Einsicht 15 Bulletin des Fritz Bauer Instituts

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Fritz Bauer Institut Der Völkermord an den Armeniern 1915/16 Geschichte und MMitit BeiträgenBeiträgen vonvon RRolfolf HHosfeld,osfeld, Wirkung des Holocaust AAndreasndreas MeierMeier undund RainerRainer HHuhleuhle 06.04. — 01.06.2016 Editorial Bildungsstätte Anne Frank Ein kleines in Bächlein

Beispiel Um Liebe Leserinnen und Leser, Dienst geleistet hatte. In seinen Tagebüchern und mit dem Fotoappa- rat hielt er das Schicksal der Armenier fest. Andreas Meier schildert, 1915/16 fi elen im Osmanischen Reich wie neben Wegner auch Franz Werfel plante, den Massenmord in Hunderttausende Armenier systemati- einem Roman zu verarbeiten. Während Werfels Die vierzig Tage schen Vertreibungen und organisierten des Musa Dagh schließlich zu einem Welterfolg wurde, vollendete Massakern zum Opfer. Ihre genaue Wegner, der als Pazifi st 1933/34 in verschiedenen Konzentrations- Zahl lässt sich nicht mehr ermitteln, die lagern inhaftiert worden war, sein Werk nicht. Schätzungen reichen bis zu 1,5 Milli- Rainer Huhle befasst sich mit der Entstehung und Entwicklung onen Toten. Vor dem Ersten Weltkrieg des Begriffs »Genozid« bzw. »Völkermord«. Dieser geht auf den hatten vermutlich etwa zwei Millionen jüdisch-polnischen Juristen zurück, der in seinem »Es sind noch zu Armenier im Osmanischen Reich gelebt. 1943 im amerikanischen Exil entstandenen Buch über die NS-Be- Zahlreiche Staaten erkennen mitt- satzungsherrschaft im Zweiten Weltkrieg ein Kapitel mit »Genozid« lerweile an, dass es sich hierbei um überschrieben hatte. Darin skizzierte er nicht allein das Schicksal einen geplanten Genozid gehandelt der europäischen Juden, sondern jenes zahlreicher nationaler und viele Fragen offen…« * hatte. Ende April 2015 sprachen mit ethnischer Gruppen. Lemkin war nach dem Zweiten Weltkrieg – nach Bundespräsident Joachim Gauck und eigener Aussage nicht nur geprägt vom Völkermord an der europäi- Bundestagspräsident Norbert Lammert schen Judenheit, sondern auch vom Massenmord an den Armeniern Um ein triviales Beispiel zu nehmepn, erstmals auch hochrangige Repräsen- – maßgeblich an der Formulierung der Genozid-Konvention der tanten der Bundesrepublik Deutschland Vereinten Nationen von 1948 beteiligt. von uns unterzieht sich bei offi ziellen Veranstaltungen unmiss- Unser Gastprofessor im Wintersemester 2015/16, Nicolas Berg, verständlich von einem Völkermord. dem wir noch einmal herzlich für sein Wirken im und für das Institut In der Türkei wird dieser bis heute von danken möchten, befasst sich in seinem Beitrag mit »Anna Seghers Verhandlungen über den NSU-Komplex staatlicher Seite bestritten. Es werden und Victor Klemperer in der frühen DDR«. Beide Intellektuelle bis zu 300.000 Opfer eingestanden, handelten nach 1945 mit sich selbst das Verhältnis ihrer deutschen Aber wer hat irgend ein Recht die im Zuge von Deportationen ums und jüdischen Identität neu aus. Dies taten sie aber, wie Berg zeigt, Leben gekommen seien, die zum Schutz des Staates notwendig nicht in ihren Hauptwerken, sondern vielmehr in Briefen, Tagebuch- einen Menskkchen zu tadeln, der die Ent- gewesen seien. Wer anderes behauptet, dem drohen strafrechtliche notizen und anderen nicht für die Öffentlichkeit gedachten Schriften. Konsequenzen. In einem 2011 bestätigten Urteil etwa war mit dem Werner Renz ist ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fritz Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk ein führender türkischer Bauer Instituts der ersten Stunde. Seit 1995 war er nicht nur als scheidung trifft, eine Freude zum Intellektueller zu einer (geringen) Geldstrafe verurteilt worden, weil Leiter des Archivs und der Bibliothek eine zentrale Säule des Hau- er 2005 in einem Interview von der Ermordung von einer Million ses, sondern er trug mit seinen zahlreichen und pointierten Beiträ- Armeniern und 30.000 Kurden gesprochen hatte. gen vor allem zur Geschichte der Frankfurter Auschwitz-Prozesse Diese Ausgabe der Einsicht widmet sich »Aghet«, der »Katas- und zu Fritz Bauers Werk und Wirken entschieden zur inhaltlichen trophe«, wie Armenier heute den Massenmord während des Ersten Profi lierung des Instituts bei. Am 31. März 2016 ist Werner Renz in Weltkriegs bezeichnen. Dabei geht es nicht um Fragen der verglei- den Ruhestand getreten. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des chenden Genozidforschung. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich Instituts möchten ihm für seine Arbeit ganz herzlichen Dank sagen vielmehr auf ereignis- und gedächtnisgeschichtliche Verbindungsli- und hoffen sehr, dass er uns nicht nur mit seiner Expertise, sondern Die Copy warnte nien zwischen den Morden an den Armeniern und den von Deutschen auch in der Projektarbeit weiter eng verbunden bleibt. im Nationalsozialismus begangenen Massenverbrechen. Wir möchten Sie gerne auch auf zwei Neuerscheinungen in das Blindtextchen, da, wo Rolf Hosfeld befasst sich mit den Ereignissen im Osmanischen unserer Wissenschaftlichen Reihe aufmerksam machen. Im Juni er- Reich selbst. Er skizziert die Vorgeschichte, die politische und militä- scheint Isabell Trommers Studie Rechtfertigung und Entlastung, die rische Entwicklung zu Beginn des Ersten Weltkriegs und dem daraus sich mit »Albert Speer in der Bundesrepublik Deutschland« befasst. Ausstellung & resultierenden Entschluss zur Deportation der armenischen Minder- Und im September wird die Dissertation unserer Kollegin Jenny heit sowie dessen Umsetzung. Besonderes Augenmerk widmet er der Hestermann zum Thema »Inszenierte Versöhnung. Diplomatische Veranstaltungen Haltung deutscher Diplomaten und Offi ziere im Osmanischen Reich, Reisen und die Entwicklung deutsch-israelischer Beziehungen in das ein enger Verbündeter des Deutschen Kaiserreichs gewesen war. den Jahren 1957 bis 1984« in den Buchhandel kommen. Zum Zeugen des Massenmords war 1915/16 auch der promo- vierte Jurist Armin T. Wegner geworden, der als Angehöriger einer apl. Prof. Dr. Werner Konitzer und Dr. Jörg Osterloh Weitere Informationen: bs-anne-frank.de/nsu & boell-hessen.de Weit hinten, hinter dendass Wortbergen, frn deutschen Sanitätseinheit vorübergehend im Osmanischen Reich am Main, im März 2016 der Länder Vokalin und Konsonandt Öffnungszeiten: Dienstag – Freitag: 12.30 — 17 Uhr, Sonntag: 12 — 18 Uhr. tien lebe n die Blin Ort: Bildungsstätte Anne Frank, Hansaallee 150, Frankfurt/Main. Semantik, eines Es packte Gefördert u.a. vom Amt für Multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt. h sein Initial in deni Ge ürtel Einsicht 15 Frühjahr 2016 Abb. oben: Werner Konitzer, unten: Jörg Osterloh 1 seinund * Gamze Kubasik, Tochter des achten Mordopfers, Mehmet Kubasik, zitiert nach SZ-Magazin 10/2013 Fotos: Werner Lott Inhalt

Neuerscheinungen Nachrichten und Berichte Ausstellungsangebote Aktuelle Publikationen des Instituts Information und Kommunikation Wanderausstellungen des Instituts

12 Isabell Trommer: Rechtfertigung und Entlastung. Aus dem Institut 105 Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Albert Speer in der Bundesrepublik Deutschland 95 Neuausgabe: Erste Fritz-Bauer-Biografi e wieder verfügbar Ausplünderung der Juden in Hessen 1933–1945 12 Jenny Hestermann: Inszenierte Versöhnung. Diplomatische 96 Wilhelm Leuschner-Medaille 2015: Jutta Ebeling 106 Ein Leben aufs neu. Das Robinson-Album. Reisen und die Entwicklung deutsch-israelischer 96 German Design Award: Fritz-Bauer-Ausstellung DP-Lager: Juden auf deutschem Boden 1945–1948 Beziehungen in den Jahren 1957 bis 1984 96 In ehrendem Gedenken: Iwa Deutsch sel. A. 107 Die IG Farben und das KZ Buna/Monowitz. 13 Dagi Knellessen, Ralf Possekel (Hrsg.): Zeugnisformen. Berichte, Wirtschaft und Politik im Nationalsozialismus Künstlerische Werke und Erzählungen von NS-Verfolgten Aus dem Förderverein 107 Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht 97 Berufungsverfahren: Neue Holocaust-Professur und Direktion des Fritz Bauer Instituts

Aus Kultur und Wissenschaft Einsicht 98 Micha Brumlik: Buber-Rosenzweig-Medaille 2016 Publikationen Fritz Bauer Institut Forschung und Vermittlung 99 Micha Brumlik: Franz-Rosenzweig-Gastprofessur 2016 des Fritz Bauer Instituts Im Überblick 100 Tom Segev: Friedenspreis der Geschwister Korn und Der Völkermord an den Armeniern 1915/16 Gerstenmann-Stiftung 2015 108 Jahrbuch / Wissenschaftliche Reihe / Schriftenreihe u.a. 4 Das Institut / Mitarbeiter / Gremien 14 Unter den Augen der Weltöffentlichkeit 101 Eine Ausnahme: Überleben. Freundschaft. Widerstand Der Völkermord an den Armeniern / Rolf Hosfeld 102 Wiedereröffnung: Museum Judengasse 22 Aghet. Wie der armenische Völkermord zum 104 Jubiläumsjahr 2015: Zwei Publikationen zum deutsch- Romanstoff wurde / Andreas Meier israelischen Jugendaustausch 112 Impressum 30 Völkermord. Kurze Geschichte eines unglücklichen Veranstaltungen Begriffs / Rainer Huhle Halbjahresvorschau 38 Das Ich im Wir. Anna Seghers und Victor Klemperer 6 Lehrveranstaltungen in der frühen DDR / Nicolas Berg 7 Festakt: Nur die Spitze des Eisbergs. Einweihung des Ein Dokument Fritz Bauer-Denkmals von Tamara Grcic 8 Vortrag von Susanne Heim: Die Judenverfolgung der Zeitgeschichte in Deutschland 1938 und die internationale Flüchtlingskonferenz von Evian Rezensionen 8 Vortrag von Marianne Leuzinger-Bohleber: Psychoana- 2015 wurde der frühere SS-Mann Oskar Buchkritiken Gröning vom Landgericht Lüneburg lytische Überlegungen zum Projekt Step-by-Step in der Paperback wegen Beihilfe zum Mord in 300000 Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Darmstadt 50 Rezensionsverzeichnis: Liste der besprochenen Bücher Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt. Die Hrsg. von Peter Huth 8 Buchvorstellung: Raul Hilberg, Anatomie des Holocaust – 52 Rezensionen: Aktuelle Publikationen letzten Zeugen dokumentiert den Prozess 277 S. · 8 Abb. · € 12,95 Essays und Erinnerungen zur Geschichte und Wirkung des Holocaust Tag für Tag: die Aussagen des Angeklag- ISBN 978-3-15-011057-7 9 7. Blickwinkel-Tagung: Kommunikation. ten, die Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Latenzen – Projektionen – Handlungsfelder Nebenklägern und Verteidigern und die 10 Fortbildungstag: Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Aussagen der Holocaust-Überlebenden und ihrer Nachkommen. Archivpädagogische Zugänge mit Dokumenten aus dem International Tracing Service (ITS), Bad Arolsen Pädagogisches Zentrum Hrsg. von Peter Huth 277 S. · 8 Abb. · € 4,80 10 Symposium: Generations and Transfer of Knowledge. Frankfurt am Main ISBN 978-3-15-017088-5 German History and Literature between Israel and 11 Vortrag von Joachim Tauber: Holocaust in Litauen. 92 Angebote und Kontakt Schulausgabe Historisches Geschehen und der schwierige Umgang mit 92 Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle. der Vergangenheit Erste Erfahrungen mit Besuchergruppen www.reclam.de 11 Ausstellung in Mainz: Legalisierter Raub 94 Neueröffnung des Museums Judengasse. Reclam 11 Ausstellung in Köln: Fritz Bauer. Der Staatsanwalt Pädagogische Angebote zur neuen Dauerausstellung

2 Inhalt Einsicht 15 Frühjahr 2016 3 Fritz Bauer Institut Im Überblick

Mitarbeiter und Arbeitsbereiche

Kommissarischer Direktor apl. Prof. Dr. Werner Konitzer

Administration Dorothee Becker (Sekretariat) Werner Lott (Technische Leitung/Digital- und Printmedien) Manuela Ritzheim (Leitung des Verwaltungs- und Projektmanagements)

Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Dr. Christoph Dieckmann (Zeitgeschichtsforschung) Dr. des. Jenny Hestermann (Zeitgeschichtsforschung) Dr. Jörg Osterloh (Zeitgeschichtsforschung) Dr. Katharina Rauschenberger (Programmkoordination) Das Fritz Bauer Institut Bibliothek, Archiv und Dokumentation Das Fritz Bauer Institut ist eine interdisziplinär ausgerichtete, un- N.N. (Archiv und Dokumentation) abhängige Forschungs- und Bildungseinrichtung. Es erforscht und N.N. (Bibliothek) dokumentiert die Geschichte der nationalsozialistischen Massenver- brechen – insbesondere des Holocaust – und deren Wirkung bis in die Pädagogisches Zentrum des Fritz Bauer Instituts Gegenwart. Das Institut trägt den Namen Fritz Bauers (1903–1968) und des Jüdischen Museums Frankfurt am Main und ist seinem Andenken verpfl ichtet. Bauer widmete sich als jüdischer Dr. Türkân Kanbıçak Remigrant und radikaler Demokrat der Rekonstruktion des Rechts- Gottfried Kößler (stellv. Direktor) Stiftungsrat Wissenschaftlicher Beirat systems in der BRD nach 1945. Als hessischer Generalstaatsanwalt Manfred Levy hat er den Frankfurter Auschwitz-Prozess angestoßen. Dr. Martin Liepach Für das Land Hessen: Prof. Dr. Joachim Rückert Am 11. Januar 1995 wurde das Fritz Bauer Institut vom Land Sophie Schmidt Volker Bouffi er Vorsitzender, Goethe-Universität Frankfurt am Main Hessen, der Stadt Frankfurt am Main und dem Förderverein Fritz Ministerpräsident Prof. Dr. Moritz Epple Bauer Institut e.V. als Stiftung bürgerlichen Rechts ins Leben geru- Wissenschaftliche Hilfskräfte Boris Rhein Stellv. Vorsitzender, Goethe-Universität Frankfurt am Main fen. Seit Herbst 2000 ist es als An-Institut mit der Goethe-Universität Maximilian Eigner Minister für Wissenschaft und Kunst Prof. Dr. Wolfgang Benz assoziiert und hat seinen Sitz im IG Farben-Haus auf dem Campus Laura S. Tittel Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Westend in Frankfurt am Main. Für die Stadt Frankfurt am Main: Universität Berlin Forschungsschwerpunkte des Fritz Bauer Instituts sind die Be- Freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Projekten Peter Feldmann Prof. Dr. Dan Diner reiche »Zeitgeschichte« und »Erinnerung und moralische Auseinan- Dr. des Irene Aue-Ben-David, Dr. Kata Bohus, Rolf Erdorf, Oberbürgermeister Hebrew University of Jerusalem dersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust«. Gemeinsam mit Dr. Lena Folianty, Dr. Wolfgang Geiger, Dr. Iwona Guść, Prof. Dr. Felix Semmelroth Prof. Dr. Atina Grossmann dem Jüdischen Museum Frankfurt betreibt das Fritz Bauer Institut Dr. David Johst, Monica Kingreen, Dagi Knellessen, Dezernent für Kultur und Wissenschaft The Cooper Union for the Advancement of Science and Art, New York das Pädagogische Zentrum Frankfurt am Main. Zudem arbeitet das Dr. Sharon Livne, Ursula Ludz, Dr. Ingeborg Nordmann, Prof. Dr. Marianne Leuzinger-Bohleber Institut eng mit dem Leo Baeck Institute London zusammen. Die aus David Palme, Werner Renz, Dr. Katharina Stengel, Für den Förderverein Fritz Bauer Institut e.V.: Sigmund-Freud-Institut, Frankfurt am Main diesen institutionellen Verbindungen heraus entstehenden Projekte Diane Webb, Dr. Gerben Zaagsma Jutta Ebeling Prof. Dr. Gisela Miller-Kipp sollen neue Perspektiven eröffnen – sowohl für die Forschung wie Vorsitzende Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für die gesellschaftliche und pädagogische Vermittlung. Herbert Mai Prof. Dr. Walter H. Pehle Die Arbeit des Instituts wird unterstützt und begleitet vom Wis- Rat der Überlebenden des Holocaust 2. Vertreter des Fördervereins Verlagslektor und Historiker, Dreieich-Buchschlag senschaftlichen Beirat, dem Rat der Überlebenden des Holocaust Prof. Dr. Peter Steinbach und dem Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. Trude Simonsohn (Vorsitzende und Ratssprecherin) Für die Goethe-Universität Frankfurt am Main: Universität Mannheim Siegmund Freund, Inge Kahn, Dora Skala Prof. Dr. Birgitta Wolff Universitätspräsidentin Wir trauern um unser Ratsmitglied Prof. Dr. Susanne Schröter Abb.: Campus Westend der Goethe-Universität Frankfurt am Main, im Vordergrund das IG Farben-Haus. Dort hat das Fritz Bauer Institut seinen Sitz im 5. Obergeschoss Dr. Siegmund Kalinski sel. A. (geboren am 21. März 1927 in Dekanin, Fachbereich Philosophie und des 3. Querriegels von links. Foto: Goethe-Universität Frankfurt am Main Krakau, gestorben am 10. Dezember 2015 in Frankfurt am Main) Geschichtswissenschaften

