie nur an die Verkehrsprojekte noch exakt 64 246 Anträge auf Akteneinsicht bei der Deutsche Einheit! Stasi-Unterlagen-Behörde gestellt. Dennoch geht der Trend gerade bei den jüngeren Menschen zu einer Ver- Das dritte Beispiel ist die Entwicklung der Haushalts- harmlosung der DDR-Diktatur. Im Fernsehen läuft bei- konsolidierung in den neuen Ländern. Wir haben 2013 spielsweise eine TV-Show mit dem Titel Nicht alles war und 2014 im Freistaat Thüringen nicht nur keine neuen Schulden gemacht, sondern auch insgesamt 130 Millio- (B) schlecht. Dabei entsteht aus meiner Sicht der Eindruck, (D) dass die DDR ein normaler Staat gewesen ist. Das ist nen Euro alte Schulden getilgt. mitnichten der Fall. Ein Beleg dafür ist: Am 5. Februar (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das dieses Jahres haben wir des letzten Maueropfers, des zweitschlechteste Land!) 20-jährigen Chris Gueffroy, gedacht, der vor 25 Jahren bei einem Fluchtversuch das letzte Opfer des Schießbe- Thüringen hat nach dem Freistaat Bayern die zweit- fehls in einem nichtdemokratischen, totalitären Un- höchste Pro-Kopf-Tilgungsrate der Bundesrepublik rechtsstaat war. Sein Tod mahnt uns alle zu einer konti- Deutschland. Das kann auch Vorbild für alte Bundeslän- nuierlichen Aufarbeitung dieses SED-Regimes. der wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg oder für uns hier im Bund sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- GRÜNEN) neten der SPD) Sehr geehrter Herr Kollege Bartsch, Sie sprachen da- Doch auch bereits blühende Landschaften müssen ge- von, dass Sie stolz sind, Ostdeutscher zu sein. Das bin pflegt werden. Vor allem mittelständische Unternehmen ich auch; das sind wahrscheinlich viele von uns. Aber als Fundament des wirtschaftlichen Aufschwungs in ich weiß, worauf Sie und Ihre Fraktion mitnichten stolz Ostdeutschland dürfen nicht alleine gelassen werden. sein können: Das ist die Aufarbeitung Ihrer eigenen Ge- Besonders zukunftsrelevant sind daher drei Sachgebiete, schichte. auf die ich nun näher eingehen will: erstens die Energie- kosten bzw. die Belastung der ostdeutschen Unterneh- (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das men, zweitens die Entwicklung der Wirtschaft in Ost- müssen Sie nachlesen!) deutschland und drittens der demografische Trend, mit Auch das gehört zu 25 Jahren deutsche Einheit. dem wir es zu tun haben: Schrumpfung und Alterung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich komme zu meinem ersten Punkt: den Energie- neten der SPD) kosten. In den neuen Bundesländern sind wir Vorreiter in der Energiewende geworden. Darauf können wir zu Neben der Aufarbeitung waren die vergangenen 25 Jah- Recht stolz sein. Der Anteil der erneuerbaren Energien re aber auch durch ökonomische Herausforderungen ge- an der Bruttostromerzeugung betrug im Jahr 2012 be- prägt. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl hat reits 29 Prozent, während er im Westteil des Landes einmal gesagt, dass im Rahmen der deutschen Einheit 20 Prozent betrug. Die neuen Bundesländer produzieren blühende Landschaften entwickelt werden sollen. Tat- insgesamt mehr Strom, als vor Ort nachgefragt wird. Der 1394 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Mark Hauptmann (A) überschüssige Strom fließt in alle Teile Deutschlands. den demografischen Wandel, ist real und bedrohlich. (C) Das heißt: Der Osten ist heute schon Stromexporteur. Zwar konnte die Abwanderung aus Ostdeutschland in Das heißt aber auch, dass die ostdeutschen Unternehmen den letzten Jahren nahezu gestoppt werden, aber vor dringend auf einen verlässlichen, deutschlandweiten dem Hintergrund des demografischen Trends von Netzausbau im Rahmen der Energiewende angewiesen Schrumpfung und Alterung müssen wir in den nächsten sind. Jahren gravierende Folgen für die mittelständischen Un- ternehmen abwenden. In den neuen Bundesländern wird (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das muss man die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bis zum Jahr mal erzählen!) 2030 wahrscheinlich noch einmal um 27 Prozent sinken. Da die Kosten für die Modernisierung der Energie- Diese demografische Entwicklung wird durch Abwande- netze und für den Neubau der Stromtrassen aber über die rung aus den ländlichen Regionen in die Städte weiter Netzentgelte bezahlt werden, sind die Stromkosten im beschleunigt. Der bereits bestehende Fachkräftemangel Osten heute höher als in vielen Gebieten der alten Bun- wird sich dadurch besonders in ländlichen Regionen mit desländer. Ostdeutschland darf nicht zum Transitlasten- kleinen Betrieben und einer geringen Siedlungsdichte auswirken. zahler für die anderen Bundesländer werden. Wir müss- ten aufpassen, dass der Ausbau der erneuerbaren Meine Damen und Herren, das sind allerdings Pro- Energien nicht überdurchschnittliche Belastungen für gnosen und keine Fakten. Wir, die fleißigen Arbeitneh- unsere Regionen zwischen der Insel Rügen und der Thü- merinnen und Arbeitnehmer und die Unternehmen kön- ringer Rhön, zwischen Görlitz und Eisenach bringt. nen das positiv beeinflussen. Deshalb müssen wir auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- in Zukunft für regionales Wachstum und die Schaffung dauerhaft wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze vor allem in neten der SPD) den ländlichen Regionen Sorge tragen. Wir müssen uns Die bisherigen Vorschläge zur EEG-Novelle gehen in flexibel auf die demografischen Entwicklungen einstel- die richtige Richtung, müssen aber weitergedacht wer- len und insbesondere älteren Menschen Zugang zu kul- den. Gerade in meiner Heimat Thüringen ist ein Großteil turellen, medizinischen und sozialen Infrastrukturen er- der Unternehmen im produzierenden und verarbeitenden möglichen. Aber der ländliche Raum muss auch für die Gewerbe tätig. Steigende Energiekosten sind daher jüngere Generation attraktiv bleiben. Gezielte Anreize, gerade aufgrund der räumlichen Nähe zu anderen ost- wie der im Koalitionsvertrag festgeschriebene Sanie- europäischen Ländern eine ernsthafte Gefahr für diese rungsbonus für die vom demografischen Wandel beson- Wirtschaftsstandorte und somit auch für Tausende Ar- ders betroffenen Gebiete, müssen realisiert werden. beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wachstumsdynamik, Innovationskraft und Internationa- lisierung der ostdeutschen Wirtschaft müssen weiter ge- (B) Ich komme zu meinem zweiten Punkt: zur Wirtschaft stärkt werden. Wir müssen diese Punkte im Rahmen des (D) und zum Arbeitsmarkt. Dass in Deutschland Wirtschaft Solidarpakts II und der Gemeinschaftsaufgabe „Verbes- und Arbeitsmarkt in guter Verfassung sind, ist unbestrit- serung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ weiter ange- ten. Das gilt auch für die neuen Länder, in denen es in hen. der Vergangenheit ein Wirtschaftswachstum gegeben hat, das gerade auch neue Beschäftigungsverhältnisse Ich möchte zum Schluss auf das Bild vom Anfang geschaffen hat. Beim Rückgang der Arbeitslosigkeit hat meiner Rede zurückkommen. Wir haben viel erreicht in der Osten die alten Bundesländer sogar überholt. Das In- den letzten zwei Jahrzehnten. Ostdeutschland hat sich stitut der deutschen Wirtschaft hat erst Anfang dieses bei Vergangenheitsbewältigung und wirtschaftlicher Monats in einer Studie festgestellt, dass gerade struktur- Entwicklung mit großen Schritten in die richtige Rich- schwache Regionen in den neuen Ländern positive Ent- tung bewegt. Um dieses Bild vom Anfang aufzugreifen: wicklungen aufweisen können. Als Beispiele nenne ich Ja, die Landschaften, sie blühen. Um dies allerdings nachhaltig zu bewahren, müssen wir die Gestaltung des den Kyffhäuserkreis und den Landkreis Sömmerda in demografischen Wandels und seiner Auswirkungen und Thüringen, die trotz der Finanzkrise in den Jahren 2008 die weitere wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands bis 2013 die Arbeitslosigkeit um 5,5 Prozent bzw. um als zentrale Aufgabe in den Fokus rücken und hierbei be- 5,1 Prozent reduzieren konnten. sonders darauf achten, dass die mittelständischen Unter- Die Arbeitslosenquote in den neuen Ländern ist seit nehmen als Rückgrat dieser Entwicklung nicht über Ge- 2005 von 18,7 auf 10,7 Prozent gesunken. Auch die Zahl bühr belastet werden. Lassen Sie uns also gemeinsam der Langzeitarbeitslosen geht Gott sei Dank zurück. nach Maßnahmen suchen, mit denen wir unsere blühen- Trotzdem ist die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland den Landschaften weiter ausgestalten und pflegen kön- mit 10,7 Prozent immer noch fast doppelt so hoch wie in nen. den alten Bundesländern. Es gibt auch bei uns in den Ich danke für die Aufmerksamkeit. neuen Ländern Unterschiede zwischen strukturstarken und strukturschwachen Regionen, die in dieser Frage (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) deutlich werden. Das bringt mich zu meinem dritten Punkt: der Demo- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: grafie. Der Jahresbericht der Bundesregierung macht Ganz herzlichen Dank. – Das war die erste Rede des deutlich, dass bei rund einem Drittel der Betriebe freie Kollegen. Gratulation! Stellen für Fachkräfte nicht besetzt werden können. Das Problem des Facharbeitermangels, gerade mit Blick auf (Beifall) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1395

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Als nächster Redner hat der Kollege Stephan Kühn die neuen Bundesländer zu finden sind. Gefunden habe (C) das Wort. ich aber nur Prosa wie: „Wir wollen eine stabile und gute wirtschaftliche sowie soziale Entwicklung Ostdeutsch- Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lands erreichen.“ Wer wollte das nicht! Aber wo sind, NEN): bitte schön, die konkreten Maßnahmen, um dahin zu Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kol- kommen? legin Staatssekretärin! Meine Damen und Herren! Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) freue mich, dass wir heute an einer etwas prominenteren Stelle über den Bericht zum Stand der deutschen Einheit Wir Grünen sind überzeugt, dass die weiteren Ent- sprechen. Das war in der Vergangenheit nicht immer so. wicklungschancen der neuen Bundesländer davon ab- Dennoch muss man konstatieren: Die ganz große Bedeu- hängen, wie stark Innovation, Forschung, Erfindergeist, tung scheint die Koalition dem Thema nicht beizumes- mutiges Unternehmertum, aber auch der Einsatz für ge- sen. Zweimal wurde die Debatte über den Bericht zum lebte Demokratie und für eine aktive Bürgergesellschaft Stand der deutschen Einheit verschoben, sie war nur unterstützt werden. In den neuen Bundesländern, so Platzhalter. Ihnen war es in der letzten Woche wichtiger, kann man im Bericht zu Recht nachlesen, ist „eine wis- statt über die Löhne im Osten zu sprechen, die immer sensbasierte Industrieregion“ entstanden. Das ist zwei- noch deutlich unter Westniveau liegen, über die Abge- fellos ein Erfolg. Der Anteil von FuE am Bruttoinlands- ordnetendiäten zu diskutieren. produkt ist in Ostdeutschland höher als im Westen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist sehr bil- Wir haben in Ostdeutschland eine höhere Drittmittel- lig, Herr Kollege! – Eckhardt Rehberg [CDU/ einwerbung bei den Professuren an Fachhochschulen zu CSU]: Das ist unterirdisch!) verzeichnen. Es sind gerade die Fachhochschulen, die man – oft außerhalb von Wachstumskernen angesiedelt – Eine sehr schwache Prioritätensetzung, wie ich finde. als schlafende Innovationsriesen bezeichnen kann. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) müssen ermöglichen, dass sich die Fachhochschulen als Motoren der regionalen Wirtschaft besser entfalten. Der vorliegende Bericht zum Stand der deutschen Einheit beschreibt wieder nur den Status quo, liefert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keine neuen Erkenntnisse und setzt keine neuen Impulse. sowie bei Abgeordneten der SPD) Dabei haben wir auch im 25. Jahr der friedlichen Revo- Es muss gelingen, die gut ausgebildeten Fachkräfte lution unverändert besondere Herausforderungen in Ost- durch Unternehmensausgründungen und -ansiedlungen deutschland. Ein Routinebericht ist deshalb zu wenig. (B) im Umkreis von Universitäten, Fachhochschulen und (D) Die Geschichte Ostdeutschlands seit der Wiederverei- Forschungseinrichtungen in der Region zu halten und nigung ist in vielerlei Hinsicht eine Erfolgsgeschichte: den Braindrain zu stoppen. Unbestreitbar sind der Freiheitsgewinn und ein gelunge- Dies wird aber nicht gelingen, meine Damen und Her- ner politischer und rechtsstaatlicher Systemwechsel. Die ren, wenn, wie jetzt in Sachsen, damit begonnen wird, Umweltbedingungen haben sich verbessert, und die Inf- angesichts zurückgehender Studierendenzahlen Hoch- rastruktur wurde modernisiert. schulstrukturen abzubauen. Die KMU sind auf Fach- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kräfte und öffentliche FuE-Investitionen angewiesen. Wir brauchen deshalb aus meiner Sicht eine Lockerung Dennoch ist es nicht gelungen, einen selbsttragenden des Kooperationsverbots bei der Hochschulfinanzierung. wirtschaftlich dynamischen Entwicklungspfad zu eta- Sonst droht in den nächsten Jahren eine Abwärtsspirale. blieren. Man muss einfach sagen: Die wirtschaftliche Angleichung stagniert seit Mitte der 90er-Jahre. Da halte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich es, Herr Kollege Hauptmann, schon ein bisschen für sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Schönfärberei, zu sagen: Wir haben hier nur blühende der SPD – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Landschaften. Da darf die SPD nicht mitklatschen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ein wesentliches Hemmnis bei der Entwicklung einer Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das habe ich wissensbasierten Industriestruktur ist eine mangelnde gar nicht gesagt!) Breitbandversorgung. Die ostdeutschen Flächenländer sind im Vergleich zu den westdeutschen Flächenländern Denn die Arbeitslosenquote ist immer noch doppelt so hinsichtlich der Erschließung mit Hochgeschwindig- hoch wie im Westen, und das Steueraufkommen der ost- keitsanschlüssen deutlich unterversorgt. Die Versorgung deutschen Länder liegt gerade mal bei 50 Prozent des mit Breitbandanschlüssen mit einer Geschwindigkeit Niveaus der finanzschwachen Flächenländer im Westen. von 50 Megabit pro Sekunde und mehr liegt gerade ein- (Zuruf von der CDU/CSU: Alles schlechtre- mal bei 30 Prozent, in Sachsen-Anhalt sogar bei nur den!) 10 Prozent. Die ursprünglich vorgesehene 1 Milliarde Euro für den Ausbau der Breitbandversorgung ist aus Wenn schon der Bericht der alten Regierung – das dem Koalitionsvertrag gestrichen worden. muss man an der Stelle fairerweise sagen – keine Im- pulse gesetzt hat, hatte ich die Hoffnung, dass im Koali- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, das bedau- tionsvertrag der neuen Regierung wenigstens Ideen für ere ich auch!) 1396 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Stephan Kühn (Dresden) (A) Was bleibt, ist die bloße Ankündigung; eine Finanzie- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) rung des Breitbandausbaus fehlt völlig. Sie wollen, dass Danke schön, Herr Kollege. – Guten Morgen von 2016 Anschlüsse mit 50 Megabit pro Sekunde flächen- meiner Seite an Sie alle. deckend verfügbar sind. Dann verraten Sie uns doch mal bitte, wie das ohne Konzept und vor allen Dingen ohne Nächste Rednerin ist Andrea Wicklein für die SPD. Geld bewerkstelligt werden soll! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das zaubert der Dobrindt schon! – Heiterkeit bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andrea Wicklein (SPD): Gegenruf der Abg. Monika Lazar [BÜND- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt ins Pro- Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den tokoll!) Besucherrängen! Vor 25 Jahren ist die Mauer gefallen. Angesichts der dramatischen Bilder aus der Ukraine bin – Ich frage auch gerne wieder Herrn Dobrindt. Ich bin ich heute noch froh und dankbar dafür, dass die Revolu- gespannt, ob es dieses Mal Antworten gibt. tion in Ostdeutschland friedlich und ohne Blutvergießen verlief. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall im ganzen Hause) In Bezug auf den demografischen Wandel heißt es, Was seitdem in zweieinhalb Jahrzehnten in den neuen Ostdeutschland sei ein Labor für wirtschaftliche und ge- Bundesländern aufgebaut wurde, das war und ist eine sellschaftliche Transformationsprozesse oder – es ist große Gemeinschaftsleistung. Es ist dem Mut, dem Fleiß schon gesagt worden – nehme eine Vorreiterrolle bei der und der Solidarität vieler Menschen in Ost und West zu Entwicklung neuer Lösungen ein. Dazu ist zweierlei zu verdanken, dass Mauern, auch die in den Köpfen, über- sagen: wunden werden. Ich persönlich kann mich noch sehr gut an die ersten Erstens. Dafür brauchen wir neue Formen der Zusam- Jahre nach dem Mauerfall erinnern. Freude über die ge- menarbeit und Vernetzung zwischen Politik, Bürgerin- wonnene Freiheit und Unsicherheit in Anbetracht der nen und Bürgern, Verwaltung und Unternehmen. Das ungewissen Zukunft lagen dicht beieinander. Die tief- heißt, wir müssen lokales Engagement befördern und greifenden Veränderungen in allen Bereichen des Lebens nicht behindern. Die Bürgerinnen- und Bürgerdemokra- waren für uns Ostdeutsche eine große Herausforderung. tie, die wir 1989 erkämpft haben, ist leider an vielen Laut einer Untersuchung des Wissenschaftszentrums (D) (B) Stellen nur noch rudimentär entwickelt. Das muss sich Berlin für Sozialforschung gingen allein zwischen 1989 dringend ändern. und 1992 ein Drittel aller Arbeitsplätze verloren. Heute, Zweitens. Die Neugestaltung der Daseinsvorsorge mit nach 25 Jahren, stelle ich mir folgende Fragen: Wie weit Blick auf das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse sind wir tatsächlich mit der Angleichung der Lebensver- lässt sich nicht nur mit Pilotprojekten und Modellvorha- hältnisse in unserem Land gekommen? Wie weit ist die ben bewerkstelligen. Teilung, die vier Jahrzehnte andauerte, heute überwun- den? Ich bin – ähnlich wie der Kollege, der vor mir geredet Infratest dimap sagt dazu, dass 70 Prozent der befrag- hat – gespannt, wie es denn aussieht, wenn es konkret ten Bürgerinnen und Bürger in Ost und West mit ihrer wird, beispielsweise bei der Frage der Revision der wirtschaftlichen Situation zufrieden sind. Das ist doch Regionalisierungsmittel. Dann ist nämlich die Frage, ob eine sehr gute Nachricht. es einen fairen Interessenausgleich zwischen einer Si- cherung des Grundangebotes in der Fläche und einem (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zusatzangebot in Wachstumsregionen gibt. Auch die Lebenserwartung hat sich in beiden Teilen des Lassen Sie mich mit Blick auf die Zeit noch einen Landes fast angeglichen. Ostdeutschland kann inzwi- wichtigen Punkt sagen. Wir führen eine öffentliche De- schen gute Rahmenbedingungen zum Leben und Arbei- batte über die Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde. ten vorweisen; die Erfolge wurden von meinen Vorred- Ich sage dazu: Auch 25 Jahre nach der friedlichen Revo- nern schon genannt. Unterm Strich können wir stolz auf lution ist die Notwendigkeit einer Aufarbeitung der Ver- das sein, was wir in den vergangenen 25 Jahren gemein- gangenheit der SED-Diktatur in all ihren Facetten weder sam erreicht haben. überflüssig noch rückwärtsgewandt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE bei der CDU/CSU und der SPD) GRÜNEN) Dennoch gibt es im Ost-West-Vergleich nach wie vor Sie ist die Voraussetzung für eine gelingende Demokra- große Unterschiede bei der Arbeitslosigkeit, vor allen tie, um die wir jeden Tag neu kämpfen müssen. Dingen bei der wirtschaftlichen Angleichung, bei For- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. schung und Entwicklung, bei der Exportquote und auch beim Bruttoinlandsprodukt, das im Osten nur bei 71 Pro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zent des Westniveaus liegt. Ja, es gibt im Ost-West-Ver- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1397

Andrea Wicklein (A) gleich auch nach wie vor Ungerechtigkeiten. Zum Bei- verstehen, dass 24 Jahre nach der Wiedervereinigung im (C) spiel empfinden die Menschen in den ostdeutschen Westen zunehmend Stimmen laut werden, die die mas- Ländern das bestehende Lohngefälle zwischen Ost und sive Förderung des Ostens kritisch sehen. West oder das unterschiedliche Rentenberechnungssys- tem als ungerecht, zumal sich die Lebenshaltungskosten Vizepräsidentin Claudia Roth: längst angeglichen haben. Bei Wasser und Energie sind Denken Sie an Ihre Redezeit? sie teilweise höher als in den alten Bundesländern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Andrea Wicklein (SPD): Ich bin froh darüber, dass wir im Koalitionsvertrag Richtig, das mache ich. – Allerdings bleiben laut Pro- konkret festgelegt haben, wie wir die Unterschiede aus- gnos-Zukunftsatlas die Zukunftsrisiken in vielen Regio- gleichen und die Ungerechtigkeiten weiter abbauen wol- nen Ostdeutschlands bestehen. Zugleich nehmen aber in len. Dazu zählt insbesondere die Einführung eines ein- immer mehr westdeutschen Regionen die Zukunftsrisi- heitlichen flächendeckenden Mindestlohnes in Ost und ken gegenüber den Zukunftschancen zu. Diese Tatsa- West. chen müssen wir berücksichtigen. Ich habe mich gefreut, dass wir uns jetzt, so glaube ich, alle einig sind, dass wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des die Förderung zukünftig nicht mehr nach Himmelsrich- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tungen vornehmen, sondern an den konkreten Lebens- Dazu zählt die überfällige Angleichung der Rentensys- verhältnissen im ganzen Land ausrichten. teme bis Ende 2019. Wir haben dafür, Herr Bartsch, im Ich freue mich auf die gemeinsame Zusammenarbeit. Koalitionsvertrag einen klaren Fahrplan vereinbart und Wir werden unsere Erfahrungen in Ostdeutschland nut- werden darauf achten, dass er auch umgesetzt wird. zen und sie in ein Konzept einbringen, das die Entwick- (Beifall bei der SPD) lung der strukturschwachen Regionen insgesamt zum In- halt hat. Dazu zählen aber auch diverse Bundesprogramme und Bundesmittel: Wir erhöhen die Mittel für die Städte- Vizepräsidentin Claudia Roth: bauförderung und das Programm „Soziale Stadt“, wir Frau Kollegin, ich muss die überzogene Zeit jetzt bei führen die regionale Wirtschaftsförderung für struktur- Ihren Kollegen abziehen. schwache Regionen fort, wir unterstützen den innovati- ven Mittelstand, und – nicht zuletzt – wir unterstützen auch die Hochschulen und erhöhen die Mittel für die öf- Andrea Wicklein (SPD): fentliche Forschungsförderung. Das sind nur einige Ganz herzlichen Dank. (B) (D) Punkte, die dazu beitragen werden, die wirtschaftliche (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Entwicklung in Ost und West weiter anzugleichen. der CDU/CSU) Ich bin davon überzeugt, dass vor allem die Förde- rung von Wirtschaft und Innovation der richtige Weg ist, Vizepräsidentin Claudia Roth: um auch die sozialen Verhältnisse auf ein annähernd Danke schön, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist gleiches Niveau zu bringen. Deshalb begrüße ich es aus- Roland Claus für die Linke. drücklich, dass die Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer im Wirtschaftsministerium an- (Beifall bei der LINKEN) gesiedelt ist. Ich wünsche Iris Gleicke viel Erfolg bei ih- rer Arbeit. – Ich werde dich natürlich nach bestem Wis- Roland Claus (DIE LINKE): sen und Gewissen unterstützen, liebe Iris. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beim Thema „deutsche Einheit“ stellt sich in schöner Regel- (Beifall bei der SPD) mäßigkeit eine unsichtbare Besonderheit ein: Ostdeut- Am Anfang meiner Rede fragte ich: Wie weit sind wir sche Abgeordnete haben im Plenarsaal des Deutschen hinsichtlich der Angleichung der Lebensverhältnisse tat- Bundestages die Mehrheit. sächlich gekommen? Ich denke, wir können diese Frage (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ich bin auch zukünftig nicht mehr nach der Himmelsrichtung, nach da!) Ost und West, stellen. Deutschland ist schon jetzt viel differenzierter zu betrachten. Auch im Osten gibt es be- Das sagt auch etwas über den Zustand der deutschen reits wirtschaftlich starke Regionen mit niedriger Ar- Einheit. beitslosigkeit. Gleichzeitig haben im Westen zahlreiche (Beifall bei der LINKEN) Regionen einen enormen Nachholbedarf. Zwar ist die Arbeitslosigkeit im Westen im Durchschnitt nur halb so „Müssen wir fast 25 Jahre nach dem Mauerfall noch hoch wie im Osten, bei näherer Betrachtung zeigt sich über Ost und West reden? Ist das nicht peinlich?“, wird aber ein sehr differenziertes Bild: So ist die Arbeitslo- gelegentlich gefragt. Ja, das ist zuweilen peinlich. Aber senquote in Duisburg oder Gelsenkirchen mit 15,5 Pro- auch: Ja, wir müssen darüber reden. Dietmar Bartsch hat zent annähernd so hoch wie in der Brandenburger hier über die wirtschaftliche und soziale Dimension der Uckermark, in Bremerhaven ist sie doppelt so hoch wie Einheit gesprochen. Ich will über die historische und in Potsdam, und an vielen Stellen im Westen verfällt die kulturelle Dimension der deutschen Einheit reden und Infrastruktur oder ist veraltet. Ich kann deshalb sehr gut auch darüber, warum wir uns zuweilen so schwer damit 1398 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Roland Claus (A) tun; wenn Sie so wollen: über die ostdeutsche Seele. Ich (Beifall bei der LINKEN – Tankred (C) will Ihnen auch helfen, zu verstehen, warum die Ossis in Schipanski [CDU/CSU]: Gut, dass die CDU Ihren Augen so ein undankbares Wesen sind und so wählen!) komisch wählen. Wir sagen Ihnen: Wer mit seiner Geschichte nicht (Zurufe von der CDU/CSU) umgehen kann, dem können Gegenwart und Zukunft 1990 wurde bekanntlich im Deutschen Bundestag und nicht gelingen. Wie verschieden wir auch die Einheit ge- in der Volkskammer der DDR der Einigungsvertrag be- wollt haben, heute gilt: Ihr bekommt die Einheit nicht schlossen. Fortan aber wurde viel dafür getan, den Eini- ohne Geschichte, so sehr es auch versucht wird. Wo Ei- gungsvertrag als eine Art Kapitulationsurkunde oder Un- nigungsvertrag draufsteht, ist auch ein Stück DDR-Ge- terwerfungsabkommen umzudeuten. Das begann in den schichte drin. 90er-Jahren mit der Formel des Bundesministers Klaus (Zuruf von der CDU/CSU: Und ganz viel Kinkel, es gehe jetzt um eine Delegitimierung der DDR. Unrecht von der Linken!) Auch wird heute noch die Beobachtung von Bundestags- abgeordneten der Linken durch den Verfassungsschutz Wer mit dem Siegen nicht aufhören kann, damit gerechtfertigt, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Es ist doch (Zurufe von der CDU/CSU: Zu Recht!) niemand besiegt worden!) dass wir eine unzureichende Distanzierung vom Un- der zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wer rechtssystem der DDR hätten. Ich sage Ihnen deshalb versucht, bei der Deutung der DDR die Enkel gegen die noch einmal: Der Vertrag heißt Einigungsvertrag. Es ist Großeltern in Stellung zu bringen, der eint nicht, sondern ein Einigungsvertrag zwischen zwei souveränen Staaten. spaltet. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der (Beifall bei der LINKEN – Tankred CDU/CSU) Schipanski [CDU/CSU]: Was ist denn mit Ih- Lassen wir ein paar Personen mit ihren Fragen zu nen heute Morgen los? Haben Sie schlecht ge- Wort kommen. Eine Seniorin in Kamenz hat in der DDR schlafen? – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: alleinerziehend für fünf Kinder gesorgt. Alle sind ihren Nicht alle Ostdeutschen haben eine SED-Ver- Weg gegangen, drei haben studiert, ihre älteste Tochter gangenheit!) ist Lehrerin. Sie fragt: Wäre das im anderen Deutschland Etwa im Jahr 2000 haben die Ostdeutschen ihr Selbst- möglich gewesen? bewusstsein wiedergefunden. Daran haben viele Süd- (B) (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Selbstver- und Westdeutsche mitgewirkt, die in den Osten gingen. (D) ständlich!) Deshalb macht es Sinn, auch heute zu sagen: aus dem Osten etwas Neues, aber für die ganze Republik. Etwas Der DDR-Schriftsteller Hermann Kant schrieb unter an- Neues brauchen wir auch für die Bundesregierung. Fast derem den Roman Der Aufenthalt. Dies ist auch ein die Hälfte der Bundesregierung sitzt noch immer in Buch über die Vertreibung als Kriegsfolge. Ich fand das Bonn. damals als junger Leser ebenso mutig wie aufrüttelnd. Heute ist Kant geächtet, weil systemnah. Ist das histo- (Michaela Noll [CDU/CSU]: Schöne Stadt!) risch-kulturell gerecht? Deshalb rufen wir erneut zur Wiedervereinigung der Im Osten wird nicht der Stern gekauft, sondern die Bundesregierung in Berlin auf. Super Illu. (Beifall bei der LINKEN – Tankred (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr gute Schipanski [CDU/CSU]: Was hat das mit der Zeitung, Herr Claus!) Debatte zu tun? Ich glaube, nichts!) In der Chefetage des Stern wird Ostdeutschland schon Wir Ostdeutschen halten uns nicht für die besseren mal als verbrannte Erde bezeichnet. Ich habe natürlich Menschen, aber einen Rat haben wir doch: Uns allen in keinen Grund, hier Werbung für die Super Illu zu ma- West und Ost, in Nord und Süd ginge es so viel besser, chen, aber sie wird deshalb im Osten gelesen, weil sich wenn wir begreifen würden, wie viel wir aus den Um- die Leute dort mit ihrem Lebensgefühl und ihren Erfah- brüchen, Niederlagen und Erfolgen im Osten lernen rungen wiederfinden. könnten. Deshalb: selbstbewusst für den Osten! (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Die ver- (Beifall bei der LINKEN) brannte Erde haben wir von Ihnen übernom- men! Jetzt haben wir blühende Landschaften!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Im ostdeutschen Kleingartenverein ist Versammlung. Danke, Herr Kollege Claus. – Als nächsten Redner Da geht die Post ab. Da bleibt kein gutes Haar an der rufe ich Dr. Christoph Bergner auf. Wir haben einige bundesdeutschen Gartenbürokratie, und der Zustand der Probleme gehabt, alle seine ehemaligen Titel richtig zu Einheit wird so radikal kritisiert, wie es nicht einmal die benennen. Ich sage jetzt einfach: für die CDU/CSU. Linke schafft. Trotzdem wählen 40 Prozent dieser Klein- gärtner die CDU. Das muss Ihnen doch zu denken ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ben. neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1399

