SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst

Die Der – Von bis zum Drachenfels (2)

Autor: Helmut Frei Redaktion: Udo Zindel Regie: Maria Ohmer Sendung: Dienstag, 28. September 2010, 8.30 Uhr, SWR2 Wissen

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1 OT Carolin König-Kunz Als ich so zehn Jahre alt war, Rosenprinzessin hier im Ort gewesen bin, da haben wir die Sonderzüge noch empfangen, die beispielsweise zum Winzerfest oder zum Rosenfest ankamen. Das war vornehmlich, ja aus dem Ruhrgebiet, und dann auch Niederlande war sehr stark vertreten. Und das war genau das Klischeebild, was Jahre danach dann vorherrschte in Deutschland, dass am Rhein da hat man nur noch die singende Fröhlichkeit, kombiniert mit mittelmäßig bis schlechter Gastronomie:

Erzähler: Carolin König-Kunz ist Wirtin in am Mittelrhein. Sie erzählt mit leisem Schmunzeln, wie sie und ihre Eltern es geschafft haben, aus einem einst mittelmäßigen Gasthaus ein angesehenes Hotel zu machen. Früher seien übers Wochenende die Kegelclubs gekommen, die es möglichst billig haben wollten, heute bewirte sie viele Wanderer, die auf dem Rheinsteig unterwegs sind und sich nicht mit Schnellverpflegung abspeisen lassen.

Gleich hinter dem Hauptgebäude des Hotels mit schön herausgeputztem Fachwerk der bewaldete Steilhang, auf dem die thront, die große Attraktion des Städtchens. Wie ein sichelförmiger Kranz schmiegt sich Braubach um den Burgberg.

ATMO Tor zur Marksburg wird geöffnet. So, guten Tag meine Damen und Herren. Ich darf Sie hier begrüßen auf der Marksburg. Die Marksburg ist die einzige Höhenburg entlang des Mittelrheins, die man nie zerstört hatte.

Sprecher: Zum letzten Mal beginnt Dieter Laszig eine Burgführung. Dann ist Schluss bis morgen.

Ansage: Der Rheinsteig – Folge 2: Von Koblenz bis zum Drachenfels. Von Helmut Frei.

Sprecher: Genau dort an der Marksburg, hoch über dem Städtchen Braubach, beginnt die zweite Etappe unserer Rheinsteig-Wanderung, ein paar Kilometer stromauf von Koblenz.

ATMO – Burgführung Das ist ein Bett wie man damals schon hatte. Darüber Himmel, Gardinen, um die Wärme hier drin zu halten. Die Gardinen, um das Paar zu schützen. Und auch wenn die Gräfin Ärger mit dem Grafen hatte, dann stritt sie nicht vor der Dienerschaft, sehr unhöflich so was. Sie ging mit ihm zu Bett, schloss die Gardinen. Er bekam ne sogenannte Gardinenpredigt.

Erzähler: So, genau so stellt man sich eine mittelalterliche Burg vor. Mit Kemenate und Rittersaal, Kapelle und Waffenkammer. Ein massiger Gebäudekomplex mit bulligen Mauern auf einer Bergkuppe. Überragt von einem Turm, der wie ein Bajonett herausragt. Von einer vorgelagerten Bastion aus der Blick über den in der Sonne aufblitzenden Rhein hinweg auf Schloss Stolzenfels, das gerade generalsaniert wird.

2 Als handele es sich um ein Werk des Verhüllungs-Künstlers Christo: Eingerüstet und verpackt in hellgrün leuchtende Plastikplanen erhebt sich das Schloss aus dem dunkelgrün gefleckten Wald. Sozusagen das Gegenstück zur Marksburg.

Sprecher: Sie ist im Grunde genommen ein Zweckbau, von dem aus die Burgherren ihre Stadt Braubach beschützten und den Handel auf dem Rhein überwachten. Ganz ähnlich begann die Geschichte von Schloss Stolzenfels. Im 13. Jahrhundert war sie als Zollburg entstanden. Später wurde sie zerstört und niemand interessierte sich für die Ruine. Erst recht nicht die Franzosen, die unter die Rheinlande eroberten. Bis dann im 19. Jahrhundert die Preußen kamen und die französische Herrschaft am Rhein beendeten. Deutsche Nationalisten triumphierten und ein gewisser Nikolaus Becker stimmte sein Rheinlied an, das Robert Schumann vertonte:

Zitator: Sie sollen ihn nicht haben, Den freien deutschen Rhein! Ob sie wie gier´ge Raben Sich heiser danach schrein!