4 Fritz Bauer Institut Einsicht 15 Frühjahr 2016 5 Veranstaltungen Halbjahresvorschau

Lehrveranstaltung Lehrveranstaltung Festakt Zeitzeugen Jüdische Geschichte Gedenkstätte Buchenwald – Nur die Spitze des Eisbergs des 20. Jahrhunderts im Schulbuch viertägige Exkursion Einweihung des Fritz-Bauer- Pädagogische Angebote für Denkmals von Tamara Grcic Armin T. Wegner Dr. Martin Liepach, Übung, Donnerstag, Haupt- und Realschüler Die Austreibung 16.00–18.00 Uhr (14. April bis 14. Juli 2016), Freitag, 13. Mai 2016, 14.00 Uhr, vor dem des armenischen Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Volkes in die Wüste Gottfried Kößler, Exkursion: Dienstag, 17. Mai bis Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Zeil 42 Ein Lichtbildvortrag Westend, IG Farben-Haus, Raum 4.401 Eine Kooperation des Fritz Bauer Instituts mit dem Freitag, 20. Mai 2016 in der Gedenkstätte Buchen- Hg. von Andreas Meier. wald, Vor- und Nachbereitungssitzungen: montags, Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main und dem Mit einem Nachwort 18. April, 2. und 30. Mai, jeweils 10.00–12.00 Uhr, Magistrat der Stadt Frankfurt am Main, Dezernat von Wolfgang Gust In der Veranstaltung werden Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Kultur und Wissenschaft. 215 S., 103 Abb., geb., einschlägige Geschichts- Westend, IG Farben-Haus, Raum 3.401 Schutzumschlag 24,– € (D); 24,70 € (A) lehrbücher im Hinblick auf die Thematisie- Vor vier Jahren entstand auf ISBN 978-3-89244-800-6 rung der jüdischen Geschichte im histori- Die Gedenkstätte Buchen- Initiative des Fritz Bauer »Armin T. Wegner war einer der mutigsten, schen Längsschnitt (Mittelalter bis NS-Zeit) wald bei Weimar umfasst Instituts die Idee für ein Denkmal, das an weltläufigsten, interessantesten deutschen und damit verbundener Themen analysiert. das Gelände und die Relikte des ehemali- das Wirken des Generalstaatsanwalts Fritz Schriftsteller des letzten Jahrhunderts.« Jüdische Geschichte wird im Ge- gen Konzentrationslagers, der SS-Kasernen Bauer und seine maßgebliche Rolle für das Volker Weidermann, FAZ schichtsunterricht vorrangig in Verbindung und des ehemaligen stalinistischen Spezial- Zustandekommen des Auschwitz-Prozesses mit dem Nationalsozialismus und dem Ho- lagers, das Mahnmal aus der DDR-Zeit, die in Frankfurt am Main erinnern soll. Im Auf- Armin T. Wegner Rufe in die Welt Lehrveranstaltung Quellen befassen sich mit den zentralen As- locaust unterrichtet. Die Materialien in den im April 2016 neu eröffnete Ausstellung zur trag des Magistrats entwarf die in Frankfurt Manifeste und pekten seiner Weltanschauung, vor allem gegenwärtigen Schulbüchern werfen dazu Geschichte des Konzentrationslagers und lebende Künstlerin Tamara Grcic ein Kunst- Offene Briefe »Volk«, »Blut«, »Rasse«, »Lebensraum«, zahlreiche Fragen auf. Aber nicht nur für weitere Ausstellungen. Der Ort wird vorge- werk für den öffentlichen Raum, das aus Hg. von Miriam Esau Hitlers Weltanschauung und Michael Hofmann. Antisemitismus und Antibolschewismus. diese Epoche gibt es Fragen an die jüdische stellt und mit Methoden erkundet, die auch zwei miteinander korrespondierenden Tei- Mit einem Nachwort Die Teilnehmerzahl ist auf 25 begrenzt; Geschichte: Wie werden Antisemitismus für Schülergruppen Anwendung fi nden. Der len besteht: einem unbearbeiteten Naturstein von Michael Hofmann Dr. Jörg Osterloh, Übung, Blockseminar, einführende Teilnahme ausschließlich nach persönlicher und Verfolgungsgeschichte im Vergleich Schwerpunkt liegt auf der selbständigen, und zwei großen Bronzetafeln mit Texten. 248 S., 1 Abb., geb., Schutzumschlag Sitzung Mittwoch, 13. April 2016, 14.00–16.00 Uhr, Anmeldung per Mail an: j.osterloh@fritz- zur allgemeinen jüdischen Geschichte the- pädagogisch unterstützten Aneignung. Die Die kurzen Textfragmente sind Gedanken, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus 24,90 € (D); 25,60 € (A) ISBN 978-3-8353-1273-9 Westend, IG Farben-Haus, Raum 3.401 bauer-institut.de matisiert und in welchem Verhältnis stehen Angebote der pädagogischen Abteilung der Zitate, in denen sich das Denken und die sie zueinander? Erscheinen Juden nicht Gedenkstätte werden erläutert und erprobt. Überzeugungen von Fritz Bauer abbilden. Armin T. Wegner war ein exemplarischer Zeuge des 20. Jahrhunderts. Er hat die Grau- Bereits im September 1919 Einführende Literatur: nur als Objekte und Opfer von Geschichte, Unterschiedliche historische Quellen und Platz fi ndet das Denkmal auf der Zeil vor samkeiten und Unmenschlichkeiten des Tota- erklärte Adolf Hitler in ei- Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905– sondern auch als Träger einer eigenen Kul- Konzepte der pädagogischen Arbeit werden dem Oberlandesgericht Frankfurt. litarismus buchstäblich am eigenen Leibe er- fahren und hat Zeit seines Lebens Widerstand nem Brief, »letztes Ziel muß aber unver- 1924, hrsg. von Eberhard Jäckel zusammen tur und Mitgestalter der Moderne? Erfolgt diskutiert. Die Vor- und Nachbereitung dient geleistet – Widerstand des Geistes, wie er ihn rückbar die Entfernung der Juden sein«. mit Axel Kuhn, München 1980; Eberhard die Thematisierung auf der Grundlage ei- der Einführung in die Gedenkstättenpädago- Es sprechen: verstanden hat. Bei dem Schreiben handelt es sich um die Jäckel, Hitlers Weltanschauung. Entwurf ner Wissenschaftsorientierung, um gegen gik, in Grundlagen der Geschichte des KZ › Dr. Roman Poseck, Präsident Oberlandes- erste überlieferte politische Stellungnahme einer Herrschaft, Stuttgart 1991 (zuerst. stereotype Bilder anzugehen, oder werden Buchenwald und der Gedenkstätte. gericht Frankfurt am Main Jan Taubitz von ihm. Nach dem gescheiterten Putsch- Tübingen 1969); Barbara Zehnpfennig, diese unrefl ektiert reaktiviert? › Prof. Dr. Helmut Fünfsinn, hessischer Holocaust Oral History und das versuch im November 1923 verfasste er im Mein Kampf. Weltanschauung und Pro- Die Analyse der Schulgeschichtsbü- Unterbringung und Verpfl egung: Jugendbe- Generalstaatsanwalt lange Ende der darauffolgenden Jahr in der Landsberger gramm, Studienkommentar, München 2011; cher wird Aspekte der historisch-sachlichen gegnungsstätte Buchenwald auf dem Gelän- › Prof. Dr. Felix Semmelroth, Dezernent für Zeitzeugenschaft Festungshaft den ersten Band von Mein Christian Hartmann, Otmar Plöckinger, Faktizität und ihrer politisch-moralischen de der Gedenkstätte; Kultur und Wissenschaft der Stadt Frank- 332 S., 4 Abb., geb., Schutzumschlag Kampf, 1925/26 den zweiten Band. Er schil- Roman Töppel, Thomas Vordermayer Bewertung mit den Formen ihrer didakti- Anreise: individuell, wird bei der Vorberei- furt am Main 29,90 € (D); 30,80 € (A) derte hierin, ebenso lückenhaft wie teilwei- (Hrsg.), Hitler, Mein Kampf. Eine kritische schen Umsetzung im Lehrbuch (Autoren- tung organisiert; › Prof. Dr. Raphael Gross, ehemaliger ISBN 978-3-8353-1843-4 se falsch, seine Autobiographie, aus der er Edition, München, Berlin 2016; Othmar text, Text- und Bildquellen, Arbeitsaufträge) Kosten: ca. 100 Euro für Unterkunft und Direktor des Fritz Bauer Instituts seine Anschauungen herleitete, beklagte Plöckinger (Hrsg.), Quellen und Doku- verknüpfen. Verpflegung, 30 Euro Anzahlung in der Die Künstlerin ist anwesend. Wie überlebt man das Überleben? Inter- die politische und gesellschaftliche Lage in mente zur Geschichte von »Mein Kampf« Voraussetzung: Grundkenntnisse über die ersten Sitzung. views mit Zeitzeugen des Holocaust in ihrem Deutschland und erörterte seine politischen 1924–1945, Stuttgart 2016. zu behandelnden Epochen. Kontakt historischen, institutionellen und medialen Standpunkte. Voranmeldung erforderlich wegen begrenz- Kulturamt Frankfurt am Main Kontext. Dr. Jessica Beebone, Kunst im öffentlichen Raum Neben Mein Kampf nimmt die Übung Voranmeldung erforderlich wegen begrenz- ter Teilnehmerzahl! Bitte E-Mail an: Brückenstr. 3–7, 60594 Frankfurt am Main auch weitere Reden und Veröffentlichungen ter Teilnehmerzahl! Bitte E-Mail an: [email protected] Tel. 069.212-74068, [email protected] www.wallstein-verlag.de Hitlers in den Blick. Die zu analysierenden [email protected] www.kultur-frankfurt.de

6 Veranstaltungen Einsicht 15 Frühjahr 2016 7 Fortsetzung der Vortragsreihe dem nationalsozialistischen Deutschland Buchvorstellung Prof. Dr. Walter H. Pehle, Historiker und unerwünschte Einstellungen und Meinungen, und dem seit kurzem »angeschlossenen« Verlagslektor, Begründer und bis 2011 He- die in der Gesellschaft kommuniziert werden. Grenzen, Flucht, Österreich. Statt der erhofften internationa- Raul Hilberg rausgeber der sogenannten »Schwarzen Dabei wird die Kommunikation im Menschenrecht len Lösung war das Ergebnis der Konferenz Anatomie des Holocaust – Reihe«: Die Zeit des Nationalsozialismus. Netz, in Internetforen und im Social Web jedoch eine Kettenreaktion der Abschot- Dr. René Schlott, Historiker am Zentrum für immer wichtiger. Im Jahr 2014 war laut ju- Historische, psychoanalyti- tung: Kein Staat war bereit, die überwie- Essays und Erinnerungen Zeithistorische Studien in Potsdam, arbeitet gendschutz.net vor dem Hintergrund der ge- sche und sozialtheoretische gend jüdischen Flüchtlinge, die durch die derzeit an einer Biografi e Raul Hilbergs. waltsamen Auseinandersetzungen im Nahen Aspekte der Flüchtlings- Verfolgung mittellos geworden waren, in Zum 90. Geburtstag von Raul Hilberg Dr. Nicolas Berg, wissenschaftlicher Mitar- Osten eine Zunahme antisemitischer Posts diskussion größerer Zahl aufzunehmen. Antisemitismus – Wiederentdeckte Texte und persönli- beiter am Simon-Dubnow-Institut für jüdi- in Sozialen Netzwerken festzustellen. Die und die Rücksichtnahme auf den mächtigen che Essays. Buchvorstellung durch die sche Geschichte und Kultur in Leipzig, war Neuen Medien fordern von der Bildungsar- NS-Staat spielten dabei gewiss eine Rolle. Herausgeber Walter H. Pehle und René zuletzt Gastprofessor am Fritz Bauer Institut. beit gegen Antisemitismus Strategien: Die Vortragsreihe des Fritz Bauer Instituts in Kooperation Hinter den Kulissen aber ging es wesentlich Schlott, Moderation: Nicolas Berg Kommunikation erfolgt schneller und häufi g mit dem Institut für Sozialforschung an der Goethe- darum, wer für die Kosten der Ansiedlung Raul Hilberg anonym, der Ton ist oft besonders aggressiv, Universität Frankfurt, dem Sigmund-Freud-Institut – und Integration der Flüchtlinge aufkommen Montag, 6. Juni 2016, 18.15 Uhr, Goethe- Anatomie des Holocaust. Essays und Erinnerungen verletzend und manchmal sogar bedrohlich. Forschungsinstitut für Psychoanalyse und ihre Anwen- würde. Der Triumph des nationalstaatlichen Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, Hrsg. von Walter H. Pehle und René Schlott. Vor diesem Hintergrund möchten wir dungen, Frankfurt am Main und dem Förderverein IG Farben-Haus, Raum 411 Aus dem Engl. von Petra Post und Andrea von Struve Fritz Bauer Institut e.V.. Egoismus hatte verheerende Folgen, zumal Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2016, den Austausch von Wissenschaft und Praxis die Zahl der Flüchtlinge mit jedem deut- Raul Hilberg war der Ers- ca. 320 S., € 24,99, ISBN: 978-3-10-002505-0, aktiv fördern: Wie äußert sich Antisemitis- Die in die Europäische schen Expansionsschritt wuchs. te, der verlässlich aus den erscheint am 25. Mai 2016 mus in der Alltagskommunikation, in der Ge- Union flüchtenden Men- Quellen rekonstruierte, wie unfassbar viele sellschaft und in der Bildung? Wie können schen aus Syrien, Afghanistan und anderen Juden in Europa während des Zweiten Welt- Wissenschaftler*innen und Pädagog*innen Regionen stellen die einzelnen Länder vor kriegs ermordet wurden. Seitdem gilt er als mit Kommunikationslatenz umgehen? Wie eine schwierige Situation. Wie soll das po- Doyen der Holocaust-Forschung. Für diesen hat sich die Artikulation antisemitischer Ste- 288 S., 18 Abb. u. 1 Karte. Geb. litische Handeln aussehen, wenn es einer- Prof. Dr. Marianne Leuzinger-Bohleber, Band wurden zentrale, aber noch wenig be- Tagung reotype und Weltbilder im digitalen Zeitalter € 24,95 seits um die Sicherung der Grundrechte, Frankfurt am Main kannte Texte Hilbergs erstmals ins Deutsche verändert – und was kann man dagegen tun? ISBN 978-3-406-67451-8 andererseits um die Zunahme von Ängsten übersetzt. Darin behandelt er bis heute kon- Kommunikation: Die Tagung widmet sich der Frage, wie An- und politische Verschiebungen geht? Aus Psychoanalytische troverse Themen wie die Motive, die zum Latenzen – Projektionen – tisemitismus heute kommuniziert wird, und Rolf Hosfeld schildert ein- historischer, psychoanalytischer und poli- Holocaust führten, oder die Rolle der Juden- setzt sich dabei auch mit dem Potential der Überlegungen zum Projekt dringlich und historisch tikwissenschaftlicher Perspektive soll die räte; er schildert aber auch seine bewegende Handlungsfelder »alten« und »neuen« Medien in der antisemi- aktuelle Debatte um das Asyl für Flüchtlinge Step-by-Step in der Reise 1979 nach Auschwitz und erzählt, wie tismuskritischen Bildungsarbeit auseinander. genau den Völkermord an diskutiert werden. Erstaufnahmestelle für sein großes Werk Die Vernichtung der euro- 7. Tagung der Reihe den Armeniern, erläutert die Flüchtlinge in Darmstadt päischen Juden entstand. Eine Mischung aus »Blickwinkel. Antisemitismuskritisches Veranstalter: Bildungsstätte Anne Frank, Hintergründe und klärt auf historischen und sehr persönlichen Texten, Forum für Bildung und Wissenschaft« Frankfurt am Main, Stiftung »Erinnerung, über ein Thema, das immer die uns den Forscher und Menschen Hilberg Verantwortung und Zukunft«, Zentrum für noch zu den Tabus der Ge- Dienstag, 21. Juni 2016, 18.15 Uhr, Goethe- neu entdecken lassen. Donnerstag, 9. bis Freitag, 10. Juni 2016 Antisemitismusforschung der TU Berlin, Pä- schichtsschreibung gehört. PD Dr. Susanne Heim, Berlin Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, Rathaus der Stadt Kassel, Obere Königsstr. 8 dagogisches Zentrum Frankfurt am Main Casino am IG Farben-Haus, Raum 1.801 Raul Hilberg wurde am 2. Juni 1926 in „Eine vorzügliche Gesamt- Die Judenverfolgung in Wien geboren, 1939 musste er mit seinen Die Ablehnung des Antise- Anmeldung: Begrenzte Teilnehmerzahl! darstellung.“ Deutschland 1938 und die Viele der Flüchtlinge aus Eltern über Kuba in die USA auswandern. mitismus ist Staatsräson der Ein Teilnahmebeitrag wird nicht erhoben. den Kriegsgebieten kom- Er gehörte zu den ersten Historikern, die Bundesrepublik Deutschland. Auch deshalb Die Veranstalter übernehmen die Unter- Martin Kröger, F.A.Z. internationale Flüchtlings- men traumatisiert nach Deutschland. Wie mit den in die USA überführten deutschen werden antisemitische Ressentiments und kunftskosten für eine Übernachtung in konferenz von Evian können wir den belasteten Menschen helfen, Akten aus der NS-Zeit arbeiten konnten. Vorurteile selten offen geäußert. Das heißt al- Kassel bis zu einem begrenzten Kontingent. „Ein erstklassig recherchier- sich hier zurechtzufi nden? Sein dreibändiges Werk Die Vernichtung lerdings nicht, dass der Antisemitismus über- Anmeldeschluss ist der 23. Mai 2016. tes, gut nachvollziehbares Dienstag, 10. Mai 2016, 18.15 Uhr, Sigmund-Freud- Der Vortrag vermittelt einen Einblick der europäischen Juden (Fischer TB Band wunden ist – weder in medialen, politischen historisches Panorama.“ Institut, Myliusstr. 20, Frankfurt am Main in die psychoanalytische Arbeit in einem 24417) gehört zu den großen Meilensteinen und pädagogischen noch in privaten Diskur- Kontakt Ingo Arend, die tageszeitung Erstaufnahmelager im Rahmen eines Pilot- der Holocaust-Forschung. Hilberg lehrte bis sen. Vielmehr artikuliert sich Antisemitismus Bildungsstätte Anne Frank e.V., Ricarda Wawra Im Juli 1938 berieten im projekts. Anhand eines konkreten Beispiels zu seiner Emeritierung 1991 Politikwissen- heute häufi g in einer Form, die in der For- Hansaallee 150, 60320 Frankfurt am Main Tel.: 069.56 000 233, [email protected] französischen Evian die wird illustriert, was eine »aufsuchende« schaften an der University of Vermont in schung mit dem Konzept der »Kommunikati- www.bs-anne-frank.de C.H.BECK Delegierten aus 32 Staaten über Aufnah- Psychoanalyse in diesem gesellschaftlichen Burlington. Er starb am 4. August 2007 in onslatenz« beschrieben wird. »Gerüchte über Tagungsmaterial und Berichte WWW.CHBECK.DE memöglichkeiten für die Flüchtlinge aus Kontext bedeutet. Williston, Vermont, USA. Juden« erscheinen als vorhandene, aber sozial www.stiftung-evz.de/blickwinkel

8 Veranstaltungen Einsicht 15 Frühjahr 2016 9 Fortbildungstag Symposium Laufe der Jahrzehnte formten und stifteten Sind Rückwirkungen auf die Forschungs- Vortrag Wanderausstellung die entstehenden Kontakte und Freundschaf- entwicklung in Deutschland erkennbar und Zwangsarbeit im Generations and Transfer ten die deutsch-israelischen Wissenschafts- wie sehen diese aus? Nach einem einfüh- Holocaust in Litauen Legalisierter Raub Nationalsozialismus of Knowledge beziehungen. Sie führten in vielen Fällen zu renden theoretischen Panel steht zunächst Historisches Geschehen Der Fiskus und die einer institutionalisierten Kooperation. Die die Germanistik im Fokus. Wie hat sie sich Archivpädagogische German History and Zusammenarbeit in Forschungsprojekten in Israel in welchen Zeiträumen entwickelt? und der schwierige Ausplünderung der Juden Zugänge mit Dokumenten Literature between und Tagungen ist heute ebenso eingespielt Welche Themen wurden bearbeitet, mit wel- Umgang mit der in Hessen 1933–1945 aus dem International Israel and Germany wie umfangreich. chen Debatten und welcher Finanzierung Vergangenheit Tracing Service (ITS), Die zweite internationale Tagung in wurden die Zentren gegründet? Im zweiten Donnerstag, 10. März bis Dienstag, 10. Mai 2016 unserem bilateralen Forschungsprojekt Teil geht es um die Anfänge der »Deutschen Ministerium der Finanzen Rheinland-Pfalz, Kaiser- Bad Arolsen Montag, 18., und Dienstag, 19. Juli 2016 beschäftigt sich mit der Frage, auf welche Geschichte« als wissenschaftliche Disziplin Vortrag von PD Dr. Joachim Tauber, Friedrich-Str. 5 und Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Ernst-Ludwig-Str. 3, 55116 Mainz Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Weise der deutsch-israelische Wissenstrans- und ihre Hauptakteure in Israel. Der Wis- Hamburg Westend, Casino am IG Farben-Haus, Raum 823 Mittwoch, 15. Juni 2016, 9.00–17.00 Uhr, Goethe- fer in den Disziplinen Geschichte und Ger- senstransfer insbesondere in der deutschen Veranstalter: Fritz Bauer Institut in Zusammenarbeit Eine Ausstellung des Fritz Bauer Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, mit The Van Leer Institute Jerusalem und dem Franz manistik begann und sich etablierte. Wir Geschichtswissenschaft wird vor dem Hin- Mittwoch, 22. Juni 2016, 19.00 Uhr Instituts und des Hessischen Rundfunks. Norbert-Wollheim-Platz 1, IG Farben-Haus, Eisen- Rosenzweig Minerva Center Jerusalem, gefördert möchten insbesondere untersuchen, inwie- tergrund der Erinnerung an den Holocaust Goethe-Universität Frankfurt am Main, howersaal, Raum 1.314 Mit Unterstützung der Sparkassen- vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. fern der generationelle Wandel Einfluss analysiert, die für die Protagonisten eine Campus Westend, Norbert-Wollheim-Platz 1, Eine Kooperation mit dem ITS Bad Arolsen Die Veranstaltung fi ndet überwiegend in englischer Casino-Gebäude, Raum 1.801 Kulturstiftung Hessen-Thüringen und des auf den Verlauf der Zusammenarbeit hatte. zentrale Rolle spielte. Zum Abschluss soll Sprache statt. Hessischen Ministeriums für Wissenschaft Mehr als 13 Millionen Men- Theoretische Überlegungen aus der allge- diskutiert werden, welche Konsequenzen in und Kunst. schen aus den besetzten Als die Disziplinen Deut- meinen Generationenforschung begleiten der bundesdeutschen Forschungslandschaft Vilnius war bis zum Ein- Staaten mussten in Deutschland Zwangsar- sche Geschichte und Ger- daher unsere inhaltliche Auseinanderset- der Kontakt deutscher Wissenschaftler mit marsch deutscher Truppen www.fritz-bauer-institut.de/legalisierter- beit leisten. Sie waren in Fabriken, Hand- manistik an israelischen Universitäten ab zung. Im Zentrum der Beiträge stehen die israelischen Kollegen hatte und ob sich ein im Zweiten Weltkrieg ein Zentrum religiö- raub.html werksbetrieben, Kommunen, bei Land- den frühen 1970er Jahren sukzessive ein- beiden großen Forschungsfragen unseres inhaltlicher Wandel in den Themen ver- sen, kulturellen und politischen jüdischen wirten, in Klöstern und Kirchen tätig. Oft geführt wurden, war dies ein Politikum und Projekts: Wie wirkte die Kooperation auf zeichnen lässt. Lebens. Schon kurz nach der Besetzung wurden sie von der deutschen Bevölkerung sorgte zum Teil für hitzige Debatten. Im die israelische Wissenschaftslandschaft? begann die Vernichtung der jüdischen abgesondert und strenger staatlicher Regle- Weitere Informationen finden Sie auf Stadtbevölkerung. Bis zum Einmarsch der mentierung unterworfen. der Website des Projekts »German-Israeli Roten Armee im Sommer 1944 überlebten Wanderausstellung An diesem Fortbildungstag werden Research Cooperation in the Humanities nur rund 2.000 der etwa 70.000 Jüdinnen archivpädagogische Zugänge zum Thema (1970–2000), Studies on Scholarship and und Juden die Selektionen und Massen- Fritz Bauer. »Zwangsarbeit im Nationalsozialismus« Bilaterality«: http://gih.vanleer.org.il/de exekutionen. Die Sowjetunion unterband Der Staatsanwalt vorgestellt. Anhand von Praxisübungen die Aufarbeitung der Judenvernichtung. soll vermittelt werden, wie Dokumente über Kontakt Erst seit der Unabhängigkeit Litauens im NS-Verbrechen vor Gericht Zwangsarbeit aus dem ITS im Unterricht Fritz Bauer Institut Jahr 1990 diskutiert das Land über die Dr. des. Jenny Hestermann und in der Bildungsarbeit eingesetzt wer- schwierige Vergangenheitsbewältigung. Donnerstag, 21. April bis Sonntag, 21. August 2016 Norbert-Wollheim-Platz 1 NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln den können. Einen Schwerpunkt bildet die D-60323 Frankfurt am Main Der Vortrag bereitet auf die Studienreise Appellhofplatz 23–25, 50667 Köln Auseinandersetzung mit lokalhistorischen Tel.: +49(0)69.798 322-32, Fax: -41 der Gesellschaft der Freunde und Förde- Quellen zum Rhein-Main-Gebiet. [email protected] rer des Jüdischen Museums im September 2016 vor. Eine Ausstellung des Fritz Referenten Bauer Instituts und des Jü- Dr. Akim Jah und Elisabeth Schwabauer Eine Kooperationsveranstaltung des För- dischen Museums Frankfurt am Main. (beide ITS, Bad Arolsen) dervereins Fritz Bauer Institut e.V. und der www.fritz-bauer-institut.de/fritz-bauer- Informationen zu weiteren Vorträgen und Gesellschaft der Freunde und Förderer des ausstellung.html Anmeldung und Auskunft anderen Veranstaltungen des Fritz Bau- Jüdischen Museums Frankfurt e.V. [email protected] er Instituts entnehmen Sie bitte unserem dreimal jährlich erscheinenden Veranstal- tungsprogramm, das Sie gegen eine kurze Anforderung (E-Mail an: info@fritz-bauer- Weitere Informationen/Ausleihe Erstes internationales Symposium des Zentrums für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv institut.de) kostenlos abonnieren können, Weitere Informationen zu unseren Wander- am 21. April 1975. Thema: »Germany and the Middle East 1835–1939«. oder den Ankündigungen auf unserer Web- ausstellungen und ihrer Ausleihe fi nden Sie Foto: The Archives for the History of the Tel Aviv University site: www.fritz-bauer-institut.de. auf den Seiten 105 f.