(A) Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Frau Präsidentin, so ist es auch richtig. – Meine Da- NEN]: Woran liegt das denn?) men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Das alles sind Indikatoren, die in ihrer Komplexität möchte mich gern bei Iris Gleicke für die Worte der An- zeigen, was wir in den letzten Jahrzehnten erreicht ha- erkennung bedanken, aber mehr noch für die kollegiale ben. Wir haben eine Lebensqualität, die in beachtlichem Amtsübergabe, die wir vollzogen haben. Wir haben uns Maße ausgeglichen ist. Wir haben wettbewerbsfähige in Opposition und Regierung natürlich auch gestritten, Unternehmen. Wir haben positive Arbeitsmarktzahlen; aber die Kollegialität der Amtsübergabe beweist, dass Kollege Hauptmann ist sehr eindrücklich darauf einge- wir uns einem gemeinsamen Anliegen verpflichtet füh- gangen. Wir haben eine relativ hohe Quote der indus- len. Dafür noch einmal ein herzliches Dankeschön! triellen Wertschöpfung. Kurz: Wir haben im 25. Jahr (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nach dem Mauerfall Anlass, im Hinblick auf das, was in den letzten Jahrzehnten erreicht wurde, stolz und dank- Herr Kollege Claus, ich habe mir einen Satz aus Ihrer bar zu sein. Rede aufgeschrieben, weil ich ihn richtig finde: Wer mit seiner Geschichte nicht umgehen kann, kann die Zukunft (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nicht gewinnen. – Der Satz ist richtig. Ich wünsche mir Vor diesem Hintergrund – ich sage ausdrücklich: vor nur, dass Sie es auch auf die Geschichte Ihrer Partei und diesem Hintergrund – war es mir natürlich wichtig, in Ihr Wirken in der DDR beziehen. dem Bericht noch ein anderes Kapitel zu berühren, und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – zwar den Stand der öffentlichen Finanzen, der Länderfi- Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Niemand nanzen. Die ostdeutschen Länder standen in den letzten hat so viel gemacht wie wir!) zwei Jahren, was ihre Finanzen betrifft, ausgesprochen gut da; das hören die Länderfinanzminister nicht gern, Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will ein aber es ist die Wahrheit. Sie standen gut da auch wegen weiteres Kompliment machen, und zwar dem Kollegen der Solidarpaktleistungen und der EU-Mittel. Aber wenn Hauptmann, der seine Jungfernrede hier als eine Grund- man ihr eigenes Steueraufkommen analysiert, stellt man satzrede gehalten hat, die es mir jetzt regelrecht schwer fest, dass die Flächenländer Ost im Jahr 2012 bei 54 Pro- macht, meine Punkte so zu sortieren, dass ich nicht in zent des Niveaus der finanzschwachen Flächenländer Wiederholungen verfalle. Was, glaube ich, wichtig war West lagen; im Jahre 2000 waren es noch 30 Prozent. und besondere Beachtung verdient, ist der Umstand, dass es darauf ankommt, über 20 Jahre nach der deut- Das unterstreicht die Bedeutung der Solidarpaktleis- schen Einheit die Handlungserfordernisse im Zusam- tungen für den Zeitraum bis 2019. Es macht auch deut- lich, wie wichtig ein Vorhaben, das in der Koalitionsver- (B) menhang mit der deutschen Einheit möglichst präzise (D) herauszuarbeiten und sie präzise zu benennen. Ich einbarung fixiert wurde und das man sich vorgenommen denke, das haben Sie getan. Das war auch mein Bemü- hat, ist, nämlich die Arbeit der Bund-Länder-Kommis- hen bei den drei Berichten zum Stand der deutschen Ein- sion zur Neuordnung des Länderfinanzausgleichs und heit, die ich als Beauftragter für die Neuen Bundesländer entsprechender Strukturförderungen. Es macht schließ- zu verantworten hatte. lich deutlich, dass wir gut beraten sind, die Ursachen der geringeren Steuerkraft anzugehen, die natürlich im Be- Was den gegenwärtigen Bericht, den Bericht 2013, reich der Wirtschaftskraft liegen. betrifft, war es mir besonders wichtig, das Thema Wir haben im letzten Bericht herausgearbeitet, dass „gleichwertige Lebensverhältnisse“ nicht nur im Kon- sich – Herr Kühn, Sie weisen zu Recht darauf hin – der text ökonomischer Kennziffern zu sehen, sondern auch verbliebene Abstand beim Bruttoinlandsprodukt von nach Indikatoren zu suchen, die darüber hinausgehen, circa 20 bis 25 Prozent in den letzten Jahren kaum ver- also nach Faktoren, die die Lebensqualität bestimmen ändert hat, und versucht, zu analysieren, welches die Ur- wie Kultur und Kultureinrichtungen, Bildungsleistun- sachen dieser Lücke sind. Wir sind dabei zu dem Schluss gen, zivilgesellschaftliches Engagement und anderes – gekommen, dass wir es vor allem mit strukturellen Ursa- übrigens alles Felder, auf denen wir durch wissenschaft- chen zu tun haben, die mit der Unternehmensstruktur in liche Analysen eigene Expertise gewinnen konnten. Ostdeutschland in Zusammenhang stehen: Dem Osten Es sind vor allen Dingen komplexe Indikatoren, die fehlen Unternehmenssitze von Großunternehmen. Wir uns zeigen, was wir erreicht haben, komplexe Indikato- haben dort deshalb Kleinteiligkeitsnachteile, die in einer ren wie der Wanderungssaldo zwischen Ost und West, geringeren Ertragsbündelung und damit in einem gerin- der im Jahre 2012 praktisch ausgeglichen ist, wie die geren Steueraufkommen resultieren. Entsprechend ge- Geburtenziffer, die nach 1990 dramatisch eingebrochen ringer sind deshalb auch – was nicht unterschätzt werden ist und jetzt, auch wenn sie in Deutschland insgesamt darf – die wirtschaftseigenen Forschungs- und Entwick- noch zu niedrig ist, wieder Vor-Wende-Niveau bzw. das lungskapazitäten. Niveau des Westens erreicht hat, oder wie die Kennziffer (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE der Lebenserwartung, in der sich sehr viele Punkte nie- GRÜNEN]: Ja!) derschlagen; bei den Frauen haben wir eine praktisch vollständige Angleichung zu verzeichnen – und das bei In Westdeutschland sind 2010 2 Prozent des dortigen ursprünglich beträchtlichen Unterschieden –, und bei Bruttoinlandsprodukts in wirtschaftseigene Forschungs- den Männern haben wir eine doch weitgehende Annäh- und Entwicklungskapazitäten investiert worden. In Ost- rung erzielt. deutschland waren es weniger als 1 Prozent, und das be- 1400 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Dr. Christoph Bergner (A) zogen auf das niedrigere Bruttoinlandsprodukt Ost. We- Herrn Bartsch, Kinder von Ostmüttern seien uns weniger (C) gen dieser Strukturnachteile ist wirtschaftseigene wert als Kinder von Westmüttern, ist allenfalls ein Be- Forschung und Entwicklung in Ostdeutschland deutlich weis dafür, dass man das Rentenrecht nicht verstanden schwächer ausgeprägt. Die ostdeutsche Wirtschaft ist hat. ferner, um einen weiteren Punkt zu nennen, weniger stark international verflochten, was sich in der Export- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- quote niederschlägt. neten der SPD) Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb gemeinsam Man kann natürlich aus Unkenntnis demagogisch wer- wichtige Schlussfolgerungen aus dem Bericht gezogen: den, aber mit einer solchen Argumentation hilft man den Menschen in den neuen Bundesländern überhaupt nicht. Erstens. Wir brauchen im Osten weiterhin wachs- tumsfördernde Strukturpolitik, eine Fortsetzung des So- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lidarpakts, Investitionsförderung nach den Gemein- Wir sollten eher darauf achten, dass wir den Vorteil schaftsaufgaben und den Einsatz von Mitteln aus dem durch die Höherbewertung, der im Rentenrecht eine EU-Strukturfonds sowie eine Überführung dieser Maß- wichtige Errungenschaft für die neuen Bundesländer ist, nahmen in ein System der Förderung strukturschwacher nicht leichtfertig für ein Linsengericht aufgeben, Regionen nach 2019, Stichwort „Bund-Länder-Finanz- kommission“. (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Sehr gut!) Zweitens. Wir brauchen im Osten mehr öffentlich ge- und versuchen, zu bewahren, was im gesamtdeutschen förderte Finanzierung von FuE-Leistungen als im Wes- Rahmen bewahrt werden kann. ten. Die neuen Bundesländer haben in Europa die Weil er ausdrücklich genannt wurde und unserem Ko- höchste Quote an öffentlich geförderter FuE-Leistung. alitionspartner besonders wichtig ist, komme ich Dies ist eine wertvolle und wichtige Voraussetzung für schließlich noch zum Mindestlohn. zukünftiges Wirtschaftswachstum. Ich freue mich des- halb, dass im Koalitionsvertrag ein Bekenntnis zu den gemeinnützigen Forschungs-GmbHs enthalten ist. Ich Vizepräsidentin Claudia Roth: hoffe, dass die Länder auch bei der Kofinanzierung des Fassen Sie sich beim Mindestlohn bitte kurz. Hochschulpakts ihrer Verantwortung gerecht werden. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Er kommt!) Ich denke, wir sollten auch weiterhin versuchen, kreativ zu sein, beispielsweise wenn es um Fraunhofer-Zentren Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): oder anderes geht, wo die neuen Länder durchaus Vor- Ich gebe mir Mühe. (B) läufer sein können. (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Er kommt halt!)

Drittens. Wir brauchen eine Förderung der internatio- Vizepräsidentin Claudia Roth: nalen Verflechtung der Wirtschaft der neuen Bundeslän- Danke. der. Ich bin dankbar, dass im Koalitionsvertrag die be- sondere Bedeutung von Trade and Invest für die neuen Länder festgehalten wurde. Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Ich weiß von der Hoffnung, dass man mit einem ein- Viertens. Verflechtung und die Bildung innovativer heitlichen Mindestlohn für eine hohe Zahl von Beschäf- Cluster sind insgesamt wichtig für den Wettbewerb; für tigten im Osten höhere Einkommen erreichen kann. Ich die wirtschaftliche Entwicklung der neuen Bundesländer bitte aber, nicht zu vergessen, dass diese Löhne von Un- ist diese Strategie jedoch überlebenswichtig. ternehmen gezahlt werden müssen, die im Wettbewerb Das sind gewissermaßen die strategischen Linien, die stehen. im Koalitionsvertrag aufgezeigt werden und mit denen (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Im fairen Wett- wir in die Zukunft gehen können. Ich denke, wir sollten bewerb!) versuchen, den Koalitionsvertrag kreativ auszufüllen und nach weiteren Möglichkeiten für die Entwicklung Ich bitte auch, nicht zu vergessen, dass wir im Osten der neuen Bundesländer zu suchen, auch um die Lücke nach wie vor eine höhere Quote von Langzeitarbeitslo- in der Steuerkraft zukünftig schließen zu können. sen haben. Wir haben bereits jetzt Schwierigkeiten, sie in den Wirtschaftsprozess einzugliedern, und bei hohen Frau Kollegin Gleicke, als ich Ihnen eine glückliche Lohnkosten werden diese Schwierigkeiten noch wach- Hand wünschte, hatte ich noch etwas anderes im Blick, sen. nämlich das, womit ich in meinem Amt die meisten Pro- bleme hatte: die Kontrolle der Wirkung von politischen Wir stehen koalitionstreu zu der gefundenen Lösung, Maßnahmen – sei es in der Gesetzgebung oder sonst – in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bezug auf eine besondere Betroffenheit der neuen Bun- der CDU/CSU) desländer. Das ist eine gigantische Herausforderung. Wir haben über Einzelthemen ja sehr offen gesprochen. aber Ich will, weil die Rentenrechtsänderung angespro- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nichts aber! chen wurde, noch einmal deutlich sagen: Die Lesart von Pacta sunt servanda!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1401

Dr. Christoph Bergner (A) mein Appell und meine Bitte gehen dahin, nicht nur die mehr als deutlich –, dass es sehr viele positive Entwick- (C) Vorzüge im Blick zu haben, sondern auch die Probleme lungen gibt. Gerade in puncto Wirtschaftskraft, Löhne und Risiken, die im Osten regional sehr viel größer sind und Arbeitslosenquote bestehen aber noch immer sehr als im Westen. große Unterschiede. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Herr Hauptmann, ja, es hat deutliche Verbesserungen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bei den Arbeitslosenzahlen gegeben; aber von blühenden neten der SPD) Landschaften kann man zumindest bei mir in Branden- burg definitiv nicht überall sprechen. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: In Potsdam Danke, Herr Kollege Dr. Bergner. – Nächste Rednerin schon!) ist Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen. – In Potsdam schon, aber nicht in Regionen der Ucker- mark mit 16 Prozent Arbeitslosigkeit und in Städten mit Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- über 20 Prozent Arbeitslosigkeit. – Bei diesen Zahlen NEN): sollte man auch einmal bedenken: Die Jobs, die seit 2011 Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! neu entstanden sind, sind durch die Bank neue sozialver- Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Frau sicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigungen, aber keine Gleicke, erst einmal herzlichen Dank dafür, dass Sie zu Vollzeitbeschäftigungen. diesem Jubiläum auch so deutliche Worte zur Ukraine gefunden haben. Gestern waren einige von uns doch (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das, was Sie ziemlich erschüttert, weil aus den Reihen der Linken die da erzählen, stimmt nicht! Völliger Unsinn!) Frage gestellt wurde, warum man in der Ukraine über- haupt für Verfassungsänderungen auf die Straße gehen Daran müssen wir weiter arbeiten. müsse. Daher nochmals vielen Dank für Ihre deutlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Worte zu diesem Bereich. Deswegen ist für uns Grüne die Laufzeit der Solidar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, paktmittel bis 2019 einwandfrei klar. Ich stimme Ihnen bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von zu: Das muss man gerade in Richtung der Bundesländer der LINKEN) sagen, die hier Klagen führen wollen. Gerade die Korb-II- – Die Zwischenfrage von Ihrem Kollegen aus NRW kön- Mittel müssen auf jeden Fall weiter zum Tragen kom- nen Sie ja im Protokoll noch einmal nachlesen. men, weil diese Investitionsmittel auch in den weiteren (B) Jahren für die ostdeutschen Bundesländer essenziell (D) Es freut mich zudem sehr, dass es dieser Bericht heute sind. Das bedeutet auch, dass wir nach 2019 die Regio- nicht nur auf die Tagesordnung geschafft hat, sondern nen Ostdeutschlands weiter im Blick haben müssen, auch darauf geblieben ist; denn was es bedeutet, wenn ohne natürlich die strukturschwachen Regionen in West- man Debatten über Berichte immer wieder vertagt, sieht deutschland außer Acht zu lassen. man an dem Thema Heimkinderfonds. In dem Bericht von 2012 lesen wir Zahlen, die leider gar nicht mehr zu- Es freut uns sehr, Frau Gleicke, dass Sie in Ihren Presse- treffen. Ursprünglich wurde der Fonds mit 40 Millionen äußerungen sehr deutlich gemacht haben, dass wir diese Euro ausgestattet; heute sind die Kassen leer. Nun war- Probleme und Herausforderungen in Ost und West, Nord ten Zehntausende von Opfern des SED-Regimes, die in und Süd gemeinsam angehen müssen. Wir hoffen sehr, diesen Heimen gelebt haben und zum Teil misshandelt dass die Frage der finanziellen Ausstattung im kommen- wurden, auf ihre Entschädigungszahlungen. Es ist ge- den Bericht eine ganz andere Bedeutung bekommen rade in einem Jubiläumsjahr wie diesem wirklich be- wird. Jetzt steht in diesem Bericht dazu lediglich ein schämend, dass hier weiter Pokerverhandlungen geführt ganz kleiner Absatz. Aspekte wie Kommunalaufsicht, werden. Kommunalverschuldung und Kassenkredite fehlen in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diesem Bericht völlig, obwohl es für die Regionen in und bei der SPD sowie der Abg. Halina Ostdeutschland genauso wie für die in Westdeutschland Wawzyniak [DIE LINKE]) eine Herausforderung ist, dass die Kommunen gewisse Aufgaben einfach nicht mehr erfüllen können. Ich hoffe sehr, dass das ständige Verschieben der De- batte über den Bericht kein Omen für das weitere Bemü- Vizepräsidentin Claudia Roth: hen um den Stand der deutschen Einheit und auch kein Omen für Sie ist, Frau Gleicke; denn es freut uns als Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Bündnisgrüne wirklich sehr, dass Sie dieses Amt jetzt in- Kollegen Patzelt? nehaben und wir somit eine sehr intensive Streiterin für (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bitte eine nette ostdeutsche Belange haben. Frage!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern wurde NEN): schon darauf hingewiesen – auch der Bericht macht das Ja. 1402 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Darüber wurde in den letzten Wochen immer wieder dis- (C) Bitte schön, Herr Patzelt. kutiert: vor Ort, in der Presse und auch sonst. Es ist wichtig, dass da Druck erzeugt wurde, um dieses Pro- blem endlich anzugehen. Martin Patzelt (CDU/CSU): Meine Wortmeldung ist leider sehr spät wahrgenom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men worden. Ich komme zurück auf Ihre erste Einlas- sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) sung zur Frage der Entschädigung oder, wie wir es sagen, der Hilfen für ehemalige Heimkinder in Ost und Vizepräsidentin Claudia Roth: West. Haben Sie sich persönlich die Zahlen einmal ange- Erlauben Sie eine Nachfrage oder Nachbemerkung? schaut, oder sind sie Ihnen von irgendjemandem kolpor- tiert worden? Sie stimmen nämlich nicht mit den Zahlen Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und der Situation überein, die wir auch im Ausschuss, in NEN): dem Ihre Fraktionskollegen anwesend waren, diskutiert Ja. haben und in dem wir auch von einem Vertreter des Ministeriums die entsprechenden Antworten bekommen haben, die deutlich machen, dass alles auf einem guten Vizepräsidentin Claudia Roth: Weg ist und dass in drei Wochen damit zu rechnen ist, Bitte schön. dass der Fonds in der bisherigen Weise weiterarbeitet. Martin Patzelt (CDU/CSU): Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie mit Ihren Äu- ßerungen hier im Parlament, die auch in die Öffentlich- Sie haben davon gesprochen, dass in dieser Sache ge- keit getragen werden, diese ehemaligen Heimkinder pokert wird. Das ist doch schon eine sehr merkwürdige erneut verunsichern? Wir bringen das Ganze auf einen Behauptung, wenn alle Äußerungen, die sowohl vom guten Weg, und Sie äußern sich hierzu in einer Weise, Ministerium als auch von Fachpolitikern kamen, eindeu- als läge hier alles im Argen, was gar nicht stimmt. tig waren und nie Zweifel daran ließen, dass diese Ent- schädigungen in gleicher Höhe weitergezahlt werden. Worüber Journalisten spekulieren, ist eine andere Frage, Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aber das ist nicht Gegenstand unserer Diskussion hier. NEN): Eine Diskussion kann es nur auf der Grundlage verlässli- Ich weiß nicht genau, welche Zahlen Sie meinen. cher Aussagen vonseiten der Bundesregierung und auch Meinen Sie die Zahl von 40 Millionen Euro, die seit der Politiker geben. 2012 im Topf sind? Oder beziehen Sie sich auf die (B) Ich bitte Sie noch einmal: Es geht mir darum, dass (D) 10 000 Menschen, die auf der Warteliste stehen, weil die diejenigen, die schon viel Leid erfahren haben, nicht Mittel aufgebraucht sind und es keine neuen Gelder für durch solche Diskussionen und Behauptungen wieder den Fonds gibt? Sie haben gesagt, ich hätte falsche Zah- verunsichert werden. len genannt. Diese Zahlen habe ich genannt. Wenn Sie diese als falsch ansehen, dann können Sie das vielleicht Danke. einmal darstellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe auf die Problematik hingewiesen, dass die Mittel – das war klar – zur Neige gingen. Das hätte hier Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- diskutiert werden können, hätten wir den Bericht aus NEN): dem Jahre 2012 nicht erst im Jahre 2014 debattiert, son- Ich glaube nicht, dass die Menschen dadurch, dass dern schon ein bisschen früher. Frau Gleicke hat ein- dieses Thema in einer Plenarsitzung des Bundestages ei- gangs noch einmal erwähnt, dass dieses Problem in den nen hohen Stellenwert hat, verunsichert werden und sie letzten Wochen und Monaten immer wieder erörtert den Eindruck gewinnen, dass wir dieses Thema nicht wurde und dass man nicht zu einer Lösung gekommen ernst genug nehmen. Es ist nach wie vor unklar, wie die ist und dass es dazu auch in Ihrem Koalitionsvertrag Gelder zwischen Bund und Ländern verteilt werden. Es keine klare Aussage gab. wird derzeit diskutiert, wer welchen Anteil zahlt. Dass es (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Sie haben nach wie vor Diskussionen zwischen Bund und Ländern keine Ahnung, Frau Kollegin!) über die Aufteilung gibt, bestreiten Sie sicherlich auch nicht. Das wurde jetzt im Bundestag diskutiert. Wenn wir uns in diesem Hause alle darin einig sind, Wenn das in den nächsten Monaten auf den Weg ge- zu einer guten Lösung zu kommen, ist das umso besser. bracht wird, ist das gut. Aber derzeit ist es so, dass viele Aber ein gewisser Druck ist immer wieder wichtig, da- Menschen verunsichert sind, weil gesagt wurde: Diejeni- mit das nicht auf die lange Bank geschoben wird. gen, die nach dem Windhundprinzip schon etwas be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommen haben, können sich freuen. Diejenigen, die spä- ter kommen, werden wohl weniger erhalten. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das stimmt Danke, Herr Kollege. – Jetzt geht es mit der Rede überhaupt nicht, was Sie da erzählen!) weiter. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1403

(A) Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) NEN): Ich bitte Sie, sich auch beim Mindestlohn kurzzufas- Wenn wir uns in den nächsten Jahren in Ost und West, sen, weil Sie Ihre Redezeit schon überschritten haben. Nord und Süd gemeinsam aufstellen wollen, dann ist es, glaube ich, wichtig, dass der Bericht in Zukunft eine an- Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dere Struktur erhält, als nur eine Aneinanderreihung von NEN): Zahlen zu sein. Im Anhang gibt es eine lange Tabelle mit In Brandenburg hat man nach jahrelangem Ringen allen Maßnahmen, was durch die Bank weg gemacht unter Rot-Rot endlich im Vergabegesetz einen Mindest- wurde. Es gibt keine Evaluation, was wie gewirkt hat, lohn von 8,50 Euro eingeführt. Ursprünglich waren es sondern man hat alles aneinandergeklatscht. übrigens 8 Euro, liebe Linke. Dabei war eigentlich der Arbeitsauftrag – das steht (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wer hat denn da auf Seite 3 des Berichtes –, „ihre Politik“ – also die Poli- auf der Bremse gestanden?) tik der Bundesregierung – „zur Angleichung der sozia- len, ökonomischen, politischen und kulturellen Lebens- Die Betriebe, die, wie Sie behaupten, deshalb plötz- bedingungen der Menschen im vereinten Deutschland“ lich zusammengebrochen sind, gibt es nicht. Dass kleine darzustellen. In dem Bericht wird aber nicht die Politik Betriebe in Brandenburg deshalb zusammengebrochen dargestellt. Es wurde nicht gefragt: Was wurde gemacht? sind, weil sie diesen Lohn nicht zahlen können, stimmt Wie hat das gewirkt? Was haben wir daraus gelernt? nicht. Der Hinweis „Kann man sich das im Osten über- Stattdessen wurden nur Zahlen dargestellt, ohne sie ir- haupt leisten?“ ist an den Haaren herbeigezogen. Man gendwie auszuwerten. kann es sich nicht nur leisten, sondern man muss es sich leisten: zum Wohle der Menschen und der wirtschaftli- Wenn wir jetzt gemeinsam daran arbeiten wollen, ist chen Entwicklung in Ostdeutschland. es, glaube ich, auch mit Blick auf die Zeit nach 2019 (Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Wer ist wichtig, zu fragen: Was lernen wir aus den letzten „man“?) 25 Jahren? Statt nur Zahlen aneinanderzureihen, sollten wir fragen: Was ist die Wirkungskontrolle unserer Poli- Was man in fast allen europäischen Ländern schafft, tik? Es gibt zahlreiche Beispiele, bei denen das gerade wird man wohl auch in der stärksten Wirtschaftsnation mit Blick auf Ostdeutschland dringend notwendig gewe- Europas schaffen, nämlich endlich einen gesetzlichen sen wäre. Mindestlohn einzuführen. Nehmen wir zum Beispiel die Extremismusklausel. In Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) dem Bericht wird zwar das Thema Demokratie ange- (D) sprochen, aber zu dem Stichwort „Extremismusklausel“ Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen. ist darin nichts enthalten. Was ist denn passiert, als man diese Klausel eingeführt hat? Wie hat man die Organisa- Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tionen gerade in Ostdeutschland verunsichert, ob sie mit NEN): ihrer politischen Arbeit noch wirken können? Dazu steht In diesem Sinne komme ich zum Ende. in dem Bericht nichts. Vielen Dank. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber loben Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mal, dass wir das ändern!) – Darauf komme ich gleich. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön. Nicht dass Sie denken, der Mindestlohn Dann hat man von SPD-Seite versprochen, das zu än- interessiert uns hier im Präsidium nicht, aber ich muss dern. Jetzt hat Frau Schwesig einen Vorschlag gemacht, auf die Einhaltung der Redezeit achten; denn sonst gibt der an der eigentlichen Tatsache in der Substanz nicht es zumindest Ärger. viel ändert. Nächster Redner ist Wolfgang Tiefensee für die SPD. (Zurufe von der SPD: Was? – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Man muss auch loben können!) (Beifall bei der SPD) Genau solche Punkte sollte man auch in solchen Berei- Wolfgang Tiefensee (SPD): chen selbstkritisch diskutieren. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ legen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! DIE GRÜNEN und der LINKEN) 25 Jahre friedliche Revolution: Das lädt dazu ein, zu ver- gleichen. Wie sah es 1989 aus, und wie sieht es 2014 Dass Sie auch den Mindestlohn wieder infrage ge- aus? Jeder wird wohl sagen, wir haben in diesen 25 Jah- stellt haben, hat mich sehr überrascht, Herr Bergner, ob- ren Unglaubliches geschafft, und das nicht zuletzt wegen wohl Sie das im Koalitionsvertrag richtigerweise festge- der Menschen in Ostdeutschland, der Solidarität derer in schrieben haben. Westdeutschland, aber nicht zuletzt auch wegen einer guten Politik über diese 25 Jahre. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ist nicht rele- vant!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 1404 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Wolfgang Tiefensee (A) Man kann einen anderen Vergleich ziehen. Man kann Rest meiner Redezeit darauf verwenden, einen Blick da- (C) vergleichen, wie es in Ost- und Südosteuropa aussieht. rauf zu werfen; dies haben wir auch gerade von der Dort gab es vergleichbare Verhältnisse. Auch im Ver- Linksfraktion gehört. Ich möchte daran erinnern, dass es gleich dazu sind wir gut vorangekommen. zu 25 Jahren friedlicher Revolution gehört, dass wir eine Erinnerungskultur entwickeln, dass wir jeglicher Verklä- Mir geht es heute wie Ihnen auch noch einmal um den rung, jeglicher Schönfärberei entgegentreten, damit es Vergleich zwischen Ost und West. Sehr verehrte Frau nicht wieder vorkommt, dass eine Diktatur in den Alltag Staatssekretärin, zunächst einmal Glückwunsch zum einzieht oder die Demokratie von welcher Seite auch im- Amt und auf gute Zusammenarbeit! Wir haben in diesem mer gefährdet wird. Bericht einen Paradigmenwechsel. Dieser Paradigmen- wechsel wurde auch in Ihrer Rede zur Einführung deut- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem lich; Ihre Handschrift wird im nächsten Bericht erkenn- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- bar sein. Zum ersten Mal geht es – das haben wir ganz geordneten der LINKEN) deutlich gehört – neben dem Vergleich zwischen Ost und West um den Vergleich von Regionen, zum Beispiel von Ich darf daran erinnern: Es gab viele Menschen, na- strukturschwachen Regionen. Herr Bartsch – er ist leider mentlich aus der Sozialdemokratie, die aus den Konzen- nicht mehr da –, Herr Kühn, die entscheidende Frage ist: trationslagern gekommen sind und anschließend wieder Wenn wir damit Ernst machen, dann müssen wir ein eingesperrt worden sind; aus meiner Heimatstadt kommt Stück weit wegkommen von den Vergleichen zwischen zum Beispiel Erich Loest, 1957 für siebeneinhalb Jahre Ost und West und müssen auf die Regionen schauen. im Zuchthaus Bautzen eingesperrt. 138 Opfer gab es an der Berliner Mauer zwischen 1961 und 1989, 872 Men- Es gibt Parameter, die zwischen Ost und West vergli- schen haben ihr Leben an der innerdeutschen Grenze chen werden müssen, aber es gibt noch mehr Parameter, verloren, 200 000 bis 250 000 Menschen sind aus politi- die wir auf die Regionen beziehen müssen. Ich will deut- schen Gründen inhaftiert worden. lich machen, wie ich das meine. Wenn wir über die wirt- Es gibt aber auch Opfer rechtsextremer Gewalttaten schaftliche Entwicklung sprechen und uns die Wirt- nach 1989, übrigens in ganz Deutschland. Wir müssen schaftskraft ansehen, dann müssen wir feststellen, dass aufpassen, dass es hier nicht zu einer weiteren Verstär- die Wirtschaftskraft in Ostdeutschland 71 Prozent des kung kommt. Danke, Frau Schwesig, dass Sie die Extre- durchschnittlichen Niveaus Deutschlands beträgt – furcht- mismusklausel abgeschafft haben. bar. Wenn man aber zum Beispiel das BIP pro Einwoh- ner auf Ebene der Bundesländer betrachtet – nehmen wir (Beifall bei der SPD – Katja Kipping [DIE Berlin mit 29 000 Euro heraus –, dann stellt man fest, LINKE]: Abgeschwächt!) (B) dass Sachsen mit 23 000 Euro pro Einwohner recht nah (D) an Schleswig-Holstein mit 27 000 Euro pro Einwohner Wir haben jährlich 800 bis 1 000 Gewalttaten mit rechts- liegt. extremistischem Hintergrund. Die offiziellen Zahlen be- sagen, dass 63 Menschen durch Straftaten mit rechtsex- Schauen wir uns die Arbeitslosenquote an. Ein Ver- tremem Hintergrund umgekommen sind; die Zahlen der gleich zwischen Ost und West fällt katastrophal aus; sie Opferberatungsstellen besagen sogar 180 Todesopfer. ist im Osten doppelt so hoch. Vergleicht man aber das Wenn wir einerseits eine Diktatur vor 1989 verklären Land Sachsen mit dem Land Nordrhein-Westfalen, dann und wenn wir es andererseits zulassen, dass eine andere sieht man, dass es zu einer Angleichung kommt. Ich plä- Diktatur, nämlich die bis 1945, verherrlicht wird und da- diere dafür, Frau Staatssekretärin, dass wir neben dem raus solche Straftaten geschehen, dann ist unsere Demo- Vergleich, der üblicherweise gezogen wird, im zukünfti- kratie nicht sicher und muss immer wieder erkämpft gen Bericht noch mehr die Regionen betrachten. Da werden. spielt eine Rolle, dass es zum Beispiel Leipzig wirt- schaftlich gesehen wesentlich besser geht als Duisburg. Ich freue mich auf den nächsten Bericht, der zu all diesen Themen sicherlich in neuer Weise Stellung neh- Natürlich gibt es zentrale Probleme. Das eine Pro- men wird. Auf gute Zusammenarbeit! blem ist die Arbeitslosigkeit; ich habe sie bereits ange- sprochen. Wir brauchen neue Programme. Die Bürger- Vielen Dank. arbeit muss weiterentwickelt werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das zweite Problem betrifft die Wirtschaftskraft. Ich nenne die GA „Verbesserung der regionalen Wirtschafts- Vizepräsidentin Claudia Roth: struktur“, denke aber auch an die überregionalen, die na- Danke, Herr Kollege Tiefensee. tionalen Programme, die auch im Osten greifen. Hier müssen wir zulegen. Das gilt auch für den Investitions- Nächster Redner in der Debatte ist Eckhardt Rehberg zuschuss Wagniskapital. Es ist ganz wichtig: Es fließt zu für die CDU/CSU-Fraktion. wenig in den Osten. Hier müssen wir eine Menge tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, 25 Jahre friedliche Revolution laden aber auch dazu ein, zu Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): schauen, wie es eigentlich um unsere Demokratie steht, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abge- welchen Blick die Menschen, insbesondere die jungen ordneten! Zum Thema Heimkinder wollte ich eigentlich Menschen, auf die Zeit vor 1989 haben. Ich möchte den nichts sagen. Da die Kollegin der Grünen darauf so aus- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1405