Sprecher: Alfred de Musset, der französische Dichter, konterte:

Zitator: Wir hatten ihn, euren deutschen Rhein. Wir haben sein Wasser getrunken, Die Schmach wir brannten euch ins Herz hinein, Euer Hochmut war tief gesunken.

Sprecher: Euch – das heißt den Deutschen und vor allem den Preußen, die Koblenz, wo die Mosel in den Rhein mündet, zu einer Festungsstadt ausbauten. Preußens oberster Statthalter dort war Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere preußische König Friedrich Wilhelm III. Er war ein glühender Verehrer mittelalterlicher Gothik und Ritterherrlichkeit und ließ Stolzenfels wieder aufbauen – als Kunstwerk. Dabei war er überraschend unbekümmert, was den Stil betraf, mischte ungeniert deutsche Gotik mit Elementen der maurischen Alhambra. Und er engagierte mit dem Architekten Friedrich Schinkel und dem Gartenbaumeister Peter Joseph Lenné zwei berühmte Künstler in preußischen Diensten, um seinen Traum eines Sommersitzes zu verwirklichen. 1842 wurden die Bauarbeiten abgeschlossen. Feierlich zog der Preußenprinz, der inzwischen zum König aufgestiegen war, in sein neues Domizil ein, flankiert von mittelalterlich kostümierten Begleitern. Natürlich wollte der Hausherr nicht auf zeitgemäßen Komfort verzichten, genauso wenig wie die englische Königin Victoria, als sie auf Stolzenfels logierte. Das Schloss war also letztlich nur neugotische Staffage und hatte mit der gegenüberliegenden, echt mittelalterlichen Marksburg nur sehr wenig zu tun, sagt Gerhard Wagner, der Geschäftsführer der Deutschen Burgenvereinigung. Er residiert standesgemäß im Palast der Marksburg.

Erzähler: Von seinem Arbeitszimmer auf der Marksburg hat der Historiker Schloss Stolzenfels im Blick. Es riecht es leicht muffig nach Archiv und altem Gemäuer. Nur eine Treppe

3 höher befindet sich Gerhard Wagners Dienstwohnung. Er ist froh, sich bei Bedarf dorthin zurück ziehen zu können:

OT Gerhard Wagner Weg von den Menschen in der Stadt, aber mitten unter den Touristen (lacht). Weil, wenn man hier aus unserem Wohngebäude, dem romanischen Pallas heraustritt, dann gucken einen gleich dreißig Leute an und sagen: Sind Sie der Ritter, sind Sie das Burgfräulein?

Sprecher: Interessante Burgen gibt es natürlich auch in anderen Gegenden. Aber nirgends sonst in Deutschland haben sie das Abziehbild einer Landschaft so stark bestimmt wie am romantischen Mittelrhein. Obwohl etliche dieser Burgen, die so trutzig über dem Fluss thronen, raffinierte Rekonstruktionen sind, als seien sie eigens für ein großes Freilichtmuseum geschaffen.

OT Gerhard Wagner Man kann natürlich schon sagen, dass das hier so das Disneyland des 19. Jahrhunderts war, allerdings ist das ja nicht deswegen umgebaut worden, um also irgendwelche Massen anzuziehen und Eintritt zu nehmen, sondern das lag daran, dass eben im 19. Jahrhundert die Romantik eine verbreitete Stilrichtung war, ne Geisteshaltung, die ja in England auch zu der Entstehung der „gothic novels“ geführt hat, also einer romantischen Literatur, die Geister und Vampire und ich weiß nicht, was sich alles so in Burgen rumtreiben könnte, zum Thema gemacht hat und dann eben die Ruinen als etwas Romantischeres empfand als eine fertige oder erhaltene Burg. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts ging dann die Restaurierungswelle los, wo sich reiche Leute, Adelige, aber auch Fabrikanten zum Beispiel, sich eine Burgruine gekauft haben, um sie eben nach eigenen Vorstellungen, teilweise phantasievoll, oft nach englischem Vorbild wieder aufzubauen.