10 Veranstaltungen Einsicht 15 Frühjahr 2016 11 Neuerscheinungen Aktuelle Publikationen des Instituts

Jenny Hestermann Mitarbeiterpublikation: Autobiografi en, Zeichnungen und Gedich- Dagi Knellessen, Ralf Possekel (Hrsg.): te sowie Videointerviews und Zeugenaus- Vom Scheitern Inszenierte Versöhnung sagen vor Gericht. Der Band gibt erstmals Diplomatische Reisen und Zeugnisformen einen Überblick über diese Zeugnisse, die der Demokratie Berichte, Künstlerische die Auswirkungen und Schrecken der nati- die Entwicklung deutsch- onalsozialistischen Verfolgung vermitteln. nach 1918 israelischer Beziehungen in Werke und Erzählungen Expertinnen und Experten präsentieren den den Jahren 1957 bis 1984 von NS-Verfolgten Stand der Forschung und stellen pädagogi- sche Konzepte für die historisch-politische Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2016, Reihe »Bildungsarbeit mit Zeugnissen«, Band 1 Bildungsarbeit vor. Wissenschaftli che Reihe des Fritz Bauer Instituts, Hrsg. im Auftrag der Stiftung »Erinnerung, Dies ist der erste von drei Bänden aus der Band 28, Erscheinungstermin: September 2016, Verantwortung und Zukunft« (EVZ) Reihe »Bildungsarbeit mit Zeugnissen« der auch als E-Book erhältlich Redaktion: Verena Haug Berlin 2016, 308 S., € 18,35 Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und ISBN: 978-3-9813377-3-0 Zukunft« (EVZ). Mit der Publikationsreihe In den 1960er Jahren prä- Online-Publikation (pdf-Datei, 4,8 MB): will die Stiftung EVZ die Perspektiven der Isabell Trommer Mit der Entlassung Albert sentierten sich deutsche ISBN: 978-3-9813377-2-3, kostenlos NS-Verfolgten in der Erinnerungskultur stär- www.fritz-bauer-institut.de/fi leadmin/down- Speers aus dem Spandauer Politiker auf »privaten Pilgerreisen« in loads/2015_Knellessen-Possekel_Zeugnisformen.pdf ken und die Bildungsarbeit mit ihren Zeug- Rechtfertigung und Kriegsverbrechergefängnis am 1. Oktober Israel als Vertreter eines moralisch erneu- nissen fördern und qualifi zieren. Die Reihe Entlastung 1966 beginnt eine der erstaunlichsten Ge- erten Deutschland. Nach Aufnahme der dokumentiert die Ergebnisse der bundeswei- schichten der Nachkriegszeit: Bis zu seinem diplomatischen Beziehungen (1965) be- Was bleibt, wenn die Zeu- ten Seminarreihe von 2009: »Entdecken und Albert Speer in der Tod am 1. September 1981 war der einsti- legten die nun offi ziellen Reisen den deut- ginnen und Zeugen der na- Verstehen. Bildungsarbeit mit Zeugnissen Bundesrepublik ge Architekt und Rüstungsminister Hitlers schen Anspruch auf »Normalisierung«; die tionalsozialistischen Verbrechen gestorben von Opfern des Nationalsozialismus.« Deutschland ein Entlastungszeuge in der Bundesrepub- israelische Regierung wiederum sah darin sein werden? Seit Jahren ist diese Frage in Am Ende des Ersten Weltkriegs schien lik Deutschland und ein Zeitzeuge in der ein Zeichen für die spezifi sche moralische allen gesellschaftlichen, wissenschaftlichen Dagi Knellessen, Studium der Erziehungs- sich in ganz Europa die Demokratie als Welt. Seine Erinnerungen (1969) und seine Verantwortung der Deutschen. Hinter den und pädagogischen Debatten über den Um- wissenschaft, Politikwissenschaft und Psy- Staatsform durchgesetzt zu haben. Doch die neuen Systeme hatten keinen Spandauer Tagebücher (1975) waren in den Kulissen verstanden beide Seiten von Be- gang mit der NS-Geschichte präsent. chologie, bis 2005 wissenschaftliche Mitar- Bestand: Die Machtübernahme des Medien und Buchhandlungen überragende ginn an ihre Wiederannäherung als ein prag- Was bleibt, sind die Zeugnisse, die Überle- beiterin am Fritz Bauer Institut. Forschungen Faschismus in Italien (1922) und der Erfolge. matisches Projekt. Die deutsche Regierung bende in ganz unterschiedlicher Form abge- zum ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess. Untergang der Weimarer Republik In ihrer Studie untersucht Isabell Trom- sah darin einen wichtigen Schritt zu ihrer legt haben: ihre Berichte, ihre literarischen, Anschließend freie Wissenschaftlerin mit durch die »Machtergreifung« des mer die Wahrnehmung Speers in der deut- Westintegration. Die israelische Regierung musikalischen und bildnerischen Verarbei- den Arbeitsschwerpunkten juristische Auf- Nationalsozialismus in Deutschland schen Öffentlichkeit von den 1960er Jahren erhoffte sich von den Deutschen dringend tungen, ihre lebensgeschichtlichen Erzählun- arbeitung von NS-Verbrechen, juridische (1933) stellten nur die spektakulärsten bis in die Gegenwart. Im Mittelpunkt stehen benötigte Wirtschaftshilfe. gen, ihre Zeugenaussagen vor Gericht. Sie Zeugenschaft, Oral History, Bildungskon- Beispiele für den Kollaps parlamenta- rischer Regierungsformen dar. dabei Rechtfertigungsdiskurse, die nicht nur Die Studie analysiert, wie die histo- vermitteln eindrücklich die Auswirkungen zepte zu Zeugenschaft und Zeugnissen. Barth untersucht die tieferen Ursachen, den Umgang mit Speer selbst geprägt haben, rische Wiederannäherung nach dem »Zi- und Schrecken der nationalsozialistischen Seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin die zum Niedergang der europäischen sondern auch viel über das Verhältnis der vilisationsbruch« der NS-Diktatur in eine Verfolgung. Aber sind sie Garanten dafür, am Simon-Dubnow-Institut in Leipzig im Demokratien in der Zwischenkriegszeit Bundesrepublik zum Nationalsozialismus Rhetorik der Moral und Versöhnung geklei- dass die spezifi sche Erfahrungsgeschichte DFG-Forschungsprojekt »Opferzeugen in führten. Seine Darstellung folgt dabei und die Grundzüge ihrer politischen Kultur det wurde, um dem Unbehagen im deutsch- der NS-Opfer auch künftig in der öffentli- NS-Prozessen – eine Analyse ihrer wech- nicht den Nationalgeschichten einzelner Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2016, verraten. jüdischen Verhältnis zu begegnen. chen Erinnerungskultur und in der Bildung selhaften Rolle in sechzig Jahren Bundes- Länder, sondern ist problemorientiert 320 S., gebunden, € 34,90, EAN 978-3-593-50529-9 bewahrt werden wird? Welchen Stellenwert republik«. angelegt und umfasst alle wichtigen Themenfelder der Zwischenkriegszeit – Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Isabell Trommer, Dr. phil., studierte Poli- Jenny Hestermann, Dr. des., ist wissen- haben sie in der Geschichtsforschung zu Na- Band 27, Erscheinungstermin: 9. Juni 2016, vom Versailler Vertrag über den Revi- auch als E-Book erhältlich tikwissenschaft und Germanistik in Ham- schaftliche Mitarbeiterin am Fritz Bauer In- tionalsozialismus und Holocaust? Und wie Dr. Ralf Possekel, 1984 Abschluss in sionismus und die Gewalterfahrungen burg. Sie arbeitet als Lektorin. stitut im Rahmen des Forschungsprojekts lassen sie sich in der Bildungspraxis am bes- Geschichte an der Staatlichen Moskauer des Ersten Weltkriegs bis hin zur Welt- »Deutsch-israelische Beziehungen in den ten einsetzen? Universität; 1985–1991 Historiker an der wirtschaftskrise. Geisteswissenschaften zwischen 1970 und Der Sammelband »Zeugnisformen. Berich- Akademie der Wissenschaften in Ostberlin; 2016 · 361 S. · € 34,95 · ISBN 978-3-593-50521-3 2000. Studien zu Wissenschaft und Bilate- te, künstlerische Werke und Erzählungen 1990 Promotion; 1991–2000 Historische Auch als E-Book erhältlich ralität«. von NS-Verfolgten« enthält Aufsätze und Forschung zur deutschen Zeitgeschichte; Beispiele zu den vielfältigen Zeugnissen, seit 2000 Programmleiter bzw. seit 2006 die die Opfer des Nationalsozialismus hin- Programmbereichsleiter der Stiftung »Er- campus.de terlassen haben: Briefe und Tagebücher, innerung, Verantwortung und Zukunft«.

12 Neuerscheinungen Einsicht 15 Frühjahr 2016 13 Einsicht Forschung und Vermittlung

Das beginnt mit der konfl iktgeladenen »armenischen Frage« herrschende türkische Rasse geworden seien, (und) dagegen gäbe 5 im 19. Jahrhundert, insbesondere in der Zeit nach dem Berliner es nur das Mittel der Ausrottung.« An dieser Begegnung ist der Kongress von 1878 und setzt sich durch die gesamte Zeit des Ersten Zeitpunkt bemerkenswert, denn er steht am Beginn einer einschnei- Weltkriegs fort. Dabei gibt es Schlüsselbeobachtungen und daraus denden Radikalisierung der Politik gegenüber den osmanischen Ar- folgende weitreichende Schlussfolgerungen und Urteile. Am 6. Juni meniern, die kurz zuvor in der Hauptstadt Konstantinopel (Istanbul) Unter den Augen der Weltöffentlichkeit 1915 beispielsweise erklärte Mehmet Talaat, der osmanische Innen- auf die Agenda gesetzt wurde. minister, dem in Istanbul ansässigen deutschen Generalkonsul Dr. Der Anlass war die paranoide Verarbeitung einer militärischen Der Völkermord an den Armeniern Johann Heinrich Mordtmann gegenüber offen, es sei die Absicht Niederlage. Im Winter 1914/15 scheiterte ein von Eroberungsträu- seiner Regierung, den Weltkrieg zu benutzen, »um mit ihren inneren men im russischen Kaukasus getragener Feldzug unter enormen Feinden – den einheimischen Christen aller Konfession – gründ- Verlusten. Die Niederlage war umfassend, und sie bekräftigte im von Rolf Hosfeld lich aufzuräumen, ohne durch diplomatische Interventionen des dramatischen Gegensatz zu den hochfl iegenden Erwartungen einer 2 Auslands gestört zu werden«. Botschafter Hans von Wangenheim »Befreiung« der zentralasiatischen Turkvölker vom russischen Joch telegraphierte am 7. Juli an Reichskanzler Theobald von Bethmann- noch einmal alle alten Bilder des osmanischen Niedergangs, so dass Hollweg, aufgrund von präzisen Informationen aus allen Landes- es niemandem unter der Androhung von harten Strafen erlaubt wur- 6 teilen stehe es nun außer Zweifel, »dass die Regierung tatsächlich de, öffentlich darüber zu sprechen. Zumal die Russen nun jederzeit Es lässt sich mit Rückblick auf den hun- den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reiche den Osten Anatoliens bedrohen konnten, während gleichzeitig die 3 dertsten Gedenktag an den Völkermord am zu vernichten«. Das war eine eindeutige Aussage, und Wangen- englische und französische Flotte einen Angriff auf die Dardanellen 24. April 2015 festhalten: Die Diskussion heim, ein geschulter Diplomat mit langjährigen Erfahrungen im vorbereiteten, was im Erfolgsfall eine Aufl ösung des Osmanischen um eine Anerkennung des Genozids an den Auswärtigen Dienst, war kein Mann, der ein solches Urteil über Reichs zur Folge gehabt hätte. Obwohl über 200.000 Armenier in Dr. Ro lf Hosfeld ist freier Autor Armeniern fi ndet vor einem ganz anderen Wissensstand statt als einen Kriegsverbündeten leichtfertig fällte. den Reihen der osmanischen Armee kämpften und es auch arme- und wissenschaftlicher Leiter noch vor zehn Jahren. Es geht in der Regel nicht mehr darum, ob, Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass die deut- nische Soldaten waren, die im Januar geschlagen zurückkehrten, des Lepsiushauses in Potsdam. sondern in welcher Form und in welcher Verantwortung der Völ- sche Politik spätestens Anfang Juli 1915 zu der Erkenntnis gekom- setzte sofort unter ihnen die Suche nach den Schuldigen des Desas- Zuletzt erschienen: Heinrich Heine. kermord durchgeführt wurde und was die Ursachen dafür waren. men war, dass die Deportationen und Massaker, die man verstärkt ters ein. Man unterstellte ihnen Illoyalität und die klammheimliche Die Erfi ndung des europäischen Die Öffentlichkeit in Deutschland ist heute weit besser über die seit den Frühlingsmonaten in den anatolischen Provinzen beobach- bis offene Unterstützung des russischen Feindes. Eine armenische Intellektuellen, München 2014; Ereignisse informiert und sensibilisiert. In allen größeren deutschen, ten konnte, dem erklärten Ziel dienten, eine ethnische Gruppe (die Dolchstoßlegende, so Ronald Grigor Suny, die pathologische Annah- Tod in der Wüste. Der Völkermord österreichischen und Schweizer Zeitungen erschienen im letzten Jahr osmanischen Armenier) systematisch zu vernichten – und dies als me, dass eine ganze Bevölkerungsgruppe kollektiv eine »Gefahr für 7 an den Armeniern, München 2015; längere Artikel und Interviews; Rundfunk und Fernsehen berichteten. Ergebnis einer staatlich gelenkten Politik. Diese Feststellung ist seit die Staatssicherheit darstellte« , war damit aus der Taufe gehoben. zus. mit Stephan Schaede (Hrsg.), Klare Worte fand insbesondere Bundestagspräsident Norbert Lam- nunmehr über 100 Jahren deutsches Regierungswissen. In den folgenden Monaten wuchs sie sich bei den Führungseliten Der Genozid an den Armeniern. mert. Seine mit zweifelsfreier Gewissheit im Deutschen des Osmanischen Reichs zu der paranoiden Vision eines in Anato- Interdisziplinäre Perspektiven auf vorgetragene Aussage – »Das, was mitten im Ersten Weltkrieg im lien bevorstehenden gesamtarmenischen Aufstands aus. Tatsächlich die historische und aktuelle Rolle Osmanischen Reich stattgefunden hat, unter den Augen der Welt- Weltkrieg und Staatssicherheit war die Kriegslage besorgniserregend. Die Möglichkeit eines mi- 1 des Protestantismus (Loccumer öffentlichkeit, war ein Völkermord« – kann sich nicht nur auf eine litärischen Untergangs vor Augen, erklärte Innenminister Mehmet Protokolle, Band 40/15), Rehburg- Mehrheitsmeinung unter internationalen Historikern berufen. Im Frühjahr 1915 wurden die ersten deutlichen Anzeichen der be- Talaat Anfang Februar 1915 gegenüber dem deutschen Botschafter Loccum 2016. Der Völkermord an den Armeniern von 1915/16, der mit sys- vorstehenden Katastrophe bemerkbar. Am 16. März 1915 hatte der Wangenheim, dass die Armenier sich im weiteren Kriegsverlauf in tematischen Vertreibungsmaßnahmen im Frühjahr 1915 einsetzte, deutsche Konsul Paul Schwarz im zentralanatolischen Harput eine jedem Fall auf die Seite der Gegner schlagen würden. Man müsse 4 ist ein außerordentlich gut und präzise dokumentierter Vorgang. Unterredung mit dem dortigen Gouverneur Sabit Bey , bei der er rechtzeitig etwas gegen diese Bedrohung unternehmen. Wangenheim Osmanische und armenische Quellen wurden in den letzten 20 Jah- sich sagen lassen musste, »dass die Armenier in der Türkei vernichtet erklärte den Zeitpunkt für ungünstig gewählt, aber Talaat antwor- ren in umfangreichen Forschungsarbeiten ausgewertet. Wichtige werden müssten und vernichtet werden würden. Ihr Reichtum und tete: C’est le seule moment proprice – Das sei der einzige richtige 8 Quellen stammen auch von amerikanischen Beobachtern des Ge- ihre Zahl hätten sich so vermehrt, dass sie eine Bedrohung für die Augenblick. Es war, mit dem Blick des Historikers gesehen, aber schehens, von Missionaren und Mitarbeitern internationaler Hilfsor- auch der richtige Augenblick für eine Gelegenheit. ganisationen, insbesondere aber von Beobachtern aus Deutschland und Österreich-Ungarn, die mit dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg verbündet gewesen waren. Sie ergeben ein nicht nur ein- 2 Notiz Mordtmann. Rößler an Botschaft Konstantinopel, 6.6.1915. Politisches Ar- chiv des Auswärtigen Amtes (PA AA), BoKon, 169. Die Dokumente aus dem 5 »Statement Made by Miss (Hansina Marcher), A Danish Lady in the Service of deutiges, sondern auch breit gefächertes und in erstaunlichem Maß Auswärtigen Amt werden in der Regel zitiert nach: Wolfgang Gust (Hrsg.), Der the German Red Cross at (Harpout)«, zit. nach James Bryce, Arnold Toynbee, detailgenaues Bild. Völkermord an den Armeniern. Dokumente aus dem politischen Archiv des deut- The Treatment of the Armenians in the 1915–1916, Princeton schen Auswärtigen Amts, Springe 2005. 2000 (zuerst: London 1916), S. 286 (Dok. 64). 3 Wangenheim an Bethmann-Hollweg, 7.7.1915, PA AA, R 14086. 6 William Yale, The Near East. A Modern History, Ann Arbor 1958, S. 219. 4 Johannes Ehmann, »Die Stellung des Valis und der türkischen Regierung in El- 7 Ronald Grigor Suny, »They Can Live in the Desert but Nowhere Else«. A History Aziz (Mesereh) zu den armenischen Ereignissen während des Weltkrieges«, zit. of the , Princeton, Oxford 2015, S. XX. 1 https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2015/kw17_de_armeni- nach Hans-Lukas Kieser, Der verpasste Friede, Zürich 2000, S. 42. 8 Wangenheim an Bethmann-Hollweg, 2.2.1915, PA AA, R 14085. er/369868

