rombach paradeigmata herausgegeben von Bernhard Zimmermann in Zusammenarbeit mit Karlheinz Stierle und Bernd Seidensticker Bernhard Zimmermann (Hg.)

Der Band enthält die Beiträge, die anlässlich der Sommerakademie des Kultusministeriums Baden-Württemberg zum Thema »Frauen und Frauenbild in der Antike« gehalten wurden. Die Beiträge behandeln literaturwissenschaftliche, historische, archäologische und gender- spezifische Gesichtspunkte.

29. SALEMER

SOMMERAKADEMIE BERNHARD ZIMMERMANN (Hg.) SOMMERAKADEMIE ist Professor für Klassische Philologie an der Albert-Ludwigs-Universität SOMMERAKADEMIE Freiburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind die griechische Literatur 29. SALEMER der archaischen und klassischen Zeit sowie die Rezeption der antiken Literatur in der Neuzeit. FRAUEN

UND FRAUENBILD

FRAUEN UND FRAUENBILD IN DER ANTIKE IN DER ANTIKE

IN DER ANTIKE

UND FRAUENBILD FRAUEN

ISBN 978-3-96821-777-2 Bernhard Zimmermann (Hg.)

ISBN 978-3-96821-777-2 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Bernhard Zimmermann (Hg.)

29. Salemer Sommerakademie Frauen und Frauenbild in der Antike

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BUT_Zimmermann_777-2.indd 1 22.02.21 10:28 ROMBACH WISSENSCHAFT • REIHE PARADEIGMATA

herausgegeben von Bernhard Zimmermann, in Zusammenarbeit mit Karlheinz Stierle und Bernd Seidensticker

Band 64

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BUT_Zimmermann_777-2.indd 2 22.02.21 10:28 Bernhard Zimmermann (Hg.)

29. Salemer Sommerakademie

Frauen und Frauenbild in der Antike

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BUT_Zimmermann_777-2.indd 3 22.02.21 10:28 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Humanismus heute des Landes Baden-Württemberg.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-96821-777-2 (Print) ISBN 978-3-96821-778-9 (ePDF)

Onlineversion Nomos eLibrary 1. Auflage 2021 © Rombach Wissenschaft – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Baden-Baden 2021. Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Über- setzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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BUT_Zimmermann_777-2.indd 4 22.02.21 10:28 Vorwort

Der vorliegende Band »Frauen und Frauenbild in der Antike« ist bereits der dritte nach »Cicero – Politiker, Redner, Philosoph« (2017) und »Die Augusteer – Homer« (2019), der aus einer Salemer Sommerakademie her- vorgegangen ist. Vom 26. bis 30. August 2019 trafen sich zur 29. Sommer- akademie im »Salem College Überlingen« als Kontaktstudium Schule – Hochschule Studierende und Lehrende an Universitäten und Gymnasien des Landes Baden-Württemberg, um über das Frauenbild der griechisch- römischen Antike zu diskutieren. Ein besonderer Dank gilt dem Ministe- rium für Kultus, Jugend und Sport, vertreten durch Michael Siefert, Jan Wohlgemuth, und Marianne Illi-Schraivogel, die die Tagung in bewährter Weise zur Zufriedenheit aller Teilnehmer und Teilnehmerinnen organi- sierten. Wie immer ist in besonderer Weise der Schule Schloss Salem zu danken, die der Sommerakademie nun schon zum dritten Mal ihre Gast- freundschaft gewährte. Ein besonderer Dank gilt Cecilia Wezel für die re- daktionelle Betreuung des Bandes. Die Landesstiftung »Humanismus heu- te« unterstützt die Sommerakademie und den Druck des vorliegenden Bandes.

Freiburg im Breisgau, im Januar 2021 Bernhard Zimmermann

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 5 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Inhalt

Thomas Baier Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist 9

Michael Lobe Augusteische Arachnophobie. Verschiedene Lesarten der Bildteppiche in Ovids Metamorphosen 6,70–128 37

Christoph Riedweg Eine Religion für Frauen, Sklaven und Kinder? Zum Frauenbild der antichristlichen Polemiker des 2.–4. Jh. n.Chr. 57

Corinna Reinhardt Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen: Beispiele aus der römischen Bilderwelt 71

Anja Bettenworth Tod durch Schlangenbiss: Kleopatras Selbstmord im Film und in der literarischen Tradition 99

Christine Walde Frauen in Zeiten des Bürgerkriegs. Von der Laudatio Turiae zu Lucans Bellum Civile 115

Literaturverzeichnis 149

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 7 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier

Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist

Frauen in der Odyssee

Die abendländische Literatur beginnt mit dem Streit zwischen Agamem- non und Achill um eine Frau, um Briseis, eine Kriegsgefangene aus Lyr- nessos. Der trojanische Krieg selbst entbrannte um die entführte Helena. Herodot zufolge bildeten Frauenraubgeschichten den Auslöser weltge- schichtlicher Umwälzungen. Frauen sind in diesen Berichten nicht nur Opfer, sondern sie machen Geschichte. Das gilt auch für die Odyssee, de- ren titelgebender Held an entscheidenden Wendepunkten der Handlung mit Frauen zu tun hat und von deren Hilfe abhängig ist. An erster Stelle ist Penelope zu nennen. Sie ist das ganze Epos hindurch präsent, auch dann, wenn sie nicht auftritt, denn Odysseus wird allein vom Willen ge- trieben, zu seiner Gattin zurückzukehren. Penelope hält sich ihrerseits die zudringlichen Freier vom Leibe; am Ende wird sie sich ihrem Gatten an Listenreichtum als ebenbürtig erweisen, an Treue ist sie ihm sowieso über- legen. Eine Gefahr geht von Kalypso aus, die Odysseus zurückhalten möchte und nur dem Geheiß des Zeus, der ihr vom Götterboten Hermes überbracht wird (5,1–42), nachgibt. Sie weist dem Helden schließlich den Heimweg. Dieser wird durch den Aufenthalt bei den Phaiaken unterbro- chen. Dort trifft Odysseus auf Nausikaa. Die Königstochter hätte seine Gattin werden können, wäre er nicht schon verheiratet gewesen. Sie ist zwar ein menschliches Wesen, entstammt aber dem Land Scheria, das sei- nerseits eher einen märchenhaften oder traumartigen Charakter hat. Eine handlungsbestimmende Rolle spielt schließlich Kirke. Der Aufenthalt auf deren Insel Aia liegt sagenchronologisch vor der Kalypso-Episode und wird von Odysseus am Phaiakenhof im Rückblick erzählt. Diese Zauberin gibt Odysseus eine Fahrtweisung, die ihn in die Unterwelt führt. Kalypso und Kirke sind göttliche, oder zumindest übermenschliche Wesen und als solche in keinen sozialen Kontext eingebunden. Als Frauengestalten tre- ten sie jedoch in eine Konkurrenz zu Penelope. Addiert man die Verse, in denen die sie betreffenden Begebenheiten erzählt werden, so kommt man

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 9 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier auf rund 1200, also, grob gerechnet, ein Zehntel des Odyssee-Textes.1 Hin- zu treten die göttlichen Frauengestalten – kleine, wie etwa Ino Leukothea, die vormals selbst eine Sterbliche war (5,334), und große wie Athene, die am Anfang und am Ende des Epos jeweils den entscheidenden Hand- lungsimpuls setzt und zwischendurch immer wieder helfend eingreift. Sie bringt in der ersten Götterversammlung Zeus dazu, die Heimfahrt ihres Schützlings zuzulassen (1,22–95) und unterbricht nach dem Freiermord die »Spirale der Gewalt«2 (24,472–487). Sieht man die Odyssee als einen Entwicklungsroman, so könnte man die Aufenthalte des Helden bei Kalypso, Nausikaa und Kirke als Prüfungen seiner Standhaftigkeit sehen. Diese drei Frauen erfüllen aber nicht nur eine bestimmte Funktion innerhalb der Handlung, sondern wurden vom Dichter mit jeweils eigentümlichen Charakterzügen ausgestattet. Sie sind, jede auf ihre Weise, eigenständige Figuren. Im Folgenden sollen sie und ihr Weiterleben in der lateinischen Literatur genauer in den Blick genom- men werden.

Kalypso

Kalypso hat in Rom die geringste Prominenz erlangt. Sie lebt in der römi- schen Literatur nur indirekt und durch die Anverwandlung bestimmter Motive weiter. Als Nymphe ein göttliches Wesen, ist sie für Odysseus ei- gentlich nicht geschaffen; man könnte die ungleiche Verbindung gewis- sermaßen als ›Lohengrin-Motiv‹3 bezeichnen. Dennoch verhindert Kalyp- so sieben Jahre lang die Weiterfahrt und hält ihn auf der sonst unbewohn- ten Insel Ogygia fest. Erst als Hermes ihr den Befehl des Zeus überbringt, Odysseus zu entlassen, hilft sie ihm, ein Floß zu bauen, und sendet ihm günstigen Fahrtwind. Auf den ersten Blick ist deutlich, dass Vergils Dido- Geschichte von dieser Episode beeinflusst ist. Das wird schon an der Stel- lung im Geschehen deutlich: Homer lässt die Erzählung mit dem Aufent- halt bei Kalypso einsetzen, Vergil mit dem Seesturm, der Aeneas nach Kar- thago treibt. Auch das entscheidende Handlungsmoment, die Epiphanie eines Gottes, ist in beiden Epen ähnlich gestaltet: Merkurs Auftreten im vierten Buch der Aeneis ist der Hermes-Epiphanie im fünften Gesang der

1 Vgl. Szlezák (2012) 170. 2 Zimmermann (2020) 70. 3 Zum Begriff vgl. Mayer (1936) 215.

10 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist

Odyssee nachempfunden. Soweit handelt es sich um äußere Parallelen. Was aber Kalypso für uns interessant macht und was Vergil vermutlich an- regte, Züge von ihr seiner Dido anzuverwandeln, ist die Persönlichkeit der Figur, ihre menschliche Seite, die Art und Weise, wie sie auf Hermes’ Befehl reagiert. Das Gespräch zwischen Kalypso und Hermes spielt sich sozusagen in der zweiten Reihe der Götter ab und zeigt, welche psycholo- gischen Auswirkungen die Unterordnung unter Zeus hat. Es offenbart die anthropomorphe Wirklichkeit der Götterwelt. Hermes trifft Kalypso beim Weben in ihrer Höhle an. Sie geht also der typischen Beschäftigung einer Frau im Oikos nach.4 Sie fragt als erstes, was ihn zu ihr führe, und ahnt sofort, dass er sie um einen Gefallen bitten will, schließlich komme er sonst nicht häufig (5,88). Hermes antwortet ein wenig umständlich. Trotz der bei Homer üblichen Formelhaftigkeit hört man heraus, wie unangenehm ihm sein Auftrag ist, und er redet sich damit heraus, dass niemand einen Befehl des Zeus missachten dürfe (5,97–104). Sodann kommt er auf Odysseus zu sprechen und rekapituliert dessen bisherige Irrfahrten. Allerdings nennt er nicht dessen Namen, son- dern spricht wie von einem Unbekannten (5,105–108): φησί τοι ἄνδρα παρεῖναι ὀϊζυρώτατον ἄλλων, τῶν ἀνδρῶν, οἳ ἄστυ πέρι Πριάμοιο μάχοντο εἰνάετες, δεκάτῳ δὲ πόλιν πέρσαντες ἔβησαν οἴκαδ' […]. Man sagt, bei dir sei ein Mann, der beklagenswerteste von all den Männern, die um die Stadt des Priamos gekämpft haben neun Jahre lang, im zehnten aber nach Zerstörung der Stadt, zurückkehrten nach Hause […].5 Er tastet sich zunächst an die Tatsachen heran. Odysseus selbst ist nämlich nicht in der Höhle, sondern sitzt schmollend am Strand, weil ihm die Weiterfahrt verwehrt ist. Hermes beginnt seine Beschreibung des Odys- seus wie ein Epos: mit einem Verb des Sagens, dem Gegenstand, der be- sungen wird, und einem Relativsatz, der das Thema weiter ausfaltet. Die kurze Zusammenfassung der bisherigen Odyssee-Ereignisse umfasst sieben Verse (5,105–111), ist also genauso lang wie das Proömium der Ilias und das daran angelehnte Proömium der (späteren) Aeneis. Die Scholien grei- fen diese sieben Verse als überflüssig an, denn Kalypso kenne ja die Ge-

4 Vgl. Wickert-Micknat (1982) R40: Webprodukte dienen der Repräsentation. Die Frau verrichtet die Webarbeit üblicherweise im Megaron, nur Penelope zieht sich ins Oberge- mach zurück. 5 Die Übersetzungen lehnen sich an Schadewaldt (1958) an.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 11 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier schichte von Odysseus. Gleichwohl ist diese Einleitung sehr geschickt ge- wählt. Irene de Jong vermutet: »Hermes’ summary of Odysseus’ travels is intended to impress on Calypso that his stay with her is only an episode in this hero’s life, which is destined to end at home.«6 Das mag sein. Aber offensichtlich vermeidet es Hermes, mit der Tür ins Haus zu fallen, da er um die zarten Bande, die die Göttin mit Odysseus verbinden, weiß. Ir- gendwie muss er aber auf den Gast zu sprechen kommen, und so beginnt er mit dessen Taten, die vor dem Aufenthalt auf Ogygia lagen. Außerdem nennt er Odysseus einen ἀνὴρ ὀϊζυρώτατος, einen »tief unglücklichen Mann« (5,105), und setzt damit den Ton. Nicht Kalypsos liebevolles Um- sorgen des Schiffbrüchigen, sondern dessen unerfüllter Wunsch heimzu- kehren steht damit im Mittelpunkt. Es geht also um Odysseus’, nicht um Kalypsos Befindlichkeit. Außerdem stellt Hermes den Schiffbruch so dar, als sei er die Schuld Athenes. Damit will er von Zeus, seinem eigentlichen Auftraggeber, ablenken. Hermes nutzt die narratio der Vorgeschichte also, um die Fakten in ein ihm günstiges Licht zu rücken. Die letzten vier Verse seiner Rede (5,112–115), eingeleitet mit einem ty- pisch homerischen νῦν, das von der Vergangenheit in die Gegenwart über- leitet, nennen nun seinen göttlichen Auftrag: Odysseus solle heimkehren. Kalypso erstarrt angesichts der Worte und hält Hermes entgegen, die Göt- ter seien rücksichtslos. Niemals gönnten sie ihresgleichen den Umgang mit Sterblichen. Zeus’ Befehl wird damit als Ausfluss von Neid umgedeu- tet. Sodann zählt sie als Beleg eine ganze Reihe von Vorfällen auf, bei de- nen der Verkehr von Göttern und Menschen aus Missgunst unterbunden wurde (5,118–129). Mit diesem Katalog gescheiterter Gott-Mensch-Bezie- hungen rückt sie die Olymp-Bewohner ins moralische Zwielicht. Ihr eige- nes Handeln sei dagegen von hehren und – aus menschlicher Sicht – ethi- schen Motiven geleitet (5,130–136): Sie sei es gewesen, die den Schiffbrü- chigen gerettet und versorgt habe. Sie unterlässt dabei nicht den Hinweis, dass, anders als Hermes sie glauben machen wollte, nicht Athene, sondern Zeus den Seesturm gegen Odysseus erregt habe (5,130–134): τὸν μὲν ἐγὼν ἐσάωσα περὶ τρόπιος βεβαῶτα οἶον, ἐπεί οἱ νῆα θοὴν ἀργῆτι κεραυνῷ Ζεὺς ἐλάσας ἐκέασσε μέσῳ ἐνὶ οἴνοπι πόντῳ. ἔνθ' ἄλλοι μὲν πάντες ἀπέφθιθεν ἐσθλοὶ ἑταῖροι, τὸν δ' ἄρα δεῦρ' ἄνεμός τε φέρων καὶ κῦμα πέλασσε.

6 De Jong (2001) 131 zu 5,97–115.

12 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist

Den habe ich gerettet, als er auf dem Kiel schwamm alleine, nachdem ihm Zeus sein schnelles Schiff mit einem hell zuckenden Blitz traf und es verbrannte mit- ten im weinfarbenen Meer. Darauf gingen die anderen edlen Gefährten zugrun- de, ihn aber trug der Wind, und die Welle trieb ihn hierher. Sogar Unsterblichkeit und Alterslosigkeit habe sie ihm angeboten. Da dem Willen des Zeus jedoch nicht zuwidergehandelt werden dürfe, wolle sie sich dem Auftrag fügen (5,137–144). Kalypso entscheidet sich mit nachgerade stoischer Klarheit zu gehor- chen, weil sie weiß, dass jeder Widerstand gebrochen würde. Sie hat ja selbst einen Katalog von einschlägigen Beispielen genannt. Gleichwohl lässt sie keinen Zweifel an der Ungerechtigkeit der Entscheidung und auch nicht daran, dass sie Hermes’ Rhetorik durchschaut. Sie stellt also ihr Recht gegen die Willkür der Götter heraus, wenn es auch nichts nützt. Als sie nach Hermes’ Rückflug Odysseus ins Bild setzt, erstarrt dieser zunächst (5,171): ῥίγησεν, zeigt mithin die gleiche Reaktion wie Kalypso selbst nach der Hermes-Rede (5,116). Natürlich vermutet er als erstes eine List oder einen Hinterhalt. Das entspricht seinem Wesen, und Misstrauen hat sich oft genug als nützlich erwiesen.7 Er bringt Kalypso dazu, den gro- ßen Eid der Götter (5,178) zu schwören, dass sie ihm nichts Böses will. So- dann bewirtet die Nymphe den Helden ausgiebig. Nach dem Gastmahl hält sie eine Suasorie, mit der sie Odysseus noch einmal zu überzeugen versucht, doch auf die Heimkehr zu verzichten und bei ihr zu bleiben. Sie verweist auf die Kümmernisse und Leiden, die ihm noch bevorstehen, und hält die Unsterblichkeit dagegen, die er auf Ogygia erlangen könne. Außerdem fordert sie ihn zu einem Vergleich ihrer selbst mit Penelope heraus, den Odysseus, will er nicht uncharmant sein, nur zu ihren Guns- ten ausgehen lassen kann.8 Er überwindet die diplomatische Klippe und bleibt fest bei seinem Entschluss. Diese Standhaftigkeit richtig zu bewer- ten, gelingt vor allem, wenn man wiederum Vergils Dido-Geschichte da- nebenhält. Nun muss man vorausschicken, dass Vergil die Konstellation etwas verändert hat. Merkur spricht Aeneas an, während in der Odyssee Hermes zu Kalypso spricht. Aeneas bricht ebenfalls auf, doch hatte er zwi- schenzeitlich seinen Auftrag schon fast vergessen und sich wirklich in Di-

7 Zu Funktion von Verstellung, Lüge und Misstrauen vgl. Szlezák (2012) 201 f.; Grethlein (2017) 195–199. 8 Vgl. De Jong (2001) 133 zu 5,149–227: »Odysseus has to use all his – characteristic – diplomacy to turn down her offer without hurting her (and thereby forfeiting her all too necessary help).«

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 13 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier do verliebt. Er saß nicht wie Odysseus schmollend am Strand, sondern hatte mitgeholfen, Karthago aufzubauen. Anders als Odysseus9 hatte er durchaus Augen für die Reize seiner Gastgeberin. Die Mahnung Merkurs erschüttert ihn deshalb ins Mark. Die vergilische Variante macht es Aene- as schwerer, seinen Entschluss zu begründen. Der trojanische Flüchtling muss nämlich sein bisheriges Verhalten revidieren und Dido weismachen, ein Gott habe ihn zum Aufbruch gedrängt, während Kalypso Hermes’ Worte mit eigenen Ohren gehört hatte. Dido, die nicht selbst Zeugin der Epiphanie des Gottes gewesen war, antwortet sarkastisch (4,379–380): scili- cet is superis labor est ea cura quietos / sollicitat (»Klar, genau das ist die Be- schäftigung der Götter, damit rauben sie sich ihre Ruhe«). Sie glaubt Ae- neas seine Göttergeschichte nicht, weil sie offenbar Epikureerin ist und als solche weiß, dass die Götter in Intermundien leben und sich nicht um die Menschen und deren Angelegenheiten kümmern.10 Aeneas’ Begründung findet sie deshalb lächerlich. Bei Homer ist die Sache weniger kompliziert, Kalypso zweifelt nicht an dem göttlichen Befehl; doch auch sie ist eine Persönlichkeit mit eigenem Willen. Sie nimmt es sich heraus, Götterkritik zu üben und hätte sich dem Zeuswillen wohl sogar widersetzt, wenn sich Odysseus hätte umstimmen lassen. Kalypso wird einmal als δολόεσσα (»lis- tig«, 7,245) bezeichnet. Das entspricht ihrem Wesen als liebende Frau gar nicht. Man hat daher vermutet, dass sie ursprünglich eher eine dunkle Ge- stalt, eine Todes-, Nacht- oder Unterweltsgöttin gewesen sei.11 Wie auch immer, Homer hat sie in eine Beziehungskonstellation gesetzt, die sich sonst in der antiken Literatur wohl nicht findet: eine aufrichtig liebende Frau und ein Mann, der sich dagegen wehrt. Die Liebeselegie kennt das umgekehrte Motiv: den erfolglos werbenden Liebhaber und die spröde puella. Es verwundert daher nicht, dass etwa ein Ovid mit Kalypso wenig anfangen konnte. Sie kommt bei ihm einmal vor, nämlich in der Ars ama- toria 2,123–146. Dort hat der römische Liebesdichter die Situation auf Ogygia in ihr genaues Gegenteil verkehrt: Der facundus Ulixes hält Kalypso bei Laune, indem er ihr am Strand die Geschichten von Troja nacherzählt. Bei Ovid ist er der Werbende, sie die Umworbene. Aus dieser Kontrafak-

9 Vgl. 5,154–158: »Er lag in den Nächten nur gezwungenermaßen in den gewölbten Höh- len, ohne Wollen bei ihr, der Wollenden. Die Tage aber saß er auf den Steinen und am Strand mit Tränen, Seufzern und Schmerzen sein Herz zerreißend, blickte auf das un- fruchtbare Meer, Tränen vergießend.« 10 Vgl. Obbink (2004) 179. 11 Vgl. von Geisau (1969) 94 f.

14 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist tur lernt man zumindest, als wie ungewöhnlich die Kalypso-Geschichte in der Antike empfunden wurde.

Nausikaa

Während Kalypso auf einer menschenleeren Insel lebt, ist Nausikaa in ein soziales Umfeld eingebunden. Zwar wohnt sie in einem Zauberreich, das märchenhafte Züge trägt,12 doch davon abgesehen, könnte man die junge Königstochter geradezu als ›ideale Partie‹ bezeichnen. Sie entstammt einer Musterfamilie, wir treffen sie an, wie sie im Kreis ihrer Dienerinnen zum Strand geht, um an einem Fluss Wäsche zu waschen.13 Ihr Volk gewährt das Gastrecht in herausragender und vorbildlicher Weise – wenn auch nicht ganz vorbehaltlos.14 Odysseus wird nach seinem Aufenthalt mit grö- ßeren Schätzen nach Hause zurückkehren, als er sie durch seinen Schiff- bruch verloren hatte.15 Im Hause des Alkinoos findet zu seinen Ehren ein Gastmahl statt, bei dem mit Demodokos ein Sänger auftritt, der vermut- lich den Beruf des Rhapsoden aus homerischer Zeit widerspiegelt.16 Auf den ersten Blick haben wir es mit einem Sittengemälde zu tun, das die Mykenische Zeit so abbildet, wie Homer sie sich vorstellte und wie er sie im Wesentlichen den sozialen Beziehungen seiner eigener Welt nachemp-

12 Vgl. Segal (1994) 17; Segal (1962) 17–64. 13 Vgl. Wickert-Micknat (1982) R38: Zu den Arbeitsbereichen der Frau gehörten Textili- en, Korn, Wasser, Feuer, das Hausinnere. 14 Nach 6,274 und 7,16 sind die Phaiaken hochmütig, nach 7,32–33 Fremden nicht wohl- gesinnt. Diese Eigenschaften reflektieren die eine Seite im Umgang mit Fremden, der zunächst auf Furcht, Misstrauen und Verstellung beruht. Andererseits wird Zeus Xenios als Hüter der Gastlichkeit hochgehalten, vgl. 14,57 f.: πρὸς γὰρ Διός εἰσιν ἅπαντες / ξεῖνοί τε πτωχοί τε. »Dieses Paradoxon war geradezu ein Modell der dieser heroischen Welt zu- grunde liegenden Ambivalenz gegenüber dem uneingeladenen Fremden, des schnellen Wechsels zwischen tiefer, wohlbegründeter Furcht und überreicher Bewirtung«, Finley (1992) 104. 15 Das mag eine der Geschichte geschuldete Übertreibung sein. Sie reflektiert jedoch die hohe Bedeutung des Austauschs von Geschenken in der homerischen Gesellschaft, vgl. Finley (1992) 64–66. 16 Vgl. Luther (2006) 79: »Wie aber die Phaiaken den Erzählungen des Odysseus zuhörten, so lauschten auch die antiken Hörer dem Vortrag des Epos: Die Phaiaken weisen inso- fern ein bemerkenswertes Identifikationspotential auf – dem historischen Epenpubli- kum war in besonderem Maße die Möglichkeit gegeben, Gemeinsamkeiten zwischen sich und den Bewohnern von Scheria […] festzustellen.«

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 15 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier fand.17 Doch gibt es einen verstörenden Unterschied. Dieser betrifft die Rolle der Frau: Nausikaa empfiehlt Odysseus, wenn er den Palast betrete, solle er am Thron ihres Vaters Alkinoos vorbeigehen und sich direkt an die Mutter wenden (6,303–315): ἀλλ' ὁπότ' ἄν σε δόμοι κεκύθωσι καὶ αὐλή, ὦκα μάλα μεγάροιο διελθέμεν, ὄφρ' ἂν ἵκηαι μητέρ' ἐμήν· ἡ δ' ἧσται ἐπ' ἐσχάρῃ ἐν πυρὸς αὐγῇ, ἠλάκατα στρωφῶσ' ἁλιπόρφυρα, θαῦμα ἰδέσθαι, κίονι κεκλιμένη· δμῳαὶ δέ οἱ εἵατ' ὄπισθεν. ἔνθα δὲ πατρὸς ἐμοῖο θρόνος ποτικέκλιται αὐτῇ, τῷ ὅ γε οἰνοποτάζει ἐφήμενος ἀθάνατος ὥς. τὸν παραμειψάμενος μητρὸς περὶ γούνασι χεῖρας βάλλειν ἡμετέρης, ἵνα νόστιμον ἦμαρ ἴδηαι χαίρων καρπαλίμως, εἰ καὶ μάλα τηλόθεν ἐσσί. εἴ κέν τοι κείνη γε φίλα φρονέῃσ' ἐνὶ θυμῷ, ἐλπωρή τοι ἔπειτα φίλους τ' ἰδέειν καὶ ἱκέσθαι οἶκον ἐϋκτίμενον καὶ σὴν ἐς πατρίδα γαῖαν.18 Doch wenn dich Palast und Innenhof aufgenommen haben, durchschreite ganz schnell die Halle, bis du zu meiner Mutter gelangst. Sie aber sitzt am Herd im Schein des Feuers und dreht meerpurpurne Wolle auf der Spindel, ein Wunder zu schauen, an einen Pfeiler gelehnt. Die Mägde jedoch sitzen hinter ihr. An denselben Pfeiler ist dort auch der Thron meines Vaters angelehnt; darauf sit- zend trinkt er Wein wie ein Unsterblicher. Geh an ihm vorbei und wirf unserer Mutter die Arme um die Knie, damit du den Tag der Heimkehr siehst, freudig und rasch, magst du auch von sehr weit her sein. Ist jene dir freundlich gesinnt in dem Gemüte, dann ist für dich Hoffnung, dass du die Deinen siehst und in dein gutgebautes Haus und dein väterliches Land gelangst. Als Odysseus in die Stadt der Phaiaken geht, hüllt Athene einen Nebel um ihn (7,16 f.), »damit nicht einer von den hochgemuten Phaiaken ihn träfe, ihn mit Worten verhöhnte und fragte, wer er sei.« Sodann tritt die Göttin selbst ihm entgegen, getarnt als junges Mädchen mit einem Wasserkrug auf dem Kopf. Sie spricht Odysseus an und wiederholt noch einmal im

17 Vgl. Hampl (1975) 51–99: Homer sei durch Ruinen und archäologische Zeugnisse ange- regt worden, vorhandene Sagen zu seiner Erzählung zu verdichten. Der religiöse, sozia- le und politische Hintergrund der Epen sei im Wesentlichen zeitgenössisch (ebd. 73). Man könnte von einer »Homöostasie« sprechen, der Anpassung der Historie an die eige- nen gesellschaftlichen Umstände, vgl. Kullmann (1992 a) 156–169, zum Begriff: ebd., 160. 18 6,313–315 = 7,75–77. Die Doppelung der Verse hat manche Herausgeber (von der Mühll 1971) zu ihrer Athetese an der ersten Stelle verleitet (nicht so Allen 21917). Im 7. Buch kommen die Worte aus dem Mund der Athene, was ihnen noch mehr Gewicht verleiht, siehe das Folgende.

16 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist wesentlichen Nausikaas Aussage (7,50–77).19 Zweimal wird in ähnlichen Worten die Entscheidungsgewalt der Arete herausgestellt.20 Zweimal ha- ben wir es mit einer parallelen Szene zu tun, in der – im ersten Fall eine tatsächliche, im zweiten Fall eine vermeintliche – Königstochter mit er- staunlicher Selbstsicherheit einem Fremden gegenübertritt und ihn bei seinem Gang in die Stadt beschützt. Natürlich handelt es sich im zweiten Fall um die verkleidete Athene, doch schlüpft die Göttin ja äußerlich in eine ortstypische Rolle. Die Verdoppelung dieser Szene an den (freilich nicht von Homer festgelegten21) Buchgrenzen mag zunächst eine techni- sche Funktion haben, bindet sie doch die beiden Sinnabschnitte zusam- men und setzt die Handlung fort. Diese auffällige Doppelung hat aber nichts mit homerischer Erzähltechnik und ihren mündlichen Vorformen zu tun, wo die Wiederholung von Versgruppen der leichteren Erinnerung dient und ein Hilfsmittel des Dichters ist. Es handelt sich auch nicht um die formelhafte Wiederholung einer typischen Szene oder um ein Wieder- aufgreifen im Stil einer Ringkomposition.22 Dazu ist die Situation zu indi- viduell und sind jeweils die Formulierungen von Nausikaa und von Athe- ne zu verschieden. Vielmehr scheint der Dichter Wert darauf zu legen, die erstaunliche Aussage der Nausikaa göttlich zu beglaubigen,23 nämlich die Tatsache, dass nicht Alkinoos entscheidet, wie mit dem Fremden umge- gangen wird, sondern dass Arete das Sagen hat; sie erscheint als Hüterin des Gastrechts. Es würde wohl zu weit gehen, dahinter die Spuren einer matriarchalischen Gesellschaft erkennen zu wollen.24 Dennoch ist es bei den Phaiaken möglich, dass eine Frau wie Arete Streit unter Männern schlichtet und von diesen verehrt wird wie eine Göttin (7,71). Selbstre- dend nimmt Arete auch an dem Gastmahl für Odysseus teil, und zwar un-

19 »Du aber geh hinein und verzage nicht in deinem Mute; der tapfere Mann erweist sich nämlich bei allen Werken als der bessere, wenn er auch von irgendwo anders her- kommt. Die Herrin wirst du als erste in den Hallen antreffen. Arete wird sie mit Na- men genannt […]. Wenn jene dir freundlich gesinnt ist im Gemüte, dann ist für dich Hoffnung, dass du deine Lieben wiedersiehst und in dein hochragendes Haus und dein väterliches Land gelangst«. 20 Vgl. Whittaker (1999) 140. Allerdings findet diese Hervorhebung der Königin keinen ebensolchen Widerhall in der weiteren Handlung, vgl. Whittaker (1999) 141. 21 Vgl. Reichel (2011) 51. 22 Zur Komposition der homerischen Epen und ihrer neoanalytischen Deutung vgl. Kull- mann (1992 b) 100–134. 23 Knauer (²1979) 155 weist darauf hin, dass Vergil Nausikaa wohl nur als Werkzeug Athe- nes verstanden habe. Deshalb sei sie in der Aeneis allenfalls versteckt hinter der Figur Didos zu erkennen. 24 Zur Diskussion der Matriarchatsthese vgl. Georgoudi (1992) 449–463.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 17 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier unterbrochen.25 In 11,336–341 fordert sie gar ihre Mitbürger auf, ein Ur- teil über den Gast zu fällen und ihn mit Geschenken zu überhäufen. Sie begründet das damit, dass jener ihr Gastfreund sei, jedoch alle Phaiaken ein Mitspracherecht beanspruchen dürften, weil sie alle Anteil an der Ehre hätten (11,338): ξεῖνος δ' αὖτ' ἐμός ἐστιν, ἕκαστος δ' ἔμμορε τιμῆς. Aretes Vorschlag wird anschließend (11,351–352) von Alkinoos gebilligt und in 13,7–22 auch umgesetzt.26 Diese Ausübung weiblicher Autorität wider- sprach allen bekannten Regeln der archaischen Gesellschaft.27 Auch der Odyssee-Dichter zeichnet dieses Bild nicht konsequent. Denn Nausikaa stellt sich Odysseus als Tochter des Alkinoos vor, nennt also wie üblich die männliche Abstammungslinie, und am Ende der Phaiaken-Episode ist es auch der König Alkinoos, der Odysseus nach Ithaka zurückbringen lässt. Wir haben es mit Dichtung zu tun, und Scheria ist klar als »fairy tale world« markiert.28 Es gibt dort keinen Krieg, aber man treibt Handel und ist erfahren in der Seefahrt. Nausikaa belehrt den Ankömmling (6,270– 272): οὐ γὰρ Φαιήκεσσι μέλει βιὸς οὐδὲ φαρέτρη, ἀλλ' ἱστοὶ καὶ ἐρετμὰ νεῶν καὶ νῆες ἐῖσαι Denn den Phaiaken liegt nichts an Bogen und Köcher, sondern an Schiffsmas- ten und -rudern und ebenmäßig gebauten Schiffen, auf denen sie stolz das graue Meer durchfahren. Scheria ist damit eine Gegenwelt zu dem Krieg, aus dem Odysseus zurück- kehrt. Es ist in gewisser Weise auch eine Gegenwelt zu Ithaka, wo Penelo- pe den Zumutungen der Freier ausgesetzt ist.29 Der Aufenthalt auf Scheria schließt den Irrfahrtenteil ab und markiert den Übergang in die reale Welt. Als Odysseus in seiner Heimat erwacht, weiß er zunächst nicht, wie ihm geschieht und wo er sich befindet. Dieser seltsame Abschluss der Phaiaken-Episode unterstreicht deren traumhaften, unwirklichen Charak-

25 Eigentlich gab es keine Speisegemeinschaft zwischen Mann und Frau, vgl. Wickert- Micknat (1982) R54. Zur Rolle Aretes vgl. Whittaker (1999) 140–150, die die Bedeu- tung Aretes weniger historisch begründet (»related to an idealized prehistoric past«, 141) als vielmehr der »significance of Scherie as a borderland between the real world and the fairy tale world of Odysseus’ travels« (140; vgl. 146; 148) geschuldet sieht. 26 Vgl. De Jong (2001) 314 zu 13,3–16. 27 Vgl. Finley (1992) 92. 28 Vgl. Whittaker (1999) 148. Das gilt auch für die Topographie, vgl. Luther (2006) 79, Anm. 10. 29 Vgl. Rüter (1969) 240–241 zur kontrastiven Gegenüberstellung von Penelope und Are- te, ebd., 243 zu Scheria »als ein Gegenbild zu Ithaka«.

18 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist ter. Scheria ist also als eine positive Scheinwelt gezeichnet – im Gegensatz zu den Schrecken der Irrfahrt und des Krieges. Nausikaa selbst weiß um diese besondere Eigenschaft ihrer Heimat. Als die Mägde vor Odysseus in Furcht davonlaufen wollen, hält sie sie zurück und erklärt (6,201–208): οὐκ ἔσθ' οὗτος ἀνὴρ διερὸς βροτὸς οὐδὲ γένηται, ὅς κεν Φαιήκων ἀνδρῶν ἐς γαῖαν ἵκηται δηϊοτῆτα φέρων· μάλα γὰρ φίλοι ἀθανάτοισιν. οἰκέομεν δ' ἀπάνευθε πολυκλύστῳ ἐνὶ πόντῳ, ἔσχατοι, οὐδέ τις ἄμμι βροτῶν ἐπιμίσγεται ἄλλος. ἀλλ' ὅδε τις δύστηνος ἀλώμενος ἐνθάδ' ἱκάνει, τὸν νῦν χρὴ κομέειν· πρὸς γὰρ Διός εἰσιν ἅπαντες ξεῖνοί τε πτωχοί τε, δόσις δ' ὀλίγη τε φίλη τε. Nein, den leibhaftigen Mann gibt es nicht, den Sterblichen, und er wird nicht geboren werden, der in der Phaiakenmänner Land kommt und Feindseligkeit hereinträgt. Sie sind den Unsterblichen nämlich sehr lieb. Wohnen wir doch weitab in dem vielwogenden Meer, zuäußerst, und kein anderer der Sterblichen gesellt sich zu uns. Doch dieser da ist als ein Unglücklicher, ein Umgetriebener hierhergekommen, um diesen muss man sich jetzt kümmern. Vor Zeus nämlich sind alle Fremde und Bettler, und eine Gabe, sei sie auch gering, ist willkom- men. Scheria ist in ihren Augen ein Land, das die Götter vor Feinden bewah- ren. Es ist damit auch ein Gegenentwurf zur Welt der Ilias. Gleichwohl ist Scheria nicht ungetrübt von den Einflüssen der gesell- schaftlichen Realität. Das echte Leben scheint immer wieder durch.30 Ein vollkommen unrealistisches Märchenland wäre auch fade gewesen; es hät- te Odysseus keinerlei Möglichkeit zu verantwortlichem, »menschlichem« Agieren gegeben.31 Denn menschliche Interaktion ist nur deshalb mög- lich, weil auch Nausikaa ähnlichen gesellschaftlichen Regeln ausgesetzt ist wie eine junge Frau in einer ›normalen‹ griechischen Gesellschaft. Warum sonst würde sie größten Wert darauf legen, nicht zusammen mit Odysseus die Stadt zu betreten, und das Gerede der Menschen scheuen? Warum sonst würde Athene den Fremden in Nebel hüllen und ihn den Blicken der Einheimischen entziehen? Nausikaa hat dem Fremden gegenüber am Strand größten Mut bewiesen und ist im Gegensatz zu ihren Gefährtinnen nicht weggelaufen. Als sie aber wieder in die Stadt kommt, muss sie gesell- schaftlichen Konventionen gehorchen und kann es sich als unverheirate-

30 Luther (2006) 78 konstatiert eine »›Scharnierfunktion«‹ zwischen den unwirklichen Abenteuern und der Realität in Ithaka. Vgl. auch Segal (1962). 31 Gegen die Deutung von Scheria als »Schlaraffenland« vgl. Rüter (1969) 245.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 19 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier tes Mädchen nicht leisten, einen unbekannten Mann mitzubringen. Die Phaiaken achten zwar in besonderer Weise das Gastrecht. Das nähert sie einer idealen griechischen Gemeinschaft an. Nausikaa begründet diese Ei- genschaft jedoch mit der besonderen Gottesnähe der Phaiaken (6,203– 205).32 Auf der anderen Seite bezeichnet sie selbst ihre Mitbürger als ὑπερφίαλοι (»arrogant«, 6,274) und lässt in Figurenrede einen κακώτερος (»Miesmacher«, 6,275) zu Wort kommen. Dieser möge dann spekulieren, woher sie den Fremden habe und bösartig folgern, die einheimischen Ed- len seien wohl nicht gut genug (6,283 f.): ἦ γὰρ τούσδε γ' ἀτιμάζει κατὰ δῆμον / Φαίηκας, τοί μιν μνῶνται πολέες τε καὶ ἐσθλοί. (»Sie nämlich ver- achtet diese Leute aus diesem Volk, die Phaiaken, die um sie freien, Edle in großer Zahl!«) Hier bricht die soziale Realität in die Märchenwelt ein. Dasselbe wird auch aus den Worten Athenes deutlich. Sie warnt Odysseus beim Gang in die Stadt (7,31–37): μηδέ τιν' ἀνθρώπων προτιόσσεο μηδ' ἐρέεινε. οὐ γὰρ ξείνους οἵ γε μάλ' ἀνθρώπους ἀνέχονται οὐδ' ἀγαπαζόμενοι φιλέουσ', ὅς κ' ἄλλοθεν ἔλθῃ. νηυσὶ θοῇσιν τοί γε πεποιθότες ὠκείῃσι λαῖτμα μέγ' ἐκπερόωσιν, ἐπεί σφισι δῶκ' ἐνοσίχθων· τῶν νέες ὠκεῖαι ὡς εἰ πτερὸν ἠὲ νόημα. Und blicke keinen von den Menschen an und befrage keinen! Die hier dulden nicht allzu sehr fremde Menschen und bewillkommnen den nicht freundlich, der von anderswoher kommt. Vertrauend auf ihre schnellen, raschen Schiffe durchfahren sie die große wogende See, da es ihnen der Erderschütterer gege- ben. Ihre Schiffe sind schnell wie ein Flügel oder ein Gedanke.33 Athene wiederholt, was schon Nausikaa über die Phaiaken als Seefahrer gesagt hatte. Ihre Einschätzung von deren Gastfreundlichkeit fällt jedoch viel nüchterner aus. Aus der Diskrepanz zwischen der Selbstpräsentation Nausikaas und der Beurteilung der Phaiaken durch Athene kann man erkennen, dass auch Nausikaa, wiewohl sie eng in ihren sozialen Kontext eingebunden ist, eine Einzelgängerrolle einnimmt. Zugleich ist sie wie schon Kalypso ein poten- tielles Heimkehrhindernis für Odysseus. Man könnte also auch die Begeg- nung mit ihr als eine Probe sehen, die der Held zu bestehen hat.

32 Vgl. auch 18,279, wo Odysseus die Phaiaken noch einmal als »götternah«, ἀγχίθεοι, be- zeichnet; in 5,35 (Götterversammlung) verwendet Zeus selbst diese Charakterisierung. 33 Vgl. De Jong (2001) 173 zu 7,14–143: »apparently the Phaeacians are sufficiently threat- ening for Athena to take precautions«.

20 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist

Die Nausikaa-Episode ist eine verhinderte Liebesgeschichte. Athene, die zuverlässige Unterstützerin des Odysseus, hatte Nausikaa einen Traum ge- schickt, in dem sie die Jungfrau auf ihre baldige Hochzeit vorbereitet.34 Sie solle deshalb ihre Gewänder waschen, denn (6,27–35): »dir aber ist die Hochzeit nahe, wo du selber schöne anziehen musst und andere darrei- chen denen, die dich geleiten sollen. […] Denn schon freien um dich die besten in dem Volke von allen Phaiaken, woher auch dein Geschlecht stammt«. Nausikaa bespricht den für sie verstörenden Traum mit ihren El- tern. Das Genrebild, das Homer von diesen zeichnet, gibt wohl ein recht gutes Bild von der Rollenverteilung im griechischen Oikos (6,48–55): αὐτίκα δ' ᾿Ηὼς ἦλθεν ἐΰθρονος, ἥ μιν ἔγειρε Ναυσικάαν εὔπεπλον· ἄφαρ δ' ἀπεθαύμασ' ὄνειρον, βῆ δ' ἴμεναι διὰ δώμαθ', ἵν' ἀγγείλειε τοκεῦσι, πατρὶ φίλῳ καὶ μητρί· κιχήσατο δ' ἔνδον ἐόντας. ἡ μὲν ἐπ' ἐσχάρῃ ἧστο σὺν ἀμφιπόλοισι γυναιξίν, ἠλάκατα στρωφῶσ' ἁλιπόρφυρα· τῷ δὲ θύραζε ἐρχομένῳ ξύμβλητο μετὰ κλειτοὺς βασιλῆας ἐς βουλήν, ἵνα μιν κάλεον Φαίηκες ἀγαυοί. Sogleich kam die gutthronende Eos, die weckte sie auf, die schöngewandete Nausikaa. Darauf aber wunderte sie sich über den Traum und schritt hin und ging durch die Gemächer, damit sie ihn den Eltern, dem lieben Vater und der Mutter, melde. Und sie traf sie im Inneren an. Sie saß am Herd mit den dienen- den Frauen und drehte Wolle auf der Spindel, meerpurpurne. Auf ihn aber stieß sie, als er zur Tür hinaus zu den ruhmvollen Königen zur Beratung ging, wohin ihn die erlauchten Phaiaken gerufen hatten. Die Konzentration der Frau auf den Oikos, das Auftreten des Mannes in der lesche entsprachen den sozialen Rollen in archaischer Zeit. Nausikaas Eltern unterstützen den Wunsch der Tochter, sich bald zu verheiraten. Als sie mit ihren Mägden zum Fluss geht, ist sie also für eine Hochzeit prädis- poniert, gleichsam in ›Hochzeitsstimmung‹. Das wird die Art und Weise bestimmen, wie sie dem fremden Odysseus entgegentritt. Wie kommt es zu dieser Begegnung? Als die Mädchen um Nausikaa schon wieder vom Fluss aufbrechen wollen, sorgt Athene dafür, dass beim Spiel ein Ball zu Odysseus rollt. Dieser erwacht und beschließt, Nausikaa um Hilfe zu bit- ten, die sie ihrerseits anbietet. Als Odysseus sich später im Fluss wäscht, spricht sie im Kreise ihrer Mägde die Worte (6,244–245): »Wenn doch ein

34 Diese Szene habe »Samuel Butler auf den Gedanken gebracht, die Odyssee müsse von einer Frau verfasst sein«, vgl. Finsler (1918) 300.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 21 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier solcher mein Gatte genannt werden möge von denen, die hier wohnen, und es sollte ihm gefallen, hier zu bleiben.« Der Kommentar von Heu- beck/West/Hainsworth bemerkt: »Nausikaa is, in effect, thinking aloud.«35 In der Tat klingen ihre Worte so, als richte sie sie an sich selbst, obwohl die Mägde um sie herumstehen und sie schon im nächsten Vers diese an- weist, dem Fremden Speis und Trank zu geben. Irene de Jong meint: »she calls herself to order«,36 scheint also auch eine Art Selbstgespräch zu un- terstellen, das dann durch einen unmarkierten, abrupten Adressatenwech- sel in einen an die Umstehenden gerichteten Befehl mündet. Es gibt im Text keinen Hinweis, dass Nausikaas Worte ein Innerer Monolog wären, dass sie also ›mit geschlossenem Mund‹ spräche. Es kann aber keinen Zweifel geben, dass ihre Worte über Odysseus weniger an die Mägde als an sie selbst gerichtet sind. Insofern haben die Kommentare schon recht, wenn sie sinngemäß konstatieren, dass wir hier einen Einblick in ihr Inne- res erhalten. Ein Scholiast empfand dies wohl als Indiskretion und fühlte sich deshalb unangenehm berührt. Er schreibt: δοκοῦσιν οἱ λόγοι ἀπρεπεῖς εἶναι παρθένῳ καὶ ἀκόλαστοι. (»Die Worte erscheinen für die Jungfrau un- gehörig und zügellos.«)37 Sie stellt sich vor ihrem inneren Auge den Frem- den als ihren Ehemann vor. Wörtlich sagt sie aber, sie wünsche sich »einen solchen Ehemann« τοιόσδε πόσις wie Odysseus.38 Sie bleibt also im Hypothetischen. Dazu passt Odysseus’ sehr allgemeine Anspielung auf Nausikaas künftigen Ehemann, die er als Kompliment vorträgt (6,158– 159): κεῖνος δ' αὖ περὶ κῆρι μακάρτατος ἔξοχον ἄλλων, ὅς κέ σ' ἐέδνοισι βρίσας οἶκόνδ' ἀγάγηται. Jener ist fürwahr der bei weitem Glücklichste von allen, der, wer auch immer es sei, dich mit Brautgaben beschwert nach Hause führt. Ohne von Nausikaas Traum zu wissen, schlägt Odysseus dieselbe Thema- tik an. Zuvor hatte Odysseus Nausikaa mit Artemis vergleichen und damit denselben Vergleich gewählt, den auch schon der Erzähler für die Königs- tochter gebraucht hatte. Es ist dies der einzige Fall in der Odyssee, wo Er- zähler und Figur auf dasselbe Gleichnis zurückgreifen.39 Das Empfinden

35 Heubeck/West/Hainsworth (1988) 308, zu 6,244–245. 36 De Jong (2001) 164, zu 6,237–246. 37 Zit. nach Heubeck/West/Hainsworth (1988) 308, zu 6,244–245. 38 6, 244 f.: αἲ γὰρ ἐμοὶ τοιόσδε πόσις κεκλημένος εἴη / ἐνθάδε ναιετάων. 39 Vgl. De Jong (2001) 161, zu 6,151–2.

