Deutschland REUTERS A380-Modell bei Airbus in Toulouse C. KAISER / PLUS 49 / VISUM C. KAISER / PLUS Hamburger Airbus-Werftgelände (mit Mühlenberger Loch): Millionen Tonnen Sand für das Kreuzfahrtschiff der Lüfte

STADTPLANUNG Fata Morgana über der Entschwebt Hamburgs umstrittener Prestigeflieger, der Riesen-Airbus A380, nach Toulouse? Mit schlampigen Gutachten und geschönten Arbeitsplatzprognosen versuchte der Senat, das Luftfahrtprojekt für die Stadt zu gewinnen. Nun suchen die Gegner eine Entscheidung vor Gericht.

llerlei Häme muss Thomas Mirow, weil die Sache überdurchschnittlich 48, in diesen Tagen über sich er- kompliziert sei. Rechtsexperten der Agehen lassen. Hamburgs Wirt- Stadt schätzen den Erfolg Ham- schaftssenator, bislang Hätschelkind der burgs als schwierig ein. hanseatischen Lokalpresse, wird für einen In ihrer „sehr gründlichen Ent- peinlichen Baustopp an der Elbe verant- scheidung“, urteilt Ingo von Münch wortlich gemacht. (FDP), Staatsrechtler und ehemals Ursprünglich noch im alten Jahr wollte Hamburgs Zweiter Bürgermeister, Mirow das Elbebiotop „Mühlenberger habe die erste Instanz den Planfest- Loch“ zuschütten lassen, um im Stadtteil stellungsbeschluss der Behörde aus- die Produktion des neuen einander genommen, der schon den Super-Airbus A380 (vormals A3XX) zu er- „Sofortvollzug“ der Aufschüttung möglichen. Unter Verwendung von Millio- vorsah: Die drei Verwaltungsrichte- nen Tonnen Sand, auf den schlammigen rinnen spießten in ihrem Urteil zahl- Grund des Süßwasserwatts gekippt und Elbe bei : Protest von hüben und drüben reiche Ungereimtheiten auf und ta- von stählernen Spundwänden zusammen- delten dubiose Gutachten, die den gehalten, sollte das dort bereits bestehen- Toulouse“: Dort nämlich, so die Drohung „bösen Schein“ filzigen Taktierens hinter- de Gelände des Airbus-Konzerns EADS der EADS, werde das Kreuzfahrtschiff der ließen. Die Richterinnen stuften das angeb- erweitert werden. Doch kurz vor Weih- Lüfte zur Gänze gebaut, wenn lich gemeinnützige Vorhaben als nur „pri- nachten blockierte das Verwaltungsgericht nicht rechtzeitig das Baugelände bereitstellt. vatnützig“ ein und gaben deshalb zwei jeglichen Eingriff in das Vogelschutzgebiet. Das letzte Wort hat jetzt das Oberver- schon vom derzeitigen Lärm des Flugbe- „Massenweise Fehler“ in der Wirt- waltungsgericht: In einem Eilverfahren, das triebes geplagten Klägern Recht mit ihrer schaftsbehörde, aus „Dummheit“ und auf Drängen der EADS bis zum 15. Febru- Forderung nach „aufschiebender Wirkung“. „Überheblichkeit“ begangen, hätten das ar abgeschlossen sein soll, berät das OVG Seelischer Beistand für Mirow kam vor Prestigeprojekt vorläufig vereitelt, höhnte den Fall. Die Beschwerde der Stadt gegen allem aus Berlin: Siegmar Mosdorf, Parla- „Bild“. Mit einem Kalauer wartete die den Baustopp sei angenommen worden, mentarischer Staatssekretär im Bundes- „taz“ auf: „To lose heißt in sechs Wochen so die knappe Begründung der Richter, wirtschaftsministerium und Koordinator

