SZ_Umschlag 04_08 24.09.2008 20:58 Uhr Seite 1
4 2008 SENIOREN Zeitschrift
Seniorentelefon 212-3 70 70 www.senioren-zeitschrift-frankfurt.de SZ_Umschlag 04_08 24.09.2008 20:58 Uhr Seite 2 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 3
Vorwort Liebe Frankfurterinnen und Frankfurter,
als der Philosoph Immanuel Kant 1774 mehr als 107.000 Bürgerinnen und Bür- seinen 50. Geburtstag feierte, soll ihn gern, die 65 Jahre und älter sind, haben der Festredner mit den Worten „ehr- 11,7 Prozent keinen deutschen Pass. würdiger Greis“ begrüßt haben. Was für Doch der Anteil wird in den kommenden unsere Ohren völlig absurd klingt, über- Jahren steigen. Darauf müssen wir uns raschte damals niemanden. Die Men- in der Altenhilfe vorbereiten. Wir haben schen starben viel früher als heute; inso- zwar ein sehr gutes Beratungs- und Be- fern war Kant tatsächlich vergleichswei- treuungsangebot für ältere Menschen se alt. Die längere Lebensperspektive, und ihre Angehörigen. Doch fällt es Mig- die wir heute haben, ist ein großes ranten oftmals schwer, diese Strukturen Geschenk. Sie eröffnet wunderbare Ent- zu nutzen. Ich denke hierbei insbeson- faltungsmöglichkeiten. Die Vielfalt des dere an die sprachlichen Barrieren. Lebens wollen wir Ihnen denn auch in der vorliegenden Ausgabe der SZ ver- Vor diesem Hintergrund hat das Jugend- mitteln. Lassen Sie sich von den span- und Sozialamt zusammen mit dem Amt nenden Portraits inspirieren. Es ist für für multikulturelle Angelegenheiten vor jeden Geschmack etwas dabei: von der geraumer Zeit eine mehrsprachige Ren- 76-jährigen Schriftstellerin Stefanie Zweig, tenberatung mit ehrenamtlichen Mutter- deren neues Buch im Frühling erscheint, sprachlern aufgebaut (die SZ berichte- über den Frankfurter Stadtkämmerer te). Doch dies kann nur ein Anfang sein. a. D. Ernst Gerhardt, den es auch mit 87 Deshalb begrüße ich sehr die Idee des wurde“. Der derzeitige Stadtschreiber von Jahren noch täglich ins Büro zieht, bis Caritasverbands Frankfurt, älteren italie- Bergen schildert darin aus der Sicht eines zum Theaterregisseur Willy Praml, der nischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern elfjährigen Pfarrerssohn den legendären kürzlich Bewohnerinnen eines Alten- zweisprachige Ehrenamtliche als Weg- 4. Juli 1954, als Deutschland Fußballwelt- wohnstifts auf die Bühne holte. begleiter bei Behördengängen an die meister wurde – der beste literarische Seite zu stellen. Ich wünsche dem Pro- Text über Fußball, den ich kenne, und Apropos Vielfalt: Wussten Sie, dass in jekt viel Erfolg und bin gespannt, wie es gleichzeitig ein eindrucksvolles Portrait Frankfurt mehr als 170 Kultur- und Sprach- angenommen wird. dieser Jahre. Haben Sie Lust bekom- traditionen vertreten sind? Viele Men- men? So oder so wünsche ich Ihnen bis schen mit Migrationshintergrund leben Mit Beginn des Herbstes werden die zur nächsten Ausgabe eine gute Zeit! und arbeiten schon seit Jahrzehnten Tage wieder kürzer. Es zieht die Men- hier. Sie gestalten unsere Stadt mit und schen stärker nach drinnen. Nichts ist Ihre sind Teil von ihr. So ist es nur folgerich- jetzt gemütlicher, als bei einer Tasse Tee tig, dass die meisten auch ihren Ruhe- ein gutes Buch zu lesen. Wenn man nur stand hier verbringen möchten. Bislang wüsste was? Ich hätte einen Tipp für Prof. Dr. Daniela Birkenfeld ist der Anteil der älteren Migrantinnen Sie: Friedrich Christian Delius’ Erzählung Stadträtin – Dezernentin für Soziales, und Migranten überschaubar: Von den „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister Senioren, Jugend und Sport
Aus dem Inhalt
Vom geglückten Altern ...... 4 Kirchen auf dem Prüfstand ...... 23 Ratgeber: Tipps und Termine ...... 60 – 64 Im Porträt: Stefanie Zweig ...... 5 Aktuelles und Berichte...... 24 – 29 Leserecke ...... 65 Renate Stubenrauch – für freies Lernen ...... 6 Sport, Turnfest und Platz für Aktivität ....30 – 32 Rätsel und Impressum ...... 66 Ernst Gerhardt – Friedhofstaxi fährt auch an Feiertagen ...... 37 mit 87 aktiv und beweglich ...... 8 Nützliche Helfer im Alltag ...... 38 – 39 Beigeheftet: Armin Clauss – Frankfurter Stadtteile: Das Gallus ...... 42 – 44 Jahreskalender mit wichtigen Telefon- für eine gerechte Gesellschaf ...... 9 Was – wann – wo? ...... 45 nummern, Mittagstisch für Senioren u. a. Im Gespräch: Michael Fleiter ...... 10 Warum ein Frankfurter Gebäude 100 Jahre alte Models ...... 11 Bienenkorb heißt ...... 48 Zum Titelbild: Printgeneration trifft Mediengeneration ...... 12 Eine Fahrt mit der Linie 11...... 49 Lebensgestaltung, Lebensbilder, Schick- Willy Praml – Theater versus Alltag ...... 13 Vom Großen Stadtgeläut sale und deren Bewältigung, jeder Mensch ist einzigartig und lebt sein Bunte Götter ziehen ins Liebieghaus ...... 14 – 15 und von Frankfurter Glocken ...... 50 – 51 Leben auf seine eigene Weise. „Vielfalt Aus dem Seniorenbeirat ...... 16 – 17 Goethes Mutter...... 52 des Lebens“ lautet deshalb in dieser „Partizipation – leicht (er) gemacht“...... 18 Für Sie gelesen ...... 53 Ausgabe der Schwerpunkt. Theatervorstellungen und Sommerreisen ... 20 Depression im Alter...... 54 – 55 Fotos: KW (6), Bayerisches Thermenland (1), Sondersprechstunde für ältere Migranten ..21 Gut zu Fuß ...... 56 – 57 STU GRA PHO (1), Privat (1) Für eine Welt ohne Hindernisse ...... 22 Gedichte ...... 59
SZ 4/2008 3 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 4
Titel: Die Vielfalt des Lebens
kation haben, keine Verbrüderung – ihre Tageszeitung allerdings sehr wohl. „Ohne die wäre das alles für mich kein Leben“. Was ihr das Glücklichsein einzig nehmen könnte? „Nicht mehr zuhause leben zu können, in meiner Wohnung mit dem Balkon und den vielen Blumen, ja das wäre schon schlimm.“ Das Glück erforscht
Gedanken über das Glück haben sich viele gemacht, auch über das Glück im Alter, vor allem seit sich die Verlage auf Seniorenthemen stürzen. „Geglück- Vom geglückten Altern tes Altern. Eine theologisch-ethische Er- mutigung“ etwa heißt ein im Herder- „Wie kann mein Leben gelingen?” Foto: Perino Verlag erschienenes Buch (ISBN 978- 3451236419). Weit mehr Literatur aller- lücklich, wer möchte das nicht Zufriedenheit, vor allem dann, wenn der dings existiert zum Glücksbegriff gene- sein. Doch was ist eigentlich Glaube ihnen eine Antwort gibt auf die rell. Als Beispiele genannt seien an die- GGlück? Das Rauschen der Bäume Frage, was nach dem Tod passiert“. ser Stelle das im Parodos-Verlag publi- im Winde zu hören? Kindern beim Spie- zierte Büchlein „Klassische Texte zum len zuzuschauen? Ein richtig gutes Buch Erinnerungen Glück“ (ISBN 3-938880-10-4) und „Über zu lesen? Ist Glück an finanzielle Sicher- an fremde Länder das Glück“, erschienen im Verlag Klett- heiten gebunden? Oder daran, dass Cotta (ISBN 978-3-608-91412-2). Anre- man gesund und mobil ist? Friedel Krämers Motto für ihr ganz per- gungen