14 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 15 Gestaltende Ideologie Progrès, CUP) das Scheitern des osmanischen – ethnoreligiösen – Multikulturalismus verkündet hatte. Talaats Hauptargument war Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hatte es immer wieder tür- die für ihn stets fragwürdige Loyalität der nichtmuslimischen Bevöl- 13 kisch-nationalistische Wellen gegeben, die mit einer fortschreitenden kerungsgruppen. Der nationalistische Ideologe Ziya Gökalp ging Ethnifi zierung der Religion verbunden waren. 1903 wurde in Kai- einen Schritt weiter, indem er dieses Argument mit dem Konzept ro das Journal Türk gegründet, das zum ersten Mal die »türkische einer organischen Nation verband. Für verschiedene Völker, meinte Rasse« zum Thema machte. Für Türk war der osmanische Staat er, könne es in Wahrheit »kein gemeinsames Zuhause und Vaterland 14 immer ein türkisch-muslimisches Reich gewesen, das es ohne das geben«. Recht des Eroberers, ohne die großen türkischen Siege wie auf dem In einer so vorbereiteten mentalen Lage und in den Schemen kosovarischen Amselfeld oder die Einnahme von Konstantinopel im dieses ethnonationalistischen Diskurses wurde in den Tagen zwi- Jahre 1453 nie gegeben hätte. Aus dieser Perspektive betrachtete schen dem 13. und 16. März 1915 auf einer geheimen Tagung in 9 man die Türken als »allein herrschende Nation« im Osmanischen Istanbul die – wie auch immer geartete – Ausschaltung der osmani- Reich und die alteingesessenen christlichen Völker im Diskurs eines schen Armenier als eines vorgeblich existenzgefährdenden inneren 15 imperialen Nationalismus lediglich als geduldete »Gäste«. Johann Feindes während des Weltkriegs beschlossen. Seit dem Beginn des Markgraf Pallavicini, der k.u.k. Botschafter in Istanbul, fasste diese Weltkriegs – und das war für das Osmanische Reich November 1914 Sichtweise später in die Formel, »die numerisch schwache türki- – hatte sich die Stimmung gegenüber den osmanischen Armeniern sche Nation« – ethnische Türken waren vor dem Weltkrieg eine spürbar verschlechtert. Es hatte Hausdurchsuchungen, irreguläre Mehmed Talaat Pascha (1872–1921) war Innenminister und Großwesir des Öffentliche Hinrichtung von Armeniern im Osmanischen Reich, ca. 1916. Minderheit – solle offenbar die künftige »Basis für die Oligarchie« Requisitionen, Verhaftungen und politische Morde gegeben. Im Osmanischen Reichs sowie Führer der jungtürkischen Nationalisten. Foto: bpk / Coll. Casagrande / adoc-photos 10 im Osmanischen Reich werden , eines Imperiums mit führender Winter wurden armenische Siedlungen im Grenzgebiet zum Iran Auf dem Bild ist er als Leiter der osmanischen Delegation bei den türkischer Staatsnation. Türk war strikt antiarmenisch eingestellt mit Massakern überzogen. Im späten Frühjahr 1915 begann dann die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk im Januar 1918 zu sehen. Am 24. April 1915 ordnete er die Verhaftung armenischer Intellektueller in und machte den Armeniern den Vorwurf, ihren Reichtum im Bünd- systematische Deportation der armenischen Bevölkerung aus dem Istanbul an, was den Völkermord an der armenischen Bevölkerung im nis mit den westlichen Mächten auf Kosten der Türken erlangt zu Osten Anatoliens. Das alles blieb nicht unbemerkt. Osmanischen Reich eingeleitet hat. Foto: ullstein bild - AKG haben. 1904 erschien in Türk unter der Überschrift »Drei Arten der Politik« ein Aufsatz des Wolgatataren Yusuf Akchura, der von vielen wie ein erlösendes Grundsatzprogramm wahrgenommen wurde und Kontext der zum ersten Mal »die Idee eines türkischen Nationalismus, der Armenische 11 auf ethnischen Prinzipien beruht«, ausformulierte. Alle Versuche, Was während des Ersten Weltkriegs 1915/16 im Osmanischen Reich Waisenkinder werden auf einem Schiff unterschiedliche Rassen und Religionen in einem Staatsgebilde zu stattfand, stellt den Beginn eines ganzen europäischen Jahrhunderts verschleppt, vereinen, so Akchura, seien in der Vergangenheit gescheitert. In von Gewaltverbrechen dar, eines Jahrhunderts, das gekennzeichnet Osmanisches Reich 12 solchen »österreichischen« Verhältnissen sah man zunehmend ist durch Völkermorde und gewaltsame ethnische Vertreibungen 1915. den Hauptgrund für den Niedergang einer einstmals heroischen von bis dahin unvorstellbarem Ausmaß. Zivilisten waren in die- Foto: Rue des Archives/ PVDE/Süddeutsche und starken Kämpfernation. Sämtliche nichttürkischen Elemente, sem Krieg – wie schon in den vorausgegangenen Balkankriegen Zeitung Photo beobachtete der britische Botschafter in Istanbul im August 1910, – von Anfang an Ziele der Kriegsführung. Der Erste Weltkrieg sollten in Zukunft »in einem türkischen Mörser« zerstampft – das begann im August 1914 mit den sogenannten belgischen Gräueln, heißt assimiliert oder vertrieben – werden. Er bezog sich dabei auf als während der deutschen Invasion insgesamt 6.427 Zivilisten Talaat, der kurz zuvor auf einem Konklave der Führung des jung- einer Paranoia über angebliche Hinterhalte von Freischärlern zum 16 türkischen Komitees für Einheit und Fortschritt (Comité Union et Opfer fi elen. Galizien und die Bukowina erlebten bereits in den ersten Kriegsmonaten 1914 die Deportation Zehntausender national

9 Wangenheim an Bethmann-Hollweg, 24.2.1913, PA AA, R 14078. 10 Pallavicini an Baron Burian, 8.4.1916, Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA), PA XII 210. Die österreichisch-ungarischen Quellen werden zitiert nach: Artem 13 Bernard Lewis, The Emergence of Modern , 3. Aufl ., New York, Oxford Ohandjanian, Österreich-Ungarn und Armenien 1912–1918. Sammlung diploma- 2002, S. 218 f. tischer Aktenstücke, Jerewan 2005. 14 Ziya Gökalp, »The Ideal of Nationalism«, in: Niyazi Berkes (Hrsg.), Turkish Na- 11 Yusuf Akchura, »Three Types of Policies«, in: H. B. Paksoy (Hrsg.), Central tionalism and Western Civilisation. Selected Essays of Ziya Gökalp, London Asian Reader: The Rediscovery of History, London 1994, S. 106 f. 1959, S. 81. 12 So das führende Mitglied des jungtürkischen Komitees für Einheit und Fortschritt 15 Taner Akcam, Armenien und der Völkermord. Die Istanbuler Prozesse und die Mehmet Nazim gegenüber dem Zionisten Max Nordau. Nordau an Wolffsohn, türkische Nationalbewegung, Hamburg 1996, S. 59 ff. Paris, 25.11.1908. Nach: M. Sükrü Hanioglu, Preparation for a Revolution. The 16 John Horne, Alan Kramer, German Atrocities. 1914, New Haven, London 2001, Young Turks 1902–1908, Oxford, New York 2001, S. 260. S. 74.

16 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 17 17 »unzuverlässiger Elemente« in österreichische Internierungslager. absolute Herrschaft einer Partei über einen zunehmend gleichge- den Dörfern und Städten im späten Frühjahr ein und betraf zunächst Zeitabschnitten, wobei während des zweiten Zeitabschnitts ab Ende In Russland wurden während des Krieges Hunderttausende von schalteten Staat und seine Apparate, also etwas, das Mittel- und in erster Linie Männer. Die langen, oft Wochen und Monate dau- Mai, ausgelöst durch zentral gelenkte parteipolitische Initiativen Juden, deutsche Minderheiten, Bewohner der baltischen Gebiete, Osteuropa unter verschiedenen Vorzeichen erst in den 1920er und ernden Zwangsdeportationen in die mesopotamische Wüste gingen außerhalb der regulären staatlichen und militärischen Institutionen, 23 27 Roma und Muslime aus dem Kaukasus und Zentralasien, die man 1930er Jahren kennenlernen würde. Ein geografi scher Raum für mit kalkuliert hohen Todesraten einher. eine spürbare Radikalisierung zu beobachten war. Das hatte auch 32 alle aus ethnischen Gründen als potenzielle innere Feinde und »unzu- politische Gewaltlösungen war das Osmanische Reich ohnehin seit Zeitweilig hatte man eine Massenausweisung ins Auge gefasst. mit der aktiven Rolle von Bahaeddin Schakir , dem Führer der verlässige« Bevölkerungsteile betrachtete, Opfer einer militärischen Jahrzehnten. 1894 bis 1896 waren weit mehr als 100.000 Armenier in Das Oberkommando der osmanischen Armee brachte noch am Teskilat-i-Mahsusa (TM) genannten parteigebundenen Spezialor- 18 Deportationspolitik. den anatolischen Ostprovinzen organisierten Massakern zum Opfer 2. Mai 1915 den Gedanken ins Spiel, die armenische Bevölkerung ganisation zu tun, die als politische Polizeitruppe und Sicherheits- 24 28 Die Ankündigung von Innenminister Talaat am 6. Juni 1915 gefallen. Niemand war hierfür zur Rechenschaft gezogen worden. der anatolischen Ostprovinzen nach Russland zu vertreiben. Doch dienst in einer außerstaatlichen Grauzone operierte. In den späten bedeutete aber weit mehr als die einer kriegsbedingten Deportation Ethnische Gewalt und kollektive Diskriminierung auf allen Seiten solche Pläne erwiesen sich schnell aus verschiedenen Gründen als Wintermonaten Anfang 1915 hatte die TM eine Personalstärke von 29 oder partiell extremer militärischer Maßnahmen. Talaat galt als ein bildeten das beherrschende Element der Balkankriege. Die Rede undurchführbar. Sie machten in kürzester Zeit der radikaleren über 30.000 Mann erreicht, die von 700 politischen Kommandeuren 33 Mann mit rücksichtsloser Energie und als Vertreter extremer Moder- vom survival of the fi ttest, über das konservative und nationalistische Lösung einer totalen Verschickung in die Wüste Platz, die dann des herrschenden jungtürkischen Komitees angeführt wurden. nisierungsideen, die eingebunden waren in das Konzept eines nati- Intellektuelle in Europa – wie auch die jungtürkische Elite – damals hauptsächlich unter der bevölkerungspolitischen Ägide von Mehmet Im Sommer 1915 waren es vermutlich deutlich mehr, aber dafür 19 onaltürkischen Chauvinismus. Seine Ankündigung beinhaltete die gern in sozialdarwinistischer Perspektive philosophierten, gehörte Talaats Innenministerium stattfand und einen abrupten Übergang von liegen keine Zahlen vor. Vision einer neuen und im Kern türkischen Ordnung nach dem Krieg. zu den ganz unphilosophischen Alltagserfahrungen der an diesen Konzepten militärischer Deportationen und ethnischer »Säuberung« Schakir hatte seit 1905 eine führende Rolle bei der Umwandlung Sie hatte, im Unterschied zu der zweifellos ebenfalls rücksichtslosen schmutzigen Kriegen Beteiligten. Die Folge war eine Kultur der zu genozidalen Maßnahmen einleiteten. Der Bestimmungsort hatte des jungtürkischen Exilkomitees in eine streng zentralisierte und militärischen Politik der Habsburger und Russen, die ausgesprochen macht- und gewaltorientierten Regellosigkeit, die sich in dieser Zeit außerdem eine weitreichende Signalwirkung anderer Art. Man trieb hierarchisch geführte Kampforganisation mit ethnonationalistischer apokalyptische Komponente einer fi nalen sicherheitspolitischen Lö- unter den militärischen und politischen Akteuren des Osmanischen die Armenier über eine demographische Grenze hinaus in eine Re- Ausrichtung gespielt. Der türkische Historiker Serif Mardin nannte 34 sung an sich, die sich in einem als existentiellen Überlebenskampf Reichs etablierte und zunehmend allgemeine Akzeptanz fand. gion, die nicht mehr zum »türkischen« Kernland Anatolien gehörte, ihn deshalb einmal den »Stalin« des Komitees. Er war seit dem empfundenen Krieg zu einem ethnopolitisch aufgeladenen Bedro- Die Militärs, die in Russland für die großfl ächigen Deportatio- und sortierte sie so territorial als nationalen Fremdkörper aus. Frühjahr 1915, als Mastermind der TM im ostanatolischen Erzurum hungsszenario aufl ud. Die Armenier waren nicht nur eine unmit- nen vermeintlicher »innerer Feinde« verantwortlich waren, blieben in Die Armee, so der türkische Historiker Taner Akcam, wurde stationiert, der Hauptarchitekt der organisierten Massaker an den 35 telbare militärische Bedrohung an der Kaukasusfront. Sie galten Petrograd dagegen weitgehend einem traditionellen bürokratischen von Aufgaben bei der Deportation entbunden, auch wenn sie sich Armeniern , die seit Ende Mai, zunächst in den östlichen Grenz- 25 30 unabhängig davon wegen ihrer kulturellen und organisatorischen Fä- System von checks and balances unterworfen. Dieser Unterschied – vor allem im Osten Anatoliens – an Massakern beteiligte und in regionen, zu einem systematischen Bestandteil der Deportationen higkeiten und ihres wirtschaftlichen Erfolgs als eine grundsätzliche ist für das Verständnis der Vorgänge von wesentlicher Bedeutung. Im Kämpfen gegen sogenannte armenische »Aufstände« wie in Van, wurden. Das Ergebnis waren von der TM organisierte Killing Fields, 20 Bedrohung für die Vorherrschaft der türkischen Ethnie überhaupt. Osmanischen Reich handelten 1915 nicht reguläre politische oder Musch, Urfa oder am Musa Dagh, die in Wirklichkeit verzweifelte von denen es an verschiedenen Stellen der Deportationsrouten meh- 36 Die Armenier galten im Weltbild radikaler Jungtürken als »eine Men- militärische Institutionen, sondern ein durch ideologische Motive Selbstverteidigungsaktionen waren, eine verheerende Rolle spielte. rere gab. Meist befanden sie sich in abgelegenen Gebieten, deren ge schädlicher Mikroben, die den Körper des Vaterlandes befallen getriebener irregulärer »tiefer Staat«. Entscheidende Organe der genozidalen Politik waren das Innenmi- geografi sche Beschaffenheit so war, dass die Deportierten keine 21 37 hatten«. Solche fest in der Vision des harmonischen Gesamtent- nisterium, seine bevölkerungspolitischen Planungsabteilungen und Fluchtmöglichkeiten hatten. Auch sie waren Bestandteil einer kal- wurfs einer nationalen Volksgesundheit verankerten biologistischen seine Polizeikräfte, besonders aber die hybriden Organe des jung- kulierten Systematik. Ressentiments führten in der modernen Geschichte immer zu höchst Systematik türkischen »tiefen Staats«. »Die aus den Reihen der Comitémänner Das Ergebnis der Deportationen war »eine im größten Maß- 22 explosiven und potenziell genozidalen Konfl iktlösungsphantasien. (des herrschenden CUP) hervorgegangenen Valis und Mutessarifs«, stab durchgeführte Expropriation von anderthalb Millionen 38 Die Führungseliten des Osmanischen Reichs waren zu Beginn des Dem politischen Vernichtungswillen fi elen allein während der so der k.u.k Botschafter Pallavicini, »gehorchen nur den Verordnun- Staatsbürgern«. Die Vermögenswerte, um die es dabei ging, wurden Weltkriegs stark von ideologischen Motiven dieser Art beherrscht. Kriegsjahre 1915/16 etwa 1,1 Million Armenier und in geringerem gen, die ihnen vom Comité zukommen, nicht aber jenen, die ihnen während der Pariser Friedenskonferenz 1919/20 auf 7,9 Milliar- 31 39 Sie befanden sich zudem seit den Balkankriegen in der mentalen Ausmaß auch andere orientalische Christen zum Opfer. Wahrschein- die Regierung erteilt«. Das CUP steuerte auf diese Weise über den französische Francs (Stand von 1919) geschätzt. Ein we- Verfassung eines permanenten Ausnahmezustands. lich mehr als 150.000 Armenier überlebten durch Zwangskonversion seine Parteikanäle einen Gleichschaltungsprozess. Überall waren es sentliches strategisches Motiv bestand darin, so die jungtürkische Seit 1913 herrschte in Istanbul das System einer radikalnationa- zum Islam, indem sie sich zu Türken assimilierten. Einer unbe- ideologische Hardliner des herrschenden jungtürkischen Komitees listischen Einparteiendiktatur und die damit verbundene tendenziell stimmten Zahl – etwa 300.000 – gelang die Flucht, meist über die – ethnonationalistische »Politkommissare« –, die extreme extermi- 26 russische Grenze. Die direkte physische Vernichtung setzte im natorische Maßnahmen teilweise gegen den Widerstand einzelner Osten Anatoliens oft schon unmittelbar nach der Vertreibung aus Provinzgouverneure und Militärs durchzusetzen versuchten. 32 Johannes Lepsius, Bericht über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei, Die tödlichen Deportationen des Jahres 1915 begannen Potsdam 1916, S. 43. 17 Michael Schwartz, Ethnische »Säuberungen« in der Moderne. Globale Wechsel- 33 Hew Strachan, The First World War. To Arms, Oxford 2003, S. 705. wirkungen nationalistischer und rassistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahr- in drei verschiedenen Gebieten in drei aufeinanderfolgenden 34 Serif Mardin, »Jörn Türklerin Siyasi Fikirleri«, nach: M. Sükrü Hanioglu, Prepa- hundert, München 2013, S. 273. ration for a Revolution. The Young Turks 1902–1908, Oxford, New York 2001, 18 Peter Gatrell, A Whole Empire Walking, Bloomington 2005, S. 3. 23 M. Sükrü Hanioglu, A Brief History of the Late Ottoman Empire, Princeton, S. 140. 19 Telegramm Joseph Pomiankowski, 6.2.1917, Kriegsarchiv Wien, KM Präs., Oxford 2008, S. 151. 35 Erik Jan Zürcher, The Young Turk Legacy. From the Ottoman Empire to Atatürk’s 47-1/13. 24 Im Gegenteil: »There emerged a mentality which had elements of a cryptic cul- 27 Rößler an Botschaft Konstantinopel, 12.8.1915, PA-AA/BoKon/170. Turkey, London, New York 2013, S. 197. 20 Rößler an Wolff-Metternich, 34.1.1916, Anlage 1, 8.11.1915, PA AA, R 14090. ture sanctioning massacres as an instrument of state policy.« Vahakn N. Dadrian, 28 Offi ce of the Supreme Commander of the Ottoman Army to the Ministry of Inte- 36 Rolf Hosfeld, Tod in der Wüste. Der Völkermord an den Armeniern, München 21 Salahattin Güngör, Bir Canli Tarih Konusuyor, Resimli Tarih, 5.7.1953. Nach The History of the Armenian Genocide. Ethnic Confl ict from the Balkans to Ana- rior, Top Secret, 2.5.1915, in: Documents on Ottoman Armenians. Vol. 1. Prime 2015, S. 159 und passim, insbes. S. 184–190, S. 210–215. Hans-Lukas Kieser, »Dr. Mehmet Reshid (1873–1919). A Political Doctor«, in: tolia to the Caucasus, New York, Oxford 2003, S. 173. Ministry. Directorate General of Press and Information, Ankara o.J., S. 89. 37 Donald Miller, Lorna Touryan Miller, Survivors. An Oral History of the Arme- ders., Dominik Schaller (Hrsg.), Der Völkermord an den Armeniern und die 25 Donald Bloxham, The Final Solution. A Genocide, Oxford 2013, S. 76. 29 Trauttmansdorff an Baron Burián, 30.9.1015, HHStA, PA XII 209. nian Genocide, Berkeley, Los Angeles, 1999, S. 81. Shoah/The Armenian Genocide and the Shoa, Zürich 2002, S. 262. 26 Hilmar Kaiser, »Genocide at the Twilight of the Ottoman Empire«, in: Donald 30 Akcam, Armenien, S. 65 f., 74 f. 38 Lepsius, Bericht, S. 152. 22 Zygmunt Bauman, Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, Bloxham, Dirk Moses (Hrsg.), The Oxford Handbook of Genocide Studies, New 31 Pallavicini an Baron Burian, 7.11.1915, Beilage zum Bericht Nr. 92/p.c., HHStA, 39 Christian Gerlach, »Nationsbildung im Krieg«, in: Kieser, Schaller (Hrsg.), Völ- Hamburg 1992, S. 52. York 2010, S. 382. PA XII 463. kermord, S. 347–422, hier S. 368.