Eckhardt Rehberg (A) führlich eingegangen ist, nur so viel: Erstens. Es war vor nes Landtags und bin nun Abgeordneter des Bundestags. (C) zwei Jahren schwierig, valide Zahlen zu bekommen. Meine dringende Forderung an die Länder lautet, dass das, was für Hochschulen, Kommunen, den öffentlichen (Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin: Ja!) Personennahverkehr und die Förderung des sozialen Zwischen 1949 und 1990 sind fast 500 000 Kinder in der Wohnraums vorgesehen ist, auch dafür eingesetzt wird DDR durch Heime gegangen. Torgau ist sicherlich nur und nicht irgendwo im Landeshaushalt verschwindet. die Spitze des Eisbergs. Es gab in der DDR breit ver- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem streut Spezialkinderheime und Übergangsheime und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kein Zentralarchiv. Deswegen war es sehr schwierig, da- mals valide Zahlen zu bekommen. Frau Baerbock, ich Ich spreche das deswegen so dezidiert an, weil die möchte Ihren Einlassungen entgegentreten. Hier wird Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer folgenden nicht gepokert. Kollege Heil hat vorhin in einem anderen Beschluss gefasst haben – viele wissen das nicht; daran Zusammenhang zugerufen, an geschlossene Verträge sind alle beteiligt, die Linke über die Regierungsbeteili- müsse man sich halten. Das ist unsere Forderung gegen- gung in Brandenburg genauso wie SPD und Union –: über den Ländern. Es bleibt bei der 50/50-Verteilung. Insbesondere wurde die Bundesregierung dazu auf- Dann brauchen wir in einem zweiten Schritt wirklich gefordert, angesichts der zurückgehenden Struktur- valide Zahlen. Wir dürfen nicht vergessen: Wir haben fondsmittel in der Förderperiode ab 2014 und des 40 Millionen Euro im Fonds. Im Augenblick stehen aber Wegfalls der Investitionszulage von der Auflage 200 Millionen Euro in Rede. Da die Betroffenen ledig- von Bundesprogrammen im Bereich EFRE und lich eine Plausibilitätserklärung abgeben müssen, muss ESF abzusehen und diese Mittel vollständig den die Entscheidung, wenn wir eine solche zugunsten des Ländern zur Verfügung zu stellen. Fonds treffen, tragfähig sein, und zwar nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen. Ich kann für die Allein im Zeitraum von 2009 bis 2013 sind EFRE-Mittel Unionsfraktion an dieser Stelle erklären, dass wir zu un- in Höhe von 1,1 Milliarden Euro in Infrastrukturprojekte serer Verantwortung stehen und das ausfinanzieren wer- in den neuen Ländern geflossen. den. Ich sende aber gleichzeitig den Appell an die Län- der, auf gleiche Art und Weise zu ihrer Verantwortung zu Schauen wir uns einmal das Thema A 14 an. Auf stehen. mecklenburg-vorpommerschem Gebiet werden wir bis 2015 die EFRE-Mittel ausgeben können. Aber was ist (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) mit Sachsen-Anhalt? Sachsen-Anhalt ist eines der wich- tigen Gebiete für die Seehafenhinterlandanbindung und Wer sich ein bisschen damit befasst hat, was in den in die wichtigen transnationalen Netze. Dafür werden keine Rede stehenden Heimen geschehen ist, weiß, dass dort (B) EFRE-Mittel mehr zur Verfügung stehen. Die aktuelle (D) zum Beispiel Zehn-, Zwölf-, Dreizehn- und Vierzehnjäh- Kostenschätzung beträgt übrigens 525 Millionen Euro. rige Kinderarbeit und Nachtarbeit verrichten mussten. Kollege Tiefensee, Sie haben die Erinnerungskultur an- Wer glaubt, dass der Bund die rund 1 Milliarde Euro gesprochen. Gerade dieses Thema eignet sich besonders aus seinem Bundeshaushalt wird ersetzen können, der gut, den Unrechtsstaat DDR zu beschreiben. Der Um- irrt sich. Dazu kommt noch etwas – ich spreche das sehr gang mit Kindern in den damaligen Heimen der DDR offen an; Kollege Tiefensee kennt die Finanzierungspra- stellt Menschenrechtsverletzungen dar, wie ich sie mir xis –: ein Drittel EFRE-Mittel, ein Drittel Bundesmittel, persönlich nicht vorstellen konnte. Die Aufarbeitung ein Drittel Länderquote. Das heißt, die 1,1 Milliarden hier tut dringend not. Euro sind eigentlich 1,5 Milliarden Euro bis 1,7 Milliar- den Euro. Ich spreche das auch deswegen an, weil wir (Beifall im ganzen Hause) uns in unserer Fraktion ganz massiv für die transeuropä- Wenn wir nun Vergleiche und Bilanzen ziehen, dürfen ischen Korridore eingesetzt haben. Welchen Sinn macht wir nicht vergessen, dass die meisten neuen Bundeslän- denn Ihr Beschluss, meine Damen und Herren Minister- der mittlerweile ihre Hausaufgaben betreffend die Lan- präsidentinnen und Ministerpräsidenten? Wir setzen uns deshaushalte gemacht haben. So haben 2013 Branden- für den transeuropäischen Korridor über Ungarn, Prag/ burg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen Tschechien, Dresden, Berlin an die Ostseeküste und und sogar Berlin und Sachsen-Anhalt Finanzierungs- nach Hamburg ein, wir müssen die Strecke Prag–Dres- überschüsse aufzuweisen. Das heißt, der Solidarpakt den–Berlin schienenmäßig ausbauen, wir müssen die greift. Einige Länder sind zur Schuldentilgung überge- A 72 fertigstellen, wir müssen die A 14 fertigstellen, und gangen. Es werden Rücklagen für Pensionsfonds gebil- Sie fassen so einen Beschluss und entziehen uns Mittel det. Aber wir dürfen an dieser Stelle nicht vergessen, für den Aufbau in den neuen Bundesländern. dass der Bund viele Aufgaben übernimmt. So über- (Beifall bei der CDU/CSU) nimmt er ab 1. Januar 2014 die Grundsicherung im Alter komplett. Das sind für ganz Deutschland 5 Milliarden Kollege Tiefensee, Sie haben hier von Regionen ge- Euro und für mein Heimatbundesland 75 Millionen sprochen. Wenn ich Entwicklungen regional betrachte, Euro. Beim Krippenausbau hat der Bund seine Ver- dann muss ich auch das Thema Lohn regional betrach- pflichtungen hundertprozentig erfüllt, genauso beim ten. Übrigens, es gibt natürlich ein Einkommensgefälle Hochschulpakt. Hinzu kommen Entflechtungsmittel in in Hessen, zwischen Nordhessen und Südhessen. Fragen Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro, mit denen die Län- Sie den Kollegen Wichtel. Natürlich gibt es ein Einkom- der nicht rechnen konnten. Ich war 15 Jahre Mitglied ei- mensgefälle zwischen Schleswig-Holstein und Bayern 1406 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Eckhardt Rehberg (A) oder Baden-Württemberg. Der IG-Metall-Tarif ist nicht Wolfgang Tiefensee (SPD): (C) gleich. Nein, das war zunächst eine Feststellung. (Wolfgang Tiefensee [SPD]: Das soll zukünf- (Heiterkeit) tig oberhalb von 8,50 Euro sein!) Das droht manchem, der jetzt noch lacht. – Lassen Sie mich ganz in Ruhe weitersprechen. Ich Ich bin unlängst, wie auch Sie, beim Friseur gewesen, stehe zu abgeschlossenen Verträgen. Ich finde es sehr und zwar in Leipzig. – Sieht man es nicht? – Bei diesem gut, dass wir eine dreijährige Übergangszeit haben. Friseur steht ein Schild mit der Aufschrift: Meine sehr Ich will Ihnen kurz eine Rechnung aufmachen. Bei verehrten Damen und Herren, wir müssen ab Au- 1 Euro brutto mehr Lohn müssen in einem kleinen Fri- gust 2013 einen höheren Preis nehmen, weil wir einen seurbetrieb oder in einem kleinen Gastronomiebetrieb höheren Tariflohn zahlen. – Sie wissen, das geht in Stu- 4 000 Euro mehr Umsatz erzielt werden, damit diese Be- fen von 2013 über 2014 bis 2015 bis auf 8,50 Euro. Ich triebe eine schwarze Null schreiben. Das ist ganz ein- habe die Dame, während sie beschäftigt war, gefragt: fach: 1 Euro mehr Lohn für den Angestellten bedeutet Wie gehen denn die Kunden jetzt damit um? Sie hat mir 2 Euro Personalkosten für den Arbeitgeber. Das multi- zwei Antworten der Kunden genannt. Die erste war: pliziert mit 170 Stunden und zwölf Monaten ergibt diese Ach, wir wussten gar nicht, dass Sie weniger als Summe. So einfach ist die Rechnung. Wer hier so leicht- 7,50 Euro verdienen. – Die zweite Antwort der Kunden fertig über dieses Thema hinweggeht, dem rate ich drin- war: Wenn dieses Geld, das wir bezahlen, direkt in Ihre gend: Gehen Sie vor Ort und fragen Sie die Unternehme- Tasche geht, dann sind wir bereit, es zu zahlen. rinnen und Unternehmer. Manche, Frau Baerbock, (Beifall bei der SPD und der LINKEN) werden diese Kosten über eine Erhöhung der Preise nicht kompensieren können. Das wird nicht möglich Warum soll das nicht funktionieren? Oder umgekehrt: sein. Wo dann die Kosten eingespart werden, damit der Was haben Sie, Herr Rehberg, eigentlich für eine Idee, Betrieb weiterleben kann und Arbeitsplätze erhalten wenn immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird, werden können, weiß man nicht. Sich so einfach hier dass in Ostdeutschland die Dumpinglöhne beendet wer- vom Acker zu machen, das ist mir ein bisschen zu billig. den müssen und wir nicht mit niedrigen Löhnen in Ost- deutschland werben dürfen, wenn wir nicht auf diese Art (Beifall bei der CDU/CSU) und Weise eine Lohnuntergrenze einziehen und somit ein Netz schaffen? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Rehberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): (B) eine Bemerkung vom Kollegen Tiefensee? Ich bin immer sehr für soziale Netze, die engmaschig (D) sind; aber sie müssen natürlich auch verkraftbar sein. Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Ich komme Ihnen jetzt einmal mit einem anderen Bei- Immer. Gerne. spiel: Ein Gastronomieunternehmer mitten in Mecklen- burg – strukturell sehr schwach gelegen; Träger ist ein Wohlfahrtsverband; rund 30 Mitarbeiterinnen und Mitar- Vizepräsidentin Claudia Roth: beiter – muss allein für den Mindestlohn 25 000 Euro Bitte. aufwenden. Aber das ist ja noch nicht das Ende: Der Koch, der heute 8,70 Euro verdient, will 10,70 Euro be- Wolfgang Tiefensee (SPD): kommen; na klar. Dann kommen für diesen Unterneh- Herr Rehberg, die Frau Präsidentin hat schon mehr- mer noch 75 000 Euro an Lohnkosten dazu: Damit ihm fach darauf hingewiesen, dass der Mindestlohn ein das Sozialgefüge in seinem Betrieb nicht auseinander- Hauptthema ist. bricht, damit dort nicht Neid und Missgunst herrschen, müssen nämlich alle anderen Löhne an- und ausgegli- chen werden. Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Deswegen habe ich ihn zwei Minuten vor Ende mei- (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es!) ner Redezeit angesprochen. Insgesamt sind es rund 100 000 Euro Lohnkosten, die (Heiterkeit bei der CDU/CSU) durch mehr Umsatz ausgeglichen werden müssen. Wis- sen Sie, um wie viel der Umsatz eines solchen Unterneh- mens steigen muss? Um 20 Prozent. Wolfgang Tiefensee (SPD): Weil das so oft kommt, muss ich doch einmal darauf Noch einmal – damit ich hier nicht missverstanden reagieren. Ich will meine Frage an dem konkreten Bei- werde –: Ich stehe zu dem, was im Koalitionsvertrag spiel festmachen, das Sie gerade genannt haben. Wir steht. Ich wehre mich bloß gegen einseitige Betrachtun- beide haben eine ähnliche Frisur. gen, die so weit gehen, dass Gewerkschaftsvorsitzende sagen: Mir ist ganz egal, was aus den Arbeitsplätzen (Heiterkeit) wird. – Ich muss Ihnen sagen: Mir ist das gerade mit Blick auf mein strukturschwaches Heimatland, auf mei- Vizepräsidentin Claudia Roth: nen strukturschwachen Wahlkreis nicht egal. Ist das die Frage: Warum? (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1407

Eckhardt Rehberg (A) Kollege Bergner ist auf das Thema Rente schon ein- möchte ich zum Ausdruck bringen: Wir freuen uns riesig (C) gegangen. Man sollte darüber in aller Ruhe nachdenken. auf die Zusammenarbeit mit dir im neuen Amt. Ich finde, es ist eine eindimensionale Betrachtung, wenn hier nur von der Rentenangleichung geredet wird. Ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einheitliches Rentenrecht Ost und West bedeutet zwar der CDU/CSU) den gleichen Rentenwert, bedeutet aber auch, dass die Uns alle, die sich hier gerade in diesem Raum aufhal- Höherbewertung der Löhne automatisch wegfällt. ten, eint die Grundhaltung, dass auch 25 Jahre nach der (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nicht friedlichen Revolution die Frage der deutschen Einheit automatisch!) und des Aufbaus Ost nach wie vor ein wichtiges Thema ist. Dafür gibt es für mich zwei große Begründungs- – Natürlich. Welchem Lohnempfänger in Kiel, in Flens- stränge: burg oder in Lüneburg wollen Sie denn bitte klarmachen, Herr Kollege, dass zwar in ganz Deutschland der gleiche Der eine Begründungsstrang ist: Die innere Einheit ist Rentenwert gilt, dass sein Lohn nicht höher bewertet nach wie vor nicht vollendet. Ich bin über eine Forsa- wird, dass die Löhne der Menschen in den neuen Bun- Umfrage von Dezember letzten Jahres gestolpert. Darin desländern aber weiterhin höher bewertet werden? Das ist nach der Mauer in den Köpfen gefragt worden. kann man doch niemandem klarmachen. Entschuldigen 60 Prozent der Befragten sagten: Ja, es gibt die Mauer in Sie, bitte! den Köpfen noch. – Bei den Älteren ist diese Vorstellung noch stärker ausgeprägt. Aber auch von den Jüngeren, Ich bitte wirklich alle Kolleginnen und Kollegen ganz den 18- bis 29-Jährigen, sagt mehr als die Hälfte, dass da herzlich darum, zu bedenken – die Statistiken und Bilan- noch eine Mauer in den Köpfen und das Zusammen- zen können Sie gerne in meinem Büro anfordern –: Jeder wachsen eben noch nicht vollendet sei. Bruttolohn im Osten führt heute, wo die Durchschnitts- rente im Osten 91,5 Prozent der Durchschnittsrente im Deshalb ist es ganz besonders wichtig, dass wir nach Westen ausmacht, aufgrund der Höherbewertung dazu, wie vor eine Beauftragte für die neuen Länder haben. Es dass die Rentenanwartschaften im Osten höher als im gibt spezifisch ostdeutsche Themen, auf die man spezi- Westen sind. Und diesen Vorteil sollen wir Ostdeutschen fisch gucken muss. Es gibt spezifische Ungerechtigkei- uns leichtfertig nehmen lassen? ten, die wir angehen müssen. Es gibt auch einen ganz unterschiedlichen Erfahrungshintergrund, unterschiedli- Meine letzte Bemerkung an dieser Stelle. Schauen Sie che Kulturen und unterschiedliche Empfindungen. Des- sich einmal die Höherbewertungsfaktoren bei der Müt- halb ist es wichtig, dass wir die Beauftragte für die terrente aus den 1970er- und 1980er-Jahren an: Damals neuen Länder nach wie vor haben. (B) wurden die Lohnhöhen teilweise mit dem Faktor 3,3 (D) malgenommen. Jetzt schauen Sie sich einmal die Alters- Der zweite Punkt ist die Frage der Angleichung der armutsstatistiken in Ostdeutschland an: Strukturell gibt Lebensverhältnisse. Es ist eine der treibenden Fragen für es dort nur halb so viele Menschen in der Grundsiche- alle Menschen, die Politik machen, dass Menschen gleich- rung im Alter, also in der Altersarmut, wie in West- wertige Lebensverhältnisse vorfinden. An dem Punkt deutschland. Der Faktor „Höherbewertung der Löhne für wird klar, dass wir den Aufbau Ost weiterentwickeln die Rente“ hat mit dazu beigetragen, dass die Altersar- müssen, dass es nicht mehr darum geht, nach Himmels- mut im Osten nur halb so groß ist wie im Westen. richtung zu unterscheiden. Wir sehen dynamische Re- gionen in Ostdeutschland – Jena, Leipzig und andere –, Herzlichen Dank. wo es richtig brummt, aber auch solche Regionen, wo es (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. noch nicht so gut läuft. Wir sehen weiter, dass es auch in Wolfgang Tiefensee [SPD] – Matthias W. den sogenannten alten Bundesländern Regionen gibt, die Birkwald [DIE LINKE]: Warum wollen Sie sie Unterstützung brauchen. abschaffen?) Ich bin sehr froh, dass die jetzige Bundesregierung den ganzen Aufbau Ost zweigeteilt neu aufstellt. Es geht Vizepräsidentin Claudia Roth: darum, einerseits regionale Unterschiedlichkeiten zu se- Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in hen, andererseits aber auch spezifisch ostdeutsche The- dieser Debatte ist Daniela Kolbe für die SPD. men weiter auf der Agenda zu haben. Dafür steht Iris Gleicke ganz eindeutig. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Wir brauchen da eine andere Tonlage. Ich glaube, wir Kollegen! Zunächst einmal möchte auch ich meinen haben die auch. Es ist nicht mehr so, dass die Ostdeut- Dank an Herrn Dr. Bergner richten, der den „Jahresbe- schen die Schwächeren sind, diejenigen, die empfangen richt zum Stand der Deutschen Einheit 2013“, über den und die man belehrt, während die Westdeutschen die so- wir heute sprechen, erarbeitet hat. Ihn präsentiert hat al- lidarischen Geber sind, die alles besser wissen. Nein, es lerdings – das ist manchmal so im Leben – jemand an- hat sich verändert. Wir sind mittlerweile auf Augenhöhe. ders. Hier war es Iris Gleicke. Ich möchte an dieser Die innere Einheit kann auch nur dann wirklich gelin- Stelle Herzlichen Glückwunsch sagen. Für mich ganz gen, wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen. An vielen persönlich, aber auch für die gesamte SPD-Fraktion Stellen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass man 1408 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Daniela Kolbe (A) auch vom Osten lernen kann – Demografie, Städtebau, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) Kitas –, und das ist auch gut so. neten der SPD) Jetzt ist die Beauftragte für die neuen Länder im Wirt- schaftsministerium. Das ist in Ordnung. Aber es gibt na- Arnold Vaatz (CDU/CSU): türlich auch im Bereich Arbeit und Soziales viele The- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und men, die spezifisch für Ostdeutschland sind und die das Herren! Ich habe mir vorgenommen, am Ende der De- Gerechtigkeitsempfinden der Ostdeutschen nach wie vor batte ein paar zusammenfassende Bemerkungen zu ma- sehr stark beeinflussen. Der als zentral empfundene Un- chen. Trotzdem werde ich bei einem Punkt wahrschein- terschied bei der Gerechtigkeit wird im Rentensystem lich noch einmal ins Detail gehen müssen. gesehen. Das ist so. Wir haben jetzt schon viel darüber (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE gehört. GRÜNEN]: Vermutlich beim Mindestlohn!) Ich persönlich bin deshalb stolz, dass sich diese Bun- Erster Punkt. Herr Kühn, niemand in dieser Runde desregierung vorgenommen hat, die Rentensysteme in oder überhaupt hat behauptet, dass es in Ostdeutschland Ost und West anzugleichen. Ich bin stolz, weil das kom- nur blühende Landschaften gibt. Nur blühende Land- pliziert ist, weil das auch Geld kosten kann. Ich sage schaften gibt es in keinem Staat dieser Welt, nicht im aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koali- Westen und auch nicht im Osten. Aber zu bestreiten, tion: Das müssen wir jetzt wirklich umsetzen. Noch ein- dass es überhaupt solche gibt, halte ich für eine Unver- mal dürfen wir die Menschen in Ostdeutschland an die- schämtheit. ser Stelle nicht enttäuschen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall bei der SPD) Andrea Wicklein [SPD] – Stephan Kühn Da kommt kurz vor Ende der Redezeit natürlich noch [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: einmal der Mindestlohn ins Spiel. Das hat ja auch niemand behauptet, Herr Kol- lege Vaatz! Sie müssen schon richtig zuhö- (Heiterkeit – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das ren! – Gegenruf des Abg. Tankred Schipanski muss sein!) [CDU/CSU]: Das hat er gemacht, Herr Kühn! Sie müssen richtig sprechen!) – Das muss sein. – Ich habe genau zugehört. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich höre aus den verschiedenen Beiträgen heraus, Noch 30 Sekunden. (B) (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE (D) GRÜNEN]: Ach, Herr Vaatz, das ist doch al- Daniela Kolbe (SPD): bern!) Tatsächlich ist es so: Die Rentenlücke würde sich au- tomatisch schließen, dass sich die Kritik hauptsächlich auf die noch nicht ganz zustande gekommene Angleichung zwischen Ost (Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Sie und West konzentriert. Natürlich kann man eine solche würde kleiner werden!) Debatte zum Anlass nehmen, um darauf zu verweisen; wenn die Löhne in Ost und West gleich wären. Deswe- keine Frage. Allerdings sollte meines Erachtens die Be- gen ist es so wichtig, dass wir jetzt den Mindestlohn ein- wertung dieser Unterschiede weit weniger schwer wie- führen. Er wird einen Gutteil der Rentenangleichung in gen als die Beachtung dessen, was bis heute seit 25 Jah- Ost und West erledigen. Davon profitieren die Menschen ren geleistet worden ist. Das ist auch eine Frage der in Ostdeutschland, davon profitieren die Rentner, und Fairness gegenüber denjenigen, die das geleistet und die davon profitiert auch das Gerechtigkeitsempfinden in das ermöglicht haben. Ost und West. Ich habe eine jüngere Schwester, Ich hätte noch viel mehr zu sagen, aber ich weiß, wer (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mir im Rücken sitzt. Ich auch! – Jan Korte [DIE LINKE]: Habe ich auch!) (Heiterkeit) die, obwohl ich als Kind im Vergleich zu meinen Klas- Insofern bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit und senkameraden sehr klein war, immer wesentlich kleiner freue mich auf den nächsten Bericht zum Stand der als ich gewesen ist: als sie ein Jahr alt war, als sie fünf Deutschen Einheit. Jahre alt war, als sie sieben Jahre alt war. Das hing damit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zusammen, dass wir zu unterschiedlichen Zeiten gebo- ren sind. Vizepräsidentin Claudia Roth: Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Beide Ge- Vielen Dank, Frau Kollegin. Vielen Dank auch, dass sellschaften, die ostdeutsche wie die westdeutsche, die Sie Ihre Redezeit eingehalten haben. – Jetzt kommt der sich schon einen enormen Wohlstand erwirtschaftet Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion als hatte, wachsen natürlich weiter. Demzufolge sind natür- letzter Redner in dieser Debatte. lich auch solche Unterschiede noch weiter spürbar. Aber Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1409

Arnold Vaatz (A) von den jungen Demokratien, die 1990 sozusagen neu Ich glaube, dass der heutige Tag ein Anlass sein (C) geboren wurden, ist die ostdeutsche mit Abstand die sollte, die Leistung der ostdeutschen Länder in diesem wachstumsstärkste, die erfolgreichste, die beste und die Zusammenhang zu würdigen. Die ostdeutschen Länder stabilste. haben im letzten Haushaltsjahr 2013 nämlich durchweg Überschüsse erwirtschaftet. Das sollte man auch einmal (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sagen. Thüringen hat ein Plus von insgesamt über neten der SPD) 340 Millionen Euro erwirtschaftet, Sachsen von 820 Mil- Das müssen wir einmal anerkennen. lionen und Brandenburg von 700 Millionen. Dem gegen- über stehen die Bilanzen von zum Beispiel NRW mit mi- Im Übrigen ist es so, dass der Baum nicht schneller nus 2,5 Milliarden Euro, Rheinland-Pfalz mit minus wächst, wenn man an seinen Zweigen zieht. Auch das 550 Millionen Euro und Hamburg mit minus 600 Millio- muss man einmal klar sagen. nen Euro. Hier haben die ostdeutschen Länder Disziplin (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) gezeigt. Das sind politisch hart erkämpfte Zahlen. In dem Zusammenhang muss ich auch sagen – Herr Wir sollten bei der Neugestaltung des Länderfinanz- Claus, das ist das, was mir an Ihrer Partei immer so ausgleichs auf eine Sache achten: Ein Länderfinanzaus- missfällt –: Sie reden vom souveränen Staat. Damals war gleich darf nicht so aussehen, dass es den Ländern ge- der Souverän die Partei, nicht das Volk; das wissen Sie. stattet wird, sich an Verschuldung zu gewöhnen. Er muss Oder bestreiten Sie das? Reden wir also von einer souve- so gestaltet werden, dass der Anreiz erhalten bleibt, das- ränen Partei. Was haben Sie gemacht? Sie haben dieses selbe zu leisten wie die ostdeutschen Länder, die sich all- Land souverän in den Ruin geführt. mählich aus einer schwierigen Haushaltslage befreit ha- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – ben. Dabei sollten die Länder unsere Solidarität und Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Wohl wahr! – Unterstützung bekommen. Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist gar nicht (Beifall bei der CDU/CSU) wahr!) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zuletzt auf Sie und niemand anderes sind für den Abstand in der einen Punkt zu sprechen kommen, der mir ganz beson- Leistungsfähigkeit zwischen Ost und West verantwort- ders am Herzen liegt. Sie alle wissen, dass wir dieses lich, den wir bei der Wiedergeburt der Demokratie in Jahr den 25. Jahrestag der friedlichen Revolution bege- Ostdeutschland zu verzeichnen hatten. Das gehört zur hen. Das ist ein Grund, voller Dankbarkeit und auch mit Realität. Sie sollten so ehrlich sein, das einzugestehen. Stolz zurückzuschauen; das ist ganz klar. Dieses Datum (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE ist aber auch eine Verpflichtung, und zwar die Verpflich- (B) (D) LINKE]: Sie sind vor 20 Jahren hängen ge- tung, dass man zu derselben Solidarität, die man sich da- blieben!) mals untereinander gewährt, aber auch von außen emp- fangen hat, bereit ist, wenn andere in derselben Situation Jetzt will ich noch eine weitere Bemerkung zum sind. Das ist im Augenblick der Fall. Derzeit beobachten Thema Rente machen. Ich möchte nicht mehr ins Detail wir eine Auseinandersetzung, von der im Moment keiner gehen; dazu ist schon sehr viel gesagt worden. Herr in diesem Raum sagen kann, wie sie ausgehen wird. Wir Bartsch, der der Debatte leider nicht mehr beiwohnen hören täglich von Toten und Verletzten in der Ukraine, kann, hat gesagt, die Kinder seien uns in Ost und West hauptsächlich in Kiew. Wir wissen, dass dort Menschen unterschiedlich viel wert. Da liegt meines Erachtens ein erbittert um ihre Zukunft kämpfen. Es sind im Übrigen Grundmissverständnis vor. Die Rente ist keine Leistung auch Menschen, die sowohl unter den Gräueltaten, die für die Kinder, sondern die Leistung, die durch die Rente die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs dort be- bewertet wird, ist eine Leistung für die Mütter. Die Kin- gangen haben, als auch unter dem Holodomor in den der, die bis 1992 geboren wurden und für die es jetzt die Jahren 1932 bis 1933 gelitten haben. Während des Holo- Punkte gibt, domor kam es zur gezielten Entnahme der gesamten (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Einen Ernte dieser Jahre durch die damalige Sowjetregierung Punkt!) unter Stalin. Die Folge waren 3,5 Millionen Tote. Es ist selbstverständlich, dass daraus eine Angst davor erwach- sind genau diejenigen, die für diese Rente aufkommen, sen kann, was einem blüht, wenn man wieder über viele und nicht diejenigen, die nachträglich durch diese Rente Jahre völlig unter russischem Einfluss und unter russi- bewertet werden. Man sollte überhaupt keine Kinder scher Herrschaft steht. Ich werte das als eines der Motive durch Geld bewerten. dieser Auseinandersetzung und deren Schärfe. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, Deutschland ist wie kaum ein anderes Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen, der in Land aufgerufen, diese Lage zu erkennen und sich soli- dieser Debatte noch nicht so deutlich angesprochen wor- darisch zu zeigen. Das gilt aufgrund unserer Geschichte den ist. Wir haben ja sehr viel über das Thema Solidar- bis 1989 im Übrigen insbesondere für Ostdeutschland. pakt gehört. Wir wissen auch alle, dass wir vor schwieri- Ich will Ihnen Folgendes sagen – das ist jetzt möglicher- gen Verhandlungen stehen, was die Neuordnung der weise ein hartes Wort in Richtung Regierung; ich kann Bund-Länder-Finanzen in der nächsten Zeit betrifft. Wir Ihnen das aber nicht ersparen –: Ich bin sehr dankbar und müssen das in den Griff bekommen. Wir wissen, dass froh, dass die Ministerriege unter Beteiligung von Herrn der Solidarpakt im Jahr 2019 endet. Steinmeier hilft, die Gewaltexzesse einzudämmen. Wir 1410 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Arnold Vaatz (A) hoffen, dass das gelingt. Wir sollten jede Unterstützung Ausschuss für Wirtschaft und Energie (C) geben. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Ausschuss Digitale Agenda bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan GRÜNEN) Korte, Dr. Petra Sitte, Dr. André Hahn, weiterer Man muss aber auch sehen: Es ist inzwischen sehr Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE viel passiert. Ich will Ihnen berichten, was Vasil Maxi- Endgültig auf Vorratsdatenspeicherung ver- miv erleben musste. Er hat vorgestern eine Blendgranate zichten ins Gesicht bekommen, die ihm das Auge zerfetzt hat. Ein Krankenhaus war nicht in der Nähe, weshalb ihm Drucksache 18/302 das Auge ambulant entfernt werden musste, und zwar Überweisungsvorschlag: ohne Betäubung. Eine Nachsorge ist im Augenblick Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) nicht möglich. Allerdings hat man ihn aus der Gefahren- Innenausschuss zone herausgeholt. Ich würde sofort hinfliegen und wäre Ausschuss für Kultur und Medien bereit, die Flüge für ihn und mich aus eigener Tasche zu Ausschuss Digitale Agenda bezahlen, um ihn hierher zu holen, damit eine Nachsorge Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für für ihn sichergestellt wird. Ich bemühe mich derzeit die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- beim Auswärtigen Amt um ein Visum. Er bekommt aber nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. keines. Es ist auch niemand bereit, für die medizinischen Kosten aufzukommen. Das halte ich für inakzeptabel. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Dr. Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen. Ich möchte keine Visumsfreiheit für den gesamten Ostblock erreichen. Man muss doch aber in solchen Ausnahmesituationen in der Lage sein, schnell zu re- Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE agieren. Das war doch auch 1989 möglich. Damals wur- GRÜNEN): den wir von der westlichen Bevölkerung mit allen mög- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und lichen Materialien, die wir brauchten, ganz schnell Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben unterstützt. Erinnern wir uns an diese Zeit, und bemühen heute erneut einen Antrag zum Thema Vorratsdatenspei- wir uns – ohne jeden Vorwurf an die Agierenden –, für cherung eingebracht. Das Thema ist zu einer Kernfrage solche Situationen schnelle, unkomplizierte und unbüro- im Bereich der Bürgerrechte in der digitalen Welt ge- kratische Lösungen zu ermöglichen. Das ist ein Kernbe- worden. Uns ist wichtig, hier im Parlament noch einmal (B) standteil der Aussprache über den Stand der deutschen klarzustellen: Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Mittel (D) Einheit. der anlasslosen Massenüberwachung der Bürgerinnen und Bürger. Sie ist maßlos, sie ist weitestgehend nutzlos, Vielen Dank, meine Damen und Herren. und sie ist unverhältnismäßig. Wir lehnen sie daher ab. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Vaatz. Bedauerlicherweise steht sie nun im Koalitionsver- trag. Auch beim Justizminister gab es nur ein kurzes Ich schließe damit die Aussprache. Aufbäumen; inzwischen ist er eingeknickt und gehört zu Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf den Befürwortern. Ein kurzer bürgerrechtlicher Sturm Drucksache 18/107 an die in der Tagesordnung aufge- im Wasserglas, das war es bei der SPD. Man fragt sich: führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs- Wo ist die neue Bürgerrechts- und Internetpartei? antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/583 (Jan Korte [DIE LINKE]: Hier! – Gegenruf soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Druck- des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE sache 18/107 überwiesen werden. Sind Sie einverstan- GRÜNEN]: Ne, ne!) den? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Das alles machen Sie im Lichte des größten Überwa- chungs- und Geheimdienstskandals aller Zeiten, und das, Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b obwohl sich die SPD im Wahlkampf noch dafür aus- auf: sprach, die Vorratsdatenspeicherung im Zuge des NSA- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Skandals ganz neu zu bewerten. Das alles machen Sie Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Luise bis heute, obwohl der tatsächliche Nutzen einer Vorrats- Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak- datenspeicherung für die Strafverfolgungsbehörden nicht tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nachgewiesen werden konnte: weder von den deutschen Befürworterinnen und Befürwortern, die immer noch Vorratsdatenspeicherung verhindern – das werden wir gleich bestimmt wieder erleben – mit Drucksache 18/381 dem Einzelfall argumentieren – dem für den Gesetzge- ber denkbar ungünstigsten Argument –, noch die EU- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Kommission, die in einem jahrelangen Prozess versucht Innenausschuss hat, den empirischen Nutzen der Vorratsdatenspeiche- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1411