22 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist der Protagonisten scheint von unsichtbarer Hand aufeinander abgestimmt zu sein. Wolfgang Kullmann hat den Gleichklang von göttlichem Wirken und Epenhandlung als »prästabilierte Harmonie« bezeichnet.40 Hier herrscht eine solche auch zwischen Erzähler und Figur. Odysseus bleibt bei seiner Hochzeitsanspielung ebenso im Allgemeinen wie zuvor schon Nausikaa. Wenn er ihr am Ende seiner Rede Glück wünscht, macht er un- missverständlich deutlich, dass keineswegs er selbst Nausikaas Gatte sein werde (6,180–185): σοὶ δὲ θεοὶ τόσα δοῖεν, ὅσα φρεσὶ σῇσι μενοινᾷς, ἄνδρα τε καὶ οἶκον, καὶ ὁμοφροσύνην ὀπάσειαν ἐσθλήν· οὐ μὲν γὰρ τοῦ γε κρεῖσσον καὶ ἄρειον, ἢ ὅθ' ὁμοφρονέοντε νοήμασιν οἶκον ἔχητον ἀνὴρ ἠδὲ γυνή· πόλλ' ἄλγεα δυσμενέεσσι, χάρματα δ' εὐμενέτῃσι· μάλιστα δέ τ' ἔκλυον αὐτοί. Dir aber mögen die Götter soviel geben, wieviel du im Herzen begehrst: Mann und Haus, und dazu mögen sie edle Eintracht gewähren. Denn es gibt nichts Kräftigeres und Besseres, als wenn Mann und Frau einträchtigen Sinnes das Haus verwalten, sehr zum Leide den Bösgesinnten, zur Freude aber den Wohl- gesinnten, doch am meisten erfahren sie es selbst. Odysseus mag mit den Begriffen ὁμοφροσύνη und ὁμοφρονέοντε an Pene- lope gedacht haben.41 Wenn er dem jungen Mädchen dereinst einen Ehe- mann und einen oikos wünscht und diese beiden als (6,182) κρεῖσσον καὶ ἄρειον bezeichnet, so bekräftigt er damit den Wert der Ehe und das eigent- liche Thema des Epos: die Heimkehr des treuen Ehegatten zu seiner eben- so treuen Ehefrau. Mit Nausikaa und ihrem idealen Elternhaus wird ge- wissermaßen das gezeigt, was Odysseus verloren hat und wiederzugewin- nen versucht. Dennoch ist dies die vielleicht erotischste Passage im ganzen Epos, und zwar aufgrund dessen, was ungesagt bleibt. Erstaunlicherweise hat sie in der nachhomerischen Tradition nur wenig Nachhall gefunden. Abgesehen von der Erwähnung bei den Mythogra- phen haben wir kaum Hinweise auf literarische Bearbeitungen. Aus den genannten Anspielungen auf die Ehe haben die Nosten eine spätere Ver- bindung zwischen Odysseus’ Sohn Telemachos und Nausikaa herausge- sponnen, die ja auch altersmäßig besser zusammenpassen.42 Interessanter als diese antiquarisch-mythologischen ›Gieshüblereien‹ sind die indirekten

40 Kullmann (1956) 107. 41 Vgl. De Jong (2001) 161, zu 6,180–5. 42 Vgl. von Geisau (1972) 15.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 23 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier

Anspielungen. Eine könnte in Sapphos berühmtem φαίνεταί-μοι-κῆνος-Ge- dicht (L-P 31) liegen, das seinerseits Catull zu Carmen 51 inspiriert hat. Bei Sappho spricht ein lyrisches Ich im Angesicht eines geliebten Mäd- chens folgende Worte: φαίνεταί μοι κῆνος ἴσος θέοισιν ἔμμεν' ὤνηρ, ὄττις ἐνάντιός τοι ἰσδάνει καὶ πλάσιον ἆδυ φωνεί- σας ὐπακούει καὶ γελαίσας ἰμέροεν, τό μ' ἦ μὰν καρδίαν ἐν στήθεσιν ἐπτόαισεν, […]. Es scheint mir jener gleich den Göttern zu sein, der Mann, welcher auch immer es sei, der dir gegenüber sitzt und dich aus nächster Nähe süß spre- chen hört und anmutig lachen. Das lässt mir fürwahr das Herz in der Brust schlagen … Diese Verse variieren den epischen Nausikaa-Stoff auf lyrisch-subjektive Weise. Eine Parallele ist der Göttervergleich: Odysseus fühlt sich durch Nausikaa an Artemis erinnert, in seiner Bittrede (6,148–185) fragt er sie: θεός νύ τις ἦ βροτός ἐσσι; (»Bist du eine Göttin oder eine Sterbliche?«), Nausikaa ihrerseits sagt über Odysseus, nachdem dieser sich im Fluss ge- waschen und anschließend gesalbt hat (6,243): νῦν δὲ θεοῖσιν ἔοικε (»jetzt gleicht er den Göttern«). Sappho macht durch die Formulierung ἴσος θέοισιν den Vergleich explizit. Auslöser ist jeweils spontane Verliebtheit. Nausikaas Liebe zu Odysseus ist jedoch ebenso aussichtslos wie die vom Sprecher-Ich erhoffte Verbindung in dem Sappho-Gedicht. Jeweils sind sich die Protagonisten der Hindernisse bewusst. Sowohl Odysseus als auch das lyrische Ich bei Sappho bringen prospektiv einen Bräutigam ins Spiel, den sie seligpreisen, ohne dass dabei an eine konkrete Person gedacht wä- re. Das kommt in beiden Texten in der Verwendung des verallgemeinern- den Relativpronomens, »wer auch immer«, zum Ausdruck: ὅς κέ bei Ho- mer, ὄττις bei Sappho.43 Für Nausikaa ist ohne weiteres klar, dass das Schicksal anzunehmen ist. Als Odysseus ihr eine glückliche Zukunft mit Haus und Familie wünscht, antwortet sie so, also ob sie die ›Theologie‹ der Ilias studiert hätte (6,188–190):

43 Vgl. Latacz (1985) 67–94 zur Bedeutung der verallgemeinernden Relativsätze in diesen beiden Texten.

24 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist

Ζεὺς δ' αὐτὸς νέμει ὄλβον ᾿Ολύμπιος ἀνθρώποισιν, ἐσθλοῖσ' ἠδὲ κακοῖσιν, ὅπως ἐθέλῃσιν, ἑκάστῳ· καί που σοὶ τά γ' ἔδωκε, σὲ δὲ χρὴ τετλάμεν ἔμπης. Zeus der Olympier selbst weist den Menschen das Glück zu, den edlen und den schlechten, einem jeden so, wie er will, und dir hat er nun dieses gegeben, du aber musst es zur Gänze ertragen. Nausikaa nimmt eine abgeklärte Haltung ein, versucht das Schicksal nicht zu ändern und hadert nicht. Es liegt sogar eine gewisse Ironie darin, dass ausgerechnet ein junges, unerfahrenes Mädchen den polytropos und poly- metis Odysseus über das Schicksal belehrt.44 Homer zieht eine gewisse Ko- mik aus dem Umstand, dass die Protagonisten jeweils nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben.45 Man könnte die Worte Nausikaas schließlich auch als an sich selbst gesprochen interpretieren. Auch sie hat hinzuneh- men, dass Odysseus nicht dazu bestimmt ist, bei ihr zu bleiben. An dieser Stelle hat Nausikaa wenig Vertrauen in die Gerechtigkeit des Zeus und deutet sein Walten eher als Willkür – vielleicht deshalb, weil sie Mitleid mit Odysseus hat und sein Leid als ungerecht empfindet.46 Ansonsten ist im Gegensatz zur tragischen Ilias die Odyssee eher das Epos der ausglei- chenden Gerechtigkeit, in dem die Guten belohnt und die Bösen bestraft werden.47 Jedenfalls ist Nausikaa entschlossen hinzunehmen, was sich nicht ändern lässt – und das gilt in ihren Augen sowohl für den fremden Schiffbrüchigen als auch für sie selbst. Auch bei Sappho steht am Ende des Fragments eine Selbstermahnung: ἀλλὰ πὰν τόλματον, »doch alles ist zu erdulden«. Was hat Sappho gegenüber Homer geändert? Sie hat die physischen Auswirkungen der Verliebtheit mit medizinischer Präzision geschildert: das Pochen des Herzens, das Versagen der Stimme, die Läh- mung der Zunge, die Hitze unter der Haut, das Schwarzwerden vor den Augen, das Dröhnen in den Ohren, der kalte Schweiß, das Zittern am Körper, das Erbleichen wie trockenes Schilfgras. Nichts davon steht bei Homer – und doch bleibt der Leser auch bei ihm über Nausikaas Gefühle nicht im Unklaren. Sappho hat gewissermaßen die Szene verinnerlicht

44 Vgl. Heubeck/West/Hainsworth (1988) zu 6,187 a. 45 Das gilt für die gesamte Phaiakengeschichte, etwa auch, wenn ein Bettler Odysseus an- greift. Vgl. Fenik (1974) 5–60. 46 Dieselbe defätistische Einstellung findet sich in 1,49 und in 4,237. Anderswo kommt größeres Vertrauen in Zeus’ Gerechtigkeit zum Ausdruck, z.B. in 1,32 und in 17,483. 47 Vgl. Arist. Poet. 24, 1459 b 12–15, wo aus diesen Gründen die Ilias eher als »pathetisch«, die Odyssee als »ethisch« bezeichnet wird. Vgl. auch Kullmann (1985) 1–23.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 25 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier und verdeutlicht. Die Dichterin wird damit zur Interpretin Homers. Sie hat ausgemalt, was der epische Sänger zwischen den Zeilen sagt. Am Ende ist nichts passiert, und der Abschied Nausikaas von Odysseus ist von größter Schlichtheit (8,461 f.):48 χαῖρε, ξεῖν', ἵνα καί ποτ' ἐὼν ἐν πατρίδι γαίῃ μνήσῃ ἐμεῖ', ὅτι μοι πρώτῃ ζωάγρι' ὀφέλλεις. Leb wohl, Fremder, und wenn du dereinst in dein väterliches Land kommst, er- innere dich meiner, dass du mir zuallererst dein Leben verdankst. Kurz vor diesem anrührenden Lebewohl fallen noch einmal beziehungs- reich die Namen von Kirke (8,448) und Kalypso (8,452).49 Nausikaas Bitte, nicht vergessen zu werden,50 erfüllt Odysseus nicht. Als er im 23. Buch Pe- nelope seine Irrfahrten berichtet, findet sie keine Erwähnung mehr. Mit diesem Schicksal erinnert sie an Ovids Heroinen in den Epistulae.51 Auch diese sind vergessene Frauen. Das Sappho-Gedicht hat bekanntlich Catull in c. 51 ins Lateinische übersetzt. Der römische Dichter hat die Subjektivität seiner griechischen Vorlage noch gesteigert. Subjektivität heißt aber in diesem Fall nicht, dass das persönliche Empfinden der Figuren im Vordergrund steht, sondern dass der Dichter vor allem über sich selbst schreibt. C. 51 ist ein selbstrefe- rentielles Gedicht. Bei Homer wird eine Szene geschildert, in der es um lebenspraktische Ratschläge für ein Mädchen im heiratsfähigen Alter geht. Bei Catull wird am Ende des Gedichts der gesamte trojanische Mythos auf das persönliche Befinden der Dichterperson, also auf Catull, der sich in dem Gedicht selbst mit Namen anspricht, bezogen. Die Alten haben stets betont, Homer sei ein Quell von Weisheit und Lebenspraxis. Catull prä- sentiert sich dagegen als ein Quell von Unbeholfenheit und Lebensun- tüchtigkeit. Die Abwendung vom praktischen Leben wird geradezu zu einem Si- gnet des Elegikers. Paradigmatisch kommt die Lebensuntauglichkeit des Liebesdichters im otium Catullianum der letzten Strophe von c. 51 zum

48 Vgl. De Jong (2001) 212 zu 8,457–68: »Nausicaa is very shy and leaves her true feelings unsaid.« 49 Vgl. De Jong (2001) 212 zu 8,457–68: Kirke und Kalypso seien als »helpers (rather than lovers, and hence a potential danger)« gezeichnet. 50 Die Bitte erinnert an Medea oder Hypsipyle in Ovids Heroides, die jeweils – erfolglos – ihre Verdienste um Jason betonen. 51 Auch diese werden zum Großteil von ihren Liebhabern vergessen; Penelope ist die Aus- nahme.

26 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist

Ausdruck. In ähnlicher Intention wird Properz vom nullo vivere consilio (c. 1,1,6) sprechen, dem planlosen In-den-Tag-Hineinleben, und Tibull von der vita iners (c. 1,1,5), dem trägen Leben. Der Grund für die bleierne Trägheit ist die krankhafte Liebe. In c. 51 verschlägt es dem Dichter die Sprache, als er Lesbia bei einem Bankett mit einem anderen Mann sieht. Die Symptome werden in der dritten Strophe beschrieben als Lähmung der Zunge (lingua […] torpet, 9), als Erröten (tenuis sub artus flamma dema- nat, 9–10), als Herzklopfen bis zum Trommelfell (sonitu suopte tintinant aures, 10–11) und als Schwärze vor den Augen (gemina teguntur lumina nocte, 11–12). Hier werden eindrücklich die physischen Folgen der Ver- liebtheit gezeichnet – und zwar nicht der Figur, sondern der Dichterper- son selbst. Von Lähmung der Zunge kann jedoch keine Rede sein; viel- mehr zeigt das Gedicht höchste Kunst. Es beweist das Gegenteil dessen, was es besagt. Ovid (trist. 5,12,57) klagt einmal über sein Exil im Barbaren- land mit den Worten ipse mihi videor iam dedidicisse Latine, »ich scheine [unter all den Barbaren] mein Latein verlernt zu haben«, und widerlegt das Gesagte durch die Eleganz des Hexameters im selben Augenblick. Briseis schreibt in Ovids Heroides (3,1–2) an Achill und eröffnet den Brief mit den Worten, als Barbarin sei sie des Griechischen kaum mächtig, wo- bei sie sich wiederum ausgefeilter lateinischer Hexameter bedient. Ovid spielt also auf absurde Weise mit der irrealen Briefsituation. In all diesen Fällen haben wir es mit Koketterie zu tun, die den Blick erst auf die Kunstfertigkeit lenkt. Indem der Dichter bzw. Briefschreiber seine Läh- mung und Unfähigkeit behauptet, erscheint er gewissermaßen als unzu- verlässiger Erzähler und fordert den Leser heraus, ihm auf die Spur zu kommen.52 Das dichterische Ich mag sich als gelähmt bezeichnen; der Dichter ist es natürlich nicht. In der vierten und letzten Strophe – diese hat Catull ohne Sapphos Vorlage de suo gedichtet53 – spricht sich Catull selbst im Vokativ an, führt sozusagen ein Selbstgespräch und ruft sich zur Ordnung (13–16): otium, Catulle, tibi molestumst: otio exsultas nimiumque gestis: otium et reges prius et beatas perdidit urbes.

52 Vgl. Baier (2020) 53–55. 53 Zur Deutung des Gedichtschlusses vgl. Lefèvre (1988) 329.

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Das otium betrübt dich zu Tode, Catull, im otium bist du himmelhochjauchzend und greifst nach den Sternen: otium hat schon früher Könige und glückliche Städte54 zugrunde gerichtet. Die letzte Strophe ist eine Art Selbstkommentierung, die in ihrer Funkti- on dem Metatheater im Drama entspricht.55 Der Dichter gibt den Zuhö- rern Einblick in seine Befindlichkeit, die er mit otium umschreibt. Was ist mit otium gemeint, das am Versanfang dreimal prominent in Form eines Polyptotons auftaucht? Es ist des elegischen Ichs derzeitiger krankhaft ver- liebter Zustand. Nausikaas Selbstgespräch wurde über den Umweg des Sappho-Gedichts zu einer Selbstbetrachtung des elegischen Dichters.

Kirke

Der Fall Kirkes ist ganz anders. Bei Homer hat sie kaum menschliche Zü- ge. Das macht sie weniger interessant für spätere Nachahmung. In der Odyssee wird berichtet, wie Kirke einige Gefährten des Odysseus, die sich auf einem Erkundungsgang ihrer Behausung genähert hatten, in Schwei- ne verwandelt. Nur einer, Eurylochos, war dem Anschlag entgangen und konnte Odysseus informieren. Deshalb machte dieser sich ebenfalls ins Landesinnere auf. Unterwegs begegnet er Hermes, der ihn instruiert, wie mit Kirke umzugehen sei, und ihn mit einem Zaubermittel namens Moly ausstattet. Damit sind wir in eine Märchenwelt eingetaucht, in der mit übernatürlichen Mitteln hantiert wird. Odysseus kann im Grunde nichts mehr passieren, denn er ist mit einem Wunderkraut gewappnet. Es geht nicht mehr um Heldentum, sondern um Magie. Die Kirke-Geschichte unterscheidet sich aber noch in anderer Hinsicht von dem Aufenthalt bei Nausikaa: Sie ist Teil der Apologe, wird also von Odysseus im Rückblick am Phaiakenhof erzählt. Er hat als Erzähler in ei- gener Sache ein gewisses Interesse daran, sich selbst ins rechte Licht zu set- zen.56 Odysseus nimmt dabei einen allwissenden, gleichsam ›olympischen‹ Blickpunkt (›point of view‹) ein – er überschaut Anfang und Ende des Ge-

54 Das bezieht sich auf den Untergang Trojas. Vgl. Segal (1989) 820 zu Parallelen bei Euri- pides. 55 Zur Diptychon-Struktur des Gedichts vgl. Baier (2013) 32–40. 56 Vgl. zum Folgenden Baier (1999) 441–443.

28 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist schehens.57 Sein Erzählverhalten – also die Frage, ob er auktorial, neutral oder personal erzählt,58 – ist über weite Passagen auktorial, d.h. er enthält dem Hörer keine Information vor, sondern setzt ihn über Zusammenhän- ge in Kenntnis, die sich den Handelnden erst im späteren Verlauf der Er- eignisse erschließen. So erfährt der Hörer sofort, als der Spähtrupp unter Eurylochos zur Erkundung der Insel Aia aufbricht, den Namen Kirkes, und auch das rätselhafte Verhalten der wilden Tiere, die sich den An- kömmlingen freundlich schwanzwedelnd nähern, wird erläutert (10,213): »diese hatte Kirke selbst verzaubert, nachdem sie ihnen böse Kräuter gege- ben hatte.« Was den Erlebenden zur Verwunderung gereichte, wird dem Hörer sofort entschlüsselt. Ebenso verhält es sich mit der Verwandlung der Gefährten, die innerhalb des Hauses der Kirke ohne Zeugen vor sich geht (10,234–243). Eurylochos, so wird eigens erwähnt, war nicht in das Haus gefolgt, da er einen Hinterhalt befürchtete (10,232). Trotzdem refe- riert Odysseus am Phaiakenhof die Verzauberung, die weder er noch Eury- lochos beobachtet haben; er kann sie nur im Nachhinein von den zurück- verwandelten Opfern selbst oder von Kirke erfahren haben. Soweit gibt Odysseus als auktorialer Erzähler die Ereignisse klar und durchsichtig wie- der. Er schaltet sich, soweit nötig, erläuternd und kommentierend ein.59 Nun wechselt er aber – was für die οἰκονομία seiner Erzählung völlig über- flüssig ist – an einigen Stellen zu einem neutralen Erzählverhalten, d.h. er nimmt sich als Erzähler völlig heraus. Dies geschieht immer dann, wenn er wörtliche Rede wiedergibt.60 So lässt er Eurylochos, der als einziger der Tücke Kirkes entronnen war, in direkter Rede von seiner Expedition Be- richt erstatten (10,251–260). Dieser ist noch ganz verstört von dem Ge-

57 Zum Problem, dass Odysseus auch nicht selbst Erlebtes berichtet, vgl. Guthmüller (1964) 305; Merkelbach (1969) 203 f.; Page (1972) 56. 58 Die Begriffe auktoriales, neutrales und personales Erzählverhalten sind im Sinne von Petersen (1977) 167–195, bes. 186–192 gebraucht. Der auktoriale Erzähler »nimmt Stel- lung kommentiert, bringt sich als Vermittler ins Spiel« (189). Der neutrale Erzähler ent- hält sich jeder subjektiven Stellungnahme, z.B. indem er die Personen in einem Dialog sprechen lässt, ohne sich einzumischen. Das personale Erzählverhalten setzt Erzähler und Figur voraus, »und zwar in dem Sinne, daß der Erzähler spricht, aber indem er die Optik der Figur wählt« (191). 59 So etwa ganz deutlich in 10,232, wo die Motive des Eurylochos für sein Zurückbleiben genannt werden: Εὐρύλοχος δ᾽ ὑπέμεινεν, ὀισάμενος δόλον εἶναι. 60 Die Wiedergabe direkter Rede und das Zurücknehmen der Erzählerperson lobt Aristo- teles Poet. 24,1460 a 5ff. an Homer ausdrücklich. Ganz anders beurteilt Platon die Einla- gen in direkter Rede, in denen sich der Dichter hinter einer Figur verstecke und da- durch verschleiere, dass in Wahrheit er selbst der Sprecher sei (Rep. 3, 393 b 7–393 c 4). Vgl. auch Genette (1972) 186–189.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 29 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier schehenen und vermag nur einzelne unzusammenhängende Eindrücke zu geben. Namen und Hintergründe, die der Hörer bereits kennt, sind ihm verborgen. Von der Verzauberung der Gefährten weiß er nichts, wenn er naiv berichtet (10,259–260): »diese aber verschwanden allesamt, und kei- ner von ihnen tauchte wieder auf. Lange saß ich da und hielt Ausschau«. Eurylochos kann sich auf das Geschehene keinen Reim machen, er ist des- halb kleinmütig, verzagt und verwirrt. Odysseus reagiert indes genau ent- gegengesetzt. Entschlossen nimmt er die Sache selbst in die Hand. Auch seine Antwort auf Eurylochos’ Bericht wird in direkter Rede wiedergege- ben (10,273): »also gehe ich selbst; harte Notwendigkeit erfüllt mich«. Vor dem Hintergrund von Eurylochos’ Schwächlichkeit erscheinen seine Tat- kraft und sein Verantwortungsgefühl für die Gefährten umso vorbildli- cher. Dort also, wo der Erzähler Odysseus durch die Verwendung der di- rekten Rede scheinbar objektiv, neutral berichtet, ist seine Erzählung am subjektivsten und parteiischsten. Tatsächlich reagieren der zurückblicken- de Odysseus und der in der Handlung befindliche Eurylochos in dieser Er- zählung vor dem Hintergrund eines völlig unterschiedlichen Vorwissens, das die Souveränität des einen und die erbärmlich wirkende Weigerung des anderen relativiert. Dadurch nun, dass die Zuhörer am Phaiakenhof aufgrund der auktorialen Erzählweise des Odysseus den gleichen Wissens- stand haben wie dieser, also besser informiert sind als Eurylochos, sehen sie die Vorgänge aus Odysseus’ Perspektive und damit auch in dessen In- terpretation. Odysseus zieht durch sein Erzählverhalten die Hörer auf sei- ne Seite und lässt den armen Eurylochos kläglich aussehen. Odysseus als Ich-Erzähler nutzt also die Apologe, um auf Kosten ande- rer anzugeben.61 Die Diskrepanz zwischen dem allwissenden Erzähler und

61 Vgl. Delasanta (1967) 54–55: Odysseus mache sich bei den Phaiaken beliebt, indem er deren Gastfreundlichkeit durch das Herausstellen gegenteiliger Erfahrungen indirekt lobe. Auch lasse Kirke als Gegenbild zu Nausikaa die Phaiakenprinzessin in besonders günstigem Licht erscheinen. Nach De Jong (1987) 192–193 ist diese Besonderheit der Apologe bereits strukturell in der Erzählung einer Figur angelegt: »[...] the presentation by characters in character-text is conditioned by the identity of speaker and adressee and by the situation, i.e. the effect the speaker wants his words to have on the adressee.« Ganz anders verhalte es sich mit dem epischen Erzähler [NF1]: »[...] on ac- count of or rather through his association with the Muses, [he] claims to be a reliable presentator.« Vgl. ebd., 178: »In other words, with the number of embeddings the dis- tance from the ›reality‹ of the primary fabula increases and therewith the reliability de- creases. Thus, the difference between NF1 and characters functioning as NF2 is not only one of emotional involvement [...], but also of reliability as presentators of narrative in- formation.«

30 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist dem begrenzten Wissen der Handelnden pointiert seine Selbstdarstellung und dient der Sympathielenkung.62 Selbst wenn also äußerlich kaum ein Unterschied zwischen den Apologen und den in Er-Form erzählten Parti- en des Epos besteht, so ist doch inhaltlich ein doppelter Boden in der Ich- Erzählung vorhanden. Odysseus ist nicht nur ein unterhaltsamer Rhapso- de, sondern er ist zugleich ein geschickter Anwalt in eigener Sache.63 Kir- ke wird als Charakter kaum lebendig, sie liefert eigentlich nur den Sagen- hintergrund für die Selbstdarstellung des eigentlichen Helden Odysseus. Ovid hat diesen Umstand in den Metamorphosen auf seine Weise inter- pretiert. Er schildert nicht nur die Verwandlung der Gefährten, sondern auch ihre Rückverwandlung wie in einem rückwärts laufenden Film, und zwar aus der Sicht eines Betroffenen. Er hat also das Mirakulöse der Ge- schichte ausgeschlachtet und vor allem subjektiviert. Doch scheint er auch die oben diagnostizierte Selbstdarstellung des Odysseus durchschaut und in Frage gestellt zu haben. Wie Ovid sein Vorbild destruiert, sei an einem Beispiel vorgeführt. Der römische Dichter hält sich an den homerischen Handlungsablauf; doch rafft er, wo Homer breit ist, und wählt eine Per- spektive, die der homerischen diametral entgegengesetzt ist: Er lässt nicht den Helden der Geschichte, sondern eines ihrer Opfer erzählen (14,271– 276): haec ubi nos vidit, dicta acceptaque salute diffudit vultus et reddidit omina votis. nec mora, misceri tosti iubet hordea grani mellaque vimque meri cum lacte coagula passo, quique sub hac lateant furtim dulcedine, sucos adicit. accipimus sacra data pocula dextra. Sobald sie uns gesehen hatte, tauschte man Grüße aus, sie heiterte ihre Miene auf und erwiderte unsere Segenswünsche verheißungsvoll. Ohne Aufschub be- fiehlt sie Körner von gerösteter Gerste, Honig und kräftigen Wein zu mischen

62 Durch die Umwandlung der Apologe in Er-Erzählungen würde ihr spezifischer Gehalt verlorengehen, vgl. Reinhardt (1948) 68: »Es gibt Abenteuer, von denen die Ich-Form in Gedanken abzustreifen, nicht viel Mühe kostet. Anderen ist sie so verwachsen, daß man, um die Ich-Form abzuziehen, das ganze Abenteuer schinden müßte. Das besagt: der Wandel aus der dritten Person in die erste greift bei den verschiedenen Abenteuern in verschiedene Tiefen. Er bedeutet, wenn nicht überall, so doch bei einem Teil zu- gleich auch eine Umformung in Geist und Stil.« 63 Vgl. Olson (1995) 44: Die Apologe zeigten keine Charakterentwicklung des Odysseus, sondern dienten der Selbstdarstellung; ähnlich Todorov (1972) 74: »Es gibt zwei Odys- seus(e) in der Odyssee: der eine hat die Abenteuer, der andere erzählt sie. Es ist schwer zu sagen, wer von beiden die Hauptperson ist.«

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 31 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier

mit Quark aus gepresster Milch. Dazu gibt sie heimlich Säfte, die unter der Süße nicht zu schmecken sind. Wir empfangen aus ihrer heiligen Hand den gereich- ten Becher. Es handelt sich um eine Begrüßungsszene. Wir kennen solche typischen Szenen bei Homer, doch bei Ovid ist das Typische auf einen Ablativus ab- solutus zusammengeschmolzen: dicta acceptaque salute (271). Was bei Ho- mer ausführlich ist, wird kondensiert. Die Eile mit der Ovid vorgeht, ent- spricht Kirkes Verhalten: Sie kommt gleich zur Sache: nec mora (273), und mischt ihren Trunk. Die Ingredienzen ähneln denen Homers (10,234– 236), sind aber detaillierter beschrieben. Bei Ovid fallen die m- und l-Alli- terationen auf, die den süffigen Charakter des Gebräus unterstreichen.64 Lateant furtim (275) ist eine Doppelung, wie sie der vokabelreiche Homer liebt. Adicit (276) bildet wörtlich das homerische ἀνέμισγε (»hinzumi- schen«, 10,235) nach. Coagula (274) ist ein auf lacte passo bezogener grie- chischer Akkusativ, ahmt also eine griechische Konstruktion nach. Die Rechte Kirkes wird als sacra bezeichnet, weil sie eine Halbgöttin ist, vor allem aber, weil das Gastrecht, das man mit der Rechten besiegelt, heilig ist. Das Hyperbaton sacra data pocula dextra (276) bringt also in einem Halbvers den ganzen Frevel zum Ausdruck – und entschuldigt zugleich die Naivität der Gäste. Zudem liegt in 276 eine Bukolische Dihärese vor, die den epischen Vers stört, aber zugleich den rustikalen Kontext der länd- lichen Zutaten wieder aufgreift (277–286): quae simul arenti sitientes hausimus ore, et tetigit summos virga dea dira capillos, (et pudet et referam) saetis horrescere coepi, nec iam posse loqui, pro verbis edere raucum murmur et in terram toto procumbere vultu, osque meum sensi pando occallescere rostro, colla tumere toris, et qua modo pocula parte sumpta mihi fuerant, illa vestigia feci cumque eadem passis (tantum medicamina possunt!) claudor hara […]. Sobald wir diese Becher durstig mit trockenem Mund getrunken hatten und die furchtbare Göttin uns mit dem Zauberstab leicht an den Haaren streifte, – auch wenn es mich beschämt, will ich es trotzdem berichten – begann ich vor Bors- ten zu starren, verlor das Sprechen und stieß statt Worten ein raues Grunzen aus

64 In Vers 274 ist zwischen lacte und coagula die Hermannsche Brücke verletzt. Vielleicht ist es Zufall, vielleicht wollte Ovid aber auch das Heimtückische der Mischung durch einen zumindest dem Griechischen fremden Rhythmus unterstreichen.

32 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist

und war mit dem Gesicht ganz nach unten zur Erde gebeugt. Ich fühlte, wie mein Mund in Form eines gebogenen Rüssels schwielig wurde und der Nacken mit Muskeln anschwoll. Und mit demjenigen Körperteil, mit dem eben noch der Becher von mir festgehalten wurde, hinterließ ich Fußspuren. Und so wurde ich mit den Leidensgenossen in einem Schweinekoben eingesperrt: Soviel ver- mögen Zauberkräuter! Die Verse 277–286 schildern die Verwandlung aus Sicht eines Opfers. Während zunächst noch Verben im Aktiv vorkommen (coepi, 279; feci, 284), lautet das letzte Prädikat des Abschnitts claudor (286) im Passiv. Der Sprecher ist vom selbstbestimmten Menschen zum fremdbestimmten Tier geworden. In 280 steht loqui, die menschliche Äußerung, neben raucum edere murmur, dem Ausstoßen eines tierischen Lautes, 282 lässt durch die O-Laute das Herausbilden eines Schweinerüssels bildlich werden, in 283– 4 fällt dem Sprecher Macareus das Wort für Hufe nicht ein bzw. es ist ihm gar nicht klar, was aus seinen Händen, »dem Körperteil, mit dem er gera- de noch den Becher hielt«, geworden ist. Der Abschnitt enthält zwei Par- enthesen: et pudet et referam (279) und tantum medicamina possunt (285). Sie sind aus dem Rückblick gesprochen, nachdem Macareus über die Zu- sammenhänge Bescheid wusste. Zugleich erinnern sie an zwei Parenthe- sen in der Aeneis: Bevor Aeneas seine Apologe am Hofe Didos beginnt, sagt er (2,12): quamquam animus meminisse horret luctuque refugit, incipiam (»obwohl sich mein Inneres gegen die Erinnerung sträubt und in Trauer zurückzieht, will ich beginnen«). Das entspricht inhaltlich dem et pudet et referam. Über das Wirken Iunos in der Aeneis empört sich der Dichter im erweiterten Proömium: tantaene animis caelestibus irae? (»solchen Groll he- gen die Götter im Gemüte?«). Daran erinnert die zweite Parenthese des Macareus, in der er sich über die Macht von Kräutern wundert. Dieser als schlicht gezeichnete Charakter imitiert also die Aeneis. Seine Leidensge- schichte ist sozusagen seine kleine Aeneis. Dass dies so ist, wird im nächs- ten Abschnitt bestätigt (286–290), wo er die Rettungstat des Eurylochos besingt. In 288 legt er dar, dass er ohne Eurylochos ein Stück Vieh geblie- ben wäre: pecoris pars una manerem. Aeneas sagt mit den fast gleichen Wor- ten über den Untergang Trojas: et quorum pars magna fui (2,6). Ein ganz offensichtliches Aeneis-Zitat ist schließlich der ultor in 290, als der Odys- seus gerühmt wird. Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor sind Didos be- rühmte Fluchworte, mit denen sie einen künftigen Rächer beschwört (4,625). Auch dass Macareus sein Schicksal (289) als clades bezeichnet, zeigt, dass er in epischen Kategorien denkt – oder vielmehr Ovid die Hel-

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 33 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier dentaten des Aeneas in einer Zaubergeschichte spiegelt, die Vergil in sei- nem Epos ausgelassen hatte. Die Rettung kommt im nächsten Absatz (291–298): Im griechischen Original ist die Handlung folgende: Als Kirke versucht, auch Odysseus zu verzaubern, zückt dieser das Schwert und dringt auf sie ein. Kirke gibt sich sofort geschlagen (10,330–335): »Wahrhaftig, du bist Odysseus, der vielgewandte, von dem mir immer der Träger des goldenen Stabes, der Ar- gostöter, gesagt hat, dass er kommen werde, heraufziehend von Troia mit dem schnellen, schwarzen Schiff. Doch auf, steck das Schwert in die Schei- de, wir aber wollen dann auf unser Lager steigen, damit wir, in Lager und Liebe vereinigt, zueinander Vertrauen fassen.« Diese an sich schon delika- te Szene hat Ovid in verschärfender Weise verkürzt (14,296–298): stricto pavidam deterruit ense. inde fides dextraeque datae thalamoque receptus coniugii dotem sociorum corpora poscit. Mit gezücktem Schwert schüchterte er die Verängstige ein. Man gibt sich dar- aufhin die rechte Hand und das Wort, und, ins Ehebett aufgenommen, fordert er als Mitgift die Körper (Rückverwandlung) der Gefährten. Es fällt zunächst die äußerst knappe Zusammenfassung auf, die durch die Verwendung von Partizipien auch sprachlich auf Reduktion aus ist. Aber worauf kommt es Ovid an? Stricto ense umschließt in einem Hyperbaton eindrucksvoll pavidam deterruit (»er versetzte die Eingeschüchterte noch mehr in Angst und Schrecken«). Diese Formulierung wiederum bringt ein merkwürdiges Missverhältnis zwischen Prädikat und Objekt zu Ausdruck, sofern man nicht eine Prolepse unterstellt. Insgesamt erscheint die gewalt- tätige Geste des im Schutz des Merkur stehenden tutus Ulixes völlig über- zogen, nachgerade lächerlich. Ovid wäre nicht der tenerorum lusor amo- rum, wenn er nicht dafür sorgte, dass die Iuxtaposition von stricto ense und thalamo receptus nicht noch ganz andere Konnotationen hervorriefe.65 Ovid hat aus einer an sich schon erotischen Szene eine anzügliche ge- macht und dadurch den Helden entheroisiert.66 Während sich im griechi- schen Epos nur Odysseus mit Kirke zurückzieht, vergnügen sich bei Ovid

65 Thalamus gilt als Sinnbild der Ehe. In der Odyssee hat das Bett eben diese Symbolfunkti- on (vgl. Grethlein 2017, 184 f.). Ovid stellt es in den Kontext des Ehebruchs. 66 Homer hatte dagegen den Gegensatz zwischen legitimer ehelicher und illegitimer Se- xualität betont, vgl. Zeitlin (1996) 41.

34 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Odysseische Heldinnen und was aus ihnen geworden ist die übrigen Gefährten mit den Mägden der Kirke (308–311). Die Erotik wurde sozusagen auch noch demokratisiert.67 Die Rückverwandlung der Gefährten ergibt sich bei Homer aus dem Kontext. Ovid hat sie explizit geschildert (299–305): spargimur ignotae sucis melioribus herbae percutimurque caput conversae verbere virgae, verbaque dicuntur dictis contraria verbis. quo magis illa canit, magis hoc tellure levati erigimur, saetaeque cadunt, bifidosque relinquit rima pedes, redeunt umeri et subiecta lacertis bracchia sunt. Wir werden mit besseren Säften aus unbekanntem Kraut besprengt und am Kopf mit dem umgedrehten Zauberstab geschlagen, es erklingen Worte, den zu- vor gesprochenen entgegengesetzt. Je länger sie singt, desto mehr erheben wir uns vom Erdboden und richten uns auf, die Borsten fallen ab, die geteilten Hufe verlieren ihren Spalt, die Schultern kommen zurück, die Oberarme bekommen wieder Unterarme. Die Darstellung erinnert an einen rückwärts laufenden Film. An den pas- siven Verben (spargimur, 299; dicuntur, 301; erigimur, 303) sieht man, dass die Gefährten wieder passive Opfer sind, und zugleich wird die Macht des Zaubers deutlich, der sie von unsichtbarer Hand wie Marionetten wieder nach oben zieht. Am Schluss erfreuen sie sich wieder menschlicher Re- gungen. Man sieht, Ovid hat Homer benutzt und umgestaltet: Odysseus ist in den Metamorphosen weniger heldisch als im Original, die Opfer und ihre Leidensgeschichte werden dagegen herausgestellt. Wie immer bei Ovid behalten die Verwandelten ihr Bewusstsein. Bei Homer ist dagegen aus- drücklich dargelegt, dass der Zaubertrank Kirkes vollständiges Vergessen bewirke (10,233). Schließlich hat Ovid – ebenfalls wie immer – erotisiert, und er hat das Heldenethos der Vorlage in Frage gestellt.

Zusammenfassung

Bei Homer sind die Frauen, die wir näher kennenlernen, Sonderfälle, Ein- zelgängerinnen, irgendwie herausgehoben. Die römischen Dichter haben

67 Aus Od. 10,467 geht hervor, dass Odysseus ein Jahr bei Kirke geblieben ist, Ovid berich- tet entsprechend von einer annua mora (308).

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 35 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Thomas Baier sie in soziale Kontexte eingebunden. Vergil hat aus der souveränen Kalyp- so die rasende Dido gemacht. Während die homerische Nymphe den Vor- teil hatte, die Götterwelt und deren Gesetze zu kennen, also genau ab- schätzen konnte, welche Möglichkeiten ihr angesichts des Zeus-Befehls blieben, hält die Epikureerin Dido das göttliche Eingreifen Merkurs für eine Ausrede des Aeneas. Dieses Informationsdefizit gegenüber ihrer grie- chischen Vorgängerin wird ihr zum Verhängnis. Catull wiederum hat die sehr selbständige und selbstbewusste Nausikaa über den Umweg Sapphos in seine Lesbia-Gedichte einfließen lassen. Doch ging es ihm nicht um die Gefühlsregungen eines Mädchens, sondern vor allem um die Selbstdarstel- lung des liebenden Dichters. Er hat die griechische Vorlage für ein Mani- fest römischer elegischer Dichtung genutzt. Ovid schließlich hat sich be- müht, aus den mythologischen Heldinnen und Helden möglichst norma- le Frauen, »kleine Leute«, zu machen. Er hat den heroischen Stoff verbür- gerlicht.

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Augusteische Arachnophobie. Verschiedene Lesarten der Bildteppiche in Ovids Metamorphosen 6,70–128

I. Zielsetzung

Zunächst einmal danke ich herzlich für die Einladung an diesen schönen Ort und zu dieser Veranstaltung, bei der zu sprechen ich zum zweiten Mal die Ehre habe. Thema der Tagung ist »Frau und Frauenbild in der Anti- ke«, mein Thema Ovids Metamorphosen, zumal 2020 Ovid das Interpretati- onsthema für das Landesabitur Baden-Württemberg sein wird. Ich will Ih- nen am Beispiel der Arachne-Erzählung modellhaft eine Art hermeneuti- scher Spirale vorstellen, die in Schritt für Schritt erfolgenden Tiefenboh- rungen weitere und tiefere Bedeutungsebenen des Textes zum Vorschein bringen wird.

II. Der Gesamtkontext und die Struktur der Arachne-Episode Ov. Met. 6,1–145

Bei Ovids Arachnefigur handelt es sich um eine junge Frau, die, als Toch- ter eines gewissen Idmon von Kolophon, in ganz Lydien wegen ihrer Kunstfertigkeit am Webstuhl bekannt ist. Sie rühmt sich, in ihrer Kunst sogar mit Athene, der Göttin des Handwerks, konkurrieren zu können. Die Göttin besucht das Mädchen in Gestalt einer alten Frau und warnt sie vor den Gefahren einer solchen Anmaßung. Als Arachne diesen Rat ver- schmäht, zeigt sich die Göttin in ihrer wahren Gestalt, und ein Wettstreit beginnt. Die Göttin webt auf ihrem Teppich verschiedene Legenden, in denen Menschen von den Göttern wegen ihrer Anmaßung bestraft wer- den. Arachne bildet als Gegenstück Sexskandale männlicher Gottheiten aus dem Olymp nach. Athene ärgert sich zunächst nur über die Prahlerei des Mädchens. Als sie aber merkt, daß Arachnes Geschick tatsächlich ihrem eigenen nicht nachsteht, gerät sie in Wut, zerreißt das Webstück des Mädchens und schlägt es mit dem Weberschiffchen. Arachne kann diese Schmach nicht verwinden und will sich erhängen. Das aber läßt die Göttin nicht zu, sondern verwandelt die Rivalin in eine Spinne, der die Begabung des Webens unvermindert erhalten bleibt (Ovid, Metamorpho- sen 6,1–145).

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Ovids Erzählung besteht deutlich erkennbar aus vier Teilen: Der erste Teil berichtet von Arachnes einfacher Herkunft und ihrer außerordentli- chen Kunstfertigkeit (V. 5 bis 25). Der zweite Teil enthält die Warnung der hochmütigen Künstlerin durch die in eine Greisin verwandelte Athe- ne (V. 26 bis 52). Der dritte Teil beschreibt den Webewettstreit beider und enthält zwei ausführliche Ekphraseis der Bildteppiche (V. 53 bis 128). Der vierte Teil liefert das Ende der Erzählung mit Athenes Zorn, den Versuch des Selbstmords Arachnes und ihre Verwandlung (V. 129 bis 145).

III. Nötige Vorerläuterungen zum Bildteppich der Minerva

Vor einer Übersetzung des Teppichs der Athene sind kurze Vorbemerkun- gen zum Verständnis notwendig: Athenes Teppich thematisiert den Sieg der Göttin über Poseidon. Beide Gottheiten hatten Anspruch auf die Schutzherrschaft über die Region Attika erhoben. Nach einem Schieds- spruch des Zeus sollte derjenige die Schutzherrschaft ausüben, der den Be- wohnern Attikas das nutzbringendere Geschenk machte. Poseidon, der Bruder des Zeus, rammte siegesgewiss seinen Dreizack in einen Felsen der Akropolis und ließ daraus eine Wasserquelle entspringen. Die Quelle aber spendete nicht etwa Süß-, sondern Salzwasser, also nichts, was die Men- schen der Region Attikas unmittelbar gebrauchen konnten. Athene dage- gen ließ der Akropolis einen Olivenbaum entsprießen. Es gibt nun zwei Überlieferungen: Nach der einen habe der sagenhafte König Kekrops sich für den Olivenbaum und somit für Athene als Schutzherrin Attikas ent- schieden, nach einer anderen Überlieferung sollte ein Schiedsgericht von zwölf Göttern darüber bestimmen, wem der Sieg zuzusprechen sei. Nach- dem dieses erlauchte Gremium zu keiner mehrheitlichen Entscheidung gekommen war, lag sie nun bei der allerhöchsten Autorität, dem Götter- vater Zeus: Und der gab seiner Tochter Athene den Vorzug.

IV. Der Bildteppich der Minerva (Ov. Met. 6,70–102)

Pallas bildet den Felsen des Mars ab auf der Höhe des Kekrops und den alten Streit um den Namen des Landes. Zwei mal sechs himmlische Götter thronen in erhabener Würde auf hohen Sitzen und Jupiter in der Mitte. Jeden der Götter kann man an der ihm eigenen Gestalt erkennen. Jupiters Erscheinung ist könig- lich. Den Meergott stellt sie dar, wie er stehend den langen Dreizack auf die rau- en Felsen stößt und wie mitten aus der Wunde im Stein ein Gewässer ent-

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springt, ein Unterpfand, um die Stadt für sich zu beanspruchen. Sich selbst gibt sie einen Schild sowie eine Lanze mit scharfer Spitze und setzt sich einen Helm aufs Haupt; ihre Brust schirmt die Ägide; und sie schildert, wie die Erde, von ihrer Lanze erschüttert, den Spross der graugrünen Olive mit seinen Beeren vor- bringt und wie die Götter staunen. Die Siegesgöttin bildet den Abschluss des Werkes. Damit aber die Rivalin ihres Ruhms an Beispielen erkenne, welchen Lohn sie für solch ein wahnwitziges Wagnis zu gewärtigen habe, setzt sie noch in die vier Ecken vier Wettkämpfe, die sich durch ihre besondere Farbe und die Kleinheit der Figuren auszeichnen. In einer Ecke sieht man die tragische Rho- dope und Haemus, jetzt eiskalte Gebirge, einst Menschen, die sich die Namen der obersten Götter zulegten. Auf der anderen Seite steht das unglückselige Schicksal der pygmäischen Mutter: Juno besiegte sie im Streit, machte sie zum Kranich und ließ sie ihren Landsleuten den Krieg erklären. Minerva bildete auch Antigone ab, die es einst gewagt hatte, mit der Gemahlin des großen Jupi- ter zu wetteifern. Die hoheitsvolle Juno verwandelte sie in einen Vogel, und ihr Trojanertum und ihr Vater Laomedon nützten ihr nichts; sie musste doch ein Federkleid anlegen und als schneeweiße Störchin mit klapperndem Schnabel sich selbst Beifall spenden. Die einzige Ecke, die noch übrig ist, zeigt Cinyras, der seine Kinder verloren hat; er umarmt Tempelstufen – die Glieder seine Töchter! – liegt auf dem Stein und scheint zu weinen. Die Göttin umsäumt den äußersten Rand mit friedenbringenden Ölzweigen. Damit lässt sie es genug sein, und mit ihrem eigenen Baum schließt sie ihr Werk ab.1 Alle Elemente des Wettstreits zwischen Athene und Poseidon werden in Ovids Deskription des Bildteppichs angerissen: Verweis auf König Ke- krops Cecropia arx (70), Streit um die Namensgebung Attikas antiquam de terrae nomine litem (71), der Zwölfgötterrat bis sex caelestes (72), die heraus- ragende Stellung des Zeus regalis imago (74), die Erschließung der Salzwas- serquelle durch Poseidons Dreizack longoque ferire tridente/ aspera saxa (75 f.) und Athenes Hervorbringung des Olivenbaums durch ihren Speer de cuspide terram/ edere...fetum canentis olivae (80 f.). Umgeben ist dies zentrale Bildmotiv – der triumphale Sieg der Athene – von vier Beispielen bestrafter menschlicher Hybris, und zwar als explizi- te Warnung an die Konkurrentin Arachne, von ihrem wahnsinnigen An- sinnen des Wettstreits mit einer Göttin abzulassen (ut tamen exemplis intel- legat aemula laudis/ quod pretium speret pro tam furialibus ausis, 83 f.). Das Hauptbild zeigte ja den Triumph der Athene über einen Ebenbürtigen – Subtext: Wie sollte da ein Menschlein es wagen, sie herauszufordern. Die für ihre Hybris bestraften sind zunächst die Sterblichen Rhodope und Haemus, die es gewagt hatten, sich als Jupiter und Juno zu bezeich-

1 V. 70–102, Übersetzung aus der Feder von von Albrecht (1994).

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 39 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Michael Lobe nen. Für diese Titelanmaßung oder Hochstapelei wurden sie in Eisberge verwandelt. Gerana, Königin der zwergwüchsigen Pygmäen, ließ sich selbst als Göttin verehren und wurde zur Strafe von Juno in einen Kranich verwandelt und gezwungen, ihrem eigenen Volk den Krieg zu erklären. Die trojanische Prinzessin Antigone (die nichts mit der Tochter des Ödi- pus zu tun hat), war stolz auf ihr langes Haar und verglich sich mit Juno, worauf sie in eine Störchin verwandelt wurde. Dem Kinyras dichtet der Mythos bis zu fünfzig Töchter an, die sich hübscher als Juno deuchten und deswegen in einer Version zu Eisvögeln, in Ovids Version zu Stufen eines Heratempels verwandelt wurden. Die in den vier Bildecken des Tep- pichs eingewebten Bestrafungen durch Verwandlungen in Vögel oder Felsblöcke gehen allesamt auf das Konto Junos, der Gemahlin des höchs- ten Gottes. Halten wir das zunächst einmal fest.

V. Arachnes Gewebe (Ov. Met. 6,103–128)

Die Maeonerin2 schildert Europa, wie sie vom Trugbild des Stieres getäuscht wurde. Man könnte den Stier, man könnte das Meer für wirklich halten! Man sah Europa zum Land, das sie verlassen hatte, zurückblicken, nach ihren Gefähr- tinnen rufen, die Berührung der Herr an hüpfenden Wellen fürchten und ängst- lich die Fußsohlen zurückziehen. Arachne ließ auch Asterie vom Adler, der mit ihr rang, festgehalten werden und Leda unter Schwanenfittichen ruhen. Sie füg- te hinzu, wie Jupiter, in der Gestalt eines Satyrs verborgen, eine Tochter des Nycteus mit Zwillingen schwängerte, wie er Amphitryon war, als er dich, Tiryn- therin, nahm, wie er danach als goldener Regen, die Asopustochter täuschte, Mnemosyne als Hirte, die Tochter der Deo als schillernde Schlange. Dich auch, Neptun, legte sie, in einen finster blickenden Stier verwandelt, auf die Tochter des Aeolus. Du erscheinst als Enipeus und erzeugt so die Aloiden, als Widder verführst du die Tochter des Bisaltes. Die blonde, gnadenreiche Mutter des Ge- treides bekam dich als Hengst zu spüren, als Vogel erlebte dich die schlangen- haarige Mutter des Flügelpferdes, als Delphin Melantho. Diesen allen gab die Künstlerin ihre besondere Erscheinung und die passende Landschaft. Da sieht man für Phoebus, wie er den Landmann spielte und wie er bald das Gefieder des Habichts, bald das Fell eines Löwen trug, bald als Hirte die Macareus Toch- ter Issa überlistete; wie Liber die Erigone in einer trügerischen Traube irreführ- te, wie Saturnus als Hengst den doppelgestaltigen Chiron zeugte. Der Rand des

2 Maeonia: Homer (Iliad II 865; V. 43,XI,431) nennt die Einwohner von Lydien Maiones (Μαίονες).

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Gewebes ist mit einer feinen Borte umsäumt und trägt Blumen, die zwischen Efeuranken eingewebt sind.3 Das Gewebe der Arachne besteht aus insgesamt 21 Einzelbildern. Es han- delt sich durchweg um Darstellungen trieb- und gewalthafter Götter, die sich zum Zweck des Verkehrs mit ihren Geliebten in die verschiedensten Gestalten verwandeln. Den ersten Platz nimmt Jupiter mit neun Verwand- lungen ein (Adler, Schwan, Satyr, Mensch, Goldregen, Feuer, Hirte, Schlange), darauf folgen Neptun mit 6 (in Stier, Fluss, Widder, Pferd, Vo- gel, Delfin), Phöbus Apollon mit vier (in Landmann, Habicht, Löwe, hör- te), schließlich und mit je einer Verwandlung (in Traube bzw. Pferd).4 Fassen wir zusammen: Die Göttin Athene stellt ihren Erfolg über Posei- don dar und desweiteren als explizite Warnung für ihre Künstlerkonkur- rentin ausgewählte Bestrafungen anmaßender Menschen durch die Göt- termutter Juno, während die Menschenfrau Arachne caelestia crimina, ero- tische Verfehlungen männlicher Götter, katalogartig ins Bild setzt.

