Die Kritik an Der Aufklärung in Der Frühen Dramatik Friedrich Schillers
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Erkan Atalay „Mir ekelt vor diesem Tintengleksenden Sekulum“: Die Kritik an der Aufklärung in der frühen Dramatik Friedrich Schillers Vorblatt Staatsexamensarbeit im Rahmen des Studiengangs Lehramt an Gymnasien für die Fächer Deutsch und Philosophie (Georg-August-Universität Göttingen) Teilfach: Neuere deutsche Literaturwissenschaft (Seminar für deutsche Philologie Göttingen) Erstgutachter: Prof. Dr. Stockinger Zweitgutachter: Prof. Dr. Lauer Vorgelegt am 14.11.2007 Publikation Erstpublikation im Goethezeitportal Vorlage: Datei des Autors Eingestellt am URL: Autor Erkan Atalay Von-Ossietzky-Straße 15 37085 Göttingen E-Mail: [email protected] Empfohlene Zitierweise Beim Zitieren empfehlen wir hinter den Titel das Datum der Einstellung oder des letzten Updates und nach der URL-Angabe das Datum ihres letzten Besuchs dieser Online–Adresse anzugeben: In: Goe- thezeitportal. URL: 1 Geleitwort Erkan Atalay: Die Kritik an der Aufklärung in Schillers früher Dramatik Erkan Atalays Studie zeigt den aufklärungskritischen Impuls der frühen Dramatik Schillers auf; behandelt werden insbesondere Die Räuber sowie Die Verschwörung des Fiesco zu Ge- nua. Im Mittelpunkt steht dabei Schillers Absicht, eine Kritik der neuzeitlichen Subjektivität zu liefern. Leitender Begriff der Untersuchungen Atalays ist der Gigantismus und damit jene nicht mehr durch ständische Regeln und Traditionen bestimmte Subjektivität, die an ihrer autonomen Selbstbegründung scheitert, weil Selbstbefreiung in Solipsismus und schließlich in Größenwahn überzugehen droht. Die Arbeit zeigt mit kritischem und ausgesprochen selbstän- digem Blick auf die Forschung, wie es Schiller in Anlehnung an Konzepte des englischen Sensualismus und der Moralphilosophie um den ‚ganzen Menschen’ zu tun ist. Das in Schrif- ten Kants, Mendelssohns oder Wielands explizit oder implizit formulierte ‚Gefahrenpotential’ ‚der Aufklärung’ für das in den Prozess des Mündigwerdens entlassene Individuum bereitet die kritischen Positionen Schillers vor, die Atalay – im Sinne nachträglicher Setzungen zu den frühen Dramen – der epochalen Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen entnimmt. Im Vordergrund steht dabei Schillers Absage an jene auf- klärerischen Konzepte, die sich nicht etwa um eine „Rehabilitation der Sinnlichkeit“ (P. Kon- dylis) verdient machen, sondern die eine einseitige Orientierung an der Verstandeskultur pro- pagieren und so ‚den ganzen Menschen’ marginalisieren. Auf diese Weise gelingt es Atalay, den ‚Egoismus’ etwa eines Franz Moor aus unterschiedlichen Blickrichtungen zu erklären: zum einen in der Konfrontation mit Kants Konzept einer Kultur der Mündigkeit, deren Kon- sequenzen, insbesondere bezogen auf die ablehnende Haltung gegenüber der Religion, das Drama vorführt; zum anderen in Erinnerung an Mendelssohns Warnung vor den ‚inhumanen’ Folgen einer bloß ‚theoretischen’ Aufklärung; und zum dritten mit Wielands Forderung nach einer enttabuisierten (nämlich der „uneingeschränktesten“) „Untersuchung“, die keinerlei Denkverbote zulässt. Aus dieser Perspektive verkörpern Karl und Franz einerseits die zwei entgegen gesetzten Tendenzen des Zeitalters: den prometheischen Individualismus (Karl) und den konsequenten Materialismus (Franz). Andererseits führen sie genau darin die möglichen Gefahren einer sich einseitig verselbständigenden Aufklärung in den jeweiligen Extremen vor. Als ‚tertium comparationis’ dieser ‚Perversionen’ kann der Egoismus des gekränkten ‚Genies’ gelten, der sich etwa auch in der Figur des Grafen von Lavagna, Fiesco, wiederholt, und in diesem Fall zudem mit der politischen Philosophie des Jahrhunderts begründet wird. Prof. Dr. Claudia Stockinger Seminar für Deutsche Philologie Georg-August-Universität Göttingen Käte-Hamburger-Weg 3 D – 37073 Göttingen Email: [email protected] 2 Inhaltsverzeichnis Einleitung 4 Hauptteil I: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung ? 1.1 Schillers Kritik an der „theoretischen Kultur“ der Aufklärung in den Briefen „Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen“ 12 1.2 Immanuel Kants Beantwortung der Frage „Was ist Aufklärung ?“ 20 1.3 Die „Dialektik der Aufklärung“ aus der Perspektive Moses Mendelssohns 23 1.4 Christoph Martin Wieland und die Forderung nach der 27 „uneingeschränktesten Untersuchung“ Hauptteil II: Die Kritik an der Aufklärung in den frühen Dramen Friedrich Schillers „Die Räuber“: Die Perversion aufgeklärter Mündigkeit 2.1 Charakterisierung Franz Moor 31 2.2 Der Gigantismus des modernen Individuums 34 2.3 Die Wendung gegen die Natur 37 2.4 Franz Moor und die Perversion des Naturrechts 43 2.5 Die Kontroverse mit Pastor Moser: „Es ist kein Gott !