Dr. Konstantin von Notz (A) rung nachzuweisen. Alles ohne Erfolg. Deshalb sind das rade in Zeiten von Internet und Digitalisierung endlich (C) keine guten Argumente, meine Damen und Herren. effektive Instrumente in die Hand geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Die neh- und bei der LINKEN) men Sie ihnen doch gerade!) Ich sage Ihnen: Es wird Ihnen nicht gelingen, ein Ge- Eine Vorratsdatenspeicherung ist unverhältnismäßig und setz vorzulegen, das den extrem hohen verfassungsrecht- führt zu Aufklärungsquoten im Promillebereich. Damit lichen Hürden genügen wird. Karlsruhe warnt in seinem gehört sie eben nicht zu den effektiven Instrumenten. Urteil zur Vorratsdatenspeicherung zu Recht vor dem (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Aber ist diffusen Gefühl des Beobachtetseins, das durch die an- sie nicht effektiv?) lasslose Massenüberwachung entsteht. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts verwiesen kürzlich selbst da- Haben Sie sich einmal gefragt, Herr Sensburg, warum rauf, aus Angst vor Überwachung nicht mehr mit Elek- im Fall Edathy über ein Jahr lang nicht ermittelt wurde? tronik in Besprechungen zu gehen. Das muss man sich Haben Sie sich einmal in den Kellern der Staatsanwalt- einmal vorstellen. Das ist in einem Rechtsstaat völlig ab- schaften dieses Landes umgeschaut, wo sich die Compu- surd, meine Damen und Herren. ter und die Festplatten meterhoch stapeln, weil sie nicht kriminaltechnisch untersucht werden können? Nach jah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN relangen Diskussionen wissen wir doch heute, welche und bei der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜND- Stellschrauben wir drehen müssen: Wir brauchen eine NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht akzep- bessere personelle und technische Ausstattung, zum Bei- tierbar!) spiel Bilderkennungssoftware, wir brauchen Schwer- Richtig ist: Die Vorratsdatenspeicherung ist von punktstaatsanwaltschaften, wir brauchen eine Überprü- Karlsruhe nicht generell verfassungsrechtlich untersagt fung von Beförderungswegen in Behörden, und wir und ausgeschlossen worden; das behauptet auch keiner. brauchen eine weitere Verbesserung der Zusammenar- In seinem Urteil aber mahnt das Gericht eine Überwa- beit von Providern und Strafverfolgungsbehörden sowie chungsgesamtrechnung an, die man bei einem Eingriff im internationalen Bereich. mit dieser Streubreite immer mit berücksichtigen muss. Insofern sage ich Ihnen hier noch einmal in aller Damals erwähnten die Karlsruher Richterinnen und Deutlichkeit: Wir müssen gemeinsam intensiv prüfen, ob Richter in diesem Zusammenhang eine andere Vorrats- es nach den in den letzten Jahren, zuletzt im Jahr 2008, datenspeicherung: ELENA. Jetzt können wir uns hier vorgenommenen Strafrechtsverschärfungen Schutzlücken alle einmal gemeinsam ausmalen, wie diese Gesamt- im Bereich der kommerziellen Verbreitung solcher Fotos rechnung heute, im Lichte der Affäre um NSA, GCHQ (B) gibt. Aber wir müssen auch endlich jene Schritte ange- (D) und BND aussieht. Da sage ich Ihnen: Bon voyage bei hen, die ich angesprochen habe. Scheindiskussionen zur der Umsetzung einer neuen Vorratsdatenspeicherung! Vorratsdatenspeicherung zu führen, ist kein effektiver Viel Spaß bei den Verhandlungen in Karlsruhe, dem Schritt in die richtige Richtung. obersten deutschen Gericht, dessen Richterinnen und Richter aus Angst vor Überwachung nur noch Stift und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Papier in ihre Besprechungen mitnehmen! Viel Erfolg dabei! Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich sage Ihnen: Natürlich behalten wir uns vor, in die- Denken Sie an Ihre Redezeit? sem Fall erneut nach Karlsruhe zu ziehen. Ihre Argu- mentation, die wir auch heute hören werden – „Das ist Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE alles kein Problem, das setzen wir um, das ist keine GRÜNEN): Schwierigkeit“ –, haben wir bei jedem Sicherheitsgesetz, Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. das Sie in den letzten Jahren hier eingebracht haben, ge- hört, und fast immer mussten Sie sich vom obersten Für den notwendigen und effektiven Schutz von Kin- deutschen Gericht über die Verfassung belehren lassen. dern bedarf es einer Vielzahl von Maßnahmen, zu deren Umsetzung wir Sie seit Jahren auffordern. Der Aktions- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) plan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Ich sagen Ihnen: Ersparen Sie sich die erneute Schmach, sexueller Gewalt und Ausbeutung fristet ein Schattenda- Herr Kollege Heveling. Nehmen Sie Abstand von die- sein. Setzen Sie ihn endlich um! Auch die Umsetzung sem unverhältnismäßigen Mittel, und konzentrieren Sie der EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Miss- sich auf das, was wir effektiv, schnell und zuverlässig für brauchs und die Umsetzung der Lanzarote-Konvention die Kriminalitätsbekämpfung und für den Kinderschutz müssen schnellstmöglich erfolgen. Wir fordern Sie heute machen können. noch einmal auf: Arbeiten Sie mit uns gemeinsam an ef- fektiven Instrumenten! Nehmen Sie von der Vorratsda- (Zuruf des Abg. Armin Schuster [Weil am tenspeicherung Abstand! Holen Sie sich nicht eine neue Rhein] [CDU/CSU]) Ohrfeige in Karlsruhe ab! – Herr Schuster, jetzt kommt der interessante Teil. Ganz herzlichen Dank, meine Damen und Herren. Meine Damen und Herren, der Fall Edathy zeigt doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN klar: Wir müssen unseren Strafverfolgungsbehörden ge- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 1412 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (C) Danke schön, Herr Kollege. – Nächster Redner ist Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Volker Ullrich, Augsburg, für die CDU/CSU. GRÜNEN]: Umetikettierung! – Jan Korte [DIE LINKE]: Mann, Mann, Mann! Oje!) (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich folgendes Beispiel anführen. In Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Augsburg geschah vor knapp fünf Jahren ein grausamer Mord. Ein Familienvater wurde in seiner eigenen Woh- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und nung hinterrücks mit über 30 Messerstichen getötet. Die Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns ist die Kriminalpolizei tappte längere Zeit im Dunkeln. Erst Frage der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger keine durch die Funkzellenanalyse, die Auswertung der Ver- Scheindiskussion. Vielmehr nehmen wir die Probleme bindungsdaten der Handys rund um die Tatwohnung, ernst. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) GRÜNEN]: Die hat der Richter angeordnet!) Wenn man die Probleme ernst nimmt, dann verwechselt konnte geklärt werden, dass es sich um ein Mordkom- man keine Begrifflichkeiten und spielt nicht mit der plott handelte, hinter dem ein Bekannter der Familie und Sprache und mit der Angst – das habe ich letzte Woche die geschiedene Ehefrau steckten. Nur durch die Vorrats- ausgeführt –, wie Sie es heute wieder tun. datenspeicherung konnte der Mord aufgeklärt werden. Wenn Sie die Überwachung durch die NSA – die em- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE pörend ist und gegen die wir uns wenden – GRÜNEN]: Was erzählen Sie denn? Die gibt es doch gar nicht! – Katja Dörner [BÜND- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch GRÜNEN]: Ja! Tun Sie was dagegen! – Quatsch! Die gibt es doch gar nicht! – Katja Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ha- GRÜNEN]: Was tun Sie denn?) ben doch keine, oder?) im gleichen Atemzug mit der Vorratsdatenspeicherung Ich sage Ihnen offen und ehrlich: nennen, dann vermischen Sie wider besseres Wissen zwei Dinge, die nicht zusammengehören. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, bitte!) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin (B) von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Speicherung der Daten bringt dem kleinen Jungen (D) Beides sind anlassbezogene Massenspeiche- seinen Vater nicht zurück. Die Tat konnte dadurch auch rungen!) nicht verhindert werden. Aber der Strafanspruch des Rechtsstaates bei schwersten Vergehen gegen Leib und Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es nicht darum, Leben konnte in dem Zusammenhang gewährleistet wer- die Bevölkerung zu überwachen. den. Bei schwersten Straftaten sind wir verpflichtet, die (Jan Korte [DIE LINKE]: Nein, nein! – Hans- Mittel des Rechtsstaates effektiv einzusetzen. Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin NEN]: Sondern?) von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Wer das sagt, liegt falsch. Es geht darum, dass in unse- ist gut!) rem Staat die Daten, die bei den Internetprovidern und Das Gleiche gilt für den Bereich der Kinderpornogra- den Telefongesellschaften ohnehin gespeichert sind, fie. Wir haben uns in dieser Woche in diesem Hohen durch richterlichen Beschluss in begrenztem Umfang zur Haus über Strafbarkeitslücken unterhalten. Aufklärung von Straftaten gegen Leib und Leben und andere wichtige Rechtsgüter in unserem Staat genutzt (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE werden dürfen. GRÜNEN]: Wohl wahr!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Wir haben gemeinsam unserer Empörung darüber Aus- GRÜNEN]: Na ja! Wie zum Beispiel bei den druck verliehen, dass es Menschen gibt, die sich diese Mautgebühren!) widerwärtigen Bilder herunterladen, mit ihnen Handel treiben und so einen fortgesetzten Missbrauch von Kin- Da wir gerade über Begriffe sprechen: „Vorratsdaten- dern begehen. Der Rechtsstaat braucht hier die Möglich- speicherung“ ist nicht der richtige Begriff. keit, auf die entsprechenden Daten zurückzugreifen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Jan Korte [DIE LINKE]: Hat er die jetzt GRÜNEN]: Den benutzen Sie doch! Das ist nicht, oder was?) doch Ihr Begriff!) Wir nehmen die Bürgerrechte und die Freiheitsrechte Wir sollten lieber von einer privaten Vorsorgespeiche- sehr ernst. Aber rung sprechen, darüber, dass die Strafverfolgungsbehör- den damit, mit wenigen Ausnahmen, die gleiche Hand- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE habe wie die Feinde unserer Freiheit haben. GRÜNEN]: Aber was?) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1413

Dr. Volker Ullrich (A) es geht auch um die Balance zwischen Freiheit und Si- (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das ist das (C) cherheit. Die kann durch das dreimonatige Speichern Problem!) von Verbindungsdaten, ohne dass der Inhalt kontrolliert wird, gewährleistet werden. Wir brauchen eine einheitliche Regelung zur effektiven Bekämpfung schwerer Straftaten. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Christian Ströbele? neten der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thema ver- fehlt!) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Ja; das beginnt gut in dieser Wahlperiode. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts ernst nehmen. Lassen Sie uns gemeinsam eine verfassungs- Vizepräsidentin Claudia Roth: feste Ausgestaltung einer Vorsorgespeicherung von pri- Freuen Sie sich; es geht so weiter. vaten Daten angehen. Lassen Sie uns den Rahmen defi- (Heiterkeit) nieren, in dem die Strafverfolgungsbehörden darauf zugreifen können und in welchem der Datenschutz ge- Herr Ströbele. währleistet wird. Ich denke, das können wir in diesem Hause gemeinsam schaffen. Wir wollen die Bürger vor Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE Kriminalität, vor Gewalt schützen. Wir wollen die GRÜNEN): Feinde unserer Freiheit mit diesem Mittel verfolgen, um sie bestrafen zu können, und wir wollen die Freiheit der Danke, Herr Kollege; meine Zwischenfrage hilft hof- Bürger schützen. fentlich bei der Wahrheitsfindung. – Ich möchte auf das eben von Ihnen genannte Beispiel eingehen. Nehmen Sie Herzlichen Dank. bitte zur Kenntnis: Wenn das stimmt, was in der Zeitung steht, dann standen den Strafverfolgungsbehörden offen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sichtlich auch ohne Vorratsdatenspeicherung Daten aus neten der SPD) den Jahren 2005, 2006 und 2007 zur Verfügung; denn sonst gäbe es die ganze Aufregung über das laufende Vizepräsidentin Claudia Roth: Strafverfahren nicht. Danke Herr Kollege Ullrich. – Nächster Redner ist Jan Korte für die Linke. (B) Wofür brauchen Sie da noch die Vorratsdatenspeiche- (D) rung? Die Daten sind doch bei den Providern und bei (Beifall bei der LINKEN) den Firmen, die diese schrecklichen Sachen verkaufen, vorrätig und werden da auch bleiben, weil die Firmen sie Jan Korte (DIE LINKE): brauchen, um damit Geschäfte zu machen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Völlig un- Ich finde es sehr richtig, in diesem Zusammenhang auch einheitlich!) über die NSA-Affäre zu reden. Das hat nämlich sehr wohl etwas miteinander zu tun: Diejenigen, die die Vor- Wofür also brauchen Sie noch die Vorratsdatenspeiche- ratsdatenspeicherung befürworten, also Sie, haben im rung? Können Sie mir das erklären? Kern dasselbe Denken, nämlich dass der Zweck die Mit- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- tel heiligt. Das ist dasselbe Denken. Deswegen ist es SES 90/DIE GRÜNEN) richtig, das hier zu erwähnen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): NIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrter Herr Kollege, wären diese Bilder auf ei- Am 20. Juli 2013 schrieben Thomas Oppermann und nem deutschen Server, bei einer deutschen Firma gewe- Gesche Joost in der FA Z einen überraschenderweise ten- sen, hätten wir den Fall vielleicht gar nicht aufklären denziell schlauen Artikel. können. Es handelt sich um Daten einer kanadischen Firma, die durch eine Aktion der kanadischen Polizei ge- (Burkhard Lischka [SPD]: Immer schlau!) funden worden sind. Ich darf zitieren: (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Nach Prism und Tempora darf auch die EU-Richtli- GRÜNEN]: Da müssen Sie sich noch einmal nie über die Vorratsdatenspeicherung keinen Be- schlaumachen! – Jan Korte [DIE LINKE]: Die stand mehr haben. Die Richtlinie muss grundsätz- haben doch durchsucht!) lich überarbeitet und neu bewertet werden. Wir können die Aufklärung von Straftaten doch nicht Zitat Ende. Thomas Oppermann und Gesche Joost. von dem Zufall abhängig machen, ob der Provider die Daten nach sieben Tagen, nach zehn Tagen oder nach (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten drei Monaten löscht. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 1414 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Jan Korte (A) Wir erkennen an dem Datum das Kernproblem der (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sehr rich- (C) SPD: Das war vor der Wahl. Wir haben das Problem, tig!) dass die SPD, sobald sie mit der CDU koaliert – das gilt Es ist also wissenschaftlich belegt, dass keine Notwen- für den Bund und die Länder –, das Gegenteil von dem digkeit besteht, 300 Millionen bis 500 Millionen Daten- macht, was sie vorher gesagt hat. sätze pro Tag zu speichern. (Christian Flisek [SPD]: Das ist doch Unsinn!) Ohne die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen Das ist sehr bedauerlich, gerade in dieser Frage, liebe lag die Aufklärungsquote bei Missbrauchsdarstellungen Kolleginnen und Kollegen von der SPD. im Internet bei über 80 Prozent. Nach der Einführung der Vorratsdatenspeicherung war die Aufklärungsquote (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- de facto gleich hoch. Sie sank sogar ein Stück weit, weil NIS 90/DIE GRÜNEN) die Täter logischerweise zum Beispiel CDs auf dem Heute liegen zwei, wie ich finde, schlaue Anträge Postweg verschickten. Das heißt, auch in diesem sensi- zum Thema Vorratsdatenspeicherung vor, blen Bereich nutzt die Vorratsdatenspeicherung über- haupt nicht. (Burkhard Lischka [SPD]: Allenfalls tenden- ziell schlau!) Das alles sind Zahlen, die nicht von der Linken kom- men, sondern vom Max-Planck-Institut, vom BKA und die das Problem auf den Punkt bringen. Mit Blick auf anderen. Das müssen wir doch einmal zur Kenntnis neh- den EuGH will ich sagen: Nicht alles, was juristisch er- men, wenn wir sachlich darüber diskutieren wollen. laubt ist – das Urteil kennen wir noch nicht –, müssen wir hier politisch umsetzen. Darüber haben wir hier zu (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten diskutieren, und das haben wir hier zu entscheiden. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich fasse also zusammen: Es wäre erfreulich, wenn (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten sich einmal eine Bundesregierung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Was ist dabei nun das Problem? GRÜNEN]: Wo ist die denn?) Erstens – das ist hier schon gesagt worden – ist die in Europa an die Spitze stellen würde beim Schutz von Vorratsdatenspeicherung unverhältnismäßig, unbrauch- Grundrechten und beim Datenschutz. Eines will ich klar bar und im Übrigen eine Gefahr für die Pressefreiheit benennen – denn das ist die Kernfrage –: Wer die Spei- und die freie Kommunikation. Kurz: Das ist der Super- cherung von fast 500 Millionen Datensätzen pro Tag will (B) GAU für die freie Kommunikation, die die Grundlage und das auch noch für sinnvoll hält, geht in der Tat den (D) des demokratischen Rechtsstaates ist. Weg in den Überwachungsstaat und sollte zum Thema (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – NSA und zum Abhören eines Kanzlerhandys wirklich in Burkhard Lischka [SPD]: Es geht um Gewalt- Demut schweigen; das muss man so klar sagen. und Sexualdelikte!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Zum Zweiten. Die Vorratsdatenspeicherung – ich neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gebe zu, das ist ein sperriger Begriff; man sollte besser Es kann keine sichere exzessive Datensammelei ge- von der Totalprotokollierung des menschlichen Kommu- ben. Sie kann nur in einem Punkt sicher sein: indem man nikationsverhaltens sprechen, es sein lässt. Dazu fordern wir Sie auf. (Christian Flisek [SPD]: Es wird ja immer Schönen Dank. schöner! – Burkhard Lischka [SPD]: Oh, das ist noch sperriger und falsch! – Weitere Zurufe (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten von der CDU/CSU) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

weil das sachlich richtiger wäre – ermöglicht – das ist Vizepräsidentin Claudia Roth: das Kernproblem, um das es geht – den totalen Einblick Vielen Dank, Herr Kollege Korte. – Nächster Redner in die Persönlichkeit des Einzelnen, in sein Kommunika- ist Christian Flisek für die SPD. tionsverhalten, sein Bewegungsverhalten und vor allem seine sozialen Beziehungen. Kurz zusammengefasst: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Vorratsdatenspeicherung ermöglicht den gläsernen der CDU/CSU) Menschen. Das können wir doch alle nicht ernsthaft wollen. Christian Flisek (SPD): (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe NIS 90/DIE GRÜNEN) Kolleginnen und Kollegen! Die Vorratsdatenspeicherung stellt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts Drittens. Die kriminologische Abteilung des Max- einen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff Planck-Instituts hat deutlich nachgewiesen – ohne Wenn dar. Sie ist deswegen besonders schwerwiegend, weil der und Aber, ohne Interpretationsspielraum –, dass es seit Eingriff – ich zitiere hier das Gericht aus seiner Ent- dem Wegfall der Vorratsdatenspeicherung zu keinerlei scheidung im Jahre 2010 – mit einer Streubreite verbun- Schutzlücke gekommen ist. den ist, „wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1415

Christian Flisek (A) Das sind selbst für jemanden wie mich, der berufsbe- fest: Für Ihre beiden Anträge, die Sie heute hier einge- (C) dingt schon viele Entscheidungen des Bundesverfas- bracht haben, ist die Zeit noch nicht gekommen. sungsgerichts gelesen hat, durchaus beeindruckende (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Worte. Ich stelle diese Bewertung des Gerichts bewusst an den Anfang meiner Rede. Dieser Ausgangspunkt Sie können doch nicht allen Ernstes dem Bundesjustiz- sollte uns, bezogen auf die heutige Debatte, dazu ermah- minister dafür Beifall klatschen, dass er sich dem politi- nen, dass wir in dieser Frage nicht in politischen Aktio- schen Aktionismus des einen Teiles dieses Hauses er- nismus verfallen. folgreich widersetzt (Beifall bei der SPD) (Jan Korte [DIE LINKE]: Das hat er nur einen Tag gemacht!) Denn Aktionismus wird diesem Thema in keinster Weise gerecht. – ich finde im Übrigen, Sie klatschen da völlig zu Recht –, und gleichzeitig mit Ihren heutigen Anträgen zur Vor- Wir brauchen in dieser Debatte kein Gerede von Su- ratsdatenspeicherung denselben Aktionismus, den Sie pergrundrechten, die zum Glück nur scheinbar alle ande- zuvor kritisieren, wieder auf die Tagesordnung rufen. ren Freiheitsrechte niederwalzen, in Wirklichkeit aber nichts anderes sind als politische Etiketten. (Beifall bei der SPD) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Ich meine, das wird dieser Sache nicht gerecht. GRÜNEN]: Sehr gut! – Dr. Konstantin von Warum nehmen Sie sich nicht mit uns zusammen die Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!) Zeit, um erstens das anstehende Urteil des Europäischen Wir brauchen in dieser Debatte auch keine Abgesänge Gerichtshofes abzuwarten und es zweitens anschließend auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Ich sorgfältig auszuwerten? Wir sind natürlich ein souverä- sage das auch an die Kolleginnen und Kollegen von der nes Parlament. Diese Souveränität sollte uns aber nicht CSU gerichtet: Ich meine, wer das Grundrecht auf infor- daran hindern, auch vor den obersten Gerichten in Eu- mationelle Selbstbestimmung, eine der Säulen des ropa etwas Respekt zu haben, insbesondere dann, wenn Grundrechtsschutzes im Internet, als eine „Idylle aus ein anhängiges Verfahren, das in ganz Europa mit Span- vergangenen Zeiten“ bezeichnet, der entzieht den Bürge- nung erwartet wird, kurz vor dem Abschluss steht. rinnen und Bürgern jede Vertrauensgrundlage für ihre (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kommunikation im Internet. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kann nur sagen: Gemach! Manchmal kann auch Geduld (B) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der eine politische Tugend sein. Aktionismus ist es jeden- (D) LINKEN) falls nicht, insbesondere nicht in so grundlegenden Fra- gen. Es ist doch gerade unsere Aufgabe als Parlamentarier, hier im Deutschen Bundestag dafür zu sorgen, dass sol- Wir alle kennen die Schlussanträge des Generalan- che Freiheitsrechte auch in Zeiten weltweiter digitaler walts. Sie zeigen in eine klare Richtung. Es deutet viel Kommunikation vital bleiben, dass sie stark bleiben und darauf hin, dass die Richtlinie, so wie wir sie kennen, dass sie nicht mit, wie ich finde, unangemessenen Be- keinen Bestand haben wird. In welchem Umfang diese merkungen beerdigt werden. Richtlinie aber nach dem Urteil fortbesteht, ist völlig of- fen. Sollte das Gericht die Richtlinie vollständig kassie- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- ren, dann haben wir, zumindest nach meinem Verständ- Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nis, auch keine Umsetzungspflicht mehr. NEN]) (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Herr Maas Ich bin aus diesem Grunde auch sehr froh, dass der sieht das anders!) Bundesjustizminister eines deutlich gemacht hat: dass der Koalitionsvertrag zwar die Umsetzung der EU- Der Bundesjustizminister sprach in seinem Spiegel-In- Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorsieht, dass terview, Frau Kollegin, insofern sehr deutlich und zu wir aber gerade nicht, nur weil dies im Koalitionsvertrag Recht vom Wegfall der Geschäftsgrundlage; steht, hier in politischen Aktionismus verfallen, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der SPD) GRÜNEN]: Ja, darauf setzen wir! Da nehmen wir ihn beim Wort!) sondern jetzt nach Jahren der Debatte mit etwas Geduld die in Kürze anstehende Entscheidung des Europäischen ich empfehle es Ihnen zur Lektüre. Gerichtshofes abwarten werden. Dann aber – auch das müssen wir alle wissen – be- (Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE ginnt die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung in LINKE]) Deutschland und in Europa völlig neu. Sollte das Gericht die Richtlinie nur in Teilen, in einzelnen Punkten, kas- Aus ganz analogen Zeiten ist ein interessantes sieren, müssen all diese Punkte dann geklärt werden. Goethe-Zitat überliefert: „Wer das Recht hat und Ge- Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und den duld, für den kommt auch die Zeit.“ Meine Damen und Schlussanträgen wissen wir genau, welche Punkte be- Herren von der Opposition, damit steht für mich eines sonders im Feuer stehen: Es ist die unverhältnismäßige 1416 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Christian Flisek (A) Speicherdauer, es sind die unbestimmten Speicherzwe- Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Patrick (C) cke, es ist die Frage, wo die Daten gespeichert werden, Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion. und es ist die Frage, wie wir Geheimnisträger, etwa Ärzte, Rechtsanwälte und Seelsorger, besonders schüt- (Beifall bei der CDU/CSU) zen können. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine ganze Menge von Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Punkten!) Kollegen! Seit Jahren diskutieren wir über das Thema Vorratsdatenspeicherung. Was ich damit sagen will: Wir bekommen nach dem Ur- teil des Europäischen Gerichtshofes mit hoher Wahr- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE scheinlichkeit sehr schnell eine neue Debatte über die GRÜNEN]: Bis hierhin ist die Rede richtig! – Vorratsdatenspeicherung – aber eben erst nach dem Ur- Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt!) teil. Deswegen kommen Ihre Anträge, meine ich, völlig Es gibt eine Richtlinie aus dem Jahre 2006 und eine Um- zur Unzeit. setzungsfrist, die seit dem 15. März 2009 abgelaufen ist. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Aber es ist nichts in dieser Richtung passiert, zum Bei- abschließende Bemerkung machen. Die große strategi- spiel zum Schutz von Kindern, die von Kinderpornogra- sche Herausforderung in den nächsten Jahren wird sein, fie betroffen sind. dass wir auf der Basis unseres Grundrechtsverständnisses (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Standards für große Datenspeicherungen gleich welcher GRÜNEN]: Sie regieren seit acht Jahren!) Art hinbekommen müssen, sowohl für Datenspeicherun- gen auf der Grundlage staatlicher Befugnisnormen zur Heute bringen Sie Ihre beiden Anträge ein. Ich finde Strafverfolgung und Gefahrenabwehr als auch für die – das muss ich ganz ehrlich sagen –, das ist nicht kon- massenhaften Datenspeicherungen im E-Commerce und struktiv. bei sozialen Netzwerken. Für all diese Arten von Daten- speicherungen müssen wir Standards entwickeln, Stan- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE dards, die die Bürgerinnen und Bürger auf hohem Ni- GRÜNEN]: Völlig falsch!) veau schützen. Es wird nicht nur darum gehen, diese Sie gehen die Probleme nicht an. Standards in Deutschland oder in Europa zu verwirkli- chen, sondern – das ist meine feste Überzeugung – es (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE wird und muss strategisch auch darum gehen, den Weg GRÜNEN]: Sie regieren seit acht Jahren, Herr (B) für ein weltweites Datenschutzrecht freizumachen, für Sensburg! Das ist lächerlich!) (D) ein Datenschutzrecht auf völkerrechtlicher Ebene. Es geht um die schwersten Formen von Kriminalität, die Der kürzlich ausgeschiedene Bundesdatenschutzbe- hier vorzufinden sind. Aber Sie sagen aus ideologischer auftragte Peter Schaar stellte völlig zu Recht fest: „Da- Überzeugung: Nein, wir wollen nicht, dass die Verkehrs- tenschutz muss Völkerrecht werden.“ Nur so ist der Da- daten, um die es geht, gespeichert werden. – Es ist eben tenschutz auf Augenhöhe mit weltweit operierenden schon gesagt worden: Sie verwirren mit Begriffen. Sie digitalen Geschäftsmodellen und mit weltweit mobilen wollen Ängste schüren. Nutzern, aber auch mit weltweit operierenden Geheim- diensten. Bei dieser Entwicklung dürfen wir uns nicht in Es geht um einen ganz einfachen Sachverhalt. Ich er- die Schützengräben begeben, sondern wir müssen kon- kläre ihn Ihnen; denn die Frage des Kollegen Ströbele struktiv an der Entwicklung dieser Standards mitarbei- eben hat gezeigt, dass nicht einmal die Gesetze gelesen ten. Nur so können wir die Grundrechte der Bürgerinnen worden sind. Es geht darum, die Verkehrsdaten für einen und Bürger auf hohem Niveau schützen. Nur so wird das kurzen Zeitraum zu speichern; drei Monate sind in der Internet auf Dauer seine Vertrauensbasis erhalten kön- Diskussion. Denken Sie einmal fünfzehn, zwanzig Jahre nen. Die Umsetzung des anstehenden Urteils des EuGH zurück – das müsste Ihnen gelingen, Herr Ströbele –: Da kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Ich sage war es so, dass man auf der Einzelabrechnung sehen aber: Lassen Sie uns bis dahin erst einmal abwarten. konnte, welche Telefonnummern man gewählt hatte. Herzlichen Dank. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein ganz anderes Thema, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Sensburg!) der CDU/CSU) Genau darum geht es jetzt: dass man auch bei Flatrates noch nachvollziehen kann, mit wem jemand telefoniert Vizepräsidentin Claudia Roth: hat – wohlgemerkt: wenn schwerste Kriminalität im Das Haus sagt auch Ihnen herzlichen Dank und gratu- Raume steht. Sie wollen verwehren, liert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundes- tag. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Bundesverfassungsgericht (Beifall) verwehrt Ihnen das, Herr Sensburg! – Gegen- Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Einsatz für ruf des Abg. Dr. Stephan Harbarth [CDU/ die Bürgerrechte in unserem Land. CSU]: Das ist doch Quatsch!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1417

Dr. Patrick Sensburg (A) dass bei schweren Verbrechen retrograd ermittelt werden Die Vorratsdatenspeicherung ist ein intensiver Grund- (C) kann. Das halte ich nicht für besonders gut, meine Da- rechtseingriff – das ist richtig –; auf der anderen Seite men und Herren. stehen aber auch massive Grundrechtsverstöße. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Jan Korte [DIE LINKE]: Es geht um alle!) neten der SPD) Ich habe es in einer meiner letzten Reden zur Vorratsda- Herr Kollege von Notz, Sie erwähnen immer wieder tenspeicherung gesagt: Ihnen ist, glaube ich, nicht klar, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dieses Urteil dass es kein Grundrecht auf das Ansehen von kinderpor- ist lang; aber vielleicht haben Sie es in Gänze gelesen. nografischem Material im Internet gibt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Tat!) GRÜNEN]: Herr Sensburg!) Der Kollege Flisek hat gerade schon angesprochen, dass Das glauben Sie anscheinend, meine Damen und Herren. das Bundesverfassungsgericht dezidiert aufgeführt hat, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- unter welchen Voraussetzungen eine Vorratsdatenspei- neten der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Fin- cherung verfassungskonform ist: Das Vieraugenprinzip den Sie das eigentlich noch fair hier? Finden muss bei der Datenspeicherung berücksichtigt werden. Sie das akzeptabel, das hier vorzuwerfen? Das (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE ist doch echt der Hammer!) GRÜNEN]: Ja!) Das Grundrecht auf Schutz der Kinder überwiegt; es ist Die Daten müssen physisch getrennt werden von öffent- höher zu werten als das Recht auf informationelle lichen Netzwerken. Verschlüsselungstechnologien müs- Selbstbestimmung oder das Recht auf die Integrität von sen eingesetzt werden. Die Speicherung der Daten muss Computersystemen. Herr Korte, ich muss ganz ehrlich revisionssicher protokolliert werden. All das können Sie sagen: Die gespielte Empörung, die Sie eben an den Tag dem Urteil entnehmen. Unter dem Strich sagt das Bun- gelegt haben, sollten Sie einmal im Spiegel der tatsächli- desverfassungsgericht dann: Unter diesen Voraussetzun- chen Realität betrachten: Es geht um die Rechte von gen ist eine verfassungskonforme Vorratsdatenspeiche- Kindern, die tagtäglich im Internet missbraucht werden. rung möglich. (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Unabhängig vom europäischen Recht sollte man Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schon überlegen, ob es nicht eine Notwendigkeit ist, dass steht heute schon im Strafgesetzbuch! – Jan Korte [DIE LINKE]: Sie haben echt jedes Maß wir so ein Ermittlungsinstrument bekommen – noch ein- verloren! – Gegenruf des Abg. Alexander (B) mal: wenn es um schwerste Straftaten geht. (D) Hoffmann [CDU/CSU]: Das sagt der Rich- (Beifall bei der CDU/CSU) tige!) Herr Kollege von Notz, Sie kennen sich ja aus. Sie haben gerade erwähnt, dass die Justiz massenweise Fest- Vizepräsidentin Claudia Roth: platten zu sichten hat. Sie wissen doch auch – wir haben Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder es gerade gehört –, dass man Festplatten löschen oder -bemerkung von Dr. von Notz? physisch zerstören kann. Wir möchten Ermittlungsan- sätze haben, um zu erkennen, wo im Netz kommuniziert Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): worden ist, wann Täter mit mehreren SIM-Karten telefo- Sehr gerne. niert haben. Man kann heute, wenn ein Täter vor drei Wochen sein Netzwerk abtelefoniert hat, nicht mehr Vizepräsidentin Claudia Roth: nachvollziehen, mit wem er telefoniert hat. Danke schön. – Konstantin. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Das kann man Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE nachvollziehen!) GRÜNEN): Selbst wenn wir ganz klar wissen, dass der Täter Kin- Vielen Dank, Herr Kollege Sensburg, für die Mög- derpornografie oder organisierte Kriminalität begangen lichkeit der Zwischenfrage; dann muss ich gleich keine hat, könnten wir nicht mehr nachvollziehen, mit wem er Kurzintervention abgeben. telefoniert hat. Entscheidend ist: Es geht nicht um das Ich finde es immer gut, wenn man sportlich diskutiert Speichern von Inhalten, es geht um das Speichern der – ich bin ein totaler Freund davon –; aber das überschrei- Verkehrsdaten: Welche Telefonnummer hat er angerufen tet alle Grenzen. und zu welcher Zeit? Nur um diese Daten geht es. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Da muss ich ganz ehrlich sagen – auch an den Kolle- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gen Korte gewandt, der den Spruch „Der Zweck heiligt die Mittel“ bemüht hat –: Es geht um die Frage der Ver- Ich weise es für alle Beteiligten, die der Vorratsdaten- hältnismäßigkeit. speicherung kritisch gegenüberstehen, zurück, wenn Sie hier von einem Grundrecht auf das Betrachten von Kin- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE derpornografie sprechen. Ich rate Ihnen: Nehmen Sie das GRÜNEN]: Genau!) zurück. 1418 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Dr. Konstantin von Notz (A) Ich stelle Ihnen jetzt noch eine Frage. Die CDU/CSU Auf der anderen Seite stehen die Rechte, die wir schüt- (C) regiert seit acht Jahren. Sie haben recht: In dem Bereich, zen wollen. Das sind ganz wesentliche Rechte. Ich über den wir diskutieren, ist wenig passiert. Sie haben glaube, wir müssen jetzt nicht intensiver darüber disku- vor ein paar Jahren ein Gesetz eingebracht und hier mit tieren, wie massiv die Eingriffe in die Grundrechte von der gleichen Verve verteidigt. Wir haben Ihnen damals Kindern beispielsweise sind. abgeraten. Ihr Gesetz ist für verfassungswidrig erklärt worden. Jetzt gibt es ein echtes Problem – das teilen wir –: (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Sie haben acht Jahre lang nichts getan, und jetzt fixieren GRÜNEN]: Das bestreitet doch keiner! – Sie sich wieder auf einen Ansatz, mit dem Sie verfas- Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das bestrei- sungsrechtlich sehr dünnes Eis betreten. Wo sind Ihre tet doch niemand!) anderen Maßnahmen, um hier effektiv etwas zu tun? Seit Von daher müssen wir eine Verhältnismäßigkeitsab- acht Jahren tun Sie nichts. Das ist Ihre Verantwortung, wägung vornehmen. Hier habe ich betont, dass es selbst- die Verantwortung der Union und auch der Bundeskanz- verständlich kein entsprechendes Recht derjenigen gibt, lerin. die freies Internetsurfen ohne jede Regel fordern. Vielen Dank. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt keiner!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Deswegen frage ich mich, warum Sie im ersten Teil Ih- rer Zwischenfrage eine solche Bemerkung gemacht ha- Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): ben. Sie hätten mich unterstützen sollen. Herzlichen Dank, Herr Kollege von Notz. – Zum ers- (Beifall bei der CDU/CSU) ten Teil. Ich nehme selbstverständlich nicht zurück, dass es kein – – Zum zweiten Teil.