Erzähler: Ein schmaler Pfad schlängelt sich von der Marksburg hinunter in die engen Gassen von Braubach, erlaubt Einblicke in Hinterhöfe, die irgendwie lebendiger wirken als die adrett hergerichteten Fassaden der alten Häuser. Im Garten des Hotels, das Carolin König-Kunz betreibt, gediegene Gastronomiemöbel und eine Hollywood-Schaukel für Gäste. Seit Rheinsteigwanderer bei ihr logieren, verzeichne sie gute Übernachtungszahlen, sagt die Wirtin:

OT Carolin König-Kunz In Deutschland reist man in der Saison, also von Ostern bis Allerheiligen. Wobei, wenn man sich jetzt mal das Rheinland ansieht und auch die Romantik des Rheintals: das ist eigentlich die Herbstzeit, das sind die Nebelschwaden, wenn sie so aus dem Tal hochziehen. Ein vernebeltes Rheintal, das ist das mystischste Bild, was man sich überhaupt nur vorstellen kann. (Erich Kunz) Ja, wenn man dann noch ein bisschen Richard Wagner „Rheingold“ dazu hört (Frau König-Kunz seufzt), dann ist das ganze Bild perfekt.(Lachen)

Sprecher: Erich Kunz ist von Beruf Restaurator. 1972 kauften er und seine Frau die alte, etwas verlotterte Gastwirtschaft und Metzgerei unmittelbar vor den Toren der Stadt. Das Fachwerk-Haus hätte sonst einem Supermarkt Platz machen müssen. Braubach war

4 auf dem besten Weg, zu einem gesichtslosen Flecken zu verkommen. Selbst beim Thema Wein gab es Nachholbedarf in der Weinregion Mittelrhein.

OT Carolin und Erich König-Kunz Also die Anfangszeit haben ja meine Eltern bestritten, wobei die relativ einfach anfingen. Das Speisenangebot ging von Handkäs und Musik, so ganz einfache Sachen oder ein Winzervesper. Wo ihr euch abgesetzt habt seinerzeit, das war durch ne große Qualitätsweinkarte, das war unüblich für die Region. (Erich Kunz) Das gab´s überhaupt nicht hier, ne Weinkarte. Sie wurden gefragt: den herben oder den lieblichen. Und wenn dann die etwas bessere Gastronomie war, dann wurde schon gesagt: von der Mosel oder vom Rhein. Also das war´s dann in der Regel auch überall.

Erzähler: Stromab von Braubach passiert der Rheinsteig in weitem Bogen die rechtsrheinischen Stadtteile von Koblenz. Das enge Durchbruchstal des Rheins weitet sich zum Neuwieder Becken. Zerstückelte Landschaft; ein Flickenteppich von Siedlungen und Stadtteilen, dazwischen immer wieder Äcker, Hochhäuser an den Hang geklotzt, ein Gewirr von Straßen und Bahnlinien, jetzt auch mehrere Brücken über den Rhein. Im Zentrum des Neuwieder Beckens der graue Koloss des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich, das bereits nach kurzer Zeit stillgelegt wurde. Ein paar Kilometer weiter nördlich die Stadt Andernach, die schon zur Römerzeit von ihrer günstigen Lage am Rhein profitierte.

Sprecher: Dort hatte die Firma Rasselstein genügend Platz, um sich seit ihrer Gründung im Jahre 1760 immer mehr auszudehnen. Rasselstein gehört heute zum Konzern ThyssenKrupp und ist der größte Industriebetrieb der Region: 2.300 Beschäftigte in Andernach und noch einmal 350 in der Nachbarstadt Neuwied, drüben, überm Rhein. Rasselstein stellt Weißblech her. Daraus fertigt unter anderem eine Firma in der Nähe von Andernach Dosen für Lebensmittel, Getränke und anderes. Die Firmengeschichte von Rasselstein begann mit einem Hochofen und dem ersten Blechwalzwerk Deutschlands. Später lieferte das Unternehmen die Schienen für die erste Eisenbahn in Deutschland.

ATMO Fabrik bei Rasselstein.

Erzähler: Von weither ist der Fabrikkomplex von Rasselstein zu sehen. Wie riesige Koffer wirken die Hallen auf Rheinsteigwanderer, die von der anderen Seite des Flusses das Firmengelände überblicken. Drinnen in diesen fast fensterlosen Gehäusen computergesteuerte Förderfahrzeuge und Krananlagen, die tonnenschwere Stahlblechrollen in gewaltige Fertigungsstraßen einschleusen.