18 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 19 Schriftstellerin Halide Edib in ihren Memoiren, die wirtschaftliche im Bewusstsein der tödlichen Folgen unterzeichnete. Von dem Ma- innenpolitischen Verhältnisse der Türkei weit zu überschätzen. Nur Nach dem Krieg, das zeigt Stefan Ihrig in seiner jüngst erschie- Vorherrschaft der Armenier mit dem Ziel des Aufbaus einer »nationa- rineattaché Hans Humann schließlich stammt die Äußerung, die eine rechtzeitige Kriegserklärung der Vereinigten Staaten, so Pomi- nenen Studie, gab es eine wichtige und lebhafte Genozid-Debatte in 40 len« Bourgeoisie zu brechen , und die Expropriationen waren, neben Vernichtung der Armenier sei »hart, aber nützlich«. Ähnlich äußerten ankowski, hätte die armenische Katastrophe vielleicht verhindern Deutschland. Sie wurde ausgelöst durch Johannes Lepsius’ Publi- dem Beitrag, den sie zur Finanzierung des Krieges leisteten, dafür sich der deutsche Generalstabschef im türkischen Großen Hauptquar- können. Die USA erklärten Konstantinopel aber nie den Krieg, und kation deutscher diplomatischer Akten unter dem Titel Deutschland 51 56 so etwas wie eine ursprüngliche »türkische« Kapitalakkumulation. tier, Fritz Bronsart von Schellendorf, und auch die Admirale Wilhelm nicht einmal Sanktionen wurden in Erwägung gezogen. und Armenien vom Frühjahr 1919 , die publizistische Aktivität des 45 57 Souchon und Guido von Usedom. Dies sind alles Beispiele eines Extreme Gewalt gegen Zivilbevölkerungen zu akzeptieren, zu Schriftstellers Armin T. Wegner sowie die Ermordung Mehmet sozialdarwinistisch infi zierten militaristischen Extremismus, dem entschuldigen und zu rationalisieren, war allerdings Teil der Mili- Talaats durch einen armenischen Attentäter in Charlottenburg 1921 58 Die deutsche Haltung jegliche ethischen Maßstäbe abhandengekommen waren. tärkultur des Wilhelminischen Reichs. Deutschland, so Isabel Hull, und den nachfolgenden Prozess. Doch danach, so Ihrig, wurden die Reichen diese Handvoll Individuen aus, um Deutschlands wandte im Ersten Weltkrieg auf allen Kriegsschauplätzen in extremer Leugnungsdiskurse in der Öffentlichkeit umso stärker und gingen Ohne den Weltkrieg wäre der Völkermord an den Armeniern kaum Rolle bei der Vernichtung der Armenier als »Beihilfe zum Völ- Weise die Standards einer existenziellen militärischen Auseinander- immer mehr in Rechtfertigungsdiskurse (»hart, aber nützlich«) des 59 denkbar gewesen. Dies gilt zunächst einmal in dem allgemeinen kermord« zu beschreiben, wie Jürgen Gottschlich in einem jüngst setzung an und nahm mit dieser Mentalität auch den Völkermord an Humann’schen Typus über. Adolf Hitler berief sich im Prozess vor 46 52 kulturellen Sinn, dass die entgrenzte Gewalt an allen Fronten eine erschienenen Buch behauptet? Donald Bloxham und Isabel Hull den Armeniern in Kauf. dem Münchner Volkgericht 1924 unter anderem ausdrücklich posi- Möglichkeit schuf, die in Friedenszeiten nicht gegeben war. Ende haben schon vor Jahren darauf verwiesen, dass es sich bei diesen Humann begrüßte die Vernichtung der Armenier weniger aus tiv auf Enver Pascha und die Jungtürken. Enver, so Hitler vor dem September 1915 machte sich der k.u.k. Agent Heinrich Alberstall schon länger bekannten Fällen um motivisch völlig unterschiedlich militärischen Gründen denn als Maßnahme einer gewaltsamen türki- Gericht, habe eine neue Nation aufgebaut und das multikulturelle 60 Gedanken darüber, ob nicht eine »geschickte Kundgebung« des gelagerte regionale Vorkommnisse handelt, die zeitlich teilweise schen Nationsbildung. Die maßgebliche deutsche Haltung im Ersten Gomorrha Konstantinopel erfolgreich entgiftet. Das zeigt eine Wiener Kaisers Franz-Joseph I. die Türken zum Einhalten bewegen in den Wintermonaten 1914/15, also vor dem Beginn der genozi- Weltkrieg war aber eine andere. »Die Verschickung war eine militä- tiefe Übereinstimmung in grundlegenden politischen Säuberungs- könne. »Wahrscheinlich nicht«, so seine Schlussfolgerung, denn dalen Radikalisierung, zu verorten sind. Es gibt zwischen diesen rische Maßnahme«, so ein Memorandum des Botschaftspredigers in phantasien. Hitlers »erwachendes« Deutschland sah in den national- die Türken seien von dem Glauben durchdrungen, »dass sie nur in Individuen auch keinen nachweisbaren Zusammenhang, der sie als Konstantinopel, Siegfried von Lüttichau, vom Sommer 1918: »Aber radikalen Jungtürken und ihren Nachfolgern, den Kemalisten, ein 61 der jetzigen Kriegszeit, in welcher alle Moralwerte selbst von den agierende Gruppe mit politischen Einfl ussmöglichkeiten ausweisen die Vernichtung der Vertriebenen, die nur allzu gut gelungen ist, war wahlverwandtes Vorbild. 47 kriegführenden Kultur-Nationen ersten Ranges missachtet werden, könnte. eine politische Maßnahme der Regierung.« Lüttichau begrüßte diese sich von den diversen bisherigen staatlichen Fesseln und Ballasten Gottschlich übernimmt aber unhinterfragt nicht nur die 1918 Maßnahme nicht, aber das Deutsche Reich, so seine Ansicht, habe 53 befreien können, und daher die sich vielleicht nie mehr bietende von Henry Morgenthau, dem amerikanischen Botschafter in Istan- aus zwingenden Kriegsgründen dazu schweigen müssen. Dies war 41 54 Gelegenheit unbedingt benutzen müssten.« Regelmäßig verwiesen bul, überlieferte Ansicht, die Deportationspolitik sei von den Deut- auch die Haltung von Reichkanzler Bethmann-Hollweg. führende Jungtürken deshalb auf die Vorbildfunktion der deutschen schen inspiriert worden, sondern auch dessen Schlussfolgerung, Insgesamt, so Ulrich Trumpener, dessen Urteil von der For- 42 Gräuel in Belgien und der habsburgischen in Bosnien , um damit nur das Deutsche Reich hätte den Völkermord an den Armeniern schung im Wesentlichen geteilt wird, hat die deutsche Reichsregie- 48 ihre »kriegsbedingten« Maßnahmen zu legitimieren. Und regelmä- verhindern können. Morgenthaus noch während des Krieges er- rung die Verfolgung der Armenier während des Ersten Weltkriegs ßig wurden sie von deutscher oder österreichischer Seite zurückge- schienenes und Woodrow Wilson gewidmetes Buch ist nicht frei weder unterstützt noch willkommen geheißen. Allerdings müsse wiesen. Botschafter Paul Wolff-Metternich ließ beispielsweise den von Selbststilisierungen und sachlich fragwürdigen, politisch mo- man ihr eine extreme moralische Gleichgültigkeit und einen grund- 49 Großwesir Anfang Dezember 1915 mit Bestimmtheit wissen, »dass tivierten Stereotypen und Kurzschlüssen. Doch es begründete, so sätzlichen Mangel an entschiedenen Maßnahmen vorhalten, selbst die Verfolgung und Misshandlung von Hunderttausenden unschul- Ronald Suny, das einfl ussreichste und bis heute vielfach wirksame im Rahmen des politisch Möglichen gegen die Verbrechen ihres 50 55 diger Personen keine legitime Abwehrmaßnahme eines Staates« Nachkriegsnarrativ. Ob das Deutsche Reich den Völkermord an den Bündnispartners vorzugehen. Es gab keine »Beihilfe« in Gestalt 43 bilde. Sein Vorgänger Hans von Wangenheim war weniger deut- Armeniern selbst um den Preis einer Aufl ösung des Bündnisses hätte einer aktiven Unterstützung der jungtürkischen Vernichtungspolitik. lich. Nach anfänglichen Irritationen übernahm er im Mai 1915 mehr verhindern können, ist in jedem Fall stark umstritten. Der Leiter der Aber die Art und Weise, wie Menschenrechtsfragen auf der Ebene oder weniger die türkische Sichtweise, von der er Ende Juni wieder österreichisch-ungarischen Militärmission im Osmanischen Reich, von »Realpolitik« verhandelt wurden, kam aktiver Zustimmung Abstand nahm. Nie, so Isabel Hull, verließ er jedoch die Parameter Joseph Pomiankowski, beantwortete die Frage mit einem klaren zweifellos sehr nahe und prägte Mentalitäten mit, die sozialtechni- 44 vorgeblicher »militärischer Notwendigkeiten«. Nein und warf Morgenthau vor, den Einfl uss Deutschlands auf die sche Gewaltmaßnahmen in einem ethikfreien Raum zu akzeptieren Einige deutsche Offi ziere – insgesamt gibt es fünf dokumentierte lernten. Fälle unter den 200 Offi zieren, die sich in den entscheidenden Mona- ten 1915/16 in der Türkei befanden – waren aktiv in antiarmenische 45 Dadrian, History, S. 248–300. 56 Deutschland und Armenien 1914–1918. Sammlung diplomatischer Aktenstücke, Aktivitäten involviert. So insbesondere Oberstleutnant Karl Anton 46 Jürgen Gottschlich, Beihilfe zum Völkermord. Deutschlands Rolle bei der Ver- hrsg. u. eingel. v. Dr. Johannes Lepsius, Potsdam 1919. Böttrich, der eigenhändig und unautorisiert einen Deportationsbefehl nichtung der Armenier, Berlin 2015. 51 Joseph Pomiankowski, Der Zusammenbruch des Ottomanischen Reiches, Graz 57 Armin T. Wegner, Die Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste. Ein 47 Donald Bloxham, »Power Politics, Prejudice, Protest and Propaganda. A Reas- 1969 (zuerst: Wien 1928), S. 163 f. Lichtbildvortrag, hrsg. v. Andreas Meier, Göttingen 2011. sessment of the German Role in the Armenian Genocide in WWI«, in: Kieser, 52 Hull, Destruction, S. 290. 58 Armin T. Wegner (Hrsg.), Der Prozess Talaat Pascha. Stenographischer Bericht Schaller (Hrsg.), Völkermord, S. 213–244; Hull, Destruction, S. 275–279. 53 Axenfeld an AA, 18.10.1918, Anlage: Bericht des Pfarrers Grafen von Lüttichau, über die Verhandlung gegen den des Mordes an Talaat Pascha angeklagten ar- 40 Memoirs of Halide Edib, London 1926, S. 386. 48 Henry Morgenthau, Ambassador Morgenthaus’s Story, Garden City, New York PA AA, R 14104. menischen Studenten Salomon Teilirian vor dem Schwurgericht des Landgerichts 41 Alberstall an das literarische Bureau des k.u.k Ministerium des Äußeren, 1918, S. 365, 381. 54 »Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu III zu Berlin, Aktenzeichen: C.J. 22/21, am 2. und 3. Juni 1921, Berlin 1921. 25.9.1915, HHStA, PL 246. 49 Margaret Lavinia Anderson, »Helden in Zeiten eines Völkermords? Armin T. halten, gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.« Notiz 59 Stefan Ihrig, Justifying Genocide. Germany and the Armenians from Bismarck to 42 Kwiatkowski an Baron Burian, 31.7.1915, HHStA, PA XXXVIII 368. Wegner, Ernst Jäckh, Henry Morgenthau«, in: Rolf Hosfeld (Hrsg.), Johannes Bethmann-Hollweg: Wolff-Metternich an Bethmann-Hollweg, 7.12.1915, PA AA, Hitler, Cambridge/Mass., London 2016 43 Wolff-Metternich an Bethmann-Hollweg, 9.12.1915, PA AA, R 14089. Lepsius – eine deutsche Ausnahme. Der Völkermord an den Armeniern, Humani- R 1489. 60 Harold J. Gordon (Hrsg.), The Hitler Trial before the Peopleʼs Court in Munich, 44 Isabel Hull, Absolute Destruction. Military Culture and the Practises of War in tarismus und Menschenrechte, Göttingen 2013, S. 147–159. 55 Ulrich Trumpener, Germany and the Ottoman Empire 1914–1918, Princeton Vol. 1, Arlington 1976, S. 180. Imperial Germany, Ithaka, London 2005, S. 279–283. 50 Suny, »Desert«, S. 367. 1968, S. 204 f. 61 Stefan Ihrig, Atatürk in the Nazi Imagination, Cambridge/Mass., London 2014.

20 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 21 8 16 17 Reise nach Berlin (2001) folgte 2004 – mit großem Erfolg auch handschriftliches Notizbuch , das so genannte Ägyptische Tagebuch, Dank der Verfi lmung durch die Brüder Paolo und Vittorio Taviani bot ihm in den nächsten Wochen nicht nur Raum für Reiseimpressio- – Antonia Arslans La masseria delle allodole zugleich auch in der nen, sondern wurde auch zum Refl exionsmedium der modernen »con- 9 18 deutschen Übersetzung unter dem Titel Das Haus der Lerchen; 2009 ditio judaicia« und damit zugleich Ort einer Konfrontation Werfels veröffentlichte Varujan Vosganian einen Band kurzer Erzählungen, mit seinem eigenen Judentum. Hier in Palästina nämlich begegnet er 1 10 Aghet Cartea soaptelor , 2013 als Buch des Flüsterns ins Deutsche über- vor allem in den neuen Siedlungen kollektiven Lebensformen, die ihn 19 tragen, und zwei Jahre später publizierte Fethiye Çetin ihren Roman an Ideen gemahnten, »für die er selbst so viele Jahre gestritten« hatte 11 Wie der armenische Völkermord Anneannem, von dem seit 2011 eine deutsche Fassung unter dem und die von Alma sowohl aus einer antisemitischen als auch aus einer Titel Meine Großmutter vorliegt. Chris Bohjalians The Sandcastle antikommunistischen Einstellung heraus heftig abgelehnt wurden. In 2 12 zum Romanstoff wurde Girls wurde 2012 ein US-amerikanischer Bestseller, und 2014 ihren (leider nicht immer zuverlässigen) autobiographischen Erin- 13 20 griffen sowohl Martin von Arndts Tage der Nemesis wie Thomas nerungen Mein Leben, hielt sie neben zahlreichen Trivia, wie etwa 14 Hartwichs Die Armenierin den Völkermord als Thema auf, dessen dass man »Tee in verrosteten Eierschalen« servierte, besonders fest, von Andreas Meier Aktualität im zeitgenössischen literarischen Feld auch die Auswahl dass ihnen »die Familiensiedlungen besser als die kommunistischen 21 der Gedichte von Jeghische Tscharenz, die 2010 unter dem Titel Kwuzahs« gefi elen. Leider ist man für die zweite Palästinareise des 15 Mein Armenien erschien, dokumentiert. seit 1929 verheirateten Ehepaars (Mahler-)Werfel gänzlich auf diese

Als119892Edgar Hilsenraths später vielfach Für die Rezeption des armenischen Völkermords in der deut- Aufzeichnungen Almas angewiesen, die schon den Beginn der Reise ausgezeichnetes Märchen vom letzten Ge- schen Literatur kommt hier den politischen Ereignissen im Jahre falsch, nämlich auf das Jahr 1929 datieren. Tatsächlich reiste man 3 danken erschien, folgte binnen kürzerer 1933, dem Jahr der Veröffentlichung von Werfels Musah Dagh, eine Anfang 1930 entlang der Route ihrer ersten Reise nach Jerusalem und Zeit eine große Zahl weiterer Romane über nicht unbedeutende Rolle zu, verhinderten sie doch nicht nur auf fand »ein ungemein gewachsenes, verschönertes, viel interessanteres 22 apl. Prof. Dr. Andreas Meier ist seit den Völkermord an den Armeniern, die den Eindruck entstehen lange Zeit die Wirkung Werfels in Deutschland, sondern – indirekt Palästina«. Auf Werfels Wunsch organisierte man von Jerusalem aus 2004 Professor für Neuere deutsche Li- ließen, Hilsenrath habe das literarische Potenzial des Stoffes wieder – auch noch ein weiteres umfangreiches Romanprojekt, das der in eine Weiterfahrt nach Syrien und in den Libanon, nach Damaskus, teratur an der Bergischen Universität neu entdeckt, nachdem es über Jahrzehnte durch Franz Werfels 1933 dieser Zeit als Lyriker und Reiseschriftsteller recht bekannte Dichter Baalbek und Beirut. Während des Aufenthalts in Damaskus besichtigte Wuppertal, an der er die Else-Lasker- veröffentlichten Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh und dessen Armin T. Wegner angegangen war. man auch »die größte Teppichweberei« der Stadt: 4 Schüler-Arbeitsstelle leitet. Seine Ar- ungeheuren Erfolg erschöpft schien. Noch im selben Jahr, 1989, »Der Besitzer erschien und übernahm die Führung durch sein beits- und Forschungsschwerpunkte erschien Doğan Akhanlis Kiyamet günü yargiļari, das seit 2007, dem riesiges Etablissement. Wir gingen die Webstühle entlang, und über- sind, neben der Gegenwartsliteratur, Jahr der Ermordung des armenischstämmigen Journalisten Hrant Franz Werfels Die vierzig Tage des Musa Dagh all fi elen uns ausgehungerte Kinder auf, mit bleichen El Greco-Ge- vor allem die Literatur der Klassischen Dink in Istanbul durch eine jungen türkischen Rechtsradikalen, in sichtern und übergroßen dunklen Augen. Sie rollten auf dem Boden Moderne und der Goethezeit. einer deutschen Übersetzung, Die Richter des Jüngsten Gerichts, Eine wichtige Rolle spielte in diesem Kontext der 1924 in Wien ge- herum, hoben Spulen und Fäden auf, fegten wohl auch manchmal 5 6 Zu seinen wichtigsten neueren Buch- vorliegt; 1997 publizierte Peter Balakian Black Dog of Fate (2000 gründete Paul Zsolnay Verlag, dessen geschäftlicher Erfolg auf Franz den Boden mit einem Besen rein. publikationen zählen, jeweils von ihm unter dem Titel Die Hunde vom Ararat ins Deutsche übersetzt), und Werfels Roman Verdi gegründet war. Hier erschien auch 1933 Werfels Franz Werfel frug den Besitzer, was das für merkwürdige Kinder herausgegeben: Christian August Vul- ebenfalls im Jahr 2000 veröffentlichte Ahmet Ümit seine Kriminaler- großer historischer Roman, der nicht unwesentlich durch seine zwei seien. Er antwortet: ›Ach, diese armen Geschöpfe, die klaube ich auf 7 pius. Eine Korrespondenz zur Kulturge- zählung Patasana , von der bis 2013 eine gleichnamige Übersetzung Palästinareisen angeregt worden war. Am »16. Jänner 1925« traten der der Straße auf und gebe ihnen zehn Piaster pro Tag, damit sie nicht schichte der Goethezeit, 2 Bde., Berlin in mehreren Aufl agen herauskam; auf Jochen Mangelsens Ophelias 34-jährige Franz Werfel und seine 46-jährige Lebensgefährtin Alma verhungern. Es sind die Kinder der von den Türken erschlagenen 2003; Armin T. Wegner. Die Austrei- Mahler an Bord der »Vienna« eine erste, auf mehrere Wochen angeleg- Armenier. Wenn ich sie hier nicht beherberge, verhungern sie, und bung des armenischen Volkes in die te Reise in den Vorderen Orient an, die sie von Triest nach Alexandria, niemand kümmert sich darum. Leisten können sie ja nicht das ge-

Wüste. Ein Lichtbildvortrag, Göttingen 1 Mit seinem 2010 produzierten Dokumentarfi lm AGHET, benannt nach dem armeni- Kairo, die Königsgräberstädte Luxor und Theben und schließlich über ringste, sie sind zu schwach dazu.‹ 2011; Martin Walser. Unser Auschwitz. schen Wort für »Katastrophe«, gab Eric Friedler in Anlehnung an Claude Lanz- El Kantara nach Jerusalem führte. Ein kleines, 19 Seiten umfassendes, Auseinandersetzung mit der deutschen manns Dokumentation SHOAH über den Genozid an der europäischen Judenheit dem Schuld, Reinbek 2015. Völkermord an den Armeniern einen in der Sprache der Opfer eingeführten Begriff. 2 Der Essay beruht in Ausschnitten auf folgenden Beiträgen des Verfassers: »Nach- 16 Vgl. u.a. Heinz Lunzer, Victoria Lunzer-Talos (Hrsg.), Franz Werfel. 1890–1945. wort«, in: Armin T. Wegner, Die Austreibung des armenischen Volkes in die Wü- Katalog einer Ausstellung, gemeinsam veranstaltet vom Bundesministerium für ste. Ein Lichtbildvortrag, hrsg. von Andreas Meier, Göttingen 2011, und: »Franz Auswärtige Angelegenheiten und von der Dokumentationsstelle für Neuere Öster- Werfel und Armin T. Wegner in Palästina. Zur Entdeckung des Armenienthemas 8 Bremen 2001. reichische Literatur in Wien, Wien 1990, S. 42 ff. in der deutschen Literatur«, in: Roy Knocke, Werner Treß (Hrsg.), Franz Werfel 9 Mailand 2004; dt.: Das Haus der Lerchen. Übers. von Maja Pfl ug, München 17 Franz Werfel, Gesammelte Werke. Zwischen oben und unten. Prosa, Tagebücher, und der Genozid an den Armeniern, Berlin 2015, S. 59–75. 2004. Der Film der Brüder Taviani lief auf der Berlinale 2007 außer Konkurrenz. Aphorismen, Literarische Nachträge. Aus dem Nachlass hrsg. von Adolf A. 3 Das Märchen vom letzten Gedanken. Roman, München 1989. 10 Buch des Flüsterns. Übers. von Ernest Wichner, Wien 2013 (zuerst: Iasi 2009). Klarmann, 2. Aufl ., München 1975, S. 705–742. 4 Franz Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh. Bd.1: Das Nahende, Bd. 2: Die 11 Dt.: Meine Großmutter. Übers. von Christina Tremmel-Turan und Tevfi k Turan, 18 Lunzer, Lunzer-Talos (Hrsg.), Franz Werfel, S. 42. Kämpfe der Schwachen, Berlin 1933. Engelschoff 2011. 19 Werfel, Gesammelte Werke, S. 738. 5 Übers. von Hülya Engin, Klagenfurt 2007. 12 New York 2012 ff. 20 Alma Mahler-Werfel, Mein Leben. Biographie, 34. Aufl ., Frankfurt am Main 6 New York 1997; übers. von Jörg Trobitius, Wien 2000. 13 Cadolzburg 2014. 1998 [zuerst 1963], S. 164. 7 Deutsche Ausgabe: Patasana. Übers. von Recai Hallac, Berlin 2009 (als Paper- 14 Köln 2014. 21 Ebd., S. 166. back unter dem Titel Patasana – Mord am Euphrat, Berlin 2013). 15 Übers. von Konrad Kuhn, Wuppertal 2010. 22 Ebd., S. 207.