(Zuruf des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Vizepräsidentin Claudia Roth: Schröder) Gestatten Sie eine weitere Zwischenbemerkung oder Zwischenfrage? Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich darf bitten, dass die Regierungsbank zuhört, an- Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): statt zu kommentieren. – Bitte, Herr Kollege. Ich wollte noch den zweiten Teil beantworten. (B) (D) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich nehme selbstverständlich nicht zurück, dass es Ja, gut, aber ich frage schon einmal auf Vorrat: Ge- kein Recht auf das Betrachten von kinderpornografi- statten Sie danach eine Zwischenfrage vom Kollegen schem Material im Internet gibt. Ströbele? (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): wissen, was ich gesagt habe, Herr Sensburg!) Ich gestatte auch die Zwischenfrage vom Kollegen Ströbele und freue mich, dass er in den ersten Monaten Ganz im Gegenteil: Wenn wir Grundrechte abwägen – – dieser Wahlperiode schon mehr geredet hat als in der (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE letzten Wahlperiode. Das möchte ich gerne unterstützen. GRÜNEN]: Das ist eine solche Unverschämt- heit, Herr Sensburg! – Gegenruf von der CDU/ Vizepräsidentin Claudia Roth: CSU: Sie schweigen jetzt einmal!) Das wäre statistisch erst einmal zu überprüfen. – Jetzt bitte ich um den zweiten Teil Ihrer Antwort an den Kol- – Ich versuche, Ihre Frage zu beantworten, Herr Kollege legen von Notz. von Notz, und Sie haben genau danach gefragt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): GRÜNEN]: Wer hat denn gesagt, dass es das Ich habe in einer meiner letzten Reden zur Vorratsda- gibt?) tenspeicherung minutenlang die einzelnen Maßnahmen der Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode – Ich habe versucht, Ihnen darzulegen, dass wir bei aufgezählt, und es macht keinen großen Sinn, die De- Grundrechten eine Abwägung vornehmen müssen. Auf batte um die Vorratsdatenspeicherung wieder minuten- der einen Seite steht das Grundrecht, in das eingegriffen lang auf andere Themenkomplexe auszudehnen. wird; durch die Vorratsdatenspeicherung wird intensiv in Grundrechte eingegriffen. Lassen Sie uns doch – so hatte ich Ihre Rede eben verstanden, die ja eigentlich etwas versöhnlich war; so (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE kam es mir jedenfalls vor – GRÜNEN]: Sie haben das belehrend zur Linkspartei gesagt! Jetzt nehmen Sie das zu- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE rück!) GRÜNEN]: So ist es!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1419

Dr. Patrick Sensburg (A) gemeinsam Wege finden, wie wir Ermittlungsmöglich- lichsten Straftaten beschreibt, griffige Werkzeuge zur (C) keiten in einem vielleicht engen Korridor – wir haben ja Verfügung stehen. sogar einen Vorschlag gemacht; auch aus dem Land Nie- In allen Straftatbeständen drückt sich eine Grund- dersachsen gibt es einen Vorschlag – rechtsabwägung aus; das brauche ich an dieser Stelle (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE doch nicht akademisch auszuführen. Von daher gibt es GRÜNEN]: Von der SPD!) natürlich, um es noch einmal zu betonen, auf der einen Seite diejenigen Grundrechte, die uns die Freiheit ge- eröffnen und verfassungskonform gestalten können, so- währen, Daten sicher ins Internet einzustellen und das dass wir die Daten, die wir innerhalb dieses engen Korri- Internet mit einem guten Gefühl zu nutzen. Auf der an- dors gespeichert haben – ich habe zum Beispiel einen deren Seite gibt es die Beschränkung der Datenfreiheit. Vorschlag in Richtung Quick Freeze als Short Freeze ge- Deswegen kann es hinsichtlich der Sicherheit der eige- macht –, nutzen können. Vielleicht kommen wir hier nen Daten im Internet kein absolut geschütztes Recht ge- überein und finden bei dieser Ermittlungsmaßnahme ei- ben, dass die Daten nicht vom Staat zur Verhinderung nen gemeinsamen Weg; denn wir brauchen dies. von Straftaten abgerufen werden können. Gleichzeitig Kollege Ströbele, bitte, falls ich Ihnen jetzt das Wort sagen wir: Wir wollen die Grundrechte schützen. erteilen darf. Diese praktische Konkordanz, diese Verhältnismäßig- keit muss ich herstellen. Wenn Sie – wir beide scheinen Vizepräsidentin Claudia Roth: einer Meinung zu sein – diese abscheulichen Straftaten Sie tun das ja sowieso. – Ich gebe jetzt Herrn Ströbele auch als solche einstufen, dann müssen Sie den Polizei- das Wort. Bitte. und Strafverfolgungsbehörden das entsprechende Instru- ment an die Hand geben. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) GRÜNEN): Das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, wie sorg- Danke sehr. – Herr Kollege, ich mache noch einmal sam man damit umgehen muss, damit das Ganze verfas- den Versuch, dass Sie das zurücknehmen. sungskonform ist. Wenn Sie hier in Ihrer Rede in zwei Richtungen laut (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- in den Raum rufen, neten der SPD) (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Hat er nicht Abschließend: Wenn wir ehrlich sind, wissen wir gemacht!) (B) doch, wie viele Maßnahmen von Polizeibehörden es ge- (D) rade auch im Ausland gegeben hat, bei denen uns Daten- es gebe kein Grundrecht auf das Ansehen von Kin- sätze übergeben worden sind und wir keine Möglichkeit derpornografie im Internet, dann verstehen wir das so hatten, dazu rückwirkend Ermittlungsansätze in – anders kann man das nicht verstehen –, Deutschland zu finden, was in anderen Ländern möglich (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Jetzt unter- gewesen wäre. Unsere Nachbarstaaten sagen deshalb: stellen aber Sie!) Mit Deutschland ist es sehr schwer, in dieser Hinsicht zusammenzuarbeiten, weil dort auch bei schwerster Kri- dass entweder auf der einen Seite oder auf der anderen minalität keine Daten abgerufen werden können. Seite Personen sitzen, die ein solches Grundrecht für richtig halten. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben die besten Ergebnisse (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Nein, das bei der Strafverfolgung weltweit!) hat er nicht gemacht! – Gegenruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch, ge- Lassen Sie uns diesen Schwebezustand gemeinsam nau das hat er gemacht!) beenden. Ich glaube, daran sollten wir gemeinsam arbei- ten, damit wir hier verfassungskonform vorgehen, aber Haben Sie schon einmal zur Kenntnis genommen, auch ermöglichen, dass die Täter gefunden werden. dass im deutschen Strafgesetzbuch – nicht im Grundge- setz – ausdrücklich steht, dass das strafbar, also kein Danke schön. Grundrecht ist? Das ist und bleibt in Deutschland erheb- (Beifall bei der CDU/CSU) lich strafbar – auch mit Zustimmung der Grünen und wahrscheinlich auch der Linken. Das Ansehen von Kin- Vizepräsidentin Claudia Roth: derpornografie im Internet ist eben nicht zulässig und schon gar kein Grundrecht; das fällt unter das Strafrecht. Danke, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in der De- batte ist Christina Kampmann für die SPD.

Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD) Hier sind wir zu 100 Prozent deckungsgleich, Herr Kollege Ströbele. Das ist selbstverständlich. Gerade des- Christina Kampmann (SPD): wegen muss es doch unser aller Ansinnen sein, dass uns Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und bei Ermittlungen in Bezug auf einen zu Recht so hoch Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit mit Strafe bewehrten Straftatbestand, der die abscheu- vielen Jahren diskutieren wir die Richtlinie zur Vorrats- 1420 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Christina Kampmann (A) datenspeicherung: auf unterschiedlichen politischen Ebe- Sie noch einmal klar Stellung beziehen kön- (C) nen, unter Beleuchtung verschiedenster juristischer und nen!) technischer Facetten. Und das zu Recht: Handelt es sich doch bei der Vorratsdatenspeicherung um eines der kon- – Genau, danke. troversesten innenpolitischen Vorhaben der letzten Jahre. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Verabschiedet mit dem Ziel, die Möglichkeiten des digi- GRÜNEN]: Bitte!) talen Zeitalters zur besseren Bekämpfung von Kriminali- tät zu nutzen, war die Vorratsdatenspeicherung von An- Denn seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fang an höchst umstritten. 2010 darf in Deutschland keine Speicherung von Daten mehr stattfinden. Auf der einen Seite steht ein scheinbarer Sicherheits- gewinn, dessen Nachweis bis heute aussteht und der sich Das ist Politik ohne Ziel. Das ist Politik ohne Grund. deshalb in reiner Rhetorik zu erschöpfen scheint. Auf Das ist Politik, die reiner Polemik dient und die wir des- der anderen Seite steht die Freiheit der digitalen Kom- halb nicht mittragen werden, liebe Kolleginnen und Kol- munikation auf dem Spiel, die in einer Demokratie uner- legen. lässlich ist. Wer diese beiden Aspekte aber zum Anlass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nimmt, eine Balance zwischen Freiheits- und Sicher- der CDU/CSU) heitsrechten zu fordern, der liegt falsch. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Was?) Lieber Konstantin von Notz, hat sich nicht nur kurz aufgebäumt, sondern Heiko Maas hat An- Die elementaren Freiheitsrechte entziehen sich einer blo- fang des Jahres mehr als deutlich gemacht, dass er die ßen Abwägung mit sicherheitspolitischen Belangen, je- rechtlichen Bedenken zur Vorratsdatenspeicherung teilt denfalls dann, wenn ein Nachweis für einen Gewinn an und eine vollständige Negierung durch den Europäi- Sicherheit bis heute aussteht. schen Gerichtshof nicht für ausgeschlossen hält. Sonst (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da gibt es un- würden wir heute nämlich über ganz andere Probleme terschiedliche Sichtweisen, Frau Kollegin!) reden. Nicht die Freiheit bedarf deshalb der Rechtfertigung, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und hat dann sondern die Einschränkung selbiger durch die Richtlinie gesagt, er legt einen Gesetzentwurf vor!) zur Vorratsdatenspeicherung. – Jetzt warten Sie doch erst einmal ab! In Zeiten des internationalen Terrorismus muss der Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, dass Heiko Staat aber auch seiner Schutzfunktion nachkommen, (B) Maas die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (D) ohne dass diese zum Selbstzweck wird. Einschränkun- abwarten wird und damit einer endgültigen juristischen gen von Freiheitsrechten können dabei notwendig wer- Beurteilung den Vorrang vor einem mit heißer Nadel ge- den, müssen aber strengen Kriterien unterliegen. Aus strickten Entwurf gibt. den genannten Gründen finde ich es gut und richtig, dass wir es uns mit der Vorratsdatenspeicherung nicht so ein- (Beifall bei der SPD) fach machen. Heiko Maas hat gesagt – das hat mein Kollege eben auch (Beifall bei der SPD) schon angesprochen –, er wird die Entscheidung des Eu- ropäischen Gerichtshofs respektieren. Ich finde, das be- Es ist richtig und wichtig, dass wir diese über all die darf erst einmal keiner weiteren Interpretation. Jahre so intensiv diskutieren. Aber ich sage auch: Selten war diese Diskussion so (Beifall bei der SPD – Halina Wawzyniak entbehrlich wie heute. In ein paar Wochen wird der Eu- [DIE LINKE]: Bravo! Dann soll er den Ent- ropäische Gerichtshof über die Rechtskonformität der wurf vorlegen!) Vorratsdatenspeicherung entscheiden. Wie Grüne und Ganz persönlich teile ich Ihre Auffassung im Übri- Linke erfreulicherweise erkannt haben, folgt der EuGH gen. Eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Vor- in den meisten Fällen dem Schlussantrag des Generalan- ratsdatenspeicherung kann es meiner Meinung nach des- walts, der bereits massive Bedenken hinsichtlich der halb nicht geben, weil diese in ihrem Kern bereits Grundrechtskonformität und Ausgestaltung der Richtli- verfassungswidrig ist. nie geäußert hat. (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat das Verfas- Wenn Sie also Ihrer eigenen Argumentation folgen sungsgericht nicht gesagt!) und in der Konsequenz an die Grundrechtswidrigkeit der Vorratsdatenspeicherung glauben, bezüglich derer ich – Das hat das Verfassungsgericht nicht gesagt. Deshalb Ihre Bedenken im Übrigen vollkommen teile: Weshalb entscheidet der Europäische Gerichtshof jetzt auch noch stellen Sie dann ein paar Wochen vor Verkündung des einmal darüber. Das sagte ich ja gerade. Urteils einen Antrag auf Verhinderung der Vorratsdaten- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten speicherung, der zum jetzigen Zeitpunkt genauso anlass- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – los ist wie die Vorratsdatenspeicherung selbst? Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von GRÜNEN]: So ist das! – Zuruf des Abg. Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit Steffen Kampeter [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1421

Christina Kampmann (A) Weil ich mir der Begründetheit der verfassungsrecht- nem Anschluss und damit einer Person zugeordnet wer- (C) lichen Bedenken genauso sicher bin wie Sie, den, (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Sind Sie (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Ganz ge- Juristin?) nau!) vertraue ich auch auf das juristische Urteil des Gerichts, da die Internetprovider nicht zum Speichern der Daten das genau das in diesem Frühjahr zu entscheiden hat. verpflichtet sind. Die Daten werden in der Regel sofort Danke schön. oder nach 10, 15, 30 oder 100 Tagen gelöscht. Die Er- mittlungen gegen die Personen, die über das Internet die- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ses widerliche Material bezogen haben, laufen ohne Vor- der CDU/CSU) ratsdatenspeicherung ins Leere. Eine Zahl hierzu. Nach internen Erhebungen des Vizepräsidentin Petra Pau: BKA wurden zwischen März 2010 – das war der Monat, Das Wort hat der Kollege Marian Wendt für die CDU/ in dem das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdaten- CSU-Fraktion. speicherung zunächst gestoppt hatte – und April 2011 (Beifall bei der CDU/CSU) 5 100 Fälle von Internetkriminalität registriert. 4 300 Fälle davon konnten aufgrund nicht vorhandener Daten nicht zurückverfolgt werden. Es konnte also über Marian Wendt (CDU/CSU): 80 Prozent der Fälle nicht nachgegangen werden. Viele Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Straftaten konnten nicht aufgeklärt werden. Herren! Wir führen die Debatte zur Vorratsdatenspeiche- rung schon seit einigen Jahren und sehr intensiv. Wir (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Täterschutz! – dürfen wohl erst einmal alle feststellen – das hat auch Clemens Binninger [CDU/CSU]: Schlimm!) das Bundesverfassungsgericht getan –, dass die Vorrats- Das liegt nicht in unserem Interesse. Wir sollten jeden datenspeicherung nicht per se verfassungswidrig ist. einzelnen Straftäter verfolgen können. Darin sollten wir (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) uns alle einig sein. Das schreiben auch die Grünen und die Linken in ihrem (Beifall bei der CDU/CSU) Antrag. Deswegen werden wir alsbald einen Gesetzent- wurf vorlegen, der mit der freiheitlich-demokratischen Zum zweiten Punkt, zur Rolle der Linksfraktion in Grundordnung in diesem Land vereinbar ist. der heutigen Debatte. Im Antrag der Linken werden (B) mehrfach die Wichtigkeit der Bürgerrechte und die Frei- (D) (Beifall bei der CDU/CSU) heit der Bürgerinnern und Bürger betont. Ich darf als Mitglied des Innenausschusses auf zwei (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Punkte eingehen: zum einen die Bedeutung der Vorrats- datenspeicherung für die strafrechtlichen Ermittlungen Ich darf zitieren: und zum anderen die Rolle der Linksfraktion in der heu- Die Vorratsdatenspeicherung bedeutet aber Totalre- tigen Debatte. gistrierung und ebnet den Weg zum Überwachungs- Zum ersten Punkt. Es steht fest: Ohne die Vorratsda- staat und zum gläsernen Bürger. Sie ist einer Demo- tenspeicherung können weniger Straftaten aufgeklärt kratie nicht würdig. werden. Das belegen zahlreiche Daten des Bundeskrimi- nalamtes oder des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Auch das Beispiel Internetkriminalität zeigt dies auf Meine Damen und Herren, diese gerade zitierten Aus- traurige Weise. sagen sind nicht nur inhaltlich falsch – das haben meine Wie schon am Mittwoch sprechen wir heute Nachmit- Vorredner bereits belegt –, aus Ihrem Mund sind sie auch tag im Innenausschuss ausführlich über den Fall Edathy, absolut unglaubwürdig. Das möchte ich ausdrücklich aber vor allen Dingen auch über den Kinderpornoring, hervorheben. der in Kanada aufgeflogen ist. Durch die kanadischen (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter Behörden wurden uns 450 Gigabyte an Daten übersandt, [CDU/CSU]: Sehr wahr! – Matthias W. darunter das widerliche Beweismaterial von Bildern und Birkwald [DIE LINKE]: Sie kennen die Ge- Videos nackter Kinder, aber auch die IP-Adressen der schichte von Saulus und Paulus?) deutschen Kunden des kanadischen Unternehmens. Ein Beispiel. Den Antrag der Linken haben unter an- Dabei gab es auch Personen, die ausschließlich an- derem Dr. Petra Sitte, Dr. André Hahn und Frau Steinke onym über das Internet bestellt haben, ohne Lieferad- unterzeichnet. Frau Sitte war Mitglied der SED seit resse, Rechnungsadresse oder Bestelladresse. Über die 1981; Herr Hahn trat 1985 der SED bei; Frau Steinke Komplexität der verschiedenen Adressen wurden wir am war seit 1981 in der SED. Alle drei Herrschaften waren Mittwoch ausführlich und auf interessante Weise infor- also in der SED aktiv. miert. Diese Personen können von den deutschen Straf- verfolgungsbehörden nicht zurückverfolgt werden. Denn (Jan Korte [DIE LINKE]: Fragen Sie einmal deren IP-Adressen können in Deutschland nicht mehr ei- Ihre Blockflötenkumpels! Ihre Kanzlerin!) 1422 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Marian Wendt (A) Wir alle wissen doch, wer staatstragend in der DDR war, arbeitung der eigenen Vergangenheit gegeben hat bis hin (C) nämlich die Partei SED und nicht die Regierung. zu Beschlüssen zur Offenlegung der eigenen Biografie? (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wow!) LINKE]: Ich war in einem katholischen Kin- dergarten, nicht in der FDJ!) Können und wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir uns mit unserer Vergangenheit um unserer selbst willen Gerade die SED in der DDR war ein Garant für den tota- auseinandergesetzt haben, während Sie Mitglieder der litären Überwachungsstaat und den gläsernen Bürger. SED, Mitglieder der Blockparteien in Ihren Reihen ha- Das sollten Sie hier berücksichtigen. ben und deren unrechtmäßig erworbenes Geld? Sie als SED-Nachfolgepartei hofieren die ehemaligen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und Stasimitarbeiter, so wie das im letzten Sommer durch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Steinke geschehen ist. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Haben Sie Marian Wendt (CDU/CSU): auch noch Argumente?) Frau Kollegin, ich nehme das alles, was Sie gesagt haben, zur Kenntnis. Sie selbst waren aktiver Teil des Überwachungsstaates. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das Thema ist Vorrats- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ich? – Jan datenspeicherung! – Weiterer Zuruf von der Korte [DIE LINKE]: Ich?) SPD: Worüber reden wir eigentlich?) – „Sie“ kleingeschrieben. Ich frage nach den Folgen. Es sind lediglich Krokodils- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Danke!) tränen vergossen worden; Sie müssen Ihre Geschichte aufklären. Solange Sie das (Beifall bei der CDU/CSU) nicht gemacht haben, sollten Sie – – denn die ehemaligen SED-Aktiven und -Vorderen, die (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir den Staat getragen haben, sind heute noch aktiv und en- können aus unserer Geschichte lernen! Sie of- gagiert in Ihrer Partei. Auf Parteitagsbeschlüsse müssten fensichtlich nicht!) strikte personelle Konsequenzen folgen. Auch stellt sich die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. – Dann lernen Sie doch daraus! Deswegen ist das – ich darf zusammenfassen – ziemlich (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald unglaubwürdig. (B) [DIE LINKE]: Haben wir doch!) (D) Ich bin Christ und glaube an das Gute im Menschen. Wenn Sie aus Ihrer Geschichte gelernt haben, dann frage ich mich, wo das deutliche Bekenntnis zur Verur- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das teilung der Geschichte bleibt. Wieso werden Sie noch merkt man!) immer vom Verfassungsschutz kontrolliert? Wieso set- Deswegen hoffe ich, dass Sie in den nächsten Jahren zen Sie nicht aktiv den undemokratischen Kräften in Ih- doch noch zu der Einsicht kommen, dass Konsequenzen rer Partei entschlossen etwas entgegen? gezogen werden müssen. Um die Debatte vielleicht zu beenden, Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Wendt, möchten Sie die Gelegenheit nutzen (Jan Korte [DIE LINKE]: Sie haben angefan- und Ihre Redezeit verlängern, indem Sie auf eine Frage gen!) oder Bemerkung der Kollegin Wawzyniak reagieren? Ansonsten ist Ihre Redezeit abgelaufen. sollten wir schnellstens den Entwurf eines Gesetzes erar- beiten, das den unbefriedigenden Zustand beendet, dass Kinderpornografie im Internet nicht verfolgt werden Marian Wendt (CDU/CSU): kann. Die Koalition wird dazu einen entsprechenden Ge- Ja, bitte. setzentwurf vorlegen. Wir wollen die Opfer schützen, die Täter überführen und die Verfassung schützen. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Vielen Dank. Herr Wendt, können und wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass es auf dem Sonderparteitag, auf dem es um (Beifall bei der CDU/CSU) die Umbenennung der SED in SED-PDS ging, eine Ent- schuldigung gegeben hat? Vizepräsidentin Petra Pau: (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das reicht Ich schließe die Aussprache. ja dann! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Von der Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf CDU nicht!) den Drucksachen 18/381 und 18/302 an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Können und wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass es Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind eine umfassende und lang andauernde Debatte zur Auf- die Überweisungen so beschlossen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1423

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: lität des Service das A und O. Wer ansprechende Leis- (C) tungen haben will, muss auch entsprechend zahlen. Mit Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns setzt die richts des Ausschusses für Tourismus (20. Aus- Bundesregierung eine unterste Haltelinie fest. Aber die schuss) zu der Unterrichtung durch die Bundes- Tarifparteien, Arbeitgeber und Gewerkschaften, müssen regierung zu angemessenen Abschlüssen in dieser Branche kom- Tourismuspolitischer Bericht der Bundesre- men, auch um die Attraktivität der Arbeit für Fachkräfte gierung in der Tourismuswirtschaft zu steigern. Dabei geht es – 17. Legislaturperiode – nicht nur um die Entlohnung, sondern auch um Arbeits- bedingungen, Urlaubsansprüche und Überstunden; das Drucksachen 17/13674, 18/605 ist gerade in der Tourismuswirtschaft ganz besonders Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion wichtig. Die Linke und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Der zweite Schwerpunkt ist die Digitalisierung. Die die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft verän- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. dert auch das Reisen. Der Gast von heute surft vorab im Internet, bucht Tickets, Hotels und Mietwagen online Ich eröffne die Aussprache und gebe der Parlamenta- und orientiert sich während des Urlaubs mit verschiede- rischen Staatssekretärin Iris Gleicke das Wort. nen Reise-Apps. Zum Schluss gibt er noch eine Bewer- tung über das Erlebte ab, die für alle potenziellen Kun- Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- den nachlesbar und sichtbar ist. Die Großen der minister für Wirtschaft und Energie und Beauftragte der Branchen machen da längst mit, aber viele kleine Be- Bundesregierung für Tourismus: triebe der Tourismuswirtschaft können mit dieser rasan- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ten technischen, aber auch sozialen Entwicklung noch Ich freue mich sehr, heute erstmalig als Tourismusbeauf- nicht Schritt halten. Ihnen müssen wir helfen, damit sie tragte das Wort in diesem Hohen Hause ergreifen zu dür- sich in der digitalen Welt besser zurechtfinden, weil sie fen. Genauso wie die ostdeutschen Bundesländer, über sonst auf der Strecke bleiben. Es ist mir auch als Mittel- die wir heute Morgen geredet haben, braucht der Touris- standsbeauftragte der Bundesregierung sehr wichtig, mus eine engagierte Stimme in der Bundespolitik. Diese dass wir hierauf ein großes Augenmerk richten. Rolle möchte ich gerne übernehmen. (B) Den dritten Schwerpunkt werde ich auf die Entwick- (D) Der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung lung des Tourismus im ländlichen Raum legen. Von dem aus der 17. Legislaturperiode, über den wir heute noch Tourismusboom in Deutschland mit immer neuen Re- einmal diskutieren, zeigt eindrucksvoll, welche Wirt- kordmarken in den letzten Jahren profitieren die ländli- schaftskraft der Tourismus entfaltet. Das Wort „Touris- chen Räume noch nicht wirklich. Wir haben das im Tou- mus“ kommt immer ein bisschen leicht daher. Man rismusausschuss besprochen. Dabei kann gerade der denkt an Sommer, Sonne, Strand und Cocktails. Wer ver- Tourismus Arbeitsplätze und Einkommen in die nicht mutet schon, dass im Jahr rund 280 Milliarden Euro zwingend, aber meistens strukturschwachen Regionen Konsumausgaben in Deutschland dahinterstehen? bringen. Hier sehe ich ein großes Potenzial, das es zu 2,9 Millionen Menschen sind in diesem Dienstleistungs- nutzen gilt, auch wenn der Bund – das muss man zuge- sektor beschäftigt. ben – beim Thema Tourismus zunächst nur in der zwei- Ich möchte neben den vielfältigen tourismuspoliti- ten Reihe sitzt. schen Themen, die es zu bearbeiten gilt, drei Schwer- Deshalb ist mir ein konstruktiver Dialog mit den Län- punkte setzen. Mein erster Schwerpunkt sind die Ar- dern ein besonders großes Anliegen. Ich bin mir sicher, beits- und Ausbildungsbedingungen. Die Sorgen der dass wir gemeinsam viel Sinnvolles bewegen können. Branche über einen zunehmenden Mangel an Fachkräf- Ich weiß um starke Partnerinnen und Partner. Sie alle, ten sind sicherlich berechtigt. Aber hier müssen sich Ho- die Kolleginnen und Kollegen vornehmlich des Touris- tellerie und Gastronomie fragen lassen, was sie selbst musausschusses des Deutschen Bundestages – ich fand zur Schaffung attraktiverer Arbeitsbedingungen beitra- unsere Debatte diese Woche sehr interessant –, aber auch gen können. Frau Ludwig, ich habe heute Morgen Ihre die Kolleginnen und Kollegen des Wirtschaftsausschus- Pressemitteilung gelesen. Hier sind wir in vielem de- ses zeigen ein großes Interesse. Auf die Diskussionen ckungsgleich: Die Branche muss ihr – so sage ich mal – freue ich mich. Schmuddelimage ablegen, damit junge Leute die Chan- cen ergreifen, die der Tourismusbereich bietet, und dort Die große Bandbreite an tourismuspolitischen The- eine Lehre anfangen. men spiegeln auch Ihre Anträge, die Anträge der Frak- tionen und die Beschlussempfehlungen wider. Ich fasse (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie das als vielfältigen Impuls und Input auf, wofür ich mich bei Abgeordneten der LINKEN und des an dieser Stelle ganz herzlich bedanke. Ich werde mich BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bemühen, der Interessenvielfalt gerecht zu werden. Etwas anderes gehört aber auch dazu: In einem Gleichzeitig ist es aus meiner Sicht wichtig, Schwer- Dienstleistungsgewerbe wie dem Tourismus ist die Qua- punkte zu setzen. Ich glaube, es herrscht auch darüber 1424 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke (A) Konsens; denn auch das spiegelt sich in Ihren Anträgen dersetzen. Ich kann Ihnen sagen, dass das auch wirklich (C) wider. dringend notwendig ist. In diesem Sinne freue ich mich auf eine vertrauens- (Beifall bei der LINKEN) volle, eine offene und eine gute Zusammenarbeit und be- danke mich für die Aufmerksamkeit. Wenn es etwas gibt, was die Region Mecklenburg- Vorpommern und auch meine Heimatinsel Rügen kenn- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie zeichnet, dann das, dass dort alle Entwicklungen auf bei Abgeordneten der LINKEN und des dem Arbeitskräftemarkt wie mit einem Brennglas vor- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) weggenommen werden; man erkennt sehr früh Tenden- zen. Wir haben es sehr stark mit der Alterung in unserer Vizepräsidentin Petra Pau: Bevölkerung zu tun. Wir haben sehr stark damit zu tun, Das Wort hat die Kollegin Kerstin Kassner für die dass wir nur wenige Wirtschaftsbranchen haben. Bei uns Fraktion Die Linke. konzentriert sich alles auf den Tourismus und die Land- wirtschaft; viel mehr ist da nicht. (Beifall bei der LINKEN) Dann macht es mir wirklich großes Kopfzerbrechen, Kerstin Kassner (DIE LINKE): dass es freie Stellen für Köche und Hotelangestellte gibt, dass es aber eben auch sehr viele gibt, die arbeitslos Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen sind. Dazu muss ich Ihnen sagen: Dafür gibt es ganz ob- und Kollegen! Werte Gäste! Letzteres ganz besonders; jektive Gründe: Man muss einen Beruf im Tourismus denn das sind wir als Touristiker den Gästen schuldig. wirklich lieben und mit seiner ganzen Persönlichkeit Ich habe die Zeit im Herbst und im Winter des ver- ausgestalten. Wenn sich andere erholen, es sich gemüt- gangenen Jahres, als wir noch nicht in den Ausschüssen lich machen, dann arbeiten die Touristiker. Das machen tagten, genutzt, um mich eingehend mit diesem Bericht sehr viele sehr gern; schließlich macht es auch Spaß. Da vertraut zu machen. Ich habe darin viel Wissenswertes kommt auch etwas zurück. und Interessantes gelesen, aber ich habe auch einige Stellen vermisst, wo ich gerne weitere Impulse gesetzt Aber man muss es auch können. Man muss in der hätte. Aber vielleicht liegt das genau daran, wie es die Lage sein, seine familiären Anforderungen mit den be- Parlamentarische Staatssekretärin sagte, dass wir unter- ruflichen Herausforderungen in Übereinstimmung zu schiedliche Sichtweisen auf die Dinge haben. Vielleicht bringen. Man muss bereit sein, Überstunden auf sich zu liegt gerade darin für uns die Chance, mehr für den Tou- nehmen. Unter Umständen muss man bereit sein, nur im Sommer zu arbeiten und im Winter zu Hause zu sein. (B) rismus, der bekanntlich kein politisches Schlachtfeld (D) sein darf, zu machen und positive Entwicklungen in die- Das ist nicht einfach. Es ist auch nicht einfach, nach der ser Legislaturperiode voranzutreiben. Saisonarbeit, also zu Beginn des Winters, zum Arbeits- amt zu gehen. Mir fehlen Impulse und Möglichkeiten, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wie man den betroffenen Menschen noch stärker helfen neten der SPD) kann. Dass sich das lohnt, zeigen die einschlägigen Zahlen (Beifall bei der LINKEN) in diesem Bericht. Der direkte Umsatz beträgt 97 Mil- liarden Euro, fast 220 Milliarden Euro werden durch den Es gab bei uns beispielsweise die sogenannten Winter- Tourismus generiert, die Zahl der Beschäftigten ist hoch. akademien. So etwas wäre eine Möglichkeit, wo man an- Das sind Gründe, für die es sich lohnt, konsequent am setzen könnte. Thema zu bleiben. Der zweite Punkt, der mir wichtig ist, sind die Kin- Es tauchen aber immer wieder Situationen auf, die der- und Jugendreisen. Hier gibt es noch ein unendliches zeigen, dass man den Tourismus behüten muss. Ich Feld, das man bestellen kann. Wir alle erinnern uns an selbst habe das während meiner Tätigkeit als Landrätin unsere Klassenfahrten. Das waren wirklich schöne Er- erlebt. Wir hatten einmal ein Naturereignis, und von ei- lebnisse. Solche Reisen leisten aber auch etwas für die nem Tag zum anderen schwiegen die Telefone und wur- Bildung. Man lernt andere Länder, andere Kulturen ken- den Buchungen storniert. Das war eine ernsthafte Bedro- nen. Das macht einen wirklich zum Weltbürger, und am hung einer ganzen Region, das kann ich Ihnen sagen. Ende sieht man auch die eigene Heimat, das eigene Zu- Wir mussten viel für unser Image tun, um das wieder hause mit ganz anderen Augen. Auch das tut gut. auszubügeln. Daran arbeiten wir eigentlich heute noch. Aber das hat uns auch ein Stück weit zusammenge- (Beifall bei der LINKEN) schweißt. Der dritte Punkt, der mir wichtig ist – wir haben es Ich möchte heute auf drei Punkte eingehen, die mei- mitbekommen; es ist ein ressortübergreifendes Thema; ner Fraktion und mir besonders am Herzen liegen. Der es lohnt sich, von allen Seiten daran zu arbeiten –: Wir erste Punkt betrifft – den haben auch Sie genannt – die wünschen uns, dass es direkt im Bundeskanzleramt ei- Frage der Arbeitskräfte. Uns wird im Mai ein Bericht nen verantwortlichen Koordinator gibt, der diese Dinge vorgelegt, in dem eine Bewertung des Arbeitsmarktes miteinander vernetzt, der daran arbeitet, dass alle Res- und eine Arbeitskräfteanalyse vorgenommen werden. sorts nicht aneinander vorbei-, sondern gemeinsam in Wir werden uns damit sicherlich sehr intensiv auseinan- diese Richtung wirken. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1425