zur Reflexion über das Glück im sönliches Glücksgefühl im Alter ist: Alter gibt es außerdem auf der Website Frédéric Lauscher, Geschäftsführer des „Jeden Tag neu anfangen“. Jeden Abend des anthroposophisch ausgerichteten Frankfurter Verbandes, ist zwar erst 43 überlegt sich die 86-jährige Höchsterin, Instituts für Alterskultur (www.institut- Jahre alt, doch Gedanken macht er sich was sie sich für den nächsten Tag vor- fuer-alterskultur.de). durchaus über das Glück im höheren Al- nehmen will. Sie sagt von sich selbst: „Ich ter. Immer wieder beobachtet er bei sei- muss ein Ziel haben“. Und: „Ich denke Dieses hatte im Rahmen seines For- nen Begegnungen mit alten Menschen, sehr positiv“. schungsprojektes „Sinnerfülltes Altern“ „dass es viele gibt, die so etwas wie zehn Senioren befragt, die von sich sel- eine Grundzufriedenheit ausstrahlen, auch Früher ist Friedel Krämer um die ganze ber sagten, sie seien im Alter „glücklich wenn es Schicksalsschläge in ihrem Welt gereist. Mittlerweile ist ihr das aus und zufrieden“. Alle, so die Studie, spra- Leben gegeben hat“. Für sie sei „alles, gesundheitlichen Gründen nicht mehr chen von einer „gesegneten Kindheit“ was im Alter passiert, etwas Selbstver- möglich. „Jetzt arbeite ich auf, was ich ge- und davon, dass sie ihren Lebensweg ständliches, was sie oft sogar positiv sehen und erlebt habe“, sagt sie. Sieht aktiv mitgestalten konnten, dass sie da- umwerten“. Sogar schwer Pflegebe- sie eine Fernsehsendung, liest sie einen bei durchaus auch Risiken eingegangen dürftige sähen so zwar ihr körperliches interessanten Zeitungsartikel über Vor- seien. Sie erzählten von überstandenen Defizit, zugleich aber auch, dass es gänge im Ausland, „dann denke ich, oh, Krisen, vor allem vom Zweiten Welt- ihnen doch im Leben relativ gut ge- da guckst du am besten noch mal in dei- krieg. Die Biografie der Befragten zeich- gangen sei und man sich im Heim um nen Sachen von damals nach“, sagt Frie- nete sich außerdem durch lebenslanges sie kümmere. del Krämer. Mit China und den Olympi- Lernen und praktische Aufgaben, bei- schen Spielen sei es ihr so ergangen. In spielsweise ein Ehrenamt, aus. Der Verbandsleiter gibt ein Beispiel, China war Friedel Krämer vor 20 Jahren, erzählt von einer alten Dame, die immer „als alle noch im Mao-Look herumge- Sir Peter Ustinov hat im Übrigen, wie zu sehr gerne gelesen habe. Nun aber sei laufen sind“. so vielen anderen Themen des Lebens, sie völlig versteift und stark sehbehin- auch zum Glück seine eigenen Gedan- dert. „Doch immer noch“, sagt Lauscher, Die sechsfache Urgroßmutter besucht ken entwickelt. „Ich bin besonders glück- „kann sie sich über jedes Vorlesen sehr regelmäßig die Senioreninitiative Höchst, lich, wenn das Glück unvollkommen ist. freuen.“ Menschen wie jene alte Dame interessiert sich vor allem für Geschichts- Vollkommenheit hat keinen Charakter“, seien oft von jeher „eher humorvolle, themen. Sie nimmt die Informationen soll der Mime einmal gesagt haben. Und lebenslustige Menschen gewesen, die immer wieder mit Wissbegier auf. ein zweites Zitat aus seinem Munde versucht haben, so aktiv wie möglich zu Selbstbewusst nimmt sie für sich in macht Mut zu Neubeginn und Neugier- sein“. Doch noch etwas trägt seiner Er- Anspruch, nicht wegen der sozialen Kon- de: „Ich glaube an das Anfängerglück, fahrung nach zum Glückserleben im Alter takte in die Einrichtung des Frankfurter deshalb versuche ich es mit so vielen bei. „Menschen, die ein festes Welt- und Verbandes zu kommen. „Ich muss“, sagt verschiedenen Dingen“. Wertebild haben, fühlen eine größere die Höchster Seniorin, „keine Kommuni- Annette Wollenhaupt
4 SZ 4/2008 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 5
Im Porträt Zwischen Afrika und Rothschildallee Ein Besuch bei der Schriftstellerin Stefanie Zweig
m Frühling des kommenden Jahres erscheint ihr neues Buch. Der Titel Isteht schon. „Die Kinder der Roth- schildallee“ soll es heißen, und es ist die Fortsetzung ihres erfolgreichen Buches „Das Haus in der Rothschild- allee“. Fiktiv ist seine zwischen 1900 und 1917 handelnde Geschichte vom jüdi- schen Tuchhändler Johann Isidor Stern- berg, der sich als ein „normaler“ deut- scher Bürger fühlt und dessen Sohn im Ersten Weltkrieg fällt.
Konkret dagegen der Schauplatz, das Stefanie Zweig Foto: picture-alliance/dpa; Frank May bürgerlich-gepflegte Haus an der Allee, wo unten der Verkehr vorüber tobt und mus und die Möglichkeit, für eine Frank- ren nach der Rückkehr. Afrika lässt sie gleichzeitig Vögel in den Wipfeln hoher furter Tageszeitung kleine, sehr persön- nie mehr ganz los, einige Male ist sie Kastanien zwitschern. Hier ist Stefanie lich gehaltene Kolumnen zu schreiben, inzwischen wieder nach Kenia gereist, Zweig seit über einem halben Jahrhun- „über alles, was mir gerade so einfällt“. hat aber niemals erwogen, wieder dort dert zuhause. Oben im dritten Stock in zu leben, „zu vieles hat sich in der einer geräumigen Wohnung, in der es „...ich mag mich Zwischenzeit verändert“. Außerdem „viel zu gucken“ gibt. Eine Ansammlung liebt sie Veränderungen ohnehin nicht fragiler Kristallfigürchen, in Afrika ge- nicht hetzen lassen“ besonders. Kofferpacken und Reisen ma- schnitzte Holztiere, Masken an den Wän- chen sie nervös, ein kleiner überschau- den, Erinnerungsstücke und natürlich Viel fällt ihr ein. Immerhin hat sie seit barer Freundeskreis genügt ihr. Aus- jede Menge Bücher. Ein ganzer Schrank 1995 jedes Jahr ein Buch geschrieben. gehen? „Ach nein, manchmal ein bis- voll allein mit ihren eigenen Werken, die Erfolgreicher Bestseller, inzwischen eben- schen einkaufen, aber sonst bin ich ein inzwischen eine Gesamtauflage von so erfolgreich verfilmt und 2003 mit richtiger Stubenhocker“. Abends widmet über sechs Millionen haben, samt den dem „Oscar“ für den besten ausländi- sie sich daheim einer besonderen Übersetzungen in zahlreiche Sprachen. schen Film ausgezeichnet, war „Nirgend- „Sucht“, dem Scrabble-Spiel mit ihrem wo in Afrika“, die autobiografischen Er- Lebenspartner. Vielleicht sind die tief Eigentlich sollte das neue Buch schon innerungen an die eigene Kindheit. greifenden und einschneidenden Ge- zur diesjährigen Buchmesse erschei- schehnisse in ihrer früheren Jugend nen, aber „ich mag mich nicht hetzen Fünf Jahre alt war die kleine Stefanie eine Erklärung für diese Einstellung. lassen“, sagt sie und will lieber ohne 1938, als sie von heute auf morgen aus Zeitdruck schreiben. Dabei ist die Schrift- dem oberschlesischen Leobschütz vor Hat sie also hier ihre Heimat gefunden? stellerin und frühere Journalistin eine der nationalsozialistischen Verfolgung flie- „Mit dem Wort Heimat bin ich sehr vor- sehr disziplinierte Arbeiterin, die sich hen musste. Auf anrührende Weise sichtig. Ich kann nicht sagen, ob Deutsch- morgens früh schon an den Computer schildert sie das Leben auf der Farm in