22 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 23 Franz Werfel und ich gingen tief betroffen weg, nichts wollte wie Werfel wurde die Begegnung mit Palästina zu einer ihr weiteres 23 uns nun wichtig oder schön erscheinen.« Leben geistig prägenden Erfahrung. Von nun an gingen Franz Werfel »die Armenier […] nicht aus Landau und Wegner reisten in einer der Werfel’schen Route dem Sinn«, und auf seinem »Bett häuften sich […] die Notizen über entgegengesetzten Richtung. Sie landeten in Haifa und durchquer- 24 die an den Armeniern begangenen Greuel.« Auch auf der Fahrt durch ten von dort aus Palästina, befuhren den Jordan, den See Geneza- den Libanon, von Baalbek nach Beirut, nahm das Ehepaar die Spu- reth und das Tote Meer, um nach einem Abstecher ins benachbarte ren der Vertriebenen wahr: »Früh fuhren wir an vielen armenischen Syrien über Damaskus und schließlich über den Sinai bis zu den Dörfern vorbei, von Überlebenden erbaut, die sich von den türkischen Cheops-Pyramiden bei Kairo zu kommen. Auch Wegners lernten ein 25 Siedlungen durch Reinlichkeit und Blumenpracht abhoben […].« von Gegensätzen geprägtes Land kennen, Gegensätze die nicht nur Trotz aller Reisewidrigkeiten und Zollschikanen »blieb in Franz zwischen der arabischen und jüdischen Bevölkerung sich aufbau- Werfels Seele haften: das Unglück der Armenier. Er skizzierte noch ten, sondern auch die eingewanderten Juden tief zu spalten schie- während der Reise eine Romanidee. Unser Freund, der Gesandte nen: »Ein junger Pionier […] lächelte: ›Sabbatruhe? … Wir spielen 28 Graf Clauzel, sandte Werfel auf seine Bitte alle Protokolle über die Fußball!‹« Diese auch für Armin T. Wegner ungeheure Faszination 29 türkischen Greuel aus dem Pariser Kriegsministerium, und Werfel des modernen jüdischen Lebens, des »neuen jüdischen Menschen«, schrieb später von 1932 bis 1933 den Roman: ›Die vierzig Tage des scheint sich von heute aus rückblickend auch darin auszudrücken, 26 Musa Dagh‹ nieder.« dass sich Erinnerungen an die Gräuel des armenischen Völkermords, Wenngleich Werfel seine große Erzählung in das Kostüm eines dessen Augenzeuge Wegner zwischen 1915 und 1916 war, weder in 30 31 traditionellen historischen Romans kleidete, war ihm stets präsent, Jerusalem noch in Damaskus einstellten. dass es mit diesem Stoff nicht nur ein geschichtliches Datum in das Wegner war im Frühjahr 1915 als Mitglied der Deutsch-Ottoma- kulturelle Gedächtnis seiner Zeit einzuschreiben galt, sondern dass es nischen Sanitätsmission unter Leitung des Barons Fritz von Trützsch- 32 zugleich auch um die mythischen Wurzeln des armenischen Volkes ler von Falkenstein ins Osmanische Reich gekommen und war von in Sprache und Poesie ging: »Die Geistesgeschichte eines Volkes April bis August 1915 in Konstantinopel, später in Rodosto und auf beginnt mit seiner Schrift. Die politische und kulturelle Geschichte Gallipoli stationiert. Vermutlich erfuhr er, an Typhus erkrankt, im Juni der Armenier freilich ist weit älter […] es gab noch keine Schrift, 1915 im deutschen Lazarett in Pera durch Pastor Hans Bauernfeind 33 aber es gab Dichter. Sie zogen von Ort zu Ort und prägten ins Gehör von den ersten »Austreibung[en]« der Armenier aus ihren Wohnsit- des Volkes ihre schwermütig schönen Strophen […] Die Poesie war zen. Auf einer Reise während des anschließenden Genesungsurlaubs 27 da und damit im höchsten Sinn die Nation.« lernte Wegner »im Sommer 1915 einen Kaufmann aus der Schweiz« kennen, der ihm erneut von der Vertreibung der armenischen Bevölke- rung berichtete, woraufhin Wegner bis nach Konia, dem Startbahnhof Armin T. Wegner als Augenzeuge und Chronist des Genozids an den Armeniern

28 Armin T. Wegner, Jagd durch das tausendjährige Land, Berlin 1932, S. 200; vgl. Ein Jahr vor der zweiten Palästinareise des Ehepaars Werfels hatte ähnlich auch S. 53. sich auch ein anderes Schriftstellerpaar auf eine Reise nach Paläs- 29 Ebd., S. 158; ähnlich auch S. 110 f. tina begeben, die damals 36-jährige Lyrikerin Lola Landau und der 30 Anders als bei Werfel fi nden sich in Wegners Aufzeichnungen vom Aufenthalt in Damaskus keinerlei Hinweise auf die Armenier. Vgl. ebd., S. 127 f. mit ihr in zweiter Ehe verheiratete 44-jährige Lyriker, Erzähler und 31 Bei der Besichtigung des syrischen Waisenhauses in Jerusalem ist ihm »die Ge- Publizist Armin T. Wegner. Wie die Werfels schiffte man sich in stalt eines armenischen Knaben […], der hier erzogen wurde, und den ich wäh- Triest ein und wie sie hatte man auch auf der Passage vergleichba- rend des Krieges unter den armenischen Flüchtlingen in der mesopotamischen re Erlebnisse, wenngleich mit umgekehrten Rollen. Denn wie der Wüste traf«, zwar vertraut. Wegner, Jagd, S. 42. Wie die früheren Publikationen Wegners aber dokumentieren, muss ihm durchaus bewusst gewesen sein, dass es Altersunterschied verhielt sich auch die religiöse Rollenverteilung sich bei den Armeniern in der mesopotamischen Wüste keineswegs um Flüchtlin- reziprok zu den Werfels. Landau war Jüdin, Wegner ein christlich ge, sondern um gewaltsam Deportierte handelte, die man in der Wüste ihrem links: Armin T. Wegner als Sanitäter im Ersten Weltkrieg, Foto: unbekannt getaufter intellektueller deutscher Kulturpatriot. Doch für Landau Schicksal überlassen hatte. oben: Armemische Flüchtlinge auf dem Tauruspass, Foto: Armin T. Wegner 32 Deutsches Literaturarchiv (DLA) Marbach, Nachlass (NL) Wegner, Wegner an unten: Leichen in der Wüste, Foto: Armin T. Wegner Gerda Maurer, 31.3.1915: »Und meine Mutter verhalf mir dazu. Sie war eine Ju- Quelle: Deutsches Literaturarchiv Marbach, Nachlass Wegner, copyright: Wallstein-Verlag gendfreundin der Frau von Tirpitz, des großen Admirals der deutschen Flotte. Mit ihren Kindern hatten wir zusammen, als wir selbst klein waren, so zwischen 23 Ebd., S. 208. sechs und acht Jahren, ständig gespielt.« Hier zit. nach: Martin Tamcke, Armin T. 24 Ebd. Wegner und die Armenier. Anspruch und Wirklichkeit eines Augenzeugen, Ham- 25 Ebd., S. 209. burg 1996, S. 31. 26 Ebd., S. 210. 33 Vgl. den kleinen Briefwechsel mit Bauernfeind zwischen 1915 und 1919, Tam- 27 Werfel, Gesammelte Werke, S. 537 f. cke, Wegner, S. 86.

24 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 25 43 der Bagdadbahn reiste, um sich selbst »von dem Ausmaß der Verfol- Erst nach dem Krieg war es Wegner möglich, sein erfahrungsba- mein Haupt im Berge Ararat« des Gedichts »Der Riese Landschaft« politisch kooperierenden armenischen wie türkischen Komitees, 34 gungen zu überzeugen«. Anschließend kehrte er nach Berlin zurück, siertes Wissen um den Völkermord an den Armeniern systematisch auf. den armenischen Daschnak-Bund und die jungtürkischen CUP, er- 39 wo er sich einerseits von September bis in den Oktober hinein von zu erweitern. Als erstes Dokument seiner von nun an entschieden Nahezu zeitgleich mit der Arbeit am »Urania«-Vortrag entstehen innert. Wie sehr das Projekt bereits 1922 an Stoff wie thematischem den Folgen der Krankheit erholte, andererseits sich zugleich leider proarmenischen öffentlichen Äußerungen gilt der im Februar 1919 kleinere epische Miniaturen, welche Bilder, wie sie etwa während Umfang zugenommen, Wegner die spezifi sch armenische Frage zur erfolglos bemühte, Ansprechpartner, Multiplikatoren für seine Nach- im Berliner Tageblatt mit dem Titel »Armenien« erschienene »offene des Vortrags gezeigt wurden, zum erzählerischen Ausgangspunkt Frage von Nationenbildung und staatlicher Souveränität abstrahiert richten über die Massaker an den Armeniern zu fi nden. Brief an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordameri- nehmen. So geraten etwa die schon im »Tagebuch 1915 und 1916« und auf Deutschland übertragen, ja sukzessive zur menschheitsge- Nach der Aufl ösung der von Trützschler’schen Sanitätsmission ka, Herrn Woodrow Wilson, über die Austreibung des armenischen beschriebenen öffentlichen Hinrichtungen zum literarischen Motiv schichtlichen Problematik überhöht hatte, dokumentiert eine größere 40 im Sommer 1915 wechselte Wegner als Sanitäter in die neu aufge- Volkes in die Wüste«. Wegner zitierte bereits hier mehrfach aus und spielen auch in der Erzählung »Der Erhängte« in Im Hause Stichwortskizze ,»Deutschland als Kulturland für die armenische 44 47 stellte 6. Osmanische Armee unter der Leitung von Feldmarschall den von Johannes Lepsius und Martin Niepage 1916 publizierten der Glückseligkeit eine wichtige Rolle. Dieses Motiv fi ndet sich Frage«, mit dem Datum »1922« . Neben Stichworten wie »Ger- Colmar von der Goltz, der von Bagdad aus die Front gegen die von Büchern zum Völkermord und bediente sich zudem in Ernst Som- wenig später auch in der Erzählung »Der Bankier«, die 1921 in hard [!] Hauptmanns Bedeutung für das armenische Volk« inte- Basra vorrückenden britischen Truppen organisieren sollte. Sowohl mers Heft Die Wahrheit über die Leiden des armenischen Volkes in der Sammlung der Türkischen Novellen erschien. Hierzu gehör- ressierten Wegner zu diesem Zeitpunkt Fragestellungen wie die 41 auf seiner Hinreise nach Bagdad im November 1915 wie auch auf der Wüste während des Weltkriegs. Er nutzte auch seine Stellung ten außerdem die Texte »Der Knabe Hüssein«, »Osman« und »Der Stellung Deutschlands zu Kemalisten; die armenische Dichtung in seiner erneut durch eine schwere Erkrankung erzwungene Rückreise als Schriftleiter des Neuen Orient, um seinen eigenen, unter Lebens- Sturm auf das Frauenbad«. Während Wegner in seiner Novelle »Der Deutschland; Armenien und die deutsche Wissenschaft; Armenien 48 im Oktober 1916 wurde Wegner Zeuge der grausamen Deportationen gefahr aus dem Land geschmuggelten Bestand an Bildern des Geno- Bankier« den Völkermord nicht unmittelbar thematisierte, sondern als Transitland für deutsche Ausfuhr; die Gestalt Kemal Paschas. von Armeniern. Insbesondere auf seiner Rückreise konnte er die zids zu erweitern. Seine umfangreichen Recherchen münden dann das Klima des im Kriege wachsenden Misstrauens zwischen den Auch notierte Wegner schlicht Namen von Autoren, die er wohl 49 Lager Maden, Tibini, Abu Herera und Rakka besichtigen und machte in den am 19. März 1919 im Vortragssaal der Berliner »Urania«- Volksgruppen schilderte, in welchem auch die armenischen politi- lesen wollte, wie etwa »Liman von Sanders (Das Buch)« oder »Leh- 50 im Waisenhaus von Aleppo zudem die Bekanntschaft der Kranken- Gesellschaft gehaltenen Vortrag »Die Austreibung des armenischen schen Komitees, die Daschnaks, auf eine Befreiung durch die russi- mann Haupt«. Umfangreiche Lektürelisten wie »Bücher für die 51 schwestern Anna Jensen und Beatrice Rohner, einer Schwester der Volkes in die Wüste«, zu welchem er neben eigenem auch fremdes schen Truppen hofften, ging er in der Erzählung »Der Sturm auf das Geschichtsdeutung meines Romans« oder »Liste der Bücher für 45 52 Evangelischen Hilfs-Mission für christliches Liebeswerk im Orient fotografi sches Material unterschiedlicher Provenienzen heranzog. Frauenbad« das Thema direkt an und griff ein bereits von Johannes Roman (unterstes Brett von rechts angefangen bis Anatolien)« ver- 35 und »Leiterin des bedeutendsten humanitären Widerstands gegen Tatsächlich wählte Wegner das Illustrationsmaterial so aus, dass Lepsius in seiner Anklage-Schrift wider die christlichen Großmächte zeichnen Titel, die ihm später dann sein Stiefsohn Andreas entweder 36 den Völkermord in der Provinz Aleppo«. Mit ihrer Hilfe konnte er nicht nur seine eigenen Erfahrungen bildlich repräsentiert, sondern über die Pogrome von 1895/96 erwähntes Ereignis in Cäsarea am aus der Staatsbibliothek in die Berliner Wohnung bringen musste 46 sich in den Flüchtlingslagern um Aleppo bewegen, ihre Sprachkennt- auch der fi ktive Erzählfaden seines Vortrags, der Weg eines Deporta- 30. November 1895 auf. In Wegners Erzählung rettet hier ein tür- oder von der Berliner Wohnung zu seinem Zeltarbeitsplatz im Wald nisse ermöglichten ihm, Aufzeichnungen von konkreten Schicksalen tionszugs vom Nordosten der Türkei in die Mesopotamische Wüste, kischer Offi zier namens Lutfi die junge Armenierin Sirpuhi vor dem am kleinen Sacrower See zwischen Groß-Glienicke und Potsdam. 37 der Deportierten zu machen. Aus den Flüchtlingslagern in Meskené mit historischen wie geographischen Aufnahmen anschaulich wurde. plündernden Mob seiner Landsleute und lässt beide am Ende einer Noch deutlicher wird sein Bestreben, das Schicksal des armenischen und Aleppo schmuggelte Wegner, wie er selbst später berichtet, im Zu dieser Literarisierung des Themas fügte sich, dass bereits seine idyllisch verklärten Flucht zueinanderfi nden. Volkes in eine menschheitsgeschichtlich exemplarische Dimension Herbst 1916 einige Bittbriefe, die er der amerikanischen Botschaft erste größere Publikation zum Thema, »Der Weg ohne Heimkehr« Diese Erzählungen müssen zugleich als erste Hinweise auf ein rücken zu wollen, in seinem 1924 erschienenen Gedichtband Die in Konstantinopel überbrachte. Seine Aufzeichnungen trug Wegner (1919), die armenische Deportation durch die mythische Aufl adung größeres Romanprojekt verstanden werden, das Wegner wohl spä- Straße mit den tausend Zielen, in welchem sich das in »Meskene am in ein »Kriegstagebuch«, das »Tagebuch 1915 und 1916« ein, wo des landschaftlichen Raumes in eine menschheitsgeschichtliche Di- testens ab dieser Zeit, ab Beginn der 1920er Jahre unter dem Titel Euphrat, Oktober 1916, im Angesicht der armenischen Deportation« sie neben Agenda-Noten und summarischen Tagesberichten stehen. mension rückt: »Mein Haupt ruht in Mossul, meine Füße rühren an »Die Austreibung« plante. So begegnet die Figur des Lutfi als Lutfi entstandene Gedicht »Die Austreibung der Menschheit« fi ndet. Sie gingen später auszugsweise in das Kapitel »Die vierzig Tage und die Trümmer von Babylon. Meine rechte Hand liegt auf den Dächern Omer (gelegentlich auch Oemer geschrieben) in einem in diesem Nächte der Heimkehr. Aus dem Tagebuch« seines Reisebuchs über von Damaskus, und mit der linken greife ich in die Schneeberge Kontext entworfenen zweiten Band, wo sie zu den Häuptern einer »Auf einem Totenhügel saß ich da, 42 die Expedition mit der 6. Osmanischen Armee ein, Der Weg ohne von Luristan. Durch mich rinnt eine unendliche Ader, der Tigris.« multi-ethnischen Verschwörungsgruppe gegen Abdul Hamid II. ge- Am Rand der Wüste, wo der Fluß sich träumte 38 Heimkehr. Ein Martyrium in Briefen. Im späteren Gedichtband Die Straße mit den tausend Zielen hört, die als utopische Romanfi ktion an die bis 1914 tatsächlich noch Durch greise Ebenen. Und es geschah, (1924) greift Wegner dieses Bild leicht variiert in der Zeile »Es schläft Daß vom Gebirg ein Strom von Menschen schäumte. […] Und in der Wolken aufgeblühtem Strauß 34 DLA, NL Wegner, Brief Wegners an Azarian, 24.9.1975. Hier zit. nach: Tamcke, 43 Armin T. Wegner, »Der Riese Landschaft«, in ders., Die Straße mit den tausend Erkannte ich, voll Fluch und Schuldbeschwerde, Wegner, S. 87. Zielen, Dresden 1924, S. 29. Durch der Jahrtausende gewölbtes Haus 53 35 Vgl. Tessa Hofmann, Gerayer Koutcharian, »›Images that horrify and indict‹. 39 So bietet etwa Wegners Exemplar des von ihm intensiv gelesenen Berichts über 44 Armin T. Wegner, Im Hause der Glückseligkeit. Aufzeichnungen aus der Türkei, Der Menschheit Zug von Anbeginn der Erde.« Pictorial Documents on the Persecutions and Exermination of Armenians from die Lage des armenischen Volkes in der Türkei (Potsdam 1916) von Johannes Dresden 1920; in Auszügen auch in: Wegner, Zelt, hiernach im Folgenden zitiert. 1877 to 1922«, in: Armenien Review, Jg. 45 (1992), Nr. 1–2, S. 177–178 und Lepsius den Besitzervermerk: »Armin T. Wegner [/] Berlin [/] Jan. 1919«; sein 45 Armin T. Wegner, »Der Sturm auf das Frauenbad. Novelle«, in Fortsetzungen in: Berli- 53–184; Hilmar Kaiser, At the Crossroad of Der Zor. Death, Survival and Huma- Handexemplar befi ndet sich heute mit seiner gesamten Bibliothek im Wegner- ner Tageblatt. September bis Oktober 1921; im gleichen Jahr aufgenommen in: nitarian Resistance, Princeton 2001; Tamcke, Wegner, S. 118–131. Archiv der Stadtbücherei Wuppertal (Sign.: 88/5189). ders., Der Knabe Hüssein. Türkische Novellen, Dresden 1921, auch in: Armin T. 36 Hans-Lukas Kieser: »Einleitung«, in: ders., Elmar Plozza (Hrsg.), Der Völker- 40 Vgl. Armin T. Wegner, »Brief an den Präsidenten der Vereinigten Staaten«, in: Wegner, Am Kreuzweg der Welten. Lyrik, Prosa, Briefe, Autobiographisches, 47 DLA, B 78. 1. 295. mord an den Armeniern, die Türkei und Europa. The Armenian Genocide, Turkey Die Frau der Gegenwart, XI. [= N. F. Vl] (1919), Nr. 2. S. 11–14; auch: ders., hrsg. von Ruth Greuner, Berlin 1982, S. 176–189, hiernach im Folgenden zitiert. 48 Ebd. and Europa, Zürich 2006, S. 9; vgl. auch Kaiser, At the Crossroad of Der Zor. »Armenien. Offener Brief an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nord- 46 Vgl. Johannes Lepsius, Armenien und Europa. Eine Anklage-Schrift wider die 49 Otto Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, Berlin 1920. 37 Vgl. Armin T. Wegner, Der Weg ohne Heimkehr. Ein Martyrium in Briefen, Ber- amerika, Herrn Woodrow Wilson, über die Austreibung des armenischen Volkes christlichen Großmächte und ein Aufruf an das christliche Deutschland, Berlin 50 C. F. Lehmann-Haupt, Armenien einst und jetzt, 3 Bde., Berlin 1910, 1926 und lin 1919, S. 169; Transkriptionen einiger dieser Berichte im »Kriegstagebuch« in die Wüste«, in: Berliner Tageblatt, 23.2.1919 u.ö. 1896, S. 29: »Der Pöbel von Cäsarea, der 30 Häuser von Armeniern mit ihren In- 1931. Wegners fi nden sich bei Tamcke, Wegner, S. 131–148. 41 Frankfurt am Main 1919; Wegners Handexemplar im Wegner-Archiv der Stadt- sassen verbrannte, nahm auch teil an dem saubern Geschäft, das Frauenbad der 51 DLA, B 78. 1. 295. 38 Vorabdrucke einzelner Teile hieraus fi nden sich schon 1918, noch während des bücherei Wuppertal (Sign.: 88/5184) weist Spuren intensiver Lektüre auf. Stadt zur Stunde des Bades zu stürmen.« Und später auf S. 239: »Die Bäder wer- 52 Ebd. Krieges: »Der Weg ohne Heimkehr«, in: Der Höllenfahrer. Novellen schlesischer 42 Hier zit. nach: Armin T. Wegner, »Weg ohne Heimkehr«, in ders., Das Zelt, Ber- den erstürmt, Frauen und Kinder misshandelt, nackt auf die Straße gejagt, umge- 53 Armin T. Wegner, »Die Austreibung der Menschheit«, in: ders., Die Strasse mit Dichter, Teil 2, hrsg. von Walter Meckauer, Konstanz 1918, S. 21–29. lin 1926, S. 113. bracht und verstümmelt.« den tausend Zielen, Dresden 1924, S. 82–84.