Kerstin Kassner (A) Ich denke, es lohnt sich, dafür zu streiten. Wir stehen gefächertes Angebot auch für die Menschen verfügen, (C) bereit. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Tou- die sich für Kultur interessieren. rismusausschuss, aber natürlich auch auf die Zusammen- Wir haben bei den Geschäftsreisen stark zugelegt. arbeit mit vielen Verbänden sowie vielen Betroffenen Auch das ist etwas, worauf wir stolz sein können. aus den Regionen und den Bereichen der Wirtschaft. Dagegen bleibt die Zahl der inländischen Touristen Vielen Dank. nahezu gleich. Auch das ist relativ logisch. Der Deutsche (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- macht zwar nach wie vor sehr gern Urlaub, aber er neten der SPD und des Abg. Markus Tressel macht halt kürzer Urlaub. Darunter „leiden“ wir – das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sage ich in Anführungszeichen – hier in Deutschland. Aber, wie gesagt, der Zuspruch von ausländischen Gäs- Vizepräsidentin Petra Pau: ten ist nach wie vor hoch, und er steigt immer weiter. Kollegin Kassner, das war Ihre erste Rede im Deut- Dass die Tourismusbranche ein knallharter Wirt- schen Bundestag. Ich möchte auf § 33 unserer Ge- schaftszweig ist, konnten wir bereits den Worten der schäftsordnung aufmerksam machen; denn Sie haben Staatssekretärin entnehmen. Was die Konsumausgaben diesen Paragrafen hier gerade in vorbildlicher Weise an- angeht: 280 Milliarden Euro allein aus der Tourismus- gewendet. Er lautet: branche in Deutschland, das ist richtig viel. Deswegen Die Redner sprechen grundsätzlich in freiem Vor- ist es natürlich gut, dass wir dem Wirtschaftsministerium trag. Sie können hierbei Aufzeichnungen benutzen. zugeordnet sind. Dass wir eine Staatssekretärin haben, die Mittelstand und Tourismus in ihrem Amt sozusagen Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem gelungenen ersten vereint, ist auch gut. Klar ist aber: Wir dürfen die ande- Auftritt hier im Deutschen Bundestag! ren Ministerien, die für uns mindestens genauso zustän- dig sind, nicht aus der Verantwortung entlassen; denn (Beifall) Tourismus ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Häuser Das Wort hat die Kollegin Daniela Ludwig für die betrifft. CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Beifall bei der CDU/CSU) bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Daniela Ludwig (CDU/CSU): Ich bin sehr froh, dass wir den Tourismuspolitischen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bericht der letzten Bundesregierung sozusagen als Vehi- (B) Frau Kollegin Kassner, auch vonseiten meiner Fraktion kel benutzen, um heute im Plenum eine Art Auftaktdis- (D) einen herzlichen Glückwunsch. Wir wissen alle: Die kussion zu diesem wichtigen Thema zu führen. Natür- erste Rede ist ein ganz besonderer Anlass. Ich glaube, es lich wissen wir: Tourismus ist eigentlich Ländersache ist schön, wenn man sie in so einem konsensualen Um- – das merkt man dem Bericht auch an – und wird ent- feld halten kann. Ich kann mich erinnern: Meine erste sprechend unterschiedlich ausgestaltet. Ich sage meinen Rede fand in einem strittigen Umfeld statt. Aber da lernt tourismuspolitischen Kollegen immer sehr selbstbe- man dann auch so einiges; da muss man eben durch. In wusst: Es mag schon sein, dass per se die Zuständigkeit diesem Sinne herzlichen Glückwunsch auch von unserer für den Tourismus bei euch liegt; die Zuständigkeit für Seite. die Rahmenbedingungen liegt aber bei uns. – Umso mehr müssen wir im Bund darauf schauen, dass die Rah- Wir haben natürlich echte Fachleute aus den Arbeits- menbedingungen auch passen – für alle die, die hier Ur- gruppen unter uns. Echte Fachleute sitzen heute aber laub machen wollen, für alle die, die im Tourismus ar- auch auf der Tribüne. Es ist eine ganze Reihe von Tou- beiten, aber auch für alle die, die gegebenenfalls noch im rismusstudenten heute im Deutschen Bundestag. Herz- Bereich Tourismus tätig werden wollen. lich willkommen! Schön, dass Sie sich die Zeit nehmen. Ich hoffe, Sie lernen hier ein bisschen etwas, und wir ler- Wir haben uns im Koalitionsvertrag, der nicht viel nen im Gespräch mit Ihnen sicherlich auch noch so eini- zum Tourismus enthält, in einem, wie ich finde, wichti- ges. Schön, dass Sie da sind! gen Satz Folgendes vorgenommen: Die Gemeinschafts- aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs- (Beifall) tenschutzes“ soll zur Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Tourismus in Deutschland und auch Urlaub in Entwicklung“ werden. Da sehen wir schon, wohin diese Deutschland, das ist bekanntermaßen eine Erfolgsge- Koalition will. Ich habe den Eindruck, dahin wollen wir schichte. Gerade auch die Zahlen der letzten zwei Jahre alle gemeinsam. belegen dies in aller Deutlichkeit. Die Zahl der Über- Bei aller Beliebtheit unserer Städte und bei aller Be- nachtungen von ausländischen Gästen hat sich 2013 liebtheit unserer Kulturziele – wir müssen den ländli- überproportional erhöht; es gab einen Zuwachs um fast chen Raum massiv pushen, und zwar in alle Richtungen. 7 Prozent, worauf wir, glaube ich, sehr stolz sein kön- nen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stefan Zierke [SPD]) Deutschland ist zudem Kulturreiseziel Nummer eins – ein Etikett, das man uns nicht automatisch zuschreiben Hier liegt großes Potenzial. Wenn wir die Gäste schon würde, woran man aber erkennt, dass wir über ein breit- dahaben, müssen wir ihnen vermitteln: Es geht auch jen- 1426 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Daniela Ludwig (A) seits von Berlin, Hamburg, München – Sie verzeihen mir kehrsträger. Da gibt es massiven Nachholbedarf, insbe- (C) diese Aufzählung; das soll keine Prioritätenfolge sein – sondere im Bereich des Bahn- und des Luftverkehrs. Es noch weiter. Schaut darüber hinaus! – Die DZT macht ist auch wichtig, dass die Hotels und die Destinationen einen riesig guten Job, wird es aber nicht allein schaffen für dieses Thema sensibilisiert werden. Da geht es nicht können. nur um Menschen mit Behinderung, sondern auch um unsere Senioren und um Familien, die mit dem Kinder- Nun zum Stichwort „Breitbandversorgung“; das ist wagen durch die Gegend fahren müssen und die sich schon genannt worden. Die Breitbandversorgung ist eine auch nicht über Stufen freuen, über die sie in den Speise- Art der Erschließung, die für den ländlichen Raum wich- saal fallen. tig ist, sowohl für den, der hinfährt – er möchte nicht off- line sein –, wie auch für den Gastgeber, der gefunden Das alles sind Dinge, bei denen eine Sensibilisierung werden möchte und alles tut, um in der Google-Liste notwendig ist. Dahinter steht auch ein kräftiger Investi- nach oben zu kommen. Das schafft der aber nicht ganz tionsschub. Diesen gilt es von unserer Seite zu unterstüt- allein; da wird er unsere Unterstützung brauchen. Des- zen, wo wir es können. Ich freue mich sehr auf die Zu- wegen: Die Breitbandversorgung ist ganz wichtig. sammenarbeit mit Ihnen allen. Ich finde, bisher hat sie großen Spaß gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE]) Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank. Die zweite Art der Erschließung kennen wir alle. Tou- rismusregionen müssen gut erreichbar sein – mit den un- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) terschiedlichsten Verkehrsträgern: mit dem ÖPNV, mit Fernbussen, mit der Deutschen Bahn natürlich, mit dem Vizepräsidentin Petra Pau: Pkw natürlich auch, mit dem Flugzeug selbstverständ- Das Wort hat der Kollege Markus Tressel für die lich. Das muss gegeben sein, sodass der Tourist den Ein- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. druck hat: Ich komme bequem dahin, wohin ich gern möchte, auch wenn das jenseits der Ballungszentren Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): liegt. – Dafür haben wir in der Verkehrspolitik eine hohe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verantwortung, die wir durch eine sehr intensive Diskus- Die Zahlen sind genannt worden. Sie sind sehr imposant. sion über diesen Bericht im Verkehrsausschuss in dieser Es gibt fast 2,9 Millionen Menschen in Deutschland, die Woche bereits, glaube ich, sehr gut herausgestellt haben. im Tourismusbereich Arbeit finden. Der Anteil des Tou- Zu den Arbeitsbedingungen ist sehr vieles, sehr Rich- rismus an der gesamten Bruttowertschöpfung beträgt (B) tiges gesagt worden; das will ich nicht wiederholen. Wir 10 Prozent. Das ist sehr ordentlich. Der vorliegende (D) haben bis auf wenige Nuancen einen sehr hohen Kon- Tourismusbericht der Bundesregierung hat deutlich ge- sens, wenn es darum geht, zu sagen: Der Tourismus ist macht: Der Tourismus ist ein ernst zu nehmender Wirt- eine Superbranche. Es lohnt sich, über eine Ausbildung schaftsfaktor in diesem Land. Das gilt es zu sichern. Das dort nachzudenken. Es muss aber auch ordentlich be- gilt es aber auch weiterzuentwickeln. zahlt werden. Es muss ordentliche Arbeitsbedingungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geben. Diejenigen, die Dienstleistungen im Tourismus in Anspruch nehmen, müssen diese auch zu schätzen wis- Liebe Frau Staatssekretärin Gleicke, Sie haben ja nun sen. die undankbare Aufgabe übernommen, hier einen Be- richt zu verteidigen, für den Sie nicht verantwortlich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie sind; denn er ist die Bilanz der letzten vier Jahre einer bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Regierungskoalition, die es nicht mehr gibt. Aber Sie GRÜNEN) tragen jetzt zusammen mit dem Parlament Verantwor- Sie müssen wissen: Es stecken jede Menge Herzblut tung dafür, dass in diesem Land in der Tourismuspolitik und Anstrengung dahinter, ein Hotel zu betreiben, eine etwas vorangeht. Gaststätte zu betreiben. Das kann eben nicht jeder. Das Wir müssen die Zukunft jetzt gestalten, aber – das ist können nur diejenigen, die ordentlich ausgebildet sind. wichtig; darüber dürfen die guten Zahlen nicht hinweg- Ich bringe es einmal auf den Punkt: Wir wollen bitte täuschen – wir stehen auch vor großen Herausforderun- auch nur von solchen bewirtet werden. Es gibt genü- gen. Einige sind ja vorhin bereits genannt worden. Es ist gend, die das können. Die müssen wir auch weiterhin nicht nur der Klimawandel, auf den ich explizit hinwei- unterstützen. Auch hier können wir über das Berufsbil- sen möchte, der althergebrachte Urlaubsmodelle infrage dungsgesetz – so viel zur Kompetenz – einiges von Bun- stellt. Wir haben ja in den vergangenen Jahren bei Über- desseite tun. schwemmungen, bei denen auch Tourismusgebiete be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- troffen waren, immer wieder gesehen, dass man das neten der SPD) Thema des Klimawandels hier konkret angehen muss. Dazu kommen der demographische Wandel, die Finanz- Eine letzte Anmerkung sei mir noch gestattet, weil krise, ein verändertes Konsum- und damit auch verän- mich das Thema Barrierefreiheit persönlich sehr um- dertes Buchungsverhalten, steigende Ansprüche der treibt. Wir waren in dieser Woche bei der NatKo und ha- Kunden an Unterkünfte und Infrastruktur und nicht zu- ben uns „Tourismus für Alle“ zu Gemüte geführt. Auch letzt das starke Gefälle der Tourismusintensität zwischen das ist ein wichtiger Punkt, beispielsweise für die Ver- Stadt und Land. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1427

Markus Tressel (A) Ich möchte einmal exemplarisch mehrere Punkte nen- nachtungskapazitäten hier sind. Das ist ein riesiges (C) nen, bei denen es dringenden Handlungsbedarf gibt. Da Delta, das wir schließen müssen. steht ein Thema, das Sie freundlicherweise angespro- chen haben, auch bei uns ganz oben auf der Agenda. Ich Es gibt eine Untersuchung der Hochschule München, freue mich darüber, dass Sie es zu Ihrem Schwerpunkt die zeigt: Von 100 umgesetzten Euro bleiben nur rund machen wollen. Das ist das Thema der Arbeitskräfte und 36 Euro in der Region. An dieser Stelle müssen wir an- der Ausbildungsbedingungen. setzen. Wir müssen regionale Wirtschaftskreisläufe schließen. Deswegen hoffe ich, dass die Große Koalition Wir haben im letzten Jahr im Ausschuss gehört, dass auch dafür sorgt, dass das begonnene Projekt „Touris- von den rund 2,9 Millionen Beschäftigungsverhältnissen musperspektiven in ländlichen Räumen“ – ein positiver in der engeren Tourismusbranche nur die Hälfte sozial- Ansatz aus der letzten Wahlperiode – nicht einfach in der versicherungspflichtig sind. Das ist ein Riesenproblem. Schublade verschwindet, sondern weitergeführt wird; Das müssen wir angehen. Ich glaube, dass wir da mit eventuell auch mit Modellregionen. dem Mindestlohn alleine nicht überall weiterkommen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden. Es hängt auch mit den Ausbildungsbedingungen zusammen, dass die Berufe der Tourismusbranche in den Es gibt viele Themen. Sie haben die Weiterentwick- Beliebtheitsrankings immer auf den letzten Plätzen ran- lung der GAK zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Ländli- gieren. Ohne Fachkräfte kein qualitativ hochwertiger che Räume“ angesprochen. Diese befürworte ich außer- Tourismus; das muss uns klar sein. Deswegen erwarte ordentlich. Wir haben ein großes Problem beim ich ein schnelles und zielgerichtetes Handeln seitens der Sanierungsstau. Der Mittelstand im Bereich des Touris- Bundesregierung. Sie haben das angekündigt, Frau mus hat ein ganz großes Problem mit der Finanzierung, Gleicke. Ich bin sehr gespannt und freue mich, dass Sie weil es dort nur eine ganz niedrige Eigenkapitalquote das angehen wollen. gibt. Ich glaube, dass wir gemeinsam eine Strategie ent- wickeln müssen. Ich reiche Ihnen dafür heute die Hand (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und biete unsere Zusammenarbeit an. Ich denke, es ist aller Mühen wert, den Tourismus in Deutschland weiter Ein anderer Punkt ist die Verkehrsinfrastruktur. Frau voranzubringen. Wir brauchen hier gute Strukturen. Wir Kollegin Ludwig hat sie angesprochen. Diese muss können Ihnen nur sagen: Wir sind bereit, uns dabei zu künftig wegen des demografischen und klimatischen engagieren. Es gibt einen Konsens; das haben wir heute Wandels anders gestaltet werden. Es muss uns klar sein: gehört. Ich hoffe, dass wir ihn in der kommenden Wahl- Nur dort, wo die Menschen auch ohne Auto gut hinkom- periode auch in konkrete Taten umsetzen. men und wo sie während des Urlaubs auch ohne Auto (B) mobil sein können, kann ein nachhaltiger Tourismus Vielen Dank. (D) wachsen. Das hat auch etwas mit Klimaschutz zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir wissen: Im Tourismus entsteht bei der An- und Ab- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der reise ein Großteil des ökologischen Fußabdrucks. Es gibt SPD und der LINKEN) auch Urlaubsregionen, die unter der Zunahme und der Abhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr lei- den. Umso schlimmer ist es – deshalb die Kritik an die- Vizepräsidentin Petra Pau: ser Stelle –, dass im Tourismuspolitischen Bericht der Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig für die Bundesregierung der vergangenen Wahlperiode nur Unionsfraktion. ganze zwei Sätze zum Thema Klima und Verkehr stehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Da muss mehr Fleisch an den Knochen, und zwar drin- gend. Klaus Brähmig (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Kollegen! Gestatten Sie mir, einleitend ein Dankeschön für den vorliegenden Tourismusbericht an unseren ehe- Wir wissen, dass eine intakte Umwelt die Grundlage maligen Kollegen zu richten. Er hat jeder Tourismusdestination ist. Ihr Erhalt muss deshalb diesen Bericht als Beauftragter der Bundesregierung für die Maxime des politischen Handelns sein, nicht zuletzt Mittelstand und Tourismus vorbereitet und größtenteils aufgrund ökologischer Erwägungen. Auch wenn man zu verantworten. Persönlich freue ich mich jetzt auf die keine Affinität zur Ökologie hat: Aus ökonomischen Zusammenarbeit mit seiner Nachfolgerin, unserer Kol- Gründen ist es wichtig, die Grundlage in den Tourismus- legin Iris Gleicke, die sich bereits sehr engagiert im destinationen zu erhalten, und diese Grundlage ist eine Tourismusausschuss vorgestellt hat. Heike Brehmer intakte Umwelt. wünsche ich ebenfalls viel Erfolg bei ihrer verantwor- tungsvollen Arbeit als Vorsitzende des Tourismusaus- Sie haben gesagt, dass wir die regionalen Wirtschafts- schusses. strukturen durch den Tourismus nachhaltig verbessern müssen. Ich freue mich sehr, dass an dieser Stelle Kon- Der Wirtschaftszweig Tourismus ist es wert, dass wir sens herrscht. Sie haben vorhin beschrieben, dass es da uns für ihn einsetzen. Er erwirtschaftet mit 97 Milliarden ein Gefälle gibt. Das ist noch untertrieben. Lediglich Euro einen direkten Anteil von 4,4 Prozent an der ge- 12 Prozent der touristischen Wertschöpfung werden auf samten Bruttowertschöpfung unserer Volkswirtschaft. dem Land generiert, obwohl fast 32 Prozent der Über- 2,9 Millionen Erwerbstätige sind direkt in der Touris- 1428 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Klaus Brähmig (A) musbranche beschäftigt. Das sind 7 Prozent aller Er- unhaltbaren Kirchturmpolitik, die hier immer noch be- (C) werbstätigen unseres Landes. So konnte Deutschland trieben wird. bereits zum vierten Mal in Folge einen Übernachtungs- rekord aufstellen. Nahezu 411 Millionen Übernachtun- Die Bündelung der Kräfte ist auch bei Investitionen gen wurden gezählt. Entscheidend für dieses Wachstum der Kommunen in die touristische Infrastruktur eine war die zunehmende Zahl von Übernachtungen auslän- Hauptaufgabe. Damit die Region attraktiv bleibt, müssen discher Gäste. Wir verzeichnen 71,6 Millionen Nächti- sich Städte und Gemeinden gemeinsam eine Entwick- gungen. lungsstrategie überlegen; denn eine hohe touristische At- traktivität und Investitionen in die Tourismusbranche Man muss einmal ganz deutlich auf die Ursache für kommen in nicht unerheblichem Maße der einheimi- diese positive Entwicklung hinweisen. Die Fußballwelt- schen Bevölkerung und anderen Wirtschaftszweigen zu- meisterschaft 2006 war der Durchbruch beim Auslands- gute. Investitionen in diesem Sektor tragen vielfach zu tourismus für das Reiseland Deutschland. Seit 2006 sind spürbaren Verbesserungen der Standort- und Lebensqua- die Übernachtungszahlen von ausländischen Gästen um lität bei. Sie führen zu einer Erhöhung des Wohnwertes insgesamt knapp 18 Millionen gestiegen. Deutschland sowie des Imagefaktors einer Region und erleichtern da- hat Weltoffenheit, Gastfreundschaft und Toleranz ge- mit auch Unternehmensansiedlungen. Kurzum: Jeder zeigt und somit seine Chance genutzt. Deutschland kann Euro, der in die touristische Infrastruktur investiert wird, stolz sein auf die Wiederaufbauleistungen sowie auf die hat einen doppelten Nutzen. Wiedervereinigung vor 25 Jahren. Das ist gut so. Meine Damen und Herren, vor der entsprechenden In- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) vestition sollten die Kommunen aber Grundsatzentschei- dungen treffen. Eine Tourismusregion kann nur schwer- Trotz der Bedeutung dieses Wirtschaftsfaktors ist es lich gleichzeitig eine Energieregion sein. Noch wissen mir völlig unverständlich, dass wir als Tourismuspoliti- wir nicht, wie sich die Energiewende auf die Natur, die ker jedes Jahr als Bittsteller bei den Haushaltspolitikern Kulturlandschaft und den Tourismus auswirkt. Hier auftreten müssen. Wenn die Autoindustrie in der Krise muss abgewogen werden zwischen den verschiedenen hustet, wird die Summe von 5 Milliarden Euro für Ab- Formen der Gewinnung und Speicherung regenerativer wrackprämien im Handstreich aufgetrieben. Hier, wo Energien und der Landschaftsästhetik, einem der wich- wir Tausenden von kleinen und mittelständischen Unter- tigsten Faktoren für den Tourismus. nehmen aus Hotellerie und Gastronomie helfen können, darf die Unterstützung nicht infrage gestellt werden. Angesichts der guten Zahlen im vorliegenden Bericht können wir von einem dynamischen Wirtschaftsmarkt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sprechen. Aber ein dynamischer Wirtschaftsmarkt mit (B) (D) Diese Mittelständler können einen weltweiten Markt al- Steigerungsraten von knapp 4 Prozent braucht eine dy- lein nicht durchdringen. Sie benötigen die bündelnde namische Marktbeobachtung. Deswegen sollte die Bun- Kraft der Deutschen Zentrale für Tourismus. desregierung in dieser Legislaturperiode mindestens zwei Tourismusberichte vorlegen. Nur so können wir Warum schreiten wir als öffentliche Hand hier nicht diesem schnelllebigen und gewinnträchtigen Wirt- mit zusätzlichen Beiträgen, zum Beispiel 5 Millionen schaftsfaktor gerecht werden. Euro, voran und holen dabei die Länder und die Wirt- schaft mit ins Boot? Tatsache ist doch: Die DZT hat nach Sie sehen: Trotz der Erfolge bleibt noch viel zu tun. der Fußballweltmeisterschaft den Schwung genutzt und Packen wir es an! Ich freue mich auf eine gemeinsame, ihre Marketingaktivitäten immer mehr ausgeweitet. Sie kollegiale Zusammenarbeit in unserem Ausschuss. würde gerne noch intensiver für das Reiseland Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der land werben. Dafür müssten wir aber die Mittelerhöhung LINKEN) umsetzen. Gerade in den Zukunftsmärkten Brasilien, China, Indien und Russland mit ihrem enormen Wachs- tumspotenzial und dem Interesse für unsere Kultur Vizepräsidentin Petra Pau: müsste Deutschland als Reiseland viel stärker beworben Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Frank werden. Junge. In diesem Zusammenhang muss ein weiteres heikles (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Thema erörtert werden. Meines Erachtens war es eine der CDU/CSU) Fehlleistung, dass die Bundesländer der DZT die Kom- petenz und die Gelder für das Inlandsmarketing entzogen Frank Junge (SPD): haben. Damit wurde eine Chance vertan, vorhandene Mit- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tel zu bündeln, um schlagkräftig die Werbetrommel rüh- Zunächst, Frau Gleicke, bin ich sehr froh darüber, dass ren zu können. Ich setze auch auf eine starke Koordinie- Sie bei uns im Wirtschaftsministerium angesiedelt sind rung von Bund, Ländern und Regionen. Persönlich und uns Ihre Kompetenzen zur Verfügung stellen. Ich wünsche ich mir, dass wir die Neugestaltung eines über- glaube, dass wir mit Ihnen an dieser Stelle eine gute sichtlichen Destinationsmanagements gemeinsam ange- Multiplikatorin haben. Wir brauchen Sie nicht im Kanz- hen. Wir müssen wegkommen von 130 Tourismusregionen, leramt. um die nationale und die internationale Vermarktung ef- fizienter zu gestalten. Wir müssen weg von der geradezu (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1429

Frank Junge (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Beginn will ich Denn es ist einfach unvorstellbar ärgerlich, wenn man (C) gerne das zusammenfassen, was Sie alle auf den Punkt als Familie mit Gepäck auf einem Bahnhof steht, aber gebracht und mit Zahlen unterlegt haben. Der Tourismus der anschließende Bus im ÖPNV gerade abgefahren ist in unserem Land ist eine Erfolgsgeschichte. Die Branche und einen nicht zur nächsten Station bringen kann. Das ist ein volkswirtschaftliches Schwergewicht und ein un- verhindert ganz klar das Ausweichen auf die Schiene, verzichtbarer Impulsgeber für den Arbeitsmarkt. Die das wir alle wollen. Prognosen – das wurde auch schon deutlich – sind über- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie aus gut. Das bestätigt auch der Bericht, der Ihnen vor- des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) liegt, eindrucksvoll. Das ist – das muss man noch einmal sagen – zum einen das Verdienst eines überwiegend mit- Zweitens ist klar herauszustellen, dass wir auf die telständisch geprägten Unternehmertums, aber es ist Deutsche Bahn einwirken müssen, damit zum Beispiel auch das Verdienst von circa 3 Millionen direkt Beschäf- die Fahrradmitnahme in den Zügen verbessert wird. tigten im Tourismus. All denen muss man einmal Dank (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem und Anerkennung aussprechen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem geordneten der CDU/CSU) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fahren Sie mal mit Fahrrad und Familie mit dem Zug. Da fängt der Abenteuerurlaub schon am ersten Tag des Die vorliegende Analyse zeigt aber auch klar und deut- Urlaubs an. lich, um welche Handlungsfelder wir uns kümmern müs- sen; das kam hier an vielen Stellen zum Ausdruck. Wir (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau! Das müssen uns den entsprechenden Problematiken stellen; stimmt!) denn es gibt viel zu tun. Den Erfolgsaussichten, den gu- Drittens möchte ich darauf hinweisen, dass wir auch ten Prognosen für die Branche müssen Taten folgen, da- dafür zu sorgen haben, dass die Deutsche Bahn das An- mit es zu positiven Auswirkungen auf die Branche gebot barrierefreier Fahrgast- und Tarifinformationen kommt. ausbaut. Saisonarbeit, unregelmäßige Arbeitszeiten, schlechte (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bezahlung – all das sind Faktoren, die einen Fachkräfte- mangel nach sich ziehen, der die Arbeitsmarktsituation Es ist einfach so, dass die barrierefreie Reise schon dort in der Branche signifikant, also gefährlich beeinflusst. anfängt. Hier ist Erhebliches zu tun. Wenn wir hier darüber reden, zusammen mit den Län- Stichwort Barrierefreiheit. Auch ich möchte diesen (B) dern, den IHK, den Verbänden und den Gewerkschaften Punkt kurz beleuchten, Frau Ludwig. Es geht nicht nur (D) Verbesserungen bei der Ausbildung herbeizuführen, darum, einer UN-Konvention nachzukommen, wenn wir dann – das unterstreiche ich deutlich – müssen wir auch Menschen mit Mobilitäts- oder Aktivitätseinschränkun- über den Mindestlohn reden. Wir brauchen einen Min- gen die Angebote so offerieren, dass sie sie auch wahr- destlohn, weil bei der Berufswahl nicht nur die Liebe nehmen können. Es geht auch darum, dass Familien mit zum Beruf, Frau Kassner, eine Rolle spielt, sondern auch Kindern und ältere Menschen barrierefreie Angebote die Frage, ob man in diesem Beruf ausreichend Geld ebenfalls gerne in Anspruch nehmen. Wie gerne sie das verdienen und damit eine Familie ernähren kann. tun, sieht man an diesem Punkt: Das Bundeswirtschafts- ministerium beziffert das entsprechende Marktpotenzial (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie auf circa 4,9 Milliarden Euro. Dahinter steckt ein Wirt- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE schaftsfaktor, dessen wir uns einfach annehmen müssen, GRÜNEN) um die Branche zu stärken. Das, liebe Kolleginnen und Zum Thema Verkehrsinfrastruktur ist auch schon ei- Kollegen, gilt es hervorzuheben und zu unterstreichen. niges gesagt worden. Ich möchte kurz den Bereich (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Schienennetz erwähnen. Es ist natürlich so, dass der Abg. Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE Ausbau des Verkehrs auf der Schiene dazu führen wird, GRÜNEN]) dass Fernverkehrsstraßen entlastet werden, Emissionen reduziert werden etc. Aber wir werden mit der Verlage- Ich sehe es also als eine wesentliche Aufgabe an, zu- rung des Verkehrs auf die Schiene auch dazu beitragen, sammen mit der Bundesregierung und allen Akteuren in eine neue Zielgruppe für den Tourismus zu erschließen, diesem Bereich davon wegzukommen, lediglich die nämlich die Gruppe derer, die keinen Pkw haben und wirklich überaus begrüßenswerten Initiativen und Ein- über den Schienenverkehr dennoch Zugang zu den Des- zelprojekte zur Schaffung von Barrierefreiheit vor Ort zu tinationen finden und vor Ort nach ihren Möglichkeiten unterstützen; wir müssen mit allen Beteiligten eine Art konsumieren. Vor diesem Hintergrund ist es ganz wich- Masterplan entwickeln. Dafür müssen wir die Vorausset- tig, dass wir bessere infrastrukturelle Voraussetzungen zungen schaffen. für einen Deutschlandtakt mit aufeinander abgestimmten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Anschlüssen aller Beteiligten in diesem Bereich schaf- der CDU/CSU) fen. Lassen Sie mich einige Sätze zum Wassertourismus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie verlieren. Es ist klar, dass die Gäste, die sich für diese des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) Angebotspalette interessieren, längst nicht mehr nur den 1430 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Frank Junge (A) Zugang zum Wasser brauchen. Hier haben sich aus den GRÜNEN]: Da haben Sie aber ein schönes (C) Bedürfnissen der Touristen Nachfrageaspekte entwi- Beispiel gewählt!) ckelt, denen wir einfach gerecht werden müssen. Unser Sie war richtig und zielführend. Sie war ein kleines Kon- Land bietet mit den rund 10 000 Kilometer langen Bun- junkturprogramm. Viele der vor allem kleinen Betriebe des- und Landeswasserstraßen und den fast 23 000 Qua- haben die daraus resultierende Entlastung genutzt, um dratkilometer großen Seewasserstraßen eine Fülle von Investitionen zu tätigen. Voraussetzungen dafür, dieser Nachfrage gerecht zu werden. Hier brauchen wir ein Konzept aus einem Guss, (Beifall bei der CDU/CSU) ein Wassertourismuskonzept, das die vorhandene Ange- botsstruktur so bündelt, dass man den Ansprüchen der Frau Staatssekretärin, Sie haben es richtigerweise er- Gäste und Urlauber in diesem Bereich, was zum Beispiel wähnt: Die Bereiche Kultur- und Städtetourismus boo- vergleichbare Qualitätsmerkmale anbetrifft, gerecht wird men. Das würden wir uns auch für den ländlichen Raum und die Voraussetzungen dafür schafft, dass unser Stand- wünschen. Ich denke, hier sind wir uns alle einig. ort Deutschland im europäischen Wettbewerb auch hier In der letzten Wahlperiode setzten wir mit dem Pro- ein Stück weit die Nase vorn hat. jekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ ei- nen großen Schwerpunkt. Die Ergebnisse sind insgesamt (Beifall bei der SPD) gut. In einem Handlungsleitfaden werden Chancen, Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich Herausforderungen und Perspektiven aufgezeigt. Die zum Abschluss sagen, dass ich über den im Ausschuss Projektbewertung der Bundesregierung sieht jedoch vorhandenen Konsens erstaunt bin. Ich empfinde das als Nachholbedarf, insbesondere in den Bereichen Qualifi- eine überaus fruchtbringende Arbeitsweise. Wenn wir so zierung, Qualitäts- und Innovationsmanagement, Vernet- weitermachen, dann können wir für den Tourismusfaktor zung und Marketing. Wir sollten gemeinsam darüber in Deutschland viel bewegen. nachdenken, wie wir die Förderung von Qualifizierung, Qualitäts- und Innovationsmanagement und anderen Be- Vielen Dank. reichen zielgenau einsetzen könnten, zum Beispiel mit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Krediten von der KfW. bei Abgeordneten der LINKEN und des (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) neten der SPD) Aus meiner Sicht gibt es ein Zauberwort, das be- Vizepräsidentin Petra Pau: schreibt, was für nachhaltigen und dauerhaften Erfolg Kollege Junge, das war Ihre erste Rede im Deutschen wichtig ist: Unverwechselbarkeit. Das ist für den Be- (B) (D) Bundestag. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich im Namen reich Tourismus besonders wichtig. Zum einen geht es des gesamten Hauses und wünsche Ihnen Erfolg bei der um die Unverwechselbarkeit der ländlichen Räume, die Arbeit. Verbindung von herrlicher Landschaft, traditioneller, bo- (Beifall) denständiger Küche, historischem Bauerbe und Erho- lung für alle Sinne: also Genuss pur zum Greifen. Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Barbara Lanzinger das Wort. Unverwechselbarkeit bezieht sich zum anderen auf die Unternehmerpersönlichkeit. Das lässt sich am Bei- (Beifall bei der CDU/CSU) spiel von Gast- und Wirtshäusern gut erklären. Ich komme aus der Oberpfalz, wo es eine Vielzahl von Gast- Barbara Lanzinger (CDU/CSU): und Wirtshäusern gibt. Die einen funktionieren hervorra- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- gend, die Menschen fahren gerne hin, auch wenn sie legen! Alle bisherigen Redebeiträge zeigen: Der Touris- noch so entlegen oder einfach ausgestattet sind, andere mus boomt. Alle Zahlen deuten darauf hin, dass in die- wiederum fristen ein schwieriges Dasein, obwohl sie mit sem Bereich eine enorme Wertschöpfung zu verzeichnen den anderen Gasthäusern durchaus vergleichbar sind. ist. Das ist gut für die Wirtschaft insgesamt. Besonders Warum ist das so? Spricht man mit den Gästen, wird gut ist das für den Mittelstand, für die ihn tragenden Fa- eines sehr schnell deutlich: Es geht um die Wirtsleute milienunternehmen. Das zeigt einmal mehr, wie stabil, selbst. Es ist wie in vielen anderen Branchen auch: Das innovativ und zuverlässig der Mittelstand ist. Er ist das Ganze steht und fällt mit den Betreibern, mit den Unter- Rückgrat unserer Wirtschaft. nehmerinnen und Unternehmern. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Der Bericht macht deutlich, dass viel für den Bereich Wir sollten also bei den Unternehmerpersönlichkeiten Tourismus getan wurde. Genannt sei hier exemplarisch ansetzen; denn schließlich sind sie es, denen es gelingen – auch wenn sich wahrscheinlich gleich Widerspruch er- muss, Mitarbeiter zu gewinnen, aus- und fortzubilden, heben wird – die Senkung der Mehrwertsteuer für die zu motivieren und diese an das Unternehmen zu binden. Hoteliers. Letztendlich geht es darum, attraktive Arbeitsplätze zu schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Ein weiterer Punkt hinsichtlich der Unverwechselbar- NEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE keit und Vielfalt unseres Tourismus, vor allem in den Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1431

Barbara Lanzinger (A) ländlichen Räumen, ist die Frage: Wie können sich die der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Frak- (C) Unternehmen vermarkten? Ich denke, dass wir, wie es tion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ im Ausschuss kurz angedacht wurde, ein Portal zur Ver- Die Grünen abgelehnt. marktung des ländlichen Raumes schaffen sollten. Es Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die gab ja schon Versuche, bestehende Initiativen und Ange- Grünen auf Drucksache 18/614. Wer stimmt für diesen bote zu bündeln. Ich denke, ein positives Beispiel ist die Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Vermarktung des Urlaubs auf dem Bauernhof durch den Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Bauernverband über das Portal www.landsichten.de. Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen Hier könnten wir ein Stück weit andocken. Wir könnten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion dieses Portal nutzen und es um weitere Angebote ergän- Die Linke abgelehnt. zen. Ich denke, das würde Sinn machen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: (Beifall bei der CDU/CSU) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Bemerkung: Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Tourismus ist auch ein Botschafter. Alle Beteiligten sind Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter Botschafter für unser Land, für unsere Kultur und für un- und der Fraktion DIE LINKE sere jeweils ganz eigene Lebensart. Diese Unterschied- lichkeit empfinde ich übrigens als sehr positiv. Der Tou- Einführung des neuen Entgeltsystems in der rismus ist auch Botschafter in Bezug auf die soziale Psychiatrie stoppen Verantwortung. Das wurde auch im Tourismuspoliti- Drucksache 18/557 schen Bericht erwähnt. Erlauben Sie mir vor dem Hin- tergrund aktueller Debatten den Hinweis darauf, dass Überweisungsvorschlag: wir im Zusammenhang mit Tourismus auch darüber Ausschuss für Gesundheit nachdenken sollen und müssen, wie wir mit den Men- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für schen umgehen wollen. Eines muss klar sein – dieser die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Passus im Bericht ist mir sehr wichtig; wir sollten hie- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. rauf unser Augenmerk legen –: Es darf keine touristische Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die not- Wertschöpfung durch den Missbrauch von und an Men- wendigen Umgruppierungen in den Fraktionen zügig schen geben, weder im Ausland noch im Inland. vorzunehmen und die notwendige Aufmerksamkeit her- (Beifall im ganzem Hause) zustellen.