land meine Heimat ist. Was ich sagen setzt. Im Gegensatz zu vielen Kollegen Kenia, wo sie selbst eine tiefe Neigung kann ist, dass ich in den besten Momen- der schreibenden Zunft ist sie nämlich zu Land und Menschen fasst, während ten Frankfurt als meine Heimatstadt ein ausgesprochener Tagmensch. „Ich es den Eltern unendlich schwer fällt, empfinde.” habe wohl so etwas wie einen Aschen- sich einzuleben. Stefanie dagegen lernt puttel-Komplex“, sagt sie und lacht. Soll Suaheli – das sie bis heute ganz gut Fragt man die Sechsundsiebzigjährige heißen: Vor Mitternacht daheim sein beherrscht – und genießt das Leben in nach so etwas wie einer Bilanz ihres und ab ins Bett. Deshalb haben ihr wäh- der freien Natur. Lebens, dann macht die Antwort nach- rend ihrer Tätigkeit als Kulturchefin und denklich. „Manche Leute meinen, ich Kritikerin bei der damaligen „Abend- Deutschland war für sie damals eine hätte ein spannendes Leben gehabt, nur post /Nachtausgabe“ die späten Theater- eher ferne Angelegenheit. Trotzdem kehrt weil ich zehn Jahre in Afrika gelebt abende manchmal ziemlich zugesetzt. die Familie nach Kriegsende zurück. Nach habe. Aber ist es denn spannend, wenn „Aber davon abgesehen war es eigent- Frankfurt, wo der Vater am Amtsgericht man flüchten musste und der größte Teil lich meine schönste Zeit“, erinnert sie eine Stellung findet. Die inzwischen Fünf- der Familie umgebracht wurde?“ Eines sich. 1988, mit der Einstellung des Blat- zehnjährige muss sich wieder total hat ihr immer geholfen: „Gott hat mir tes, ist sie zu Ende gegangen. Darum umgewöhnen, was ihr zunächst ziemlich die Eigenschaft geschenkt, dass ich freut Stefanie Zweig sich nun über eine schwer fällt. In „Irgendwo in Deutsch- leicht zufrieden zu stellen bin.“ gelegentliche Rückkehr zum Journalis- land“ erzählt sie von diesen ersten Jah- Lore Kämper
SZ 4/2008 5 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 6
Titel: Die Vielfalt des Lebens
enate Stubenrauch ist unverwech- selbst zu organisieren. Erst zwölf Jahre weit weg? Keineswegs sagt sie. Schon selbar, auch wenn man sie lange später war der Rechtsstreit um die Zu- einiges hat sich verändert, seit sie sich Rnicht gesehen hat. Die wehenden lässigkeit zu Ende, die Schule erhielt eine aus der praktischen Arbeit in der Schule Haare, wenn auch inzwischen ergraut, offizielle Genehmigung. zurückgezogen hat. 20 Jahre lang hatte die hochgewachsene, schlanke Figur: sie nur in ihrer Arbeit gelebt – getrennt Sie strahlt auch mit fast 70 Jahren die Vor nun zehn Jahren hat sich Renate von ihrem Mann Herbert Stubenrauch, gleiche Lebendigkeit aus, mit der sie vor Stubenrauch aus der praktischen Arbeit der als Aktivist des sozialistischen Lehrer- mehr als 30 Jahren ihre Idee von einer in der Schule zurückgezogen. Erübrigt hat bundes seinerzeit auch beruflich ihr Weg- freien Schule durchsetzte. sich das Thema Schule deshalb für sie gefährte war. nicht. Lehrerinnen und Lehrer, die im Ruhe- Die Pädagogin stieg aus dem Staats- stand sagen, dass sie von Schule nichts Seit einigen Jahren nun leben die bei- dienst aus, weil sie im bestehenden Re- mehr hören wollten, versteht sie nicht. den wieder zusammen und sprechen gelschulsystem keine Möglichkeiten „Ich habe doch schließlich 40 Jahre mei- durchaus darüber, was das Alter bedeu- tet. „Kopf und Körper gehen unterschied- liche Wege“, so die Erkenntnis von Re- nate Stubenrauch. Während sie sich im Kopf durchaus noch jung fühle, fordere das Alter körperlich seinen Tribut. Das eigene Tempo achten
So habe sich ihr individuelles Tempo ver- langsamt. „Auf eine Veranstaltung von einer Woche lasse ich mich nicht mehr ein, das ist mir längst zu stressig“, sagt sie. Sie gönnt sich mehr Ruhe, einschließlich der täglichen Siesta mit einem guten Buch, gerne Krimis, etwa von Jan Seghers, aber auch literarische Werke, zum Beispiel von niederländischen Schriftstellern. Foto: Oeser Das Thema Schule hat sich nicht erledigt Renate Stubenrauch steht immer noch für freies Lernen ein
sah, die Ideen umzusetzen, die sie ge- nes Lebens da hineingegeben“, sagt sie. Und vieles, was lange Jahre brachlag, meinsam mit anderen entwickelt hatte. In Sie sieht noch viel zu tun, damit Kinder sich kann sie jetzt genießen. „Ich bin jetzt ihren ersten Jahren als Lehrerin unter- überall angemessen entwickeln können. mehr Hausfrau“, gibt sie zu und widmet richtete sie ab 1970 noch in einer öffent- dabei ihre Zeit gerne dem Kochen. Dazu lichen Grundschule: die ersten Kinder, Und so gibt die ehemalige Lehrerin aus gehört auch das genussvolle Einkaufen die aus einem Kinderladen hervorgegan- Berufung ihr Wissen noch bei Fortbil- auf der Leipziger Straße in Bockenheim, gen waren – eines der pädagogischen dungen weiter, etwa in Kindertages- die fußläufig von ihrer Wohnung zu er- Projekte der 68er-Rebellen. stätten, und berät bei der Konzeptent- reichen ist. wicklung. Ihre Fragen sind immer noch 1974 dann der Sprung ins kalte Wasser: die gleichen: Warum findet die Erkennt- Mehr Zeit hat sie jetzt auch für Kulturel- Zusammen mit Eltern gründete sie die nis, dass Kinder nach ihrem individuellen les. So gehört zu ihren Entdeckungen „Freie Schule Frankfurt“, in der Kinder Tempo viel besser und freudiger lernen, der letzten Jahre das Ensemble Modern, ihre individuellen Begabungen entfalten, keinen Eingang in die Regelschule? Statt- dessen Konzerte zeitgenössischer Musik ihr eigenes Lerntempo entwickeln durf- dessen horche die Öffentlichkeit interes- sie sich gerne anhört. Aber: „Ich muss ten. „Das bedeutete niemals Laissez- siert auf, wenn – wie im Fall des früheren keine Leerräume ausfüllen“. faire“, sagt sie. Feste Strukturen, wie Leiters des Internats Salem, Bernhard etwa ein gemeinsames Frühstück und Bueb – von Neuem das „Lob der Dis- Wünsche nach dem Motto: „Wenn ich in ein – wenn auch nach dem Wunsch der ziplin“ gesungen wird. Rente bin, lerne ich endlich Italienisch“, Kinder – geplanter Tag gaben und geben muss sie daher nicht befriedigen. Sie tut noch heute den Kindern die notwendige Kopf und Körper altern das, was sie schon immer gerne tat, nun Sicherheit. Die Erwachsenen sind dabei unterschiedlich mit mehr Gelassenheit. Und das füllt keineswegs unwichtig. Sie geben Ant- ihren Tag aus – einschließlich „spät ins Bett worten, haben Zeit und Verständnis für die Ist für Renate Stubenrauch also Ruhe- gehen und dafür auch spät aufstehen“. Kinder und helfen ihnen dabei, ihren Tag stand kein Thema und das Alter noch Lieselotte Wendl
6 SZ 4/2008 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 7
Anzeige Das Das Gerät ist auf Grund seiner Platzierung im Gehörgang nicht sichtbar. kleinste Zu erhalten bei Hörakustik Pietschmann. Hörgerät HÖREN KÖNNEN IST EIN GESCHENK. der
Wir helfen Ihnen, Ihrem Ziel näher zu Welt. kommen. Ihr Team:
Wir hören Ihnen zu. Wir finden die beste Lösung. Wir bleiben in Kontakt.