VI. Die unterschiedlichen Welt- und Menschenbilder beider Bildteppiche

Das Gewebe der Göttin (6,70–102) feiert auf dem Hauptbild Athenes Sieg über Poseidon (im Wettstreit um die Namensgebung der Stadt Athen), umgeben von vier Beispielen bestrafter menschlicher Hybris. Insgesamt ist das Bild von Ord- nung und erhabener Würde (augusta gravitas 6,73) bestimmt. Diesem Kunst- prinzip entspricht eine zahlenmäßig klare Gliederung: Zwölf Götter, rings um Juppiter, sitzen zu Gericht (jeder von ihnen ist eindeutig erkennbar, wohl durch Attribute). Zwei Kontrahenten stehen im Vordergrund: Neptun (mit dem Drei- zack) lässt eine Quelle sprudeln, Pallas (im Waffenschmuck) pflanzt den Öl- baum. Vier Eckmotive dokumentieren bestraften Hochmut. (…) Die Aussage entspricht dem Weltbild der Göttin. Die unantastbar würdevollen Götter be- schenken die Stadt mit edlen Früchten und lebenspendendem Wasser. Darum schulden die Menschen den Göttern Ehrfurcht. Wer ihnen diese versagt, wird bestraft. Die Sprache dieser Bilder ist klar, die künstlerische Struktur und stilisti- sche Auffassung streng. Ganz andersartig ist das Weltbild, das aus Arachnes Gewebe spricht: Die Götter geben ihre Würde auf, indem sie sich in Tiere verwandeln. So täuschen sie sterb- liche (und manchmal auch unsterbliche) Frauen. (…) Während Pallas die Welt- sicht der (schenkenden und strafenden) Götter darstellt, geht es Arachne um den Standpunkt und die schmerzlichen Erfahrungen der von Göttern getäusch-

3 Übersetzung von von Albrecht (1994). 4 Nach Glei (1998) 97.

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ten und vergewaltigten Frauen. (…) Beharrlich wird das Thema »Täuschung« entwickelt und variiert, wenn Juppiter der Danae als Gold, der Asopostochter Aigina als Feuer, der Mnemosyne als Hirte, der Proserpina als Schlange naht. Allenthalben herrscht hier die Wahrnehmungsweise der Frauen; bezeichnend ist das dreimalige sensit (»sie erlebte«, »bekam zu spüren« 119 f.). Von den Wohl- taten der Götter, die Pallas betonte, ist auf Arachnes Bildteppich nichts zu fin- den. Schon in den Heroiden hatte sich Ovid zum Anwalt der betrogenen Frauen aufgeworfen. (…) Der Geisteshaltung und dem Weltbild nach besteht hier eine Nähe zu Ovids Metamorphosen: tiefes Verständnis für von Göttern verführte Frauen zeigt Ovid durchweg (…). Stilistisch zeichnet sich Arachnes Teppich durch Wirklichkeitsnähe der Bilder aus: »Man hätte meinen können, es sei ein wirklicher Stier und wirkliche Meeresflut« (verum taurum, freta vera putares 6,104). (…) So ist die Naturnähe deutlich stärker betont als bei Minerva, die sich in ihrer zurückhaltenden Art damit begnügte, jeden Gott überhaupt (wohl durch ein Attribut) kenntlich zu machen. Von einer klaren Anordnung oder gar einer zahlenmäßigen Gliederung kann auf Arachnes Webarbeit keine Rede sein. Der Reiz liegt hier in der Vielseitigkeit, Farbigkeit und Fülle, die auch Akziden- telles und scheinbar Nebensächliches sorgfältig ausarbeitet (wie dies die helle- nistische Kunst tat). Auch stilistisch springt hier die Nähe zu Ovids Metamorpho- sen in die Augen. (…) In Minervas Sicht (der traditionellen Deutung dieses Mythos) muss menschli- cher Hochmut bestraft werden. Die Göttin kommt zu Arachne in der trügeri- schen Gestalt einer alten Frau, um sie zu warnen und zur Selbsterkenntnis und Selbstbescheidung im Sinne des delphischen Gottes aufzufordern (»Erkenne, dass du nur ein Mensch bist«). Arachne lässt es an Respekt fehlen und fordert töricht die Göttin zum Wettstreit heraus. In Minervas Sicht achtet Arachne hier ihre Kunst höher als die pietas (gegenüber der Älteren, der Lehrerin, der Göt- tin). Die Weberin setzt ihren Beruf, ihr Handwerk absolut und ordnet diesem in blindem Ehrgeiz alles andere unter: auch Kopf (Verstand) und Herz. (…) Die einseitige Spezialisierung führt zum Verlust der dem Menschen eigenen Univer- salität, zu einer Verengung der Perspektive und damit letztlich zum Verlust der Menschennatur (…) Aber Minervas Verhalten hat dennoch einen großen Schönheitsfehler: Sie kommt zu Arachne von vornherein in der Absicht zu tri- umphieren, täuscht ihr Opfer, indem sie als (fast komische) Alte auftritt, und tut nichts, um Arachne den schweren Schritt zur Selbsterkenntnis zu erleich- tern. Als Arachnes Lehrerin (6,23) hätte sie auf ihre Schülerin stolz sein müssen. Künstlerneid ist unter der Würde einer Lehrerin und erst recht einer Göttin. In Arachnes Sicht ist Pallas ungerecht, da sie die Konkurrentin durch Schläge demütigt und ihr Werk zerstört, obwohl sogar sie an diesem künstlerisch nichts auszusetzen findet. Die Weberin weiß demgegenüber um ihre eigene Schöpfer- kraft und ist stolz darauf (…) Das wundersame Schaffen Arachnes setzte schon frühzeitig sogar Göttinnen – Nymphen – in Erstaunen, die eigens kamen, um

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ihr beim Arbeiten zuzusehen (6,14–23). So konnte diese perfekte Künstlerin glauben, der Göttin gleich oder gar überlegen zu sein.5 Zwei Welt- und Menschenbilder prallen diametral aufeinander: Athenes Bildwerk vertritt das traditionelle mythische Welt- und Menschenbild, das von den Menschen pietas, Gehorsam, Fügsamkeit und Verehrung gegen- über höheren Mächten einfordert, und tendentiell als patriarchalisch, als monarchistisch oder aristokratisch-oligarchisch bezeichnet werden könnte und die Perspektive einer Oberschicht spiegelt. Arachnes Teppich ist aus weiblicher Perspektive, von der Gesellschaftspyramide her von unten ge- schildert, indem es die Verbrechen der männlichen Götter und das Leiden der weiblichen Opfer thematisiert. Beide unterschiedlichen Welt- und Menschenbilder spiegeln sich auch in der Art der künstlerischen Darstel- lung wider: Athenes Teppich ist von klassischer Ordnung, ausgewogener Symmetrie und Konvention – ein zentrales Motiv mit vier Bildecken – das den Geist stilisierter Idealisierung atmet. Arachnes Gewebe dagegen ist möglichst naturgetreu, wirklichkeitsnah, und eher von assoziativer, kata- logartiger Verknüpfung vieler Bilddetails geprägt.

VII. Die poetologische Lesart beider Bildteppiche

Ein erster Hinweis darauf, dass mit der Kontrastdarstellung beider Bild- teppiche ein weiterer Aussagewert intendiert ist, findet sich im Vers un- mittelbar vor der descriptio beider Teppiche: Der web- und spinntechni- sche Ausdruck filum deducere (6,69) bezeichnet in der römischen Literatur metaphorisch das Dichten.6 Beide Gewebe, »Texte«, besitzen poetologi- schen Aussagewert und können auch als Wettstreit zweier Dichtertypen gelesen werden. Ich zitiere Reinhold Glei: »Während Arachnes Gewebe stets auf irgendeine Art mit Ovids Metamorphosen assoziiert wurde, sah man in Athenes Gewebe keinen vergleichbaren Text konnotiert – dabei drängt sich doch eine Analogie zu Vergil Äneis geradezu auf.«7 (…) Zweimal sechs Himmlische, in ihrer Mitte Jupiter, thronen in erhabener Würde auf ihren Sitzen in der Höhe. Die Elemente des Bildes lassen sich strukturell

5 Von Albrecht (2016) 97 f. 6 Ov. Met. 1,4: ad mea perpetuum deducite tempora carmen. Verg. ecl. 6,5: deductum dicere car- men. Colum. res rustica 10,1,1,40: Pierides tenui deducite carmine Musae. Hor. ep. 2,1,224: cum lamentamur non adparere labores nostros et tenui deducta poemata filo. 7 Glei (1998) 95.

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leicht auf Vergils Äneis beziehen: auch dort geht es um antiquam de terrae nomi- ne litem, (Met. 6,71), um die Gründung eines neuen Troja nämlich, das nicht mehr Troja heißen darf. Auch dort geht es darum, durch Krieg (Lanze Athenes) Frieden (Ölbaum) zu schaffen; auch dort steht das Handeln auf Erden unter der Aufsicht und Entscheidung der Götter, insbesondere Jupiters. Mit augusta gravi- tas ist die vergilische Götterkonzeption treffend beschrieben, und unüberhörbar ist zugleich die Anspielung auf den Ehrentitel des Kaisers, der nach Vergils eige- ner Aussage im Zentrum seines Werkes steht. Die Zwölfzahl der Götter verweist auf Vergils Zwölfgötteranrufung im Proömium der Georgica, wo als 13. Gott Octavianus hinzutritt, vor allem aber auf die zwölf Bücher der Äneis, die deut- lich in zwei Hälften geteilt ist.8 Nimmt man die strukturelle Analogie zwischen dem Gewebe Athenes und der Äneis ernst, so können die Viereckbilder, die eine klare Farbgebung und eine deutliche Abgrenzung gegenüber dem Hauptbild aufweisen, sehr wohl als pik- torale Umsetzung vergilischer Episodentechnik verstanden werden, die im Ge- gensatz zur ovidischen klar vom Hauptstrang der Erzählung abgegrenzt ist und sich nicht in den Vordergrund drängt.9 Der klassizistischen Ordnung des athenischen Gewebes steht die chaotische Tex- tur des arachneischen gegenüber. Eine konkrete Imagination des Gesamtwerks ist unmöglich, der Blick schweift vielmehr von Einzelheit zu Einzelheit, verliert sich planlos im Detail, was exakt der Rezeptionserfahrung des Metamorphosen- lesers entspricht. (…) Das Gewebe Arachnes erweist sich (vielmehr) durch seine Verweigerung von Ordnung als exklusives Analogon zu den Metamorphosen und steht dem Gewebe Athenes und damit der Äneis kontradiktorisch gegenüber: hier äußerste tektonische Disziplin, dort amorphe Intertextualität; hier klassi- sche Ausgewogenheit, dort bewusste Dekonstruktion; hier moralinsaure Beleh- rung, dort zelebrierte Amoralität.10 Kirsten Bente sekundiert dieser Deutung in ihrer Dissertation über Ovids Metamorphosen und die Spätphase des Zweiten Stils: Demnach bildet das Kunstwerk der Arachne einen konzeptionellen Gegenent- wurf zur klassizistisch geprägten Komposition der Minerva, die sich durch au- gusta gravitate (73) und eine wohldurchdachte Struktur auszeichnet. Hingegen symbolisiert Arachnes Teppich die thematischen Vorlieben Ovids sowie die for- male Flüssigkeit und Flexibilität der Werkstruktur der Metamorphosen. Wenn- gleich beide Werke in thematischer und formaler Hinsicht grundverschieden sind, weisen sie dieselbe hohe Qualität auf (129–130: Non illud Pallas, non illud carpere Livor / possit opus). Wie in der Ars poetica des Horaz dient die Ekphrasis auch im vorliegenden Beispiel dem Dichter dazu, komplexe literaturtheoreti- sche Strukturen auf plastische, leicht nachvollziehbare Weise mittels eines Bei- spiels aus der bildenden Kunst zu präsentieren und darüber hinaus zu verdeutli-

8 Glei (1998) 96. 9 Glei (1998) 97. 10 Glei (1998) 98.

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chen, dass auch weniger rigide angeordnete Erzählungen von hoher Kunstfertig- keit zeugen.11 Also: Die beiden Teppiche vertreten nicht nur kontrastierende Welt- und Menschenbilder, sondern auch unterschiedliche poetologische Ansätze: Athenes Werk ist im Formalen von klassischer Struktur und Ausgewogen- heit, vom Inhalt her gravitätisch und moralisch aufgeladen, während Arachnes Kunstwerk eine ordnende Komposition verweigert und fast in Form einer praeteritio aneinanderreihend-assoziativ nur andeutet, nicht ex- plizit schildert. Gehen wir einen nächsten Schritt in der hermeneutischen Spirale. Ich zitiere noch einmal Reinhold Glei: Allerdings wird man nicht fehlgehen, den Gegensatz der beiden Kunstparadig- men auch politisch zu interpretieren. Die Äneis galt Ovid und den Zeitgenossen als das staatstragende Epos schlechthin, indem die Intentionen des Künstlers Vergil und des princeps Augustus in prästabilierter Harmonie zu koinzidieren schienen. Die Metamorphosen können darum in ihrer Verweigerung politischer Affirmation, in ihrem Pochen auf eine autonome Ästhetik ebenso als un- wie als antiaugusteisch aufgefasst werden. Intrinsisch, das heißt von ihrer immanenten Position aus gesehen, sind sie unaugusteisch, unpolitisch überhaupt; extrinsisch, das heißt aus der Außenperspektive des augusteischen Establishments, sind sie antiaugusteisch.12

VIII. Digression I: Die schillernde Ambiguität Ovids

Und damit sind wir organisch bei einer letzten, politisch-historischen Les- art angelangt. Zuvor ist allerdings eine kurze methodische Digression von- nöten: Wie Ovid zu verstehen ist, kann kein Interpret mit letzter Sicher- heit sagen – es hängt davon ab, wie man an ihn herangeht. Der Bildungs- server »Baden-Württemberg« zitiert im Fachbereich Latein zum Thema »Interpretation« Thomas A. Schmitz: »Man hat nicht die Wahl, beim Be- trachten der Texte bestimmte Vorannahmen zu haben oder nicht zu ha- ben – ob ich will oder nicht, gewisse Fragen habe ich schon beantwortet und damit gewisse Vorurteile übernommen.«13 Das gilt für jeden Leser,

11 Bente (2017) 16 f. 12 Glei (1998) 99. 13 Schmitz (2002) 19. Terry Eagleton: »Hostility to theory usually means an opposition to other people’s theories and an oblivion of one’s own.« Beides zitiert auf https://lehrerfor tbildung-bw.de/u_sprachlit/latein/gym/bp2004/fb2/3_inter/

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 45 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Michael Lobe besonders aber für jeden Rezipienten des schillernden Ovid. Matthew Ro- binson unterscheidet in seinem Kommentar zu Ovids Fasti zwischen dem Typus des ›patriotic‹ bzw. ›supportive reader‹, also einem naiv patriotisch- augusteischen Rezipienten und andererseits dem augustuskritischen ›sus- picious reader‹. Ulrich Schmitzer stellt fest, dass diese Ambivalenz auch schon für Rezipienten zu Ovids Zeit galt: »Es scheint fast, als habe Ovid das alles auch schon für seine Zeitgenossen absichtlich in der Schwebe ge- lassen: Der ehemalige tenerorum lusor amorum hat in der Hinwendung zur offiziellen Politik die subversiven Untertöne beibehalten, die seine frühere Dichtung geprägt hatten, ohne sich deshalb aber auf eine von Fundamen- talopposition gezeichnete Konfrontation mit dem Regime einzulassen.« Ovid ist ein doppelbödiger Autor, dessen subtile Technik der Evokation zusätzlicher Assoziationen, versteckter Andeutungen,14 Lesarten auf meh- reren Ebenen, wie ich meine, bewusst Vorschub leistet. Ich lege Ihnen für den nun folgenden Deutungsversuch die zwei Inter- pretationsprämissen offen, von denen ich ausgehe.15 Erstens: Ovid als der jüngste der Augusteer, Jahrgang 43 v.Chr., wie selbstverständlich in die Segnungen des Saeculum Augustum hineingewachsen, betrachtete das au- gusteische Weltbild mit Abstand und einer gewissen Skepsis – anders als ein Vergil (Geburtsjahr 70 v.Chr.) oder Horaz (65 v.Chr.), die die Wirren und Verwerfungen der Bürgerkriege der untergehenden Republik haut- nah erfahren hatten, dankbar für die augusteische Ordnung waren und

14 Innuendos, versteckte Andeutungen von innuere zunicken, zuwinken. 15 Vgl. Tischer (2006) 89–101. »Die Beschäftigung mit der Anspielung und ihre Auflö- sung führt fast zwangsläufig zum Problem der Beurteilung von Anspielungsdeu- tungen. Wie jede andere Interpretation sind diese zwar nicht verifizierbar, aber bis zu einem gewissen Grad falsifizierbar, und es scheint möglich, zwischen deutlichen und weniger deutlichen Anspielungen ebenso wie zwischen wahrscheinlichen und unwahr- scheinlichen Deutungen zu unterscheiden. Nach heutigen wie auch nach antiken Vorstellungen ist das lenkende Kriterium dabei die vom Rezipienten angenomme- ne Intention des Verfassers: Nur wenn man glaubt, dass der Autor selbst das mei- ne, was man den Text unterstellt, kann man sinnvollerweise von einer Anspielung im Text sprechen. Für den modernen Leser ergeben sich aus dieser Prämisse weite- re Folgerungen: Er geht davon aus, dass der Autor die Anspielung einen bestimm- ten Leserkreis verstehbar machen will, dass er aus einem bestimmten Grund an- spiele, dass er sich weder selbst widerspreche noch auf Dinge Bezug nimmt, von denen er oder der von ihm intendierte Leser keine Kenntnis haben kann. Eine ak- zeptable und nicht falsifizierbare Deutung ist für ihn diejenige, die eine Auffälligkeit im Text an ökonomischsten, das heißt möglichst einfach erklärt, einen überzeugenden Grund für die Wahl des Bezugspunktes und das anspielende Vorgehen des Autors lie- fert, der Interpretation des Textes an anderen Stellen nicht zuwiderläuft und in den an- zunehmenden Wissenshorizont des Autors und seiner zeitgenössischen Leser passt.«

46 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Augusteische Arachnophobie das in ihrem dichterischen Schaffen auch spiegelten. Zweitens: Ovid dürf- te zur binnenkaiserlichen Opposition der Augustustochter Julia und ihrem Kreis gehört haben. Barbara Levick sieht in der altehrwürdigen re- publikanischen Herkunft der als sog. Ehebrecher verfemten Männer um Julia v.a. eine politische Konfliktlinie: Diese Verschwörer hätten nicht ge- wollt, dass die oligarchisch-claudische Linie des Tiberius an die Führung kam.16 Sie hatten miterlebt, wie alle Thronprätendenten der Reihe nach wegstarben – Marcellus, Agrippa, Gaius, Lucius17 – und als Drahtzieherin hinter all dem dürften sie die mächtige Livia vermutet haben, die den Weg für Tiberius freizumachen suchte. Rolf Hochhuth hat in seinem fu- riosen dokumentarischen Roman Julia oder der Weg zur Macht plausibel ge- macht, wie aufgrund einer scheuklappenartig-patriarchalischen Sicht des großen Historikers Theodor Mommsen Livia als mögliche Meuchelmör- derin überhaupt nicht in Betracht gezogen wird, weil das die Größe des Augustus auf einen Pantoffelhelden reduziert hätte, der das dynastische, letztlich erfolgreiche Spiel seiner Frau nicht verstanden hätte. Hochhuth legt auch dar, wie diese den Faktor Livia ausblendende Sichtweise infolge der Aura des Literaturnobelpreisträgers Mommsen ganze Historikergene- rationen nach ihm beeinflusst hat. Ich teile Tacitus’ und Cassius Dios Bild der schwarzen Witwe Livia, und unterstelle, dass Ovid genau wusste, wel- cher deep state im Kaiserhaus wirklich das Sagen hatte. Entsprechend vor- sichtig musste er als Schriftsteller zu Werke gehen – das bedingt die ambi- valente, mehrbödige Art seines Schreibens, die Technik eines bewusst »In- der-Schwebe-Lassens«, sein Verfahren zarten Antupfens, das sich nie ein- deutig festlegen lässt und der ausfüllenden Ergänzung eines sensiblen Re- zipienten bedarf.

16 Levick (1999) 27: »The ›adulterers‹ bear the names of families that were not merely blue- blooded, but powerful in the late Republican and Triumviral eras. Were these families, the kin of Octavian’s first betrothed, Claudia, and of his first wife, to be outdone by ob- scure Nerones? There is a hint too of demagogy. One of the offences of the group was to decorate with garlands a statue of Marsyas that stood in the Roman Forum. It was not merely a symbol of Bacchic license but, with the fig tree that overhung it, was regarded as the symbol of a free city. One of the conspirators was a Sempronius Gracchus, one a tribune; and it was precisely in the year 2 BC that tribunician agitation broke out in Rome.The details are missing, but the tribunes were sent to Augustus about certain re- forms and he came to consult with the people about their demands. In a word: Julia and her friends stood for an alliance of palace and people. It makes a contrast to the austere and oligarchic programme of Tiberius.« 17 Söhne der Augustustochter Julia.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 47 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Michael Lobe

IX. Die historisch-politische Lesart beider Bildteppiche

Ich meine, wir können im mythologischen Gewebe ausgerechnet des affir- mativ-konservativen Atheneteppichs einige von Ovid eingeschossene his- torisch-politische und zeitgenössische Fäden erkennen. Das beginnt schon im ersten Vers der descriptio, wenn in 6,70 von Mavortis in arce die Rede ist – gemeint ist im Kontext natürlich der Areopag auf der Akropolis, der Hü- gel des Ares,18 aber erste Assoziation für den Römer ist natürlich Rom als Stadt des Mars, als urbs Mavortis, wie es in der Äneis heißt,19 ein erster Hin- weis, dass der Stoff auf die eigene Zeit und die eigene Stadt bezogen wer- den kann. Der nächste unmissverständliche Hinweis ist die Wortwahl au- gusta gravitate, die von einem Zeitgenossen gar nicht anders als auf Augus- tus bezogen werden konnte, einmal wegen des Namens, aber auch wegen der gravitas, die typisch für die augusteische Ethik (Sittengesetzgebung) und Ästhetik (etwa Dezenz) war. Was das erwähnte Schiedsgericht der zwölf Götter angeht, mögen sich einige Zeitgenossen an den bei Sueton überlieferten Skandal der cena δωδεκάθεος,20 ein Zwölfgöttermahl erin- nert haben, bei dem Octavian, verkleidet als Apoll, mit anderen verkleide- ten Gästen die Olympier imitierte – zum Skandal geworden dadurch, dass diese Ausschweifung kulinarischer und sexueller Natur zur Zeit einer gro-

18 Im ursprünglichen, topographischen Sinn ist der Areopag der nach dem Kriegsgott Ares benannte, 115 m hohe Felshügel in Athen, nordwestlich der Akropolis und südlich der Agora gelegen. Aitiologisch wurde mit diesem Ort ein Götterprozess gegen Ares we- gen der Tötung des Poseidon-Sohnes Halirrothios (z.B. Apollodori Bibliotheca 3,180; Pausanias 1,28,5) verbunden. Die älteste Ratsversammlung Athens, die hier zu tagen pflegte, erhielt von dem Ort ihren Namen (hē en Areíōi págōi boulḗ). Vergewaltigung der Arestochter Alkippe durch den Poseidonsohn Halirrothios. Apollodoros Bibliotheke (Zusammenstellung griechischer Mythen aus dem 1. Jh. n.Chr.) 3,14,2,1 »Von Agraulos und Ares stammt Alkippe. Diese wollte Halirrothios, der Sohn des Poseidon und der Nymphe Euryte, vergewaltigen, doch wurde er von Ares ertappt und getötet. Poseidon erhob deswegen auf dem Areopag Anklage gegen Ares. Richter waren die zwölf Götter. Ares wurde freigesprochen.« 19 Verg. Aen. 6,872: quantos ille uirum magnam Mauortis ad urbem/ campus aget gemitus! Verg. Aen. 8,630 f.: fecerat et uiridi fetam Mauortis in antro/ procubuisse lupam. 20 Sueton div. Aug. [70]: Cena quoque eius secretior in fabulis fuit, quae vulgo δωδεκάθεος vocabatur; in qua deorum dearumque habitu discubuisse convivas et ipsum pro Apolline orna- tum non Antoni modo epistulae singulorum nomina amarissime enumerantis expro- brant, sed et sine auctore notissimi versus (…) Auxit cenae rumorem summa tunc in civitate penuria ac fames, adclamatumque est postridie omne frumentum deos comedisse et Caesarem esse plane Apollinem, sed Tortorem, quo cognomine is deus quadam in parte urbis colebatur. (Schmitzer 1990, 68 datiert das Mahl um die Zeit von Philippi herum. Die Hungersnot lag zwischen dem Winter 39/38 und dem Jahr 37 v.Chr.).

48 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Augusteische Arachnophobie

ßen Hungersnot in Rom stattfand, weil Sextus Pompeius gerade mit sei- ner Flotte die Getreideversorgung blockierte. Deshalb hätte der Volks- mund Octavian Apollo genannt, aber mit dem Beinamen Tortor, Schinder, eine Anspielung auf Apolls Strafe der Häutung des im Wettkampf unterle- genen Marsyas. Es ist bekannt,21 dass die Kaisertochter Julia 2 v.Chr. nach der Einweihung des Mars Ultor-Tempels und der Ausrufung des Augustus zum Pater patriae einen nächtlichen Skandal auf öffentlich-politischem Areal inszenierte: Sie setzte der Marsyasstatue auf dem Forum einen Kranz wie zu einer Krönung auf.22 Die Marsyasstatue galt den Römern als Sym- bol der Freiheit – durch die enge Beziehung des Satyrn mit Dionysos/ Bac- chus bzw. Liber. Verschärft wird diese nächtliche Krönungsaktion durch die Tatsache, dass Iullus Antonius, der Sohn Marc Antons, zu Julias engs- tem Kreis gehörte – sein Vater Marc Anton hatte sich einst in Alexandria als Neos Dionysos inszeniert,23 und es ist denkbar, dass Julia mit dieser Krönung einer Figur aus dionysischem Umfeld ein Wiederaufleben der Opposition der gens Antonia mit Augustus andeuten wollte.24 Die Marsyas- figur stand für libertas – das war auch das Losungswort des Cäsarmörders und Republikaners Brutus bei Philippi gewesen.25 Im Kontext der Krö- nung des Befreiers Marsyas konnte das als Aufforderung zum Tyrannen- mord gedeutet werden. Augustus musste reagieren; Julia wurde rasch auf die Insel Pandateria verbannt. Politskandale wie das Zwölfgöttermahl des Octavian als Apoll zu Zeiten einer Hungersnot und ein politisches Happe- ning wie das Julias an der Marsyasstatue blieben im kollektiven Gedächt- nis der stadtrömischen Gesellschaft und konnten, meine ich, durch Ovids Allusionstechnik jederzeit aktualisiert werden – übrigens: Die Auseinan- dersetzung zwischen Künstlergeist und Macht zwischen Athene und

21 Vgl. Sanderson/Keegan (2011). Sen. Ben. 6,32: Divus Augustus filiam ultra impudicitiae maledictum impudicam relegavit et flagitia principalis domus in publicum emisit: admissos gregatim adulteros, pererratam nocturnis comissationibus civitatem, forum ipsum ac rostra, ex quibus pater legem de adulteriis tulerat, filiae in stupra placuisse, cotidianum ad Marsyam concursum, cum ex adultera in quaestuariam versa ius omnis licentiae sub ignoto adultero pe- teret. 22 Plin. NH 21.6. 23 Plut. Ant. 24.3–4. 24 Vgl. Eberle (1966) 89 (Iulia. Skandal und Tragödie): »Als weitere Komplizen werden ge- nannt: Quinctius Crispinus, Appius Claudius, Sempronius Gracchus und ein Scipione, lauter Männer senatorischen und ritterlichen Standes. (…) Die am meisten belasteten wurden verbannt, den anderen stellte man Pässe zu und hieß sie schleunigst verschwin- den.« 25 Das Losungswort der Cäsarrächer war ›Apollo‹; vgl. Wiseman (2008) 129.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 49 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Michael Lobe

Arachne spiegelt sich in der Konstellation des Apollo Tortor/Octavian und Marsyas, der von Julia angeführten Opposition. Im selben, dem sechsten Buch der Metamorphosen (6,382–400) schildert Ovid voller Anteilnahme für die Qualen des Opfers in grausigen anatomischen Details die Häutung des Satyrn durch einen fühllos-brutalen Apoll, der seinen Beinamen Tortor hier absolut verdient. Apoll, die Schutzgottheit des Augustus, kommt bei Ovid ohnehin nicht gut weg – sei es als eingebildeter Verfolger junger Frauen (Daphne-Episode), sei es als sadistischer Gott. Fahren wir fort in der Rekonstruktion des historischen Horizonts des zeitgenössischen Metamorphosenrezipienten. Sehr wahrscheinlich dürfte bei dem Zwölfgöttergastmahl Octavians Flottenadmiral Agrippa die Rolle des Poseidon inngehabt haben – er sollte bei der Seeschlacht von Nau- lochos 36 v.Chr. Sextus Pompeius vernichtend schlagen. Die Maskierung als Meeresgott wäre nur logisch, da Agrippa sich bald durch verschiedene Maßnahmen in Rom als zweiter Neptun inszenieren sollte. Als Ädil führte er 34 v.Chr. Delphine als Rundenzähler im Circus Maximus ein,26 33 v.Chr. stellte er die für Rom wichtige Wasserleitung der Aqua Marcia wie- der her,27 und ab 25 v.Chr. ließ er auf dem Campus Martius eine Fülle wassertechnischer Anlagen bauen – neben dem Aquädukt der Aqua Vir- go28 entstanden Thermen seines Namens, eine Basilica Neptuni und eine porticus Argonautarum – all das, um sich als Seesieger und neuer Neptun in monumentalen Werken und Wohltaten zu verewigen. Wenn es im Text Ov. Met. 6,75 f. heißt, Poseidon habe Wasser aus dem Stein hervorspru- deln lassen, quo pignore vindicet urbem, ein Unterpfand, mit dem er die Stadt für sich beanspruchte, kann dies auch eine Anspielung Ovids auf den novus Neptunus Agrippa sein, der mit seinem wassertechnischen Euer- getismus potentielle Nachfolgeansprüche auf die Herrschaft Roms anmel- dete.29 Athene selbst wird von Ovid auf ihrem Gewebe mit all den Attri- buten dargestellt, die auch für die bildliche Darstellung der Dea Roma si-

26 Cassius Dio 49,43. 27 Cassius Dio 49,42. 28 Frontinus de aquis 10: Idem cum iam tertio consul fuisset, C. Sentio Q. Lucretio consulibus, post annum tertium decimum quam Iuliam deduxerat, Virginem quoque in agro Lucullano collectam Romam perduxit. (…) Virgo appellata est, quod quaerentibus aquam militibus puel- la virguncula venas quasdam monstravit, quas secuti qui foderant, ingentem aquae modum in- venerunt. Aedicula fonti apposita hanc originem pictura ostendit. 29 Vgl. OCR Ancient History, S. 25: »After the death of Marcellus, Augustus married his daughter Julia to his closest ally, Marcus Agrippa. In fact, Julia was three times married to potential successors.«

50 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Augusteische Arachnophobie gnifikant sind. Das nach Rom gerettete Bild, das Palladium der Athene/ Minerva als Schutzgöttin des untergegangenen Troja galt als Garant für die ewige Stadt und das Imperium.30 Ein Beispiel für den sog. »Athenety- pus« der Dea Roma findet sich etwa auf der Gemma Augustea, wo sie ne- ben Jupiter Augustus thront. In der Untersuchung des Peter Paul Ruben- Sohnes Albert, der Dissertatio de gemma Augustea von 1665, wird diese Fi- gur wie folgt beschrieben: Roma Dea, Augusto assidens, Liviam vultu referre videtur: galeam, hastam, clypeum et parazonium habet.31 Zweierlei ist interes- sant: Wir haben den Athenetypus vorliegen und exakt die Attribute, wie Ovid sie betont, und man kann eine Mehrfachkonnotierung der Figur feststellen: Das Antlitz der Dea Roma ist der Livia nachgebildet – typisch für die augusteische Kunst, die auf die Technik der Typologie und Mehr- deutigkeit setzte: Auch die Tellus mater auf dem berühmten Relief der Ara Pacis trägt die Gesichtszüge der Kaiserin; die Einweihung des Frie- densaltars fand am Geburtstag Livias statt – in augusteischer Verweiskunst ist nichts dem Zufall überlassen. Livia wird auf der Gemma Augustea zur Stadtgöttin Roma und auf der Ara Pacis zur Personifikation des ländli- chen Friedens. Das römische Publikum war es gewohnt, diese Mehrdeu- tigkeit augusteischer Kunst zu erkennen: Ovid greift diese bei den Zeitge- nossen geschulte Rezeptionshaltung auf und treibt damit sein Spiel. Folgt man diesem Gedanken, kann man in der herrischen Athene Ovids durch- aus ein Abbild Livias sehen. Im Übrigen: Vergils Schildbeschreibung stellt nach der Schilderung der Schlacht von Actium den ägyptischen Götter- monstren (latrator Anubis) eine römische Göttertrias gegenüber: Neben der Stammmutter der gens Iulia, Venus, sind das Neptun und Minerva32 – wenn auf Ovids Bildteppich mit Neptun und Minerva beide Gottheiten

30 Bravi (2014) 175: »Am Eingang zum Forum stand eine Elfenbeinstatue der Athena Alea aus Tegea, die Augustus von seinen Kampagnen gegen Antonius mitgebracht hatte. Pal- las Athena war für Ovid das griechische Pendant zu Mars.« Bravi (2014) 175 f.: »Diese altertümliche Athena konnte auf dem Augustusforum eine bestimmte Sicht des Krieges versinnbildlichen, nämlich die Bewahrung der Zivilisation gegenüber der zerstörenden Wirkung der Bürgerkriege. Als Gegenbild zu Furor stellt die Göttin auf einer weiteren semantischen Ebene die ratio und das consilium dar, die einen als selbstverständlich er- warteten Sinn in ein Forum brachten, in dem Recht gesprochen und weitere politische Aktivitäten der civitas ausgeführt wurden.« 31 Vgl. Albert Rubens, Dissertatio de gemma Augustea. Roma Dea, Augusto assidens, Liviam vultu referre videtur: galeam, hastam, clypeum et parazonium habet, prout a Claudiano et Si- donio Roma describitur, et in priscis monumentis, quae in Urbe, in hortis Caesiis et aedibus Iustinianaeis supersunt, etiam nunc spectatur. Abgedruckt in Binder (1991) 297. 32 Verg. Aen. 8,698 f.: omnigenumque deum monstra et latrator Anubis/ contra Neptunum et Venerem contraque Minervam/ tela tenent.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 51 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Michael Lobe beschrieben werden, geschieht dies in wohlbekanntem augusteischen Prä- text. Dass die Siegesgöttin Victoria den Abschluss des zentralen Bildes von Athenes Webteppich bildet, dürfte auch kein Zufall sein: Victoria ist für Augustus eine wichtige Symbolfigur: Nach dem Seesieg von Actium grün- dete er auf dem Gelände seines Militärlagers die Stadt Nikopolis; in der römischen Curia befand sich eine auf einem Globus schwebende Nike- Statue aus Tarent, neben deren Altar die Senatoren vor jeder Sitzung der Göttin opferten.33 Zahlreiche augusteische Münzabbildungen zeigen Vic- toria, und auf dem Mars Ultor-Tempel standen zwei riesige vergoldete Victorien als Giebelfiguren. In der Bilderwelt der augusteischen Zeit nahm die Siegesgöttin also eine prominente Rolle ein und dürfte bei zeit- genössischen Leser sofort Assoziationen an die augusteische Inanspruch- nahme dieser Figur wachgerufen haben. Die vorliegende Rekonstruktion versucht, Athenes Teppich mit den Augen und dem Wissen eines römi- schen Zeitgenossen Ovids zu lesen. Es dürfte zu weit gehen, die vier exem- plarisch aufgeführten Bestrafungen durch Juno konkret historisch identifi- zieren zu wollen – aber in der ovidischen Zeichnung der Göttermutter Ju- no, ihrem Zorn und ihrer Straflust könnten Leser der damaligen Zeit durchaus Züge der Livia erkannt haben, und wenn man auf Arachnes Teppich die crimina caelestia sieht, mögen Zeitgenossen auch an die sexu- ellen Eskapaden eines Augustus und der männlichen Entourage des Kai- serhofs gedacht haben, die in klarer Doppelmoral zur propagierten Fami- lien, Ehe- und Sittengesetzgebung standen. Amoralisch ist nicht der Zeit- zeuge Ovid, er ist, wenn man so will, der Investigativpoet, der reale Unta- ten in mythologischem Gewand chiffriert, der die Amoral des Kaiserhau- ses subtil offenlegt – jedenfalls für die, die ihn verstehen wollen. Darauf hebt der Vortragstitel »Augusteische Arachnophobie« ab: Herrschende ha- ben es zu keiner Zeit gerne, wenn ihre geheimen Machenschaften offenge- legt oder erinnert werden: So wird nicht nur das Kunstwerk, das die Unta- ten der Götter verewigt, zerstört, sondern auch seine investigative Urhebe- rin Arachne, indem sie in eine unförmige Spinne verwandelt wird. Ovid wird ein ähnliches Schicksal erleiden: Während Arachne dazu verdammt ist, als hässliches Tierchen ohne jegliche öffentliche Anerkennung für ihren Künstlerstatus weiterzuspinnen,34 wird Ovid ganz vergleichbar zwar

33 27 v.Chr. kam der goldene clupeus virtutis mit den kaiserlichen Tugenden virtus, clemen- tia, iustitia, pietas erga deos patriamque hinzu. 34 Vgl. Ov. Met. 6,11ff.

52 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Augusteische Arachnophobie keine drakonische physische Strafe erleiden, wohl aber eine für seine geis- tige Existenz grausame und folgenschwere: Mit der relegatio nach Tomi verliert er sein Publikum und als Künstler mit Rom den Resonanzraum seiner Kunst.35 Reinhold Glei zieht die Parallele: »Es scheint, als habe Ovid mit der Arachneerzählung sein eigenes Schicksal prophetisch vorausgeahnt. Auch der augusteische Prinzipat mit seiner Erneuerung des mos maiorum dulde- te keine provozierend vorgetragenen Autonomiebestrebungen der Kunst, sondern verpflichtete die Künstler auf die Verherrlichung der neuen Ord- nung.«36

X. Digression II: Aufklärung und Gefährdung der Aufklärer

Zu Beginn der Arachne-Episode schildert Ovid die niedere Herkunft der Weberin; sie stamme von Vater Idmon aus Kolophon, wohl eine von Ovid erfundene Figur. Idmon heißt soviel wie der Wissende, und Kolophon war der Herkunftsort des berühmten Vorsokratikers Xenophanes, nach einem Wort Hegels »Sturmvogel der griechischen Aufklärung«.37 Be- rühmt ist Xenophanes’ Kritik am anthropomorphen Götterbild, indem er behauptete, dass jeder Mensch die Vorstellung von Gott nach seinem Bil- de forme. Bekannt ist folgendes Fragment in der Übersetzung von Diels: »Doch wenn die Ochsen und Rosse und Löwen Hände hätten oder malen könnten mit ihren Händen und Werke bilden wie die Menschen, so wür- den die Rosse roßähnliche, die Ochsen ochsenähnliche Göttergestalten malen und solche Körper bilden, wie jede Art gerade selbst ihre Form hät- te.«38 Ovid lässt Arachne just aus Kolophon,39 der Heimat dieser rationalis- tisch-skeptischen Denkschule, stammen, und als wäre sie von Xenophanes

35 In den Verbannungselegien klagt Ovid: »Keine Menschenseele ist in diesem Landstrich, deren verständiges Gehör ich zu Rate ziehen könnte, wenn ich meine Gedichte vor- trage.« Ov. Trist. 3,14,39 f. Nullus hac terra, recitem si carmina, cuius/ intellecturis auribus utar, adest. 36 Glei (1998) 99. 37 Kolophon war auch Herkunftsort Nikanders (197–133 v.Chr.), eines hellenistischen Dichters, dem als Dichter von Metamorphosen (Heteroioumena) Ovid vielleicht hier seine Reverenz erweist. 38 Diels (61951) 132 f. frg. B 15. 39 Vgl. Harich-Schwarzbauer (2016) 155 f.: »Immerhin betont der Name ihres Vaters, Id- mon, den Wissensaspekt. Mit der Zuweisung Arachnes an diesen Vater und diesen Hei- matort ist eine Anspielung auf die mit Kolophon verbundene Tradition der Götterkritik

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 53 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Michael Lobe selbst angeleitet worden, dekonstruiert sie im Gestus der Aufklärerin auf ihrem Bildteppich die augusteische Oberschichtensicht der Athene von or- do und pietas, indem sie die wahren und wenig verehrungswürdigen Taten der olympischen Gottheiten aufzeigt. Ihr Katalog ist geradezu die Exem- plifikation des berühmten Xenophanes-Fragments: »Homer und Hesiod weisen den Göttern Dinge zu, die Vorwürfe und Schuld unter Menschen bedeuten, wie Diebstahl, Ehebruch und gegenseitiges Täuschen.«40 Erlauben Sie eine aktualisierende Digression zu der Problemlage, in die Menschen geraten, die wie die aufklärerische Arachne mehr wissen und mit ihrem Wissen nicht hinter dem Berg halten. Homer offenbart nach dem Zitat des Xenophanes, dass die olympischen Götter, also die Weltbe- herrscher, lügen, stehlen und betrügen. Mike Pompeo, amtierender Au- ßenminister der Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump, sagte unter tosendem Applaus bei seinem Besuch der Texas A&M University am 15. April 2019: »I was the CIA director. We lied, we cheated, we stole. We had entire training courses. It reminds you of the glory of the Ameri- can experiment.«41 Würde die Anklägerin imperialer Selbstgefälligkeit Arachne heute leben, hieße sie Julian Assange, Chelsea Manning oder Ed- ward Snowden: Jede dieser Personen hat auf ihre Weise einen Teppich mit den Untaten der Herrschenden gewebt und ist wie Arachne nun mit den Rachegelüsten der desavouierten Macht konfrontiert.

alles andere als abwegig. Ein Bezug zu Xenophanes, der sich nicht bloß gegen den An- thropomorphismus in der Gottesvorstellung wendet, sondern dem alten Götterglauben eine philosophisch orientierte, erkenntnistheoretisch abgesicherte Theologie entgegen hält, drängt sich auf. Vor dem Hintergrund der Biografie des Xenophanes lassen sich gleich mehrere Punkte für Korrespondenzen zwischen Arachne und der Xenophani- schen Lehrtradition anführen: Xenophanes gilt als Dichter und Denker, der als Rhapso- de zu einem gewissen Grad eine Popularisierung des Wissens zu seinen Aufgaben zähl- te. Er setzte die Göttermythen der Kritik aus, um darauf eine Theologie zu bauen, die durchaus auch ethisch grundiert ist. Er bot naturwissenschaftliche Erklärungen an, oh- ne behaupten zu wollen, dass alles sofort wissbar und beweisbar sei, sondern sprach sich für einen allmählichen Fortschritt aus. Der Regenbogen ist in seiner Götterkritik, so- weit wir die Überlieferung aus dem Fragment noch verfolgen können, eine tragende Säule. Das mit dem Sinnesorgan Erfahrbare wird demzufolge gewürdigt als Grundlage des Wissens um die Welt.« 40 Xenophanes 21 B 11 Diehls-Kranz. Vgl. dazu Ziogas (2013) 107. 41 Vgl. https://www.newsweek.com/china-responds-iran-us-spies-1450789 (zuletzt aufgeru- fen am 25.01.2020).

54 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Augusteische Arachnophobie

XI. Der Aussagewert der Bordüren beider Bildteppiche

Noch ein Wort zu den Bordüren, die sowohl Athenes als auch Arachnes Teppiche säumen: Minervas Saum zeigt den Ölbaum (6,101 f.) als selbstge- wisses Zeichen ihres Sieges über Neptun. Arachnes Saum (6,127 f.) ahmt Efeuranken nach, die Blumen umschlingen; die Forschungsliteratur ist reich an Deutungen. Bernsdorff42 versucht etliche davon zu dekonstruie- ren, etwa dass es sich bei der anschmiegenden Efeupflanze hier um eine erotische Konnotation handele, oder dass der Efeu als mit Dionysischem verbundene Pflanze Zeichen des Triebhaften sei. Er votiert dafür, in der Fähigkeit des Efeus, sich mit anderen Pflanzen zu verschlingen, ein Sym- bol der Webkunst Arachnes zu sehen – als selbstbewusste Demonstration ihres Könnens und Selbstvertrauens, schlägt also eine poetologische Deu- tung vor. Eine weitere Hypothese sei aufgestellt: Der Efeu galt in der anti- ken Literatur als Pflanze, die andere Pflanzen erwürgt, erstickt, tötet,43 in- vasiv und aggressiv ist, also ganz so wie die zudringlichen Götter die Frau- en bedrängen.44 Der Saum des Arachneteppichs würde nach dieser Lesart die Gewalttätigkeit der männlichen Götter noch einmal in ein eindrückli- ches Sinnbild fassen, wobei der alles umschlingende Efeu die Missetäter symbolisiert, die Blumen (flores) die Opfer der Vergewaltigungen; un- schwer lässt sich die dahinterstehende Metaphorik der Defloration45 er- kennen.

XII. Schluss

Ovid ist ein poeta doctus, selbst ein Idmon, der alles kennt und alles gele- sen hat, was es an griechischer und römischer Literatur, Geschichte, Philo- sophie und Kunstgeschichte gab, und der sein immenses Wissen auch in

42 Bernsdorff (1997). 43 Vgl. Plin. nat. hist. 17,239: Necant invicem inter sese umbra vel densitate atque alimenti rap- ina. necat et hedera vinciens/ Decimus Laberius, mimi 164 (105–43 v.Chr., römischer Rit- ter und Mimendichter): ut hedera serpens vires arboreas necat,/ ita me vetustas amplexu an- norum enecat:/sepulcri similis nil nisi nomen retineo. 44 ultima pars telae (Gewebe) tenui circumdata limbo (Bordüre, Saum)/nexilibus flores hederis habet intertextos. »Der unterste Teil des Gewebes, umgeben von einem dünnen Saum, trägt Blumen, die verschlungenen Efeuranken zwischengewebt sind.« flores ist passives Objekt, auf grammatischer Ebene vergleichbar der Leideform der Frauen, die göttlicher Gewalt ausgesetzt sind. 45 Vgl. zum Bild Catull c. 62,39ff.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 55 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Michael Lobe seine Werke wob.46 Aufgabe jedes Interpreten ist es, diesen Schatz an viel- schichtiger Komplexität, Anspielungs- und Konnotationsreichtum zu he- ben. Am Beispiel der Arachne-Episode sollte die mögliche Fülle von Deu- tungsmöglichkeiten exemplarisch aufgezeigt werden; der Verfasser ist sich völlig bewusst, dass dies an der Schule in dieser Intensität nicht möglich ist. Was wir den Schülern aber vermitteln können, ist, erstens, dass es bei der Lektüre Ovids eine Menge zu entdecken gibt, und zweitens, dass es nicht die eine richtige Interpretation gibt – es gibt nur mögliche Annähe- rungen an den intendierten Sinn, die alle willkommen sind, wenn sie gut begründet werden; das setzt Wissen voraus, bereitet aber auch große Freu- de. Ovid ist, anders als sein Ruf des frivolen und leichtfertigen Liebesleh- rers, ein Moralist,47 der in den Metamorphosen wie auch in den Fasti das Mythische mit aktueller Zeitgeschichte auflädt und offizielle augusteische Geschichts- bzw. Mythennarrative subtil und investigativ hinterfragt. Eine Reise mit den Schülern in diese Gefilde ist ein so spannendes wie lohnen- des Unterfangen.

46 Luck (1961) 197: »Seine Belesenheit ist schier unbegrenzt, sein Gedächtnis erstaunlich. Ovid ist einer der gebildetsten Menschen der Augusteischen Zeit; er ist auch in der Kunstgeschichte bewandert.« 47 Vgl. Luck (1961) 198: »Und doch ist Ovid auf seine Art ein Moralist.« Vgl. auch Eberle (1966) 94ff.: »Ovid als Moralist«.

56 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christoph Riedweg

Eine Religion für Frauen, Sklaven und Kinder? Zum Frauenbild der antichristlichen Polemiker des 2.–4. Jh. n.Chr.

Einleitung

Gerade in Zeiten der Verunsicherung und tiefgreifender gesellschaftlicher Umbrüche ist es lehrreich, die eigene kulturelle Prägung einmal aus der Außenperspektive in den Blick zu nehmen. Das Frühchristentum bietet dafür ein ideales Fallbeispiel.1 In der Peripherie des damaligen römischen Weltreiches entstanden, war es für Außenstehende zunächst kaum vom Judentum zu unterscheiden. Dieses hatte sich schon länger über das paläs- tinensische Kernland hinaus verbreitet, mit dem hellenistischen Alexan- drien als einem der wichtigsten kulturellen Hotspots: In dieser von Alexander dem Großen gegründeten Stadt am westlichen Rand des Nil- deltas wurde nicht nur das Alte Testament erstmals auf Griechisch über- setzt,2 sondern es kam in den letzten drei Jahrhunderten v.Chr. überhaupt zu einer erstaunlich weitgehenden Verschmelzung der jüdischen Traditi- on mit dem griechischen Denken, insbesondere der platonischen Philoso- phie.3 War bereits das Judentum mit dem für das polytheistische Umfeld schwer akzeptierbaren exklusiven Monotheismus als zentralem Distinkti- onsmerkmal wiederholt auf mehr oder weniger scharfe Ablehnung bis hin zu Pogromen gestoßen, so wurde das Frühchristentum dadurch, dass es sich dank der von Paulus angeregten Lockerung der Gesetzesobservanz rasch weit über die ursprünglichen geographischen und ethnischen Gren-

1 Ausführlicher zum Folgenden Riedweg (2019). Der vorliegende Beitrag schließt insofern an diesen – aus einem 2018 am Bundeskongress des Deutschen Altphilologenverbandes »Polis Europa: Latein und Griechisch verbinden« in Saarbrücken gehaltenen Vortrag her- vorgegangenen – Artikel an, als Frau Marianne Illi-Schraivogel mich damals gleich nach dem Vortrag zur XXIX. Sommerakademie in Überlingen eingeladen hat. 2 Nach der von Legenden umrankten Anzahl der Übersetzer Septuaginta genannt. 3 Als herausragende Beispiele sind Aristobulos, von dem lediglich wenige Fragmente er- halten sind, und Philon von Alexandrien zu nennen, dessen philosophisch-exegetische Schriften zu einer der wichtigsten Anregungen für die frühchristlichen Intellektuellen wurden; vgl. u.a. Runia (1993) sowie das siebte Kapitel »Philosophie im hellenistischen Judentum« in Riedweg/Horn/Wyrwa (2018) 707–765.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 57 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christoph Riedweg zen hinaus verbreiten konnte, innerhalb relativ kurzer Zeit zu einem viel akuteren Problem für die Gesellschaft des Imperium Romanum, so globali- siert und multikulturell dieses auch gewesen sein mag. Frühe Zeugnisse für die schweren Irritationen, die das Christentum bei der griechisch-rö- mischen Elite je länger desto mehr auslöste, sind die Qualifizierung des Christentums als einer exitiabilis superstitio in den Annalen des Tacitus (15,44,3) oder auch Plinius’ Anfrage an Kaiser Trajan, in der – bereits um 111/113 n.Chr. – von der enorm gewachsenen Zahl von Christen jeden Al- ters, Standes und Geschlechts (utriusque sexus) und von der Ansteckungs- gefahr berichtet wird, die von diesem gleichermaßen Städte, Dörfer und das Land kontaminierenden »Aberglauben« ausgehe (Epist. 10,96,9 f.). Besonders aufschlussreich für die zunehmenden Spannungen im sozia- len Gefüge sind ohne Zweifel die leider nur sehr fragmentarisch auf uns gekommenen antichristlichen Streitschriften aus der Feder dreier Platoni- ker: die um 177–180 entstandene Wahre Rede (Ἀληθὴς λόγος) eines sonst gänzlich unbekannten Kelsos,4 das ursprünglich 15 Bücher umfassende, von Kaiser Konstantin später per Dekret verbotene Werk Gegen die Chris- ten (Κατὰ Χριστιανῶν) des Plotinschülers Porphyrios von Tyros (233/4– 301/5)5 sowie die im Winter 362/3 in Antiochien von Kaiser Julian verfass- te Schrift Gegen die Galiläer (Κατὰ Γαλιλαίων).6

I. Kelsos von Alexandrien

Dem Thema der XXIX. Sommerakademie gemäß soll im Folgenden der Schwerpunkt auf das Frauenbild dieser drei scharfzüngigen Polemiker ge- legt werden. Als besonders ergiebig erweist sich dabei – wenig überra- schend – Kelsos’ Pamphlet, das dank der vielen wörtlichen Zitate in Orig- enes’ Widerlegung vergleichsweise gut rekonstruierbar ist. Das griechische Wort für Frau γυνή begegnet erstmals im Zusammenhang mit Jesu Ge- burt, deren wahre Geschichte Kelsos7 in aufklärerischem Furor gegen die Evangelien, insbesondere Lukas, an dieser Stelle aufzeigen will (fr. 1,28–39 Bader): Jesu Mutter war alles andere als von vornehmer Abstammung,

4 Vgl. u.a. Whittaker (1994) 255 f.; Lona (2005); Arnold (2016) 1–3; Zambon (2019). 5 Vgl. Becker (2016). 6 Vgl. Masaracchia (1990); Riedweg (2016) LXXXV–CVIII mit den Ergänzungen in Ried- weg (2017 a) 941–944 und Riedweg (2020 a) 259–262. 7 Bzw. der von ihm in einer προσωποποιία eingeführte jüdische Gesprächspartner, den Kel- sos von 1,28 bis zum Schluss von Buch 2 das Wort führen lässt.