“ 45 2.6 Charakterisierung Karl Moor 50 2.7 Karl Moor und die Perversion aufgeklärter Mündigkeit a) Die Forderung nach Autonomie 52 b) Der Bruch mit der überkommenen Ordnung 56 „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“: Aufklärungskritik im politischen Kontext 2.8 Verrinas „grausame Weisheit“ 60 2.9 Charakterisierung Fiesko 61 2.10 Fieskos Philosophie der Macht 67 2.11 Fiesko als „Barbar“ 77 Schluß: Aspekte des Gigantismus 80 3 Einleitung Zu Beginn der Szene I,2 lesen wir in Schillers Debütdrama „Die Räuber“: „KARL V. MOOR legt das Buch weg. Mir ekelt vor diesem Tintengleksenden Sekulum, wenn ich in meinem Plutarch lese von grossen Menschen.“1 Was hier Karl von Moor als „Tintengleksendes Seku- lum“ denunziert ist die mächtigste geistige Bewegung des 18. Jahrhunderts: Die Aufklärung.2 Zwar erschöpft sich das Säkulum nicht in ihr.3 Das 18. Jahrhundert ist mit der Aufklärung weder sachlich noch zeitlich deckungsgleich; es existieren neben ihr noch andere philosophi- sche, religiöse und literarische Strömungen.4 Aber dennoch ist die Aufklärung fraglos die dominierende geistige Strömung des 18. Jahrhunderts.5 Diese Dominanz zeigt sich nicht zu- letzt daran, daß sie einen der großen Schriftsteller der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser geistigen Bewegung veranlaßt, und zwar keinen geringeren als Friedrich Schiller. Kritik an der Aufklärung findet sich aber nicht nur in Schillers erstem Drama. Vielmehr durchzieht die Aufklärungskritik die gesamte frühe Dramatik von Friedrich Schiller.6 Ziel dieser Arbeit ist es, über eine Untersuchung der frühen Dramen Friedrich Schillers seine Kri- tik an der Aufklärung herauszuarbeiten. Zu Schillers frühen Dramen zählen neben dem Erst- ling „Die Räuber“ das republikanische Trauerspiel „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“, sowie das bürgerliche Trauerspiel „Kabale und Liebe“ und sein `dramatisches Gedicht` „Don Karlos“.7 Aus Raumgründen werden aber im Rahmen dieser Staatsexamensarbeit nur die er- sten beiden Dramen im Hinblick auf die hier exponierte Zielsetzung untersucht. Vor dem Hin- tergrund der dieser Arbeit zugrundeliegenden Fragestellung, nämlich was für eine Kritik an 1 Schiller, Friedrich: Die Räuber. In: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 3. Herausgegeben von Herbert Stu- benrauch. Weimar: Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger 1953. S. 20. Die Schiller-Nationalausgabe wird im folgenden zitiert mit römischer Bandzählung und anschließender arabischer Seitenzählung. 2 Vgl. Schneiders, Werner: Das Zeitalter der Aufklärung. 3. Auflage. München: Verlag C.H. Beck 2005. S. 16. 3 Vgl. Kreimendahl, Lothar: Einleitung: Die Philosophie des 18. Jahrhunderts als Philosophie der Aufklärung. In: ders. (Hrsg.): Philosophen des 18. Jahrhunderts. Eine Einführung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesell- schaft 2000. S. 1-32; S. 22. 4 Vgl. Schneiders 2005: 16 sowie Jacobs, Jürgen: Aporien der Aufklärung. Studien zur Geistes– und Literaturge- schichte des 18. Jahrhunderts. Tübingen, Basel: Francke Verlag 2001. S. 10. 5 Vgl. Kreimendahl 2000: 22. 6 Vgl. Hofmann, Michael: Schiller. Epoche – Werk – Wirkung. München: Verlag C. H. Beck 2003 (= Arbeitsbü- cher zur Literaturgeschichte. Herausgegeben von Wilfried Barner und Gunter E. Grimm.). S. 23. 7 Schillers Dramen werden in frühe und späte Dramatik eingeteilt. Mit dem „Don Karlos“ endet die frühe Dra- matik. Innerhalb der frühen Dramatik gibt es folgendes Gliederungskriterium: Zwei seiner frühen Dramen spie- len in geschichtlichen Epochen, nämlich der „Fiesko“ und der „Don Karlos“. Der Erstling und sein einziges bürgerliches Trauerspiel nicht (Vgl. hierzu Rochow, Christian Erich: Das bürgerliche Trauerspiel. Stuttgart: Reclam Verlag 1999. S. 8 und S. 160.). Auf die Phase der frühen Dramatik wird seine Wendung zur Geschichte erfolgen, die sich nach der Beendigung des „Don Karlos“ einstellt. Da Schiller für den „Don Karlos“ historisches Material verwendete, ergab sich die Wendung zur Geschichte offenbar „naturgemäß“ aus der Dramenproduktion 4 der Aufklärung der junge Schiller in seinen ersten beiden Dramen zur Anschauung bringt, ist die zentrale These die, das vor allem das Autonomiepostulat der Aufklärung kritisiert wird. Das zentrale Postulat der Aufklärung war die Autonomie des Subjekts.8 Die Inthronisierung des vernünftigen, autonomen Subjekts war das zentrale Anliegen des „Tintengleksenden Se- kulums“. Der Aufklärung ging es um die Emanzipation des Menschen aus der Welt des ge- schichtlichen Herkommens.9 Ziel war die Befreiung von allen Autoritäten, Lehren, Ordnun- gen, Bindungen, Institutionen und Konventionen, die der kritischen Prüfung durch die auto- nome menschliche Vernunft nicht standzuhalten vermögen, und sich infolgedessen als Aber- glaube, Vorurteil, Irrtum usw. erweisen.10 Diese Befreiung des Individuums als Anliegen der Aufklärung birgt für den jungen Schiller eine Gefahr. Der junge Schiller