Vereinbaren Sie einfach einen Termin unter: 069/970744 04 hörakustik Jens Pietschmann Basaltstraße 1 60487 Frankfurt/M. Bockenheim E-mail: [email protected]
SZ 4/2008 7 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 8
Titel: Die Vielfalt des Lebens Ernst Gerhardt – erteilt gerne Rat, wenn dieser gefragt ist
Sollte es ein „Geheimnis“ geben, dann bürtige Frankfurter schon früh in die dürfte es darin bestehen, dass er in sich Pflicht genommen. Nach Schulende be- ruht und heute zufrieden auf ein erfüll- gann er 1936 eine Lehre bei der Braun tes Leben zurück blickt. „Ich bin selbst AG, wo er sich – nach der Unterbre- überrascht, dass ich so alt geworden chung durch Arbeits- und Kriegsdienst – bin“, sagt er und fügt dankbar hinzu: „Ich bis zum Prokuristen hocharbeitete. empfinde das als ein Geschenk.“ Als Krönung seiner Laufbahn empfindet Hohes Alter als Geschenk Ernst Gerhardt seine Zeit als Stadtkäm- merer, die für den 1960 zum hauptamtli- Natürlich herrschte auch für ihn nicht chen Stadtrat gewählten CDU-Politiker immer eitel Sonnenschein. So musste 1978 begann. Von den Gestaltungsmög- er sich schon als Junge angesichts des lichkeiten in diesem Amt spricht er noch erstarkenden Nationalsozialismus ent- immer gern. Schließlich konnte Frankfurt scheiden: Hitlerjugend oder katholische damals, auch dank seiner Finanzpolitik, Pfadfinder? Letztere zu wählen, war sei- sein Image durch ambitionierte Bau- und Auch heute noch dynamisch für seine nerzeit bekanntlich nicht ganz unproble- Kulturprojekte erheblich verbessern. 1989 Heimatstadt Frankfurt aktiv: Ernst Gerhardt, matisch. „Für die politischen Entwick- trat er in den so genannten Ruhestand. Stadtkämmerer a.D. Foto: Müller lungen habe ich mich schon ganz früh in- Es würde zu weit führen, all die Ehren- teressiert“, sagt er. Gut erinnert sich Ernst ämter und Verpflichtungen zu nennen, ie macht er das nur? Das fragt Gerhardt noch an den jüdischen Haus- die Ernst Gerhardt noch immer innehat. man sich, wenn man Ernst arzt, der die Familie auch weiter betreute, Besonders am Herzen liegt ihm sein W Gerhardt wieder mal begegnet nachdem er nicht mehr praktizieren durfte. Engagement für die Universität Tel Aviv, und feststellt, dass er sich eigentlich gar die ihm in Anerkennung seiner Verdien- nicht verändert, sondern heiter, aktiv Nach Kriegsende ging es im bombenzer- ste den Ehrendoktor verlieh. Der Römer- und beweglich ist wie eh und je. störten Frankfurt und in einer notdürftig Politik fühlt er sich weiterhin verbunden. hergerichteten Wohnung zunächst recht „Den Begriff ‚Graue Eminenz’ mag ich „Nein, ich habe überhaupt kein Ge- bescheiden zu. 1957 baute er dann sein nicht so sehr“, meint er, „aber wenn mein heimnis“, sagt der scheinbar alterslose eigenes Haus, in dem damals mit Eltern Rat gefragt ist, gebe ich ihn gern“. 87-Jährige und lacht. Der frühere Frank- und Kindern insgesamt sieben Per- furter Stadtkämmerer sitzt noch immer sonen wohnten. Der „private“ Ernst Gerhardt fährt ein- Tag für Tag in seinem Büro in der Innen- mal im Jahr mit Frau, Kindern, Enkeln stadt und arbeitet. Gefragt ist er offen- Häufig benutzt Ernst Gerhardt das Wort und Urenkeln in Urlaub. Sonst liegt ihm bar nach wie vor, denn während des „Pflicht“, wenn er aus seinem Leben nicht so sehr am Reisen, aber „seine“ Gesprächs mit ihm klingelt mehrfach erzählt. Aber keineswegs im Sinne einer Stadt kann er von Herzen genießen. das Telefon. ungeliebten Last. Dabei wurde der ge- Lore Kämper Kurzinformationen
Präventive Hausbesuche empfehlungen und beraten zu Patien- ren Fachleute jeden Dienstag von tenverfügung und Vorsorgevollmacht. 17 bis 19 Uhr zu verschiedenen Aspekten Das im vergangenen Jahr gestartete Großen Raum bei der Beratung nimmt das der Pflege zu Hause. So geht es etwa Projekt „Präventive Hausbesuche“ des Thema Sturzvermeidung ein. Es wird aber am 28. Oktober um den Umgang mit Caritasverbandes wird auf Höchst und auch auf die persönlichen Wünsche der den Folgen eines Schlaganfalls. Am den Frankfurter Westen ausgeweitet. Ratsuchenden eingegangen. 4. November wird das Problem der Zwei Gesundheits- und Krankenpflege- künstlichen Ernährung und am 25. rinnen besuchen auf Wunsch Senioren „Pflege zu Hause” lernen November das der Inkontinenz ange- in ihren Wohnungen und klären über sprochen. Weitere Informationen auf Gesundheitsrisiken und Möglichkeiten Das Frankfurter Universitätsklinikum der website www.kgu.de. Veranstaltun- auf, vorbeugend und aktiv etwas für die veranstaltet eine Reihe unter dem Titel gen für Patienten: Anmeldungen unter Gesundheit zu tun. Sie erteilen Tipps zur „Pflege zu Hause – Theorie und Praxis“. Telefon 0 69/63 01-62 86 oder E-Mail: Alltagserleichterung, geben Ernährungs- Noch bis zum 16. Dezember informie- [email protected].
8 SZ 4/2008 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 9
„Unsere Gesellschaft muss sozialer und gerechter werden” Armin Clauss
er kämpft, kann verlieren. Wer Keine Zeit für Ruhestand nicht kämpft, hat schon ver- W loren“. Ein privater Schicksalsschlag, der Tod Schon in frühen Jahren musste Armin seiner Frau, trifft ihn Ende 1991. Rund Clauss die Richtigkeit seines späteren zehn Jahre später scheidet er endgültig Lebensmottos erfahren. Denn dem ehe- aus der Landespolitik aus. Von Ruhe- maligen Hessischen Sozialminister, der stand kann aber keine Rede sein, eine am 16. März dieses Jahres seinen 70. Fülle von Ehrenämtern hält ihn nach wie Geburtstag feierte, war keine sorgen- vor so auf Trab, dass für die Enkelkinder freie Kindheit beschieden. und Privates nicht allzu viel Zeit bleibt. Einzukaufen und für Freunde zu kochen, Armin Clauss kam 1938 in dem hübschen schafft er trotzdem. Auch der Weinkeller Städtchen Lauffen am Neckar zur Welt wird gepflegt. „Das Leben ist einfach und wuchs mit drei Geschwistern in viel zu kurz für schlechtes Essen und bescheidenen Verhältnissen auf. Als schlechten Wein“, meint er lächelnd. eine seiner frühesten Erinnerungen Lore Kämper nennt er den Krieg. Dessen Nachwir- kungen überschatteten auch noch seine Kurzinformation ersten Schuljahre. Schwer krank war der Armin Clauss Foto: privat Vater nach Kriegsende heim gekehrt, Aktiv sein – Wissen sammeln – Mitreden und die Mutter musste häufig allein die ab. Das war der Start zu einer erfolgrei- Senckenberg-Museum hat Familie durchbringen, die manchmal chen Karriere, deren Höhepunkt er 1976 Angebot für Senioren bittere Not litt. Mit Ährenlesen und Buch- mit seiner Wahl zum Hessischen Sozial- eckernsammeln halfen die Kinder mit. minister erreichte. „Unsere Gesellschaft Jeden ersten Dienstag im Monat gibt es Mit dem Verkauf von Erzeugnissen aus muss sozialer und gerechter werden. im Senckenberg-Museum die neue dem eigenen Garten finanzierte der Dafür kämpfe ich“, umschreibt er nun Reihe „Natur-Seniors 60 plus“. Jeweils junge Armin Clauss sein erstes eigenes sein Engagement. um 15 Uhr startet das Angebot des Fahrrad. Nach der Konfirmation 1952 Museumspädagogischen Dienstes des endete für den Vierzehnjährigen die Natürlich muss ein Politiker, insbeson- Museums für aktive Menschen ab 60 Schulzeit. Ein Foto in einer zum 70. Ge- dere ein engagierter Sozialpolitiker, Jahren. Alle am Thema Natur Interes- burtstag erschienenen kleinen Fest- neben Einsatzfreude und Stehvermö- sierten oder Wissbegierige, die Fragen schrift zeigt den jungen Konfirmanden gen auch nicht selten Kampfgeist ent- haben, sind eingeladen, mehr über die im feinen dunklen Anzug und mit brav wickeln, wenn er seine Ziele verwirkli- Natur und das Zusammenspiel von Ar- gescheitelter Frisur. chen will. Den haben ihm Freunde und ten, verschiedenen Lebensräumen, Wet- Kontrahenten stets bestätigt, allerdings ter und Klima im System Erde zu erfah- Gelernt wird ein Leben lang immer auch mit dem Hinweis auf sei- ren. Während jeder Veranstaltung wird ne Fairness und Sachlichkeit in der ein anderes Thema vorgestellt. Ziel ist, „Nur“ die Volksschule besucht zu ha- Diskussion. den Teilnehmern verständlich, aber den- ben, weil ihm die Eltern aus finanziellen noch wissenschaftlich fundiert, mehr Gründen keine höhere Schulbildung Aufregende Jahre folgen. Nur ein paar über das Leben auf der Erde zu vermit- ermöglichen konnten, bedeutete für Stichworte: die erste rot-grüne Koalition teln. Folgende Fragen sollen beantwor- den ehrgeizigen Jungen aber eher auf Länderebene mit dem „Turnschuh- tet werden: Wie ist die Erde entstan- Antrieb, sich selbst weiter zu bilden. Vom minister“ Joschka Fischer als Kollegen den? Wie haben sich Tiere und Pflanzen Grundsatz des „lebenslangen Lernens“ oder die Tschernobyl-Katastrophe, die im Verlauf von Jahrmillionen verändert ist Clauss bis heute überzeugt, wovon den ganzen Einsatz des Sozialministers und an ihren jeweiligen Lebensraum nicht zuletzt seine intensive Beschäf- erfordert. angepasst? Wann und warum haben tigung mit Kunst und Kultur zeugt. Menschen begonnen auf zwei Beinen Nach dem Wahlsieg von CDU/FDP 1987 zu gehen? Zielstrebig suchte er nach einem Weg endete die Amtszeit von Armin Clauss. „nach oben“. Der führte ihn zunächst in „Ich empfinde es als Glück, dass ich Die Veranstaltungen dauern zirka einein- den Postdienst. In Kursen und Lehrgän- nahezu elf Jahre in der politischen Ver- halb Stunden. Bei einer Tasse Kaffee be- gen bildete er sich weiter. 1959 trat er in antwortung für dieses Haus gestanden steht die Möglichkeit zum Austausch und die SPD ein. Im Mai 1961 begann er an habe“, sagt er in seiner Abschiedsrede. weiteren Fragen. Die Kosten betragen der „Akademie der Arbeit“ in Frankfurt Von Resignation keine Spur. Auch in der inklusive Kaffee und Kleingebäck 5 Euro, mit dem Studium und schloss ein Jahr Opposition und als „Hinterbänkler“ lässt zuzüglich des Museumseintritts. Treff- später, an seinem 24. Geburtstag, damit sich kämpfen. punkt ist im Foyer.
