Nachrichten Aus Der Forschung Rumänien Im Zweiten Weltkrieg
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Nachrichten aus der Forschung Mihail E. Ionescu Rumänien im Zweiten Weltkrieg (1939-1945): Die rumänische historiographische Perspektive Bis gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts stellte ohne Zweifel der Zweite Weltkrieg das am meisten erforschte geschichtliche Thema dar. Eine auch für die Experten kaum noch zu überschauende Zahl von Veröffentlichungen hat diesen Konflikt unter seinen vielfältigen - militärischen, politischen, wirtschaftlichen, psy- chologischen, juristischen, gesellschaftlichen u.a. Aspekten wissenschaftlich un- tersucht. Die Forschung zu diesem Thema war besonders umfangreich in den Staaten, die in den Krieg unmittelbar verwickelt waren und deren weiteres Ge- schick von dem Verlauf und den Folgen desselben beeinflußt wurde. Rumänien unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von den übrigen Verbünde- ten der Achsenmächte. Als zunächst neutrales Land wurde es 1940 wichtiger Grenz- gebiete Bessarabiens beraubt und kämpfte ab 1941 auf Seiten der Achsenmächte gegen die Sowjetunion, schließlich de facto im Rahmen der Koalition der Alliierten (23. August 1944 bis 9. Mai 1945) gegen das Deutsche Reich. Die Kräfteverhältnisse auf der Ebene der großen Siegermächte führten am En- de des Zweiten Weltkrieges dazu, daß mehrere Länder im Zentrum und im Osten Europas, darunter Rumänien, in die Einflußsphäre der Sowjetunion gerieten und »sowjetisiert« und »kommunisiert« wurden. Dies hat die historische Analyse der Entwicklung Rumäniens während des Zweiten Weltkriegs entscheidend beein- flußt. Nachdem Moskau in den Jahren 1945 bis 1947 das kommunistische Regime eingeführt hatte, wurde die wissenschaftliche Untersuchung des im Zeitraum vom 22. Juni 1941 bis zum 23. August 1944 durchgeführten Feldzugs gegen die So- wjetunion aus ideologischen Gründen beinahe völlig untersagt. Das zeitweilige Aufheben der vom damaligen Regime der wissenschaftlichen Forschung aufer- legten Einschränkungen reichte bis Dezember 1989 und kurz danach nicht aus, um die »historische Wahrheit« über die Lage Rumäniens während des größten Weltbrands in der Geschichte der jungen Generation und der Öffentlichkeit zu ver- mitteln. Geschichte als »Kampffront« der Kommunistischen Partei Nach der Machtübernahme der Kommunisten wurde der Geschichtswissenschaft, ebenso wie dem ganzen geistigen Leben Rumäniens eine fremde Ideologie aufge- zwungen, die eine historisch-kritische Auseinandersetzung unmöglich machte. Dies führte zu einer tiefgreifenden Verfälschung der Geschichte. Forschung und Geschichtsschreibung spiegelten hierbei die gewundene Entwicklung des politi- schen Regimes in Rumänien wider und bestätigten George Orwells Behauptung, daß »im kommunistischen System die Vergangenheit unvorhersehbar« sei. Das galt auch für die Rolle Rumäniens im Zweiten Weltkrieg. Militärgeschichtliche Zeitschrift 63 (2004), S. 153-198 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam 154 MGZ 63 (2004) Nachrichten aus der Forschung In den ersten 10 bis 15 Jahren nach Kriegsende wurde unter den Bedingungen der Ost-West-Konfrontation ein Geschichtsbild entwickelt, das die Sowjetunion als das Land darstellte, das die ganze Last des Krieges getragen und Rumänien von der faschistischen Herrschaft befreit habe, während »die auf dem rumänischen Ter- ritorium stationierten Truppen der Roten Armee das Land auch gegen den ver- hängnisvollen Einfluß des anglo-amerikanischen Imperialismus schützten«. Der Zeitraum von 1938 bis 1941 sei, behauptete man, durch die Vorbereitung der in- ternen »Reaktion« und der »Ausbeuterklassen« auf den Aggressionskrieg gegen die Sowjetunion gekennzeichnet gewesen. Die Kampfhandlungen der rumänischen Armee 1941 bis 1944 wurden mit schmähenden Ausdrücken geschildert; indessen wurden die Teilnehmer an diesen Kampfhandlungen - rumänische Soldaten - ab- sichtlich ignoriert oder sogar gesellschaftlich stigmatisiert. Zum Beispiel verfaßten Mihail Roller und seine Mitarbeiter ein Handbuch mit dem Titel Istoria Republicii Populäre Romane [Geschichte der Rumänischen Volksre- publik], das später unverändert in mehreren Auflagen veröffentlicht wurde. In die- sem dem »sowjetischen Analyse-Modell« folgenden Buch wurde der von Rumä- nien im Osten geführte Krieg als »kriminell«, »blutig«, »imperialistisch«, »räube- risch« usw. bezeichnet. Angeprangert wurden sowohl das nationalsozialistische Deutschland als auch König Mihai I. (der am 30. Dezember 1947 zur Abdankung gezwungen wurde), die Nationale Bauernpartei, die Liberale Partei und die Sozi- aldemokratische Partei sowie deren führende Politiker wie auch die amerikani- schen, französischen und englischen Imperialisten1. So wurde durch Nicolae Ceau§escu die geschichtliche Analyse durch Verleumdungen und Ignorierung der Fakten ersetzt. Als