(B) Ich halte es für sehr fragwürdig, Deutschland als Reise- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege (D) ziel Nummer eins zu bezeichnen, wenn das mit Sextou- Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke. rismus verbunden wird. Darauf können, wollen und dür- (Beifall bei der LINKEN) fen wir nicht stolz sein. Ich freue mich, wenn wir im Rahmen der Änderung des Prostitutionsgesetzes hier – hoffentlich – einiges verändern. Harald Weinberg (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen herzlichen Dank fürs Zuhören. Meine Damen und Herren! Gegen Ende unserer Debatte (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) am heutigen Tag geht es um ein sehr wichtiges Thema: die Versorgung psychisch Kranker im Krankenhaus. Vizepräsidentin Petra Pau: Wenn das, was die vorherige, die schwarz-gelbe Bun- Ich schließe die Aussprache. desregierung beschlossen hat, wie geplant Anfang 2015 umgesetzt wird, dann wird sich die Versorgung in den Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Psychiatrien deutlich verschlechtern. Das sagen nicht empfehlung des Ausschusses für Tourismus auf Druck- wir, sondern über 15 Fachverbände, Vertreterinnen und sache 18/605 zu dem Tourismuspolitischen Bericht der Vertreter der Wissenschaft, der Ärzteschaft, der Pflege- Bundesregierung für die 17. Legislaturperiode auf berufe, der Pflegeverbände, der Gewerkschaften, der Kli- Drucksache 17/13674. Der Ausschuss empfiehlt, in nikleitungen und nicht zuletzt der Organisationen von Pa- Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzuneh- tientinnen und Patienten. Alle Betroffenen sind gegen men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer das neue pauschalisierende Entgeltsystem für Psychia- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- trie und Psychosomatik, auch PEPP genannt; die Abkür- empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- zung ist deutlich einfacher als der lange Begriff. Deshalb nen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Frak- ist es Aufgabe des Bundestages, seine Entscheidung von tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. 2012 zu korrigieren und PEPP zu stoppen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. schließungsanträge. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/613. Wer stimmt für diesen Entschlie- Worum geht es genau? In den nichtpsychiatrischen ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Krankenhäusern wurden schon vor rund zehn Jahren sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen Fallpauschalen eingeführt. Das bedeutet, dass Kranken- 1432 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Harald Weinberg (A) häuser nicht nach dem tatsächlichen Aufwand, sondern Das Psych-Entgeltsystem, so wie es im Gesetzent- (C) nach der Diagnose bezahlt werden. Eine Blinddarm-OP wurf konzipiert ist, überträgt die Strukturen der so- bringt eine feste Summe. Dabei ist es egal, wie lange der matischen Medizin auf die Versorgung von psy- Patient oder die Patientin zur Rekonvaleszenz, zur Erho- chisch Kranken. Das halten wir als SPD für einen lung im Krankenhaus bleiben muss. Die Krankenhäuser großen Fehler. haben so einen klaren Anreiz, die Patientinnen und Pa - (Beifall der Abg. Maria Klein-Schmeink tienten früher nach Hause zu schicken. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vor zehn Jahren war Konsens, dass dieses System in Weiter hieß es bei ihr: psychiatrischen Stationen nicht funktionieren kann. Des- halb hat man dort weiterhin nach Tagessätzen gezahlt. Die Abschaffung der Psych-PV lehnen wir als SPD Denn während man bei einer Blinddarm-OP noch relativ ganz klar ab. gut sagen kann, dass sie im Durchschnitt einen Kranken- Noch ein Zitat: hausaufenthalt von etwa drei bis fünf Tagen zur Folge hat, kann man bei den Diagnosen Depression, Schizo- Insbesondere der Diagnosebezug bei der Vergütung phrenie oder Angststörung nicht zu Beginn der Behand- von Leistungen wird mit großer Wahrscheinlichkeit lung im Krankenhaus sagen, wie lange sie sinnvoller- Fehlanreize setzen, Menschen mit schweren psychi- weise dauern sollte oder dauern wird. schen Krankheiten nur unzureichend zu behandeln. Diese Menschen brauchen eine sehr individuelle, Solche individuellen Verläufe berücksichtigt das neue therapeutische und kontinuierliche Behandlung un- Abrechnungssystem nicht. Zwar sieht es weiterhin eine ter Einbeziehung des eigenen Lebensumfeldes. Bezahlung des Krankenhauses pro Tag vor, aber nur als Dies kann nicht mit einer Struktur gelingen, die sich Durchschnittspauschale, und bei fortschreitender Dauer an der Vergütung von Krankheiten auf der Grund- wird mit jedem Tag weniger gezahlt, egal ob die Be- lage der DRG orientiert. handlung mit der Zeit eventuell sogar intensiver werden Dies alles, was Sie, liebe Frau Mattheis, damals ge- muss. Damit hat das Krankenhaus einen Anreiz, den Pa- sagt haben, ist völlig richtig. Das findet nicht nur unsere tienten oder die Patientin zu entlassen, sobald die Tages- Zustimmung, sondern auch die Zustimmung von fast al- pauschale unter die entstehenden Kosten fällt, egal ob len Expertinnen und Experten, von den Betroffenen und gesund oder nicht. Der Zeitpunkt der Entlassung wird von inzwischen über 15 000 Unterzeichnern einer Peti- dann nicht mehr von den Ärztinnen und Ärzten in Ab- tion, die derzeit läuft und Alternativen zu PEPP fordert. sprache mit den Patienten festgelegt, sondern de facto (Beifall bei der LINKEN) (B) vom Krankenhausmanagement vorgegeben. Das darf un- (D) serer Meinung nach nicht sein. Auch aus der Union sind Stimmen zu vernehmen, die zu (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Recht an der Einführung von PEPP im Januar 2015 des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zweifeln. Ich habe insofern noch Hoffnung, dass die Ko- alition ein Einsehen hat und dieses Gesetz korrigiert. Mit Nur am Rande sei erwähnt, dass PEPP auch einen unserem Antrag wollen wir dazu eine Gelegenheit ge- negativen Einfluss bei Zwangsbehandlungen haben ben. könnte; denn Geduld mit psychisch kranken Menschen, Wenn Sie aber, wie so oft bei unseren Anträgen, unse- die meistens schwierig sind, wird dadurch nicht geför- ren Antrag ablehnen werden, dann bitte ich Sie: Schrei- dert. ben Sie ein wenig davon ab, und bringen Sie es selbst Hinzu kommt, dass nach der Einführung von PEPP ein! die Personalverordnung in der Psychiatrie, die Psych-PV, (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) ab 2017 außer Kraft gesetzt werden soll. In dieser Ver- ordnung ist geregelt, wie viele Ärztinnen und Ärzte, wie Legen Sie PEPP auf Eis, und lassen Sie uns mit den Ex- viele Pflegekräfte und wie viel sonstiges therapeutisches perten und Betroffenen neu überlegen, wie wir ein Ent- Personal das Krankenhaus bereithalten muss. Die ge- geltsystem auf den Weg bringen können, das die Versor- plante Abschaffung zwingt die Krankenhäuser, unter gung von Patientinnen und Patienten verbessert und nicht verschlechtert. dem Diktat des pauschalen Entgeltsystems auf Kosten des Personals und damit auf Kosten der Patientinnen und Vielen Dank. Patienten zu sparen. Das soll unserer Meinung nach nicht sein. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN) GRÜNEN])

Deshalb müssen wir PEPP im Bundestag stoppen. Ich Vizepräsidentin Petra Pau: bitte gerade auch die Kolleginnen und Kollegen aus Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Ute Union und SPD, dies zu bedenken. Vor etwa zwei Jah- Bertram das Wort. ren, als das PEPP-Gesetz von Schwarz-Gelb beschlossen wurde, gab die heutige gesundheitspolitische Sprecherin (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der SPD hier zu Protokoll – ich zitiere –: neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1433

(A) Ute Bertram (CDU/CSU): Katalogisierung von psychiatrischen und psychosomati- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- schen Leistungen kein leichtes Unterfangen ist. Die Zwi- nen und Kollegen! Der Bundestag hat am 17. März schenstände bei den Arbeiten der Vertragspartner – der 2009, also noch zu Zeiten der zweiten Großen Koalition, Deutschen Krankenhausgesellschaft und des GKV-Spit- das Krankenhausfinanzierungsgesetz um den § 17 d er- zenverbands – belegen dies eindeutig. weitert. Darin wurde festgelegt, für die Vergütung der Krankenhausleistungen aus dem Fachbereich der Psy- Eine gebrochene Seele ist etwas anderes als ein ge- chiatrie und der Psychotherapie ein „durchgängiges, brochenes Bein. leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungs- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE system auf der Grundlage von tagesbezogenen Entgelten GRÜNEN]: Genau!) einzuführen“. Dasselbe gilt auch für die Kinder- und Ju- gendpsychiatrie, die psychosomatische Medizin und die Darum ist es vorgesehen, diesen Veränderungsprozess Psychotherapie. über einen Gesamtzeitraum von rund zehn Jahren zu ge- stalten. Sollte sich im Verlauf des Einführungsprozesses Im jetzigen Koalitionsvertrag haben wir dieses Ziel doch erweisen, dass diese Frist noch zu kurz ist, kann bekräftigt. Dieses neue und mittlerweile in der Konkreti- sich die Union auch vorstellen, den Zeitraum zu verlän- sierungsphase befindliche Vergütungssystem soll das gern. Das kann eine Verlängerung der Optionsphase be- bisherige System des tagesgleichen Pflegesatzes, der deuten oder bessere Absicherungsmechanismen für die jährlich zwischen dem einzelnen Krankenhaus und den Krankenhäuser in der budgetneutralen Phase oder, in der Krankenkassen vereinbart wurde, ablösen. Dieser Pfle- Konvergenzphase, auch eine Änderung des Systems. gesatz differenziert zwar zwischen dem Basispflegesatz, Das alles ist vorstellbar. zum Beispiel für die Kosten der Verpflegung, und dem Abteilungspflegesatz für die medizinischen Kosten, Kritik der Verbände nehmen wir sehr ernst, und wir schert aber ansonsten alles über einen Kamm. Eine Dif- sind auch bereit, auf Veränderungsvorschläge einzuge- ferenzierung gerade der medizinischen Leistungen in hen. Die nächsten Veränderungsvorschläge der Selbst- Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung des Pa- verwaltungspartner sollen übrigens im April veröffent- tienten findet nicht statt. Dieses Vergütungssystem licht werden. Wir werden sie uns genau ansehen und auf gleicht geradezu einer nicht einsehbaren Blackbox, in dieser Basis kurzfristig über einen Änderungsbedarf be- der Krankenhäuser Gewinner und Verlierer sein können. raten. Damit ist klar: Konstruktiven Vorschlägen ver- schließen wir uns nicht; aber wer sich nicht einbringt, (Beifall bei der CDU/CSU) kann auf das neue System logischerweise auch keinen Kurzum: Das System ist ungerecht. Schon deshalb Einfluss nehmen. (B) besteht Reformbedarf. Das gilt auch vor dem Hinter- In der fachöffentlichen Debatte sind nun einige Be- (D) grund, dass wir einer wachsenden Anzahl psychischer fürchtungen artikuliert worden, die klargestellt werden Erkrankungen gegenüberstehen. Hierauf muss sich unser sollten. So gehen einige davon aus, dass durch den de- Gesundheitssystem einstellen. Mit dem Psych-Entgelt- gressiven Verlauf der Tagesentgelte ein falscher Anreiz gesetz setzen wir den rechtlichen Rahmen für die Ein- zu einer frühzeitigen Entlassung aus dem Krankenhaus führung des neuen Systems bezüglich der Leistungen gesetzt würde. Die Tagesentgelte werden aber auf einer psychiatrischer und psychosomatischer Einrichtungen. umfassenden empirischen Basis kalkuliert, sodass sie die Das neue System wird die Transparenz im Hinblick durchschnittlichen Behandlungskosten pro Patient de- auf das Leistungsgeschehen verbessern, womit wir auch cken. Zu einer systematischen Untervergütung dürfte es einen effizienteren Ressourceneinsatz erreichen wollen. also nicht kommen. Vielmehr würden Psych-Einrichtun- gen bei einer zu frühen Entlassung auf zusätzlichen Er- (Beifall bei der CDU/CSU) lös verzichten. Es wurde im Rahmen eines lernenden Systems mit einer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vierjährigen Einführungsphase gestartet und umfasst den Zeitraum von 2013 bis 2016. Diese Phase wird budget- Ein weiterer Vorwurf lautet, der PEPP-Entgeltkatalog neutral gestaltet; das heißt, die bisherigen Budgets blei- sei zu wenig differenziert, jede psychische Erkrankung ben den Krankenhäusern erhalten. 2013 und 2014 sind verlaufe höchst individuell. Der PEPP-Entgeltkatalog dabei sogenannte Optionsjahre. Die Einrichtungen kön- befindet sich noch in der Entstehungsphase; aber schon nen frei entscheiden, ob sie am neuen Entgeltsystem teil- jetzt ist er sehr ausdifferenziert und damit dem jetzigen nehmen. Mit Stand Januar 2014 haben sich von insge- Vergütungssystem weit voraus. Der Katalog 2013 um- samt 588 Krankenhäusern schon 80 dem neuen Psych- fasst insgesamt 135 Entgelte für voll- und teilstationäre Vergütungssystem angeschlossen; das sind immerhin Leistungen sowie 75 Zusatzentgelte. Darunter sind Ent- 13,5 Prozent. Daran schließt sich bis 2021 eine fünfjäh- gelte für die hochaufwendige Versorgung, für die die rige Konvergenzphase an. Den Einrichtungen sollte da- Einrichtungen nach dem bisherigen Vergütungssystem mit ausreichend Zeit gegeben sein, sich auf künftige Ver- keine erhöhte Vergütung erhalten. änderungen ihres Erlösbudgets einzustellen. Kritisiert wird auch, Diagnosen seien nicht geeignet, Ich habe ja durchaus Verständnis dafür, dass Verände- Aussagen über den Behandlungsverlauf zu treffen. Die rungen an bestehenden Strukturen immer auch Wider- empirischen Daten zeigen aber, dass mithilfe von Dia- stände hervorrufen; das ist offenbar so eine Art Natur- gnosegruppen erhebliche Unterschiede beim Aufwand gesetz. Speziell ist es auch nachvollziehbar, dass eine erkannt werden können. Außerdem besteht Einigkeit, 1434 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Ute Bertram (A) dass im Rahmen des lernenden Systems weitere Merk- gang von stationärer Versorgung zur ambulanten Versor- (C) male zu identifizieren sind, die Aufwandsunterschiede gung im Entgeltsystem abzubilden ist. vielleicht noch deutlicher erklären können als die Diag- nosekodierung. Es gibt kaum einen Ansatz, der tatsächlich im Auge hat, wo die Versorgung 2022 stehen muss. Wie muss sie Schließlich wird noch vorgeschlagen, PEPP zu ver- aussehen? Wie schaffen wir eine gemeindenahe, gut ver- schieben oder gar zu stoppen. Bei einer Verschiebung zahnte, ambulante, gestufte Versorgung für die Men- der Einführung ist nicht mit einer Verbesserung des Ent- schen mit einer psychischen Erkrankung unter Berück- geltkatalogs zu rechnen. Erfolgversprechender ist es, un- sichtigung ihrer jeweiligen Individualität? Das alles ter den geschützten Bedingungen der budgetneutralen fehlte bei der Beurteilung der Ausgangslage, weshalb Phase in das neue System einzutreten. Die Beteiligten dieses Gesetz eher ein Spar- und kein wirkliches Re- können intensiv und engagiert die vielfältigen Möglich- form- und Strukturgesetz geworden ist. keiten zur Weiterentwicklung des Entgeltsystems nutzen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und so das lernende System vitalisieren. und bei der LINKEN) Wer die Einführung stoppen will, der will etwas, was Zum zweiten Fehler. Sie haben gesagt, es sei ein ler- wir nicht wollen, nämlich das ungerechte und intranspa- nendes System. Per Ersatzvornahme wurde die neue rente bisherige Vergütungssystem aufrechterhalten. Struktur des Entgeltsystems erst einmal vorgegeben. Von Herzlichen Dank. dieser Ebene aus kann sie jetzt weiterentwickelt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Maria Michalk [CDU/CSU]: Wie denn neten der SPD) sonst?) Es hat im Vorhinein Probedokumentationen gegeben. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Bertram, das war Ihre erste Rede im Deut- (Maria Michalk [CDU/CSU]: Eben!) schen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch und viel Er- Man hat nach Kostentrennern gesucht und aufgezeigt, folg für Ihre Arbeit! dass das, was vom InEK berechnet wurde, nicht praxis- (Beifall) relevant war, sondern dass noch andere Kostentrenner analysiert werden mussten. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Das alles war bekannt. Deshalb kann man feststellen, Kollegin Maria Klein-Schmeink das Wort. dass wir mit Wissens- und Informationslücken sowie (B) strukturellen Defiziten in dieses System gestartet sind. (D) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist eigentlich bedauerlich, weil wir natürlich zu ei- NEN): nem neuen Honorarsystem kommen müssen. Wir müs- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sen zu einem leistungsgerechten Entgeltsystem kom- Kollegen! Ich gehe jetzt direkt auf die vorherigen Bei- men, das aber auch die individuellen Bedürfnisse der träge ein. Patienten berücksichtigt. Das muss die große Zielset- zung sein. Zunächst möchte ich sagen: Wir unterstützen das An- liegen der Linken in ihrem Antrag, weil auch wir mei- Sie haben im Koalitionsvertrag verabredet, jetzt eine nen: Es ist notwendig, dass wir einen Haltepunkt setzen systematische Überprüfung vornehmen zu wollen. Wir und uns noch einmal anschauen, unter welchen Bedin- hoffen darauf, dass Sie diese tatsächlich ergebnisoffen gungen wir PEPP in Gang gesetzt haben und ob das neue vornehmen und auch das Anliegen der Linken in ihrem Honorarsystem in seiner Ausgestaltung, die wir im Ge- Antrag berücksichtigen – das ist ja im Übrigen ein An- setz gewählt haben, geeignet ist, eine Verbesserung der liegen, das wir in unserem Antrag damals auch schon ge- Versorgung von psychisch erkrankten Menschen herbei- äußert hatten –, eine begleitende Expertenkommission zuführen. Das muss nämlich die große Zielsetzung sein. einzurichten und sich gemeinsam mit ihr auf den Weg zu einem adäquaten Neustart zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wir stellen hier fest, dass schon bei der Geburt dieses Das Ganze wird aber damit stehen und fallen, dass Sie Gesetzes einige Fehler gemacht worden sind. Ich glaube, wirklich bereit sind, noch einmal zu überdenken, wo un- auch die CDU-Kollegen waren durchaus nicht immer sere psychiatrische Versorgung 2022 stehen muss. Dabei glücklich mit den Vorschlägen, die vom damals FDP-ge- dürfen Sie nicht nur auf die Kosten gucken, sondern es führten BMG unterbreitet worden sind und letztlich In- geht auch darum, dass es am Ende passgenaue Angebote halt des Gesetzes wurden. gibt, die sowohl die ambulante als auch die stationäre Hilfe im Blick haben. Es gab zentrale Defizite. Beispielsweise wurde vorher nicht geprüft – das war der erste Fehler –, ob die Perso- Auf der einen Seite ist zu berücksichtigen, was in Be- nalausstattung den Notwendigkeiten in den Psychiatrien zug auf die integrierte Versorgung im ambulanten Be- tatsächlich entspricht. Es gab keine Vorstellung darüber, reich entwickelt wird. Auf der anderen Seite muss die wie man die ambulante Versorgung und die stationäre neue Form des Honorarsystems Maßnahmen ermögli- Versorgung zusammenbringen kann und wie der Über- chen, die notwendig sind, um nach der Entlassung aus Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1435

Maria Klein-Schmeink (A) dem Krankenhaus wieder vollständig zu genesen. All ten Einwände die Ersatzvornahme. Das PEPP wurde (C) das steht heute noch komplett aus. Das sind die Aufga- zum 1. Januar 2013 gestartet. ben, die wir zu erledigen haben. Seitdem – das war angesichts des wenig zielführen- Wir müssen ebenso fragen, was das neue System für den Umgangs des FDP-Ministers mit den Sorgen der die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Fachleute verständlich – hagelt es Kritik am PEPP. Aber bedeutet und was die von uns entwickelten Vorgaben, seitdem gibt es auch auf allen Seiten das Bemühen, diese nach denen Zwangsbehandlungen und Zwangsmaßnah- Kritik in konstruktive Änderungsvorschläge umzuwan- men zu vermeiden sind, für den Personalbedarf bedeu- deln. ten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das sind die großen Baustellen, die wir anzugehen der CDU/CSU) haben. Wir hoffen, dass wir mit den Anhörungen, die zu diesem Antrag hoffentlich stattfinden werden, genau Für dieses sehr lösungsorientierte Verhalten sind wir den diese Probleme auf den Tisch bringen. Wir werden un- Fachverbänden und den Einrichtungen ausdrücklich sere Vorstellungen mit einem weiteren Antrag in die De- dankbar. batte einbringen und hoffen, dass Sie in der Umsetzung Die neue Koalition will sich der Diskussion und den ihrer Koalitionsvereinbarung einen Schritt weiter kom- vielen Anregungen an dieser Stelle nicht verschließen. men – zugunsten der Betroffenen. (Beifall des Abg. Harald Weinberg [DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN LINKE] – Maria Michalk [CDU/CSU]: Die und bei der LINKEN) Linke will es doch stoppen!) Dieser Politikwechsel findet sich auch im Koalitionsver- Vizepräsidentin Petra Pau: trag, in dem wir deutlich machen: Eine Benachteiligung Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dirk schwerst psychisch Erkrankter darf es nicht geben. Neue Heidenblut das Wort. Drehtüreffekte dürfen nicht erzeugt werden, weshalb (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dazu dann auch systematische Veränderungen des Ver- der CDU/CSU) gütungssystems vorzunehmen sind. Es gilt, die Bedenken ernst zu nehmen und gemein- Dirk Heidenblut (SPD): sam Lösungen zu finden. So hat schon der Landschafts- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und verband Rheinland, einer der großen kommunalen (B) Kollegen! „Weg mit PEPP!“ – Auf diesen recht eingän- Träger von psychiatrischen Kliniken, zugleich übrigens (D) gigen Spruch brachte eine sehr große Initiative von ein Motor ambulanter Eingliederungshilfe, auf einer be- Fachleuten die Diskussion um das pauschalierende Ent- merkenswerten Fachtagung geäußert – ich zitiere aus geltsystem Psychiatrie und Psychosomatik, kurz PEPP, dem Vorwort –: und damit gleich auch die vermeintliche Lösung des Pro- Der LVR hat es sich zum Ziel gemacht, das neue blems. Nun will ich nicht verhehlen: Diese kurze Formel System nicht nur zu kritisieren, sondern aktiv an ist sehr eingängig; zielführend aber, ähnlich der jetzt der Weiterentwicklung mitzuarbeiten. ebenso kurzen Formulierung „Einführung des neuen Entgeltsystems in der Psychiatrie stoppen“, ist sie nicht Diese Bereitschaft nicht nur des LVR, sondern auch etwa unbedingt. der bayerischen Bezirke und vieler anderer wurde aufge- griffen und muss auch weiter aufgegriffen werden. 2009 fing es gar nicht so schlecht an. Als die dama- lige Bundesgesundheitsministerin die Reform auf den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Weg brachte und letztlich das Psychiatrie-Entgeltgesetz der CDU/CSU) beschlossen wurde, gab es sogar so etwas wie eine Auf- Bei der Fachtagung wurde zudem deutlich: Auch die bruchstimmung. Bis 2013 sollte Zeit sein, zu guten Er- Krankenkassen sehen durchaus Veränderungsbedarf. So gebnissen zu kommen. Die Ministerin machte deutlich: befürchtete der Vertreter einer großen Kasse einen An- Es wird um Tagespauschalen gehen. – Das ist etwas, was stieg der Wiederkehrrate, also einen klassischen Dreh- in der Psychiatrie grundsätzlich machbar ist. Zudem türeffekt, durch das PEPP. Dank der sehr intensiven Mit- stand die Psychiatrie-Personalverordnung als Anker für arbeit vieler Fachverbände am Vorschlagsverfahren – es die Mindestpersonalbemessung deutlich im Fokus. gibt ja ein Verfahren, mit dem Veränderungen durchge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten führt werden können – wurden bereits Veränderungen der CDU/CSU) durch das InEK in das laufende System eingepflegt. Dann erfolgte die Vorlage des PEPP-Entgeltkatalogs (Maria Michalk [CDU/CSU]: Genau!) durch das Institut für das Entgeltsystem im Kranken- Das gemeinsame Ziel ist und bleibt, besser verzahnte haus, der aber zwischen den Partnern nicht vereinbart und transparente Leistungen im ambulanten und statio- werden konnte, da die DKG massive Bedenken hatte, nären Bereich zu sichern. Es muss eine effektive Versor- wie übrigens nahezu alle Fachverbände. Das FDP-ge- gung der psychisch Erkrankten sichergestellt werden. führte Ministerium verfügte stattdessen Ende 2012 ohne ausreichende Berücksichtigung der durchaus begründe- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 1436 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Dirk Heidenblut (A) Aber das System ist nun einmal am Start. Es gibt Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (C) zahlreiche Einrichtungen – inzwischen fast 15 Prozent –, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die sich im Rahmen der aktuell möglichen Option, sich also schon 2013 bzw. 2014 auf das neue System einzu- lassen, auf den Weg gemacht haben. Es gibt Ansätze, al- Vizepräsidentin Petra Pau: ternative Verfahren zu erproben. Das mal eben dadurch Kollege Heidenblut, das war Ihre erste Rede im Deut- zu stoppen, dass man Krankenhäuser, die dies wünschen, schen Bundestag. Auch Ihnen wünsche ich im Namen nicht weiter optieren lässt, würde dem berechtigten Ver- des gesamten Hauses viel Erfolg in Ihrer Arbeit. trauensschutz der Einrichtungen nicht gerecht, den be- (Beifall) gonnenen Dialogprozess untergraben und uns zudem die Möglichkeit nehmen, auf relevante Daten zuzugreifen. Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Emmi Es würde damit dem Ziel nicht gerecht. Zeulner das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Emmi Zeulner (CDU/CSU): CDU/CSU) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Denn dass im System der Psychiatrie Veränderungen Kollegen! Zunächst möchte ich mich entschuldigen, notwendig sind, ist, glaube ich, heute wie schon 2009 falls ich in meiner Rede aufgrund meiner fränkischen unumstritten. Wurzeln das PEPP zum „BEBB“ mache. Aber der Inhalt bleibt der gleiche. Es ist wichtig, dieses Thema sensibel Psychische Erkrankungen nehmen bedauerlicher- anzugehen. weise zu und entwickeln sich zum Hauptgrund für beruf- liche Krankschreibungen. Dass Anpassungen und Verän- Im Bereich der Psychiatrie und Psychosomatik dürfen derungen, auch in der stationären Versorgung, erfolgen keine Fehlentwicklungen entstehen. Denn gerade die müssen, ist unvermeidlich. Das ändert natürlich nichts große Bandbreite von Krankheitsverläufen und die Sen- daran, dass wir sehr genau darauf achten müssen, Fehl- sibilität des Themas bedürfen der besonderen Aufmerk- entwicklungen zu vermeiden, die dazu führen würden, samkeit aller. Deswegen ist es absolut richtig, das Vergü- dass das neue System am Ende womöglich mehr schadet tungssystem zu thematisieren und klug zu überdenken. als nützt und wirtschaftlich nur einen Verschiebebahnhof So steht es auch im Koalitionsvertrag. im System eröffnet. In einem sind wir uns alle einig: Das bisherige Sys- Gerade die Versorgung psychisch Erkrankter ist auf tem der tagesgleichen Pflegesätze kann so nicht weiter- ein stimmiges und abgestimmtes System angewiesen, geführt werden. Die Höhe der Pflegesätze spiegelt nicht (B) das von der Prävention über stationäre und ambulante den eigentlichen Personal- und Zeitaufwand wider. Ob (D) Maßnahmen und gute Reha bis hin zur Eingliederung ein Patient eine 24-Stunden-Überwachung benötigt, weil reicht. Ein Baustein in diesem System, der den Notwen- er suizidgefährdet ist, oder selbstständig am Klinikalltag digkeiten nicht gerecht wird, löst unabsehbare Probleme teilnehmen kann, findet wenig Berücksichtigung. Das im Gesamtsystem und damit erhebliche Folgekosten und System ist weder transparent – denn von außen ist nicht im Zweifel Verschiebung aus. Und die stationäre Versor- einsehbar, welche Behandlungen der Patient tatsächlich gung ist ein großer Baustein im System. erhält –, noch ist es leistungsorientiert, weil die Behand- lungsintensität eine untergeordnete Rolle in der Vergü- Wir haben das Problem möglicher Verwerfungen tung spielt. durch die Systemveränderung gesehen und in den Koali- tionsvertrag aufgenommen, dass wir uns damit auseinan- Hinzu kommt, dass die tagesgleichen Pflegesätze ihre dersetzen werden. Das InEK ist mit der Prüfung und der Wurzeln im Gesundheitssystem der 70er-Jahre haben Vorlage eines entsprechenden Berichts beauftragt. Die und seitdem nicht weiterentwickelt wurden. Den He- Ergebnisse werden im April vorliegen. Im Anschluss rausforderungen, aber auch den Möglichkeiten, vor de- und unter Auswertung dessen gilt es, gemeinsam mit nen die psychiatrischen und psychosomatischen Einrich- dem InEK und den anderen Fachleuten die nötigen tungen heute stehen, wird es schwer gerecht. Schlüsse zu ziehen. Dazu kann auch gehören, dass wir Angesichts der eklatant gestiegenen Zahlen psychi- mehr Zeit benötigen, um wirksame Anpassungen vorzu- scher Erkrankungen müssen wir uns fragen: Wie schaf- nehmen, wie es die aktuell noch laufende Petition, aber fen wir es, ein Vergütungssystem zu etablieren, das eine auch der LVR, der Präsident des Bayerischen Bezirketa- individuelle, praxisnahe und qualitativ hochwertige Be- ges und viele Fachverbände fordern. Das weist in die handlung honoriert? Darum hat die Bundesregierung im richtige Richtung: nicht „Stopp“ oder „Weg damit“, son- Jahr 2009 reagiert und die Selbstverwaltungspartner zur dern Zeit für Anpassung und Korrektur. Entwicklung von PEPP aufgefordert. Damit wurde der Weg hin zu einem neuen Vergütungssystem beschritten. Wir benötigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, keine peppigen Anträge, sondern ein PEPP, Ein solch komplexes System lässt sich nicht einfach das den Bedürfnissen der Beteiligten gerecht wird und aus dem Ärmel schütteln. Ein patienten- und sachge- im besten Sinne das Entgelt- und Versorgungssystem rechtes Vergütungsmodell lässt sich auch nicht am run- aufpeppt. Daran werden wir in der Koalition arbeiten. den Tisch fernab der Praxis entwerfen. Deswegen war es Der Bericht des InEK wird uns dabei sicherlich ebenso richtig, einen sanften und gleichzeitig flexiblen Über- eine Hilfe sein wie die vielfältigen Einlassungen der gang zwischen dem alten und dem neuen System zu Fachverbände. schaffen. Jetzt, im Jahr 2014, sind wir im zweiten Jahr Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1437