26 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 27 Während Werfel aber in einer intensiven Schreibphase zwischen Juli seinen Lesungen öffentlich vortrug, scheint Wegner jedoch keines- Wegner blieb in Berlin und schrieb ihr am 22. Januar 1933: »Ich unter der Überschrift »Für Austreibung« zu fi nden sind. Diese letzte 54 1932 und März 1933 seinen geplanten Roman vorantrieb, ihn klug wegs beruhigt zu haben. Man kann annehmen, dass eine eingerückte arbeite jetzt angestrengt an meinem Roman [»Die Austreibung«]; Arbeitsphase, die im Sommer im Sacrower Wald in seinem »Zelt- um ein im Zentrum des Geschehens platziertes Gespräch zwischen Notiz im Berliner Tageblatt vom 30. Dezember 1932 von Wegner aber leider geht es nur sehr langsam vorwärts. Es fehlt mir nicht an schloss Krähenorgel« fortgesetzt wird, endete abrupt am 11. August Johannes Lepsius, dem Gründer des Armenischen Hilfswerks sowie veranlasst worden war, in welcher neben der Ankündigung einer Gestaltungskraft, im Gegenteil eine Fülle von Ideen drängt sich mir 1933. Nachdem bereits im Mai seine Werke bei den Bücherverbren- 63 der Deutsch-Armenischen Gesellschaft, und Enver Pascha, dem Lesung Werfels in der Akademie auch auf Wegners, hier zum ers- in unaufhaltsamem Strom auf, beglückende und fruchtbare Gedan- nungen den Flammen zum Opfer gefallen waren, wurde er an die- Oberbefehlshaber der Armeen des Osmanischen Reiches aufbaute, ten Mal öffentlich beim Titel genannten »drei- oder vierbändigen« ken; aber ich arbeite zersplittert, kann mich nur schwer beschränken sem Tag durch die Gestapo verhaftet. Nach einer Odyssee durch 57 rang Wegner mit den ungeheuren Stoffmassen, die sich im Laufe Roman »Die Austreibung« hingewiesen wird. Ein weiteres Mal und zusammenhalten und wie in der Schule irren meine Gedanken diverse Gefängnisse und frühe Konzentrationslager wie Oranienburg, seiner langjährigen, wenngleich immer wieder unterbrochenen Ar- muss sich Wegner im Januar an Werfel gewandt haben, doch ein immerzu ab. Ich wünschte, ich könnte auf dem Lande sein, wo es mir Börgermoor und Lichtenburg, nach Folter und seiner Haftentlassung 58 61 beit an seinem Roman Die Austreibung angehäuft hatten. kurzes Billet von Alma Mahler-Werfel an ihn vom 12. Januar 1933 immer besser gelingt, nur bei einer Sache tatkräftig zu bleiben.« 1934, stürmten gleich mehrere Projekte gedanklich auf ihn ein, die So muss die Ankündigung eines Armenier-Romans von Franz beendet diese Korrespondenz. Tatsächlich dokumentiert Wegners Tagebuch aus dem Jahre 1933 das Armenienbuch für lange Zeit in den Hintergrund drängten. Nun Werfel und mehr noch dessen Lesereise im November 1932 bei Weg- Tatsächlich kann Wegners Erzählung »Der Knabe Atam« als diese schockartig gesteigerte Betriebsamkeit. Findet sich noch unter wollte Wegner seine Erlebnisse in den Konzentrationslagern in einem ner eine gewisse Bestürzung ausgelöst haben. Am 19. Dezember 1932 Keimzelle des ersten Bandes seines großen epischen Mehrteilers gel- dem 8. Januar eine lange Namensliste von Kritikern, denen er sein Roman mit dem Titel »Die Peitsche« und den Aufstieg des National- schreibt er aus Charlottenburg an seine Geliebte und spätere zweite ten, wie er heute im Wegner-Nachlass des Deutschen Literaturarchivs Reisebuch Jagd durch das tausendjährige Land zukommen lassen sozialismus in seinem Erzählprojekt Die Mühle Gottes weitgehend Frau Irene Kowaliska, dass ihn »schwere Sorge […] erfüllt und ge- in Marbach vorliegt. Er beginnt mit der Geschichte Atam Akinians, wollte, so beginnt der 9. Januar mit dem schlichten Eintrag »Die 40 parallel gestalten. »Die Austreibung« blieb schließlich dauerhaft 62 lähmt hat. Es ist der schwerste Schicksalsschlag, der mich in diesem der nach dem Armenier-Pogrom von 1896/97 als einziger Überle- Tage des Musa Dagh« – und von da an dominieren im Tagebuch Fragment – während Werfels Roman weltberühmt wurde. 55 Augenblick treffen konnte.« Wegner versuchte umgehend, seinen bender seiner Familie in Karputh in das Haus Konstantin Worperians Exzerpte, Entwürfe und Materialsammlungen, die mitunter täglich Namen wieder in Zusammenhang mit dem Schicksal des armenischen aufgenommen wird, einer literarischen Figur, die derjenigen Gabriel Volkes zu bringen, und reichte beim Berliner Tageblatt seine kleine Baghradians in Werfels Musa Dagh nicht unähnlich ist und über Erzählung »Der Knabe Atam« ein, die auch am Sonntag, den 25. De- welche es im bislang unveröffentlichten Romanmanuskript heißt: 61 DLA, Nachlass Wegner, Wegner an Lola Landau, 22.1.1932. Ich danke Thomas 63 So fi ndet sich sein Name unter den Autoren, die in der Abteilung »Schöne Litera- zember 1932 gedruckt wurde. Gleichzeitig nahm er mit Franz Werfel »Konstantin Worperian hatte vor dreißig Jahren Vorlesungen in Hartwig für diesen Hinweis! tur« auf jener berüchtigten Schwarzen Liste erscheinen, die der Bibliothekar Kontakt auf und muss ihn in einem leider nicht überlieferten Brief von Edinburgh über Philosophie und Geschichte gehört und gemeinsam 62 DLA, Nachlass Wegner, Tagebuch 1933. Wolfgang Hermann am 2. Mai 1933 dem Deutschen Studentenbund vorlegt. vermutlich Mitte Dezember 1932 auf sein literarisches Projekt und mit einer Russin den Preis für die Lösung einer wissenschaftlichen die ihn dazu legitimierende Augenzeugenschaft hingewiesen habe. Aufgabe erhalten. Diese Russin wurde später seine Frau. Fast zehn Werfels Antwort hierauf datiert vom 23. Dezember und ist gelassen, Jahre hatten beide in England zugebracht, Worperian hatte sogar die beinahe jovial dem älteren Kollegen gegenüber: englische Staatsangehörigkeit erworben und drückte sich noch jetzt »Recht besehen besitzen Sie in Ihrem großen Erlebnis und Ihrer mit Vorliebe in englischer Sprache aus. Seine Kleidung, von ausge- schicksalhaften Verbundenheit einen ungeheuren Vorteil mir gegen- prägt europäischem und vornehmem Geschmack, erhöhte das Ausse- über, der nicht aus Erfahrung, Lebensdetail, Sinneswissen sein Werk hen seiner schlanken männlichen Gestalt, dabei vermochte niemand 70 Jahre nach dem Holocaust ist in Deutschland der schaffen kann, sondern nur aus Phantasie, Erfi ndungskraft und aus hinter die unbeweglichen Züge seines schönen regelmäßigen Gesichts Rechtspopulismus laut und deutlich geworden: einigen geschichtlichen Dokumenten. Bei einem derartigen Wettbe- zu sehen. Seine vier erwachsenen Kinder hatte er nach englischem Sichtbar bei den Pegida-Demonstrationen, hörbar werb müßte demnach die Unruhe weit mehr auf meiner Seite sein. Muster erzogen; aber weit mehr als diese Erziehung, die vor allem in öffentlichen Debatten und politisch in Verbind- 2. Auflage Ich glaube aber, lieber Wegner, daß wir beide sehr ruhig sein in kalten Abreibungen und im Lesen Dickensscher Romane bestand, ungen zu neuen Parteien wie AfD und Alfa. Er hetzt gegen Juden, Muslime und Flüchtlinge, verachtet im April können, denn unsere Werke werden sicherlich ganz und gar ver- erregte das Erscheinen einer Badewanne unter den Einwohnern Me- Politik und Medien, propagiert einen Nationalis- schieden sein. Das meine benutzt von den dokumentierten Tatsachen serehs Aufsehen, die er nach Kharput kommen ließ, sowie der vergeb- 59 mus, der zur Abschottung führt, und sehnt sich nach nur eine einzige Episode, die in der Aktensammlung von Lepsius liche Versuch, in seiner Wohnung ein Wasserklosett einzurichten.« Autorität sowie einer homogenen »Gemeinschaft«. einige wenige Seiten umfaßt. Diese Episode dient mir zum weiten Der große Armenien-Roman, zu dem die ersten Vorstufen bereits Rahmen für ein allgemein menschliches Geschehen, für symbolhafte im »Kriegstagebuch 1916« nachweisbar sind und auf den 1919 auch Der Sammelband analysiert die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Entwicklung, für die Geschichte rein erfundener Gestalten, sie ist Glossen in Wegners Arbeitsexemplar von Johannes Lepsius’ Bericht 56 60 neuen Rechtspopulismus sowie die Einstellungen in der Bevölkerung, die ihn nicht Selbstzweck, sondern nur Anlaß.« über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei hinweisen, sollte begünstigen. Mit weiteren Beiträgen von Frank Decker, Alexander Häusler, Werfel, der hier wohl auf die von ihm literarisch gestaltete und aber nicht vollendet werden. Lola Landau fuhr Mitte Januar 1933 eini- Gideon Botsch, Christoph Kopke, Andreas Hövermann u.a. historisch dokumentierte Begegnung zwischen Lepsius und Enver ge Tage mit ihrer Mutter nach Ober-Schreiberhau ins Riesengebirge. Pascha im Jahre 1915 anspielt, jene Episode, die er wohl auch bei Dietmar Molthagen / Ralf Melzer (Hg.) Andreas Zick / Beate Küpper Wut, Verachtung, Abwertung 57 »Franz Werfel und Armin T. Wegner«, in: Berliner Tageblatt, 30.12.1932 (Mor- Rechtspopulismus in Deutschland 54 Peter Stephan Jungk, »Die vierzig Tage des Musa Dagh«, in: Lothar Huber genausgabe). (Hrsg.), Franz Werfel. An austrian writer reassessed, New York u.a. 1989, 58 DLA, Nachlass Wegner. 224 Seiten | 16,90 Euro S. 175–191. 59 DLA, Nachlass Wegner. ISBN 978-3-8012-0478-5 55 DLA, Nachlass Wegner, Wegner an Irene Kowaliska, 19.12. 1932. 60 Vgl. Arbeitsexemplar in der Bibliothek ATWs, Stadtbibliothek Wuppertal; hier www.dietz-verlag.de 56 DLA, Nachlass Wegner, Werfel an Wegner, 23.12.1932. sind etwa »Atam« und »Karput« als Glossen am Rand zu fi nden.

28 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 29 Zwei Jahre später beginnt im amerikanischen Exil der jüdisch- Lemkin selbst wies darauf hin, dass ihn als jungen Mann der polnische Jurist Raphael (Rafał) Lemkin (1900–1959) sein Buch Genozid an den Armeniern entscheidend geprägt habe.6 Das Völ- Axis Rule in Occupied Europe3 zu schreiben. Land für Land doku- kerrecht sah er, zweifellos zu Recht, als schlecht gerüstet für die mentiert er dort die zerstörerischen Folgen der deutschen Besatzung. Verfolgung solcher Verbrechen, die auf die Zerstörung ganzer Völker Vorangestellt sind Kapitel mit Analysen über die juristischen und zielten. Lange vor den Verbrechen der Nazis machte er es sich daher Völkermord administrativen Techniken der Deutschen für die Unterwerfung der zur Aufgabe, ein allgemeines völkerrechtliches Instrumentarium eroberten Nationen. Das letzte dieser Eingangskapitel ist mit »Ge- zur Bekämpfung solcher Verbrechen zu schaffen. Dazu bedurfte Kurze Geschichte eines nocide« überschrieben und beginnt mit dem Satz: »Neue Konzepte es nach Lemkins Ansicht zweierlei: eines adäquaten Begriffs und brauchen neue Begriffe. Mit ›genocide‹ meinen wir die Zerstörung eines völkerrechtlichen Regelwerks zur Durchsetzung des Verbots. unglücklichen Begriffs einer Nation oder einer ethnischen Gruppe.« Wie Lemkin gleich im ersten Absatz betont, wurde der Begriff genocide von ihm eingeführt, um diese Praktiken zu beschreiben. Der neue Begriff: Genocide von Rainer Huhle Der von Lemkin geschaffene Gründungsmythos des Geno- zidkonzepts liegt in der Verknüpfung dieser beiden Elemente, die Schon 1933 hatte Lemkin auf einer internationalen Strafrechtskon- freilich nichts miteinander zu tun haben. Churchill wollte nicht ferenz in Madrid im Rahmen des Völkerbunds zwei neue Begriffe Grundlegende Rechtsbegriffe haben für mehr sagen, als dass es einem bei der Betrachtung der Naziver- zur Einfügung in die nationalen Strafgesetzbücher der Mitgliedstaa- gewöhnlich eine lange Entstehungsge- brechen die Sprache verschlägt. Und Lemkin nimmt in seinem ten des Bundes vorgeschlagen: den Straftatbestand der »Barbarei« schichte. Sie sind das Ergebnis vieler po- Buch 1944 keinerlei Bezug auf Churchill. Erst 1946 interpretierte für die »Ausrottung ethnischer, nationaler, konfessioneller, sozialer litischer Polemiken, langer akademischer er Churchills Satz als Aufforderung, seinen Begriff des genocide Menschheitsgruppen« und den des »Vandalismus« für die Zerstörung 4 Dr. Rainer Huhle, Politikwissen- Diskurse und zäher juristischer Debatten, ehe sie schließlich breite zu prägen. Zum Gründungsmythos gehört weiter die Behauptung, von Kulturgütern, um damit die »geistige Leistungsfähigkeit der schaftler in Nürnberg mit den Arbeits- Anerkennung fi nden. beide Autoren hätten bei der Forderung nach einem neuen Begriff Gemeinschaft« einer solchen Gruppe zu zerstören.7 Diese frühere schwerpunkten Menschenrechte, Mit einer gewichtigen Ausnahme: Der Begriff genocide (deutsch die Vernichtung der Juden im Auge gehabt. Doch in Churchills Begriffl ichkeit referierte er im Buch 1944 selbst, als er sich für den Erinnerungspolitik und Latein- als »Völkermord«1 bezeichnet) ging auf den Vorschlag eines einzigen Rede werden fast alle europäischen Völker genannt, nicht jedoch Begriff genocide entschied, den er fortan durchzusetzen suchte. amerika; Vorstandsmitglied des Nürn- Juristen zurück und benötigte nicht mehr als vier Jahre, um einer die Juden. Aber auch in Lemkins Buch ist von den Juden nur als Lemkin war polyglott und vielleicht deshalb geradezu beses- berger Menschenrechtszentrum e.V., eigenen Konvention den Namen zu geben. In den mehr als siebzig einer von zahlreichen nationalen oder ethnischen Gruppen die Re- sen von der Bedeutung von Wörtern.8 Dass die mit seinem Begriff stellvertretender Vorsitzender des Jahren seit seiner Erfi ndung hat er sich wachsender Popularität er- de. »Die Technik der Massentötung wird vor allem gegen Polen, genocide bezeichneten Verbrechen bisher »ohne Namen« gewesen Kuratoriums des Deutschen Instituts freut, und im jungen 21. Jahrhundert gibt es jedes Jahr neue Kam- Russen und Juden angewandt«, schreibt er.5 Lemkin hatte fast seine seien, begründete er nie. Denn Begriffe, die die Massentötung von für Menschenrechte; Mitglied des pagnen um die »Anerkennung« bestimmter Verbrechen als Genozid. gesamte Familie durch die NS-Mörder verloren und war selbst nur Bevölkerungen auch mit Lemkins Kriterien beschrieben, gab es. Im UN-Ausschusses gegen das gewalt- Nach seiner Rückkehr vom Nordatlantik, wo er sich mit Prä- knapp in einer Odyssee um die halbe Welt über Schweden, die englischen Sprachbereich war dies seit der Mitte des 19. Jahrhun- same Verschwindenlassen von sident Roosevelt getroffen und die Atlantik-Charta unterzeichnet Sowjetunion und Japan in die USA entkommen. Seinen Schriften derts vor allem der Begriff der »atrocities« oder »atrocity crimes«. Personen; 1982–2007 tätig in der hatte, berichtete Winston Churchill im August 1941 in der BBC von ist davon nichts anzumerken, streng und sachlich versuchte er, Die Massaker der Türken in Bulgarien um 1876 wurden im Wes- Jugend- und Erwachsenenbildung dieser Begegnung. In einer Passage schilderte er in heftigen Worten einen allgemeinen Begriff für das zu formulieren, was er als neue, ten weithin als »Bulgarian Atrocities«9 bzw. »Turkish Atrocities« bei der Stadt Nürnberg; 1986–1989 – »barbaric fury», »most brutal exhibitions of ruthlessness« etc. – besondere Qualität an den Verbrechen des 20. Jahrhunderts, bald bezeichnet. Sein einfl ussreiches Buch über den Genozid an den im Entwicklungsdienst der EKD im die damals bekannten Nazigräuel gegen die europäischen Völker. aber auch in der Menschheitsgeschichte überhaupt zu erkennen Armeniern betitelte Arnold Toynbee 1915 »Armenian Atrocities«.10 Bereich der Menschenrechtsarbeit in Seit den Invasionen der Mongolen habe es keine vergleichbaren glaubte. Wie auch Hersch Lauterpacht, allerdings mit ganz anderer Der Teil des Moskauer Abkommens der Alliierten von 1943, in dem Südamerika; 1997–1999 als Experte Verbrechen in Europa gegeben. »Wir haben es mit einem Verbrechen juristischer Perspektive, blendete Lemkin konsequent jeden Be- sie den NS-Tätern Strafe ankündigten, ist »Statement on Atrocities« im Kolumbienbüro des Hochkommis- ohne Namen zu tun«, schließt er diese Passage seiner Ansprache.2 zug zu seiner persönlichen Leidensgeschichte als Jude aus seinen sariats für Menschenrechte der rechtstheoretischen Überlegungen aus. Nicht als Jude, als Jurist Vereinten Nationen. wollte er argumentieren, seine Begriffl ichkeit sollte universell sein, 6 Raphael Lemkin, Totally Unoffi cial: The Autobiography of Raphael Lemkin, hrsg. Zahlreiche Publikationen zu die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erfassen. So stellte er v. Donna-Lee Frieze, New Haven 2013, S. 19 f. Menschenrechtsfragen, zu 1 Fritz Bauer fand genocide »mehr oder minder gut mit ›VöIkermord‹ ins Deutsche die Vernichtung der Juden konsequent in die Reihe anderer »Ge- 7 Raphael Lemkin, »Akte der Barbarei und des Vandalismus als delicta juris genti- Erinnerungskultur und zu Politik übertragen« (Fritz Bauer, »Kriminologie des Völkermords«, in: Rechtliche und nozide«, seien sie von den Nazis begangen worden oder auch in um«, in: Internationales Anwaltsblatt (Wien), Jg. 6 (1933), Nr. 12, S. 117–119. und Kultur Lateinamerikas. Zuletzt: politische Aspekte der NS-Verbrecherprozesse. Kolloquium mit Peter Schneider früheren Epochen. 8 Der Plan für sein nie geschriebenes Buch über Genozid sah insgesamt 14 Kapitel u.a., hrsg. von Peter Schneider und Hermann J. Meyer, Mainz 1968, S. 22 ff.) Im über die Entstehung von neuen Wörtern und die Bedeutung dieser Prozesse vor; Nürnberger Menschrechtszentrum Nürnberger Prozess und dem Schrifttum der 1940er und 1950er Jahre fi nden sich siehe Lemkin on Genocide, hrsg. v. Steven L. Jacobs, Lanham 2012, S. 20–26. (Hrsg.): Das Internationale verschiedenste Eindeutschungen dieses Neologismus. Ich folge in diesem Aufsatz 9 So z.B. in Lord Gladstones berühmter Streitschrift Lessons in Massacre, London Militärtribunal von Nürnberg 1945/46. Fritz Bauers Meinung und verwende »Genozid« oder genocide statt »Völker- 1877. Die Reden der Hauptankläger. Neu mord«, außer in wörtlichen Zitaten. 3 Raphael Lemkin, Axis Rule in Occupied Europe, Washington 1944. 10 Arnold Toynbee, Armenian Atrocities, the Murder of a Nation, London u.a. 1915; 2 »Atlantic Charter, August 24, 1941, Broadcast, London«, in: Robert Rhodes 4 Raphael Lemkin, »Genocide«, in: The American Scholar, Vol. 15, No. 2 (April die dt. Ausg. (Lausanne 1916) hat den Titel Die Gewalttätigkeiten in Armenien. gelesen und kommentiert, Hamburg: James (Hrsg.), Winston S. Churchill, His Complete Speeches 1897–1963, Vol. 6, 1946), S. 227–230. Der Mord eines Volkes, lange bevor aus Lemkins »genocide« das deutsche »Völ- Europäische Verlagsanstalt, 2015. S. 6474, New York, London 1974. 5 Ebd., S. 88. kermord« wurde.