58 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Eine Religion für Frauen, Sklaven und Kinder? sondern vielmehr eine »einheimische Frau« aus einem jüdischen »Fle- cken« – man beachte die Verwendung von κώμη anstelle von Lukas’ geho- beneren πόλις – und »arme Handarbeiterin«, die nicht einmal in der Nachbarschaft jemand gekannt habe. Von ihrem Mann, Zimmermann von Beruf, sei sie beim Ehebruch mit einem Soldaten namens Panthera er- tappt und verstoßen worden – mit entsprechenden Folgen für Mutter und Kind: Maria »irrt« in Kelsos’ Darstellung sozusagen als Obdachlose »ehrlos umher und gebiert« Jesus qua uneheliches Kind »heimlich«. Die soziale Ächtung setzt sich dann im Leben des Sohnes entsprechend fort: Auf- grund materieller Not (πενία) muss Jesus »sich nach Ägypten verdingen«. Und was lernt er dort? Er kommt mit magischen Kräften in Berührung (δυνάμεών τινων πειραθείς), für die Ägypten berühmt ist.8 Mit anderen Worten: Magie ist sein eigentliches Handwerk, darauf bildet er sich nach seiner Rückkehr viel ein und erklärt sich deswegen kurzerhand selbst zu Gott (καὶ δι’ αὐτὰς θεὸν αὑτὸν ἀνηγόρευσε).9 An einer späteren Stelle kommt Kelsos kurz auf Jesu Genealogie zurück und betont die Dreistigkeit, mit der sein Geschlecht in den Evangelien über die jüdischen Könige zurück bis auf Adam zurückgeführt werde: Hätte Jesus eine so noble Ahnenreihe, wäre »die Frau des Zimmermanns« (ἡ τοῦ τέκτονος γυνή) darüber gewiss nicht in Unkenntnis geblieben (fr. 2,32 b Bader). Auch die späteren antichristlichen Polemiker setzen sich kritisch mit den neutestamentlichen Angaben zu Jesu Abstammung aus- einander, tun dies jedoch, aus den spärlichen Zeugnissen zu schließen, in stärker philologischer Weise: Bibelfest, wie Porphyrios war, diagnostiziert er zu Recht einen Fehler in Mth. 1,11 (fr. 52T. und 53T. Becker).10 Er scheint sich auch mit Lukas’ Stammbaum von Jesus beschäftigt zu haben (fr. 54T. Becker), dessen Widersprüche zu demjenigen bei Matthaios spä- ter auch Julian bloßlegte (Contra Galilaeos 1, fr. 62,27–30 und 2, fr. 90 Ma- saracchia). Es gehört allgemein zur Strategie des Kelsos in Buch 1 und 2, die von Jesus in den Evangelien berichteten Wundertaten als etwas ganz Gewöhnli- ches darzustellen (κοινοποιῆσαι … τὰ τεράστια, wie ihm Origenes in 2,49 vorwirft): Zu solchen Wunderzeichen seien heidnische Magier und Schar- latane genauso wenn nicht sogar besser imstande (fr. 2,49). Das gilt in sei- nen Augen insbesondere im Hinblick auf die Auferstehung (fr. 2,55):

8 Vgl. auch 1,68; Lona (2005) 99 mit Anm. 429. 9 Vgl. zu Vergöttlichung u.a. schon Plin. Epist. 10,96,7 carmenque Christo quasi deo dicere. 10 Vgl. den Kommentar von Becker (2016) 326 f. zu fr. 52T.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 59 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christoph Riedweg

Auch um Zalmoxis (bzw., bei Origenes, Zamolxis), Pythagoras, Rampsini- tos, Orpheus, Protesilaos, Herakles und Theseus rankten sich solche My- then. Zu prüfen sei jedoch, ob irgendeiner je wahrhaftig gestorben und mitsamt dem Leib auferstanden sei – die Auferstehung des Leibes erschien den heidnischen Philosophen seit der Areopagrede als besonders absurde Lehre.11 »Wer«, fragt Kelsos unter Anspielung auf die biblischen Berichte über Erscheinungen Jesu nach seinem Tod, »wer hat dies gesehen? Eine verrückte Frau, wie Ihr sagt« – gemeint ist Maria Magdalena, aus der Jesus laut Mk. 16,912 früher sieben Dämonen ausgetrieben hatte und die gemäß Joh. 20,16 dem Auferstandenen begegnet ist –, »und falls sonst jemand aus derselben Zauberei stammt oder träumerisch veranlagt ist und willentlich in verirrter Meinung halluziniert, was schon Unzähligen passiert ist, oder – noch eher – weil er die anderen durch diese Zauberei verblüffen und durch eine solche Lüge anderen Gauklern eine Gelegenheit verschaffen wollte.« Mit einem Wort, die ganze Auferstehungsgeschichte ist aus Kel- sos’ Sicht erstunken und erlogen, und Kronzeugin dafür ist eine geistig ab- norme Frau (γυνὴ πάροιστρος).13 Noch schärfer und grundsätzlicher tritt der misogyne Zug des Kelsos ab fr. 3,44 zu Tage, wo die Frauen als schwaches und leicht beeinflussbares Geschlecht zusammen mit Ungebildeten, Sklaven und Kindern zur Hauptzielscheibe christlicher Bekehrungsversuche erklärt werden. Unter Rekurs auf Christen, deren Position der hochgebildete Origenes als mino- ritär und der Lehre Jesu widersprechend entschieden ablehnt,14 unterstellt Kelsos dem Christentum generell Bildungsfeindlichkeit und Antiintellek- tualismus: »Kein einziger, der gebildet ist, soll [sc. zu uns] kommen, kein Weiser, kein Vernünftiger, denn dies gilt als schlecht bei uns. Wenn aber einer nichts gelernt hat (ἀμαθής), wenn einer frei von Verstand (ἀνόητος), wenn einer ungebildet (ἀπαίδευτος), wenn einer ahnungslos wie ein Baby (νήπιος) ist, dann soll er beherzt kommen!« Aus dieser von einem »fikti-

11 Vgl. jetzt allgemein zur Auferstehung Cook (2018). 12 Vgl. Lk. 8,2. 13 In fr. 5,52 wird im Rahmen einer concessio, dass Jesus ein Engel gewesen sein könnte, auf einen bzw. zwei Engel (den Widerspruch zwischen Mth. 28,2–5 und Lk. 24,4/Joh. 20,12 lässt Kelsos en passant genüsslich anklingen) am Grab hingewiesen, die »den Frauen« (ταῖς γυναιξίν) geantwortet hätten, dass er auferstanden sei. Vgl. zum Thema auch Porph. fr. 61T. Becker De diversitate adventus mulierum ad monumentum, quae vide- tur in evangelistis esse, unde et Porphyrius irridet eos. 14 3,44 τὰ ὑπὸ ὀλίγων πάνυ παρὰ τὴν διδασκαλίαν Ἰησοῦ λεγόμενα νομιζομένων Χριστιανῶν, οὐ φρονιμωτέρων, ὡς οἴεται, ἀλλ’ ἀμαθεστάτων φέρων κτλ.

60 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Eine Religion für Frauen, Sklaven und Kinder? ven christlichen Gemeindeleiter«15 vorgetragenen Haltung leitet Kelsos ab, »dass sie allein die Toren (ἠλιθίους), dem Pöbel Angehörigen (ἀγεννεῖς) und Stumpfsinnigen (ἀναισθήτους) sowie Sklaven, Frauchen (γύναια) und Kindlein (παιδάρια) für ihre Sache gewinnen wollen und können (πείθειν ἐθέλουσί τε καὶ δύνανται)« (fr. 3,44). Dabei sei Bildung doch im Gegenteil sehr wohl nützlich, um Gott zu erkennen und zur Wahrheit zu gelangen (fr. 3,49). Denselben verächtlichen Diminutiv »Frauchen, Weiblein« (γύναιον) verwendet Kelsos in fr. 3,55, wo er ihnen explizit den Besitz von Verstand abspricht und sie erneut den Kindern zuordnet (γυναίων τινῶν σὺν αὐτοῖς [sc. παισί] ἀνοήτων). Den Gegensatz zu dieser häuslichen Einheit bilden »Vater und Lehrer«:16 In deren Gegenwart, so Kelsos in diesem für das so- zialrevolutionäre Potential des Frühchristentums besonders erhellenden Fragment,17 wagten die aus den tiefsten Schichten stammenden,18 »höchst ungebildeten und bäurischen« (ἀπαιδευτοτάτους καὶ ἀγροικοτάτους) Chris- ten keinen Laut von sich zu geben, während sie ihnen im Privatgespräch – unter der Voraussetzung, dass die Kinder sich vom Vater und den Lehrern lossagten – das Blaue vom Himmel herunter versprächen und sie in das Frauengemach (γυναικωνῖτις) oder die Schusterei oder die Walkerei einlü- den, damit sie den Höhepunkt der Unterweisung (τὸ τέλειον) erhielten. Noch misogyner äußert sich der heidnische Gesprächspartner Caecilius in dem mehr oder weniger zeitgleichen Dialog Octavius des Minucius Felix (8,4), wenn er den Christen unterstellt, sie hätten ihre Anhänger »aus dem tiefsten gesellschaftlichen Bodensatz« gewonnen (de ultima faece collectis), und dabei neben den »ziemlich Einfältigen« (imperitioribus)19 die »leicht- gläubigen Frauen« hervorhebt, deren Tendenz zum Straucheln auf die

15 Lona (2005) 184. Bildungsfeindliche Christen konnten sich u.a. auf Mth. 5,3 μακάριοι οἱ πτωχοὶ τῷ πνεύματι, ὅτι αὐτῶν ἐστιν ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν oder 1. Kor. 1,18–25 beru- fen. 16 In fr. 3,50 stehen »die Jungspunde« (μειράκια), der »Haufe von Sklaven« (οἰκοτρίβων ὄχλος) und die »Gruppe vernunftfreier Menschen« (ἀνοήτων ἀνθρώπων ὅμιλος) »den Leuten auf den Marktplätzen« (τοὺς ἐν ταῖς ἀγοραῖς) und der »Versammlung verständi- ger Männer« (φρονίμων ἀνδρῶν σύλλογον) gegenüber, wo sich die Christen nie hinzuge- hen und sich zu exponieren wagen würden; vgl. ähnlich auch schon Plat. Grg. 485 d5– e1. 17 Vgl. Riedweg (2019) 457 f. 18 Kelsos spricht von Wollfärbern, Schustern und Walkern. 19 Vgl. auch den Vorwurf des Porphyrios, dass die Apostel die Einfalt und Unerfahrenheit der Zuhörenden ausnutzten (fr. 72T. Becker).

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 61 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christoph Riedweg

Schwäche ihres Geschlechts zurückgeführt wird (mulieribus credulis sexus sui facilitate labentibus). Genderaspekte klingen auch in Kelsos’ Kritik an der biblischen Anthro- pogonie in der Genesis an, die er als ganz und gar unplausible, in sich völ- lig unstimmige Erzählung abtut. Ein Mensch, der von den Händen Gottes geschaffen und beatmet wird – etwas, das für einen Platoniker wie Kelsos undenkbar ist, überlässt doch Platon im Timaios diese Aufgabe aus ontolo- gischen Gründen den vom göttlichen Demiurgen geschaffenen unterge- ordneten Gottheiten20 –, das »Weiblein« (γύναιον), das aus der Flanke des Mannes hervorgeht, die Gebote Gottes, die Schlange, die gegen letztere agitiert und die Oberhand gewinnt: Das alles ist laut Kelsos bestenfalls ein »Märchen für alte Frauen« (μῦθόν τινα ὡς γραυσὶ διηγούμενοι) und vermit- telt in seinen Augen ein ganz und gar unfrommes Gottesbild, das eklatant gegen die Idee der göttlichen Allmacht verstößt – »nicht einmal einen ein- zigen Menschen, den er erschaffen hatte, vermochte er zu überzeugen« (fr. 4,36). Julian wird später in seiner Gegenüberstellung von Genesis und Ti- maios spezifisch anhand der ersten Frau die Unstimmigkeit der jüdischen Erzählung aufspießen (Contra Galilaeos 1, fr. 13 Masaracchia), in der sich Eva, die Gott eigentlich als »Helferin« für den Mann erschaffen wollte (Gen. 2,18), vielmehr als das Gegenteil herausstellt, wenn sie ihn täuscht und zur Mitursache für den Fall aus dem Paradies wird – nichts zeigt in Julians Augen den Märchencharakter dieser Erzählung deutlicher (ταῦτα γάρ ἐστι μυθώδη παντελῶς), denn wie könnte Gott nicht gewusst haben, dass das, was von ihm zur Hilfe geschaffen wurde, sich in Wahrheit als Unheil für den Empfänger erwies? Im Rahmen seiner philosophischen Auseinandersetzung mit der christ- lichen Gotteslehre und Christologie äußert sich Kelsos in fr. 6,73 noch- mals zur Jungfrauengeburt, und zwar in einer Weise, die über die platoni- sche Perspektive der strikten ontologischen Differenz zwischen dem Be- reich des Göttlichen und dem des irdischen Werdens hinaus nochmals ein Licht auf sein tendenziell negatives Frauenbild wirft: Falls Gott, was hier im Sinne einer concessio zugestanden wird, »Geisthauch aus sich selbst he- raus« auf die Erde hinunterschicken wollte, warum musste er diesen dann ausgerechnet »in den Schoß einer Frau hineinhauchen«? Schließlich ver- stand er sich ja gemäß Mose darauf, Menschen zu erschaffen. Er hätte da-

20 Bei einer Erschaffung durch den Weltdemiurgen selbst wären auch die menschlichen Körper unsterblich; vgl. Julian Contra Galilaeos 1, fr. 10 Masaracchia; allgemein Ried- weg (2020 b) 252 f. und 260.

62 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Eine Religion für Frauen, Sklaven und Kinder? her, so weiter Kelsos, besser »um diesen [sc. Geisthauch] herum einen Leib geformt« statt »den eigenen Geisthauch in eine derart große Befle- ckung hineinzuwerfen« (εἰς τοσοῦτον μίασμα ἐμβαλεῖν). Hier ist gewiss auch an die Menstruation gedacht, die wie die Geburt in der Antike allge- mein als Befleckung galt, welche vom Bereich des Göttlichen prinzipiell getrennt zu halten war und nach Reinigung verlangte.21 Dass das gewöhnliche menschliche Leben – mit dem Heranwachsen bis ins Mannesalter, der Verheiratung mit einer Frau (ἄγεσθαι γυναῖκα), dem Kinderbekommen, der Nahrungszufuhr usw. – in den Bereich der tieferen Gottheiten fällt und der Kontakt mit diesen δαίμονες, so heftig sie von den Christen auch abgelehnt werden, für den Mensch daher prinzipiell unaus- weichlich ist, macht Kelsos in fr. 8,55 deutlich, wenn er die Christen vor die Wahl stellt, entweder auf all diese Aspekte des menschlichen Lebens zu verzichten und, ohne Nachwuchs zu hinterlassen, schleunigst von der Erde zu verschwinden oder dann auch diesen Gottheiten die ihnen ange- messenen Ehren zu erweisen und die geschuldete Dankbarkeit zu zeigen. Ein positiveres Bild der Frau klingt bei Kelsos einzig im Hinblick auf heidnische Prophetinnen und göttlich ergriffene Frauen an, die dank des segensreichen Wirkens ebendieser δαίμονες nicht anders als ihre männli- chen Pendants mit gotterfüllter Stimme die Zukunft vorhergesagt und den Menschen enorm geholfen hätten (fr. 8,45).22

II. Porphyrios von Tyros

Aus dem Trümmerfeld der von christlicher Seite offenkundig als äußerst brisant eingestuften Schrift des Porphyrios Gegen die Christen23 ragen zwei Fragmente heraus, die für unsere Frage sehr lehrreich sind. In fr. 70F. Becker bezeichnet Porphyrios die ersten Christen als »bäurische arme Schlucker« (homines rusticani24 et pauperes), die, »weil sie nichts hatten«, sich auf Magie verlegten und Zeichen wirkten, was Porphyrios ähnlich wie vor ihm Kelsos unter Hinweis auf ägyptische Magier, auf Apollonios

21 Vgl. Parker (1983) 32–73. 22 Τί δεῖ καταλέγειν ὅσα ἐκ χρηστηρίων τοῦτο μὲν προφῆται καὶ προφήτιδες τοῦτο δὲ ἄλλοι κάτοχοι καὶ ἄνδρες καὶ γυναῖκες ἐνθέῳ φωνῇ προεῖπον; 23 Nur so erklärt sich, dass einzig bei dieser bereits von Konstantin die Verbrennung ange- ordnet wurde; vgl. Riedweg (2017 b) 60. 24 Im Griechischen wohl ἄγροικοι, vgl. oben Kelsos fr. 3,55.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 63 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christoph Riedweg und Apuleius als nichts Außergewöhnliches abtut.25 Hieronymus, dem wir das Fragment verdanken, fährt in einer rhetorischen concessio fort: »Ich gestehe Dir, Porphyrios, zu, dass sie mit magischen Künsten Zeichen wirkten, um Reichtümer von den vermögenden Weiblein (mulierculis26), die sie verleitet hatten, zu erlangen – dies nämlich sind Deine Worte«. Auch hier werden die Frauen in einer Opferrolle gesehen, wobei es sich jetzt freilich um reiche – und das heißt gewiss auch: vornehme – Frauen handelt, die von den missionierenden Christen gezielt angegangen und um ihren Reichtum gebracht werden. Tatsächlich hören wir schon im Neuen Testament von vornehmen Frauen unter den ersten Christen.27 Dass der bedeutende Einfluss von Frauen in der frühchristlichen Ge- meinde von Porphyrios mit Irritation vermerkt wurde, lässt ein weiteres durch Hieronymus auf uns gekommenes Zeugnis erkennen (fr. 81T. Becker). Aus seiner Auslegung von Jes. 3,12 populum meum exactores sui spoliaverunt, et mulieres dominatae sunt eis zieht Hieronymus die Schlussfol- gerung, dass wir uns hüten sollten, »Geldeintreiber (exactores) im Volk zu sein«, und paraphrasiert anschließend eine Äußerung des Porphyrios: »nicht dass dem gottlosen Porphyrios zufolge Gattinnen und ›Frauen‹ un- ser Senat sind, die in den Kirchen ›die Herrschaft ausüben‹, und über den Priesterrang entscheidet [sc. dann] die Huld der Frauen«. Das eigentliche Zitat dürfte sich m.E. auf matronae [et mulieres] sint noster senatus beschrän- ken,28 während der daran anschließende Relativsatz quae ›dominantur‹ in ecclesiis et de sacerdotali gradu favor iudicat feminarum wohl eher von Hie- ronymus hinzugefügt wurde: Jedenfalls verweist dieser Teilsatz mit domi- nantur unverkennbar auf die genannte Jesaiastelle zurück, wo Hierony-

25 non est autem grande facere signa. nam fecerunt signa et in Aegypto magi contra Moysen. fecit et Apollonius, fecit et Apuleius: et infinita signa fecerunt; vgl. oben Kap. I. zu fr. 2,49 Bader. 26 Das lateinische Pendant zum despektierlichen griechischen Diminutiv γύναιον. 27 Apg. 17,4 καί τινες ἐξ αὐτῶν ἐπείσθησαν καὶ προσεκληρώθησαν τῷ Παύλῳ καὶ τῷ Σίλᾳ, τῶν τε σεβομένων Ἑλλήνων πλῆθος πολὺ γυναικῶν τε τῶν πρώτων οὐκ ὀλίγαι; 17,12 πολλοὶ μὲν οὖν ἐξ αὐτῶν ἐπίστευσαν, καὶ τῶν Ἑλληνίδων γυναικῶν τῶν εὐσχημόνων καὶ ἀνδρῶν οὐκ ὀλίγοι; vgl. auch 17,34 τινὲς δὲ ἄνδρες κολληθέντες αὐτῷ ἐπίστευσαν, ἐν οἷς καὶ Διονύσιος ὁ Ἀρεοπαγίτης καὶ γυνὴ ὀνόματι Δάμαρις καὶ ἕτεροι σὺν αὐτοῖς; allgemein zu den Frauen in der alten Kirche Markschies (22012) 240–243 und Leppin (2018) 145– 158 sowie die weiterführende Literatur bei Riedweg (2019) 458 Anm. 49. 28 Für Porphyrios wäre dann zu schreiben: matronae sunt vester senatus (et mulieres könnte Hieronymus aus Vulgata Jes. 3,12 ergänzt haben). Becker, der lediglich von einem Testi- monium spricht, geht ohne weiteres davon aus, dass auch der Relativsatz im gedankli- chen Kern auf Porphyrios zurückgeht (vgl. 85 sowie 433 ad loc. »Außerdem belegt das Testimonium, dass Porphyrios über innerkirchliche Hierarchien seiner Gegenwart Be- scheid wusste sowie über die führende Stellung von Priestern und Bischöfen«).

64 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Eine Religion für Frauen, Sklaven und Kinder? mus die in der Version des Symmachus und der Vulgata enthaltenen »Frauen« (mulieres)29 metaphorisch auf die aus Genusssucht das Volk schröpfenden Schriftgelehrten und Pharisäer bezogen hatte. Auch in die- ser reduzierten Form ist das Fragment ein wichtiges Zeugnis für die Füh- rungsfunktion, die Frauen seit den Anfängen in den urchristlichen Ge- meinden ausübten – man denke nur an Phoibe, die Paulus im Römerbrief 16,1 als »Diakonin« (διάκονος)30 der Kirche in Kenchreai und »Fürsorgerin vieler und meiner selbst« (προστάτις πολλῶν ... καὶ ἐμοῦ αὐτοῦ) bezeichnet, oder an Andronikos und Junia, von denen es in Rm. 16,7 heißt, sie seien »angesehen unter den Aposteln« (ἐπίσημοι ἐν τοῖς ἀποστόλοις) und hätten schon vor Paulus zu Christus gehört.31 Porphyrios hat sich gewiss auch sonst in seiner mit 15 Büchern sehr umfangreichen antichristlichen Streitschrift über die Rolle der Frau im Frühchristentum geäußert, doch fehlt es von den in Kap. I. erwähnten Fragmenten fr. 52T.–54T., 61T. sowie 72T. Becker32 abgesehen an Zeug- nissen. Umso dankbarer ist man dafür, dass Porphyrios in der Orakelphilo- sophie eine Orakelanfrage an Apollon überliefert, die ebenfalls als Indiz da- für gesehen werden kann, dass Frauen auf die neue Religion besonders gut angesprochen haben. Ein Ehemann möchte von Apollon wissen, wel- chen Gott er besänftigen soll, um seine Frau vom Christentum zurückge- winnen zu können (fr. 343F. Smith). Apollon zeigt sich in ›seiner‹ Ant- wort desillusioniert und unterstreicht die Aussichtslosigkeit des Unterfan- gens: »Leichter könntest Du vermutlich Buchstaben in Wasser einprägen und [sc. mit ihnen] schreiben bzw. leichte Federn aufblasen und als Vogel durch die Luft fliegen, als dass Du den Sinn der besudelten, gottlosen Gat- tin zurückgewinnst (quam pollutae revoces impiae uxoris sensum). Soll sie doch fortfahren, wie sie will, und bei ihren eitlen Trugschlüssen verblei- ben und wehklagen, wenn sie den durch Trug toten Gott besingt – ihn, der dank Richtern, die richtig urteilten, zugrunde ging und den der schlimmste Tod in der Blüte seiner Jahre, mit Eisen gefesselt, getötet hat«. Soweit die von Porphyrios in Prosa wiedergegebenen Verse des Orakel-

29 Vgl. Hieron. In Is. 2,3,12: pro mulieribus, quas solus interpretatus est Symmachus, et hebraice dicuntur nasim, Aquila et LXX transtulerunt ἀπαιτοῦντας, qui significant exactores, Theodotio δανειστὰς, id est feneratores. 30 Vgl. dazu auch Plin. Epist. 10,96,8 (unten am Ende von Kap. III.). 31 Vgl. Leppin (2018) 145–147. 32 Vgl. außerdem auch fr. 75T. Becker, das vermuten lässt, »dass sich Porphyrios in Contra Christianos mit der Semantik der Begriffe ›Frau‹ (γυνή) und ›Jungfrau‹ (παρθένος) aus- einandergesetzt hat« (Becker 2016, 405).

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 65 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christoph Riedweg gotts. In der anschließenden Auslegung hebt der Longin- und Plotinschü- ler die unheilbare Borniertheit der Anhänger Jesu und den höheren Rang der jüdischen Gottesauffassung gegenüber der christlichen hervor. Die Anfrage des verzweifelten Ehemanns ist auf jeden Fall ein besonders an- schauliches Zeugnis für die gewaltigen familiären Spannungen, die die Konversion eines Ehepartners auslösen konnte.33

III. Kaiser Julian

Von Kaiser Julians drei Bücher umfassender Schrift Gegen die Galiläer34 lässt sich das erste, der Auseinandersetzung mit dem Alten Testament ge- widmete Buch in den Hauptlinien der Argumentation weitgehend rekon- struieren, da Kyrill, der Patriarch von Alexandrien, in seiner Widerle- gungsschrift Gegen Julian ausgiebig daraus zitiert. Von einem, für unsere Frage besonders wichtigen Fragment abgesehen35 wird das Thema Frauen dabei jeweils von den erläuterten Bibelstellen vorgegeben. Wie schon in der Genesis36 erscheint auch in Numeri 25,11 die Frau als Verführerin (1, fr. 33 Masaracchia): Es war eine (Madianitische) Frau, die den Israeliten Zambri davon überzeugt hatte, sich dem Lokalgott Beelphegor zu weihen. Dass die äußerst brutale Racheaktion des Phinees, der »sie beide, den israe- litischen Mann und die Frau, durch ihren Mutterschoß, durchbohrte«, Jahwes Zorn besänftigte, empört den ursprünglich christlich aufgewachse- nen, dann jedoch zu einem neuplatonisch fundierten Polytheismus be- kehrten Kaiser,37 denn die mosaische Erzählung vermittelt aus seiner Sicht ein höchst problematisches, anthropomorphes Gottesbild, das in eklatan- tem Widerspruch zu den Leitlinien einer philosophisch reflektierten Theologie steht, wie sie Platon im Staat skizziert.38 Selbst der weiseste der Hebräer, Salomon, der aus Julians Sicht gegen- über heidnischen Pendants wie Phokylides, Theognis oder Isokrates un- endlich inferior ist, »ließ sich, wie sie selbst sagen, von der Frau (ὑπὸ τῆς

33 Vgl. auch Just. 2. Apol. 2. 34 Dies Julians konsequent verwendete verächtliche Bezeichnung der Christen, vgl. Ried- weg (2020 b) 245 mit weiterführender Literatur. 35 1, fr. 48 Masaracchia, siehe am Schluss dieses Kapitels. 36 Vgl. oben Kap. I. zu 1, fr. 13 Masaracchia. 37 Vgl. Riedweg (2018) 1396 mit weiteren Literaturangaben. 38 Vgl. Plat. Rep. 2, 379 a–383 a; Riedweg (1999) 64 und 74–77; Cook (2004) 302–307.

66 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Eine Religion für Frauen, Sklaven und Kinder?

γυναικός)39 täuschen und diente unseren Göttern« (1, fr. 54 Masaracchia), was Julian zum sarkastischen Ausruf bewegt: »O Größe der Tugend, o Reichtum der Weisheit! Er wurde der Lust nicht Herr, und Frauenworte (γυναικὸς λόγοι) haben ihn verführt. Wenn er als von einer Frau getäuscht wurde, dann nennt ihn nicht weise. Wenn Ihr aber überzeugt seid, dass er weise ist, dann glaubt nicht, dass er von einer Frau getäuscht wurde, son- dern eigenem Urteil, Einsicht und der Lehre des ihm erschienenen Gottes gehorchte er und diente [sc. infolgedessen] auch den anderen Göttern«. Denn, so Julian weiter, Neid und Eifersucht seien mit Engeln und Göttern gänzlich unvereinbar. Die Argumentation lässt keinen Zweifel an Julians grundsätzlich nega- tivem Frauenbild, wie es für weite Teile der antiken Welt (unter Ein- schluss der Bibel) charakteristisch war. Tugend und Weisheit eines Man- nes ruhen Julians philosophischen Ideal gemäß in sich selbst und lassen sich durch keine niederen Instinkte, wie sie hier mit der Lust (ἡδονή) an- gedeutet werden, auf die schiefe Bahn bringen. Umgekehrt müsste Julian Salomons Hinwendung zu den heidnischen Göttern eigentlich begrüßen: Falls sie wirklich stattgefunden hat, kann sie in seinen Augen aber nur die natürliche Folge eigener Reflexion und direkter Unterweisung durch das Göttliche sein – eine Erfahrung, wie sie der Philosophenkaiser bei seiner Rück-Konversion an sich selbst erlebt hatte. Zum Beweis dafür, dass auch Mose die Engel Götter nannte und somit neben dem einen Gott ebenfalls eine stattliche Zahl weiterer Gottheiten kannte, führt Julian in 1, fr. 67 f. Masaracchia eine Stelle aus der Genesis an, wo die »Söhne Gottes«, die sich die schönen »Töchter von Menschen« zu Frauen nehmen (ἔλαβον ἑαυτοῖς γυναῖκας ἀπὸ πασῶν, ὧν ἐξελέξαντο), mit diesen zusammen die Giganten erzeugen (Gen. 6,2 und 4). Da Mose also explizit von den laut Julian mit Engeln zu identifizierenden vielen »Gottessöhnen«, rede, warum habe er dann, wenn er, wie die Christen möchten, »das eingeborene Wort Gottes bzw. den Sohn Gottes – oder wie immer Ihr ihn nennt – erkannt hat, diesen nicht den Menschen kundge- tan?« Schon in 1, fr. 62 Masaracchia hatte Julian entschieden in Abrede ge-

39 Der Singular ist gegenüber dem Plural von LXX 3. Reg. (1. Reg.), 11,4 beschönigend: καὶ ἐξέκλιναν αἱ γυναῖκες αἱ ἀλλότριαι τὴν καρδίαν αὐτοῦ ὀπίσω θεῶν αὐτῶν (insofern wäre eventuell sogar zu überlegen, ob nicht ursprünglich bei Julian der Plural stand; anderer- seits reicht in Julians negativem Frauenbild auch schon der Singular, um Salomon zu desavouieren).

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 67 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christoph Riedweg stellt, dass es irgendeine Äußerung des Moses gebe, die auf Jesu Geburt und sein Hervorgehen aus Maria verweise. Als passive Objekte männlichen Handelns wie in 1, fr. 67 f. Masaracchia erscheinen Frauen auch in Julians sarkastischer Auslegung des jesuani- schen Versprechens in Mth. 19,29,40 dass seine Jünger hundertfache Be- lohnung dafür erhielten, wenn sie um Jesu Namen willen alle sozialen Bindungen aufgäben (2, fr. 100 b Riedweg): Falls dies wahr sei, so Julian, würden diejenigen, die zum Glauben an Jesu gelangten und ihre Ehefrau- en um seinetwillen verstießen, wohl hundert anstelle einer einzigen Ehe- frau erhalten… Zum Beleg dafür, dass die Christen sowohl von der heidnischen wie von der jüdischen Tradition lediglich das Schlimmste (τὸ χείριστον41) übernommen haben, verweist Julian in dem für die Genderfrage beson- ders ergiebigen Fragment 1, fr. 48 Masaracchia darauf, dass sie die kulti- schen Reinheitsvorschriften, die die Juden mit den Heiden teilten, verwor- fen hätten, jedoch deren Brutalität gegenüber Andersgläubigen nachahm- ten. Laut Julian zeigt sich dies daran, dass die Christen Tempel und Altä- ren zerstören und nicht nur diejenigen, die an der väterlichen Überliefe- rung festhalten, abschlachten, sondern auch Häretiker, »die nicht in der- selben Weise wie Ihr den Toten beklagen. Aber das sind vielmehr Eure Angelegenheiten«.42 Denn, so weiter Julian, weder Jesus noch Paulus hät- ten den Christen solche Vorschriften überliefert – wie hätten sie dies auch tun sollen, wo sie doch nicht im Traum daran dachten, »dass Ihr je in eine solche Machtposition gelangen würdet: Denn sie waren zufrieden damit, wenn sie Mägde (θεραπαίνας) und Sklaven täuschen könnten und durch diese die Frauen (τὰς γυναῖκας) sowie Männer wie Cornelius43 und Ser- gius44«, die laut Julian von keinem einzigen Zeitgenossen je erwähnt wor- den sind – womit er sagen will, dass sie gesellschaftlich völlig irrelevant waren. Die Christen setzen bei ihrer Missionierung in Julians Augen also ganz gezielt an der sozial tiefsten Stelle, den Sklaven, an, um sich von da aus auf der gesellschaftlichen Skala gewissermaßen nach oben zu arbeiten. Es ist gewiss kein Zufall, dass Julian an dieser Stelle die weiblichen Ver- treter jeweils vor ihren männlichen Entsprechungen anführt (θεραπαίνας,

40 Vgl. auch Lk. 14,26, wo explizit von der »Frau« gesprochen wird. 41 Vgl. 1, fr. 47,12 Masaracchia. 42 Vgl. Cook (2000) 322 f. 43 Laut Apg. 10,1 war Cornelius centurio. 44 Sergius wird in Apg. 13,7 als Prokonsul von Zypern vorgestellt.

68 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Eine Religion für Frauen, Sklaven und Kinder?

γυναῖκας), außerdem bei den Frauen den bestimmten Artikel wählt, ohne einen Namen zu erwähnen, während er von »Männern wie Cornelius und Sergius« spricht, da wirklich bedeutende Männer in seiner durchaus miso- gynen Weltsicht sich im Unterschied zum ›schwachen Geschlecht‹ nie von den üblen Machinationen der Christen hätten täuschen lassen… Zu den Mägden sei im übrigen nochmals auf Plinius’ Christenbrief verwiesen (Epist. 10,96,8), in dem von der Folterung zweier ancillae, die »Diakonin- nen« (ministrae) genannt würden,45 berichtet wird – eine Maßnahme, die aber auch nichts anderes zu Tage gefördert habe, als dass es sich beim Christentum um einen »verkehrten und ungezügelten Aberglauben« handle (nihil aliud inveni quam superstitionem pravam et immodicam).

Zusammenfassung

Das ist alles ohne Zweifel starker Tobak und illustriert eindrücklich, auf welch massive Ablehnung das frühe Christentum in den ersten Jahrhun- derten bei der geistigen Elite des heidnischen Umfelds gestoßen ist. Zur konsequenten Diffamierung gehörte dabei nicht zuletzt die Unterstellung, dass die ersten Christen primär beim ›schwachen Geschlecht‹ Erfolg hat- ten: Frauen waren nebst Sklavinnen und Sklaven sowie Kindern das pri- märe Zielpublikum christlichen Werbens, wenn man den platonischen Polemikern Glauben schenken mag. Die Apostel und ersten Anhänger Je- su werden dabei als ungebildete und mittellose Figuren vorgestellt, die – ähnlich wie schon Jesus selbst – zu Täuschung, Magie und Zaubertricks Zuflucht nehmen mussten, um sich durch eine von ihnen mehr recht als schlecht zusammengezimmerte Religion ein Auskommen zu sichern. Ihre Botschaft konnte daher höchstens bei Bevölkerungsgruppen und -schich- ten verfangen, die nach antiker Einschätzung nicht bzw. noch nicht im Vollbesitz des Verstandes waren.46 Ein positives Frauenbild klingt in den antichristlichen Streitschriften, soweit die trümmerhafte Überlieferung überhaupt ein Urteil erlaubt, höchstens im Zusammenhang mit der heid- nischen Prophetie an. Bei aller polemischen Verzerrung bestätigen die Fragmente der heidnischen Intellektuellen und insbesondere Porphyrios’ Formulierung matronae sunt vester senatus indirekt aber klar die prominen-

45 Vgl. Rm. 16,1 oben in Kap. II. 46 Vgl. allgemein auch Zambon (2019) 161–169.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 69 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christoph Riedweg te Rolle, welche Frauen in den Anfängen des Christentums gespielt ha- ben. Wenn sich allgemein aus der Beschäftigung mit dem paganen Blick auf das Frühchristentum etwas lernen lässt, dann zumindest dies, dass die jü- disch-christliche Tradition nicht schon immer unsere westliche ›Leitkul- tur‹ war – ein Punkt, der in den erregten politischen Debatte unserer Tage nur zu oft vergessen geht. Vielmehr bildeten langwierige, durchaus schmerzhafte Prozesse wechselseitiger Exklusion und zunehmender kultu- reller Assimilation im Innern des globalisierten römischen Weltreiches die unerlässliche Voraussetzung dafür, dass sich diese im Laufe der Zeit zu einer tragenden Säule europäischer Identität entwickeln konnte.

70 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Corinna Reinhardt

Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen: Beispiele aus der römischen Bilderwelt1

Abb. 1: Weibliche Porträtstatue als Omphale, Vati- kan, Museo Gregoriano Profano 4385, frühseve- risch; Foto: © http://arachne.uni-koeln.de/item/mar bilder/705600 mit freundlicher Genehmigung der Vatikanischen Museen

Die Statue einer dem Betrachter frontal gegenüberstehenden, fast nackten Frau gibt dem modernen Betrachter einige Rätsel auf (Abb. 1).2 Ikonogra- phisch führt ihre Ausstattung mit geschulterter Keule und Löwenfell zu- nächst zu Omphale, der Lydierkönigin, in deren Dienst sich Hercules mehrere Jahre begab. Hercules nahm dort immer mehr eine weibliche

1 Dieser Text ist die wenig veränderte und mit kurzen Verweisen versehene Fassung mei- nes Vortrags für die Salemer Sommerakademie 2019. Er soll für die Leserinnen und Le- ser der Reihe Paradeigmata in die aktuelle archäologische Forschung und ihre Perspekti- ven zum Thema der weiblichen (v.a. nichtkaiserlichen) Repräsentation mit Gottheiten und mythischen Heroinen in einer knappen Übersicht einführen. Ich danke Marianne Illi-Schraivogel und Jan Wohlgemuth für ihre freundliche Einladung sowie dem Heraus- geber dieses Bandes, Bernhard Zimmermann. 2 Vatikan, Museo Gregoriano Profano 4385, Datierung: frühseverisch; ausführliche Studie und Einbettung (auch in die literarischen Diskurse zur Omphale und die Veränderung) bei Kampen (1996); Zanker (1999).

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Rolle an, indem er entsprechende Arbeiten verrichtete und Frauenkleider trug. Omphale dagegen nahm die Keule und das Löwenfell als Zeichen seiner männlichen Stärke an sich.3 Die Statue trägt jedoch einen Porträt- kopf mit einer Frisur der severischen Zeit4 und ist damit klar mit einer realen Person verknüpft. Auch das konkrete Motiv der Statue ist nicht selbsterklärend, denn um eine konkrete Erzählung des Mythos oder die reizvolle erotische Beziehung zwischen den beiden mythischen Protago- nisten beim Rollentausch scheint es in dieser Statue anders als bei anderen Bildern5 nicht in erster Linie zu gehen, da Omphale in ruhigem Standmo- tiv dem Betrachter zugewandt ist – wie dies üblicherweise Ehrenstatuen zeigen. Ein Hercules muss hier nicht zwingend ergänzt werden, so dass die Omphale-Römerin alleine für sich steht. Die genannten Phänomene machen vielmehr deutlich, dass es sich um eine Römerin handeln muss, der eine repräsentative Ehrenstatue (wohl im Umfeld eines Grabes) in Ge- stalt der Omphale aufgestellt wurde. Um diese auf den ersten Blick sehr ungewöhnliche Repräsentation zu verstehen, hilft der Blick auf ein in der Kaiserzeit verbreitetes Phänomen. Man verband Porträts von Sterblichen mit Attributen von Gottheiten oder stellte sie sogar in der Gestalt von Göttern oder mythischen Personen dar.6 Den Anfang scheint hierbei das Kaiserhaus gemacht zu haben – Göt- terattribute kommen hier bereits in augusteischer Zeit vor. Ab flavischer Zeit und vor allem ab dem 2. Jahrhundert n.Chr. finden Götterattribute und Götterkörper auch Eingang in die private Repräsentation – in erster Linie im Bereich des Grabes. Dies ermöglichte es, positive Eigenschaften der jeweiligen Frauen in einem repräsentativen Bildnis – etwa als Statue, auf einem Sarkophag oder Grabaltar – zu kommunizieren,7 ohne dabei auf Text in Form von In-

3 Zur literarischen Überlieferung siehe den Überblick bei: LIMC VII (1994) s.v. Omphale 46 (Boardman); 4 Kampen (1996) 233; Zanker (1999) 119. 5 Zur bildlichen Überlieferung siehe u.a. Schauenburg (1960); LIMC VII (1994) s.v. Om- phale 45–53 (Boardman); Kampen (1996); Zanker (1999). 6 Grundlegend zu diesem Phänomen Wrede (1981); zuletzt Borg (2019); siehe auch u.a. D’Ambra (1996); D’Ambra (2000); Alexandridis (2004) (speziell für Frauen des Kaiser- hauses); Zanker/Ewald (2004) 45–50; 193–201; Newby (2011); D’Ambra (2008). Zur Pro- blematik der Deutung auf die Vorstellung einer Divinisation der Verstorbenen/Privat- Apotheose siehe u.a. Zanker/Ewald (2004) 196 f. und zuletzt ausführlich Borg (2019) mit weiterer Literatur und Fokus auf die unterschiedlichen möglichen Lesarten solcher Bild- nisse, wobei die Lesart als bildrhetorisches Mittel das Phänomen zu einseitig reduziere. 7 Etwa Zanker/Ewald (2004) 196 f.

72 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen schriften zurückgreifen zu müssen – auch wenn sich beides nicht aus- schließen musste. Im Folgenden werden die unterschiedlichen bildlichen Konzepte im Fokus stehen, wie im Bild ein Bezug zwischen normalen Frauen und Göttinnen oder mythischen Heroinen hergestellt werden konnte. Sie bedingten unterschiedliche visuelle Kommunikationssituatio- nen und nahmen daher entscheidend Einfluss auf das jeweilige Verständ- nis eines Frauenbildnisses.

Götterattribute als Attribute von Sterblichen

Eine Möglichkeit war es, neben einem Porträt die Attribute von Gotthei- ten darzustellen und sie diesem formal zuzuordnen. Hiervon zeugt der Grabaltar der bei einem Seesturm verstorbenen Cornelia Tyche und Iulia Secunda (Abb. 2).8 Die beiden Verstorbenen – Mutter und Tochter – sind als Büsten prä- sentiert, denen Attribute der Göttinnen Diana und der Fortuna zugewie- sen sind: Über Iulia Secunda finden sich im Giebel Köcher und Bogen, über Cornelia Tyche Füllhorn, Fackel, Steuerruder und Rad. Auf der lin- ken, heute verlorenen Seite des Altars befand sich ein Grabgedicht und eine Hirschkuh, die ebenfalls auf Diana verweist. Über die Attribute der Diana wird Iulia Secunda nun aber nicht als Jägerin oder ähnliches be- zeichnet, denn die Gegenstände sind hier nicht als Zeichen gemeint. Bo- gen und Köcher bieten vielmehr den Link zur Gottheit, die in ihrem gan- zen Wesen nun einen passenden Vergleich für Iulia Secunda bietet. Wie Diana war sie nicht verheiratet, da der frühe Tod eine Heirat verhindert hatte. Somit war ihre Tugend der Jungfräulichkeit wie die der Diana dau- erhaft. Die Attribute der Fortuna ermöglichen es auf der anderen Seite, Cornelia Tyche mit dem Glück zu verbinden, das Cornelia Tyche ihrem Haushalt als Ehefrau und Mutter gebracht hatte.9 Der Grund, weshalb man Cornelia Tyche im Bild Elemente der Fortu- naikonographie beigab, war aber nicht nur der passende Verweis auf eine spezifische Tugend der Verstorbenen, sondern auch ihr Cognomen Tyche als Äquivalent zur römischen Fortuna. Verbildlichungen von Cognomina sind im Bereich der Grabrepräsentation in Einzelfällen bezeugt.

8 Paris, Musée du Louvre MA 1331; Datierung: ca. 150–165 n.Chr. Zur Inschrift: CIL VI 20674; Literatur u.a. Wrede (1981) 227 Kat. 93; Kleiner (1987) 253–256 Kat. 113. 9 Wrede (1981) 110.

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Abb. 2: Grabaltar der Iulia Secunda und der Cornelia Tyche, Zeichnung im Codex Coburgensis, Kunstsammlungen der Veste Coburg Hz.002.Nr. 158; Foto: © Kunst- sammlungen der Veste Coburg

Auf einem Grabaltar einer Claudia Isias ist so ein für den Isiskult charakte- ristisches Sistrum dargestellt.10 Während man aber mit dem Cognomen vielleicht nicht unbedingt auch eine Eigenschaft der Verstorbenen assozi- ierte, ist dies in der bildlichen Darstellung nun anders, da die gezeigten Gegenstände üblicherweise Götterattribute sind und damit die Gottheiten im Bild gedanklich ergänzen. Trotzdem kann auf dem Grabaltar durch die klare Trennung zwischen den Attributen und den Porträtbüsten der Ver- storbenen kein ›Missverständnis‹ entstehen: Es ist keine konkrete Götter- angleichung gemeint. Der hinterbliebene Ehemann und Vater erhob wohl

10 Boschung (1987) 49 Nr. 630. Dort auch weitere Beispiele.

74 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen keinen Anspruch darauf, seine Frau und Tochter unter die Götter aufge- nommen zu sehen. Vielmehr ging es darum, abstrakte Eigenschaften der Verstorbenen im Bild zu zeigen, wie es der begleitende Text auf dem Gra- baltar vielfach leistet. Dies ist gerade für ein solches Bild der Verstorbenen als Porträtbüste schwer darstellbar, da sie keine Handlung zeigt, woran sich die Tugend begründen könnte. Die Frage, wann ein solches Attribut soweit von der Gottheit losgelöst ist, dass es als Symbol auch ohne die Referenz auf die Gottheit verständ- lich ist, ist im Einzelfall schwierig zu entscheiden. Der Bogen und der Kö- cher, der der Iulia Secunda beigegeben ist, steht für sich genommen für die Jagd – das ist aber noch kein Werturteil oder eine Wesensart, um die es bei der Verwendung auf dem Grabaltar geht. Bedeutung erhalten Bo- gen und Köcher nur dann, wenn der Betrachter damit die Göttin Diana sowie den Grabkontext um die verstorbene Tochter verbindet. Erst dann kann eine Eigenschaft der Göttin – ihre Jungfräulichkeit – für Iulia Secun- da beansprucht werden. Dass diese Eigenschaft mit dem Bogen und dem Köcher nichts zu tun hat, ist hierbei kein Problem, da der Bezugspunkt die Göttin ist, und die beiden Attribute allein den Link zur Gottheit bie- ten sollten. Nicht bei allen Objekten, die (auch) als Götterattribute bekannt sind, liegt ein konkreter Verweis auf die Gottheit vor, der notwendig ist, um die Bildintention zu verstehen. Vielmehr sind sie teils als bedeutungsreiche Bildzeichen in der Kaiserzeit etabliert. Dies wäre schon der Fall bei dem Füllhorn, das über Cornelia Tyche gezeigt ist, wenn es isoliert gezeigt wä- re, anders als bei dem Rad und dem Steuerruder. Das Füllhorn kann auch ohne direkte Referenz auf Fortuna Wohlstand und Reichtum in vielerlei Hinsicht verbildlichen. Ein weiteres Beispiel ist das Bündel aus Getreide- ähren und Mohnkapseln, das ein typisches Attribut der ländliche Frucht- barkeit spendenden Ceres ist.11 Nicht nur die weiblichen Angehörigen der Kaiserfamilie ließen sich mit diesem Ährenbündel darstellen, sondern man zeigte auch die Bildnisse von Privatpersonen mit diesem Attribut. Im Grunde resultiert die Bedeutung als Zeichen für die fecunditas – Gedeihen und Fülle – aus dem Aufgabenbereich der Ceres: dem Ackerbau Frucht- barkeit zu spenden. Aber auch wenn die Genese seiner Bildbedeutung bei Ceres zu suchen ist, bedeutet dies nun nicht, dass es sich bei den Bildnis- sen aufgrund der Beigabe des Ährenbündels immer um eine konkrete

11 Zum Folgenden besonders Alexandridis (2004) 55–57. Zur römischen Ceres: Spaeth (1996).

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Götterangleichung oder einen Vergleich mit Ceres handeln muss. Das Äh- renbündel konnte auch ohne direkte Referenz auf Ceres allgemein für Fruchtbarkeit stehen, in dem Sinne, das die Frauen in der Lage waren, ihrer Aufgabe in der familia nachzukommen – nämlich ihr Glück und Wohlstand zu schenken.