62 der spiegel 3/2001 Deutschland für Luft- und Raumfahrt, erteilte dem Se- zur Innenausrüstung führe „zu nat trotz seiner Niederlage beste Noten weiteren Zeitverlusten“. Dies al- und versicherte ihm in einem Schreiben les, sagt Luftfahrtexperte Peter nochmals „das starke Interesse der Bun- Pletschacher, bedeute „auch eine desregierung an einer zügigen Realisierung Kapitalbindung von einigen Wo- des geplanten Fertigungskonzepts“. chen – und das bei einem Flug- Mit zwei Milliarden Mark fördert zeug mit einem Wert von 250 Mil- die Bundesregierung die Entwicklung des lionen Dollar“. Super-Airbus; die Hansestadt will 1,3 Mil- Während alle anderen Gutach- liarden investieren. Als Verfechter des ten der Wirtschaftsbehörde beim A380-Projekts hantiert Mosdorf mit traum- monatelangen Planfeststellungs- haft hohen Arbeitsplatzzahlen: Die „In- verfahren öffentlich auslagen, dustrieseite“, so Mosdorf, gehe von der konnten sich die Gegner des Pro- Schaffung von „rund 15000 direkten neu- jekts die Einsicht in die Prognos- en Arbeitsplätzen“ aus. „Studien“ besagten Studie erst kürzlich durch ihre

überdies, dass 30 000 Stellen bei Zulie- M. ZUCHT / DER SPIEGEL Anwälte erstreiten. Mirows Wi- ferern entstünden. Mosdorf fordert des- A380-Gegner*: „Anmache auf dem Wochenmarkt“ dersacher, fast 30000 Anwohner halb „schnell Klarheit“, die nun das OVG von hüben und drüben des Stro- schaffen soll. geblieben: Struktur und Ausrüstung von mes, die im „Schutzbündnis für Hamburgs Die schönen Aussichten sind jedoch eine Rumpfsektionen, Innenausbau von Kabine Elbregion“ organisiert sind, sehen in dem Fata Morgana. Ausgerechnet Mosdorfs und Frachtraum, Lackierung, Seitenleit- Gutachten eine anrüchige „Familienange- Ehefrau Susanne Weber-Mosdorf, Ge- werke sowie Landeklappen. legenheit“; sämtliche Zahlen der beiden schäftsführerin des Berliner Prognos-In- Diese über mehrere Standorte verteilte Mosdorfs seien „aus der Luft gegriffen“. stituts, hat im Auftrag der Wirtschafts- Produktion des A380, so bedauert der „In- Mehrfach hatte das Verwaltungsgericht behörde für das Planfeststellungsverfahren formationsdienst Luftfahrt“, „leidet unter in seinem Urteil die Qualität der Gutach- 1998 ein Gutachten über die Zahl der zu einem Handicap“: Die überdimensionalen, ten bemängelt. Zu den schlampigen Auf- erwartenden Arbeitsplätze erstellt – die bis zu acht Meter breiten Bauteile lassen tragsarbeiten, denen die Glaubwürdigkeit einzige Studie, die zu diesem Kernproblem sich – anders als bei den kleineren Airbus- abgesprochen wird, gehöre auch das vorliegt. Sie sagt nur 2000 neue Stellen Typen – nicht mit dem Frachtflieger „Be- Prognos-Gutachten. Es sei „keine Quelle voraus. luga“ durch die Luft transportieren; sie nachgewiesen“, so die Richterinnen, aus Selbst diese bescheidenere Zahl ist kaum müssen per Schiff bis Bordeaux, dann 60 der sich ergebe, dass die EADS tatsächlich realistisch. Als die Prognos-Studie ent- Kilometer über die Garonne und schließ- 2000 Arbeitsplätze neu schaffen werde. stand, ging es noch um die „Endmontage“ lich mit Tiefladern 180 Kilometer weit auf Es sei auch ungeklärt, ob diese Stellen des Superfliegers an der Elbe. Diesen an- der Straße nach Toulouse geschleppt wer- „zunächst mit Arbeitsplätzen aus dem vor- spruchsvollsten Fertigungspart hat sich den – insgesamt sind dabei rund 60 Kreis- handenen Bestand besetzt werden“. Miss- mittlerweile der französische Standort verkehrskreuzungen zu überqueren. trauisch wurden die Richterinnen offenbar Toulouse gesichert; der Hansestadt ist nur Die Überführung der endmontierten durch eine im Planfeststellungsbeschluss ein kleinerer Teil von Produktionsschritten Flugzeuge von Toulouse nach Hamburg versteckte Anmerkung, nach der „Ar- beitsbedarf nicht unweigerlich gleichzu- HAMBURG Blankenese setzen ist mit zusätzlich neu entstehenden Arbeitsplätzen, da zunächst vorhandene Kapazitäten ausgelastet werden“. Obwohl das Prognos-Institut „sonst zu den besseren Adressen gehörte, genügt die- Elbe se Studie nicht einmal wissenschaftlichen Minimalansprüchen“, kritisiert auch Rai- ner Marggraf, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Göttingen. Es fehlten Erweiterungsvorhaben heutiges Dasa-Gelände Informationen zur Datengrundlage und zur „Mühlenberger Loch“ Methode. Marggraf: „Die behaupteten Ein- kommens- und Beschäftigungseffekte kann man glauben oder nicht.“ Rüsch- Die Richterinnen haben aber noch mehr geplante kanal Gebäude an Mirow und seinen Gutachtern auszu- Mühlenberger setzen. Ein wunder Punkt ist vor allem die Loch Sicherheit des Flugverkehrs. Der Luft- Finkenwerder fahrtkonzern reichte dazu die private, den Richterinnen nicht immer plausible Stel- Start- und Landebahn lungnahme eines Flugbetriebsleiters ein. Herr W. sei Bediensteter der Flughafen Hamburg GmbH, deren Aufsichtsratsvor- sitz „wiederum Senator Mirow innehat“. Erweiterungsflächen für Die für den neuen Flieger vorgesehene die Start- und Landebahn 2684 Meter lange Bahn verläuft an Land zunächst schnurstracks entlang des einge- deichten Südufers der Elbe; dann aber soll e sie gen Norden 150 Meter in die Schiff- elb 1000 m Alte Süder * Gabriele Quast (M.), Karsten Marquardt (2. v. r.).