SZ 4/2008 9 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 10
Im Gespräch
vorsichtig bin ich allerdings, wenn Leute Wo Menschen beginnen, sich von selbst auf mich zukommen und un- bedingt erzählen möchten. Da muss ich wieder mal auf Schopenhauer zurück- auf ihr Leben zu besinnen greifen, der hat gesagt: „Eigenlob stinkt, Freundeslob hinkt, Fremdenlob klingt“. Michael Fleiter, Moderator des Und das ist ein ganz wichtiges Kriterium „Frankfurter Erzählcafé” im Gespräch bei der Auswahl.
Seit vielen Jahren gehört das „Frankfurter SZ: Kann aber auch sein, dass einem Erzählcafé“ zu den beliebtesten Veran- alten Menschen sonst niemand mehr staltungen in der Stadt. Genau seit dem so recht zuhört? 1. Oktober 1990, als Dr. Michael Fleiter M.F.: Das ist, glaube ich, bei sehr vielen vom Institut für Stadtgeschichte erst- Erzählern so. Ihre Geschichten sind in der mals Gäste zum Gespräch lud. Seither Familie längst bekannt, da heißt es oft haben ihm prominente und weniger pro- „das können wir nicht mehr hören“. Aber minente Gäste spannende, sehr per- in einem Erzählcafé ist das anders, da sönliche, traurige und heitere Lebens- wird die Geschichte ja nur einmal erzählt. geschichten erzählt. Mit Michael Fleiter Das ist eine eher künstliche Situation, die sprach Lore Kämper. vielleicht auch einiges ausgleicht, was in den Familien heute nicht mehr geschieht. SZ: Wessen Idee war es, das Erzählcafé Die Familien sind klein, die Großeltern ins Leben zu rufen? leben woanders. Das Erzählcafé ist also M.F.: Da gab es seinerzeit einen Berliner fast so etwas wie eine Kompensation Pädagogikprofessor, der in einem Hinter- des Verlustes der Familienforschung. hof mit alten Jazzern über die Zeiten des Jazz in New Orleans sprach, und Michael Fleiter Foto: Rüffer SZ: Wie fühlen Sie sich selbst bei die- diese Verbindung von Musik, Erzählen sen Gesprächen, in denen es sicherlich und Geschichte gefiel dem Publikum. M.F.: Ich bereite eine Veranstaltung oft um schwere Schicksale geht? Können Wir hier haben aber eine etwas andere immer sehr aufwändig vor, weil ich denke, Sie da immer Distanz wahren oder nimmt Konzeption. dass eine gute Vorbereitung dem Er- Sie das ziemlich mit? zähler eine gewisse Sicherheit gibt, M.F.: Das nimmt mich oft sehr mit. SZ: Laden Sie vor allem ältere Frankfurter denn nicht alle Menschen sind es ge- Wenn jemand authentisch berichtet, ins Erzählcafé ein? wöhnt vor Publikum zu sprechen. Und dann ist man oft selbst mit drin in der M.F.: Das müssen nicht Frankfurter es lässt dann auch Zeit für eine ge- Geschichte. Viel stärker als etwa bei sein, die Themen müssen einen Frank- wisse Spontaneität, denn wenn man ein einer Lektüre. Das merkt man auch beim furt-Bezug haben. Was die Auswahl der Grundkonzept hat, kann man auch ris- Publikum, selbst bei jungen Leuten. Gäste betrifft: Unser Konzept ist so, dass kieren, mal frei zu fragen. Ich denke, eine wir ältere Leute da abfangen, wo sie gute Vorbereitung erstickt Spontaneität SZ: Gibt es eine Geschichte, die Sie beginnen, sich auf ihr Leben zu besin- nicht, sondern fördert sie. besonders beeindruckt hat? nen. Es ist doch sehr häufig so, dass M.F.: Da gibt’s viele. Aber manche Gäste man in einem bestimmten Alter anfängt SZ: Ist es schwierig für Sie, nah an haben mir als Erzähler besonders impo- zurück zu schauen und Bilanz zu ziehen. Menschen heran zu kommen? Nicht je- niert. Da war mal ein alter Bockenheimer Es ist im Grunde ein philosophischer An- der ist wohl bereit, sich zu öffnen, und Sie Lehrer, der in den 20er Jahren eine ein- satz, der von Schopenhauer herkommt, fragen ja meist recht intensiv nach. klassige Volksschule geleitet hat. Der hat dem das Alter als die Lebenszeit galt, in M.F.: Das ist natürlich unterschiedlich. unglaublich fesselnd erzählt. dem sich Menschen, wenn auch auf unter- Bei manchen geht es recht leicht. An- schiedliche Weise, Gedanken über das dere lasse ich im Vorgespräch erst mal SZ: Im Lauf der Jahre sind ja nun eine machen, was hinter ihnen liegt. erzählen, im zweiten kann ich dann hier Menge Schicksale an Ihnen vorbei gezo- und dort „anklopfen“ und insistieren. gen. Hat Sie das bereichert und Ihnen SZ: Sollte man jedenfalls tun. Aber wenn ich merke, dass jemand über etwas gegeben für Ihr eigenes Leben? M.F.: Ja. Aber unsere Veranstaltungen etwas nicht sprechen möchte, will ich M.F.: Ich glaube, es macht toleranter, sind nicht nur auf einzelne, ältere Er- auch nichts erzwingen. weil man sich mit Anderen auseinander- zähler konzipiert. Oft gibt es auch eine setzt. Man denkt darüber nach, wie lebe Gruppe von Menschen unterschiedli- SZ: Haben Sie schon mal eine Ableh- ich selbst und könnte ich später, wenn ich chen Alters, die über ein Thema, wie nung von jemandem bekommen, den alt bin, auch gute Dinge erzählen? etwa „Schule früher und heute“ mitein- Sie gern einladen wollten? ander sprechen. M.F.: Sehr selten. Oft bekomme ich auch SZ: Also würden Sie irgendwann einmal Tipps aus dem Publikum. Da empfiehlt auch gern Gast in einem Erzählcafé sein? SZ: Wie und wie lange bereiten Sie sich jemand eine Tante, einen Onkel oder M.F.: Ja natürlich, und ich würde gern die auf ein Gespräch vor? Großvater, der gut erzählen kann. Sehr Leute mit Geschichten begeistern.
10 SZ 4/2008 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 11
Titel: Die Vielfalt des Lebens Die Augen des Jahrhunderts Der Fotograf der 100 Jahre alten Models
ls Karsten Thormaehlen in New es gerade einmal 300. Thormaehlen, der York mit Fotografen wie Peter mittlerweile von seinem Fechenheimer ALindbergh, Jim Rakete und Fabrizio Fotostudio aus für namhafte Kunden Ferri Werbekampagnen für Luxusmar- wie Douglas, Messe Frankfurt, AEG und ken entwickelte, waren junge Mädchen JP Morgan arbeitet, war beeindruckt von die einzigen, die im Blitzgewitter der Ka- diesem demografischen Wandel, auf den meras glücklich sein durften. „Mit 26 war in seiner Branche noch niemand reagiert man schon zu alt für ein Fotoshooting“, hatte. Er selbst hatte darüber erstmals sagt er. Nervig fand er den Jugendkult, im Herbst 2007 in einem Artikel der Spie- aber auch traurig. Klammerte er doch gel-Redakteurin Barbara Hardinghaus gezielt eine Gruppe aus, die es tatsäch- gelesen. Titel: der Jahrhundertmensch. lich verdient hätte, im Rampenlicht zu stehen: die Hundertjährigen. Darin wurde auch der 100. Geburtstag des Berliner Hotels Adlon erwähnt, das Karsten Thormaehlen wollte mit seiner aus diesem Anlass 100 Hundertjährige Kamera in Augen schauen, die das ge- eingeladen hatte. 90 kamen, darunter samte 20. Jahrhundert gesehen hatten. eben auch Berlins ältester Kinobetreiber Für Augen, die das gesamte 20. Jahrhun- Wie in die Augen von Walter Jonigkeit, Walter Jonigkeit. Thormaehlen schrieb dert gesehen haben, können sich auch Kin- mit 101 Jahren Berlins ältester Kino- ihn und die anderen Gäste in Berlin und der interessieren. betreiber, der schon mit James Stewart, Umgebung an, fragte, ob er sie fotogra- Ava Gardner und Hans Albers ein Glas fieren dürfe und fand Zuspruch. „Es wa- warum der noch so fit oder so müde Sekt getrunken hat. Oder in die Augen ren immer mehr, die mitmachen wollten.