Emmi Zeulner (A) der Optionsphase. Die Einrichtungen können also noch Heike Baehrens (SPD): (C) zwischen dem alten und dem neuen System wählen. Erst Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! im Jahr 2015 soll die Umstellung verbindlich werden. Liebe Gäste auf der Tribüne, ganz besonders die Gruppe von der Kaufmännischen Schule in Göppingen – herz- Die Stärke des lernenden Systems liegt in der Mög- lich willkommen! lichkeit der jährlichen Anpassung des Katalogs im Dia- log mit den Beteiligten. Es soll aus den Erfahrungen der (Heiterkeit – Beifall bei der SPD und der Praxis wachsen und ist als Prozess zu verstehen. Das CDU/CSU) wird hoffentlich von vielen angenommen. Es handelt Das PEPP hat nicht wirklich Pep. Das hat, glaube ich, sich auch nicht um verkappte Fallpauschalen; vielmehr diese Debatte schon gezeigt. Das Vergütungssystem sind es Tagessätze auf Basis einer Fallgruppierung. Das braucht systematische Veränderungen, damit schwerst bedeutet: Im Gegensatz zur diagnosebezogenen Fallpau- psychisch Erkrankte nicht benachteiligt, die sektoren- schale steht mit dem PEPP der Klinik für jeden Behand- übergreifende Zusammenarbeit gefördert und Drehtür- lungstag eine Vergütung zu. Der Drehtüreffekt wird so- effekte verhindert werden – genau so haben wir es im mit vermieden. Koalitionsvertrag miteinander verabredet. Deshalb brau- Plakative Aussagen wie „Weg mit PEPP“ bringen uns chen wir und auch das Gesundheitsministerium in dieser in der Sache nicht weiter. Frage, denke ich, eigentlich nicht unbedingt Nachhilfe von linker oder grüner Seite. Natürlich ist PEPP in seiner jetzigen Form nicht der In der Praxis im Bereich der psychiatrischen Hilfe Weisheit letzter Schluss. Die Kritik von Patientenvertre- zeigt sich, dass schwer chronisch kranke und mehrfach tern und Verbänden ist selbstverständlich sehr ernst zu belastete Patientinnen und Patienten in Deutschland nehmen. Ich bin der festen Überzeugung, dass blumige noch immer wenig Zugang haben zu ambulanten, perso- Reden von uns Politikern aller Couleur nicht ausreichen. nenzentrierten und gemeindenahen Versorgungsangebo- PEPP wird einen Mehraufwand an Bürokratie bedeu- ten. Obwohl diese Zielsetzung bereits durch die Psychia- ten. Das ist die Kehrseite der Medaille und darf nicht trie-Enquete 1971 formuliert wurde, stagnieren die verleugnet werden. Hilfestrukturen. Darum ist es dringend notwendig, paral- lel zur Reform des Entgeltsystems im stationären Be- Auch sehe ich Handlungsbedarf in der differenzierten reich den ambulanten Bereich im Rahmen des SGB V – Ausgestaltung der Entgelte. Zum Beispiel im Bereich dazu zählen zum Beispiel die Psychotherapie oder die der Gerontopsychiatrie und der Suchtmedizin. Spezielle Soziotherapie – in den Blick zu nehmen und ambulante Stationen, die unser Gesundheitssystem so wertvoll ma- und mobile Rehabilitationsangebote auszubauen. (B) (D) chen wie zu Beispiel die Gehörlosenpsychiatrie, müssen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ihrer besonderen Aufgabe entsprechend in den Katalog der CDU/CSU) mit einfließen. Wer hier maßgeblich etwas in Bewegung bringen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- möchte, wird die starke Fragmentierung unserer Versor- neten der SPD) gungsstrukturen grundlegend auf den Prüfstand stellen müssen; denn sie hat nachweislich negative Auswirkun- Die Anliegen, gerade was den Personalschlüssel in gen auf die Versorgungsqualität für Patientinnen und Pa- der Pflege angeht, müssen bei der Weiterentwicklung tienten. Die Zahl der Brüche und Doppelungen in den des Systems unbedingt berücksichtigt werden. PEPP Behandlungen und die Zahl der Klinikaufenthalte könn- darf nicht auf dem Rücken der Pflegekräfte ausgetragen ten deutlich verringert werden, wenn flexiblere, kontinu- werden. Hierbei werden sie mich immer als Streiterin an ierliche Pfade der Behandlung, der Rehabilitation und ihrer Seite haben. der Teilhabeförderung tatsächlich ausgestaltet und ver- PEPP ist ein lernendes System. Wie bei jedem Schü- lässlich finanziert würden sowie die Selbsthilfe gefördert ler hängt der erfolgreiche Werdegang zum großen Teil würde. vom Engagement der Lehrer ab. Deshalb liegt es in un- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie serer Verantwortung, gemeinsam mit den Selbstverwal- der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜND- tungspartnern das Schulkind PEPP zu einem leistungs- NIS 90/DIE GRÜNEN]) orientierten und transparenten System auszugestalten, sodass es den unermüdlichen Einsatz der Pflegenden, Es muss uns alarmieren, wenn laut Deutscher Renten- der Ärzte und der Therapeuten angemessen honoriert versicherung fast jede zweite Frühverrentung wegen ei- und so dem Wohl der Patienten dient. ner psychischen Erkrankung erfolgt und das Durch- schnittsalter inzwischen bei 49 Jahren liegt. Das ist für (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) jeden Einzelnen und seine Angehörigen eine persönliche Tragödie. Für die Solidargemeinschaft muss es als He- rausforderung verstanden werden zur Weiterentwicklung Vizepräsidentin Petra Pau: unserer Hilfe- und Angebotslandschaft. Das Wort hat die Kollegin Heike Baehrens für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Maria Klein- (Beifall bei der SPD) Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 1438 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

Heike Baehrens (A) Es gilt, den Grundsatz „Reha vor Rente“ nicht nur poli- Ich hatte eingangs gesagt: Die Regierungskoalition (C) tisch zu fordern, sondern durch konkrete Maßnahmen hat das Thema auf der Agenda. Was dabei aus SPD- anzugehen. So ist es beispielsweise äußerst ärgerlich, Sicht zentral ist, will ich abschließend kurz skizzieren. wenn nach wie vor Rentenversicherung und Kranken- Die Schieflagen des jetzigen Systems müssen beseitigt versicherung im Einzelfall darüber streiten, ob eine Re- werden durch eine angemessene Ressourcenverteilung. haleistung bewilligt wird und welcher Rehaträger die Ein zukunftsfähiges Vergütungssystem im Psychiatrie- Kosten zu tragen hat. Das baut Hürden auf und führt bei bereich muss die Krankenhäuser darin unterstützen, im nicht wenigen Betroffenen dazu, dass sie auf eigentlich lokalen Verbund Versorgungsverantwortung zu überneh- notwendige Leistungen verzichten, anstatt sich für ihre men. Wir brauchen flexibler nutzbare, integrierte Hilfs- Rechte und die notwendige Therapie einzusetzen. Dabei angebote für die Betroffenen und fließende Übergänge wäre es gerade zu diesem frühen Zeitpunkt wichtig, den zwischen dem stationären, teilstationären und ambulan- Verlust des Arbeitsplatzes durch Rehamaßnahmen zu ten Bereich. Das Recht und der Anspruch von psychisch verhindern. kranken Menschen auf Selbstbestimmung und Teilhabe sind anzuerkennen. Darum brauchen wir die ideelle und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie die materielle Förderung von personenzentrierten Be- bei Abgeordneten der LINKEN und des handlungskonzepten. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darum sagen wir als SPD heute: Sorgfalt vor Schnel- Was hat das mit PEPP zu tun? In der Praxis zeigt sich, ligkeit. Es bringt nichts, ein System vom Kopf auf die dass durch die aktuelle Ausgestaltung des PEPP die drin - Füße und dann wieder auf den Kopf zu stellen. Lassen gend erforderliche bessere Verzahnung von Ambulant Sie uns die Einführung des PEPP weiter aufmerksam- und Stationär gerade nicht gefördert wird. kritisch begleiten und an den richtigen Stellen den Hebel (Beifall bei der Abg. Maria Klein-Schmeink zur Korrektur ansetzen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vielen Dank. Vielmehr kommen aufgrund der verkürzten akutstationä- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ren Behandlungszeiten rehabilitative Aspekte in der Be- handlung zu kurz. Wer gerade noch in einer akuten Epi- sode seiner psychischen Erkrankung steckte, ist schnell Vizepräsidentin Petra Pau: überfordert. Wenn der oder die Betroffene Glück hat, en- Kollegin Baehrens, das war Ihre erste Rede im Deut- gagiert sich die entlassende Klinik unentgeltlich für Fol- schen Bundestag. Dazu möchte ich Ihnen gratulieren. gemaßnahmen. Da diese aber regional sehr unterschied- Ich möchte Ihnen gleichzeitig mit auf den Weg geben, (B) lich und meist unzureichend zur Verfügung stehen, dass Sie jetzt keinen Kredit aufgenommen haben. Viel- (D) kommt es oft zu belastenden Wartezeiten, womöglich zu mehr gilt in Zukunft: Wenn das Minuszeichen vor der neuen akuten Krisen oder gar zur Chronifizierung der Zahl erscheint, dann ist tatsächlich die Redezeit abgelau- Krankheit. Darum braucht es klare Zuständigkeiten und fen. die entsprechende Vergütung für ein patientenzentriertes Übergangs- und Case-Management. (Heiterkeit und Beifall) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Das Wort hat der Kollege Lothar Riebsamen für die der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜND- Unionsfraktion. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU – Hilde Mattheis Problematische Verschiebungen in andere Leistungs- [SPD]: Die zwei Minuten gehen jetzt bei Ihnen bereiche wie beispielsweise SGB XI – Pflegeeinrichtun- ab, Herr Riebsamen!) gen –, die diesen Zielgruppen nicht annähernd gerecht werden können, sind keine angemessene Antwort. In Ba- Lothar Riebsamen (CDU/CSU): den-Württemberg erleben wir gerade, dass Träger der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen Sozialpsychiatrie aufgefordert werden, neue, zusätzliche und Kollegen! Liebe Kollegen der Linken, Sie haben in – insbesondere geschlossene – Wohngruppen aufzu- Ihrem Antrag formuliert: bauen. Allein in Stuttgart sind in den letzten zwei Jahren drei geschlossene Wohnheime neu entstanden, weil be- Liegen die realen Kosten in einem Krankenhaus hö- reits jetzt die Verweildauern in der klinischen Behand- her, ist das Entgelt nicht kostendeckend. Diese Kli- lung deutlich abgenommen haben. Wollen wir diesen nik muss also die Kosten senken … Rückfall in die Zeit vor der Psychiatrie-Enquete wirk- lich? Da kann ich Ihnen nicht widersprechen. Ja, das wer- den sie wohl müssen. Aber haben Sie auch daran ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dacht, dass es Krankenhäuser gibt, die Leistungen er- der LINKEN und der Abg. Maria Klein- bringen, ohne dass es angemessene Preise gibt? Zum Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – ersten Mal definieren wir Leistung. Wenn es Kranken- Zurufe von der SPD: Nein! Nein!) häuser gibt, die für die gleiche Leistung mehr Geld be- kommen als andere, dann kommen diese anderen zu Nein, wir sind nämlich herausgefordert, die Ziele der kurz. UN-Behindertenrechtskonvention ernst zu nehmen und für mehr Selbstständigkeit und Teilhabe einzutreten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1439

Lothar Riebsamen (A) Deswegen ist dieses Entgelt, das wir jetzt einführen, ge- Erst dann, wenn es wirklich notwendig ist, sollte die (C) recht. Wo ist denn an der Stelle Ihr Gerechtigkeitssinn Hilfe im stationären Bereich erfolgen – dann so kurz wie geblieben? Das kann ich überhaupt nicht nachvollzie- nur möglich. hen. Es kann schon sein, dass dieses System besonders (Beifall bei der CDU/CSU) schwierige Fälle nicht in der Weise abbildet, wie wir uns das vorstellen. Dafür ist es aber – wir haben es heute Ich bin der Überzeugung, dass wir mit diesem Ent- schon mehrfach gehört – ein lernendes System. Wir ha- gelt, bei dem wir erstmals Leistung definieren, die Kran- ben neun Jahre lang Zeit, um das in den Griff zu bekom- kenhäuser in die Lage versetzen, einen Überblick da- men. rüber zu gewinnen, welche Leistungen sie selber erbringen und was diese Leistungen kosten. Bisher wa- Im Koalitionsvertrag wurde deutlich gemacht, dass ren alleine die Berechnungstage und die Fälle mehr oder genau in diesen besonders schweren Fällen, wo ein lan- weniger die Grundlage, um die tagesgleichen Pflege- ger Aufenthalt durchaus angezeigt ist, keine Nachteile sätze zu kalkulieren. Das ist deutlich zu wenig. Wenn entstehen dürfen, weder für die Krankenhäuser noch für man in der heutigen Zeit eine so komplexe Einrichtung den Patienten. Darauf werden wir bei der Entwicklung wie ein Krankenhaus führen will, ist diese Kalkulations- des Systems ein besonderes Augenmerk legen; das si- methode schlicht und ergreifend nicht mehr zeitgemäß. chern wir Ihnen an der Stelle noch einmal zu. Es ist im Rahmen des jetzigen Entgeltsystems auch Ich fordere Sie auf, nicht mit Verzagtheit, nicht mit nicht möglich, vernünftige Vergleiche, was die Leistung Bedenken an dieses problematische Thema heranzuge- anbelangt, mit anderen Krankenhäusern anzustellen. Die hen, nicht mit neuen Verordnungen und Reglementierun- Krankenhäuser selber müssten das größte Interesse da- gen das alles in den Griff bekommen zu wollen, sondern ran haben, ein Benchmarking zu erhalten, das tatsächlich zusammen mit uns mutig voranzugehen, um in den psy- aussagefähig ist, um endlich Transparenz in Kranken- chiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern häuser, in psychiatrische und psychosomatische Einrich- mittelfristig ein zeitgemäßes Vergütungssystem einzu- tungen hineinzubekommen, und zwar Transparenz für führen. sich selber, gegenüber den Kostenträgern, aber vor allem gegenüber den Patientinnen und Patienten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) neten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Jetzt gibt es ein verweildauerorientiertes Vergütungs- Ich schließe die Aussprache. (B) system, das bekanntlich mit tagesgleichen Pflegesätzen (D) arbeitet. Ich glaube auch, dass dieses verweildauerorien- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf tierte System nicht patientengerecht ist. Welcher Patient Drucksache 18/557 an den Ausschuss für Gesundheit hat denn schon ein Interesse daran, sich unnötig lange vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist stationär in einer psychiatrischen Einrichtung aufzuhal- der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. ten? Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Ende unserer heutigen Tagesordnung. GRÜNEN]: Genau! Er muss die richtige Hilfe Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- kriegen!) destages auf Mittwoch, den 12. März 2014, 13 Uhr, ein. Es geht doch darum, die richtige Hilfe zu bekommen, Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles sei es über die sozialpsychiatrischen Dienste. Das be- Gute in der Zwischenzeit, Erfolge im Wahlkreis und ginnt ganz unten, also niederschwellig, in den Kommu- vielleicht auch ein bisschen Erholung. nen und geht über den niedergelassenen Bereich und teilstationäre Einrichtungen bis hin zu den PIAs. (Schluss: 14.46 Uhr)

Anlagen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1441

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

van Aken, Jan DIE LINKE 21.02.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 21.02.2014

Alpers, Agnes DIE LINKE 21.02.2014 Dr. Schlegel, Dorothee SPD 21.02.2014

Bätzing-Lichtenthäler, SPD 21.02.2014 Schmidt (Wetzlar), SPD 21.02.2014 Sabine Dagmar

Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 21.02.2014 Stritzl, Thomas CDU/CSU 21.02.2014 Marieluise DIE GRÜNEN Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 21.02.2014 Behrens, Herbert DIE LINKE 21.02.2014 DIE GRÜNEN

Dr. Brantner, Franziska BÜNDNIS 90/ 21.02.2014 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 21.02.2014 DIE GRÜNEN Ulrich, Alexander DIE LINKE 21.02.2014 Brase, Willi SPD 21.02.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 21.02.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 21.02.2014 Walter-Rosenheimer, BÜNDNIS 90/ 21.02.2014 Freese, Ulrich SPD 21.02.2014 Beate DIE GRÜNEN

(B) Grundmann, Oliver CDU/CSU 21.02.2014 Wolff (Wolmirstedt), SPD 21.02.2014 (D) Waltraud Gutting, Olav CDU/CSU 21.02.2014 Zypries, Brigitte SPD 21.02.2014 Dr. Hahn, André DIE LINKE 21.02.2014

Held, Marcus SPD 21.02.2014 Anlage 2

Heller, Uda CDU/CSU 21.02.2014 Erklärung nach § 31 GO

Dr. Lauterbach, Karl SPD 21.02.2014 der Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) zu der namentlichen Abstimmung über die Be- Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ 21.02.2014 schlussempfehlung zu dem Antrag der Bundes- DIE GRÜNEN regierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte an der EU- Dr. Malecha-Nissen, SPD 21.02.2014 geführten Ausbildungsmission EUTM Mali auf Birgit Grundlage des Ersuchens der malischen Regie- rung sowie der Beschlüsse 2013/34/GASP und Nahles, Andrea SPD 21.02.2014 2013/87/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom Pflugradt, Jeannine SPD 21.02.2014 18. Februar 2013 in Verbindung mit den Reso- lutionen 2071 (2012), 2085 (2012) und 2100 Pilger, Detlev SPD 21.02.2014 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- nen (17. Sitzung, Tagesordnungspunkt 6 a) Pofalla, Ronald CDU/CSU 21.02.2014 Ich konnte an der Abstimmung zu EUTM Mali nicht teilnehmen, da ich eine Besuchergruppe hatte und mit Rüthrich, Susann SPD 21.02.2014 dieser gerade auch über die Mandate in und Mali diskutierte. Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 21.02.2014 Ich möchte aber trotzdem klarstellen, dass mein Vo- Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 21.02.2014 tum zu dem Mandat EUTM Mali Nein lautet. 1442 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

(A) Anlage 3 Besoldung von Bundesrichtern zwar für gerechtfertigt, (C) aber dennoch als nicht angemessen erachte. Erklärungen nach § 31 GO Eine Anhebung in drei oder vier Schritten von höchs- zu der namentlichen Abstimmung über den tens 3 Prozent wäre schon jetzt der allgemeinen Lohnent- Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des wicklung sehr viel näher gewesen als eine 5-prozentige Abgeordnetengesetzes und eines … Gesetzes Erhöhung in lediglich zwei Schritten. Eine Quasilohn- zur Änderung des Europaabgeordnetengeset- indexierung bzw. -anpassung an den vom Statistischen zes (Tagesordnungspunkt 16 a) Bundesamt ermittelten Anstieg der Nominallöhne wäre dann ab 1. Januar 2017 möglich. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Darüber hinaus kritisiere ich die fehlende Ortsdiffe- Die Unabhängige Kommission zu Fragen des Abgeord- renzierung bei der steuerfreien Aufwandspauschale, die netenrechts hat die Entscheidung des Gesetzgebers, die für alle Bundestagsabgeordneten gleichermaßen gilt und Abgeordnetenentschädigung an den Monatsbezügen ei- dabei dem Mehraufwand von Flächenwahlkreisen nicht nes Richters bei einem obersten Gerichtshof des Bundes gerecht wird. Darüber hinaus werden hauptstadtnahe – Besoldungsgruppe R 6 – bzw. eines kommunalen Wahlkreisabgeordnete ohne Zweitwohnung in Berlin Wahlbeamten auf Zeit – Besoldungsgruppe B 6 – zu sowie über Landeslisten gewählte Abgeordnete ohne ei- orientieren, bestätigt und für angemessen erklärt. genen Wahlkreis und Wahlkreisbüros sichtlich besserge- stellt, sodass die steuerfreie Aufwandspauschale allen- Insoweit der Gesetzentwurf die Abgeordnetenent- falls teilweise zur Deckung des tatsächlichen Aufwandes schädigung an diesen Maßstab anpasst, ist dies zu unter- verwandt wird und daher am eigentlichen Zweck vorbei stützen. Warum dies in einem Zweischritt vorgenommen ungerechtfertigt ein Einkommen darstellen kann. wird, ist unklar. Damit gerät die Anpassung an den ge- setzlichen Maßstab aus dem Blick, und es erscheint als reine – und dann eben überproportionale – Erhöhung. Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Dem heute zur Hier nimmt die Koalition ihr eigenes gesetzgeberisches Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktio- Ziel, die Angemessenheit der Entschädigung abzubilden, nen CDU/CSU und SPD stimme ich mit Einschränkung nicht ernst. Überzeugender wäre meines Erachtens ein zu. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Schritt und dann eben zum zweiten Datum gewesen. Der Gesetzentwurf führt in vielen Fragen zu einer an- Die Kommission hat allerdings auch unterschiedliche gemessenen und notwendigen Anpassung des Abgeord- Vorschläge zur Reform der Altersentschädigung ge- netenrechts. Gegen die in Art. 1 Nr. 9 vorgeschlagene Neuregelung der Anrechnung beim Zusammentreffen (B) macht. In diesem kurzen Beratungsverfahren ist die (D) ernsthafte Diskussion dieser Vorschläge nicht sachge- mehrerer Bezüge aus öffentlichen Kassen hege ich je- recht möglich. doch wie gegen die aktuell geltende Regelung schwer- wiegende verfassungsrechtliche Bedenken. Es liegt eine Ich persönlich halte das von einem Teil der Kommission Ungleichbehandlung vor, die nicht zu rechtfertigen ist. vorgeschlagene Bausteinmodell – Drucksache 17/12500, Während die gesetzlich in der Rentenversicherung S. 27 ff. – für erwägenswert. Abgeordnete würden da- Versicherten einen Abzug in Kauf nehmen müssen, er- durch auch mit in die Rentenversicherung einbezogen halten die in einem berufsständischen Versorgungswerk und zumindest mit diesem Teil ihrer Altersversorgung an Versicherten ihre vollen Altersbezüge ohne jeden Ab- der Einkommensentwicklung der Renterinnen und Rent- zug. Zwischen beiden Versicherungssystemen bestehen ner partizipieren. Der zweite Teil könnte in einer um die jedoch keine derartigen Unterschiede, dass sie eine un- Rentenansprüche gekürzten Abgeordnetenversorgung gleiche Behandlung von solcher Art und solchem Ge- nach heutigem Muster bestehen. Während die Umstel- wicht rechtfertigen. lung wirkungsgleich im Reformjahr vorgenommen wer- den könnte, würde der Rentenanteil der Altersversor- Die Begründung zu Art. 1 Nr. 9, die Abzüge auf gung sich nach der Rentenentwicklung richten. 50 Prozent festzulegen, da die Rentenversicherungsbei- träge nur zu diesem Anteil aus dem eigenen Arbeitsver- Ein solches Versorgungsystem wäre angemessen und hältnis des Abgeordneten beruhen, ist nicht nachvoll- würde auch den Verhältnissen von Beschäftigten in der ziehbar. Die Ansprüche an die Rentenversicherung sind Wirtschaft entsprechen, die in Leitungsfunktionen zum als eigentumsgleich anzusehen. Dabei spielt es keine Teil erhebliche Altersversorgungsansprüche neben der Rolle, dass die Beiträge an die Rentenversicherung teil- Rente erwerben. weise vom Arbeitgeber getragen werden, weil die Ge- Da die Koalition mit ihrem Hauruckverfahren eine samtsumme Teil des dem Arbeitnehmer zustehenden Diskussion über solche Alternativen abwürgt, stimme Lohnes ist. ich mit Nein. Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass sowohl der geltende § 29 Abs. 2 Satz 2 AbgG als auch die vorge- Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich stimme der schlagene Neufassung als verfassungswidrig anzusehen Anhebung der Abgeordnetenentschädigung – gemäß sind. Abgeordnetengesetz – zu, obgleich ich eine Anhebung in zwei Schritten zum 1. Juli 2014 und zum 1. Januar Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Der heute 2015 von 8 252 Euro auf 9 082 Euro auf das Niveau der verabschiedete Gesetzentwurf beinhaltet einen richtigen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1443

(A) Ansatz: Parallel zu den Erhöhungen der Diäten der Bun- Einlassungen unter uns gibt, stimmen wir dem vorlie- (C) destagsabgeordneten werden die Pensionen gekürzt und genden Gesetz deshalb zu. das Pensionseintrittsalter erhöht. Ziel muss es jedoch sein, von der Kommune bis hin zum Bund insgesamt die Regelungen der Altersversorgung für Beamte und Politi- Anlage 5 ker auf den Prüfstand zu stellen. Erklärung nach § 31 GO Die Versorgungsaufwendungen sind in den vergange- der Abgeordneten Klaus Ernst, Richard nen Jahren massiv gestiegen. Pitterle, Jörn Wunderlich (alle DIE LINKE) zu Im nächsten Jahrzehnt kommt die Pensionslawine erst der namentlichen Abstimmung über den Ent- richtig ins Rollen. Die Handlungsspielräume der Politik wurf eines … Gesetzes zur Änderung des Abge- werden dadurch deutlich eingeschränkt. Vor diesem Hin- ordnetengesetzes und eines … Gesetzes zur tergrund ist auch in der breiten Öffentlichkeit nicht mehr Änderung des Europaabgeordnetengesetzes vermittelbar, warum gerade auch Politiker im Hinblick (Tagesordnungspunkt 16 a) auf die Altersvorsorge einen Ausnahmestatus genießen. Die Anlehnung der Diäten an die R6 Besoldung hal- Aus diesem Grund habe ich als Bundesvorsitzender ten wir nach wie vor für richtig; ebenso sind die Absen- der CDU-Mittelstandsvereinigung eine Kommission im- kung des Renteneintrittsalters und die Absenkung der plementiert, die sich bis zur nächsten Bundestagswahl Altersversorgungshöhe für uns ein Schritt in die richtige mit einer Neuordnung der Altersversorgung für Beamte Richtung, wenn auch nicht weitgehend genug. und Politiker auseinandersetzt. Wir werden beantragen, Die Anpassung der Diäten innerhalb eines halben die Ergebnisse der Kommissionsarbeit ins Wahlpro- Jahres halten wir jedoch für zu schnell. Angesichts der gramm der Union für die nächste Bundestagswahl auf- noch immer nicht angepassten Löhne in Deutschland nehmen zu lassen. zwischen den alten und den neuen Bundesländern knapp 25 Jahre nach dem Fall der Mauer denken wir, dass eine Anpassung der Diäten in ähnlich langen Schritten hätte Anlage 4 erfolgen können. Erklärung nach § 31 GO Von daher haben wir uns trotz der guten Ansätze bei dem Gesetzentwurf enthalten. der Abgeordneten Dr. Hans-Peter Bartels, Bettina Hagedorn, Matthias Ilgen, Gabriele (B) Hiller-Ohm, Sönke Rix, Dr. Ernst Dieter Anlage 6 (D) Rossmann, Franz Thönnes (alle SPD) zu der na- mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei- Erklärungen nach § 31 GO nes … Gesetzes zur Änderung des Abgeordne- zu der namentlichen Abstimmung über den tengesetzes und eines … Gesetzes zur Änderung Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesord- Abgeordnetengesetzes und eines … Gesetzes nungspunkt 16 a) zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (Tagesordnungspunkt 16 b) Als SPD-Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Hol- stein haben wir uns in den letzten Jahren in die Diskus- sion um die Reformvorschläge zu Abgeordnetenbezah- Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Ich werde lung und -versorgung, wie sie auch in unserem mich bei der Abstimmung über den genannten Gesetz- Landesverband und in der Landespolitik behandelt wor- entwurf der Stimme enthalten. den sind, ebenso engagiert wie kritisch in unserer Frak- Grundsätzlich bin ich einverstanden, den Tatbestand tion und in der Partei eingebracht. Zentrale Anliegen aus der Bestechung von Abgeordneten gesetzlich zu erwei- unserer Sicht waren und sind für uns a) eine plausible tern und entsprechend strafwürdiges Verhalten unter und gerechte Regelung für die Maßstäbe, nach denen zu- Strafe zu stellen. künftige Anpassungen der Abgeordnetendiäten vorge- nommen werden, b) eine deutliche Veränderung der Re- Die jetzt vorgeschlagene Regelung halte ich jedoch gelung zur bislang vorgezogenen Altersentschädigung für zu unbestimmt. Danach ist es nicht klar und eindeu- und c) eine angemessene Abschmelzung des Grund- tig, wann einschlägiges Verhalten eines Abgeordneten niveaus für die Altersversorgung. strafbar ist und wann nicht. Wir erkennen an, dass es mit der zur Abstimmung ste- Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Ich werde henden Diätenreform eine Aufnahme wichtiger Punkte mich bei der Abstimmung über den genannten Gesetz- gibt, die wir bereits in den letzten Jahren vertreten ha- entwurf der Stimme enthalten. ben. Insbesondere die für die Zukunft vorgesehene Ankoppelung an den durchschnittlichen Anstieg der No- Ich bin ausdrücklich damit einverstanden, den Tatbe- minallöhne, aber auch die Abschaffung einer abschlags- stand der Bestechung von Abgeordneten gesetzlich zu freien Altersentschädigung mit 57 Lebensjahren halten erweitern und entsprechend strafwürdiges Verhalten un- wir für sehr wichtig. Auch wenn es bei anderen neuen ter Strafe zu stellen. Die vorgeschlagene Regelung halte Regelungen unterschiedliche kritische wie zustimmende jedoch für zu unbestimmt. 1444 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014

(A) Danach ist nicht klar, wann einschlägiges Verhalten erhalten. Daher finde ich es auch vertretbar, dass die Be- (C) eines Abgeordneten strafbar ist und wann nicht. Noch zahlung von Parlamentariern sich in Zukunft an der von unsicherer und unhaltbarer würde die Lage für die ehren- Bundesrichtern orientiert. Auf der anderen Seite sollte es amtlichen Mandatsträger auf kommunaler Ebene. aber nicht möglich sein, nebenbei noch unbegrenzt hin- zuzuverdienen. Ich hätte es für richtig gehalten, mit der jetzigen Erhöhung auch eine komplette Offenlegung und eine Begrenzung der Nebentätigkeiten zu beschließen. Anlage 7 Hier bleibt noch viel zu tun. Erklärung nach § 31 GO Ich selber lege alle meine Nebenverdienste komplett offen und verpflichte mich in einem freiwilligen Verhal- des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zu den tenskodex für Abgeordnete darüber hinaus zu einer Be- namentlichen Abstimmungen über: grenzung meiner Nebentätigkeiten und zu einer Karenz- zeit nach der politischen Tätigkeit. Die Diskussion über – den Entwurf eines … Gesetzes zur Ände- weitergehende Verhaltensregeln von Abgeordneten rung des Abgeordnetengesetzes und eines … werde ich auch in Zukunft vorantreiben. Gesetzes zur Änderung des Europaabgeord- netengesetzes Nach Abwägung all dieser Aspekte bin ich zu dem Schluss gekommen, beiden Gesetzentwürfen von CDU/ – den Entwurf eines … Strafrechtsänderungs- CSU und SPD zuzustimmen. gesetzes – Erweiterung des Straftatbestan- des der Abgeordnetenbestechung (Tagesordnungspunkt 16 a und b) Anlage 8 Meiner Ansicht nach ist die geplante Erhöhung der Ab- geordnetenentschädigung zum 1. Juli 2014 auf 8 667 Euro Amtliche Mitteilungen und zum 1. Januar 2015 auf dann 9 082 Euro in dieser Der Bundesrat hat in seiner 919. Sitzung am 14. Fe- schnellen Abfolge und Höhe überzogen. Ich hätte mir bruar 2014 beschlossen, zu dem Gesetz zur Gewäh- gewünscht, dass wir über eine Diätenerhöhung ausgiebig rung einer Umverteilungsprämie 2014 (Umvertei- diskutieren und uns Zeit für die Umsetzung und die An- lungsprämiengesetz 2014 – UmvertPrämG 2014) passung an die Gehälter von Bundesrichtern nehmen. So einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundge- hätte auch der Eindruck vermieden werden können, dass setzes nicht zu stellen. (B) die Große Koalition als eines ihrer ersten Vorhaben sich (D) nun gleich zu Beginn die Gehälter erhöht. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie Ich erkenne jedoch an, dass gleichzeitig die Altersver- gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von sorgung von Abgeordneten spürbar gesenkt werden soll. einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen Ich habe die Rentenbezüge in der Vergangenheit immer absehen: wieder als überzogen kritisiert. Die geplante Regelung kann aber nur der erste Schritt sein. Ich begrüße es ins- gesamt, dass wir Abgeordnete nun ein letztes Mal selber Auswärtiger Ausschuss über unsere Bezüge abstimmen. In Zukunft werden die Bezüge jährlich automatisch entsprechend der Erhöhung – Unterrichtung durch die Bundesregierung – des Nominallohnindexes des Statistischen Bundesamtes Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan 2014 angepasst. Damit ist sichergestellt, dass die Abgeordne- Drucksache 18/466 ten an der durchschnittlichen – positiven wie negativen – Einkommensentwicklung teilhaben, ohne dass der Bun- destag jedes Jahr einen neuen Beschluss fassen muss. Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Besonders wichtig ist mir die mit der Diätenerhöhung – Unterrichtung durch die Bundesregierung – verbundene Reform des Straftatbestandes der Abgeord- Jahresgutachten 2013/14 des Sachverständigenrates zur netenbestechung. Hier ist man nach Jahren des Stillstan- Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung des und der Verweigerung von Union und FDP endlich vorangekommen, und Deutschland wird nun endlich die Drucksache 18/94 UN-Konvention gegen Korruption unterzeichnen kön- nen. Aber dennoch bezweifeln auch bei diesem Gesetz – Unterrichtung durch die Bundesregierung – viele Experten, dass es so rechtsverbindlich formuliert Jahreswirtschaftsbericht 2014 der Bundesregierung ist, dass Verstöße auch wirklich geahndet werden kön- Drucksache 18/495 nen. Diese Unsicherheit hätte leicht verbessert werden können. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Grundsätzlich finde ich es richtig, dass Abgeordnete, mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden die einen verantwortungsvollen und zeitaufwendigen Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- Beruf ausüben, dafür eine angemessene Entschädigung ner Beratung abgesehen hat. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Februar 2014 1445

(A) Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.81 (C) Ratsdokument 17507/13 Drucksache 18/419 Nr. A.13 Ratsdokument 10841/13 Drucksache 18/419 Nr. A.82 Ratsdokument 17510/13

Haushaltsausschuss Verteidigungsausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.71 Ratsdokument 9331/13 Drucksache 18/419 Nr. A.108 Drucksache 18/419 Nr. A.74 Ratsdokument 15263/13 Ratsdokument 13822/13 Drucksache 18/419 Nr. A.75

Ratsdokument 13824/13 Ausschuss für Bildung, Forschung und

Drucksache 18/419 Nr. A.79 Technikfolgenabschätzung Ratsdokument 16606/13 Drucksache 18/419 Nr. A.80 Drucksache 18/419 Nr. A.162 Ratsdokument 16834/13 Ratsdokument 12344/13

(B) (D) Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-7980