64 der spiegel 3/2001 ser in seinem Briefkasten fand auch schon Rüdiger Nebelsieck: Der 32-jährige Anwalt der Gegner wohnt mit seiner Frau und zwei Kleinkindern in einer Mietwohnung im Hamburger Elbdorf Finkenwerder, die ans EADS-Gebäude grenzt und von den Abgasen der ständigen Roll- und Brems- versuche eingenebelt wird. „Wie Schmiere“ liege das Kerosin auf der Regentonne, in die das ehemals klare Regenwasser vom Carport abläuft, be- richtet Lehrer Karsten Marquardt, 52. Der Finkenwerder wohnt in einer besonders lärmgeplagten Gegend. Dorthin, in unmit- telbare Nachbarschaft zur Werft, wurden ausgerechnet ehemalige Einwohner des

ANDREWS / ARGUS Nachbarorts umgesiedelt. Sie Transportflugzeug „Beluga“ über der Elbe: Gefährlicher Engpass für Containerschiffe? sind schon einmal Opfer eines Industrie- projektes geworden: Nach jahrelangem Wi- fahrtstraße hineinragen, die dort ohnehin Mit diesem Gemauschel brockten sich derstand mussten sie der Erweiterung des einen Engpass hat. Behörde und Konzern jedoch den bislang Hamburger Hafens weichen. Weil die Bahn weiter als bislang in den größten norddeutschen Bürgerwiderstand Fürsorglichkeit ihren Bürgern gegenüber Fluss münden soll, muss der Anflugwinkel ein: Zu den Anwohnern des nördlichen demonstrierten jetzt, in der Stellungnahme von 3 auf 3,5 Grad ansteigen – ein schein- Steilhangs mit seinen Elbvororten stießen fürs OVG, die Stadtväter: Sollte das Gericht bar geringer Zuwachs, der aber zur Folge die Bauern und Dörfler von der gegen- den möglichen Baulärm als unzumutbar hat, dass der neue Riesenvogel tiefer ein- überliegenden Elbseite und schlossen sich beurteilen, sei die Stadt bereit, sämtlichen schweben muss. Schiffe auf der Elbe, die im „Schutzbündnis“ zusammen. Betroffenen die Hotelkosten zu zahlen, so- immer Vorfahrt haben, könnten mit dem Einer der betroffenen Obstbauern, der lange die Belästigung andauert. A380 kollidieren. Auch würden durch die nun auch zu den beiden erfolgreichen Klä- Auch die EADS-Manager sind sich of- Verlängerung die knappen Passierabstän- gern gehörte, verschenkte sein unmittel- fenbar nicht sicher, dass die Werkserwei- de für Container und Tanker noch geringer. bar an das Ende der jetzigen Landebahn terung gegen den Bürgerwiderstand durch- Das Gericht sieht auch diese Bedenken angrenzendes, für die Verlängerung erfor- setzbar ist. Es gebe in Hamburg „keine Al- nicht ausgeräumt und äußert obendrein wei- derliches Grundstück an seine Töchter – ternative“, dementiert zwar Chefmanager tere Vorbehalte: Anders als die meisten Ver- aber auch an eine Vielzahl von Sympathi- Gerhard Puttfarcken, bislang Programm- kehrsflughäfen besteht die Landebahn nicht santen. Der schlaue Kunstgriff macht leiter für den A380. Aber Insidern zufolge aus zwei sich kreuzenden Pisten – ein Man- der Hansestadt den Zugriff vorerst un- haben Konzernmitarbeiter längst einen ko, das die Bahn für den A380 beim chro- möglich. „Notfallplan“ ausgearbeitet, der Hamburg nischen Hamburger Schmuddel- und beides erhalten könnte: das Mühlenberger Westwindwetter, aber auch bei an- Loch und den Riesen-Airbus. deren Seitenwinden oft untauglich Wesentliche Teile der Produktion wür- macht: Nur Starts und Landungen aus den nach diesem Vorschlag an der Elbe be- Nordost und Südwest sind in Ham- lassen; verloren ginge nur jener kleinere burg-Finkenwerder möglich. Anteil, der zum Innenausbau gehört. Bei extremen Witterungen, so er- Die Flugzeug-Werft würde demnach widert der Behörden-Gutachter, kön- nicht auf Kosten der umkämpften Wasser- ne der A380 in Hamburg-Fuhlsbüttel fläche erweitert. Stattdessen könnte der landen. Doch diesen Hinweis hätte er Ausbau an Land, im Südwesten Finken- sich besser erspart: Den findigen Rich- werders, erfolgen. Auch ließe sich die vor- terinnen war nicht entgangen, dass die handene Werksfläche mit ihren überdi- Dasa 1993 schon einmal entgegen- mensionierten Parkplätzen besser nutzen. gesetzt argumentiert hatte, um die ge- Weil die Landebahn für den A380 zu