“ wirkt, kann er sofort in dessen Lebensge- von Margit Haase, die zwei Weltkriege Der Fotograf besuchte seine Models in schichte stöbern“, berichtet der Foto- überlebt hat, und die sich heute, mit 104 Wohnstiften oder zu Hause, ließ sie „ein künstler. Das Konzept geht auf. Im April Jahren, noch gut an die Zeit erinnern wenig stylen“ und erzählen, von früher. dieses Jahres wurde die Ausstellung erst- kann, als ihre Wohnung in Berlin-Tempel- „Irgendwann war der Zeitpunkt gekom- mals in Bregenz gezeigt. Wie durch einen hof dreimal ausgebombt wurde. men, da musste ich nur noch auf den Wald mit uralten Bäumen schritten die Auslöser drücken“. Besucher durch die Installation, vorbei an 23 Augenpaare hat der junge Frankfur- meterhohen Porträts, die in 30 Kilo- ter Fotograf gefunden. 23 Augenpaare, Falten erzählen Geschichten gramm schweren Buchensockeln einge- die Geschichten von Krieg, Vertreibung, fasst waren. Abseits, auf einem kleinen Liebe, Karriere und Großfamilie erzählen, Tisch, luden die Biografien zum Lesen ein. und die er für eine Ausstellung abgelich- tet hat. „Der Jahrhundertmensch“ hat er „Das Interesse war überwältigend“, sie genannt. „Ich wollte den Menschen, sagt Thormaehlen, der sich mit seinen die 100 und mehr Jahre erlebt haben, ein mehrfach ausgezeichneten Arbeiten Denkmal setzen“, sagt der 37-Jährige. längst im In- und Ausland einen Namen gemacht hat. Ein New Yorker Magazin Schon als Kind war Thormaehlen gerne will Porträts abdrucken, Tagesschau.de mit alten Menschen zusammen. Da- zeigt Ausschnitte des „Jahrhundert- mals, als er noch in Bad Kreuznach Margit Haase Willi Häuseler. menschen“, und im Herbst erscheint lebte, verbrachte er lieber die Zeit bei Fotos (3): Karsten Thormaehlen beim Kölner Snoeck Verlag das Buch zur Oma und Opa als bei seinen Eltern. Ausstellung. Weitere Schauen in Frank- „Die einen Großeltern hatten einen Der Fotokünstler zeigt nur ihre Gesich- furt, Berlin, München, Davos und St. Garten, bei den anderen konnte ich bes- ter, den Kopf aufrecht, das weiße Haar Gallen sind geplant. ser fernsehen“, erinnert er sich. Später, sorgsam frisiert, den Blick offen. „Ich während des Zivildiensts in einem Main- wollte mich auf einen Körperteil konzen- Und obwohl Thormaehlen viel unterwegs zer Altersheim, organisierte er Ausflüge, trieren“, erklärt er, „und Falten im Gesicht ist, hält er Kontakt zu seinen Models. „baute eine persönliche Bindung auf” erzählen die meisten Geschichten.“ Was „Die meisten sind fit und so beschäftigt, und begleitete auch 90-Jährige auf sie erzählen, „das geht unter die Haut“. dass sie gar keine Zeit haben“, sagt er. ihrem letzten Weg. Und Barbara Hardinghaus schrieb mit. Wie Walter Jonigkeit, der noch heute jeden Tag von 9 bis 16 Uhr in seinem 10.000 über Hundertjährige Entstanden ist eine Symbiose aus Port- Büro die Geschicke seiner zehn Kinos räts und Zitaten, eine lebendige Galerie. lenkt. Oder wie Margit Haase, die viel auf Bereits jetzt gibt es bundesweit 10.000 „Wenn der Betrachter in die Gesichter Feste geht und wunderbare Geschich- über Hundertjährige, vor 30 Jahren waren der Hundertjährigen blickt und sich fragt, ten zu erzählen weiß. Judith Gratza
SZ 4/2008 11 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 12
Titel: Die Vielfalt des Lebens Alt und Jung – Printgeneration trifft Mediengeneration
ir machen was zusammen, Dass es in diesem Jahr endlich geklappt noch ist es nicht viel; wir ma- hat, ist auch der Frankfurter Stiftung W chen was zusammen, erst mal Citoyen zu verdanken, die die Projekt- nur ein Lied; wir machen was zusam- woche finanziell unterstützte. men, wir bleiben dran; lass es ruhig schiefgeh‘n, jeder fängt mal an.“ Ein Die Idee für die Projektwoche war, in den Anfang war dieser Rap für alle Beteilig- Köpfen vorhandene Altersbilder mit der In der Sonne gelingt das Foto besser. ten. Weder die jungen Leute noch die Realität zu konfrontieren und Menschen Fotos (2): Gallus Zentrum „älteren Herrschaften“ hatten jemals zusammenzubringen, die sonst wenig einen Text gesprochen-gesungen, wie oder nichts miteinander zu tun haben. ren Generation halten. Sie fördern es für den Rap typisch ist. Meist werde das Bild, das sich junge Erstaunliches zutage, etwa, dass der Menschen von den Senioren machten, ehemalige katholische Pfarrer der Ma- Während einer Schulprojektwoche hat- von den Problemen des Alterns be- ria Hilf-Gemeinde im Gallus, der 72- ten sie es gewagt. Und so entstand der stimmt, so Sabine Hoffmann. Von Chan- jährige Hans Josef Wüst, Mitleid mit der Rap „Dranbleiben“, geschrieben und ein- cen und Möglichkeiten sei dagegen jungen Generation empfindet. Zu viele gespielt von fitten Sechzigerinnen und wenig die Rede, und auch der Dialog Anforderungen stürmten auf sie ein. Schülerinnen und Schülern der Berta Jour- zwischen den Generationen finde nur Der 65-jährige Yus Ulrich Pfaff fühlte sich dan-Fachschule. Zum Abschluss gab sich sehr spärlich statt. von der jungen Generation dagegen zu das ungewöhnlich zusammengesetzte wenig gefordert. „Wir haben euch so Team einen Namen: YO – Young and Old. Mit Senioren lässt viel weiterzugeben, hebt die Schätze, es sich gut arbeiten die vorhanden sind”, forderte er sie auf. Die Rapper waren nicht die einzigen, die sich auf die jeweils andere Generation Bei der Vorstellung ihrer Medienprojek- Neben der Begegnung von Jung und Alt einließen. Unter dem Motto „Alt trifft te im Gallus Theater gaben die beteilig- war der Erwerb von Medienkompetenz Jung“ fanden sich im Gallus Zentrum, ten jungen Menschen auch freimütig zu, ein weiteres wichtiges Ziel der Projekt- einem Medienzentrum, das vorwiegend dass sie einigermaßen überrascht wa- woche. Und hierbei hatten die Senioren Projekte mit benachteiligten Jugendli- ren, wie interessiert sich die Senioren stärkere Lerneffekte als manche jungen chen betreut, weitere Teams zum Video- zeigten und wie gut es sich zusammen- Leute. Workshop und zum digitalen Foto- arbeiten ließ. Workshop zusammen. Bei einer Prä- Die künstlerisch gestalteten Fotomon- sentation im Gallus Theater konnten Im Videoprojekt „Generationen treffen tagen, die im digitalen Fotoworkshop Interessierte die entstandenen Fotos aufeinander“ etwa waren schauspieleri- entstanden, waren mit ihren völlig neu- und Videos anschauen. sche Fähigkeiten gefragt. Gemeinsam en Perspektiven Neuland für die älteren spielte die Gruppe eine Szene in der Teilnehmer. Dennoch bestätigten Jung „Wir wollten den gelebten Generatio- S-Bahn, wie sie nahezu täglich zu beob- wie Alt als Ergebnis dieser Gruppe, dass ‘ nenvertrag’ herstellen”, sagt Sabine achten ist: Junge Leute benehmen sich der Gegensatz eher zwischen männli- Hoffmann. Die Mitarbeiterin im Gallus so, wie es den Älteren nicht passt. chen und weiblichen als zwischen alten Zentrum hatte die Idee zu dem Projekt Diese wiederum gehen die Jüngeren und jungen Beteiligten zu erkennen war: „Alt trifft Jung“ schon vor drei Jahren. unhöflich und herablassend an – Streit Die Teilnehmerinnen zeigten besonderes bis hin zur körperlichen Auseinanderset- Interesse daran, sich in Verkleidung zu zung ist programmiert. fotografieren. Die männlichen Teilneh- mer dagegen setzten einen Schwerpunkt In einer zweiten Szene dann die Dar- auf Architekturfotografie. stellung, wie es auch sein könnte: Die Senioren meckern nicht gleich über den Einig waren sich die Macher der Me- zu lauten MP3-Player, sondern fragen dienprojekte mit den Zuschauern bei höflich, ob ein Platz frei sei – man kommt der Präsentation, dass Rap, Videos und sogar ins Gespräch. Fotos nicht in der Versenkung ver- schwinden, sondern einer breiteren Eher dokumentarisch dagegen kommt Öffentlichkeit zugänglich gemacht wer- der Film „Was war, was ist, was wird“ den sollten. Dieser Bericht in der SZ daher. Jung und Alt befragen sich ge- könnte ein erster Schritt dazu sein. So sieht das Bild im PC aus. genseitig, was sie von der jeweils ande- Lieselotte Wendl