Sprecher: Die Ausstrahlung der aufstrebenden Andernacher Industrie reichte bis weit ins Hinterland der Stadt. Werner Krings ist einem Dorf am Rande der nahen Eifel zuhause. Wie viele seiner Altersgenossen entschied er sich als Jugendlicher für eine Ausbildung bei Rasselstein. Dort am Rhein sind die beruflichen Chancen bis heute besser als in der kargen Eifel, die auch als „preußisch Sibirien“ galt:

5 OT Werner Krings Ich kann mich auch noch gut erinnern an Zeiten hier bei Rasselstein, als es von der Arbeitnehmerschaft her knapp wurde, dass man hier bis in die Eifel hoch, bis nach Cochem an die Mosel gefahren ist und hat dort Mitarbeiter angeworben und hat auch dafür damals schon Busdienste eingerichtet, um den Mitarbeitern ne einfache Möglichkeit zu bieten, hier an die Rheinschiene, sprich nach Andernach zur Arbeit zu kommen, um damit auch die Existenz zu sichern.

ATMO Containerladung im Hafen von Andernach

Erzähler: Alles ist reichlich dimensioniert im erweiterten Hafen von Andernach. An der Pier liegt ein niederländisches Frachtschiff. Ein Portalkran hievt Container in den Rumpf, der auf standarisierte Containermaße zugeschnitten ist. Der Binnenfrachter fasst mehrere hundert der großen Kisten, beladen mit Weißblech von Rasselstein. Ihr Ziel sind Dosenhersteller in aller Welt. Wir fahren nach Fahrplan, sagt Oliver Pellin von der Firma Rasselstein stolz.

OT Oliver Pellin Wir beliefern circa 80 Länder weltweit; und da brauchen Sie natürlich sagen wir mal neben dem Werk eine Möglichkeit, um ihre Ware in alle Welt zu transportieren. Die erste Schnittstelle aus dem Werk ist der Hafen Andernach. Hier werden die leeren Container hingebracht, hier wird unser Material mit dem Container verheiratet und wird dann über den Rhein – Haupthafen ist für uns Antwerpen – in die weite Welt verbracht. Wir können unsere Vorprodukte von unserer Mama Thyssen-Krupp in Duisburg per Schiff erhalten, aber zur Zeit kommt hundert Prozent per Bahn.

Sprecher: Allerdings verschickt Rasselstein dreimal mehr Güter mit LKW als mit Güterzügen. Die Eisenbahn kann also noch zulegen. Für viele Menschen am Mittelrhein ist das jedoch keine gute Aussicht. Denn sie leiden schon heute unter dem Bahnlärm, auch wenn sie ihn zwangsläufig ertragen müssen.

Erzähler: Über Nacht ein Wetterwechsel. Der Himmel wolkenverhangen, der Rhein schmutzig braun. Die Sonnendecks der wenigen Fahrgastschiffe leergefegt. Regenschauer färben die gestern noch fröhlich bunt leuchtende Gegend trist grau ein. Dennoch lässt sich Winfried Lotzmann, einer der ehrenamtlichen Rheinsteiglotsen, nicht von einer wenigstens kurzen Stipvisite auf der schroffe Bergkuppe mit der Burgruine Hammerstein abhalten. Sie liegt bei und ist über den Rheinsteig zu erreichen. 1105 suchte in der Burg ein deutscher Kaiser Zuflucht vor seinem machtlüsternen Sohn. Keine Wanderer unterwegs. Immerhin tauchen umrisshaft markante Fixpunkte aus der Nebelsoße auf. Winfried Lotzmann ist hier in dieser Gegend zuhause, kennt sich aus.

OT Winfried Lotzmann Wenn wir rheinaufwärts schauen, dann schauen wir nach Andernach. Rheinabwärts schauen wir in Richtung . Dort erkennen wir die Burg Rheineck. Und die Burg Rheineck, das heißt ein kleines Bächlein, das in den Rhein mündet, der sogenannte Pfingstbach, hat eine wichtige Bedeutung. Der Pfingstbach war die Militärgrenze im römischen Reich zwischen dem niedergermanischen Gebiet und

6 obergermanischem Gebiet. Niedergermanien, Germania inferior, mit dem Sitz Köln, colonia Agrippina, obergermanisches Gebiet mit dem Sitz , Germania superior. Und das war auch der Punkt, dass 80 nach Christus dort die Römer auf der anderen Rheinseite mit dem Bau des Limes begonnen haben.