forderte Verlängerung ihrer damaligen HOFFMANN F. kurz wäre, könnte der Super-Airbus zwar Startbahn auf die derzeitige Länge von Wirtschaftssenator Mirow*: Gratis ins Hotel nicht nach dem Rohbau von Toulouse ein- 2321 Metern durchzusetzen: Eine Not- geflogen werden – die EADS müsste in landung in Fuhlsbüttel koste 20000 Mark Der Landwirt, der aus dem Küchenfens- Hamburg auf die Lackierarbeiten und die und sei deshalb wirtschaftlicher Unsinn, ar- ter seines Hofes auf die Rollbahn blickt, Innenausstattung verzichten. gumentierte der Konzern seinerzeit. Um die bekam, als Kläger, bestätigt, dass er schon Dieser Verlust sei angesichts der gewal- jetzige Startbahn für den A380 passender zu jetzt unter schwerer Dauerbeschallung lei- tigen Investitionen für die Herrichtung der machen, rechnete Gutachter W. auch das de. Die „Grenze der Zumutbarkeit“ würde Wasserfläche aber zu verschmerzen, mei- Startgewicht einfach um rund 200 Tonnen durch den A380 endgültig überschritten. nen EADS-Insider. Denn mit der Montage runter – die Richterinnen kamen ihm auf die Doch der Landwirt will seinen Namen der Rumpfsegmente und Seitenteile, die in Schliche. keinesfalls in der Zeitung lesen. Denn, so neuen, aber kleineren Hallen vorgenom- All diese Einwände würden nichtig erklärt Obstbäuerin Gabriele Quast, 41, men würde, verblieben den Hamburgern durch eine weitere Verlängerung der Lan- Mitglied des ländlichen Widerstands am immer noch 80 bis 90 Prozent ihrer ur- debahn. Die hatte, in einem geheimen Südufer, „die Kläger stehen hier unter sprünglich geplanten Produktion. Das Ge- Deal, der Senat den Flugzeugbauern be- Druck, es gibt nächtliche Anrufe und An- dröhn des einschwebenden A380 bliebe reits 1998 versprochen: Die Verlängerung mache auf dem Wochenmarkt“. Ein Mes- den Anwohnern dann erspart: Die mon- auf 3185 Meter sollte ins Obstanbaugebiet tierten Segmente würden per Schiff nach am Südufer hineinreichen. * Mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Ortwin Runde (r.). Bordeaux gebracht. Renate Nimtz-Köster

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