Gottheiten und Personifikationen als bildliche Begleiter

Einen – formalen – Schritt weiter als Götterattribute in Zusammenhang zu Bildnissen von Frauen zu setzen, ging der Bildhauer des sogenannten Balbinus-Sarkophages (Abb. 3).12 Er zeigte drei Mal dasselbe Paar mit Por- trätzügen – einmal gemeinsam liegend auf dem Sarkophagdeckel, einmal am rechten Rand mit Handschlag als eheliche Gemeinschaft verbunden (dextrarum iunctio) und ein weiteres Mal in einer mehrfigurigen Opfersze- ne links davon, die die meiste Fläche der Sarkophagvorderseite einnimmt. Dort steht ein Mann im militärischen Habitus neben seiner Frau, mit der er gemeinsam ein Trankopfer über einem Altar vollbringt, das heute stark beschädigt ist. Ihn rahmen von links die fliegende Siegesgöttin Victoria ein, die ihn bekränzt, und von rechts der Kriegsgott Mars. Dieser kompo- sitorische Rahmen ist auch der inhaltliche der Figur: Während sein Feld- herrngewand bereits auf seine militärische Leistungsfähigkeit verweist, stehen die beiden Gottheiten als eindeutige Zeugen hiervor neben ihm. Victoria zeigt konkret seine Sieghaftigkeit und damit sein Pflichterfüllen als Feldherr an und bezeugt seine militärische virtus. Mars als Gott der Kriegsführung attestiert ihm ebenso seine Leistungsfähigkeit als Feldherr. Hier werden der Person also nicht allein durch Götterattribute charakte- ristische Wesenselemente der Gottheiten zugeschrieben, sondern die Gott- heiten selbst treten als agierende Zeugen im Bild auf und verstärken durch ihre bildliche Präsenz seine Eigenschaften.

12 Rom, Catacombe di Pretestato; Datierung: um 240 n.Chr., Literatur mit Verweis auf weitere: Wrede (2001) 64 f.; besonders für die Deutungen des hier gezeigten Werteka- nons (siehe im Folgenden): Zanker/Ewald (2004) 193 f.; Reinsberg (2006) 107–109; 213 f. Kat. 73.

76 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen

Abb. 3: Sog. Balbinus-Sarkophag, Rom, Praetextatus-Katakomben, um 240 n.Chr., Foto: © D-DAI-ROM-38.666, mit freundlicher Genehmigung der Pontificia Com- missione di Archeologia Sacra

Bei seiner Ehefrau geht der Bildhauer noch eine Stufe weiter. Auch hier treten zunächst verschiedene Gottheiten auf, die ihr Wesenseigenschaften attestieren: Ihrer Ikonographie nach als Virtus und Fortuna bezeichnete Figuren stehen hinter der weiblichen Figur – und stehen für die allgemei- ne Tugendhaftigkeit13 beziehungsweise vielleicht auch die Bestärkung der Tugenden (Virtus) sowie das (häusliche) Glück und den dadurch entste- henden Reichtum (Fortuna).14 Beides wird im Bild der Ehefrau zuer- kannt. Darüber hinaus zeigt die Frau auch selbst Elemente einer Götteri- konographie: Die entblößte linke Schulter, die auf Venus verweist, ist für eine römische Matrona eigentlich völlig undenkbar. Als Teil eines Götter- körpers wird dieses Element aber als positiv für die eigene Repräsentation verwendbar. Anders als der kleine Amor, der ihr hier einen Spiegel hin-

13 Birk (2013) 136; Reinsberg (2006) 107 f. 14 Alexandridis (2004) 88–91.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 77 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Corinna Reinhardt hält, und der für die sehnende Liebe stehen kann, sind die charakteristi- schen Elemente der Venusikonographie nicht ohne die Darstellung am ei- genen Körper denkbar, da sie immer auf die körperliche Schönheit der Ve- nus referieren. Die entblößte Schulter, die sich auch auf dem Sarkophag- deckel findet, ist dabei die Minimal-Version der Venus-Referenz. Dies kann auf den komplett nackten Körper erweitert werden (siehe Abb. 4), der damit im völligen Kontrast zum realen Körper einer römischen Ma- trona steht. Durch den Venuskörper wird der Verstorbenen körperliche Schönheit zugeschrieben. Diese Schönheit ist es auch, die mit dem kleinen beigesell- ten Amor als begehrenswert bezeichnet wird und die wohl mit den in kai- serzeitlichen Grabinschriften verwendeten Adjektiven für die Verstorbe- nen wie amabilis und desiderantissima verbunden werden kann.15 In der Kombination der beiden Eheleute im Handschlag oder auf der Kline wird zudem gleich mehrfach auf dem Sarkophag auf die concordia des Ehepaa- res verwiesen. Darüber hinaus bewähren sie ihre Frömmigkeit gegenüber den Göttern (pietas erga deos) beim gemeinsamem Opfer. Die Verstorbene ist demnach in ihrem Wirkungsbereich als Ehefrau umfänglich repräsen- tiert: Sie ist schön und begehrenswert, hat ihrem Haushalt zum Glück ver- holfen und ist dabei fromm gegenüber den Göttern, gleichzeitig beständig und stark in ihren Tugenden und ist ihrem Ehemann eine treue und lie- benswerte Begleiterin. Man mag hierbei nach der Mutterrolle fragen, die ja für die römische Ehefrau von entscheidender Bedeutung war und die ebenfalls in dem Adjektiv pia ihren Ausdruck findet, da dies sowohl die fromme Pflichterfüllung gegenüber den Göttern als auch gegenüber der eigenen Familie meinen kann.16 Hierfür kann der mehrfach erscheinende Amor im Bild bürgen: Er taucht neben der Ehefrau in der Opferszene mit einem Spiegel auf, und zwei Amorfiguren sitzen mit dem Ehepaar auf dem Klinendeckel, einmal mit einem Hasen in der Hand, einem typi- schen Kinderattribut und einmal mit einer Kithara. Im Kontext des Frau- enlobes im Bild können die Amorfiguren als Hinweis auf den Kinderse- gen des Ehepaares und damit auf eine weitere Tugend der Ehefrau verwei- sen.17

15 Hesberg-Tonn (1983) 214. 16 Hierzu Reinsberg (2006) 102–104 zu den Kinderpflegeszenen auf Vita-Romana Sarko- phagen. 17 Siehe hier Alexandridis (2004) 84–88 für diesen Aspekt bei Kaiserinnenbildnissen, etwa der Statue der Antonina Minor aus Baiae.

78 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen

Bei diesem Sarkophag werden demnach durch beigefügte Gottheiten den Verstorbenen verschiedene positive Eigenschaften zugeschrieben so- wie Beziehungen zueinander verdeutlicht, wie etwa die personifizierte Concordia hinter der Szene des Handschlags nahelegt. Darüber hinaus wählte der Bildhauer bei der Darstellung der Ehefrau in der komposito- risch auf dem Sarkophag hervorgehobenen Opferszene zudem eine Venus- ikonographie, die den Körper umfasste, und charakterisierte sie damit als schön. Sonst aber trennte der Bildhauer auf dem Sarkophag sehr eindeutig zwischen den Körpern der Gottheiten und denen der Verstorbenen, die in der traditionell römischer Manier mit Palla, Toga und Panzer gezeigt sind.

Verschmelzung von Göttinnen- oder Heroinenkörpern mit Individualporträts

Während wir bei dem Balbinus-Sarkophag sehen, dass der Bildhauer bei der Venus die direkte Verschmelzung im Bild zwischen Götterkörper und Porträt suchte, da es ihm um die körperlichen Qualitäten der Verstorbenen ging, die folglich ebenfalls am Körper gezeigt wurden, trugen die anderen Gottheiten nur ›von außen‹ dazu bei, die Verstorbenen zu charakterisieren – ähnlich wie bei den Götterattributen, die wir eingangs auf dem Grab- altar gesehen haben, und doch anders. Denn durch die figürliche Erschei- nung der Gottheiten sind sie auch situativ präsent – sie handeln und agie- ren, beispielsweise greift Virtus der Ehefrau unterstützend an den Arm. Durch diese Situation – Virtus hilft der Ehefrau und daraus generiert sich die Bestärkung ihrer Tugenden – entsteht eine bildliche Prägnanz der In- halte, an die einzelne additiv hinzugefügte Attribute wie der Köcher und der Bogen des eingangs gezeigten Grabaltars nicht herankommen. Aber nicht nur der bildliche Fokus auf die Tugenden wird durch die situative Darstellung verstärkt. Auch rücken die Gottheiten im Bild nun tatsächlich näher an die Menschen beziehungsweise umgekehrt. Hier kann man zwar wohl nicht von einem intendierten Göttervergleich oder sogar einer Art Vergöttlichung sprechen, aber die Darstellung im Kreis der Gottheiten trug sicherlich zur vermehrten Repräsentation des Ehepaares bei.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 79 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Corinna Reinhardt

Abb. 4: Weibliche Porträtstatue als Venus, Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek IN 711, ca. 90–100 n.Chr.; Foto: © Ny Carls- berg Glyptotek, Copenhagen

Einige weitere Fälle zeigen nun tatsächlich, dass klar erkennbare Körper weiblicher Gottheiten mit einem Porträt verbunden wurden, wie bei der traianischen Porträtstatue in Kopenhagen, die sich einen Körper der Ve- nus zu eigen macht (Abb. 4).18 Sie verwendet den Körper der bekannten sogenannten Capitolinischen Venus.19 Während im Bild dem Betrachter völlig klar ist, dass es sich bei dem Körper der Statue nicht um den realen Körper der Porträtierten handelt, sondern um denjenigen der Venus, muss er auch keinen Anstoß an dieser Darstellung nehmen. Vielmehr wer- den wiederum hier die körperhaften Eigenschaften der Venus für die Por- trätierte beansprucht – sie war schön und ersehnenswert.20 Der kleine

18 Sog. »Marcia Furnilla«: Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek IN 711, Datierung: ca. 90–100 n.Chr.; Literatur mit Verweis auf ältere Forschungen: D’Ambra (1996) bes. 223– 225; Barrow (2018). Zum Phänomen nackter weiblicher Porträtstatuen grundsätzlich D’Ambra (1996). Allgemein zu Thema Nacktheit bei Porträtstatuen u.a.: Hallet (2004). 19 Rom, Musei Capitolini D 187; siehe hierzu etwa Havelock (1995) 74–80 Abb. 18. 20 Hierzu und zum Folgenden u.a. D’Ambra (2000).

80 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen

Amor, der neben ihr am Boden stand und von dem nur noch die Füße er- halten sind, könnte wiederum darauf verweisen, dass sie in der Lage war, für die Weiterführung der familia zu sorgen. Bei den Frauen des Kaiser- hauses ist die Darstellung mit einem nackten Venuskörper selten.21 Dies mag einen Hinweis darauf geben, dass zwar einerseits jedem klar war, dass es ein Venuskörper war und nicht der einer Kaisergattin, es lag darin wohl aber dennoch durch die bildliche Verschmelzung zu einer Figur eine un- mittelbare Wirkung, die man zumindest im offiziellen Bereich zu vermei- den suchte. Es gab ja andere Statuentypen, die durch das Gewand weitere Assoziationen auf andere Tugenden gewährleisteten – etwa mit Verhül- lung des Hinterkopfes auf die pietas der Dargestellten zielend. Im Privat- porträt scheint es weniger ›Berührungsängste‹ gegeben zu haben; dies mag aber auch den Kontexten geschuldet sein. Kaiserliche Statuen standen et- wa auf Platzanlagen, solche Privatbildnisse häufiger im Grabbereich, der sehr viel weniger öffentlich war.22 Dass ausgerechnet dieser Venustypus aber noch akzeptabel erschien, liegt sicher auch darin begründet, dass Ve- nus ihre Blöße zu bedecken versucht. Dieser Aspekt wird aufgegriffen und auf die Tugend der pudicitia der Porträtierten bezogen. Die damit in Ver- bindung stehende castitas der römischen Frau war eine Tugend, die im Frauenlob eine entscheidende Rolle spielte.23 Es ist im Bild aber nicht mehr als eine Formel, da bei der capitolinischen Venus – also im ur- sprünglichen Bildentwurf – die Abwendung des Blickes vom Betrachter Teil ihrer Aktion ist: sie entzieht sich seinem Blick. Die Porträtstatue dage- gen verdeckt zwar ihre Scham, blickt den Betrachter jedoch direkter an und sucht damit in gewisser Weise seinen Blick. Diese Bezugnahme ist für das Wirken des römischen Porträts unabdingbar, für die gesuchte Wir- kung des eigentlichen Bildmotivs aber kontraproduktiv. Während die Porträtstatue also formelhaft Elemente der Venus als Tu- genden für die Dargestellte beansprucht, entsteht in anderen Darstellun- gen das Tugendlob erst durch die situative Einbindung der Figuren in einen größeren Kontext.

21 Alexandridis (2004) 86 f. 22 Barrow (2018) 116 f. 23 Hesberg-Tonn (1983) 213.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 81 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Corinna Reinhardt

Abb. 5: Ehepaar als Mars und Venus, Rom, Musei Capitolini 652, ca. 140– 150 n.Chr.; Foto: © http://arachne.uni-koe ln.de/item/marbilder/6677939 (B. Malter), mit freundlicher Genehmigung der So- vrintendenza Capitolina ai Beni Culturali, Roma

Bekannt hierfür sind mehrere Gruppen des Götterpaares Mars und Venus (Abb. 5), wie sie ähnlich in ihrem Bezug auf das Ehepaar schon auf dem sogenannten Balbinus-Sarkophag eine Rolle spielten. Dies zeigt eine be- rühmte Gruppe in den Capitolinischen Museen in Rom.24 Mars und Ve- nus sind hier gemeinsam mit Porträtzügen ausgestattet. Uns soll hier nun nicht die vieldiskutierte Frage beschäftigen, ob es sich hier um eine kaiser- liche Repräsentation oder um Privatporträts handelt,25 sondern um die Art und Weise des Umgangs mit den Götterkörpern. Inhaltlich ist hier zu- nächst Ähnliches wie beim Balbinus-Sarkophag gemeint. Die beiden wer- den mit den Eigenschaften der Götter verbunden: die Frau als schön und begehrenswert, der Mann als tatkräftig und in der Kriegskunst bewährt. Bildlich ist aber ein Unterschied gesetzt, da sich hinter der statischen Dar- stellung eine für die Porträtierten wiederum bedeutungsvolle Situation verbirgt. Venus ist gerade im Begriff, Mars zu umarmen, und ist in ihrer

24 Rom, Musei Capitolini Inv. 652. Datierung: ca. 140–150 n.Chr.; Literatur mit weiteren Verweisen: Schmidt (1968); Kousser (2007). 25 Zur Forschungsdiskussion zusammenfassend Kousser (2007) 674–679.

82 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen

Körperhaltung ganz auf ihn konzentriert. Mars dagegen steht frontal zum Betrachter gewandt, neigt nur wenig den Kopf in Richtung Venus, aber ohne sie tatsächlich anzublicken. Gestützt auf seine Lanze und im stabilen festen Stand ist er ruhend und fast sinnierend gezeigt. Beide Figuren ge- hen auf statuarische Typen zurück, die ursprünglich einzeln und unab- hängig voneinander verwendet wurden.26 Ihre Gruppierung lässt aber die neue Bedeutung entstehen.27 Durch die Gruppierung und die Aktion der Venus wird die Frau dem Mann zugeordnet, sie gibt ihm durch ihre Um- armung Unterstützung, während der Mann, sich der Liebe und Unterstüt- zung seiner ihn liebenden Frau versichert, besonnen seinen Tätigkeiten nachgehen kann beziehungsweise hier im Bild in sich ruht. Damit wird der Frau im Bild der ganze Tugendkanon zuerkannt, mit denen in den Grabinschriften die hinterbliebenen Ehemänner ihre Ehefrauen rühmen, etwa dass sie coniugalis, univira oder auch obsequentissima gewesen seien.28 Das Gruppenbild wird dadurch in vielerlei Hinsicht zum Idealbild ei- nes Ehepaares. Damit aber nicht genug, da nun auch noch der Mythos hinzukommt, der in einer einzelnen Darstellung der Venus wie im Falle des zuvor gezeigten trajanischen Privatporträts keine explizite Rolle spiel- te. Mars und Venus sind das wohl bekannteste Liebespaar in der kaiser- zeitlichen Mythenwelt. Durch diese Konstellation wird auf die innige Lie- be der beiden Porträtierten zueinander angespielt. Auch wenn hier ein As- pekt des Mythos bedient wird – die Liebe zwischen den beiden Göttern –, wird ein anderer Aspekt des Mythos ausgeblendet, der für die Repräsenta- tion eines Ehepaares auf den ersten Blick eigentlich kontraproduktiv ge- wesen sein müsste. Venus ist nicht die Ehefrau des Mars, sondern seine Geliebte. Dass Venus und Mars hier dennoch zum Paradebeispiel für die eheliche Liebe werden konnten, zeigt, wie selektiv man die Mythen für die eigene Repräsentation heranziehen konnte.29 Die szenische Einbindung derartiger Figuren geschieht jedoch weniger in der Freiplastik, sondern vor allem auf Sarkophagen des 3. Jahrhunderts n.Chr. Dabei erhalten Figuren auf Sarkophagen oftmals Porträtzüge oder ihre Köpfe sind bis zuletzt unfertig (»bossiert«) belassen, weil ein Porträt

26 Auf die sog. Aphrodite Capua und den Ares Borghese, hierzu mit weiterer Literatur: Kousser (2007) 680 f. mit Abb. 11 und 12. Zu einem möglichen konkreten Vorbild die- ser Gruppen in einer Kombination beider Einzelfiguren auf dem Forum Augustum in Rom siehe Kousser (2007) 682 f. 27 Hierzu etwa: Zanker/Ewald (2004) 197 f.; siehe auch Kousser (2007). 28 Siehe etwa Hesberg-Tonn (1983) 130 f.; 175–177; 191 f.; 212 f. 29 Siehe grundlegend etwa Zanker/Ewald (2004) besonders 52–55.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 83 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Corinna Reinhardt nicht ausgearbeitet wurde.30 Im Bereich der Mythensarkophage sind es in- teressanterweise nur einige wenige Mythen, bei denen die weiblichen Pro- tagonisten Porträts erhalten konnten. Dabei handelt es sich zahlenmäßig am häufigsten vor allem um die Darstellung von Achill und Penthesilea, um die Entdeckung der Ariadne durch Dionysus, sowie um den Raub der Proserpina.31 Immer gibt es aber einen sehr hohen Anteil an Sarkophagen dieser Themen ohne Porträtdarstellung,32 so dass es sich um eine Option gehandelt zu haben scheint, einen Porträtkopf hinzuzufügen. Was leistet also auf dem Sarkophag der Porträtkopf auf dem Körper einer mythischen Figur im Gegensatz zu den Sarkophagen ohne Porträt- köpfe und bei denen zudem in den meisten Fällen heute unbekannt ist, wer darin bestattet war? Der Porträtkopf kann das weite Spektrum der möglichen Bezüge zwischen dem Mythos und der verstorbenen Person konkretisieren und demnach explizit dem Betrachter einen Hinweis für die Deutung des Bildes im Grabkontext anbieten.33 Für Proserpina liegt der Fall sehr offensichtlich.34 Die junge Frau wird beim Blumenpflücken von Pluto in die Unterwelt entführt und damit aus der Obhut ihrer Mutter Ceres entrissen. Ihre Entführung in die Unterwelt und die Trauer der Hinterbliebenen kann für den plötzlichen Tod ste- hen,35 genauso wie Proserpina als schönes unverheiratetes Mädchen, das von Pluto ersehnt wird, den Spiegel für die Schönheit einer Frau bilden kann. Wenn also Proserpina auf einem Sarkophag ein Porträt erhielt, wird man die allgemein mit dem Mythos im Grab assoziierten Aspekte konkret auf die Verstorbene bezogen haben. Nicht alle Proserpina-Sarkophage müssen jedoch für junge Mädchen gewesen sein, da es offenbar auch noch andere Assoziationspunkte des Mythos und seiner Protagonisten gab. Dies zeigt ein Sarkophag im Palaz- zo Giustiniani in Rom,36 auf dem nicht nur Proserpina, sondern auch Plu-

30 Siehe hierzu: Wrede (1981) Kap. A II 3; Zanker /Ewald (2004) 45–50; Newby (2011); Birk (2013). 31 Hierzu im Folgenden u.a.: Newby (2011); Birk (2013) 134–137; 142 f. 32 Newby (2011) 191–194. 33 Zanker/Ewald (2004) 45; Newby (2011) 224. 34 Newby (2011) 219–224. 35 Zanker/Ewald (2004) 90–94. Eine Inschrift im Grabmal der Haterier in Rom bezeichnet die verstorbenen Töchter bezeichnenderweise als virgines raptae: CIL VI 19148, hierzu u.a. Wrede (1981) 298 Nr. 272. 36 Rom, Palazzo Giustiniani, Inv. unbekannt; Datierung: um 240 n.Chr. Literatur mit Ver- weis auf ältere Literatur: Wrede (1981) 296 Nr. 265; Newby (2011) 221–223 Abb. 6.11; Birk (2013) 308 Kat. 610.

84 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen to Porträtzüge trägt. Hier ist deutlich, dass der Mythos auch für die Reprä- sentation eines Ehepaares passend war. Vielleicht war die Ehefrau jung verstorben und daher wurde dieser Mythos gewählt. Für die Repräsentati- on des Mannes bedeutet dies, dass er als derjenige gezeigt ist, der seine Frau wegen ihrer Keuschheit und Schönheit ersehnt. Der Ehefrau des Ver- storbenen wird damit zugeschrieben, vom Ehemann geliebt und ersehnt worden zu sein, gleichzeitig war sie keusch und schön wie die junge Perse- phone. Der Ehemann scheint hier im Bild offenbar über die Tugendhaf- tigkeit der Ehefrau repräsentiert worden zu sein. Je nach bestatteter Per- son konnten also verschiedene Aspekte des Mythos oder der Figuren auf ihn oder sie bezogen werden. Ein weiterer Mythos, der auf den Sarkophagen durch die Porträtzüge si- cherlich auch der Repräsentation von Frauen zugedacht war, ist derjenige um Achill und Penthesilea.37 Bei diesen Sarkophagen erhalten üblicher- weise beide Figuren einen Porträtkopf. Hier ist es nun weniger zielfüh- rend, danach zu fragen, welche Tugenden der Figur der Penthesilea zu ei- gen waren, die sie als Parallele für die Verstorbene passend machten. Si- cherlich: sie wird schön gewesen sein, sonst hätte sich Achill nicht in sie verliebt. Richtet man den Blick aber zunächst auf den Ehemann, der hier mit Achill verbunden wird, werden ihm die kriegerischen Tugenden von Stärke und Tapferkeit zugeschrieben. Eine weitere Tugend liegt nicht un- bedingt in der Charakterisierung der Figur im Mythos, sondern in der konkreten visuellen Umsetzung im Bild: Inmitten der Amazonenschlacht hält und stützt Achill die sterbende Penthesilea. Im Bild ist damit der Fo- kus nicht auf die eigentliche Pointe der Geschichte gelegt, dass Achill Pen- thesilea tötet, sondern auf den Moment danach: das innige Halten der Sterbenden und die neu entfachte Liebe. Dies leitet den Betrachter – durch die Porträts unterstützt – dazu an, beide Figuren mit dem verstorbe- nen Ehepaar zu verbinden, sich auf diesen Aspekt zu fokussieren und das Töten des Achills auszublenden.38 Liebe und Unterstützung von Seiten des Mannes werden somit visuell in diesem Bildmotiv am stärksten her- vorgehoben und charakterisieren nun einerseits den Ehemann, aber wir- ken sich andererseits auch auf die Repräsentation der Frau aus, die als ge-

37 Zu den Amazonomachie-Sarkophagen mit Achill und Penthesilea: siehe Grassinger (1999) 153 f. zum Motiv mit Verweisen auf den Katalog, 174–177; 179–185 zu Gruppe IV und VI mit diesem Motiv; Zanker/Ewald (2004) 285–288; Newby (2011) 213 f. 38 Zanker/Ewald (2004) 52–54.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 85 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Corinna Reinhardt liebte Gattin gezeigt ist. Damit ist nun der umgekehrte Fall der Ehepaarre- präsentation in der oben genannten Mars-Venus-Gruppe gemeint. Ebenso nahe kommen wir an die Deutung eines weiteren Sarkophages mit Frauenporträt heran. Er stammt ursprünglich aus dem Mausoleum der Sempronier in Rom und befindet sich heute im J. P. Getty Museum in Malibu (Abb. 6).39 Hier handelt es sich um einen der wenigen Fälle, bei denen klar ist, dass hier ein Mädchen bestattet war, denn es ist die Grabin- schrift erhalten. Es handelt sich um Maconiana Severiana, Tochter eines senatorischen Ehepaares. Gezeigt ist Dionysus im Reigen seines feiernden Thiasos. Der Gott hält im Gegensatz zu seinem Gefolge inne, was an sei- nen überschlagenen Beinen deutlich wird. Er betrachtet eine am Boden schlafende, halbnackte Frau, deren Manteltuch von einem Pan gelüftet wird. Es handelt sich um Ariadne, die mit Theseus aus Kreta aufbrach, nachdem dieser dort den Minotauros tötete, der sie dann aber auf Naxos zurückließ. Die Entdeckung durch Dionysus löst die aussichtlose Situati- on der Ariadne.

Abb. 6: Sarkophag der Maconiana Severiana: Auffindung der Ariadne durch Diony- sus, Malibu, The John Paul Getty Museum 83.AA.275, 210/220 n.Chr.; Foto: © The J.P. Getty Museum. Digital image courtesy of the Getty’s Open Content Program

Der Kopf der Ariadne ist bossiert, also grob belassen, um eine Porträtie- rung ausführen zu können, die hier letztlich unterblieb. Der Betrachter wird, da es sich um den Sarkophag der Maconiana Severiana handelt, auch sie in dieser Figur wiedergefunden haben. Daher hat die Bossierung

39 Malibu, The John Paul Getty Museum Inv. 83.AA.275; Datierung: 210–220 n.Chr. Lite- ratur mit weiteren Verweisen: Matz (1969) 383–385 Nr. 214 Beil. 98,1–4; Wrede (1981) 209 Kat. 47 mit Taf. 7, 2.3; Walker (1990); Newby (2011) 204 Abb. 6. 4. Zur Inschrift: CIL VI 3834, 31733.

86 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen des Kopfes für die Lenkung des Betrachterblicks und die daraus resultie- rende Deutung des Bildes auf die Verstorbene hin die gleiche Funktion wie ein ausgearbeitetes Porträt. Parallelen zwischen der mythischen Ariad- ne und der verstorbenen Maconiana könnten in verschiedener Hinsicht gezogen worden sein: beide sind unverheiratet und Ariadne war so schön, dass sowohl Theseus, als auch Dionysus sie begehrten. Liebenswert zu sein war eine Tugend, die Frauen auch vor ihrer Heirat zugeschrieben wurde.40 Während bei Maconiana der frühe Tod eine Heirat und damit die Erfül- lung des Lebens verhinderte, wurde die Heirat zwischen Ariadne und The- seus durch göttliches Geheiß verhindert. Aber nicht nur solche Parallelen könnte der Betrachter gezogen haben, sondern auch die Weiterführung des Mythos könnte als Jenseitshoffnung für Maconiana verstanden werden – etwa dass Maconiana im Tod die Erfüllung finden würde, wie Ariadne durch die Heirat mit Dionysus, oder dass sie in das dionysische Gefolge aufgenommen wird.41 Der Porträtkopf einer Figur in der mythischen Szene leistet also eine ex- plizite visuelle Schnittstelle zwischen zwei Ebenen der Sarkophagbilder: einer der mythischen Erzählung und einer Ebene, die auf den oder die Verstorbene zielt, dabei sowohl Parallelen zu ihrem Leben sucht und ex- emplarisch Eigenschaften rühmt, als auch möglicherweise der Trauer der Hinterbliebenen Ausdruck verleiht.42

Berühmte Bildentwürfe und ihre Rezeption in weiblichen Porträtbildnissen

Bevor wir wieder zur Omphale zurückkehren, ist ein weiterer Aspekt der bildlichen Götterassoziation näher zu betrachten, der zuvor bereits bei mehreren Beispielen anklang. In fast allen Fällen, bei denen Porträts mit Göttergestalt und in Gestalt mythischer Figuren gezeigt werden, sind Schemata gewählt, die von sehr bekannten Statuen übernommen sind, auch wenn nicht in allen Fällen sicher zu entscheiden ist, ob diese konkret der Ursprung des jeweiligen Bildentwurfs sind oder ob die Vermittlung vielschichtiger war. In der Reliefkunst, aber auch in der Freiplastik der römischer Zeit ar- beitete man sehr häufig mit Figurentypen, die für die jeweiligen Belange

40 Hesberg-Tonn (1983) 150–153; 214 f. 41 Siehe so Newby (2011) 204 f. 42 Zanker/Ewald (2004).

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 87 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Corinna Reinhardt angepasst werden konnten. Auch wenn diese formale Bezugnahme heute nachvollziehbar ist, ist fraglich, inwiefern die semantischen Konnotatio- nen einer bekannten Statue – beispielsweise ihre Funktion, ihre Identifi- kation oder auch ein Diskurs um sie – bei der Verwendung im römischen Kontext eine Rolle spielten. Dass von einer direkten Bedeutungsübernahme nicht grundsätzlich ausgegangen werden kann, belegen eindrücklich die sogenannten Herku- lanerinnen, zwei weibliche Gewandstatuentypen, die auf Vorbilder des letzten Viertels des 4. Jahrhunderts v.Chr. zurückgehen und wohl ur- sprünglich weibliche Privatbildnisse waren.43 Beide Statuen zeigen Frau- en, die mit ihrem Mantel beschäftigt sind, ihn in seiner korrekten Posi- tion halten oder ihn um die Schulter legen. Ihre Handlung beschreibt da- mit, dass beide Frauen um die richtige und angemessene Art, sich zu klei- den, wissen. Während die Große Herkulanerin (Abb. 7) durch ihre etwas breitere Erscheinung und den über den Kopf gezogenen Mantel älter und matronenhafter wirkt, zeichnet sich die Kleine Herkulanerin durch ihre Zierlichkeit aus. Dieser Eindruck entsteht vor allem durch den stärkeren Schwung der Statue und den ihm folgenden Mantel, der enger um den Körper geführt wird und ihn konturiert, aber auch durch den rechten Arm, da dieser den Oberkörper eng umfasst. Wen die Statuen ursprüng- lich darstellten, wird im römischen Kontext keinerlei Bedeutung mehr ge- habt haben, wohl aber die fast überzeitlichen charakteristischen Elemente im Habitus der beiden Figuren: Anmut und Grazie im Falle der einen so- wie matronenhafte Eleganz im Falle der anderen. Gerade letztere war demnach der Bildentwurf, der für das Idealbild der Ehefrau in der griechi- schen wie römischen Welt geeignet schien. Es waren also die Qualitäten des Bildentwurfes und nicht die Bedeutung der originalen Statue, die für ihre Rezeption von primärer Bedeutung waren.44 So eindeutig ist die Fra- ge aber nicht für alle Fälle zu beantworten, in denen ein bekannter Bild- entwurf oder sogar eine konkrete berühmte Statue zitiert wird.45 Gerade im Falle von berühmten Götterstatuen ist davon auszugehen, dass man sie durch die Aufstellung von Kopien in römischen Kontexten auch kannte. Wenn der Betrachter die berühmte Statue folglich erkannte, ergab dies si- cherlich eine Fülle an Assoziationen über die Repräsentativität, die ein Götterbildnis grundsätzlich auszeichnet, hinaus.

43 Zu diesen den Sammelband: Daehner (2008). 44 Siehe zum letzten Abschnitt bes. Vorster (2008). 45 Hierzu etwa Varner (2006).

88 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen

Abb. 7: Porträtstatue der Faustina Maior im Typus der sog. Großen Herkulanerin (ehemals wohl mit Ährenbündel in der Hand), Malibu, The John Paul Getty Muse- um 70.AA.113, ca. 140–160 n.Chr.; Foto: © The J.P. Getty Museum. Digital image courtesy of the Getty’s Open Content Program

Meist sind jedoch die Schemata so allgemein verwendet und abgewandelt, dass man im Einzelfall eine bewusste enge Bezugnahme zu einer konkre- ten Statue nicht nachweisen kann. Dennoch hilft ein Blick hierauf, zu ver- stehen, welche visuellen Qualitäten man in einem solchen Bildentwurf sah, der ihn passend für die Repräsentation einer Frau oder eines Mäd- chens machte. Wie bereits am eingangs genannten Beispiel der Iulia Secunda deutlich wurde, konnten verstorbene Mädchen mit Diana assoziiert werden – ent- weder indem man den Porträts entsprechende Attribute hinzufügte, wie bei Iulia Secunda, oder indem ein Porträt tatsächlich mit der Körper der Diana verbunden wurde, wie es etwa auf einem Grabaltar der Aelia Procu-

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 89 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Corinna Reinhardt la46 (Abb. 8) der Fall ist. Hierfür eignete sich besonders der Bildentwurf der jagenden Diana, die in ein kurzes Gewand gekleidet nach vorne stürmt und gerade einen Pfeil aus dem Köcher hinter ihrer Schulter zieht. Dieses Bildschema ist in verschiedenen Varianten in der Antike sehr be- kannt, wie etwa als Artemis von Versailles, einem griechischen Meister- werk des späten 4. Jahrhunderts v.Chr.47 Diese Statue vermag es sehr gut zu zeigen, welche Kernelemente des Entwurfes von Bedeutung waren. Der Bildhauer vermochte es, das agile Vorwärtsstreben der Göttin mit einer leichten Zurückgewandtheit des Körpers zu verbinden. Durch die enge Bezugnahme zwischen der Kopfwendung und dem Ziehen des Pfeils ent- steht ein in sich geschlossener Raum der Figur. Die Statue enthält somit beides – ein Entrücken der Gottheit vom Betrachter durch die konzen- trierte, auf sich bezogene Handlung, sowie das kraftvolle Vorwärtsstreben der Figur, das für die Gottheit charakteristisch ist. In diesem ausbalancier- ten Gegensatz liegt dabei die Anmut der Statue, die wiederum auf das We- sen der Gottheit bezogen werden kann.

Abb. 8: Grabaltar der Aelia Procula, Pa- ris, Musée du Louvre MA1633, um 140 n.Chr.; Foto: © Musée du Louvre, Dist. RMN-Grand Palais / Les frères Chu- zeville

46 Paris, Musée du Louvre MA 1633, um 140 n.Chr.; Literatur u.a.: Kleiner (1987) 241 f. Kat. 104; Varner (2006) 295–297; bes. zuletzt D’Ambra (2008) 172–175. Zur Inschrift: CIL VI 10958. 47 Paris, Musée du Louvre MA 589; hierzu: Maderna (2004) 343 f. Abb. 313 a-h; mit Litera- tur auf S. 535.

90 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen

Es sind wohl genau diese Aspekte, die die Wahl dieses Bildschemas über die grundsätzliche Verbindung mit Diana hinaus bedingten. Die Kopf- wendung der Aelia Procula zur Frontalansicht hin erreicht dabei zwar nicht annähernd die ursprüngliche sinnhafte Drehung des Kopfes der Ar- temis von Versailles, aber hier handelt es sich natürlich nicht um ein Göt- terbildnis, das in der Manier des 4. Jahrhunderts v.Chr. seinen Blick dem Betrachter entzieht, um eine Distanz entstehen zu lassen, sondern ein kai- serzeitliches Porträt, dessen Wirkung in seiner Unmittelbarkeit dem Be- trachter gegenüber zu suchen ist. Dementsprechend wird hier nur noch mit einer leichten Drehung des Kopfes aus der Frontalen heraus auf den ursprünglichen Bildentwurf Rücksicht genommen. Neben den inhaltlich passenden Aspekten der Gottheit wie ihrer ewi- gen Jungfräulichkeit, die Aelia Procula durch ihren frühen Tod im Kin- desalter bewahren wird, waren es also wohl die harmonische Balance des statuarischen Bildentwurfs zwischen kraftvoller Energie und Beherrscht- heit, die für das junge Mädchen Aelia Procula passend erschien.48 Die Energie und die Momenthaftigkeit der Bewegung der Aelia Procula als Diana auf dem Grabaltar steht dabei im größtmöglichen Kontrast zum frühen Tod und kann so verstanden werden, dass das Kind viel zu früh und plötzlich aus dem Leben gerissen wurde. Einen solchen Aspekt kann vor allem und in unmittelbarer Weise ein solches situatives Bild kommu- nizieren, wenn das Porträt mit einem Götterkörper verschmolzen ist. Das alleinige Zeigen von Götterattributen wie im Falle des Grabaltars der Iulia Secunda beschränkte die Möglichkeiten der Charakterisierung der Ver- storbenen. Hier zielen die singulären Attribute vielmehr nur auf die cha- rakteristischen Wesenszüge der Gottheit ab und nehmen sie für die Por- trätierte ein. Ein weiterer Aspekt der Diana scheint in der Figur auf dem Grabaltar der Aelia Procula deutlich gemacht worden zu sein: Entgegen dem statua- rischen Bild der jagenden Artemis ist ihr Gewand herabgeglitten und lässt eine Brust nackt, was im römischen Kontext Anknüpfungspunkte zu den Amazonen und ihrer mannhaften Stärke sowie der Personifikation der Virtus weckt. Damit kann die Ambivalenz der Göttin gemeint sein, die sich traditionellen Geschlechterrollen wie der Ehefrau und Mutter ent- zieht. Die jung verstorbenen Mädchen wie Aelia Procula konnten diese

48 Siehe D’Ambra (2008) 173 f.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 91 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Corinna Reinhardt ebenso – wenn auch aus dem Grund ihres zu frühen Todes – nicht erfül- len.49 Dass hinter der porträtierten Aelia Procula in Gestalt einer Diana aber auch eine tatsächliche Diana steht, hat auf dem Grabaltar noch eine weitere Bedeutung, die im Zusammenspiel von Bild und Text offensichtlich wird. Laut der Inschrift ist der Grabaltar nicht allein dem Gedenken der Aelia Procula, sondern auch der Diana gewidmet. Dieser Doppelung im Text entspricht die ambivalente Referenzierung im Bild: einerseits ein Bildnis der Aelia Procula zu sein, andererseits aber im gleichen Bild auch eine Darstellung der Göttin Diana zu liefern. Das bekannte Schema eignete sich daher gleich in mehrfacher Weise für diesen Grabaltar.

Abb. 9: Sarkophag mit Geburt der Venus aus einer Muschel und Frauenporträt, Rom, Galleria Borghese LXXXI; Anfang des 3. Jh. n.Chr.; Foto: © http://arachne.uni- koeln.de/item/marbilder/32467 (G. Fittschen-Badura), mit freundlicher Genehmi- gung des Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Galleria Bor- ghese

Ein weiterer Fall, bei dem wir das verwendete Bildschema gut kennen, ist ein Sarkophag mit einer Venusdarstellung in der Galleria Borghese in Rom (Abb. 9).50 Zwei Mischwesen aus einem Kentauren und einem Fisch,

49 Hierzu D’Ambra (2008). 50 Rom, Galleria Borghese LXXXI; Anfang des 3. Jh. n.Chr., Literatur u.a.: Wrede (1981) 317 Kat. 313; Zanker/Ewald (2004) 125–127; Birk (2013) 309 Kat. 613.

92 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen auf deren Rücken Nymphen reiten, halten in der Mitte eine große Mu- schel, in der eine nackte Frau kauert. Sie hält das Manteltuch mit der einen Hand fest und verdeckt ihre Scham mit der anderen Hand. Sie scheint sich so – trotzdem ihr nackter Körper eindeutig frontal und damit bestmöglich dem Betrachter gezeigt wird – vor seinem Blick verdecken zu wollen; damit wird aber auch die Handlung des Amor zweideutig. Er hält nicht etwa das Manteltuch fest, sondern hilft vielmehr, dass sie nicht das Manteltuch über sich ziehen kann – er präsentiert folglich ihre Schönheit. Ikonographisch ist hier die Geburt der Venus aus dem Meer dargestellt, die von einem Meeresthiasos begleitet wird. Verlässt man die mythische Ebene und fragt nach dem Bezug zur Verstorbenen, wird deutlich, dass das Verhalten der Figur auf die Tugenden der Verstorbenen rekurriert. Sie verhält sich demnach keusch und sucht, ihre Blöße vor dem Betrachter zu verdecken, während der kleine Amor das Gegenteil versucht. Gemeint ist hier wieder die körperliche (begehrenswerte) Schönheit der Venus respek- tive der Verstorbenen. Auch hier könnte man wieder überlegen, ob mit den zahlreichen Amorfiguren, die im Wasser tollen, auf die Mutterschaft und die pietas erga liberos der Verstorbenen verwiesen wird. Auf Ebene des mythischen Bildes ist damit aber die Wirkung und Macht der Liebesgöttin ausgedrückt.51 Der Bildentwurf der beim Bade kauernden Venus ist in einer Statue, die dem hellenistischen Bildhauer Doidalses zugewiesen wurde,52 gut be- kannt und ist in vielen Kopien und Umbildungen bis in die Kaiserzeit überliefert. Der linke Arm führte vor die Scham und der rechte versuchte ebenso, den Betrachterblick vom Oberkörper abzulenken und ihn zu ver- decken. Dieser Aspekt des Schemas wird es gewesen sein, der für die Ver- wendung der Venus in der Muschel und als Körper der porträtierten Rö- merin entscheidend war. Offenbar bot der Bildentwurf jedoch zu wenig Hinweise auf den schönen Körper der Venus, da er durch das Kauern fast verborgen ist. So versuchte der Bildhauer des Sarkophags dies durch den flatternden Mantel hinzuzufügen, den sie festhalten muss. Damit kann der rechte Arm den Körper nicht mehr verdecken und die Figur richtet sich aus der kauernden Stellung auf. Das Bild kann durch Amors Hand- lung nun auch als Enthüllung des nackten Körpers gedeutet werden, ob- wohl der ursprünglichen Bildentwurf sein schamhaftes Verbergen klar

51 Zanker/Ewald (2004) 127. 52 Hierzu etwa mit Verweis auf weitere Literatur und Repliken: Kunze (2002) 108–121 mit Abb. 52–57.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 93 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Corinna Reinhardt thematisierte. Letzteres ist im Sarkophagbild nur noch in der Hand vor der Scham erkennbar, wird aber auch durch den bekannten Bildentwurf mit dem Bild verknüpft.

Abb. 10: Sarkophag mit gelagerter Frau im Ariadne-Typus, Kopenhagen, Ny Carls- berg Glyptotek IN 2301, ca. 280 n.Chr.; Foto: © Ny Carlsberg Glyptotek, Copenha- gen

Während bei diesen beiden Beispielen mehr die Qualitäten des Bildent- wurf und weniger die Bedeutung einer konkreten Statue eine Rolle spiel- ten, kommt bei einem letzten Beispiel ein weiterer Aspekt für das Ver- ständnis des Porträts hinzu, wenn der Betrachter die Vorlage in ihrer sons- tigen Einbettung erkannte: Im Gegensatz zu dem zuvor genannten Sarko- phag der Maconiana Severiana ist auf einem Sarkophag in Kopenhagen (Abb. 10) eine Frau im Schema der Ariadne gelagert, ohne dass ein mythi- scher Kontext mit dargestellt ist. Sie wird begleitet von verschiedenen Amor-Figuren, die ihr Blumenkränze bringen. Das bekannteste statuari- sches Exemplar dieses Bildentwurfs befindet sich heute in den Vatikani- schen Museen.53 Man verwendete ihn aber auch auf den Sarkophagen, die die Mythen um Ariadne, Mars und Rhea Silvia sowie Selene und Enymion zeigen, denen gemeinsam ist, dass es sich hier jeweils um Szenen des Ent- deckens einer schlafenden Person handelt.54 Wichtiger als die Frage, ob man die Frau auf dem Kopenhagener Sarkophag nun vor dem Hinter- grund der vielfachen Verwendung des Schemas in unterschiedlichen My-

53 Zum Typus siehe u.a. Wolf (2002). 54 Siehe zu verschiedenen Beispielen Newby (2011) 201–213 jeweils mit Verweisen auf weitere Literatur.

94 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen thenbildern als Ariadne bezeichnete oder nicht, ist, was diese aus dem si- tuativen Mythenzusammenhang isolierte Darstellung für die Repräsentati- on einer Frau bedeutete. Während es bei dem Bildentwurf der jagenden Artemis und ihrer Rezeption vor allem ihre dem Tod entgegenstehende Aktivität gewesen war, die sie für ein junges, zu früh aus dem Leben geris- senes Mädchen passend machte, ist es hier die Verbindung zwischen Schlaf und Tod, die mit ihren vielfachen Facetten von entscheidender Be- deutung gewesen sein mag.55 Gleichzeitig werden der Verstorbenen mit dem herabgeglittenen Gewand und den um sie herumspielenden Amorfi- guren die Eigenschaften der Schönheit und Begehrenswertheit zuerkannt und möglicherweise wie beim Balbinus-Sarkophag zudem auf die Mutter- schaft verwiesen. Durch die bekannte Verwendung des Bildentwurfs in den mythischen Sarkophagbildern ist wahrscheinlich, dass man mit diesem Figurenmotiv das Entdeckt-Werden der Liegenden assoziierte und damit gleichzeitig einen situativen Zusammenhang ergänzte. Der aktive Part ist üblicherwei- se im Bild selbst und damit im Mythos als Dionysus, Mars oder Selene zu suchen. Obwohl hier ein solcher Zusammenhang im Bild konkret fehlt, ist diese Ergänzung dann wahrscheinlich, wenn der Betrachter die Ver- wendungskontexte kannte. Im Falle dieses Sarkophags schlüpft der reale Betrachter, wie dies auch bei der rundplastischen Statue der Fall ist, in die Rolle des Mannes, der die schlafende Schöne entdeckt und ersehnt. Der Effekt dieses situativen Bildzusammenhangs zwischen Bild und Betrachter ist, dass die Tugend der Begehrenswertheit nicht zeichenhaft mit dem Fi- gurenschema verbunden ist, sondern dass jeder Betrachter diese Erfahrung aufs Neue aktiv macht und der Aspekt der begehrenswerten Frau damit immer wieder aufs Neue betont wird. Gleichzeitig wird durch diese Dar- stellung gedanklich der Ehemann dem Bild der Verstorbenen hinzuge- fügt, der in den anderen Bildern in die Rolle des Mars oder Dionysus ver- setzt wird. Trotz des Verzichts auf eine zweite Figur auf dem Sarkophag erreicht man daher mit diesem Bildentwurf dennoch, die Verstorbene nicht nur als schön und begehrenswert sowie als Mutter, sondern auch als geliebte Ehegattin zu charakterisieren. Kommen wir vor diesen Aspekten der Bezugnahme auf Göttinnen und Heroinen in der privaten Repräsentation zur Omphale-Römerin zurück. Die mythische Figur der Omphale ist wie auch der wahrscheinliche Grab-

55 Siehe hierzu u.a. Koortbojian (1995) zu Endymion; auch zusammenfassend zu Endymi- on im selben Schema: Newby (2011) 205 f.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 95 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Corinna Reinhardt kontext der allgemeine Rahmen, innerhalb dessen nun die positiven Aus- sagen über die Porträtierte dargelegt wurden. Die mythische Gestalt sagt freilich aus, dass die Porträtierte es vermag, wie Omphale einen Mann in ihren Bann gezogen zu haben, der ihr damit treu ergeben war.56 Im Bild sind es eindeutig nun aber die aufgerufenen Tugenden, die die Gründe für diese Ergebenheit liefern. Und damit entfernt sich die Deutung nun schon vom mythischen Vergleich und basiert auf der bildlichen Umsetzung der Statue: Da ist zum einen das Löwenfell, das Omphale Hercules abgenommen hat und an seiner statt trägt. Aber es ist die Art und Weise des Tragens, das im Bild von entscheidender Bedeutung ist. Die Porträtierte trägt das Lö- wenfell wie die Palla der römischen Matrona in capite-coperto-Manier, die in bekannter Weise auf die pietas der Verstorbenen referiert, ihrer from- men Pflichterfüllung gegenüber den Göttern und der eigenen Familie. Die visuelle Ambivalenz zwischen Löwenfell und Palla wird hierbei vor allem durch die symmetrisch neben dem Hals erscheinenden Fellpartien gewährleistet sowie durch den Umstand, dass der Löwenkopf den Kopf von hinten nur soweit umfängt, wie es die Palla üblicherweise tut. Mit dieser Drapierung bleibt bei beiden der Blick auf die Frisur noch möglich. Die Mantelassoziation geht aber noch weiter: Wie eine Venus ihre Scham bedeckt, zieht sie das Fell vor ihre Blöße und setzt damit pudicitia bildlich um. Eng hiermit verbunden ist natürlich der nackte schöne weib- liche Körper, der auf das bekannte statuarisches Vorbild der Knidischen Aphrodite in ihrer Umformung als Venus Pudica zurückgeht,57 an die der Betrachter vielleicht auch gedacht haben mag. Die Verwendung der my- thischen Figur als Körper der Verstorbenen machte es zumindest über- haupt nur möglich, einen nackten Körper zu zeigen und im Bild auf die körperliche Schönheit zu verweisen. Im Bild werden die Qualitäten des schönen Körpers explizit hervorgehoben. Nicht durch die Porträtierte selbst – sie versucht ja, ihre Blöße zu bedecken – sondern durch das Lö- wenfell. Die scheinbar zufällige Lokalisierung der Tatzen auf den Brüsten birgt den unmittelbar situativen Witz, dass die Tatzen nach den Brüsten zu greifen scheinen – ein Aspekt, der sicherlich den erotischen Reiz des nackten und schönen Frauenkörpers zu unterstreichen vermochte. Es gibt

56 Zur positiven Bewertung der Omphale ab dem 2. Jh. n.Chr. siehe Kampen (1996). Zum Bezug zum Ehemann hier Zanker (1999) 129–131. 57 Etwa in Form der Capitolinischen Venus (Rom, Musei Capitolini D 187); siehe hierzu etwa Havelock (1995) 74–80 Abb. 18.