Sprecher: 560 Kilometer ist der Limes lang, vom Rhein bis an die Donau. Eine künstliche, von Menschen errichte Grenze, mit der sich die Römer die Germanen vom Leib halten wollten. Der Rhein dagegen stellt eine natürliche Scheidelinie dar. Er war damals noch ein wilder Fluss und nur schwer zu überwinden. 55 vor Christus soll Julius Cäsar bei Neuwied am Mittelrhein einen ersten Brückenschlag auf die rechte Rheinseite gewagt haben, in fremdes Gebiet. Cäsar zog sich mit seinen Pionieren jedoch bald wieder zurück auf die vertraute linke Rheinseite. Dort waren die Römer dabei, bedeutende Städte zu gründen, das Land zu kultivieren. Linksrheinisch endete ihre Herrschaft erst nach 580 Jahren. Auf der rechten Rheinseite dagegen konnten sie nie recht Fuß fassen und mussten bereits nach 160 Jahren kapitulieren. Rechts und links des Stroms, manchen eingefleischten Rheinländern gilt die rechte Flussseite nach wie als vor als die „schäl Sick“, die schlechte oder falsche Rheinseite. Die Beziehungen zwischen der linksrheinischen Stadt Remagen beispielsweise, die selbst römische Wurzeln hat, und dem gegenüber liegenden Städtchen Erpel halten sich in Grenzen. Beide Gemeinden gehören zum Bundesland Rheinland-Pfalz, haben aber wenig miteinander zu tun, sagt Hans Peter Kürten, der ehemalige Bürgermeister von Remagen:

OT Hans Peter Kürten Ich bin seit 65 hier in Remagen und kenne das nun alles. Aber: was auf der anderen Seite geschieht, erfahren Sie aus den Zeitungen nicht. Denn alle Zeitungen, die hier erscheinen, schreiben nur über unser Rheingebiet; auf der anderen Seite gibt´s ne andere Zeitung, die auf der Ostseite des Rheins erzählt. Und ich habe immer wieder mit Zeitungsleuten darüber gesprochen und habe gesagt: macht das doch nicht! Erzählt uns doch ein bisschen von Erpel und von Linz und von . Und dann wurde eben gesagt: ja wir denken darüber nach – geändert wurde es nie. Wenn man nicht hin und wieder mal mit der Fähre auf die andere Seite fährt – denn über ne Brücke müsste man große Umwege fahren, um nach Erpel zu kommen – wüsste man überhaupt nicht, was drüben in dem kleinen Städtchen passiert. ATMO Vorbeifahrendes Schiff

Erzähler: Still duckt er sich hin, der Weinort Erpel. Und wüsste man nicht ganz genau, dass der Rhein eben doch nur eine wässerige Barriere ist, hinter der sich manche Ortschaften verschanzen, könnte man ihn für eine Demarkationslinie halten. Auf der einen Seite des Städtchens der Fluss, auf der anderen Seite und parallel zu ihm ein Höhenzug, der sich zur Erpeler Ley aufschwingt. Man nennt diesen markanten Koloss auch die Loreley des unteren Mittelrheins. Auf der gegenüberliegenden Rheinseite ist das bergige Ahrtal zu erkennen, das nicht weit von Remagen entfernt in den Rhein mündet. Auf der vordersten Spitze der Erpeler Ley ein großes Friedens-Kreuz. Es erhebt sich hoch über dem zugemauerten Eingang zu einem Tunnel, in den bis kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Eisenbahnstrecke von Remagen her mündete. Wie Mahnmale, die nicht recht zur heiteren Kulisse dieser Flusslandschaft passen mögen, die basalt-braunen Brückentürme drüben am Remagener Rheinufer.

7 In diesen Türmen hat Hans Peter Kürten ein Friedensmuseum eingerichtet, in dem auch die Geschichte der Brücke von Remagen dokumentiert ist.