12 SZ 4/2008 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 13
Theater-Inszenierung als maximaler Gegensatz zum Alltag
Probenzeit im Theater Willy Praml: „Don Carlos“. Regisseur Praml sitzt im Halbdunkel seiner riesigen Spielstätte, der Naxos-Halle im Nordend, in der einst Marken-Schmirgelpapier hergestellt wurde, produziert aus Rohstoffen der Insel Naxos. Praml ist noch nicht zufrie- den, feilt am Ausdruck seines jungen Hauptdarstellers. Willy Praml. Foto: privat
Willy Praml ist 67, offiziell also Senior. Sich selbst als einen bach mit Lehrlingen, die ihren Arbeitsalltag auf die Bühne solchen zu definieren, liegt dem agilen Theatermann aber brachten: „Es entstand wunderbares pures Volkstheater.“ fern. Was für ihn einen Senior ausmache? „Für mich sind es Nach dem ersten bundesweiten Lehrlingsstreik, an dem sich Menschen, die darauf warten, dass was passiert in ihrem in Frankfurt die Auszubildenden der städtischen Lehrlings- Leben, manchmal wünsche ich mir diesen Zustand, aber ich werkstatt beteiligten, initiierte er das erste Lehrlingstheater vermisse ihn auch nicht.“ in Deutschland. Zur Aufführung im Theater am Turm (TAT) kam die ganze Frankfurter Linke zusammen. Pramls Leben ist ein außerordentlich bewegtes. Er wurde in Landshut als Sohn eines Metzgermeisters geboren, in einer Später holte Praml ausländische Jugendliche aus dem Gallus „königlich gotischen Stadt in prächtigem, bayerischen Sinne“. auf die Bühne. Weitere zehn Jahre arbeitete er in hessischen Praml schwärmt von der „Landshuter Hochzeit“, zu der sich Dörfern mit den Einheimischen zusammen. „Wir wollten die jedes Jahr im Sommer drei Wochen lang Tausende Lands- Geschichte der Industrialisierung aus dem Blickwinkel dörfli- huter Bürger verkleiden und ins Leben des Mittelalters ein- cher Erfahrung reflektieren.“ Besonderes Aufsehen erregte tauchen. Ein „enorm theatralisches“ Spektakel, das seine ein Requiem über das Dritte Reich, mit dem 150 Darsteller aus spätere Theaterarbeit geprägt habe. Niederbrechen ihre eigene Dorfgeschichte wiedergaben. Textgenauigkeit gefragt Spielen wie mit 17 Jahren
Mit seinen Inszenierungen möchte er „nicht die Finger auf Erst kürzlich holte er die Geschichte der Naxos-Werke auf die die Wunden der Zeit legen“, sie sollen den „maximalen Bühne. Besonders berührt hat Praml die Arbeit mit Senior- Gegensatz zum Alltag der Zuschauer bilden“. Über seine innen des benachbarten GDA-Wohnstiftes und der Senioren- Stücke soll der Theatergänger einen Vergleich zum eigenen initiative Höchst an dem Stück „Liebesbriefe an Hitler“. Die Leben ziehen können. Praml brachte Faust I und II in der Frauen im Alter von 65 bis 85 Jahren, die aus realen Briefen Paulskirche mit zehn Profischauspielern und 250 Frankfurtern an Adolf Hitler lasen, „haben gespielt, als wären sie wieder 17“. auf die Bühne. Nabokovs „Lolita“ spielte das Ensemble mit einem Dutzend junger Mädchen, allesamt Laien, in der Adler- Willy Praml empfindet seine Theaterarbeit mit Laiendarstellern, werke-Tiefgarage. Auch Stücke von Schiller, Brecht und Kleist ob Lehrling oder Senior, als „emanzipativ“. Es habe Alten- sind im Repertoire, selbst die Weihnachtsgeschichte. Für Büh- betreuer gegeben, die „sagten mir, dass einzelne Darsteller- nenbild und Kostüme ist sein Lebenspartner Michael Weber innen kaum belastbar seien, doch manchmal wurden es bis zuständig, Pramls Sohn Gregor, ein Musiker, ist dabei, wenn zu neun Stunden Proben und niemand ist je krank geworden“. Musik eine wichtige Rolle bei der Inszenierung spielt. Sein Annette Wollenhaupt Publikum sei „ein seriöses, bürgerliches“. Menschen, die „von städtischen Bühnen die Nase voll haben und einen anderen Zugang zu Klassikern haben wollen“. Vor allem Textgenauig- Kurzinformation keit liege ihm am Herzen, an vielen großen Bühnen komme Sprache „schludrig daher – wie am Kiosk“. „Lesefreuden – Bücher werden lebendig”
Sein Theater gründete er 1990. Zuvor konzentrierte sich Willy Im Dezember setzen die Zentralbibliothek, Hasengase 4, und das Praml über einen langen Zeitraum ausschließlich auf die Theater- Bürgerinstitut ihre neue Lesereihe fort. Am Mittwoch, den 10. De- arbeit mit Laien, zum Beispiel mit Pfadfindern. Vom Pfadfin- zember, um 19.30 Uhr, stellt Renate Traxler die Biografie des ers- dertum hält er viel. Es fördere die Selbstständigkeit. Er erzählt ten Rothschilds vor. Im 18. Jahrhundert brachte es Rothschild, vom Rucksack, „gefüllt mit zehn Kartoffeln, Streichhölzern, der als Altwaren- und Münzhändler begann, zu Macht und unge- einer Landkarte“. Davon, dass man ohne Geld an einen vorge- heuerem Reichtum. Er bestimmte über Krieg und Frieden, blieb gebenen Ort habe gelangen müssen. „Auf diese Weise musste aber sein Leben lang der Enge der Frankfurter Judengasse ver- man kommunikativ und schlau werden.“ Praml studierte in haftet. Renate Traxler nimmt die Zuhörer auf eine ungewöhnli- München: Germanistik, Geschichte, Geographie. Arbeitete che Reise in die Frankfurter Geschichte mit. Der Eintritt ist frei, 30 Jahre lang in der Hessischen Jugendbildungsstätte Dietzen- um eine Spende wird gebeten.
SZ 4/2008 13 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 14
KULTUR IN FRANKFURT
Mit der Ausstellung „Kultureinrichtungen, die Sie in dieser Vielfalt in keiner anderen deutschen Stadt „Bunte Götter. Die Farbig- finden, warten auf Sie. Lassen Sie sich inspirieren!” keit antiker Skulptur” zeigt das Liebieghaus die Ihr beeindruckende Farben- Prof.Dr. Felix Semmelroth vielfalt der griechischen Kulturdezernent und römischen Antike. Bunte Götter ziehen ins Liebieghaus Im März dieses Jahres wurde die neu gestaltete Liebieg- haus Skulpturensammlung feierlich wieder eröffnet. Mar- kantestes Zeichen der gelungenen Neupräsentation ist das raumübergreifende Farbkonzept, das die ursprünglich weißen Wände ersetzt. Einzelobjekte und Werkgruppen aus allen Sammlungsbereichen erstrahlen vor roten, blau- en, dunkelgrünen und warmgrauen Wänden und heben sich vor diesem kontrastreichen Hintergrund deutlich ab.