96 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen im Spiegel mythischer Heroinen und Göttinnen hier folglich beides, wie wir es auch bei der Venusdarstellung des Sarko- phages bereits gesehen haben: die Präsentation oder Betonung des nack- ten Körpers durch seine Situierung und gleichzeitig den Versuch der Fi- gur, ihre Blöße zu bedecken. Pulchritudo und pudicitia/ castitas sind in die- ser Statue eng verbunden. Es war also keineswegs unmöglich, diese Tu- genden gleichzeitig im Bild zu zeigen.58 Die Keule, die Omphale völlig untypisch in der nicht-aktiven, linken Hand trägt, kann als Zeugnis für die Stärke der Porträtierten verstanden werden, was sich vermutlich auf ihre innerliche Stärke aufgrund ihrer vielfältigen Tugenden beziehen ließ. Im Körper der Omphale und seiner spezifischen bildlichen Umsetzung werden somit verschiedene positive Tugenden der porträtierten Römerin verbildlicht. Dabei liegt nur wenig in der Omphale des Mythos, was für die Repräsentation der Verstorbenen wichtig war – zumindest soweit wir aufgrund des fehlenden originalen Kontextes wissen. Vielmehr bot diese Darstellung den allgemeinen Rahmen, innerhalb derer die Tugenden der Porträtierten mit verschiedenen zeitgenössisch verständlichen visuellen Hinweisen thematisiert wurden. Diese sicherten ihr die Verehrung ihres Ehemannes zu, der wahrscheinlich diese Statue in Auftrag gegeben hat- te.59

Abkürzungen

CIL: Corpus Inscriptionum Latinarum LIMC: Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae

58 Zum letzten Absatz: Zanker (1999) 125–128; Zanker/Ewald (2004) 199 f., auch zusätz- lich zum Aspekt der Bescheidenheit aufgrund der Körperhaltung. 59 Zur Beziehung zum Ehemann etwa Zanker (1999) 129–131.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 97 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Anja Bettenworth

Tod durch Schlangenbiss: Kleopatras Selbstmord im Film und in der literarischen Tradition*

Der Tod der Kleopatra durch einen Schlangenbiss gehört zu den berühm- testen Episoden des Altertums. Zahlreiche Dichter und Schriftsteller lie- ßen sich über Jahrhunderte davon inspirieren, und im Mittelalter ließ die besondere Todesart Kleopatra sogar zu einem Vorbild an Tugend wer- den.1 Verbreitet war die Vorstellung, dass Kleopatra sich aus Kummer über den Tod ihres Geliebten Marcus Antonius umgebracht habe und ihr Tod daher als Zeichen bedingungsloser Liebe zu werten sei. Dieses positi- ve Bild wurde weder dadurch getrübt, dass die antiken Quellen eher poli- tische Motive für die Selbsttötung nahelegen, noch durch die frühe Verur- teilung des Selbstmordes durch christliche Kirchenväter.2 In der Literatur blieb Kleopatra die tragische Heldin einer dramatischen Liebesgeschichte. Chaucer nannte sie in seinem Werk Legend of Good Women gar eine Märty- rerin. Im Europa der frühen Neuzeit war Kleopatras Beziehung zu Marcus Antonius und ihr gewaltsames Ende ein beliebtes Thema von Tragödien, sei es in Frankreich, Italien, England oder Deutschland.3 Der Erfolg gera- de dieser Geschichte war zum Teil im Zeitgeschmack begründet, wie die Parallelen zur ebenfalls populären Dido-Erzählung nahelegen. Ihre Be- kanntheit wurde durch Jacques’ Amyots französische Übersetzung der

* Zuerst in englischer Sprache erschienen unter dem Titel: Cleopatra’s Suicide in Modern Cinema and its Literary Tradition, in: D. Sterbenc-Erker (Hg.), Frauenbild im Wandel. Gender Studies in den Altertumswissenschaften (Iphis 7), Trier 2015, 143–155. Die hier vorliegende deutsche Übersetzung wurde um einige in der Zwischenzeit erschienene Li- teraturtitel sowie um wenige Erläuterungen ergänzt. 1 Für eine Einführung in die literarische Rezeption in Mittelalter und früher Neuzeit siehe Hughes-Hallet (1990) 147–168. Speziell zur deutschsprachigen Literatur von der Mitte des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts siehe Kromer (2017). 2 Siehe Aug. civ. 1,20: Neque enim frustra in sanctis canonicis libris nusquam nobis diuinitus praeceptum permissumue reperiri potest, ut uel ipsius adipiscendae inmortalitatis uel ullius cau- endi carendiue mali causa nobismet ipsis necem inferamus. Nam et prohibitos nos esse intelle- gendum est, ubi lex ait: »Non occides«, […] restat ut de homine intellegamus, quod dictum est: »Non occides«, nec alterum ergo nec te. Neque enim qui se occidit aliud quam hominem occidit. 3 Einen knappen Überblick über die Rezeption von Antonius und Kleopatra zur Zeit Shakespeares bietet Chernaik (2011) 135–164.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 99 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Anja Bettenworth

Parallelviten des Plutarch aus dem Jahr 1559 gesteigert, der 1579 eine eng- lische Ausgabe durch Thomas North folgte. Schon zuvor hatte Cruserius (1566–1567) eine lateinische Ausgabe besorgt, die Plutarchs Antoniusvita einem breiteren Publikum zugänglich machte. In den meisten Bearbeitungen des Selbstmords der Kleopatra ist ihr Tod aus Liebeskummer von zentraler Bedeutung. Die Königin erscheint so als eine gänzlich von Antonius abhängige Persönlichkeit, siehe dazu Hughes-Hallet (1990) 149: »Similarly, the heroines of Chaucer’s Legend of Good Women have, and wish for, no life outside their love relationships. It is their self-abasement, their readiness to live entirely through their men, that constitutes their goodness.« Andere dramatische Behandlungen des Stoffs heben dagegen auch den Mut und die Selbstbehauptung der Kleo- patra angesichts von Caesars militärischem Sieg hervor.4 Dieses positivere Bild hat durchaus antike Vorläufer. Während der Christenverfolgung des 2. Jh. n.Chr. ermahnt Tertullian die ins Gefängnis geworfenen Gläubigen, Standhaftigkeit zu beweisen und führt dabei auch tapfere pagane Frauen, unter ihnen Kleopatra, als mögliche Vorbilder an.5 Heutzutage ist die bleibende Bekanntheit der Kleopatra freilich weni- ger den antiken Quellen geschuldet, die einem modernen Publikum oft weniger zugänglich sein dürften, als vielmehr neueren Bearbeitungen, un- ter ihnen vor allem Shakespeares Antony and Cleopatra, aber vor allem auch zahlreichen Kinofilmen.6 Zwei der bekanntesten Filmversionen, mit Claudette Colbert (USA, 1934, Regie: C. DeMille, es handelt sich um den ersten Tonfilm über Kleopatra) bzw. Elizabeth Taylor in der Hauptrolle (USA 1963, Regie: J. Mankiewicz), zeigen beide den Selbstmord durch Schlangenbiss als Höhepunkt der Handlung. Ebenfalls durch Schlangen-

4 Dies ist z.B. in Estienne Jodelles Theaterstück Cléopâtre Captive (1553) und in Samuel Da- niels Tragedy of Cleopatra (1594) der Fall. 5 Tert. mart. 4,6: Bestias femina libens appetiit, et utique aspides, serpentes tauro vel urso horr- idiores, quas Cleopatra immisit sibi, ne in manus inimici perveniret. (»Frauen sind gern dem Angriff wilder Tiere entgegengestrebt, und sogar dem von Vipern, d.h. von Schlangen, die schrecklicher sind als ein Stier oder ein Bär. Diese Schlangen legte Kleopatra sich selbst an, damit sie nicht in die Hand des Feindes gerate.«) In ähnlicher Weise wird oft auch Dido von den christlichen Schriftstellern Nordafrikas als Vorbild angeführt, siehe Bettenworth (2009). 6 Manche Verfilmungen berufen sich explizit auf die moderne literarische Rezeption der Kleopatra. In Cecil DeMilles Cleopatra (1934) werden als Vorbilder ausdrücklich Shake- speare, Shaw und Dryden genannt, siehe Wenzel (2005) 199. Royster (2003) bespricht einige der bekannteren Filme und ihr Verhältnis zu Shakespeare. Sein Augenmerk liegt vor allem auf der Darstellung des Exotischen und der Afrikaner.

100 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Tod durch Schlangenbiss gift endet die Königin in den neueren Verfilmungen Cleopatra (D/USA 1999, Regie: F. Roddam) und Augustus (A/ESP/F/D/I 2004, Regie: R. Young). In allen diesen Versionen verwendet Kleopatra nur eine einzelne Giftschlange, die, versteckt in einem Korb mit Feigen, in ihr Gemach ge- schmuggelt wird. Die Details der Darstellung variieren jedoch in instrukti- ver Weise. In DeMilles Fassung nimmt die Königin die Schlange aus dem Korb, während sie in königlichen Gewändern aufrecht auf ihrem Thron in der Audienzhalle ihres Palastes sitzt. Unterdessen bemühen sich Octavi- an und seine Soldaten vergebens, in das gesicherte Gebäude einzudringen, um Kleopatra möglichst noch lebend gefangen zu nehmen. Als sie die Halle erreichen, ist die Königin jedoch bereits tot. Die Szene wird aus dem Blickwinkel der eintretenden Soldaten dargestellt: Als sich die Türen zum Audienzraum öffnen, eröffnet sich dem Zuschauer ein weiter Blick in das prächtig ausgestattete Innere. Der Thron, auf dem Kleopatra immer noch reglos sitzt, befindet sich an der fernen, dem Eingang gegenüberlie- genden Wand, so dass im ersten Augenblick nicht klar ist, ob die Königin noch lebt oder nicht. Kostüm und Kulisse betonen in dieser Szene die kö- nigliche Würde der Kleopatra. Andererseits haben Filmkritiker oft be- merkt, wie sehr DeMille die Königin ansonsten einer jungen amerikani- schen Frau der 30er Jahre angeglichen hat.7 Die Kinoversion von 1963 dagegen verlegt den Selbstmord in die priva- ten Gemächer der Königin. In dieser Fassung haben die Römer den Palast bereits erobert und Wachen an den Türen postiert, so dass die Kleopatra und ihre Dienerinnen auf einen eng begrenzten, privaten Bereich be- schränkt sind. Als ihr der Korb mit den Feigen gebracht wird, nimmt die Königin die Giftschlange nicht etwa wie in DeMilles Version heraus, son- dern steckt ihren Arm in das Gefäß, so dass der tödliche Biss vor dem Blick der Zuschauer verborgen bleibt. Nur aus ihren langsam schwer wer- denden Augenlidern und ihrem matten Seufzen: »Antony, Antony, wait«, lässt sich entnehmen, dass das Gift Wirkung zeigt. Hier liegt der Fokus al- so auf dem Selbstmord als privater Handlung; ein Eindruck, der durch die informelle Kleidung der Kleopatra verstärkt wird. Erst nach ihrem Tod werden ihre Dienerinnen sie gemäß ihren Anweisungen im königlichen Ornat aufbahren, damit Octavian sie beim Betreten des Gemachs als ver- storbene Herrscherin von Ägypten und nicht als Privatperson vorfinde.

7 Siehe Hamer (1993) 104ff.; Hughes-Hallett (1990) 333ff.; Maeder (1987) 43–51; Wyke (1997) 91ff.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 101 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Anja Bettenworth

Während Kleopatra in den Kinoversionen von 1934 und 1963 in Ge- genwart ihrer beiden Dienerinnen stirbt, die durch ihre Ehrerbietung auch im Augenblick größten Unglücks die königliche Würde ihrer Herrin in Erinnerung halten, ist sie in den Verfilmungen von 1999 und 2004 al- lein. In der Version von 1999 sitzt Kleopatra auf einem Stuhl in ihren Pri- vatgemächern, wohin sie von den siegreichen Römern verbannt worden war. Sie trägt königliche Kleidung und hält wie in den anderen Verfil- mungen den Korb mit Feigen im Schoß. Doch während sie in der Version von Mankiewicz aus dem Jahr 1963 die Hand in den Korb gesteckt hatte, zieht sie hier die Schlange heraus und hebt sie bis auf die Höhe ihres Ge- sichts. Frau und Schlange starren sich in die Augen, bevor Kleopatra das Tier auf ihren Oberkörper senkt. »Take me to Isis«, flüstert sie, und die Schlange nähert sich tatsächlich ihrer Brust, zischt und beißt schließlich zu. Der Angriff wird in Großaufnahme gezeigt, die Schlange attackiert die Königin mit weit geöffnetem Maul und funkelnden Augen. Es folgt ein Schnitt und eine Nahaufnahme von Kleopatras Gesicht, das in einer Mi- schung aus leichtem Schmerz und Erregung zuckt, während die Königin langsam in einen Todesschlaf sinkt. Auf ihrer Brust zeigen sich zwei klei- ne Verletzungen. Die erotischen Untertöne, insbesondere in den letzten Zuckungen der Kleopatra, sind unübersehbar. Sexuelle Anspielungen werden in dem Fernseh-Zweiteiler Augustus (2004) auf die Spitze getrieben. In dem Film erscheint der Tod Kleopatras als Teil der Lebenserinnerungen des greisen Augustus. Nachdem Octavian den Palast eingenommen hat, befindet sich Kleopatra allein in ihren Pri- vatgemächern, wo sie, spärlich bekleidet, rücklings auf einem Bett liegt. Mit nackten Füßen öffnet sie den Korb mit der giftigen Schlange. Das Reptil gleitet heraus und die Kamera folgt ihm in Großaufnahme, wäh- rend es langsam Kleopatras Schenkel hinaufgleitet und schließlich ihre Brust erreicht. Die Schlange richtet sich zum Angriff auf, und für einige Sekunden starren sich Frau und Reptil in die Augen, bevor die Kamera in Großaufnahme Kleopatras verträumtes Gesicht zeigt. Ein kurzer Ausdruck von Schmerz zeigt sich, als die Schlange zubeißt, gefolgt von leisem Stöh- nen, Bewegungen und schwerem Atmen der Königin, die alle eher an se- xuelle Erregung denken lassen, als an die tödliche Attacke eines giftigen Tiers. Diese mehr oder weniger offenkundigen erotischen Interpretationen des Selbstmords, die vor allem auf der Schlange als sexuellem Symbol be- ruhen, haben keinerlei Parallelen in den antiken Berichten über Kleopa- tras Tod. Sie wird zwar in den Quellen als attraktive (wenn auch nicht un-

102 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Tod durch Schlangenbiss bedingt schöne) Frau dargestellt,8 aber ihr Selbstmord hat keine erkennba- re erotische Komponente. Zudem ist der Tod durch Schlangenbiss keines- wegs die einzige Version ihres Ablebens. Plutarch, eine der Hauptquellen, kennt zwar die Erzählung über eine tödliche Schlange, betont aber zu- gleich, dass die Todesursache der Kleopatra in Wahrheit unbekannt sei und es sogar eine Reihe von Indizien gebe, die die Schlangenversion zwei- felhaft erscheinen ließen. Es sei keine Schlange in dem Raum gefunden worden, und es habe offenbar auch keine eindeutigen Bissspuren am Kör- per der Verstorbenen gegeben, da nur einige der Zeugen behaupteten, ty- pische Verletzungen an ihrem Arm gesehen zu haben. Selbst diese Spuren seien aber nach Plutarch nur schwer erkennbar gewesen.9

8 Plutarch, Ant. 27,3–4: καὶ γὰρ ἦν ὡς λέγουσιν αὐτὸ μὲν καθ’ αὑτὸ τὸ κάλλος αὐτῆς οὐ πάνυ δυσπαράβλητον οὐδ’ οἷον ἐκπλῆξαι τοὺς ἰδόντας, ἁφὴν δ’ εἶχεν ἡ συνδιαίτησις ἄφυκτον, ἥ τε μορφὴ μετὰ τῆς ἐν τῷ διαλέγεσθαι πιθανότητος καὶ τοῦ περιθέοντος ἅμα πως περὶ τὴν ὁμιλίαν ἤθους ἀνέφερέ τι κέντρον. ἡδονὴ δὲ καὶ φθεγγομένης ἐπῆν τῷ ἤχῳ· καὶ τὴν γλῶτταν ὥσπερ ὄργανόν τι πολύχορδον εὐπετῶς τρέπουσα καθ’ ἣν βούλοιτο διάλεκτον… »Ihre Schönheit war, wie man sagt, an und für sich nicht vollkommen unvergleichlich, und auch nicht so, dass sie denjenigen, die sie sahen, sofort ins Auge sprang. Aber mit ihr nä- heren Umgang zu haben, hatte einen unwiderstehlichen Charme, und ihre Gestalt, zu- sammen mit ihrer einnehmenden Gesprächsführung und ihrem feinen Wesen, das sich im Umgang mit ihr zeigte, machten Eindruck. Auch der Klang ihrer Stimme war ange- nehm, und sie ließ ihre Zunge wie ein vielsaitiges Instrument rasch in jede Sprache wechseln, die ihr beliebte.« Vgl aber Cassius Dio 42,34,4–5: ἄλλως τε γὰρ περικαλλεστάτη γυναικῶν ἐγένετο, καὶ τότε τῇ τῆς ὥρας ἀκμῇ πολὺ διέπρεπε, τό τε φθέγμα ἀστειότατον εἶχε, καὶ προσομιλῆσαι παντί τῳ διὰ χαρίτων ἠπίστατο, ὥστε λαμπρά τε ἰδεῖν καὶ ἀκουσθῆναι οὖσα, κἀκ τούτου πάντα τινὰ καὶ δυσέρωτα καὶ ἀφηλικέστερον ἐξεργάσασθαι δυναμένη, πρὸς τρόπου τε ἐνόμισε τῷ Καίσαρι ἐντεύξεσθαι, καὶ πάντα ἐν τῷ κάλλει τὰ δικαιώματα ἔθετο. »Sie war nämlich eine Frau von unübertrefflicher Schönheit, und damals, als sie gerade in der Blüte ihrer Jugend stand, stach sie besonders heraus. Sie hatte auch eine besonders einnehmende Stimme und wusste, sich jedem Gesprächspartner angenehm zu machen. Sie war strahlend anzusehen und anzuhören und konnte jeden für sich einneh- men, selbst einen Mann, der schon von Liebesaffairen gesättigt war und seinen Zenit überschritten hatte. Sie betrachtete es daher als günstig, sich mit Caesar zu treffen, und setzte bei ihren Rechtsansprüchen [sc. auf den Thron] ganz auf ihre Schönheit.« 9 Plut. Ant. 86,4–5: πλὴν οὔτε κηλὶς ἐξήνθησε τοῦ σώματος οὔτ’ ἄλλο φαρμάκου σημεῖον. οὐ μὴν οὐδὲ τὸ θηρίον ἐντὸς ὤφθη, συρμοὺς δέ τινας αὐτοῦ παρὰ θάλασσαν, ᾗ τὸ δωμάτιον ἀφεώρα καὶ θυρίδες ἦσαν, ἰδεῖν ἔφασκον. ἔνιοι δὲ καὶ τὸν βραχίονα τῆς Κλεοπάτρας ὀφθῆναι δύο νυγμὰς ἔχοντα λεπτὰς καὶ ἀμυδράς. »Weder gab es einen Fleck, noch ein an- deres Anzeichen von Gift an ihrem Körper. Zudem wurde auch das Tier nicht im Zim- mer gesehen. Einige sagten aber, sie hätten seine Spuren am Meer wahrgenommen. Ihr Zimmer ging zur Meerseite, und dort waren auch die Fenster. Einige (sagten) aber auch, dass man am Arm der Kleopatra zwei leichte und schwer erkennbare Einstiche gesehen habe.«

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Alternativ kursierte in der Antike auch das Gerücht, Kleopatra habe ihr Leben mithilfe eines Giftes beendet, dass in einer hohlen Haarnadel ver- steckt gewesen sei, doch habe ihr Körper keinerlei Vergiftungsspuren auf- gewiesen (Plut. Ant. 86,4–5). Plutarch stimmt darin mit unserer ältesten Quelle für Kleopatras Selbstmord überein, dem Geographen Strabo, (17,1,10), der möglicherweise während der fraglichen Ereignisse selbst in Alexandria war.10 Die Erzählung von der Schlange wurde nach Plutarch von Octavian selbst bevorzugt, der in seinem Triumphzug ein Bild der Kleopatra mit- führte, in deren Körper sich eine Schlange verbissen hatte.11 Die Vorstel- lung eines Selbstmordes durch Schlangenbiss passte möglicherweise bes- ser zur Darstellung der Kleopatra als exotische Königin als die alternative Version von einer ›gewöhnlichen‹ Vergiftung. Sie bot auch einen besseren Ersatz für das Schauspiel, das eine lebend nach Rom gebrachte Kleopatra im Triumphzug des Octavian geboten hätte.12 Es ist daher nicht überraschend, dass der Tod durch Schlangenbiss ger- ade bei Autoren, die Augustus nahestehen, zur kanonischen Version wird (siehe Verg. Aen. 8,696–697; Hor. carm. 1,37,25–28; Velleius Paterculus 2,87; Flor. epit. 2,21; siehe auch Prop. 3,11,53–54). Die meisten dieser

10 Vgl. Tronson (1998) 36. 11 Plut. Ant. 86,6: ἐν γὰρ τῷ θριάμβῳ τῆς Κλεοπάτρας αὐτῆς εἴδωλον ἐκομίζετο καὶ τῆς ἀσπίδος ἐμπεφυκυίας. (»Im Triumphzug aber wurde ein Bild Kleopatras und der Schlan- ge mitgeführt, die an ihr hing«). Cassius Dio berichtet ebenfalls von einer Darstellung der Kleopatra im Triumphzug, erwähnt aber keine Schlangen, 51,21,8: τά τε γὰρ ἄλλα καὶ ἡ Κλεοπάτρα ἐπὶ κλίνης ἐν τῷ τοῦ θανάτου μιμήματι παρεκομίσθη, ὥστε τρόπον τινὰ καὶ ἐκείνην μετά τε τῶν ἄλλων αἰχμαλώτων […] ὡς πομπεῖον ὀφθῆναι. (»Unter anderem wurde eine Darstellung Kleopatras mitgetragen, wie sie bei ihrem Tod auf einem Bett lag, so dass auch sie gewissermaßen mit den anderen Gefangenen im Triumphzug be- trachtet werden konnte«). Der Triumph wurde im August (Sextilis) 29 v.Chr. gefeiert, siehe Heyworth/Morwood (2011) 214 f. 12 Nach Livius (fr. 62 Jal) erklärte Kleopatra: »man wird nicht über mich triumphieren!«, (οὐ θριαμβεύσομαι, es handelt sich um ein im Porphyriuskommentar zu Hor. carm. 1,37,30 überliefertes Zitat). Dieses Ziel erreichte sie schließlich durch ihren Selbstmord. Prop. 4,6,63–66 behauptet, dass ihr Tod keinen großen Verlust für den Sieger bedeutet habe, da Rom in der Vergangenheit einen viel spektakuläreren Triumph (über Jugurtha) gefeiert habe: illa petit Nilum cumba male nixa fugaci, / hoc unum, iusso non moritura die. / di melius! Quantus mulier foret una triumphus, / ductus erat per quas ante Iugurtha vias. Für Octavian könnte der Tod Kleopatras in der Tat willkommen gewesen sein. Er vereitelte zwar die Möglichkeit, eine gefangene orientalische Königin im Tri- umph mitführen zu können, ersparte ihm aber auch die Unannehmlichkeit, eine so faszinierende Frau hinrichten zu müssen. Dies beweist allerdings noch nicht, dass Octa- vian aktiv an ihrem Tod beteiligt war.

104 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Tod durch Schlangenbiss

Erzählungen gehen davon aus, dass Kleopatra zwei, oder jedenfalls mehrere Giftschlangen an ihren Körper angelegt habe.13 Nirgendwo in den antiken Quellen wird jedoch behauptet, dass diese in die Brust der Königin gebissen hätten, wie es die Filmversionen von 1934, 1999 und 2004 tun. Es gibt auch keine sonstigen erotischen Untertöne, die die letzten Worte der sterbenden Königin (»Antony, Antony, wait!«)14 in Mankiewiczs Filmversion angeregt haben könnten. Bei Vergil ist Kleopa- tra auf dem wundersamen Schild des Aeneas dargestellt, wo sie durch das

13 Siehe z.B. Flor. epit. 2,21: admotisque ad venas serpentibus (siehe dazu Miranda 2017); Hor. carm. 1,37,26 f.: asperas […] serpentis; Prop. 3,11,53: sacris admorsa colubris; Verg. Aen. 8,697 geminos […] anguis. Eine Ausnahme stellt Velleius Paterculus dar, der nur von einer Schlange spricht. Tronson (1998) nimmt an, dass die Tradition zweier Schlangen auf die Schildbeschreibung in der Aeneis zurückgehe. Dort ist Kleopatra dargestellt, wie sie in der Schlacht von Actium ihre Truppen zusammenruft, noch ohne auf die zwei Schlangen in ihrem Rücken zu achten (Verg. Aen. 8,696 f.: regina in mediis patrio vocat agmina sistro, / necdum etiam geminos a tergo respicit anguis). Williams (1973) ad loc. vermutet, dass die zwei Schlangen auf dem Schild in Wahrheit nur für ein Tier stehen: »The asp with which she finally killed herself is symbolically portrayed by Vul- can behind the figure of Cleopatra in a tableau of two serpents; in itself such an em- blem would be sinister (e.g. 7.450) and when applied to Cleopatra it becomes more spe- cific.« In der Tat werden Unglücke und unheilbringende Charaktere in der Aeneis öfter von zwei Schlangen begleitet: Die von Williams angeführte Parallele bezieht sich auf die Furie Allecto, die wieder ihre gewöhnliche Gestalt annimmt, wobei sich zwei Schlangen aufrichten, die ihr Haar bilden (die Stelle ist viel diskutiert, siehe dazu z.B. Clément-Tarantino 2016, 277 f.). In der Iliupersis wird Laocoon von zwei riesigen Schlangen getötet. Einzelne Schlangen dagegen haben offenbar nicht dieselbe unheil- verkündende Bedeutung. Sie erscheinen in Gleichnissen (Verg. Aen. 2,379 f.; 2,471 f.; 5,273) oder dienen als gutes Omen (Aen. 5,84–93; georg. 2,153 f.; 3,425 f.). Zu Kleopatra in der augusteischen Propaganda siehe Wyke (1992). 14 Horaz und Velleius Paterculus heben beide Kleopatras Tapferkeit hervor. Properz spricht von dem verborgenen (Todes-)Schlaf, der sie überkommt, ohne dass diese Be- merkung irgendwelche erotischen Konnotationen enthielte. Bei Plutarch wird die Liebesbeziehung zwischen Antonius und Kleopatra nicht in der Todesszene selbst er- wähnt, sondern kurz zuvor, als Kleopatra am Grab des Antonius ihr Schicksal beklagt. In ihrer emotionalen Anrede an den Verstorbenen steht jedoch ihre elende Lage als Kriegsgefangene im Vordergrund. Ihr erster Satz (ὦ φίλ’ Ἀντώνιε »εἶπεν« ἔθαπτον μέν σε πρώην ἔτι χερσὶν ἐλευθέραις, σπένδω δὲ νῦν αἰχμάλωτος οὖσα [Plut. Ant. 84,4: »Oh lieber Antonius, früher habe ich Dich noch mit freien Händen bestattet, nun bringe ich diese Trankspende als Kriegsgefangene«]) leitet über zu einer Klage über den Plan der Römer, sie im Triumphzug mitzuführen: καὶ φρουρουμένη μήτε κοπετοῖς μήτε θρήνοις αἰκίσασθαι τὸ δοῦλον τοῦτο σῶμα καὶ τηρούμενον ἐπὶ τοὺς κατὰ σοῦ θριάμβους (Plut. Ant. 84,4: »Ich werde bewacht, damit ich nicht mit Klagen oder Trauern diesen Sklavenleib entstelle, der für den Triumph über Dich aufgespart wird«). Erst dieser Gedanke bringt sie zu der Erkenntnis, dass die Überführung nach Rom die endgültige Trennung von ihrem römischen Liebhaber bedeuten wird, der ironischerweise in Ägypten bestattet ist, während sie selbst in römischer Erde begraben sein wird.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 105 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Anja Bettenworth typisch ägyptische sistrum gekennzeichnet ist, jenes Musikinstrument, das gewöhnlich im Isiskult verwendet wird und das Kleopatra hier dazu dient, ihr Heer anzufeuern.15 Horaz wiederum betont den ›männlichen‹ Mut der Kleopatra: Sie fürchtet sich nicht vor dem Schwert (Hor. carm. 1,37,22 f.: nec muliebriter / expavit ensem), wagt es, die Ruinen ihres von den Römern zerstörten Palastes noch einmal aufzusuchen und handhabt gelassen die aggressiven Schlangen (Hor. carm. 1,37,25–28).16 Der zerstörte Palast ist der einzige Hinweis auf den Schauplatz von Kleopatras letzten Stunden. Er wird nicht näher beschrieben, sondern fungiert als Sinnbild der ver-

15 Eine ähnliche Verbindung wird in Prop. 3,11,43 hergestellt, wo Kleopatra »es wagt, die römische tuba mit ihrem sistrum« zu vertreiben (Romanamque tubam crepitanti pellere sistro [sc. ausa]). Es ist oft bemerkt worden, dass Kleopatras Name nirgends in der au- gusteischen Dichtung erwähnt wird, siehe z.B. Nisbet/Hubbard (1970) 413. 16 Kurz vor diesen Versen hatte Horaz Octavian bei seiner Verfolgung der Kleopatra mit einem Falken verglichen, der einen Hasen jagt (Hor. carm. 1,37,16–20). Diese Gleich- nisse und ihre Stellung in dem Gedicht sind in der Forschung oft diskutiert worden. Sie scheinen eine furchtsame und eine tapfere Kleopatra direkt nebeneinanderzustellen, ohne eine sofort erkennbare Erklärung für diese Veränderungen ihres Charakters zu liefern. Die Dramatik der kontrastierenden Bilder führte Margolies DeForest (1989) 168 zu der ratlosen Aussage, dass »a drunken queen became a Stoic philosopher«. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Kleopatra auch in den Versen, die dem Hasengleichnis unmit- telbar vorausgehen, als gefährlich und furchtlos dargestellt wird. Sie bereitet die Zer- störung des Kapitols und die Vernichtung des römischen Reiches vor (Hor. carm. 1,37,6–8: dum Capitolio / regina dementis ruinas / funus et imperio parabat). Ihr furor wird erst durch ihre Niederlage bei Actium gedämpft, und schließlich flößt ihr Octavian wirkliche Furcht ein, als er sie verfolgt, um sie gefangenzunehmen (Hor. carm. 1,37,12– 21: sed minuit furorem / vix una sospes navis ab ignibus / mentemque lymphatam Mareotico / redegit in veros timores / Caesar […] remis adurgens […], daret ut catenis / fatale monstrum). Der Wortlaut legt nahe, dass sie zuvor keine wahre Furcht empfunden habe, und ihr mutiger Selbstmord beweist schließlich, dass auch die durch Octavian bewirkte Furcht nicht von Dauer war. Daher kann ihre vorübergehende Angst auf der Flucht vor Octa- vian nicht in der Sorge um ihr Leben begründet sein. Horaz selbst deutet den wahren Grund für ihre Furcht an, wenn er unterstreicht, dass Octavian sie verfolge, um sie, ein fatale monstrum, in Ketten zu legen. Sein Ziel ist es nicht, Kleopatra zu töten, sondern sie gefangenzunehmen (ihre Hinrichtung nach dem Triumphzug wäre allerdings eine logische Konsequenz). Es ist hier ausschließlich die Gefangenschaft, die Kleopatra fürchtet, während ihre generelle Tapferkeit davon unberührt bleibt. Nur ihr gegen Rom gerichteter furor wird durch die vernichtende Niederlage in Actium gebremst: Ihr fehlen nun schlicht die Mittel für einen Kampf gegen den Feind, so dass sie sich schließlich gegen sich selbst wendet, um wenigstens Octavians Triumph zu verhindern. Diese Deutung wurde schon von Commager (1958) 49 vorgeschlagen: Horaz »assigns her proud refusal to be lead in Caesar’s triumph as the sole motive for her suicide«. Ein vergleichbarer Gedanke findet sich in Prop. 4,6,63 f. (über Kleopatras Flucht in der Schlacht von Actium): illa petit Nilum cumba male nixa fugaci, / hoc unum, iusso non moritura die.

106 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Tod durch Schlangenbiss lorenen Macht – ein Verlust, der kurz darauf durch die erzwungene Überführung der Königin von Ägypten nach Rom hätte bestätigt werden sollen.17 Mit ihrem Selbstmord kommt Kleopatra diesen Plänen und damit auch ihrer Demütigung im römischen Triumphzug zuvor. Die Selbsttötung ist damit bei Horaz kein Zeichen der Niederlage, sondern ein wirksames Mittel der Selbstbehauptung, das die Königin sogar noch furchteinflößender macht: deliberata morte ferocior (Hor. carm. 1,37,29). In diesem Kontext ist es unerheblich, an welcher Körperstelle Kleopatra schließlich von den Schlangen gebissen wird. Der Dichter spricht folglich auch nur davon, dass Kleopatra es so einrichtete, dass sie »das schwarze Gift mit ihrem Körper trank« (ut atrum / corpore combiberet venenum, Hor. carm. 1,37,27–8). Der Text hebt die Entschlossenheit hervor, mit der die entmachtete Königin einen Weg findet, ihre Deportation nach Rom und die dort drohende öffentliche Demütigung zu verhindern. Nach der Zer- störung ihres Palastes und der darin befindlichen Schätze bilden ihr Kör- per und ihr Geist gleichsam ihre letzte Verteidigungsbastion. Es ist daher kein Zufall, dass die gewaltsame Vernichtung des Palastes und die frei- willige Zerstörung des eigenen Körpers in Horaz’ Gedicht in derselben Strophe erwähnt und damit eng verknüpft sind. Properz 3,11 dagegen erreicht einen ähnlichen Effekt, indem er die ge- fesselten Hände der Königin ihren Armen gegenüberstellt, in die die Schlangen sich verbeißen, so dass »ihre Glieder einen geheimen Weg für den (Todes-)Schlaf bieten«:18 Fugisti tamen in timidi vaga flumina Nili: accepere tuae Romula vincla manus.19 bracchia spectavi20 sacris admorsa colubris et trahere occultum membra soporis iter.

17 Zu Kleopatra bei Horaz und Properz siehe Mader (1989) 183–201. 18 Prop. 3,11,51–4. In dieser Elegie erwähnt der Sprecher die Liebesaffaire zwischen Anto- nius und Kleopatra als Entschuldigung für seine eigene Beziehung zu Cynthia und sei- ne Unfähigkeit, sich von ihr zu befreien, siehe z.B. Debrohun (2003) 217 f. und Fant- ham (2006) 196–198. 19 Heyworth/Morwood (2011) 215 betonen, dass die vincla, mit denen die Hände der Kö- nigin gefesselt werden, die typisch elegische Hierarchie umkehren, die noch zu Beginn des Gedichts eingeführt wurde. In den ersten beiden Distichen präsentiert sich der männliche Sprecher als unterworfener und von den vincla einer Frau gefesselter Liebha- ber, Prop. 3,11.1–4: Quid mirare, meam si versat femina vitam / et trahit addictum sub sua iura virum, / criminaque ignavi capitis mihi turpia fingis / quod nequeam fracto rumpere vin- cla iugo? Nach Actium ist hingegen die weibliche Herrscherin Ägyptens mit den ›Fes- seln des Romulus‹, des männlichen Gründungsheros Roms, gebunden. Die zweite von

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 107 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Anja Bettenworth

Ein Schlangenbiss in die Brust, wie ihn die meisten Filmversionen bieten, würde diese kunstvolle Gegenüberstellung zerstören. Bei Properz bildet der tödliche Biss in den Arm zudem nur den Höhepunkt in einer Reihe von Schicksalswendungen. Zuvor hatte Kleopatra demnach versucht, ihrer Gefangennahme durch eine Flucht »in die Wasser des furchtsamen Nil« zu entkommen, d.h. sie hatte freiwillig den königlichen Palast verlas- sen, der einst ihr Machtzentrum gewesen war. Nach ihrer Gefangennah- me durch die Römer schließlich findet sie, obwohl selbst ihrer Bewe- gungsfreiheit beraubt, einen Weg, das tödliche Gift herbeizuschaffen. Die Metapher occultum […] iter (›verborgener Weg‹), die in Prop. 3,11,54 er- wähnt wird, spielt mit der Konnotation eines geheimen Fluchtweges: Der tödliche Schlangenbiss bildet gleichsam den Ersatz für die physische Flucht, die die Römer erfolgreich verhindern konnten. Der Schlangenbiss in die Brust und die zentrale Rolle des Antonius während des Selbstmords sind also bei den antiken Autoren nicht zu fin- den. Sie kommen jedoch in Shakespeares Drama Antony and Cleopatra vor. Dieses ist zwar nicht die erste moderne Bearbeitung des Stoffs,21 war jedoch zweifellos von besonderer Bedeutung für die Rezeption des Kleo-

Heyworth/Morwood angeführte Parallele (3,11,20 manu) ist dagegen weniger überzeu- gend. Sie bezieht sich nicht auf die Fesselung eines Besiegten, einen zentralen Gedan- ken in der Beschreibung der gefangenen Kleopatra, sondern auf die niederen, degradie- renden Arbeiten, zu denen Hercules von Omphale gezwungen wird. 20 Heyworth/Morwood (2011) 215 schlagen spectasti statt des überlieferten spectavi vor, weil sie einen Sprecherkommentar an dieser Stelle für unpassend halten: »a reference to the triumph and P[ropertius] himself is intrusive here«. Die Lesart der Handschriften ergibt jedoch guten Sinn, zumal der Text auch andere Äußerungen des Sprechers bietet. Die Elegie beginnt mit einem Hinweis auf die Lage des Erzählers (3,11,1–4), und die Kleopatraerzählung selbst wird mit einer rhetorischen Frage eingeführt, die die be- wusste Entscheidung für dieses Sujet hervorhebt (3,11,27–29: nam quid ego heroas, quid raptem in crimina divos? […] quid, modo quae [sc. Cleopatra] nostris opprobria nexerit armis. Später verweist der Erzähler einmal auf nostros pedes, d.h. die Füße der Römer, die den Ruhm vieler Gegner, darunter auch den des Pyrrhus, gebrochen haben (V. 60). Die Elegie endet mit einer Anrede an einen Seefahrer, die indirekt die Rolle des Erzählers als Gesprächspartner hervorhebt (V. 71 f.: at tu, sive petes portus seu, navita, linques, / Cae- saris in toto sis memor Ionio). Da der Sprecher seine eigene Person mehrfach in Erin- nerung ruft und auch die Lage in Rom erwähnt, ist es nicht weiter auffällig, dass er auch auf dem Höhepunkt der Kleopatraerzählung – ihrer Todesszene in der Darstellung im Triumphzug – persönlich in Erscheinung tritt. 21 Beispiele für literarische und bildliche Darstellungen der Kleopatra aus der Zeit vor Shakespeare finden sich bei Tronson (1998) 31 Anm. 2. Zu ihnen gehört Thomas Nas- he, Christ’s tears over Jerusalem (1593): »At thy breasts (as Cleopatra’s) asps shall be put to nurse«, der ein ganz ähnliches Bild verwendet wie Shakespeare, siehe S. 110.

108 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Tod durch Schlangenbiss patrabildes.22 Wie Vergil spricht auch Shakespeare von zwei Schlangen, von denen Kleopatra eine an ihrer Brust und eine weitere an ihren Arm anlegen lässt. Während die Königin die erste Schlange aus ihrem Behältnis nimmt, redet sie das Tier mit aufschlussreichen Worten an: »Come, thou mortal wretch, / With thy sharp teeth this knot intrinsicate / of life at once untie.« (5,2,302–304) Da die Brust (die in dieser wörtlichen Rede nicht di- rekt erwähnt, aber später ausdrücklich als Ort der Verletzung genannt wird) als Sitz des Lebens aufgefasst wurde,23 scheint eine todbringende Bisswunde am Oberkörper tatsächlich angemessener als ein Biss in den Arm, wie ihn die antiken Autoren erwähnen. Das Bild der Schlange, die die lebensspendenden Stränge des Körpers durchtrennt, parallelisiert Kleopatras Tod mit dem Tod männlicher Helden, die typischerweise Selbstmord begehen, indem sie sich eine tödliche Wunde am Oberkörper zufügen (indem sie sich z.B. in ihr Schwert stürzen).24 Diesem ›männlichen‹ Bild stellt Shakespeare dann eine typisch weibli- che Metapher an die Seite, die wiederum von Kleopatra selbst eingeführt wird. Diese ermahnt ihre Dienerin Charmian zur Ruhe: »Peace, peace! Dost thou not see my baby at my breast / That sucks her nurse asleep?« (5,2,307–309). Die Umkehrung der Alltagssituation, in der eine Amme ein weinendes Baby beruhigt, indem sie es stillt, kennzeichnet Kleopatras Selbstmordpläne als widernatürlich. Gleichzeitig führt das Bild auch einen Unterton mütterlicher Zärtlichkeit in die Szene ein, der in der An- rede an die Schlange noch nicht zu spüren war.25 Dort lag der Akzent viel-

22 Feichtinger (1996) 108–110 verweist auf Boccaccios Kleopatravita in seinem Werk De claris mulieribus (eine 1374 veröffentlichte Sammlung von 104 Biographien berühmter Frauen) als mögliches Bindeglied zwischen Shakespeare und den antiken Quellen. Bei Boccaccio öffnet sich Kleopatra selbst die Armvenen und legt dann Schlangen (serpen- tes) an die Wunden, weil man ihnen nachsage, dass sie einen tödlichen Schlaf herbei- führten. Er bietet auch eine zweite, weniger verbreitete Version, nach der Antonius Kleopatra zwang, Gift zu trinken. Keines dieser Details wird von Shakespeare aufgegrif- fen. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihm und Boccaccios erster Version der Todes- szene ist der Gedanke, dass Kleopatra Antonius in den Tod folgte. 23 Den Begriff »knot of life« erklärt Wilders als »the one which ties the soul to the ›baser life‹ of the body, or what Donne [The Exstasie, l. 64] calls ›That subtle knot that makes us man.‹« (Wilders 1995, ad 303). 24 Frauen dagegen erhängen sich typischerweise, nehmen Gift oder stürzen sich selbst von einem Felsen. In jedem Fall vermeiden sie eine Wunde am Oberkörper. Eine Ausnahme bildet die Frau des Thrasea Paetus, deren ›männliche‹ Tapferkeit entsprechend von römischen Autoren gerühmt wird. 25 Royster (2003) 52 hebt die Anspielungen auf die Mutterrolle hervor, geht aber nicht auf deren Umkehrung ein.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 109 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Anja Bettenworth mehr auf der tragischen Situation und dem gewaltsamen Ende des Le- bens, das die Schlange herbeiführen soll.26 Die Anregung zu dem Bild der stillenden Frau gerade im ägyptischen Kontext haben Shakespeare mögli- cherweise Plutarchs Moralia geliefert, die ihm in Philemon Hollands 1603 publizierter englischer Übersetzung zugänglich waren.27 Dort heißt es, die Göttin Isis (mit der sich Kleopatra identifiziert), halte ein königliches Kind an der Brust, sie sei eine Amme, ›die die ganze Welt säugt und nährt‹ (»a nurse that suckleth and feedeth the whole world« p. 1301 Holland). Wenn dies zutrifft, so markierte das Bild der Amme nicht nur den Rück- zug der Kleopatra in den privaten Raum, sondern ließe zugleich ihre Rol- le als gottnahe Herrscherin anklingen, die auch noch im Augenblick der Niederlage sichtbar bleibt. In der Filmversion von 1999 wird ein ähnlicher Effekt erzielt, indem die in königliche Gewänder gekleidete Kleopatra die Schlange ausdrück- lich auffordert, sie ›zu Isis zu bringen‹. Zwar geht der Film nicht so weit, Kleopatra mit der Göttin gleichzusetzen, wie es bei Plutarch der Fall ist, doch setzt er jedenfalls eine enge Bindung zwischen den beiden voraus. Dies ist vor allem im Vergleich zu Youngs Verfilmung auffällig, wo Kleo- patra in der Todesszene als Privatperson ohne königliche Attribute darge- stellt wird. Obwohl Shakespeare also durch das Bild der Amme Kleopatras Weib- lichkeit betont, so ist die Metapher selbst dennoch nicht offen erotisch konnotiert. Eine erotische Färbung ergibt sich erst durch die Art, wie Kleopatra das Anlegen der Schlangen begründet und kommentiert. Der Selbstmordplan an sich ist offenbar mit kühlem Kopf geplant worden: Die Schlangen wurden vor der eigentlichen Todesszene hereingeschmuggelt, und der Todeswunsch selbst war ganz durch die politische Situation moti- viert.28 Der eigentliche Selbstmord aber wird bei Shakespeare in auffälli- ger Weise emotional aufgeladen. Als Kleopatra bemerkt, wie ihre Diene- rin Iras aus Kummer stirbt, ruft sie, von plötzlichem Neid und Eifersucht überwältigt: »This proves me base. / If she first meet the curled Antony, /

26 Vgl. den Ausdruck »poor venomous fool« für die Schlange. »Fool« ist im Shakespeare- Englisch »an affectionate term used normally of children« (Wilders 1995, ad loc.). 27 Siehe z.B. Chernaik (2011) 158. 28 5,2,283–286 (Kleopatra antizipiert die Reaktion des Antonius in der Unterwelt): »I see him rouse himself / To praise my noble act. I hear him mock / the luck of Caesar, which the gods give men / To excuse their after wrath.« 5,2,305–307 (Kleopatra redet die Schlange an): »O, couldst thou speak, / That I might hear thee call great Caesar ass / un- policied!«

110 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Tod durch Schlangenbiss

He’ll make demand of her, and spend that kiss / which is my heaven to have.« (5,2,299–302). Erst dann legt sie die erste Schlange an ihre Brust, of- fenbar in der Hoffnung, Iras ›einzuholen‹ und somit als erste in der Unter- welt auf Antonius zu treffen. Dieser erotisch motivierte Gedankengang wird wieder aufgenommen, als Kleopatra vom Bild der Amme zur Be- schreibung der Schlange übergeht, durch deren sanfte Berührung sie sich pötzlich an ihren Liebhaber erinnert fühlt. (»As sweet as balm, as soft as air, as gentle - / O Antony! -«, 5,2,310–311). Dann entschließt sie sich, eine zweite Schlange anzulegen,29 um ihren Tod zu beschleunigen und Iras möglicherweise zu ›überholen‹. Indem Shakespeare die Idee eines ›Wettlaufs‹ zwischen der sterbenden Kleopatra und ihrer Dienerin einführt, liefert er eine ingeniöse Erklärung für die antike Tradition, nach der Kleopatra mindestens zwei Schlangen verwendete. Die antiken Autoren selbst geben keine Begründung für die Mehrzahl der Schlangen und bieten daher Raum für Interpretationen. Die modernen Drehbuchautoren wiederum haben offenbar kein Interesse da- ran, die Todesszene durch einen zusätzlichen Gedankengang wie den der Eifersucht zwischen Königin und Dienerin anzureichern: Sie verzichten daher sowohl auf die Idee eines ›Wettlaufs‹, als auch auf die Darstellung einer zweiten Schlange. Es stünde zu erwarten, dass die Filmversionen durch diese Art der Dar- stellung näher an die griechischen Quellen rücken müssten, die die bei- den Elemente ebenfalls nicht bieten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zwar verzichten alle vier hier besprochenen Verfilmungen auf die erotische Konkurrenz zwischen Iras und Kleopatra, doch behalten sie andererseits die in Antony and Cleopatra spürbare erotische Spannung bei. Die offen- sichtlichste Anspielung auf Shakespeare ist der Ausruf der sterbenden Kleopatra in Mankiewiczs Verfilmung (»Antony, Antony wait«), der im- pliziert, dass Kleopatra den verstorbenen Geliebten ›einzuholen‹ wünscht. Diese Worte kommen im Film überraschend, da es dort, anders als bei Shakespeare, keinen Hinweis darauf gibt, dass jemand Kleopatra die Ver- bindung zu ihrem Geliebten streitig zu machen versucht. Sie scheinen hier allein den dringenden Wunsch der Königin auszudrücken, endlich wieder mit Antonius vereint zu sein. Sie haben umso mehr Gewicht, als alle offeneren erotischen Anspielungen, die sich bei Shakespeare finden,

29 Die Regieanweisungen in der Oxfordausgabe lassen Kleopatra die zweite Schlange an ihren Arm anlegen. Im Text selbst gibt es keinen Hinweis darauf, an welchen Körperteil gedacht ist.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 111 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Anja Bettenworth hier ausgelassen werden. Kleopatra legt die Schlange nicht an ihre Brust (was nach dem Hays Code aus dem Jahr 1934 möglicherweise als obszön gegolten hätte),30 und verwendet auch keine erotischen Anspielungen. Ebensowenig fühlt sie sich durch den Wunsch ihrer Dienerinnen, mit ihr zu sterben, bedroht. Zwar fordert sie Iras und Charmian auf, ihren eige- nen Freitod noch hinauszuzögern, doch liegt der Grund nicht darin, dass Kleopatra Antonius zuerst zu treffen hofft, sondern in dem Wunsch, nach ihrem Tod von den Dienerinnen angekleidet und angemessen aufgebahrt zu werden. In der von Selbstbeherrschung dominierten Atmosphäre dieser Todes- szene erinnert allein die kurze Anspielung auf den Shakespearetext das Pu- blikum an die verzweifelte Liebe, die Kleopatra dort für Antonius emp- fand. Ein Großteil zumindest des englischsprachigen Kinopublikums dürfte den dezenten Hinweis verstanden haben, so dass der Regisseur die freizügigere Version, in der Kleopatra die Schlangen an ihre Brust legte, anklingen lassen konnte, ohne sie zeigen zu müssen. Indem Shakespeares Kleopatra nur sehr dezent präsent bleibt, erscheint die Herrscherin im Film als würdevoller Charakter, dem es gelingt, durch königliche Selbst- disziplin auch verstörende Emotionen im Zaum zu halten. Ihr hoher Rang zeigt sich dabei nur in ihrem Verhalten. Gerade die Tatsache, dass sie in der Todesszene keine königliche Kleidung trägt, unterstreicht hier ihren starken Charakter. Cecil DeMilles Verfilmung, die noch vor der Umsetzung des Hays- Codes entstand, erzielt ein ähnliches Ergebnis mit anderen Mitteln. Auch DeMille bezieht sich auf Shakespeare, zitiert aber nicht den Wortlaut des Stücks, sondern nur das charakteristische, von Shakespeare eingeführte Anlegen der Schlange an die Brust. Das Motiv ist aber nicht Eifersucht ge- genüber Iras (die im Film die Königin überlebt), sondern das Nahen der feindlichen Römer, die im Begriff stehen, das Tor der Audienzhalle aufzu- brechen. Indem sie sich gerade in der Audienzhalle das Leben nimmt, ver- hindert Kleopatra nicht nur ihre Gefangennahme, sondern stellt zugleich sicher, dass die Feinde gleich bei Betreten der Halle einen optischen Ein- druck von der Großartigkeit des ägyptischen Königtums erhalten.

30 Der Hays Code (oder Production Code) beschränkte die Darstellung von Sexualität und Gewalt in amerikanischen Filmen. Er wurde zunächst auf freiwilliger Basis von den Filmproduzenten angewendet, wurde aber seit 1934 verbindlich. Filme, die dem Code nicht entsprachen, riskierten einen Boykott. Erst 1967 wurden die Bestimmungen aufgehoben.