Sprecher: Eröffnet wurde sie 1918. Eigentlich sollte sie schon etwas früher fertig sein, um noch im Ersten Weltkrieg Truppen und militärisches Gerät schneller nach Frankreich – an die Westfront – bringen zu können. Ende des Zweiten Weltkriegs rollte über diese Brücke dann der Rückzug deutscher Truppen. Um den Vormarsch der Alliierten zu stoppen, versuchten Wehrmacht-Soldaten, sie zu sprengen. Das misslang jedoch und so nahmen US-Truppen am 7. März 1945 diese strategisch wichtige Verbindung über den Rhein ein. Erneut erhielt ein deutsches Kommando den Befehl, sie zu zerstören – wiederum vergebens. Hitler ließ vier deutsche Offiziere erschießen, weil er ihnen Versagen vorwarf. Am 17. März – nachdem 18 US-Regimenter über sie nach Osten gerollt waren – stürzte die inzwischen beschädigte Brücke ein. Sie riss 28 amerikanische Pioniere mit in den Tod. Die Brücke von Remagen, von der nur die Brückentürme erhalten blieben, je zwei auf jeder Seite des Rheins, wurde zum Mythos, sagt Hans Peter Kürten, der langjährige Bürgermeister von Remagen und Leiter des dortigen Friedensmuseums.

OT Hans Peter Kürten Aber sie hatte einen phantastischen Nebeneffekt. Denn rechts und links neben den beiden Schienen waren zwei schmale Fußgängerstege; und da durften die Menschen von beiden Rheinseiten drüber gehen, ohne was zu bezahlen. Und wer hatte 1918/20 ein Auto? So gut wie niemand. Und insofern gingen viele Leute. Und das Lustigste von allem war: in der Zeit vom November 18 bis März 1945 – solange die Brücke von Remagen stand – gab´s die meisten Eheschließungen zwischen Erpel und Remagen. Nie davor und nie danach.

ATMO Apollinariskirche Remagen

Erzähler: Gäbe es nicht die berühmte „Brücke von Remagen“, die sogar zu Spielfilm-Ehren kam, wäre Remagen kaum der Rede wert. Provinzielle Langeweile. Bei genauerem Hinsehen ist allerdings noch etwas von der Aufbruchsstimmung zu spüren, die dort im 19. Jahrhundert geherrscht haben muss. Am Rande Remagens, Richtung , der Apollinarisberg und die 1857 fertiggestellte Apollinariskirche. Neugotischer Stil wie das Schloss Stolzenfels bei Koblenz. Der Wind streut die Kaskaden des Geläuts über das Rheintal – wie damals, als das Land stromab bis vor die Tore Bonns bei vermögenden Leuten und Wirtschaftspionieren in Mode kam. Ihre Fabriken an Rhein und Ruhr waren Goldgruben und manche ließen sich am Rhein stattliche Villen und Schlösser bauen, kauften alte Güter. Ein Hauch von Riviera vor der Haustüre, aber immer in Tuchfühlung mit den Schaltzentralen der aufblühenden Industrie. Sogar ihren eigenen noblen Bahnhof mit Konferenzsaal und anderen Annehmlichkeiten leisteten sich diese Wirtschaftskapitäne in Rolandseck, heute der nördlichste Ort des Landes Rheinland-Pfalz am Rhein. Nur ein paar Autominuten davon entfernt die Insel Nonnenwerth. Das Rheintal ist nun dicht besiedelt, ein Ort geht in den anderen über; und der Rheinsteig muss zurücktreten, sozusagen ins zweite Glied des Hinterlands.

ATMO Kleine Rheinfähre nach Nonnenwerth

8 Sprecher: An einem seichten Altrheinarm der Anleger der kleinen Nonnenwerther Fähre, die bei Bedarf auch ein Auto huckepack nehmen kann und ihren Dienst am Abend einstellt.

OT Schwester Hildegard Eines hat das sicher: man kann nicht immer weg. Also möchte man schon, dass man sagt: man geht auf die andere Seite, möchte mal was anderes sehen. Das geht nicht ohne Weiteres, abends geht´s überhaupt nicht mehr.

Sprecher: Schwester Hildegard ist eine von 21 Franziskanerinnen, die auf der Insel leben. Vor 60 Jahren waren es noch 103. Ihrem Kloster ist eine Klosterschule angeschlossen. Vor Einbruch der Dunkelheit müssen Schüler, Beschäftigte und Besucher die Insel verlassen haben. Dann sind die Schwestern und ein Priester, der auch in der Verwaltung arbeitet, allein auf Nonnenwerth.