Vom 8. Oktober an bekennt das Liebieghaus in weiterer Hinsicht Farbe: Die Ausstellung „Bunte Götter. Die Farbigkeit antiker Skulptur“ lässt die beeindruckende Farbenpracht der griechischen und römischen Antike wieder aufleben. In der Schau sind über 30 originalgroße Rekonstruktionen antiker Der Bogenschütze und trojanische Prinz „Paris“ aus dem West- Skulpturen und etwa 70 Originalexponate zu sehen. Skulp- giebel des Aphaia-Tempels auf Ägina: Farbrekonstruktion des turen, Gewänder und Ornamente leuchten in ockerbraun, zin- griechischen Marmororiginals, entstanden zwischen 500 und noberrot, malachitgrün und azuritblau und berichtigen unsere 470 v. Chr. Fotos: Dieter Rehm (3), Vinzenz Brinkmann (1) vom klassizistischen Schönheitsideal geprägte Vorstellung einer marmorweißen Antike. den technischen Mittel eingehend studiert und dokumentiert wurden. Der „Perserreiter“ war jedoch nicht der erste farbige Professor Vinzenz Brinkmann, Kurator der Schau und Leiter der Fund. Bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts konnten Forscher Antikensammlung des Liebieghauses, forscht gemeinsam mit bei archäologischen Ausgrabungen in Athen und Rom ein- einem internationalen Expertenteam seit mehr als 25 Jahren deutige Farbreste an zahlreichen Marmorskulpturen feststellen. zur Polychromie (Vielfarbigkeit) in der Antike. Mit Hilfe neue- ster wissenschaftlicher Erkenntnisse und Verfahren, die im Lau- Ein berühmtes frühes Beispiel stellen die 1811 im griechi- fe der Jahre beständig weiterentwickelt wurden, können die schen Ägina ausgegrabenen Giebelskulpturen des Aphaia- Wissenschaftler heute zahlreiche – selbst mit freiem Auge Tempels (ca. 490–480 v. Chr.) dar, die den von Homer in der nicht mehr erkennbare – Farbspuren nachweisen und die Skulp- Ilias beschriebenen mythischen Kampf um Troja zwischen Troja- turen in einem aufwändigen und präzisen Verfahren völlig nern und Griechen zeigen. In der Ausstellung werden die farb- berührungs- und zerstörungsfrei rekonstruieren. Das aktuellste intensiven Rekonstruktionen des griechischen Bogenschüt- Ergebnis, das erstmals in der Ausstellung im Liebieghaus zen Teukros, des trojanischen Prinzen Paris und der griechi- gezeigt wird, ist die Rekonstruktion des so genannten „Perser- schen Göttin Athena zu sehen sein. reiters“ der Athener Akropolis (um 500 v. Chr.). Kein anderes Marmorbildwerk der Antike besitzt eine so vollständig erhal- Johann Martin von Wagner, Maler, Bildhauer und Kunstagent tene farbige Fassung. Die Figur wurde speziell für die Frank- Ludwigs I., hatte die Giebelskulpturen des Aphaia-Tempels in furter Präsentation untersucht, vermessen und nachgebildet dessen Auftrag erworben und die vorhandenen Farbspuren be- und ist in ihrer hochwertigen Rekonstruktion eines der ein- reits in seinem 1817 erschienenen Bericht ausführlich beschrie- drücklichsten und bedeutendsten Beispiele antiker Polychromie. ben. Allerdings zeigte sich der Kunstagent eher schockiert als begeistert von der „farbigen“ Erkenntnis: „Wir wundern uns über Angesichts der überdurchschnittlich gut erhaltenen Farbigkeit diesen scheinbar bizarren Geschmack und beurteilen ihn als des „Perserreiters“ erstaunt es nicht, dass die Farbreste be- eine barbarische Sitte und ein Überbleibsel aus früheren, rohen reits während der Ausgrabung Ende des 19. Jahrhunderts Zeiten.“ Wagner stand mit seiner Ansicht ganz in der Tradition beobachtet und mit Hilfe der damals zur Verfügung stehen- Johann Joachim Winckelmanns, der in seiner 1764 erschiene-
14 SZ 4/2008 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 15
nen Geschichte der Kunst des Alter- 20. Jahrhundert zunehmend das Inter- tums mit der Aussage „(...) so wird auch esse an puristischen Konzepten, in ein schöner Körper desto schöner sein, je denen Farbigkeit und Verzierungen kom- weißer er ist“ das reine Weiß als klassi- plett abgelehnt wurden, in den Vorder- zistisches Schönheitsideal definiert hatte. grund rückte. Heute gibt weniger die Polychromie an sich Anlass für wissen- Neben den Gegnern gab es jedoch auch schaftliche Debatten als vielmehr die zahlreiche Befürworter einer farbigen Frage, welche Farben in welcher Inten- Antike, darunter die Architekten Gottfried sität verwendet wurden. Semper (1803-1879) und Leo von Klenze (1784-1864). Semper, der bei einer Reise Die Ausstellung lädt den Besucher ein, durch Italien und Griechenland 1830 bis sich auf die historischen Spuren der 1833 selbst Untersuchungen an farbigen antiken farbigen Skulptur zu begeben Bauten und Skulpturen vorgenommen und sich anhand von Rekonstruktionen und zahlreiche Zeichnungen angefertigt und Originalen selbst von ihrer beson- hatte, war von einer vollständigen Farbig- deren Wirkung zu überzeugen. Dabei Die Jagdgöttin Artemis (so genannte Peplo- keit antiker Skulpturen und Bauten über- gelangt der Betrachter vielleicht zu der skore) vor der Athener Akropolis: Farbre- zeugt und entwickelte sich zu einem der gleichen Ansicht wie Adolf Furtwängler konstruktion des griechischen Marmor- bedeutendsten Verfechter der Polychro- (1853-1907), einer der einflussreichsten originals, entstanden ca. 520 v.Chr. mie. Leo von Klenze gestaltete im Auftrag und bedeutendsten deutschen Archäo- seines Bauherrn König Ludwig I. die Innen- logen des 19. Jahrhunderts und Direktor und seinem plastischen Schmuck ist, räume der Glyptothek in München pracht- der Münchener Glyptothek, dessen das empfindet wohl ein jeder, wenn er voll bunt, fasste einen kleinen Rundtem- Urteil noch heute gilt: „Wie unendlich von dem rekonstruierten farbigen Bilde pel im Englischen Garten und die Fas- wichtig die Farbe am antiken Tempel zu dem farblosen zurückkehrt.“ sade des Münchener Nationaltheaters far- big und bezeichnete sich selbst als „Euer und Majestät polychromatischer Sekretär“. Sehen Erleben Das Liebieghaus lädt die Leserinnen und Leser der Senioren Zeitschrift zu einer kostenfreien Führung durch die Ausstellung „Bunte Götter. Die Farbigkeit anti- Die Diskussion über die Farbigkeit der ker Skulptur“ ein. Termin ist Mittwoch, 12. November, 15 Uhr. Anmeldung unter Antike wurde bis zum Ausbruch des Zwei- Telefon: 0 69 / 6 50 04 9127. ten Weltkriegs fortgeführt, wobei im Anzeige
Mein Leben, mein Vorteil, meine Frankfurter Sparkasse „Spielend in den Ruhestand gehen? Wer später nicht im Aus landen will, muss wie ich am Ball bleiben und rechtzeitig privat vorsorgen.“ Die Vorsorgekonzepte der Frankfurter Sparkasse – Spiel, Satz und Sieg in jeder Lebensphase.
Paul M. | PolizeibeamterSZ 4/2008 | Kunde 15seit 1967 SZ_04_08_23.09. 24.09.2008 20:53 Uhr Seite 16
Das Sozialdezernat informiert und zu bewerten wäre für uns als ehren- amtlich Tätige zu aufwändig“, sagte Möglichkeiten besser nutzen... Christof Warnke, der Vorsitzende des Seniorenbeirats. Ältere Menschen sollen stärker in Pla- Im kürzlich gestellten Antrag der vier nungen einbezogen werden, die ihren Fraktionen hieß es nun, der Magistrat Die Mitglieder waren sich jedoch einig, Lebensbereich betreffen. Darüber sind solle gemeinsam mit dem Seniorenbei- dass sie künftig stärker in Erscheinung sich Politik und Verwaltung in Frankfurt rat eine neue Satzung erarbeiten. Unter treten wollen. „Der Seniorenbeirat er- einig. Geeignete Wege zu finden, ist al- anderem sollte der Beirat das Recht mutigt den Magistrat, ihn entsprechend lerdings gar nicht so leicht: Als die erhalten, Presse und Öffentlichkeit zu in- der geltenden Satzung mehr als bisher Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und formieren. Er sollte alle Vorlagen parla- zu Rate zu ziehen“, heißt es in einem FDP im Römer kürzlich mit einem ge- mentarischer Gremien erhalten und be- Positionspapier. Umgekehrt nehme sich meinsamen Antrag die Satzung des Se- werten, die ältere Menschen betreffen. der Beirat vor, verstärkt mit Anregungen niorenbeirats ändern wollten, stießen sie Auch bei der Auswertung von Gutach- und Stellungnahmen an den Magistrat auf dessen Ablehnung. Die Beiratsmit- ten und Planungsvorhaben sollte der heranzutreten. glieder möchten lieber ihre bestehenden Beirat obligatorisch gehört werden. Rechte intensiver nutzen und stärker in Stadträtin Daniela Birkenfeld, die als der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. In einer Sondersitzung diskutierte der Gast an der Sondersitzung teilnahm, Seniorenbeirat die Überlegungen der Frak- akzeptiert die Entscheidung. „Die vorge- Der Seniorenbeirat in Frankfurt existiert tionen. Während einige Mitglieder die tragenen Argumente sind nachvollzieh- seit 1974. Jeder der 16 Ortsbeiräte im Vorlage begrüßten, zeigte sich die große bar“, sagt die Sozialdezernentin. Sie Stadtgebiet schickt einen Vertreter in Mehrheit skeptisch. Teilweise seien die freut sich über das „neue Selbstbewusst- das Gremium. Seine Aufgabe ist es, den Forderungen bereits durch die bisherige sein“ des Beirats, das sie mit Rat und Magistrat in allen Fragen zu beraten, die Satzung gedeckt, wie das Recht die Pres- Tat unterstützen will. Insbesondere be- Bedeutung für das Leben von Senioren se zu informieren. Teilweise überstiegen grüßte sie die Idee, dass der Beirat der haben. In der Vergangenheit nutzten die sie die Möglichkeiten der Mitglieder. „Al- Öffentlichkeit künftig jährlich einen Tätig- Mitglieder ihre Möglichkeiten nur zögerlich. le parlamentarischen Vorlagen zu lesen keitsbericht präsentieren will. Anzeige
Der Club Behinderter und ihrer Freunde verfolgt den Zweck, die Gleichstellung, die Selbstbestimmung und den Selbstvertretungs- anspruch behinderter Menschen in allen Lebensbereichen zu bewirken. Hierzu unternimmt und unterstützt er alle fördernden Aktivitäten und Initiativen in Politik, Kultur und Gesellschaft für die uneingeschränkte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sowie zur Gestaltung Club Behinderter und ihrer Freunde e.V. barrierefreier gemeinschaftlicher Lebensräume für alle Menschen.
Möchten Sie als Seniorin und Senior Ihren Alltag weiterhin selbstbestimmt und aktiv gestalten? Wir bieten s (ILFEN IM (AUSHALT %INKAUFSSERVICE "OTENGÊNGE (069) !SSISTENZ 0m EGE UND &AHRDIENST