112 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Tod durch Schlangenbiss

Während die Königin sich in DeMilles Film also einerseits überlegt in- szeniert, stellt das auf Shakespeare rekurrierende Anlegen der Schlange an die Brust andererseits eine emotionale Geste dar. Aber selbst dieses Detail wirkt im Vergleich zur Vorlage deutlich zurückgenommen. Zwar steht Kleopatra sowohl bei Shakespeare als auch bei DeMille unter Zeitdruck (wenn auch aus sehr verschiedenen Gründen), doch nur bei Shakespeare versucht sie, ihren Tod durch eine zweite Schlange zu beschleunigen. DeMilles Entscheidung, nur eine Schlange zu zeigen, spiegelt den an- dersartigen Kontext der Szene wider. Während Kleopatra sich bei Shake- speare in einem erotischen Wettlauf wähnte, weshalb der Dichter den ero- tisch konnotierten Schlangenbiss leicht verdoppeln konnte, befindet sich Kleopatra bei DeMille in einem Rennen gegen ihren politischen und mili- tärischen Gegner, der sie gefangenzunehmen droht. Ein zweifacher Schlangenbiss, um Octavian zu entkommen, hätte hier angesichts der be- rühmten Vorlage leicht die Ebenen von Erotik und Politik verwischen können, die sich zwar gelegentlich durchdringen, aber doch sehr verschie- dene Motivationen für einen Freitod liefern. Das unmittelbare Motiv für Kleopatras Selbstmord ist ein politisches, während die Art seiner Umset- zung auch ihr Verlangen nach einer Vereinigung mit Antonius widerspie- gelt. Zugleich ist der Regisseur jedoch auch darauf bedacht, die erotischen Implikationen nicht zu sehr in den Vordergrund zu rücken. So bewegt die Königin die Giftschlange mit einer heftigen, ruckartigen Bewegung auf ihren Oberkörper zu, ähnlich wie männliche Helden dies in vergleichba- rer Lage mit einem Schwert tun. Auch entblößt sie ihre Brust nicht mehr als unbedingt nötig. Obwohl der Tod durch Schangenbiss eine exotische Form des Selbstmords darstellt und keine Vorläufer in der griechischen oder römischen Geschichte hat, vollzieht ihn DeMilles Kleopatra mit einer Entschlossenheit und Selbstbeherrschung, die an die lange Tradition heroischer römischer Selbstmorde erinnert. Dieser sorgfältige Balanceakt zwischen Politik und Erotik wird in den Adaptationen von 1999 und 2004 zunehmend zugunsten der Erotik aufge- geben. Zwar trägt Kleopatra in der Version von 1999 königliche Kleidung, aber der lange Blick in die Augen der Schlange, das auffällige Zustoßen des Reptils und das schwere Atmen der Königin stellen sicher, dass nicht nur ihre Sehnsucht nach Antonius, sondern die Sterbeszene selbst eine erotische Färbung bekommt. Kleopatras letzte Worte (»Take me to Isis«) richten sich nicht an Antonius, sondern an die Schlange, die von einem reinen Werkzeug (mit eher zufälligen erotischen Konnotationen) nun selbst zu einem erotischen Objekt zu werden scheint. Diese Darstellung

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 113 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Anja Bettenworth geht weit über die Worte der Shakespeare’schen Kleopatra hinaus, die die Schlange als »a baby at my breast« beschrieben hatte. Eine Steigerung erfährt diese Sichtweise im Fernsehzweiteiler von 2004. Kleopatra liegt dort in einem dünnen Nachtgewand auf einem Bett. Ihr königlicher Status wird weder durch die Ausstattung des Raums, noch durch herrscherliche Insignien oder die Anwesenheit von Dienerinnen an- gedeutet, so dass sie gleichsam als Privatperson in einem privaten und inti- men Ambiente erscheint. Mit einer nonchalanten Bewegung ihres nack- ten Fußes öffnet sie den Korb mit der Schlange und lässt das Tier über ihren fast nackten Körper gleiten, während sie es mit dem träumerischen Blick einer verliebten Frau beobachtet. Sie tauscht einen langen Blick mit der Schlange und verfällt, als diese schließlich zubeißt, in eine Art von Ek- stase. Nichts deutet darauf hin, dass ihre Gedanken in diesem Moment bei dem verstorbenen Antonius sind. Ihr erotischer Partner ist die Schlange, die obendrein genau zu wissen scheint, was ihre Aufgabe ist, so dass sie den Weg zu Kleopatras Brust ohne menschliche Hilfe findet. Diese Darstellung der Kleopatra als eine geradezu wollüstige, exotische Frau ohne erkennbare königliche Eigenschaften fügt sich in eine lange Tradition von Gemälden und Filmen ein, die laszive orientalische Frauen als Haremsdamen zeigen.31 Die Bilder regen die Phantasie des Betrachters an, ohne offen obszön zu sein und wurden eben aus diesem Grunde geschätzt. Aber während die Odaliskenmaler meist keine offen politischen Ansprüche mit ihren Werken verbanden, wird der Augustusfilm von 2004 als Film mit politischer Botschaft, besonders für ein zusammenwach- sendes Europa, beworben. Die auffällige Erotisierung der Todesszene dient hier möglicherweise als Ersatz für die im Film ansonsten fehlenden Sexszenen. Mag sie in dieser Hinsicht (zumindest teilweise) erfolgreich sein, so tut sie doch andererseits durch die Verwandlung der komplexen Kleopatragestalt in ein reines Pin-up-Girl der langen literarischen und cineastischen Tradition unrecht. Vor allem aber steht sie den politischen Ambitionen entgegen, die die paneuropäischen Filmemacher für sich beanspruchen. Zum Glück lässt die weiterhin andauernde Beliebtheit der Kleopatra vermuten, dass das letzte Wort in dieser Hinsicht noch nicht gesprochen ist.

31 Zur Tradition der exotischen und erotisierten Kleopatra siehe z.B. Royster (2003) und Wyke (1997).

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Frauen in Zeiten des Bürgerkriegs. Von der Laudatio Turiae zu Lucans Bellum Civile1

I. Der Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius

Der Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius (49/48 v.Chr.), den wir im Bellum Civile des Epikers Lucan poetisch vermittelt kennenlernen, war – glaubt man den Historikern – eine der folgenreichsten militärischen Auseinandersetzungen überhaupt, die vielleicht als erster Krieg der Antike hinsichtlich der Modernität der Kriegsführung, der Anzahl der Kriegsop- fer und der nachhaltigen Wirkung mit den modernen Weltkriegen ver- gleichbar ist. Diesem Bürgerkrieg folgten nach den phasenverschobenen Ermordungen des Verlierers Pompeius (28. September 48 v.Chr.) und des Siegers Caesar (15. März 44 v.Chr.) weitere Bürgerkriege in wechselnden Freund‒Feind-Konstellationen mit teilweise immensen Menschenverlus- ten (Schlacht von Philippi 42 v.Chr. mit geschätzten 40.000 Toten oder Verletzten)2 bis schließlich Octavianus/Augustus mit dem eher undramati- schen, leichten Sieg bei Actium (2. September 31 v.Chr.) diesem langen Jahrhundert innerer Konflikte Roms ein Ende (?) setzte. Der Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius läutete das Ende der sog. Römischen Republik ein und ebnete den Weg zu einer neuen Staats- ordnung, dem Prinzipat, das auf viele Jahrhunderte in der westlichen Zi- vilisation das Muster für staatliche Organisation werden sollte. Dass dieser Krieg derartig weitreichende Konsequenzen haben würde, konnten dessen Protagonisten allerdings nicht wissen. Selbst der Epiker Lucan, der diesem Krieg fast 100 Jahre post eine bestimmte literarische Gestalt gegeben hat, konnte das nicht im vollen Ausmaß erahnen, auch wenn er selbst schon unter dem Prinzipat lebte. Aber dafür war er besser als jeder Zeitgenosse

1 Der vorliegende Artikel ist die leicht überarbeitete Version des Salemer Vortrags, inhalt- lich stellt er die Ergebnisse verschiedener meiner schon gedruckten und in der Entste- hung begriffenen Publikationen vor (Walde 2011, Walde 2018, Walde Lucan-Monogra- phie, in Vorbereitung). Für Anregungen und Diskussionen danke ich Marianne Schrai- vogel-Illi und dem Salemer Auditorium sowie meinem Mann Alfred Krovoza (Hanno- ver/Mainz) und Matthias Heinemann (Mainz). 2 Vgl. Bleicken (21998) 157–172.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 115 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christine Walde in der Lage, aus der zeitlichen Distanz die Geschehnisse poetisch zu analy- sieren. Genauer gesagt ist sein Bellum Civile neben dem gleichnamigen Werk Caesars das einflussreiche Masternarrativ über diesen Bürgerkrieg. Dass es dies werden konnte, hängt damit zusammen, dass es das Phäno- men des eine Gesellschaft nachhaltig verunsichernden Bürgerkriegs mit großer geographischer Ausdehnung und Beeinträchtigung der Zivilbevöl- kerung in einer auch für uns heute wiedererkennbaren Form überhaupt zum ersten Mal im Rom der späten Republik gegeben hat – trotz aller Schwierigkeiten, die eine Definition von ›Bürgerkrieg‹ mit sich bringt.3 Gerade wegen der Neuheit dieses Phänomens versuchte man in Rom nach und auch bereits während der Bürgerkriege, Aufschluss über Ursachen zu ergründen, die Konsequenzen genauer zu fassen und damit auch abzumil- dern. Der vorliegende Beitrag möchte sich auf dieser Grundlage mit den Funktionen und Rollen von Frauen im Bürgerkrieg und ihrer Darstellung in verschiedenen Textsorten konzentrieren. Dabei soll nach einem sehr kurzen Blick auf die sog. Laudatio Turiae und die Controversiae et Suasoriae Seneca Maiors das Hauptaugenmerk auf Lucans Epos Bellum Civile liegen. Bei einer Analyse der Präsenz und der Rollen von Frauen in diesem Bürgerkrieg und externen Kriegen ist jedoch zuvor in einem ersten Schritt zu fragen: Wo dürfen, können oder müssen wir in der historischen Reali- tät überhaupt weibliche Präsenz erwarten? Diese offene Suchbewegung führt uns sogleich zu einer Definition von Krieg und Bürgerkrieg.

II. Krieg – Räumliche und zeitliche Dimensionen: Ablaufschemata und Geschlechterrollen

Im antiken Rom hat man sich früh auch theoretisch Gedanken über den Krieg gemacht. Ein wichtiger Gewährsmann ist zum Beispiel Cicero. In seinem nach dem Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius und der Er- mordung Caesars abgefassten Werk De officiis konstatiert Cicero, dass ein Krieg einerseits den Zusammenbruch einer zivilisierten Gesellschaft be- deutet, andererseits der einzige Weg sei, auf dem die Gewalt beendet und ein Konsens wiederhergestellt werden könne (Cic. off. 1,20–40). Ein Bür- gerkrieg sei unter Umständen nicht zu vermeiden, wenn die politischen

3 Vgl. zu einer luziden kulturgeschichtlichen Verortung von Bürgerkriegen Armitage (2018).

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Kräfte einer Gesellschaft in allzu verschiedene Richtungen strebten, wenn das alltägliche Aushandeln, wer ‒ modern gesprochen ‒ den Primat über die Gewaltausübung hat, nicht mehr funktioniere. Der (Bürger-)Krieg ist dann, um das berühmte Diktum von Clausewitz zu bemühen, die Fortset- zung der Politik mit anderen Mitteln. Jeder Krieg greift in die soziale Textur von mehr als einer Großgruppe ein, es kämpfen meistens zwei Parteien gegeneinander, die um die Herr- schaft ringen bzw. Machtansprüche der Gegenseite abwehren wollen. Man wird jedoch prinzipiell davon ausgehen müssen, dass durch ›Krieg‹ nicht nur das Tötungs- und Gewalttabu aufgehoben wird, sondern dass damit auch eine Neujustierung und Veränderung gesellschaftlicher Rol- len beider Geschlechter verbunden ist. Um dies genauer beschreiben zu können, ist eine schematische Auftei- lung des Ablaufs eines Krieges in Konfliktanbahnung, eigentliche Kriegs- handlungen mit verschiedenen Phasen, die Zeit nach dem Krieg ‒ mit je- weils unterschiedlichen Dimensionen von Raum und Zeit – sinnreich. Die Frage, warum ein Krieg geführt wird, ist für jede Seite getrennt zu be- stimmen; zudem kann es hier im Verlauf eines Krieges Motivationsände- rungen oder -erweiterungen geben. Die jeweiligen Konfliktkonstellatio- nen modellieren den Ablauf eines Krieges je nach Fall anders. Bei einem externen Krieg sind die kriegsführenden Gruppierungen anfangs in ihren jeweiligen Räumen situiert, in einem Bürgerkrieg stehen die verfeindeten Gruppen während des gesamten Verlaufs in einem einzigen Raum. In den folgenden Abschnitten werde ich mich auf die externen Kriege konzen- trieren, da die Textbeispiele die Unterschiede zum Bürgerkrieg klar her- vortreten lassen. Da in den antiken Kulturen ohne Zweifel die Männer die Politik des Gemeinwesens bestimmten und das Personal der politischen Institutionen – oft in Personalunion – die militärischen Anführer stellte, sind Frauen in der ersten Phase des Krieges, der Konfliktanbahnung, eher marginal. We- gen dieser Gewaltenteilung ist in den entsprechenden antiken Texten von den Frauen und ihrem Anteil an der Kriegsanbahnung wenig die Rede, weil die enge Verknüpfung des Kriegs mit politischer Macht die Frauen ausschließt. Trotzdem sind die Frauen durch die gesellschaftliche Dimension eines Krieges bei der Konfliktanbahnung immer auch schon mitzudenken. Sie können gleichsam im halbdunklen Hintergrund die unterschiedlichsten Rollen einnehmen, von Ablehnung über die passive Billigung hin zur ak- tiven Kriegstreiberei. Sie sind auch an der praktischen Kriegsvorbereitung

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 117 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christine Walde

(Kleidung/Rüstung, Nahrung, Besorgen der Waffen, Riten) und über ihre Mitgiften an der Kriegsfinanzierung beteiligt. Eine vorgängige Zuschrei- bung einer passiven Duldehaltung greift auf jeden Fall deutlich zu kurz. Ehe, Elternschaft, Verwandtschaft oder Liebesbeziehungen machen prin- zipiell beide Geschlechter zu Kriegsbeteiligten, sie lassen Väter, Ehemän- ner, Brüder und Söhne zu aktiv Kriegführenden, Mütter, Ehefrauen, Töchter, Schwestern, Kinder zu Kriegerfrauen, Kriegsbräuten, Kriegskin- dern werden usw. Bei einem Bürgerkrieg wird diese Verflechtung unent- wirrbar. Das Besondere ist auch, dass »Kriegerfrauen« verschiedener Par- teien in direkter Nähe zueinander leben und der Konflikt damit noch deutlich präsenter ist, als es in einem externen Krieg der Fall wäre. Die Notwendigkeit eines Krieges wird nicht selten damit begründet und legitimiert, dass man Frauen und Kinder schützen und verteidigen müsse. Dadurch wird eine vorgängige Rollenteilung in Krieger und Schutzbedürftige vorgenommen. Dieser Diskurs wird auch zur Motivati- on der Soldaten instrumentalisiert, wenn den Männern in Aussicht ge- stellt wird, dass ihr Tod für die Gemeinschaft in der Zukunft in der öffent- lichen Erinnerung eine symbolische Bedeutung haben werde. Nachträg- lich wird durch diese Sinnzuschreibung die kollektive Trauer und Kom- memoration in positive Bahnen der Konsensbildung gelenkt und damit im gewissen Sinne Ruhe geschaffen. Akteure dieser gesellschaftlichen Trauerleistungen sind oft die Frauen. Bei einem Bürgerkrieg gerät – wie man sich denken kann ‒ diese ganze gesellschaftliche Praxis in eine Schief- lage. Ziehen die Männer in den Krieg, werden sie aus ihren gewohnten Kon- texten herausgerissen und in verschiedenen Phasen des Kriegs der strikten militärischen Disziplin und Hierarchie unterworfen. Die Funktionen der Frauen bleiben in der Heimat weitgehend unangetastet. Sie haben weiter im oikos/in der domus die Verantwortlichkeit für die Organisation der Nahrungsversorgung, die Kinderaufzucht, die Alten- und Krankenversor- gung usw. Dazu treten (vielleicht) Aufgaben, deren Übernahme durch die Absenz der Männer nötig wird. Diese Erweiterung des üblichen Aktions- radius bedeutet für die Frauen eine gewisse Emanzipation und Befreiung von traditionellen Abhängigkeiten und eine Lockerung von zugeschriebe- nen Rollenmustern bei gleichzeitiger stärkerer Festschreibung von ange- stammten Rollen. Die Präsenz der engeren weiblichen Bezugspersonen aus der Heimat im Kriegsgebiet, ja im Heerlager war für die Römer über längere Zeit zumin- dest eine irritierende Vorstellung, wie ethnographisches Schrifttum zeigt,

118 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen in Zeiten des Bürgerkriegs. Von der Laudatio Turiae zu Lucans Bellum Civile das Gegenwelten oder Wunschwelten bereitstellt: So berichtet Tacitus in seiner Germania (7) als Kuriosum, dass die germanischen Frauen ihre Männer in den Krieg begleiten und sie lautstark vom Schlachtfeldrand her anfeuern und auch ihre Wunden versorgen. Obwohl Familie und Frauen der Feldherren und Offiziere in römischen Heerlagern eher unerwünscht waren, finden sich doch gerade in der späten Republik markante Ausnah- men.4 Das hing sicher wieder mit dem Bürgerkrieg zusammen, in dem sich die Frauen auch in der Heimat prinzipiell im Kriegsgebiet befinden. Wenn sie ihre Männer ins Heerlager begleiteten, war das nur eine geringe Nuancierung bzw. Pragmatik. Später war ihre Präsenz dann deutlich we- niger anstößig.5 Hinsichtlich der Übergangsphase zwischen Krieg, endgültiger Entschei- dung und Wiederherstellung des Friedens richtet sich der Blick auf die Frauen und Kinder als Kriegsopfer, zu denen jedoch auch alte Männer oder kriegsüberlebende Soldaten zählen. Es gibt keinen zwingenden Grund, ausschließlich mit den Frauen Mitleid zu haben. Immerhin haben Männer ihr Leben gelassen, überleben den Krieg durch ihre Verletzungen schwer gezeichnet oder werden nach Kriegsende versklavt bzw. getötet. Im Übrigen zeigen gerade die Kriegsdarstellungen in Epos und Tragödie, dass es bei einem Krieg keine Gewinner – nicht einmal auf der Siegerseite – gibt, weil beide Parteien in unauflöslicher Verstrickung verharren. Nach dem (offiziellen) Ende eines Krieges muss die gesellschaftliche Ordnung wiederhergestellt werden. Diese schwierige Rückkehr zur Nor- malität kann mehrere Generationen dauern. Zentral sind die Wiederein- führung des Tötungsverbots und die Integration der Verlierer in die neue Ordnung der Gewinner sowie die Wiederherstellung der politischen Strukturen und der Familienverbände an den Herkunftsorten der Kämp- fer. In der Trauer der Überlebenden um die Kriegstoten versucht man, Verwandtschaft und Elternschaft wieder auf der Matrix des Friedens und der Alltäglichkeit herzustellen, auch wenn sich durch die Gewaltexzesse und ihre Folgen doch alles verändert hat – ein Prozess, der weit über das Kriegsende hinaus dauert und nie ganz an ein Ende kommt.

4 Vgl. Osgood (2014) 147–149 mit weiterer Literatur. 5 Ersichtlich ist dies etwa daran, dass Frauen im Heereslager in späterer Zeit sogar offizielle Titel verliehen wurden: Faustina (die Gattin Marc Aurels) und Julia Domna (die Gattin des Septimius Severus) sind inschriftlich als mater castrorum geehrt worden. Vgl. dazu Campbell (1984) 95 f.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 119 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christine Walde

Die überlebenden Männer der Verliererseite müssen mit Status- und Heimatverlust und Kriegsversehrung umgehen. Im Falle eines externen Kriegs mussten sich die Frauen und Familien der aus dem Krieg Zurück- kehrenden vielleicht sogar viele Jahre mit der Abwesenheit der Männer ar- rangieren und sind nun von diesen entfremdet und fordern für sich verän- derte Rechte ein. Hingegen beginnt für die weiblichen Kriegsopfer ein Prozess des Abfindens mit Statusverlust, Vergewaltigung, Verschleppung und Versklavung, was im besten Fall zur Erlangung einer neuen guten Po- sition durch eine Ehe oder aber einfach zu Versklavung mit neuen Kin- dern oder gar zu einem ›sekundären‹ Tod führt, wie im Falle der Troiane- rin Kassandra. Im Falle eines Bürgerkrieges sieht das alles anders aus, wie die folgenden Beispiele zeigen werden.

III. Ausgewählte Textbeispiele

Die Frage nach der Position der Frauen in einem Bürgerkrieg wird in der römischen Literatur in verschiedensten Textformen reflektiert, doch insge- samt sind die Zeugnisse nicht allzu zahlreich und zudem oft auch noch literarisch überformt und stilisiert.

1. Die sog. Laudatio Turiae und Seneca Maior, Controversiae et Suasoriae

Eine Ausnahme bildet die sog. Laudatio Turiae, eine umfangreiche Grabin- schrift (ursprünglich etwa 180 Zeilen, erhalten etwa 130), in der ein Ehe- mann die Lebensgeschichte seiner Frau aus seiner Perspektive schildert.6 Vielleicht handelt es sich bei dieser ausgesprochen raren Äußerung eines Mannes über sein Eheleben um eine verschriftlichte laudatio funebris für eine Frau, die allerdings ebenfalls hohen Seltenheitswert hatte.7 Jedenfalls zeigt auch diese Inschrift, die ungefähr 19 v.Chr. zu datieren ist, eine ge- wisse literarische Qualität, sie liest sich wie eine Art Kriminalroman: Die sehr viel jüngere Frau (deren Namen in der Inschrift nicht überliefert ist) muss in ihrem Leben immer wieder selbst aktiv werden. Noch vor der Ehe verteidigt sie das ihr von Verwandten nach der Ermordung ihrer Eltern

6 Die spektakuläre Geschichte ihrer Entdeckung durch Theodor Mommsen (1863) zeich- net Osgood (2014) 5–8 nach. Eine kommentierte Ausgabe mit Übersetzung bieten Flach (1991) und Osgood (2014). 7 Zu Caesar und seinen laudationes für Frauen vgl. Osgood (2014) 109.

120 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen in Zeiten des Bürgerkriegs. Von der Laudatio Turiae zu Lucans Bellum Civile widerrechtlich entzogene elterliche Gut; später unterstützt sie ihren Mann, der sich wohl im Bürgerkrieg auf die Seite des Pompeius gestellt hat, auf jede Art und Weise und entwickelt sogar Listen: Sie gibt sich etwa als Witwe eines anderen Mannes aus, um zu verschleiern, dass ihr eigener Mann noch lebt, und verkauft ihren eigenen Schmuck zur Finanzierung der Flucht. Auch für seine Rückkehr muss sie hart kämpfen, sogar Tritte des Triumvirn Lepidus ertragen, zu dessen Füßen sie sich geworfen hatte, um für die Begnadigung ihres Mannes zu bitten. Neuerdings gibt es eine sehr gute Aufarbeitung der Laudatio Turiae,8 weshalb ich es hier bei diesem erweiterten Hinweis darauf belassen will. Der kurze Ausschnitt zeigt indes ganz deutlich die Auswirkungen der bür- gerlichen Gewaltexzesse in der späten Republik auf ein dramatisches Ein- zelschicksal, die zum Teil zerrütteten Familienverhältnisse in diesen dunk- len Zeiten, aber auch schon eine sich langsam anbahnende Neujustierung der Geschlechterhierarchien. Nicht weniger spektakulär als die Laudatio Turiae sind die Controversiae et Suasoriae von Seneca maior (ca. 55 v.Chr. – 40 n.Chr.): Der Vater Sene- cas und der Großvater Lucans und später quasi-Zeitzeuge der Ereignisse überliefert in ihnen merkwürdige, indirekte Spiegelungen der Bürgerkrie- ge. Diese ziemlich einzigartigen Gedächtnisskizzen, die Stehgreifreden aus der Deklamationspraxis der frühen Kaiserzeit aus der Erinnerung proto- kollieren und insofern so etwas wie sekundäre Schriftlichkeit darstellen, sollten seinen Söhnen The world we lost plastisch vor Augen wieder aufer- stehen lassen. Und in der Tat beginnt man ähnlich wie bei der Lektüre von echten Reden (z.B. Ciceros) oder Theaterstücken schnell, sich die Redner und die Situation, in der sie sprechen, vorzustellen. Die Controversiae führen zerstörte soziale Verhältnisse (bes. in Familien) vor, die so zerrüttet sind, dass man sie in einem (fiktiven) Gerichtsverfah- ren klären muss. Deshalb waren diese Deklamationen besonders geeignet, die Dilemmata und Aporien eines Bürgerkriegs und seiner Folgen in einem straffreien Simulationsraum zu inszenieren. Da sie vergleichsweise nahe an die gerade vergangene Epoche der Bürgerkriege heranreichen, stellen sie ein wichtiges Zeugnis für deren Verarbeitung dar. Sie sind auch deshalb so interessant, weil sie das vorführen, was Lucan gerade nicht ge- macht hat, nämlich einzelne Familienkonflikte ins Zentrum zu stellen.

8 Vgl. Osgood (2014).

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Die Controversiae und Suasoriae machen die Folgen der menschenge- machten Katastrophe ›Bürgerkrieg‹ durch Melodramatisierung, vielleicht sogar Verkitschung fassbar, indem sie sie auf private Loyalitätskonflikte von Männern und Frauen im engeren (familiären) und weiteren (gesell- schaftlichen) Kontext reduzieren. Sie halten sich aber fern von einer Beur- teilung und Bewertung der politischen Konstellationen und diskutieren auch nicht, warum die Betroffenen auf welcher Seite standen, noch wer- den generelle Schuldzuweisungen an eine der beiden Seiten gegeben. Doch gerade weil sie vor dem Hintergrund eines Bürgerkriegs zu denken sind, gewinnen die Konflikte an Pointiertheit: Die Perversion der zwi- schenmenschlichen Beziehungen durch den Bürgerkrieg wird grell be- leuchtet. Diese Streitigkeiten landen nun vor einem imaginären Gericht, als ob sie auf diesem Wege wenigstens nachträglich geschlichtet werden könnten. Immerhin geben diese nachträglichen Aushandlungen implizit Handlungsanweisungen für Gegenwart und Zukunft. So behandelt Con- troversia 10,3 einen Fall, der zeitlich klar nach dem Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius vorzustellen ist. Die Ausgangslage dieser Familien- tragödie ist folgende: Eine Frau folgt ihrem Mann, der im Bürgerkrieg auf der ›anderen‹ Seite als der Vater und der Bruder steht. Der Mann fällt, sei- ne Seite verliert. Die Tochter will wieder von ihrem Vater aufgenommen werden, aber er antwortet, er werde sie nur tot aufnehmen. Sie erhängt sich vor seiner Tür. Der Sohn bzw. Bruder klagt den Vater wegen dementia an. Man sieht, dass das aus der politischen Konstellation erwachsene fami- liäre Zerwürfnis ganz auf einen Loyalitätskonflikt reduziert wird, der die Tochter zwischen ihrem Mann und ihrem Vater hin und her reißt und später – nach dem Tod der Tochter – dann auch noch den Sohn/Bruder in dieses Dilemma hineinzieht. In diesem Szenario von Liebe, Zorn und Un- versöhnlichkeit stellten sich – so berichtet Seneca – alle Redner auf die Seite des Sohnes und konzentrierten sich dabei auf die Argumentation, dass selbst Iulius Caesar den im Bürgerkrieg unterlegenen Gegnern, robus- teren Männern, verziehen hätte. Der Vater sei grausamer als der Bürger- kriegssieger und unbarmherziger gewesen als die Proskriptionen, bei de- nen Frauen nicht in die Liste aufgenommen würden. Man könne froh sein, dass er nicht der Bürgerkriegssieger gewesen ist. Ein Deklamator, Clodius Turrinus (Contr. 10,3,2), macht dem Vater auch zum Vorwurf, dass er der Tochter zeitlebens das Vorbild von Frauen, die ihren Ehemän- nern unverbrüchliche Treue erwiesen hätten, vor Augen gehalten habe. An diesem Idealbild habe sie sich offensichtlich orientiert. Ein wieder an- derer Deklamator, Passienus (Contr. 10,3,4), urteilt, dass der Vater beim

122 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen in Zeiten des Bürgerkriegs. Von der Laudatio Turiae zu Lucans Bellum Civile

Sieger ein Wort für den Schwiegersohn und auch für seine Tochter hätte einlegen müssen. Zudem hätte er die Tochter ohne Zögern wieder in sein Haus aufnehmen müssen. Denn, so Albucius Silus (ibid. 3), es könnten nur die Götter darüber urteilen, welche Seite im Bürgerkrieg die (wirk- lich) bessere gewesen sei (vgl. dasselbe Motiv in Luc. 1,126–128). Die beste Prävention gegen einen (weiteren) Bürgerkrieg sei jedoch das gezielte Ver- gessen, sagt der Redner Labienus (Contr. 10,3,5): optima civilis belli defensio oblivio est.

2. Lucan, Bellum Civile

Gerade die gegenteilige Strategie – das Nichtvergessen, die Erinnerung ‒ verfolgt Lucan in seinem Epos über den Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius, das er etwas mehr als 100 Jahre nach dem Ereignis verfasst hat. Die Umwandlung dieses Machtkampfes in Dichtung und die damit ein- hergehende Fiktionalisierung lässt das Zerreißen des sozialen Netzes durch den Bürgerkrieg noch sehr viel plastischer vor Augen treten. Durch die zeitliche Distanz kann er schon analytisch auf das Phänomen ›römi- scher Bürgerkrieg‹ blicken. Sein Epos stellt nicht nur unangenehme Fra- gen an Rom als politischer Institution, sondern ist auch eine anthropolo- gische Studie über den Menschen als gewalttätiges animal sociale. In einem Kaleidoskop von Situationen und Reaktionen exemplifiziert Lucan vor dem Hintergrund der historischen Epik, die davor eher externe Kriege be- schrieben hat,9 das Versagen der bisherigen literarischen Darstellungsstra- tegien und Sinnkonstruktionen angesichts eines Bürgerkriegs. Die übergeordnete Thematik des Bellum Civile – eine innerstaatliche, militärisch-politische Auseinandersetzung – verhindert, dass man neben den großen Protagonisten wie Caesar und Pompeius die Nebengestalten, darunter die Frauen, angemessen wahrnimmt. Sicher mögen die Szenen, in denen sie auftreten, etwa den Umfang eines längeren Buches ausma- chen, doch gerade in der Darstellung der erstaunlich präsenten Frauen- gestalten, die an wichtigen Punkten der chronologisch erzählten Hand- lung auftreten, sind Lucan Schmuckstücke einer poetischen Phänomeno- logie des Bürgerkriegs gelungen. Genau betrachtet haben eigentlich nur die Frauen in Lucans Epos die Möglichkeit, die Konsequenzen eines Bür-

9 Vgl. allerdings auch zu den Auseinandersetzungen zwischen Latinern und Troianern in Vergils Aeneis als Proto-Bürgerkrieg Horsfall (1995) 155–160.

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Buch 1 und 2: Patria, die rasende Matrone und die trauernden Frauen in Rom

Die Analyse der gesellschaftlichen Ursachen des Bürgerkriegs, die Lucan in einer Art Volkscharakter der Römer begründet sieht, die zum Frieden unfähig geworden seien und nach der Eroberung fast der ganzen bekann- ten Welt nun konsequenterweise das Schwert gegen sich selbst richteten (1,67–182), geht über in das eindrückliche erste Bild der Bürgerkriegs- handlung: Mit dem aus Gallien heimkehrenden Feldherrn Caesar über- queren wir die Alpen. Aus seiner Perspektive erleben wir die Begegnung mit der ersten Frauengestalt des Epos, der personifizierten trauernden Ro- ma-Patria, die ihn (und seine Truppen) am Ufer des Rubicon in Sorge um das Vaterland von einem Überschreiten des Grenzflüsschens abhalten will. Caesar reagiert nach anfänglichem Erschrecken beherzt: Er komme als Soldat der Roma, nicht als ihr Gegner, und wolle die durch seine Op- ponenten gestörte staatliche Ordnung wiederherstellen (1,183–232). Ohne weiteres Zögern überquert er mit seinem Heer den Rubicon. Fortan wird immer Caesars enge Bindung zu Roma betont werden, die neben der Göt- tin Fortuna bis Buch 10, in dem die ägyptische Königin Cleopatra in sein Leben tritt, die implizite Frau an seiner Seite ist. Eine Weile begleiten wir Caesar und sein Heer auf dem Marsch nach Rom, dann erleben wir mit der römischen Bevölkerung unheimliche Vor- zeichen, die über die Stadt fegen. Die Handlung des düster-strahlenden ersten Buchs endet, wie sie angefangen hat, mit dem Auftreten einer Frau- engestalt: Eine namenlos bleibende Matrone rast in einer Art bacchischen oder apollinischen Rauschs durch Rom. Als verrückte Muse sieht sie vor dem inneren Auge die Abfolge der Bürgerkriege bis zur Ermordung Cae- sars und den Folgekriegen, inklusive der letzten Schlacht bei Actium (1,673‒695). Dies eröffnet eine weit über den geschilderten Konflikt hi- nausgehende historische Perspektive, die man bei der Lektüre des gesam- ten Epos nicht aus den Augen verlieren sollte. Mit dieser Mischung aus In- spiration und Erinnerung (an die Zukunft) ist die Matrone ein Spiegel des Dichters, der die Bürgerkriege aus der Tiefe der Erinnerung hervorholt und poetisch visualisiert; sie schließt auch an das Proömium an, in dem der Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius nur als ein Glied in einer

124 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen in Zeiten des Bürgerkriegs. Von der Laudatio Turiae zu Lucans Bellum Civile vom fatum vorbestimmten Reihe von kriegerischen Auseinandersetzun- gen gedeutet wurde, die aber am Ende zum Frieden führen. Lucan stellt die urbs aeterna als einen unsicher gewordenen Raum dar, in dem sich natürliche und kulturell gesetzte Ordnungen aufheben. In diesem hyperrealen Rom herrscht der Ausnahmezustand (ferale … iustiti- um, 2,17 f.), während dem alle Geschäfte ruhen. Dies verbildlicht Lucan durch den Vergleich Roms mit einem Haus, in dem gerade eben ein To- desfall eingetreten ist, was jedoch für einen kurzen Moment des Über- gangs von den Überlebenden noch nicht in vollem Ausmaß realisiert wird (2,21–28). Dann treten einzelne römische BürgerInnen auf, die aber je- weils Gruppen der Gesellschaft – Frauen und Männer ‒ repräsentieren und Beispiele für die unauflösliche Verstrickung aller Bürgerkriegspartei- en in das selbstzerstörerische Geschehen darstellen. Da ihrer Einschätzung nach eine Klage um alle Gefallenen nach einem Bürgerkrieg nicht mehr möglich sein würde (weil auch der Sieger ein Mit- bürger ist), stimmen erst die Frauen (matronae), deren männliche Angehö- rige nicht eindeutig einer der beiden Bürgerkriegsparteien zugeordnet werden können, schon jetzt die Totenklage um alle Gefallenen an (2,16– 66). Sie blicken also schon auf die Zeit nach dem Bürgerkrieg voraus und antizipieren dessen Verarbeitung und die Neujustierung der Gesellschaft. In ihrem vorgezogenen Trauergestus, in dem sie vor Beginn des Krieges nun um alle Männer (und damit auch um sich, die potentiellen Überle- benden/Kriegsheimkehrer) trauern, zeigen sie das gemeinschaftliche Ver- halten, das ihren Männern abhandengekommen ist. Aus dem Chor der Klagenden lässt Lucan eine Frau stellvertretend für alle sprechen (2,36–42): quarum una madentis scissa genas, planctu liuentis atra lacertos, ›nunc‹, ait ›o miserae, contundite pectora, matres, nunc laniate comas neue hunc differte dolorem et summis seruate malis. nunc flere potestas dum pendet fortuna ducum: cum uicerit alter gaudendum est.‹ his se stimulis dolor ipse lacessit. … von denen eine, deren tränennasse Wangen zerfetzt und deren Arme schwarzblau geschlagen waren, sagt: »Jetzt, ihr elenden Mütter, schlagt die Brust, jetzt zerrauft die Haare und schiebt diesen Schmerz nicht auf und be- wahrt ihn (nicht) für das höchste Übel auf. Jetzt habt ihr die Macht zu weinen, solange die Fortuna der Anführer in der Schwebe ist. Wenn einer von beiden gesiegt hat, wird man sich freuen müssen.« Mit diesen Reizen stachelt der Schmerz sich selber an. (Übersetzung CW)

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Genau betrachtet haben die Phantasien dieser Mütter, die schon begriffen haben, welche Konsequenzen der Bürgerkrieg haben wird, etwas hoch Ambivalentes, denn hier wird in Gemeinschaft ein Bestattungsritual für noch Lebende, die vielleicht sogar lebend aus diesem Krieg heimkehren werden, inszeniert. Insofern kann man dieses Lamento auch als Verflu- chung interpretieren, denn sowohl die siegreichen als auch die geschlage- nen Heimkehrer, die Überlebenden wie die Gefallenen, werden unter kei- nem guten Stern stehen. Wegen ihrer Unausweichlichkeit ist die imagi- nierte Zukunft für die Frauen schon Vergangenheit, die Auswirkungen auf ihre Gegenwart hat. Sie erleben also einen Zeitkollaps. Die Bewälti- gung des Bürgerkriegs hat für die Frauen, die sehen, was er für einen Scha- den in der Gesamtbevölkerung (und nicht nur in der männlichen Elite) anrichten wird, schon begonnen. Die Ehemänner bzw. Soldaten sind hingegen ganz mit ihrem eigenen Schicksal beschäftigt (2,43 a–63): Sie würden lieber wieder in den Kampf mit externen Feinden ziehen, selbst wenn sie wie in den Punischen Krie- gen dramatische Niederlagen erleiden müssten, als nun gegen die eigenen Mitbürger zu kämpfen. Doch in Lucans Epos verschwimmt die Grenze zwischen Krieg und Bürgerkrieg ohnehin: Wenn im Imperium Romanum ein Bürgerkrieg, bei dem auch zahllose Söldner fremder Länder kämpfen, angezettelt wird, zieht das die ganze Welt in Mitleidenschaft. Auch wenn die Männer wissen, dass in einem Bürgerkrieg das Tötungsverbot inner- staatlich aufgehoben wird, man also Menschen töten wird, die man kennt, ordnen sie ihn doch in das Erfahrungsspektrum eines externen Krieges sein und wehren deshalb eine Teilnahme nicht ab. Auch aus dem Chor der Männer tritt nun eine Einzelstimme hervor (2,63 b–234): Ein namenloser älterer Mann sucht Parallelen in der Vergan- genheit Roms und damit bewährte Erklärungs- und Verhaltensmuster für die angstauslösende Situation und die Folgen des zukünftigen Bürger- kriegs. Bei den Proskriptionen, die auf den Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla folgten, hätten die Römer nicht einmal für den Bürgerkriegssie- ger, sondern nur für sich selbst getötet. Dazu kam die Selbsttötungswelle derer, die sich der Folter und der Tötung durch ihre Mitbürger entziehen wollten. Die Anzahl der getöteten jungen Männer sei so hoch gewesen, wie es sonst nur Naturkatastrophen oder eine extreme Niederlage in einem auswärtigen Krieg zustande brachten (2,198–201). Doch die plastischen Ausführungen des alten Manns sind kurzsichtig, denn er blickt – wie die jüngeren Männer vor ihm – nicht auf die gesamt- gesellschaftlichen Konsequenzen, nämlich dass von Proskriptionen auch

126 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen in Zeiten des Bürgerkriegs. Von der Laudatio Turiae zu Lucans Bellum Civile die Frauen und Familien betroffen waren, sie vielleicht besonders, weil eine Ächtung des Ehemannes/Vaters ihnen die Lebensgrundlage weg- nimmt.10 Es ist eine tiefe psychologische Einsicht Lucans, dass er im zwei- ten Buch sogar zuerst die Frauen sprechen lässt, denn ihnen sind die Di- mensionen eines Bürgerkrieges schon völlig durchsichtig. Hat er einmal angefangen, wird nichts mehr sein wie vorher. Alle, die Frauen, die Män- ner, die Kinder, die Alten werden unabhängig ihres sozialen Standes da- von betroffen sein. Nach einem Bürgerkrieg wird es die Trauerriten der Frauen, wie sie nach einem externen Krieg üblich waren, nicht mehr ge- ben können. Die Lösung wäre – aus unserer heutigen Warte ‒ ein gemein- sames Trauern beider Kriegsparteien, aber das wäre eine sehr fortgeschrit- tene Erkenntnisstufe, die wahrscheinlich doch erst lange nach einem Bür- gerkrieg erreicht werden kann. Bezeichnenderweise verweigern beide Gruppen – die Männer wie die Frauen, die es besser wissen könnten – weder die Teilnahme am Bürger- krieg noch dessen direkte oder indirekte Unterstützung. Damit bestätigt sich die Aussage des Erzählers in seiner Genealogie des Bürgerkriegs, dass die Römer den Frieden verlernt haben und dass der Krieg unvermeidbar sei, da er (zu) vielen nützlich ist (1,182). Das Volk ist darum willige Manö- vriermasse der Feldherren (und vice versa), vom fatum dazu verdammt, als Römer immer wieder gegen ihresgleichen vorzugehen. Insofern erschöpft sich ihre Reaktion auf den bevorstehenden Bürgerkrieg im Sich-mitreis- sen-lassen ohne Widerstand und in einer vorgezogenen Klage als Hand- lungsentwurf einer unabwendbaren Zukunft, die sie einer eindeutigen Stellungnahme in der Gegenwart enthebt. Erst diese Sinnkonstruktion macht paradoxerweise den Verlauf der Ereignisse aber in der Tat unab- wendbar und alternativlos.

10 Der Alte zeichnet den Bürgerkrieg als vollkommen männliches Phänomen, Frauen tau- chen in seinem Abriss nicht auf. In seinem Narrativ sind explizit immer nur Männer die Opfer der Gewalt (vgl. z.B. 2,149–151: nati maduere paterno / sanguine; certatum est, cui cervix caesa parentis / cederet; in fratrum ceciderunt praemia fratres). Die Frauen schauen al- so auf die Männer, aber nicht umgekehrt. Etwa im Falle von Manus-Ehen, in denen die komplette Mitgift in die Verfügungsge- walt des Mannes geht. Vgl. Osgood (2014) 19–23 und 84–89.

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Buch 2: Marcia und Cato

Diese stadtrömische Szenenabfolge mündet in ein weiteres Diptychon: Zuerst werden zwei historisch bedeutende Gegner Caesars, der im Gegen- satz zum Volk als angstfrei beschriebene Brutus (der spätere Caesar-Mör- der) und der beiden Feldherrn abholde Cato der Jüngere (der spätere ›Uti- censis‹) fokalisiert. Sie verständigen sich im abgeschiedenen Stadthaus Ca- tos angesichts des zumindest von Cato als unabwendbar eingeschätzten Bürgerkriegs in einer Art Ciceronischen Dialogs über den Staat und das nun angemessene Verhalten eines Bürgers. Cato, der sich entschieden hat, auf der Seite des Pompeius zu kämpfen, vergleicht sich selbst mit einem Pater familias, der die sterbende Roma in seinem Armen hält und sie auch bestattet (2,297–303). Dies zeigt, dass auch er den Bürgerkrieg in familiä- ren Strukturen begreift, doch auch seine Aggression: Eigentlich wollen El- tern die Kinder nicht überleben. Das von ihm gewählte Bild ist irgendwie schief. Er setzt dem Bürgerkrieg nämlich nichts entgegen, denkt aber auch nicht über ihn hinaus. Catos Verhaltensmuster greifen in einem Bürger- krieg nicht, sie sind sogar kontraproduktiv geworden: Die Aufrechterhal- tung von Werten bei deren gleichzeitiger Dekonstruktion zieht die Men- schen immer stärker in den Bürgerkrieg, in diese diabolische Vernich- tungsmaschine aller Sinnstiftung hinein.11 Gerade haben wir Cato und Brutus im Gespräch über den drohenden Bürgerkrieg gelauscht, da klopft es unerwartet an der Tür (2,326–337): Eine ungewöhnliche Zeit für einen Besuch, die Tiefe der Nacht ist eigent- lich eher die Zeit, in der die Träume zu erscheinen pflegen. Hat man ein paar Zeilen weitergelesen, könnte man die Assoziation hinzufügen, dass man ein elegisches Paraklausithyron aus der Perspektive derer erlebt, die im Haus weilen und für einmal die Tür aufmachen… Marcia, die frühere Ehefrau Catos, betritt die Bühne. Cato hatte sie an den Redner Hortensius zur Ehe weitergereicht; nach dessen Tod und Be- stattung will sie nun wieder vom früheren Ehemann zurückgenommen werden. Marcia, die im Epos vorher noch nie erwähnt worden war und in- sofern eine gewisse Überraschung darstellt, erscheint im ungepflegten

11 In der Folge phantasiert Cato über eine devotio seinerseits (2,304–319), weiß aber selbst offenbar ganz genau, dass es so nicht kommen wird (vgl. 306: o … liceret, irrealer Wunsch). In der Tat ist die devotio, bei der ein Feldherr geradewegs in die feindlichen Reihen preschen würde, ein schiefes Vergleichsbild zu seinem späteren (im Epos nicht dargestellten) Freitod.