ATMO Brunnen vor dem Kloster Nonnenwerth

Erzählerin: Eine Insel, die Ruhe ausstrahlt, wie ein Fels in der Brandung des lärmenden Alltags. Auch vom Rheinsteig, diesem nach allen Regeln der Werbung vermarkteten sogenannten „Premiumwanderweg“, ist Nonnenwerth entrückt. Im 12. Jahrhundert siedelten sich dort zum ersten Mal fromme Frauen an. Vor dem rechteckigen Klosterkomplex ein Garten mit Springbrunnen und Rosenrabatten, der in eine zurückhaltend gestaltete Parklandschaft mit Wiesen übergeht. Ein Spalier aus Bäumen und Hecken lenkt den Blick über den Rhein hinweg zum bläulich-grün schimmernden . Bevor die Franziskanerinnen die Klosterinsel Nonnenwerth übernahmen, gab es dort eine Zeit lang ein vornehmes Hotel. Seine Inserate erschienen in mehreren Sprachen und richteten sich an ein internationales Publikum.

Sprecher: Damals, im 19. Jahrhundert, schwärmten auch ausländische Reisende vom romantischen Mittelrheintal, in dem Nonnenwerth liegt. Ein bevorzugtes Sehnsuchtsziel war es z. B. für die vornehme britische Gesellschaft, wie der 1848 erschienene Roman „Jahrmarkt der Eitelkeit“ erzählt, verfasst vom viktorianischen Schriftsteller William Makepeace Thackeray. Er zeichnete das Bild einer durch und durch dekadenten Gesellschaft, die sich von den Eindrücken der lieblichen Rheinlandschaft berauschen ließ.

Zitator: An den Sommerabenden ziehen die Kühe in Scharen, muhend und mit klingenden Glöckchen, von den Hügeln in die alten Städte hinunter, in die Städte mit den alten Gräben, Toren, Türmen und Kastanien, während sich lange blaue Schatten über das Gras dehnen, der Himmel und der Fluss da unten goldrot aufflammen und der Mond schon beim Sonnenuntergang blass am Himmel steht. Die Sonne versinkt dann hinter den hohen, burgengekrönten Hügeln. (W.M. Thackeray, Vanity Fair (1848) Übersetzung “Jahrmarkt der Eitelkeit“, Winkler Verlag München, 62. Kapitel „Am Rhein“, S. 819)

Sprecher:

9 Während der Parlamentsferien habe sich die feine Londoner Gesellschaft auf alljährliche Erholungs- und Vergnügungsreisen begeben, schreibt Thackeray.

Zitator: Da waren eingebildete Studenten aus Cambridge, die sich mit ihrem Tutor auf eine Studienfahrt nach Nonnenwerth oder Königswinter begaben. (W.M. Thackeray, Vanity Fair (1848) Übersetzung “Jahrmarkt der Eitelkeit“, Winkler Verlag München, 62. Kapitel am Rhein, S. 814)

Sprecher: Bereits im 19. Jahrhundert war Königswinter ein beliebtes Ausflugsziel. Professoren, Beamte, manch andere wohlsituierte Bürger und Studenten zog es aus der nahen Universitätsstadt Bonn hierher und auf den Drachenfels, den Hausberg der Stadt. Immer größer wurde der Andrang und so beschloss man den Bau einer Zahnradbahn. Im Juli 1883 fand die Eröffnungsfahrt statt. In acht Minuten überwindet sie heute einen Höhenunterschied von 220 Metern.

ATMO Drachenfelsbahn

Erzähler: Unter den Ausflüglern, die mit der Zahnradbahn auf den Drachenfels fahren, wenige Wanderer mit Rucksack. Der Rheinsteig, der große Fernwanderweg zwischen und Bonn, tritt hier kaum noch in Erscheinung. Der Drachenfels ist Naherholungsgebiet des Großraums Bonn. Bei der Bergstation ein Restaurantkomplex mit Terrasse, von der aus man einen guten Überblick hat. Rheinaufwärts die Insel Nonnenwerth, spitz zulaufend wie ein Wassertropfen, rheinabwärts der zerfließende Siedlungsbrei der Stadt Bonn. Am Fuße des Drachenfelsens die Hauptgüterstrecke der Bahn und einige Ortschaften, die offenbar mit Regierungsbeamten und Politikern groß geworden sind, als sich das nahe Bonn noch Bundeshauptstadt nennen durfte. In Rhöndorf war Bundeskanzler Konrad Adenauer zuhause, daneben in Unkel am Rhein Willy Brandt. Der Fernwanderweg Rheinsteig verliert sich in den Wäldern des Siebengebirges. Er ist nur noch eine Marke.

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