sich in den 60er Jahren und zu Beginn der 70er Jahre eine autonome Poli- tik gegenüber Moskau durchsetzte, verkündete die Regierung in Bukarest eine neue Auffassung über die Beteiligung Rumäniens an den Kampfhandlungen in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Man verzichtete auf die These von »der Be- freiung« Rumäniens durch die sowjetische Armee, während die Rolle der rumä- nischen kommunistischen Partei in den Vordergrund trat; der Beitrag der übrigen politischen Kräfte (der Monarchie und der traditionellen politischen Parteien) so- wie der Armee wurde weiterhin ignoriert. So schrieb Vlad Georgescu - ein in den Westen geflüchteter rumänischer Hi- storiker, der jahrelang als Korrespondent des Radiosenders »Freies Europa« in München tätig war: »Indem sie [die kommunistische Partei] der Politik treuhaft folgte und auf jenen dialektischen Gesetzen beruhte, die ihr erlaubten, als >weiß< zu betrachten, was sie gestern als >schwarz< bezeichnete, begann sie ab 1960, mit der unschuldigen Miene desjenigen, der weiß, daß er immer Recht hat, die von ihr für definitiv angesehenen Wahrheiten neu zu interpretieren2.« Die ideologische Entspannung, die anderthalb Jahrzehnte dauerte, führte je- doch, von den zahlreichen Einschränkungen abgesehen, zu einem offensichtlichen Fortschritt auf dem Gebiet der historischen Forschung einschließlich der wissen- schaftlichen Untersuchung des Zweiten Weltkriegs. Auf institutioneller Ebene wur- den im Jahre 1969 das Zentrum für militärgeschichtliche und -theoretische Studi- en und Forschungen sowie im Jahre 1974 die Rumänische Kommission für Mi- litärgeschichte gegründet, wobei letztere sich der Internationalen Kommission für Militärgeschichte (CIHM) angeschlossen hat. Die Einstellung junger Absolventen der einheimischen Geschichtsfakultäten als wissenschaftliche Mitarbeiter wirkte sich günstig auf die rumänische militärgeschichtliche Forschung aus3. Nachrichten aus der Forschung 155 Die Intensivierung der wissenschaftlichen Beziehungen mit dem Ausland und die Erweiterung der Quellenbasis boten die Möglichkeit, die Thematik in einer Weise zu behandeln, die sich von der traditionellen »histoire des batailles« unterschied. Am Anfang der 80er Jahre wurde der ideologischen Entspannung ein Ende ge- macht. Die dem Personenkult von Nicolae Ceaugescu gewidmete Propaganda wirk- te sich auch auf die Erforschung des Zweiten Weltkriegs aus. So wurden die The- men/die zu bearbeiten waren, besonders genau vorgeschrieben, die Kontrolle über die wissenschaftlichen Forscher und deren Tätigkeit verschärft, die internationa- len Kontakte sehr reduziert und der - notwendige - kritische Geist besonders un- terdrückt; die Darstellung der negativen Aspekte historischer Ereignisse wurde aus »patriotischen Gründen« untersagt, um eine überwiegend positive Vorstellung von der rumänischen Geschichte vermitteln zu können. Aus politischen Erwä- gungen wurden zwar etliche wissenschaftliche Werke veröffentlicht, doch haben sie das Thema des Feldzugs der rumänischen Armee an der Seite der Achsen- truppen in den Jahren 1941 bis 1944 nur in einem unbedeutendem Maße behan- delt4. So könnte die wissenschaftliche Untersuchung des Zweiten Weltkriegs bis 1989 mit »einer völlig aus dem Gleichgewicht gebrachten Waage« verglichen werden. Der längsten Zeitspanne des Kriegs, den Jahren 1941 bis 1944, wurde kaum Aufmerk- samkeit beigemessen; dagegen richteten die Fachleute ihre von dem erstickenden Druck der offiziellen Ideologie belasteten Bemühungen fast ausschließlich auf die Erforschung der Ereignisse nach dem August 1944. Methodologische Erneuerung und die Herausforderungen der Gegenwart Der Zusammenbruch des kommunistischen Regimes im Dezember 1989 läutete auch eine neue Etappe in der rumänischen militärgeschichtlichen Forschung ein. Zum größten Teil handelte es sich bei den Problemen, mit denen die rumänischen Militärhistoriker sich auseinanderzusetzen hatten, um jene, die Oberst a.D. Fried- helm Klein in seinem Vortrag auf dem Internationalen Symposium »Military Hi- storiography at the Ende and the Beginning of a Millenium« - veranstaltet vom Institut für Verteidigungspolitische Studien und Militärgeschichte im Frühjahr des Jahres 1999 - hervorgehoben hat: »Die Fragen, um die es dabei geht, sind letztlich immer die gleichen. Sie betreffen Wesen und Verständnis, Erkenntnisziel und Zweck und damit den wissenschaftlichen Standort der Militärgeschichte. Sie richten sich auf den Gegenstand, die Methode und die Forschungsansätze. Und letztendlich stellt sich auch immer wieder die grundsätzliche Frage nach der Sinngebung ge- schichtswissenschaftlicher und damit auch militärgeschichtlicher Forschung5.« Die »historiographische Front« brach mit dem kommunistischen Regime zu- sammen; infolge der im Jahre 1990 gebotenen Möglichkeit, die Themen und Epo- chen nach eigenem Interesse zu untersuchen, kpnnten die