128 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen in Zeiten des Bürgerkriegs. Von der Laudatio Turiae zu Lucans Bellum Civile

Aussehen der in Rom vorgeschriebenen Ostentation von Trauer: Nicht nur trägt sie Trauerkleidung, sondern sie hat sogar die Urne mit der lau- warmen Asche des Hortensius unter dem Arm. Dies kommentiert der Er- zähler mit »nicht anders würde sie dem Mann gefallen«, non aliter placitu- ra viro (2,337, prägnant nicht marito). Diese Formulierung klingt unmiss- verständlich an Ars Amatoria 3,153ff. an, wo Ovid Ratschläge gibt, wie Frauen sich besonders effizient die Gunst eines Mannes erwerben können, nämlich als trauernde Witwe, die gleichzeitig Schutzlosigkeit und Verfüg- barkeit für eine neue Beziehung suggeriere: funere saepe viri vir quaeritur; ire solutis / crinibus et fletus non tenuisse decet (»Oft wird ein Mann bei den Bestattungsfeierlichkeiten für den Mann gesucht: es ziemt sich mit aufge- lösten Haaren daherzukommen und das Weinen nicht zurückzuhalten«). Das Trauer-outfit steigere die Attraktivität. Die pro-catonianischen Inter- preten wollen diese deutliche Präsenz der Liebeselegie als Inversion lesen und Marcia im Gegensatz zu den lebensklugen, für neue Partnerschaften aufgeschlossenen Witwen Ovids als ernstgemeintes Idealbild einer der Se- xualität entsagenden Matrone sehen.12 Folgt man den Pro-Catonianern, hätte Lucan also die gefährliche Gratwanderung unternommen, intertext- uell auf die eher anti-stoische römische Liebeselegie zurückzugreifen, um in der Ablehnung elegischer Lebensmodelle ein kontrastierendes positives Frauenbild im Sinne des römischen Stoizismus zu zeichnen. Das wäre deutlich einfacher und weniger ambivalent zu haben gewesen, nämlich ohne die Ovid-Referenz. Der Reiz der lucanischen Passage besteht jedoch vielmehr darin, dass der Sinn der Text-Oberfläche in einen Strudel unter- schiedlichster ›Gegensinne‹ gezogen wird. Denn die lebenskluge ›Elegike- rin‹ Marcia weiß, wie sie Cato, dem Anti-Elegiker schlechthin, am besten gefallen wird, der gerade selbst von sich gesagt hatte, er wolle die sterben- de res publica-Roma in seinen Armen halten (2,301 f.). Es darf nicht über- sehen werden, dass Marcia vom nomen inane / conubii (2,342 f.), vom »lee- ren Namen der Ehe« spricht, eine Vorstellung, die Cato als ›dritte‹ Bürger- kriegspartei ›gerade eben‹ in Bezug auf die res publica verwendet hatte (2,302 f. tuumque / nomen, Libertas, et inanem persequar umbram). Marcia kennt also Catos Vorliebe für die scheinhafte Aufrechterhaltung von Din- gen und kann darum dies als Argument für die Wiederaufnahme ihrer un- terbrochenen Ehe verwenden. Offen bleibt, inwiefern Marcia selbst nur dem eitlen Schein verhaftet ist, doch ihr Kalkül einer Wiederherstellung

12 Zusammenfassung der Forschungslage und ausführliche Interpretation der Passage bei Finiello (2005).

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 129 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christine Walde ihres guten Rufs geht in jedem Fall auf: Sogleich führt uns Lucan die von Cato zugestandene zweite Hochzeit als – wie könnte es auch anders sein – kargen, ernsten Ritus vor (2,350–391), dem wir nun mit dem weiter anwe- senden Brutus beiwohnen dürfen. In ihrer flammenden persuasio denkt Marcia auch schon laut über ihre eigene Grabinschrift nach, die nur aus zwei schlichten Worten bestehen soll: Catonis / Marcia (2,344 f.: »Catos Marcia«). Sie selbst geht davon aus, dass diese Inschrift in aevo (»für alle Zeit«) ein für alle Mal klarstellen wer- de, dass sie von Cato nicht verstoßen worden war. Bemerkenswert an Mar- cias Inschrift ist mindestens zweierlei: Jenseits der Rücknahme durch den Ex-Mann kann sie kein positives Bild ihres (zukünftigen) Wiederzusam- menlebens entwerfen; sie konzentriert sich gleich auf ihre Grabinschrift, also auf das, was am Ende, nach ihrem Tod, von ihr übrig bleiben soll. Zu- dem wird ihr Wunsch nach einer ›unsterblichen‹, aber letztlich kitschigen schriftlichen Fixierung ihres ›Images‹ durch den Duktus der Darstellung unterlaufen, weil gerade ihr Wunsch auf Auslöschung der nicht mit Cato verbrachten Vergangenheit auf ewig darauf verweist, dass auch andere Versionen im Umlauf sein könnten. Dafür ist die vorliegende (poetolo- gisch zu lesende) Darstellung bei Lucan das beste Beispiel. Genau diese Konstellation führt zu einer anderen epischen Frauen- gestalt: Lucans Marcia ist eine ebenso bedauernswert-peinliche Figur wie die Andromache, die Aeneas in Vergils Aeneis (3,294–355) in Buthrotum antrifft, wo überlebende Troianer eine Replik ihrer zerstörten Heimat- stadt geschaffen haben. Diese will immer noch die coniunx hectorea sein, obwohl sie nach dem Tode Hectors schon als Kriegsgefangene Gefährtin des Achilles-Sohnes Neoptolemus sowie Ehefrau des Helenus, des Bruders Hectors, geworden ist.13 Auf ewig in ihrer Rolle als Ehefrau des (homeri- schen) Hectors gefangen, reinszeniert sie in diesem Disney-Troia die guten alten Zeiten vor der Zerstörung Ilions. Wie Vergils Andromache ist Lu- cans Marcia eine machtlose, ›weitergereichte‹ Ehefrau, doch mit einem markanten Unterschied: Sie bekommt in der Tat die Möglichkeit zu einer zweiten Ehe mit dem früheren Gatten und muss nicht wie Andromache auf ein Surrogat, auf Hectors Bruder Helenus, zurückgreifen. Insofern hat sie noch einen gewissen Handlungsspielraum. Da Cato zumindest aktuell noch am Leben ist, muss Marcia nur versuchen, die Zwischenzeit – die Ehe mit Hortensius – ›offiziell‹ wieder ungeschehen zu machen. Schließ-

13 Vgl. dazu Walde (2004) und Barchiesi (2017).

130 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen in Zeiten des Bürgerkriegs. Von der Laudatio Turiae zu Lucans Bellum Civile lich gehe es auch um Catos guten Ruf. Es beschleicht einen jedoch das Ge- fühl, dass Cato für Marcia auch nur ein Surrogat sein könnte. Ihre Grabin- schrift lässt zudem Catos eigenes Leben, seine Karriere, seine Überzeugun- gen ganz außen vor: Er ist nur der Ehemann Marcias, Erfüllungsgehilfe ihres Ruhms – denkt sie jedenfalls. Aber natürlich ist diese Rückkehr zu einem lange beendeten Zustand nicht möglich, da ein bruchloses An- knüpfen da, wo man aufgehört hatte, eine Illusion ist. Marcia ist und bleibt das ›Opfer‹, Manövriermasse ihres früheren Gatten Cato, auch wenn sie nun versucht, den Spieß umzudrehen. Der Erzähler ist dabei ihr Gehilfe, weil er sie in seiner Darstellung gleichberechtigt neben Cato stellt. Marcia will also ein bestimmtes Bild, ein Image von sich und Cato fest- legen, nämlich dass sie die geschätzte und einzig wahre Gattin Catos und zudem eine univira, eine nur einem einzigen Mann verbundene Frau ge- wesen ist. Dies steht in gewisser Dissonanz zu den Informationen über das historische Ehepaar: Die immerhin dritte Ehe des historischen Cato (= sei- ne Wiederverheiratung mit Marcia) hat durchaus schon unter Zeitgenos- sen Anlass zu Klatsch, Kritik und Spekulationen gegeben.14 Diese kreisten jedoch nicht so sehr darum, warum er seine Ehefrau Marcia weggegeben, sondern aus welchen Gründen er sie wieder zurückgenommen hat. Einige, darunter Caesar, fanden diesen Schachzug unanständig: Er soll in seinem Anti-Cato gemutmaßt haben, die ›Rücknahme‹ sei erfolgt, weil Hortensius Marcia als reiche Witwe zurückgelassen habe (falls er sie nicht sogar schon wegegeben habe, um sie wieder reicher zurückzukommen). Aber wie auch immer sich dies verhalten haben mag: Eigenartig ist der ganze Casus auf jeden Fall, selbst vor dem gesellschaftlichen Hintergrund des antiken Roms, in dem Scheidung und Mehrfachehen keine Makel waren. Marcias Handlungsentwurf bei Lucan unterschlägt nicht nur die obsku- ren Umstände ihrer Ehe mit dem Redner Hortensius, sondern auch weite- re Aspekte der historischen Marcia. Diese Strategie der Auslassung be- leuchtet insofern auch Lucans Strategien der Fiktionalisierung von Ge- schichte. Denn eigentlich wäre Marcia eine in politischer und dynasti- scher Hinsicht ziemlich interessante Gestalt, stammt sie doch aus einer höchst einflussreichen Familie: Ihr Vater L. Marcius Philippus war in zweiter Ehe mit Atia, der Nichte Caesars und Mutter des späteren Augus- tus verheiratet. Marcia ist also die (wenngleich nur angeheiratete) Stief-

14 Vgl. Fantham (1992) ad Luc. 2,326–391, Finiello (2005) 165–169 und Plut. Cat. min. 25; 52,3–5.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 131 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christine Walde schwester des Octavianus-Augustus. Ihr Vater und ihr Bruder standen po- litisch eindeutig auf der Seite Caesars, auch wenn der Vater sich im Ge- gensatz zum Bruder nicht am Bürgerkrieg beteiligt hat. In erster Ehe, aus der drei Kinder hervorgingen, war sie mit Cato Uticensis ca. von 61–55/52 verheiratet, dann in zweiter Ehe nach ihrer Weitergabe mit dem Redner Hortensius, der eigentlich um die Hand von Catos Tochter aus früherer Ehe, Porcia (der späteren Frau des Brutus), gebeten hatte, kehrte aber nach dessen Tod exakt 50 v.Chr., also kurze Zeit vor dem Bürgerkrieg zwi- schen Caesar und Pompeius, wieder zu Cato zurück. Dadurch, dass Lucan die komplexen Kontexte dieser denkwürdigen Eheschließung gerade nicht aufruft, andererseits die Wiederverheiratung zeitlich noch näher an den Beginn des Bürgerkriegs verlegt, wird alles so viel komplizierter und einfacher zugleich. Man erkennt, dass der Epiker wenig an konkreten Familien-Geschichten mit hohem politischem Kon- fliktpotential interessiert ist, er blendet die politische Dimension sogar einfach aus und fokussiert das individuelle Schicksal und die individuelle Verantwortlichkeit von Marcia und Cato. Zugegebenermaßen könnte das eine Pointe sein, die nur wenige zeitgenössische RezipientInnen verstehen konnten, doch lässt es sich heute nicht mehr beurteilen, inwieweit diese verwirrenden Ehe- und Familienverhältnisse Catos und Marcias zur Zeit Lucans und später noch im Detail bekannt gewesen sind. Es reichen zum Verständnis auch Vorkenntnisse, aber es bleibt auch so ein gewisses Be- fremden zurück, weil man ahnt, dass es nicht nur Marcia, sondern sogar beiden weitgehend um den äußeren Schein gehen könnte – und nicht um ›Liebe‹. Dabei sei zugestanden, dass man im antiken Rom Ehe und Liebe nicht als zwangsläufig verbundene Konzepte gesehen hat und wir entspre- chend diese Erwartung nicht normativ an den Text richten dürfen. Trotz- dem stößt uns Lucans Text geradezu auf die Absenz der ehelichen Liebe, denn der Begriff amor taucht bezeichnenderweise ganz knapp – eine Zeile – vor dem Erscheinen Marcias auf, als der Erzähler konstatiert, dass Cato in Brutus nimios belli civilis amores (2,325: »allzu große Liebe für den Bür- gerkrieg«) erregt habe. Dies könnte Catos Überzeugungskraft betonen, der hier in Brutus den richtigen ›republikanischen‹ spirit erweckt, wenn da nicht das Wörtchen nimios stünde, also »allzu große«. Dies wirft doch ein eher negatives Licht auf den angeblichen Stoiker Cato, der nicht zur Af- fektlosigkeit und zur Liebe zur patria, sondern zur Gewalt, zum Krieg ge- gen die eigenen Mitbürger aufruft. In seiner wohltönenden Rede hat er für sich die Position eines Menschen reklamiert, der nur für das Gemein- wohl lebt. Aber genau auf das Stichwort amores folgt das Klopfen an der

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Tür und seine ehemalige Ehefrau tritt auf, ein Mensch aus Fleisch und Blut und nicht der Schatten der toten Roma oder der verblassten libertas: Selbst Cato hat also offensichtlich ganz normale oder in diesem Fall viel- leicht doch nicht so ganz normale Sozialbeziehungen. Marcia scheint die traditionellste aller im Epos dargestellten Frauen zu sein. Sie geht ausschließlich auf das für sie Wesentliche ein, nämlich ihren guten Ruf in der römischen Oberschicht, wenn sie auf eine erneute Insti- tutionalisierung der Intimbeziehung pocht. Doch spiegelt sie mit dieser von ihrer Warte aus verständlichen Privilegiensicherung die oben ange- sprochene Kurzsichtigkeit Catos, glaubt sie doch, dass ihre Wiederverhei- ratung ihre ganzen Probleme löst, obwohl das ganze römische Imperium am Vorabend eines Bürgerkriegs steht. Ihre Phantasie hinsichtlich der Zu- kunft ist beschränkt, sie reicht gerade für ihre eigene Grabinschrift; anders als die um Roms Schicksal klagenden Frauen scheint sie der Bürgerkrieg bestenfalls peripher zu interessieren. Doch selbst diese traditionelle Matro- ne sieht eine Möglichkeit, im Bürgerkrieg überkommene Frauenrollen zu verändern, schlägt sie doch Cato vor, ihn ins Bürgerkriegsheerlager zu be- gleiten, was – wie gesagt – in Rom nicht gern gesehen wurde. Ihr Wunsch könnte durchaus auf tiefere Zuneigung zu Cato schließen lassen. Doch scheint dahinter eher eine indirekte Konkurrenz mit Cornelia, der Gattin des Pompeius, zu stecken, denn ‒ wie Marcia moniert (2,348 f.) – Cornelia darf ihren Mann Pompeius ins Kriegsgebiet begleiten. Im weiteren Ver- lauf des Epos wird Marcia nicht mehr erwähnt. Der konservativistische Cato hat ihr diesen Wunsch offensichtlich nicht erfüllt.

Buch 3: Iulia und Pompeius

Der lucanische Pompeius wird nicht nur von Cornelia, sondern sogar noch von einer zweiten Ehefrau ›begleitet‹, seiner verstorbenen Frau Iulia, der Tochter Caesars, die ihm im Traum erscheint. In dieser Traumdarstellung (3,1–45), die wenige hundert Zeilen nach der Marcia‒Cato-Episode geschildert wird, werden mehrere Motive des zweiten Buches aufgenommen: Zum einen versetzt der Traum Pompeius zurück in die Stadtlandschaft Roms, die er ab jetzt nur noch in der Erin- nerung, in Imaginationen und Träumen aufrufen kann. Zum anderen wird das Motiv des Todes und der Trauer aufgenommen, das in den pro- leptisch (im Vorhinein) klagenden Römerinnen und im Trauerhabitus Catos und der ›Witwe‹ Marcia eingeführt worden war. An die Stelle der

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 133 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christine Walde verwitweten Marcia tritt nun der Witwer Pompeius, dem die tote Frau eine postmortale Fortsetzung ihrer Ehe ankündigt. Diese Erscheinung wird schon am Ende des zweiten Buches (2,725ff.) vorbereitet: Als die Ab- fahrt aus Italien bevorsteht, sinniert der Erzähler über die Vergangenheit des Pompeius, über sein unbeständiges Glück. Mit diesem nachdenkli- chen Stimmungsbild lässt er ihn (zusammen mit seinen Söhnen und sei- ner aktuellen Frau Cornelia, was aber nicht explizit erwähnt wird) aus Ita- lien abfahren. Während alle Soldaten/Matrosen aufs Meer – nach vorne, in die Zukunft – schauen, kann der Feldherrn den Blick nicht von der langsam verschwindenden Küstenlandschaft Italiens abwenden, die er nie- mals wiedersehen wird. Als Pompeius über sein Sinnieren eingeschlafen ist, setzt sich sogleich an die Stelle der Küsten- und Meereslandschaft ein inneres Bild, ein vom Erzähler als diri tum plena horroris imago charakteri- siertes Traumbild (3,8ff.): Der Feldherr träumt, dass sich die Erde auftue und seine verstorbene Gattin Iulia daraus aufsteige. Auf ihrem entflamm- ten Scheiterhaufen stehend richtet sie an ihn eine empörte, in oratio recta wiedergegebene Rede: Ihre friedliche Unterweltsexistenz sei durch den Bürgerkrieg zwischen ihrem Ehemann und ihrem Vater empfindlich ge- stört worden. Man habe sie von den Elysischen Feldern vertrieben hin zu den schuldbeladenen Unterweltsbewohnern. Der Totenfährmann Cha- ron, die Furien, alle bereiteten sich darauf vor, die großen Massen von Bürgerkriegstoten aufzunehmen. Pompeius werde es übel ergehen, weil er sich so schnell nach Iulias Tod mit der paelex (= Nebenfrau) Cornelia ver- bunden habe, deren Schicksal (fato damnata, 3,22) es sei, ihren Ehemän- nern Verderben zu bringen. Iulias Liebe zu Pompeius sei mit ihrem Tode nicht erloschen, denn das Lethewasser habe sie ihre Erdenexistenz nicht vergessen lassen (3,28–30). Fortan werde sie Pompeius jede Nacht erschei- nen, um die Liebe zur neuen Gattin zu stören, so wie der Krieg gegen ihren Vater Caesar jeden seiner Tage ausfüllen werde. Wenn aber Pompei- us im Bürgerkrieg gefallen sein werde, würden sie beide, Iulia und Pom- peius, als Paar wieder in der Unterwelt vereint sein.15 Wie in der Marcia-Szene ist das Pochen auf ein bestimmtes Lebensnar- rativ zentral: Iulia beklagt sich, dass ihr Image – geliebte Ehefrau des Pom- peius, Unterpfand der politischen Allianz zwischen Schwiegersohn und

15 Wie in der Marcia-Episode treten auch hier das Motiv »Begleitung des Ehemanns in den Bürgerkrieg« und »späterer Tod« bzw. »Vereintsein im Tod« auf. In einer späteren Epi- sode will Cornelia dem Pompeius durch Selbstmord in den Tod folgen, sie tut es am Ende aber doch nicht (8,637–662).

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Schwiegervater – durch den Bürgerkrieg keine Geltung mehr habe. Es wird von anderen, durch die Umstände sogar noch nach ihrem Tod geän- dert, weil ihr Vater und ihr früherer Mann nun Krieg gegeneinander füh- ren. Ähnlich wie Marcia versucht ›sie‹ über eine Intervention beim frühe- ren Ehemann wieder Boden zu gewinnen. Ein Traum ist immer selbstreflexiv auf den Träumer, was letztlich Grund für die Beliebtheit dieser Darstellungsstrategie ist. Auch der Traum des Pompeius vermittelt zwischen der Realität, den Ängsten und Wün- schen des Träumers, und der nahen und fernen Zukunft. Und er umfasst die anderen, nicht erzählten individuellen Narrative der Bürgerkriegszeit. Denn in der angekündigten erneuten Umschrift ihres eigenen Lebensnar- rativs, in dem Iulia durch die Niederlage und den Tod des Pompeius wie- der und diesmal endgültig in die Position seiner Ehefrau gesetzt werden soll, wird sowohl eine Aussage über die Lebensleistung des Pompeius als auch über seine aktuelle Ehe mit Cornelia gemacht: Beides wird verblas- sen, denn die Welt wird sich – trotz seiner großartigen militärischen Erfol- ge – an Magnus nur als den ewigen Schwiegersohn Caesars erinnern, der gegen den mächtigeren Schwiegervater (maior, 1,479) unterlegen war. Pompeius wird ein Erinnerungsanhängsel, eine Variable des viel mächti- geren Caesar-Mythos sein. Er wird deshalb wieder ihr, Iulia, der Tochter Caesars, gehören. Seine spätere bzw. aktuelle Ehe mit Cornelia wird be- deutungslos sein. Nimmt man aber Iulias Ausführungen ernst, scheinen eigentlich gerade Tod und Verderben, die Cornelia ihren Ehemännern zu bringen scheint, die Bedingung für die Wiedervereinigung von Iulia und Pompeius nach ihrer beider Tod zu sein. Weil Iulia mit beiden Feldherren über eine politisch motivierte Verhei- ratung verbunden ist und wir es zudem mit wohlkomponierter Dichtung zu tun haben, kann man diesen ersten Traum des Pompeius nicht starr al- lein auf den Träumer beziehen. Es ist ein Nachtgesicht für beide Imperato- ren, obwohl Lucans Caesar seine Tochter im Epos niemals selbst direkt er- wähnt.16 Zumindest im Traum spricht die Tochter-Gattin sowohl für den Mann, dem sie zukünftig nachts verfolgen will, als auch für den Vater, als dessen Fürsprecherin sie hier auftritt und der tags in ihrem Namen – für sie? – Pompeius bekriegt, bis dieser wieder ganz ihr, Iulia, gehört. In Pompeius’ Traum von der toten Iulia verdeutlicht der Epiker den Sachverhalt, dass sich auch in der ›Realität‹ der Inhalt und die Bewertun-

16 Nach dem Tode des Pompeius nennt lediglich Caesar ihn zweimal »Schwiegersohn« (9,1086; 10,184).

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 135 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christine Walde gen von Lebensnarrativen verändern oder vielmehr sogar bewusst verän- dert werden. Gerade ein Bürgerkrieg zieht auch die Vergangenheit in sich hinein, er führt zwangsläufig zu Sinnstiftungsversuchen verschiedenster Seiten, die sowohl die ›große Geschichte‹ als auch individuelle Lebensge- schichten, selbst von Toten, gleichsam neu zu schreiben suchen. Doch stif- tet die Rede der toten Iulia letztlich auch keine Kohärenz, die es den Rezi- pientInnen erlaubte, das gesamte Bürgerkriegsgeschehen besser zu verste- hen. Vielmehr werden wir mit einer Deutung und einer Ursachenerklä- rung des Krieges konfrontiert, die neben vielen anderen steht. In der durch Iulia vorgegebenen Deutung hat dieser Bürgerkrieg rein privat-ver- wandtschaftliche Gründe: Er wird für Iulia geführt, Caesar rächt sich für sie an Pompeius wegen der zu schnell eingegangenen neuen Ehe. Der Bür- gerkrieg zwischen Caesar und Pompeius, der auch die Begleichung priva- ter Rechnungen ermöglicht, ist vielen nützlich, selbst den Toten: multis utile bellum (1,182). Iulia selbst wird nicht dem Vergessen anheimfallen, weil sie die Tochter Caesars und die Frau des Pompeius gewesen ist. Sie wird durch die nachträglichen Bürgerkriegsnarrative auf ewig eine in Sprache gefasste Wiedergängerin bleiben, solange man sich an Caesar und Pompeius erinnert. Dazu leistet Lucans Epos, das die tote Iulia zumindest im Traum des Pompeius immerhin selbst in über 20 (3,12–34) Versen zu Wort kommen lässt, einen wesentlichen Beitrag. Trotz der suggerierten Allpräsenz Iulias in Träumen und subjektiven Imaginationen der Cornelia und anderer wird im Epos niemals deutlich, ob ihre Ankündigung, dem Pompeius allnächtlich zu erscheinen, in Reali- tät umgesetzt wird. Insofern handelt es sich hier um narrative ›Sackgasse‹, die jedoch demonstriert, dass die Vergangenheit nicht ausgelöscht werden kann. Dass Pompeius mit Caesars Tochter verheiratet war, beeinflusst nicht nur ihn, sondern auch andere: Weil ein Bürgerkrieg alle auf ewig an- einander bindet, ist auch seine aktuelle Frau Cornelia in diese Vergangen- heit verstrickt, ohne dass sie sich dagegen wehren kann.17

17 Iulia als postum Bürgerkriegsgeschädigte wird – zumindest in der Vorstellung dieses Epos – bis in alle Ewigkeit dem Bild entsprechen, das Lucan von ihr im Proömium zeichnet: Lebend war sie die mora (Aufschub des Bürgerkriegs), weil allein ihre Existenz dafür sorgte, dass Ehemann und Vater nicht gegeneinander vorgingen (1,111–120). Die- ser letztlich ins Leere laufende Verweisgestus auf eine auf die Caesar-Tochter fixierte Sinnkonstruktion wird im Bellum Civile mehrfach aufgenommen: Die lebende Iulia war eine Sabinerin après la lettre (1,118). Die tote Iulia droht dem Pompeius im Traum, von nun an in seinen allnächtlichen Träumen präsent zu sein (3,30 f.). Seine ›neue‹ Gattin Cornelia wähnt, dass ihre racheheischende Vorgängerin Iulia trotz ihres Todes immer

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Buch 5, 8 und 9: Cornelia und Pompeius

Cornelia ist die einzige der Frauen, die im Bellum Civile mehrere Auftritte hat, nämlich vier: Diese markieren das sich verändernde Lebensschicksal des Pompeius und die damit verbundene Veränderung seiner Beziehung zu Cornelia: Trennung von Pompeius vor Pharsalos (5,722‒815), Wieder- sehen nach der Niederlage auf Lesbos und Zeugenschaft der Ermordung des Pompeius in Ägypten (8,40ff; 8,582ff.), Trauer und Witwenschaft (9,51–119). Doch ist sie weder reine Staffage des Gatten noch führt in die- sem Fall ein ›Abgleich‹ mit der historischen Cornelia, über die man trotz der Pompeius-Vita Plutarchs am Ende doch wieder nicht so viel weiß, wei- ter. Lucan hat in ihr eine genuin römische Heroine geschaffen, die etwa der mythischen Kriegerfrau Andromache Homers und Vergils an die Seite gestellt werden kann, aber auch im Kontrast mit den anderen Frauen des Bellum Civile Konturen gewinnt. Die Leistung des Epikers liegt in der Charakterisierung einer Frau, die schon durch den Tod ihres im Krieg ge- gen die Parther gefallenen ersten Gatten Crassus belastet ist.18 In poeti- scher Empathie zeigt er die Anreicherung einer individuellen Problematik durch das Trauma eines Bürgerkriegs, der sogar schon vor der Entschei- dungsschlacht nachhaltige Schäden hinterlässt. Das Schicksal der Cornelia ist es, dass sich ihre Erfahrungen als Kriegerwitwe, die sich bei ihr in Prag- matik und Zukunftsangst niederschlagen, in der Zukunft wiederholen werden – und zwar in noch deutlich verschärfter Form. Ihr Auftritt mit Pompeius im fünften Buch ist eine der wenigen Szenen des Bellum Civile, in der die Intimität eines Paares gezeigt wird. Diese Zweisamkeit gewinnt vor dem Hintergrund, dass sie sich kurz vor der

noch präsent sei und sie selbst als Sühne für das Weiterleben des Pompeius – als neue Alcestis? – in den Tod gehen müsse (8,102–105). Doch ist Iulia wirklich mit Pompeius nach dessen Tod in der Unterwelt vereint? Hat sie nun – dank des Vaters? – bekommen, was sie wollte? Nach Aussage des Erzählers fährt Pompeius’ Seele jedoch in den Him- mel auf, um wiederum von dort aus in die Seelen von Cato und Brutus einzufahren (9,17 f.). Erscheint Pompeius fortan nun Cato und Brutus im Traum, so wie ihm Iulia erschienen war? Der Erzähler schilt Caesar (10,77ff.), weil dieser trotz der erhabenen Tochter Iulia eine Beziehung mit Cleopatra, die hier zu einer Art postumen Stiefmutter stilisiert wird, begonnen habe. Erscheint Iulia nun deshalb Caesar? Oder präziser: Sollte sie nach Ansicht des Erzählers besser nun ihm erscheinen? Der Text verweist uns expli- zit und implizit also auf verschiedenste Handlungsentwürfe, die gerade nicht zum Tra- gen gekommen sind oder stillschweigend durch andere abgelöst wurden. 18 Vgl. etwa 8,88–94, wo sie sich beim Wiedersehen mit Pompeius nach Pharsalos als infe- lix coniunx und schädlich für ihre beiden bisherigen Ehemänner bezeichnet.

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Entscheidungsschlacht überhaupt zum letzten Mal zu sehen glauben, eine bedrückende Qualität, die sie auch nicht verliert, als die beiden sich nach Pharsalos auf Lesbos doch noch einmal wiedersehen: Es ist ein emotional aufreibender Abschied auf Raten. Vor der Entscheidungsschlacht – so berichtet der Erzähler – will Pom- peius seine geliebte Cornelia aus der Schusslinie bringen. Zu sehr herr- sche bei ›Geistern im Gleichklang‹ (aequas mentes) eine iusta Venus (727), womit »eheliche Liebe« als gerechtfertigte oder legitime Liebe oder viel- leicht doch eher »erwiderte Liebe« gemeint ist. Tatsächlich sieht der Er- zähler die eheliche Liebe im Falle von Pompeius als Problem an, da sie sei- ne Entscheidungen als Politiker und Feldherr beeinflusse und er sich ‒ modern gesprochen ‒ in einem dauernden Loyalitätskonflikt befindet. Denn Pompeius habe die Liebe zögerlich und ängstlich gemacht (728 f.): Allein wegen Cornelia wolle er sich nicht dem Schlag der Fortuna ausset- zen, den Rom und der gesamte Kosmos zu erwarten hätten. Das mag in der Fürsorglichkeit sympathisch klingen, doch verfehlt Pompeius in sei- ner Konzentration auf das Private das Rollenmodel eines guten Feldherrn in dramatischer Weise. Alle Szenen, in denen das Paar auftritt, sind also doppelgesichtig zu lesen, einerseits aus der Innenperspektive der Liebesbe- ziehung, andererseits aus der Außenperspektive militärischer und politi- scher Handlungsfähigkeit, die anderen Entscheidungskriterien folgen muss. Immerhin ist sich der Imperator, wie der Erzähler berichtet, dieses Loyalitätskonflikts bewusst. Seine beiden Gründe, Cornelia wegzuschi- cken, zeigen aber eine merkwürdige Mischung aus Eigennutz und Altruis- mus: Der Erzähler, der die Gedanken des Pompeius zu kennen scheint, sagt, dass dieser Cornelia, die ganz neutral und unemotional als onus (5,725) bezeichnet wird, in Sicherheit bringen wollte. Pompeius selbst gibt aber auch als Motivation an, dass er mit ihr eine vertraute Bezugsper- son ins Sicherheit bringen wolle, zu der er sich nach einer möglichen Nie- derlage zurückziehen könnte (5,758 f.). Doch schon hier liegt sein Denk- fehler. Denn wir haben es mit einem Bürgerkrieg zu tun. Als die Nacht sich schon ihrem Ende zuneigt, tastet sich Cornelia – langsam aufwachend – zu Pompeius, umarmt ihn und versucht ihn zu küssen (5,734–738). Doch wendet er sich von ihr ab. Sie begreift, dass er schon vor ihr wach gewesen sein muss und wohl nicht gewollt hatte, dass sie ihn seiner Verzweiflung weinend sieht. In dieser knappen Beschrei- bung ist die Situation der beiden in nuce gefasst: die Intimität eines Paares, das die Schlafsituation als selbstverständliche Routine teilt, dem die kör- perliche Nähe und das gemeinsame Aufwachen vertraut sind. Pompeius’

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Geste der Abwehr, sein sich Abwenden, nimmt er in seiner Rede an sie wieder auf: Cornelia dürfe während der Entscheidungsschlacht nicht in seiner Nähe sein. Er würde sich unwohl fühlen, wenn er des Nachts ruhig und sorglos an ihrer Seite schlafe und direkt aus ihrer Umarmung aufs Schlachtfeld eile. Sie wegzuschicken sei sein Opfer, denn alle, die am Bür- gerkrieg Anteil hätten, müssten Opfer bringen. Sie solle auf Lesbos auf Nachrichten über den Schlachtausgang warten (5,739–759). Die Reaktion der Cornelia auf die Worte des Gatten ist eine extreme: Erst fällt sie in Ohnmacht, dann antwortet sie sehr emotional und trotz- dem viel rationaler, viel analytischer als ihr Mann Pompeius, der immer noch in Phantasien über seine längst verblasste Bedeutung als siegreicher Feldherr in externen Kriegen gefangen ist. Die pragmatische Cornelia ent- wirft in ihrer Antwort verschiedene Szenarien, die sich zum Teil erfüllen werden, und insofern denkt sie viel weiter als Pompeius: Sie droht, dass, falls der Gatte sie tatsächlich wegschicken sollte, es ihr gelingen könnte, sich wirklich ohne ihn zu arrangieren, werde sie doch von ihm in einem ordinären plebejischen Gestus verstoßen (5,765). Anders als Pompeius wertet sie das Wegschicken nicht als dessen Opfer, sondern als Sühneleis- tung gegenüber dem Vater seiner früheren Frau Iulia, seinem Gegner Cae- sar (5,766 f.). Cornelia wolle mit ihrem Mann den Bürgerkrieg, auch Tod und Niederlage durchleben; er solle sich nur vorstellen, in welcher Verfas- sung sie auf Nachrichten über sein Schicksal warten würde. Denn höre sie von seinem Tod, so werde sie ihm unmittelbar durch Selbsttötung ins Reich der Schatten folgen. Sollte er aber siegreich aus der Entscheidungs- schlacht hervorgehen, so wäre sie an seiner Seite am sichersten, weil der Verlierer und seine Truppen sie mit Sicherheit aufspüren und sich an ihr schadlos halten würden. Im Falle einer Niederlage solle umgekehrt er sich nicht zu ihr begeben, denn bei ihr würde man ihn am ehesten suchen. In einem Bürgerkrieg gibt es – so hat sie richtig erkannt ‒ keinen sicheren Ort und schon gar nicht für sie beide. Sie will weiter im Heerlager blie- ben, auch wenn das den gesellschaftlichen Usancen widerspricht. Trotz der Antizipation des Unheils und der Vergänglichkeit ihrer Bezie- hung finden Pompeius und Cornelia in ihrer vielleicht letzten Nacht zu keiner Einigung, ja sie haben keinen echten Kontakt mehr zueinander. Lucan findet hierfür großartige Bilder des Verlusts. Als Pompeius auf sei- ner Entscheidung insistiert, ist Cornelia a-mens, außer sich, nicht mehr er- reichbar und weigert sich in einer Inversion des Szenenanfangs, wo sich Pompeius ihrer Umarmung entzogen hatte, nun ihrerseits, den Gatten zu umarmen. Damit vollzieht auch sie einen ostentativen Akt der Trennung

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 139 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christine Walde und Distanzierung. Der Erzähler kommentiert mitleidvoll, dass kein Tag für das Paar trauriger als dieser gewesen sei, alles spätere Leid würde leich- ter zu ertragen sein. In diesem Kontext (5,802 f.) wird zurückverwiesen auf die gemeinsame, damals noch einvernehmliche Abreise der beiden aus Ita- lien am Wechsel von Buch 2 und 3 (2,704–3,45). Nach der letzten unver- söhnten Nacht, in der sie abgewandt voneinander schlafen (oder eben ge- rade nicht schlafen können), überlässt Pompeius seine Frau ihren Diene- rinnen, die sie gegen ihren Willen zum und aufs Schiff tragen. Doch Cor- nelia gibt ihren passiven Widerstand nicht auf: Sie wehrt sich, klammert sich an den Strand usw. Die einst freie Gefährtin des Pompeius muss auf dessen Geheiß vor Pompeius fliehen, der Bürgerkrieg hat nun auch sie entzweit. Die Szene endet in einer kunstvollen Ringkomposition mit dem unru- higen Schlaf der Cornelia in der folgenden Nacht, die sie nun auf dem Schiff in einem Bett verbringt, das wie nach dem Tod des Geliebten ver- waist ist. Lucan beschreibt ihren Zustand mit großer psychologischer Ein- fühlung (5,804–815): Cornelia ist nicht schlaflos, sie schläft nur unruhig. Im Halbschlaf, als schon die Gegenwart ausgeschaltet ist, aktiviert sich eine Wahrnehmung, die noch die Intimität mit Pompeius für den Nor- malzustand hält; auch der Körper hat sich noch nicht an dessen Absenz gewöhnt. So sehr hat sich seine Gegenwart in ihrem Denken verfestigt. Obwohl sie nun allein schläft, hält sie seine nun leere Betthälfte weiterhin für ihn frei, als ob sie mit dieser Geste abwehren könnte, ihn für immer zu verlieren (5,814 f.). Doch im Widerspruch zu seinem letzten Kommentar prophezeit der Erzähler an dieser Stelle, dass die Götter weitaus Schlim- meres für sie bereithielten als den Tod des Pompeius. Denn sie wird den Gatten lebend, aber als Verlierer wiedersehen. Cornelia und Pompeius sind im Bellum Civile so eng miteinander ver- bunden, dass einige Werke der Sekundärliteratur die positive Einschät- zung des Pompeius gerade aus den Szenen, die ihn mit Cornelia zeigen, ableiten.19 Doch hat Lucan den Verlierer mit ziemlich widersprüchlichen Zügen, die von Sympathie bis zu offener Verachtung rangieren, gezeich- net. Prima vista wird man dem Verlierer Pompeius vielleicht noch am al- lerehesten Sympathien oder Verständnis entgegenbringen, zumal wir durch intertextuelle Strategien situativ geradezu dazu verführt werden. Et- wa zeigt er Ähnlichkeiten mit dem Hektor der Ilias Homers, der ebenfalls

19 Vgl. Sannicandro (2010) 43–81.

140 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen in Zeiten des Bürgerkriegs. Von der Laudatio Turiae zu Lucans Bellum Civile in seinem privaten Umfeld gezeigt wird und sich auch von seiner Frau Andromacha verabschiedet (Il. 6,399–502). Pompeius unterhält zwar ver- schiedenste soziale Beziehungen im engeren und weiteren Umfeld, doch wird er ihnen allen nicht gerecht: Sein amor coniugalis interferiert in seine militärischen Entscheidungen et vice versa, seine Söhne sind auch seine Unterfeldherren. Spätestens wenn man sich bewusst macht, dass man es bei Pompeius mit einer der ›Bürgerkriegsfurien‹ zu tun hat, wird sich die Sympathie zumindest für ihn deutlich mindern. Durch seine Liebe zu Cornelia werden seine politischen oder militärischen Entscheidungen je- denfalls nicht gerechtfertigt(er). Der Fluch des Pompeius ist – wie Cornelia es später in Bezug auf sich selbst phantasiert (8,88 f.) –, dass er durch und an seine Nah- und Fernbe- ziehungen den Bürgerkrieg weitergibt, weil er ohne Unterlass Ebenen, die getrennt bleiben müssten, miteinander vermischt. Darum muss sich der einstmals mächtige Pompeius von sehr viel – seinem privaten Umfeld, sei- ner militärisch-politischen Lebensleistung, einer alten Gestalt der Roma ‒ verabschieden und in dieser Hinsicht ganz andere Leistungen vollbringen als der zukunftsorientierte Caesar. Die RezipientInnen, die in Umrissen den ›Mythos‹ vom Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius kennen, wissen, dass Pompeius und Cornelia wirklich in einer aussichtslosen Si- tuation sind: Pompeius wird der Unterlegene in der Entscheidungs- schlacht sein und in Ägypten ermordet werden, Cornelia ein weiteres Mal Witwe. Wir können den beiden unser Mitleid nicht versagen. Man fühlt mit ihnen, wenigstens eine Zeitlang, doch erscheinen ihre Emotionen ir- gendwie auch schal. Gerade die Vermittlung der Schalheit/Brüchigkeit der Gefühle ist eine großartige psychologische Einfühlung Lucans in das Ver- halten von Menschen in Extremsituationen: Ein Bürgerkrieg vernichtet so- ziale Beziehungen jeder Art, auch Intimbeziehungen. Weder Pompeius noch Cornelius können dieser Korrosion etwas entgegensetzen. Trotz oder wegen der Emotionalisierung spüren beide den kalten Hauch der Ge- schichte und vor lauter Antizipation des Unheils können sie sich und ein- ander schon nicht mehr wahrnehmen, eine situative Reaktion ist ihnen nicht mehr möglich. Trotz ihrer Liebe zu Pompeius ist Cornelia gedank- lich schon in der Zukunft und sieht sich schon wieder den gleichen Trau- erprozess durchleben wie beim Tod ihres ersten Mannes, dem jüngeren Crassus. Die RezipientInnen wissen, dass ihre Befürchtungen sich bewahr- heiten werden, aber Cornelias Antizipationen werden den Schlag des Schicksals nicht im mindestens abmildern.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 141 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christine Walde

Die allseits in der Forschung zu lesende Beobachtung, dass in den 100 Zeilen, in denen sich Pompeius und Cornelia voneinander verabschieden, die ›elegische‹ und die ›heroische‹ Welt aufeinanderprallen, hat sicher ein paar Körnchen Wahrheit in sich. Doch soweit handelt es sich nur um eine einfache Applizierung dessen, was man auch über Ovids Heroides sagt, in denen ›epische‹ oder ›tragische‹ Heroinen in einer ›elegischen‹ Epistel zu Wort kommen. Bei Lucan prallen die (einstmals) heroische Welt des (ex- ternen) Krieges und die ›elegische‹ Welt (wenn man unbedingt alles, was mit Liebe zu tun hat, gleich mit dem Etikett ›elegisch‹ versehen will) unter dem Vorzeichen des römischen Bürgerkriegs, dieser Vernichtungsmaschi- ne von herkömmlichen Bedeutungen, aufeinander. Dieses Vorzeichen ver- ändert alles und verschiebt Parameter der literarischen Tradition: Schon in den epischen Darstellungen eines externen Krieges gibt es selten Zwei- samkeitsidyllen zwischen Mann und Frau, aber noch weniger im Bürger- krieg und schon gar nicht in diesem, dem lucanischen Bürgerkrieg. Die Kombattanten und ihre Familien sind Mitglieder ein- und derselben res publica, zum Teil sogar verwandtschaftlich miteinander verknüpft. Eine Heimkehr nach der Entscheidungsschlacht kann es nicht geben, weil ein Bürgerkrieg nicht so einfach an ein Ende kommt. Erst nach der Rückkehr in das eigene soziale Umfeld beginnt die Zeit einer Aushandlung unter den Parteien darüber, wie man in Zukunft wieder in Frieden zusammen- leben will. Von dieser Perspektive aus beschreibt das fünfte Buch des Bel- lum Civile noch eine Schwellensituation. Die historische Cornelia bringt – wie ihr literarisches Pendant – ihre ei- gene dramatische Vor-Bürgerkriegsgeschichte mit, die durch den Bürger- krieg eine noch dramatischere Fortsetzung bekommt. Anders als die histo- rische Marcia,20 die mit geringer oder keiner Auswirkung auf die römische Politik und Geschichte zweimal mit Cato Uticensis und einmal mit dem Redner Hortensius verheiratet war, ist Cornelia eine Prestige-Oberschicht- römerin, deren Alleinstellungsmerkmal zum einen die enge Verbindung zum ersten Triumvirat ist, war sie doch zuerst mit dem Sohn von Crassus und danach mit Pompeius Magnus verheiratet. Zum anderen hat sie beide

20 Insofern stand Cornelia in dieser Hinsicht noch viel stärker im Licht der Öffentlichkeit als Marcia. Sicher mag diese öffentliche Wahrnehmung in der historischen Realität auch für andere Römerinnen gegolten haben, z.B. für die stark polarisierende ›Strippen- zieherin‹ Fulvia, die in der Folge mit Clodius, Curio und Marcus Antonius verheiratet war. Zu Fulvias ökonomischem Agieren in der Politik der späten Republik der ausge- sprochen lehrreiche Artikel von Günther (2020).

142 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen in Zeiten des Bürgerkriegs. Von der Laudatio Turiae zu Lucans Bellum Civile

Ehemänner durch oder nach militärischen Niederlagen verloren – Crassus den Jüngeren in absentia in einem externen Krieg der Römer mit den Par- thern, Pompeius Magnus im Nachgang der Schlacht bei Pharsalos in ihrer unmittelbaren Gegenwart, wodurch sie – modern gesprochen ‒ schwer traumatisiert wurde. Immer wieder wird ihre gerade errungene Lebens- form durch Kriege Roms zerstört.21 Es ist erstaunlich, aber auch konsequent, dass Lucan die illustre Genea- logie der Cornelia nicht stärker in den Vordergrund stellt, obwohl auch ihr Vater ein berühmter Bürgerkriegsprotagonist war. Immerhin war sie die Tochter des Scipio Metellus, der 46 v.Chr bei Thapsus gegen die Trup- pen Caesars eine Niederlage erlitt und sich danach – wie Cato der Jüngere – das Leben nahm. Auf sein Schicksal wird im Bellum Civile zwar gele- gentlich verwiesen und auch auf die Tatsache verwiesen, dass er der Vater der Cornelia ist (8,410 f.; 9,276–278). Aber diese familiäre Problematik wird nur angedeutet. Obwohl Scipio Metellus der aktuelle Schwiegervater des Pompeius ist, bezeichnet socer bei Lucan immer nur Caesar. Wie auch an anderer Stelle vermeidet Lucan Verständniskomplikationen durch Ver- einfachung von Verwandtschaftsverhältnissen.22 Im Falle von Cornelia und Scipio ist diese ›Aussparung‹ m.E. auch ein Hinweis, dass Lucan die Folgebürgerkriege nicht mehr darstellen wollte, denn sonst hätte der Epi- ker die Verwandtschaft der beiden stärker instrumentalisiert. RezipientIn- nen, die Cornelias Familienverhältnisse kennen, wissen aber, dass wenn Cornelia nach dem Tod des Pompeius für die Fortsetzung des Bürgerkrie- ges votiert (9,84‒97), sie damit auch das Todesurteil für ihren Vater spricht. In Analogie zu der neuen Version eines schon viel traktierten Sagen- stoffes hat Lucan den ›Mythos‹ von Cornelia und Pompeius auf zwei Ehen zugespitzt. Dies wird noch verstärkt durch den sich daraus ergebenden ›se-

21 Modern gesprochen leidet Cornelia unter einer sich immer wieder anreichernden Post- traumatischen Belastungsstörung. Aus dieser Konstellation erklärt es sich auch, dass sie deutlich mehr Assoziationen aufzurufen vermag als die anderen Frauengestalten des Bellum Civile. Ihr Verlust einer eigenen Identität wird durch die Vielzahl der Prätexte, die man in ihrer Gestaltung zu erkennen glaubt, gespiegelt. Weiteres dazu in Walde (in Vorbereitung). 22 Der historische Pompeius war fünfmal verheiratet, im Bellum Civile Lucans werden aber nur zwei Ehen erwähnt; vgl. Haley (1985). Lucan hat also die historische Realität zu- gunsten einer Zuspitzung auf Pompeius, Iulia und Cornelia reduziert, selbst wenn es erwachsene Söhne (Gnaeus und Sextus) aus früheren Ehen geben sollte, die im Bellum Civile sogar als Handlungsfiguren auftreten. Die Söhne sind aber einfach da, ohne dass dies im Epos genealogisch begründet oder anders hergeleitet würde.

https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 143 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Christine Walde riellen‹ Charakter und die Verstrickung von Pompeius und Cornelia in die Lebensgeschichten des jeweils anderen in nur eine Zeitlang (bis Buch 5) synchron laufenden ›Geschichten‹. Beide Eheleute können sich in Lucans Version ihrer Vergangenheit nicht entziehen und sind von Dyna- miken, besonders der Verwandtschaftsverhältnisse in der römischen Poli- tik, gelenkt, die sie nur begrenzt selbst beeinflussen können. Trotzdem be- herrschen diese ihre gesamten Gedanken und schränken ihre Handlungs- optionen drastisch ein. Pompeius ist Gefangener seiner sich dem zum En- de neigenden Karriere als Roms einstmals geliebter Feldherr und seiner früheren politischen und familiären Verbandelung mit Caesar. Die beiden Bürgerkriegskontrahenten bilden das ewige Paar von Schwiegervater und Schwiegersohn, von socer und gener. Pompeius’ geliebte verstorbene Frau Iulia tritt – wie schon vorgeführt ‒ in der Handlung als Phantasma des Pompeius auf (3,1–45), ist aber auch eine Obsession der Cornelia. Die Zeit ist nicht mehr fern, dann wird Pompeius der ewige Verlierer und Caesar der ewige Gewinner im Kampf um die Macht in Rom sein. In den Augen der RezipientInnen, die den Ausgang der ›Geschichte‹ kennen, sind sie es ›jetzt‹ schon. Aber sie wissen auch, dass Caesar ebenfalls gewaltsam ums Leben kommen, dass aber dessen Tod durch die Apotheose einen anderen Stellenwert haben wird. Doch wie geht es eigentlich mit Cornelia in Lucans Bellum Civile wei- ter? Ein kleiner Ausblick. Nach dem unversöhnten Abschied im fünften Buch kann die Wieder- begegnung der beiden Eheleute nach der schmachvollen ultimativen Nie- derlage bei Pharsalos keine erfreuliche sein. Beider Liebe ist zwar nicht er- loschen, doch stellt sich die Frage, wie es nun weitergehen wird, dringli- cher denn je, gibt es doch in einem Bürgerkrieg keine Schutzräume. Darum kann diese unentschiedene Situation nicht das Ende sein, Pompei- us’ Narrativ hat noch keinen endgültigen Abschluss gefunden. Im Kontext seines Versuchs, das Gesicht trotz der Niederlage zu wahren und sich selbst wieder irgendeine Position zuzuteilen, macht er in einer Versamm- lung seiner Verbündeten den Vorschlag, die Parther gegen Caesar zu Hilfe zu rufen (8,256–327 a). Der Konsular Lentulus (327 b–455) hält das für völlig abwegig, nicht zuletzt wegen des noch ungerächten Tods der von den Parthern getöteten Crassi und der Zukunft der Cornelia: Im Falle ei- nes Sieges der Parther über Rom liefe Cornelia Gefahr, vergewaltigt, ver- schleppt und in einen Harem eingliedert zu werden. Ein Bürgerkriegssie- ger ließe die Frauen der Unterlegenen aber unangetastet.

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Lentulus argumentiert also eigentlich so fürsorglich, wie es Pompeius tun müsste, aber diesem scheint seine Frau bzw. deren frühere Ehe mit dem in Parthien gefallenen jüngeren Crassus nach der Niederlage bei Pharsalos gänzlich gleichgültig zu sein. Er ist nur noch an der Rache an Caesar interessiert. Doch kommt es anders, als er es sich wünscht: Er wird vor den Augen der Cornelia von den Ägyptern ermordet (8,536 b–691), al- so weder auf dem Schlachtfeld noch durch die Hand Caesars. Mit dem Tod ihres zweiten Mannes ist das ›Narrativ‹ der Gattin und Tochter von Imperatoren trotzdem noch nicht ganz fertig geschrieben. Der Cornelia hängen nun viele Geister der Vergangenheit an, Crassus fili- us, Iulia, Pompeius. Pompeius kann die Parther nicht mehr besiegen, das Rache-Narrativ hat sich nun doppelt auf Caesar verschoben, der durch mo- ral luck zum möglichen Rächer der Crassi und des Pompeius wird. Corne- lia versucht durch ihre Mehrfachwitwenschaft sich mit einem optimierten Lebensnarrativ eine eigene Bedeutung zu geben, indem sie sich – in Spie- gelung der Ich-Bezogenheit und der Selbstüberschätzung des Pompeius – als Sprachrohr des Toten selbst in politisch-militärischen Fragen, auch ge- genüber seinen erwachsenen Söhnen aus früheren Ehen, und auch als po- tentielle Rächerin des Pompeius in die Geschichte einschreibt (9,84–100). Deshalb kann sie – wie die direkte Rede bei ihrem letzten Auftreten im Bellum Civile zeigt (9,55–108) – kein Interesse an einem Frieden unter den Römern haben, obwohl doch gerade Caesar beide ihrer toten Ehemänner rächen könnte. Sie entwickelt sogar die Phantasie, sich nun mit Caesar zu verheiraten. Da die Ehe mit ihr offensichtlich tötet, fabuliert sie schon kurz vor Pompeius’ Tod, diesen schon für gegeben nehmend, sie hätte wohl besser Caesar geheiratet (8,88 f.). Diese völlig selbstreferentielle Sinn- konstruktion, die die römische Praxis politisch motivierter Eheschließun- gen zum Äquivalent des Geschlechterfluchs der Tragödie werden lässt, trägt sie in die Zukunft, gibt ihr eine Funktion und bietet ihr eine Rekom- pensation für das eigene vertane Leben. Anders als sie sich das vorstellt, hat Caesar aber kein persönliches Interesse an den Frauen der Besiegten, weil er viel höher gesteckte Ziele – die Herrschaft in Rom – hat. Zudem lernt er in Ägypten die ihm gleichrangige Königin Cleopatra kennen. Aber das ist eine andere Geschichte.

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IV. Zusammenfassung und Ausblick

Die Probleme, die ein normaler Krieg schon mit sich bringt, verschärfen sich bei einem Bürgerkrieg, der in der späten Republik Roms erstmals in für uns wiedererkennbarer Form aufgetreten ist, deutlich, da es kein abge- grenztes Kriegsgebiet gibt. Selbst wenn die Entscheidungsschlacht an einem anderen Ort, in diesem Fall Pharsalos, stattfinden sollte, ist das im- mer noch im Gebiet des Imperium Romanum. Durch diese Konstellation des gesellschaftlichen Suizids kollabieren alle Strukturen, weil jeder – auch die Frauen ‒ an diesem Bürgerkrieg durch Verwandtschaftsverhält- nisse auch ohne direkte Involvierung zwangsläufig beteiligt ist. Zwar greift auch ein externer Krieg nachhaltig in die Textur einer Gesellschaft ein, doch kann er trotzdem noch mehr oder minder in allen Phasen eines Krieges zur Sammlung von Kräften und Identifikationen mit der Sache führen. Die gegnerische Seite bleibt abgegrenzt und kann im Rahmen der Aufhebung des Tötungsverbots vergleichsweise leicht dämonisiert wer- den. Ein Bürgerkrieg muss den Gegner, der ein Mitbürger ist, in ganz an- derer Weise verteufeln. Davon sind auch alle Nah- und Fernbeziehungen betroffen. Die Frauen, die dem Bürgerkrieg und seinen Folgen unentrinn- bar ausgeliefert sind, tragen die Folgen immer an ihren jeweiligen Wohn- orten, da sowohl Sieger als auch Unterlegene Kriegsheimkehrer sind und nicht selten derselben Familie angehören. Die Rollen und Funktionen, die die Frauen in externen Kriegen einnehmen – die Aufrechterhaltung des Alltags vor, während und nach dem Krieg ‒ verändern sich aber, die Hierarchien zwischen Männern und Frauen werden neu justiert. Gerade deshalb führt ein Bürgerkrieg zu einer Blickschärfung für herkömmliche Rollenmuster. Von dieser Reflexionstiefe können wir auch heute noch profitieren, wenn wir uns mit unserer eigenen Gesellschaft auseinander- setzen. Gerade deshalb möchte ich noch eine Überlegung mit auf den Weg ge- ben: Was speziell die Frage nach den antiken Frauen und ihren Rollen im Kontext von den in der Regel von Männern dominierten kriegerischen Auseinandersetzungen angeht, so ist Vorsicht angebracht, dass man vor lauter Wissenschaftlichkeit nicht unversehens stereotype Vorstellungen von Geschlechterrollen (etwa einer biologistisch begründeten ›natürli- chen‹ Aufgabenverteilung o.Ä.) reproduziert, zementiert oder sogar Wunschbilder auf die antiken Texte projiziert. Man kann z.B. nicht auf der einen Seite die Frauen vorschnell zu den ausschließlichen Kriegsop- fern stilisieren und gleichzeitig auf der anderen Seite begeistert über die

146 https://doi.org/10.5771/9783968217789, am 02.10.2021, 10:16:07 Open Access - http://www.nomos-elibrary.de/agb Frauen in Zeiten des Bürgerkriegs. Von der Laudatio Turiae zu Lucans Bellum Civile emanzipierten Amazonen sein, die es den Männern an Gewalttätigkeit gleichtun, obwohl man im ›richtigen‹ Leben (vermutlich) Pazifist/in ist. Es gilt also, Identifikationen mit und Vorverurteilungen von weiblicher Gewalt zu vermeiden, etwa weit verbreitete Vorstellungen, dass das weib- liche Geschlecht weniger aggressiv wäre/zu sein habe als das männliche, weil das schlicht kulturelle Setzungen sind – und damit Wandel und Ver- änderung unterworfen. Und das ist ja nicht zuletzt – wie jede/r von uns selbst weiß – wiederum eine Frage der Wahrnehmungskonditionierung. Insofern muss man ‒ so gut es geht ‒ versuchen, offen zu bleiben für die heute eher fremden Diskurse der Antike gerade hinsichtlich der Gegen- stände Krieg und Geschlecht, ohne sich die antiken Texte noch fremder zu machen, als sie es ohnehin schon sind.23

23 Einen Überblick über die Literatur zu Lucan bis 2013 verschafft die Online-Bibliogra- phie auf der Homepage der Mainzer Klassischen Philologie (https://www.klassphil.uni- mainz.de/forum-lucaneum/).

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