30 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 31 überschrieben, dementsprechend wird der Begriff auch in den Nürn- › Die Koppelung des Tatbestands Crimes against Humanity an berger Prozessen und im Tokyo-Prozess ausgiebig gebraucht, ist im die Kriegsvorbereitung bzw. den Krieg, die im Statut des IMT Kontrollratsgesetz Nr. 10 enthalten und bis heute als Bezeichnung angelegt war und dann von den Richtern im Urteil sehr eng ausge- für Massenverbrechen an Zivilbevölkerungen in nationalen und legt wurde. Auch die Formulierung der »Nürnberger Prinzipien« internationalen Gerichten gängig, wenn auch nicht in deren Statuten. durch die UNO 194614 und ausführlicher 1950 durch die Völ- Anders der Begriff der Crimes against Humanity, der eines der kerrechtskommission hielt diese eingeschränkte Anwendbarkeit drei in Nürnberg angeklagten Verbrechen war und sich auch heute des Tatbestands Crimes against Humanity auf Verbrechen im in den Statuten aller internationalen Strafgerichtshöfe fi ndet. Crimes Zusammenhang mit Kriegen aufrecht. Andererseits war diese against Humanity war ebenfalls schon zur Beschreibung der Ver- Koppelung schon früh, etwa im Kontrollratsgesetz Nr. 10, dem brechen an den Armeniern gebraucht worden, gelegentlich auch für ersten Strafgesetzbuch im Nachkriegsdeutschland, und in einigen andere Verbrechen während des Ersten Weltkriegs. Die Bühne großer der Nürnberger Nachfolgeprozesse aufgelöst worden. Nicht nur Rechtsbegriffe betrat er aber erst mit dem Nürnberger Hauptkriegs- Lemkin, auch viele andere zeitgenössische Juristen, darunter die verbrecherprozess (IMT). Dort ergänzte er die Tatbestände des Ver- französischen Richter und Ankläger von Nürnberg, kritisierten brechens gegen den Frieden und der Kriegsverbrechen, um »Mord, sie. Ab 1954 emanzipierte sich der Begriff der Crimes against Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Humanity von der Koppelung an den Krieg und umfasste alle Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder politischen Großverbrechen gegen Zivilpersonen.15 Dies war der rechts: Raphael Lemkin 1948 während des Krieges, Verfolgung aus politischen, rassischen oder Weg, für den die »Nürnberger« Juristen und zahlreiche zeitge- Foto: creative commons/public domain religiösen Gründen« als internationales Verbrechen anklagen zu nössische Völkerrechtler plädiert hatten. unten: Unterzeichnung der UN-Genocide-Konvention können. Dieser Begriff umfasst, vor allem in seiner heutigen weiter › Im IMT habe man keine qualitative Unterscheidung zwischen den (Lemkin steht hinten rechts). Das »Übereinkommen ausgebauten Fassung etwa im Rom-Statut des Internationalen Straf- verschiedenen Opfergruppen der Nazis getroffen. Diese Kritik über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes« gerichtshofs (IStGH), auch die Verbrechen, die Lemkin als Akte des führt unmittelbar in die mit dem Genozid-Konzept verbundene ist eines der ältesten Menschenrechtsabkommen der genocide verstand. Gelegentlich sprach man im IMT auch von geno- problematische Hervorhebung besonders schützenswerter Grup- Vereinten Nationen. Sie wurde von der Generalver- sammlung der Vereinten Nationen am 9. Dezember 11 cide, ohne ihn aber von Crimes against Humanity zu unterscheiden. pen. 1948 beschlossen und trat am 12. Januar 1951 in Kraft. Genocide gelangte immerhin in die Nürnberger Anklage, selt- › Bei genocide gehe es nicht nur um Mord, sondern auch um andere Foto: creative commons/public domain samerweise unter dem Punkt Kriegsverbrechen. Doch im Urteil des Methoden der Zerstörung einer Gruppe wie zum Beispiel durch Gerichts kam der Begriff nicht vor, und so beschrieb Lemkin den Tag Sterilisierung.16 Das IMT hatte allerdings solche Verbrechen der der Urteilsverkündung als den schwärzesten seines Lebens.12 Fortan indirekten Methoden der Zerstörung von Gruppen durchaus im wollte er nichts mehr von »Nürnberg« wissen und konzentrierte Blick. Selbst die Frage der Sterilisierung wurde immer wieder sich darauf, innerhalb des UN-Systems eine Konvention gegen den aufgegriffen, überwiegend im Kontext der Menschenversuche genocide zu erreichen. Lemkins Argumente gegen die Nürnberger durch die NS-Mediziner, aber auch als Instrument der »Erhaltung Rechtsprechung und für die Notwendigkeit einer eigenen Genozid- der Rassereinheit«. Konvention waren: › Das Nürnberger Tribunal habe kein zukunftsweisendes Konzept entwickelt, es sei ein Urteil nur gegen Hitler, aber »nichts gegen Konkurrierende Modelle des Menschenrechtsschutzes die künftigen Hitlers«.13 Aus Nürnberg sei kein internationaler Strafgerichtshof erwachsen. Einen solchen Strafgerichtshof sah Lemkins enttäuschte Abwendung von der Nürnberger Rechtspre- dann die Genozid-Konvention zwar als eine Möglichkeit vor, er chung und seine Konzentration auf eine Konvention gegen den Ge- wurde jedoch nie eingerichtet. nozid trugen dazu bei, dass der ursprünglich in der jungen UNO an- visierte Dreiklang von einer Deklaration von Menschenrechten, ihrer Verfestigung in Verträgen und eines Systems zu ihrer Durchsetzung17

11 Vgl. John Barrett, »Raphael Lemkin and ›Genocide‹ at Nuremberg, 1945–1946«, in: Christoph Safferling, Eberhard Conze (Hrsg.), The Genocide Convention Sixty Years after its Adoption, The Hague 2010, S. 35–54; Rainer Huhle, »›Recht ist 14 UN-Resolution 95 (1) vom 11.12.1946. ein lebendiges, wachsendes Wesen.‹ Zur Schlussrede des britischen Hauptanklä- 15 Siehe Rainer Huhle, Vom schwierigen Umgang mit »Verbrechen gegen die gers Hartley Shawcross«, in: Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg Menschheit« in Nürnberg und danach, auf: http://www.menschenrechte.org/lang/ 1945/46. Die Reden der Hauptankläger. Neu gelesen und kommentiert, hrsg. von de/verstehen/verbrechen-gegen-die-menschheit [20.1.2016]. Rainer Huhle im Auftrag des Nürnberger Menschenrechtszentrums, Hamburg 16 Raphael Lemkin, »Genocide as a Crime under International Law«, in: The Ameri- 2015, S. 329–366, hier S. 348–353. can Journal of International Law, Vol. 41, No. 1 (Jan. 1947), S. 145–151, hier 12 William Korey, An Epitaph for Raphael Lemkin, New York 2001, S. 25. S. 147. 13 Lemkin, Totally Unoffi cial, S. 118. 17 UN-Resolution 217 (III) »International Bill of Human Rights« v. 10.12.1948,

32 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 33 schon bald in seine Bestandteile zerfi el. Nachdem die völkerrechtli- Gruppen ein. Und in seiner Präambel nahm dieser Entwurf aus- nationale, rassische, religiöse und ethnische Gruppen, die deshalb für andere Gruppen wie zum Beispiel Menschen mit Behinderun- che Ächtung des genocide in seinen Augen in Nürnberg gescheitert drücklich Bezug auf das IMT, das »unter einer anderen juristischen besonders geschützt werden müssten, weil sie das Überleben der gen oder Homosexuelle. Aus anthropologischer Sicht wurde denn war, machte er sich sofort daran, dieses Ziel nun nicht mehr mittels Bezeichnung«21 die von der Konvention gemeinten Taten bestraft »spirituellen Ressourcen der Menschheit« garantierten.25 Schon in Lemkins Defi nition von Gruppen auch stark kritisiert.28 der Durchsetzung einer internationalen Strafrechtsnorm, sondern habe. Die Verbindungslinien zwischen Nürnberg und der Konvention seiner ersten Schrift über genocide hatte er geschrieben: »Nationen Die inzwischen sehr umfangreiche soziologische und histori- durch einen – freiwilligen – völkerrechtlichen Vertrag zu verfolgen. waren also noch nicht ganz zerschnitten. sind essentielle Elemente der Weltgemeinschaft. Die Welt hat nur sche Literatur über Genozid und Genozide weist gleichfalls ganz Die Weiterentwicklung der »Nürnberger Prinzipien« sah er dabei Die Resolution von 1946 feierte Lemkin noch als großen Er- so viel Kultur und Geisteskraft wie von den sie konstituierenden überwiegend die Lemkin’sche und von der Konvention übernom- ebenso wie die Arbeit an einer Allgemeinen Erklärung der Men- folg seiner Bemühungen und formulierte keinen Einwand gegen die nationalen Gruppen geschaffen wird.« Jede Nation leiste »origi- mene Einschränkung der zu schützenden Gruppen zurück. Die ju- schenrechte als störende konkurrierende Projekte. So entwickelten Defi nition der zu schützenden Gruppen.22 1948 dagegen sprach er nelle Beiträge auf der Basis genuiner Traditionen, genuiner Kultur ristische Literatur und die Urteile der internationalen Gerichtshöfe, sich innerhalb der UNO drei parallele Stränge des internationalen sich als beigezogener Experte gegen die Einbeziehung politischer und einer gut entwickelten nationalen Psychologie. Die Zerstörung die sämtlich den Tatbestand Genozid in ihren Statuten haben, zeigen Menschenrechtsschutzsystems, die nebeneinander herliefen und sich Gruppen aus, unter anderem mit dem Argument, sie seien keine einer Nation hat daher den Verlust ihrer zukünftigen Beiträge für ein uneinheitliches Bild. Nicht selten gehen dabei auch Gerichte bisweilen mehr behinderten als ergänzten. Erst ein halbes Jahrhun- beständigen Gruppen und hätten andere Charakteristika. Der zweite die Welt zur Folge.«26 Von diesem ideellen Standpunkt eines Be- weit über die Vorgaben der Konvention hinaus und schließen zum dert später entwickelten sich wieder Berührungspunkte. der drei herangezogenen Experten, der französische Völkerrechtler wahrers der Menschheit stellt Lemkin geradezu utilitaristische Beispiel politische Gruppen mit ein oder dehnen den Begriff der und ehemalige Richter des IMT, Donnedieu de Vabres, vertrat die Kalküle an: »nationalen Gruppe« bis zur Unkenntlichkeit aus. In Argentinien gegenteilige Meinung: Alle Gruppen seien schützenswert, und wenn »Würden alle 125.000 Isländer ausgerottet, so würde dies nicht entwickelte der Soziologe Daniel Feierstein eine Theorie, wonach Die »Konvention zur Verhütung und man einige ausnehme, sähe das wie eine Rechtfertigung des Mords nur die Vernichtung von 125.000 Menschen bedeuten, sondern auch die argentinische Junta durch die Eliminierung eines Teils der ar- Bestrafung des Völkermordes« an solchen Gruppen aus.23 die Vernichtung der isländischen Kultur mitsamt ihrer alten Spra- gentinischen Bevölkerung »die sozialen Beziehungen innerhalb Auch unter den Staaten war die Frage höchst umstritten. Ab- che, ihren alten Institutionen, ihren alten nationalen Bestrebungen der argentinischen Nation« verändern und damit das argentinische Am 11. Dezember 1946, also wenige Wochen nach dem Ende des stimmungen ergaben wechselnde Mehrheiten, am Ende aber blieben und aller Beiträge, die die isländische Nation für die Menschheit Volk »als solches« neu defi nieren wollte und daher Genozid im IMT, hatte Lemkins energische Lobbyarbeit bereits einen ersten die politischen Gruppen aus der Defi nition der Konvention ausge- geleistet hat oder in Zukunft zu leisten vermag. Es ist klar, dass Sinne der Konvention begangen habe29, eine Theorie, die selbst großen Erfolg zu verzeichnen. Die erste UN-Generalversammlung schlossen: Nach Art. II »bedeutet Völkermord eine [Handlung], die eine Massenvernichtung von 125.000 Menschen in irgendeinem in einigen Urteilen der argentinischen Justiz ausdrücklich aufge- verabschiedete eine Resolution, in der es unter anderem hieß: in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische anderen Land nicht derart erhebliche Verluste für die Menschheit nommen wurde.30 Der spanische (Ex-)Richter Baltazar Garzón »Die Generalversammlung bekräftige daher, dass Genozid ein oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören«. zur Folge hätte, auch wenn die menschlichen Verluste nicht allein führte das Argument weiter und sprach vom »Auto-Genozid« durch Verbrechen gemäß Völkerrecht ist, das die zivilisierte Welt verurteilt Was der Unterschied zwischen einer ethnischen und einer rassischen für die einzelnen Nationen, sondern auch für die Angehörigen der Regime wie das argentinische oder das der Roten Khmer.31 Und und für dessen Begehung Haupttäter und Komplizen zu bestrafen Gruppe sei, war vielen auch damals nicht klar. Im Ganzen aber ent- Opfer beklagenswert sind.«27 schon 1967 hatte Jean-Paul Sartre auf dem Russell-Tribunal über sind – unabhängig davon, ob sie Privatpersonen, öffentliche Bediens- sprach diese Formulierung Lemkins Vorstellungen, die er zwar oft In Lemkins Vorstellung sind diese Gruppen daher grundsätzlich den Vietnamkrieg unter explizitem Bezug auf die Völkermordkon- tete oder Staatsmänner sind, und ob das Verbrechen aus religiösen, unscharf formulierte, die aber immer um die Begriffe »national«, stabil und daher als solche zu erhalten – auf der Formel »Gruppe als vention die USA beschuldigt, die Absicht zu verfolgen, mittels der rassischen, politischen oder anderen Gründen begangen wird.«18 »rassisch« und »religiös« kreisten. solche«, wie sie in Art. II der Konvention erscheint, hat er immer vietnamesischen Nation die Gruppe der Menschheit insgesamt zu Gleichzeitig rief die Generalversammlung den Wirtschafts- und Für diese positive Diskriminierung nationaler, »rassischer« heftig bestanden. Bis heute wird vielfach argumentiert, die Privi- vernichten.32 Sozialrat auf, eine entsprechende Konvention auszuarbeiten. Al- bzw. ethnischer und religiöser Gruppen als besonders schützens- legierung dieser Gruppen in der Genozid-Konvention rechtfertige Der Widerspruch zwischen der engen völkerrechtlichen Defi - lerdings verfuhr die Generalversammlung zweigleisig, denn in der werten hat Lemkin eine Reihe von Argumenten angeführt, die vor sich dadurch, dass man in sie hineingeboren sei, gewissermaßen nition und dem Streben nach gleichem Schutz für alle Gruppen hat gleichen Sitzung hatte sie zuvor auch die Rechtsgrundlagen des IMT allem aus dem Arsenal einer Geschichtsphilosophie im Sinne Jo- »unschuldig« der Verfolgung aufgrund objektiver, nicht selbst be- auch dazu geführt, dass in zahlreichen Staaten die nationale Gesetz- als »Nürnberger Prinzipien« des Völkerrechts bekräftigt.19 hann Gottfried Herders und von Anthropologen wie James George stimmter Kriterien ausgesetzt sei, während andere, insbesondere gebung, abweichend von der internationalen Konvention, politische Fraser und Bronisław Malinowski stammen.24 »Die Philosophie politische Gruppen, volatiler seien und man ihnen auf freiwilliger und andere Gruppen in die Defi nition des Genozids einschließt.33 der Genozid-Konvention» – so Lemkin – »beruht auf der Formel Basis angehöre. Das Argument ist nur auf den ersten Blick stich- Welche Gruppen sind schützenswert? des menschlichen Kosmos.« Dieser bestehe aus vier Gruppen: haltig. Denn ebenso wie Religionszugehörigkeit, Nationalität und selbst ethnische Identität auch gewechselt werden können und wer- Auffällig an der noch recht allgemein formulierten Resolution 96 den, ist die Zugehörigkeit etwa zu einer politischen Gruppe, in der 28 Ausführlich dazu: Alexander Laban Hinton (Hrsg.), Annihilating difference: the (I) ist, dass sie zweimal auch auf politische Gruppen als Opfer von vielleicht schon Generationen vorher verwurzelt waren, nicht we- anthropology of genocide, Berkeley u.a. 2002. genocide Bezug nimmt. Auch der letzte Vorentwurf der Genozid- ishment of the Crime of Genocide (Mai 1948), in: The Genocide Convention. The niger schwierig. Auch die Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der 29 Siehe z.B. Daniel Feierstein, »Sobre conceptos, memorias e identidades: guerra, Travaux Préparatoires, hrsg. v. Hirad Abtahi und Philippa Webb, Leiden/Boston genocidio y/o terrorismo de Estado en Argentina«, in: Política y Sociedad, Jg. 48 20 konvention 1948 schloss noch politische unter die zu schützenden 2008, S. 1 161 ff. Armen ist in weiten Teilen der Welt sehr stabil. Erst recht gilt das (2011), Nr. 3, S. 571–586. 21 Gemeint ist der Anklagepunkt Crimes against Humanity. 30 Z.B. Fallo completo contra Etchecolatz, La Plata, September 2006, auf: 22 Lemkin, »Genocide as a Crime under International Law«, S. 148–150; in seinem http://www.rodolfowalsh.org/spip.php?article2378 [8.1.2016]. Projekt eines internationalen Verbots von Akten der Barbarei und des Vandalis- 31 Baltazar Garzón, »Las fronteras de la impunidad«, in: Puentes, Marzo 2002, enthält nach dem Text der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte den Hin- mus hatte er 1933 sogar selbst »soziale Kollektive« in die zu schützenden Grup- 25 Raphael Lemkin, »Introduction to the Study of Genocide«, in: Lemkin on Geno- S. 29–39. weis, dass die »Bill of Human Rights« drei Elemente, »a Declaration, a Covenant pen einbezogen (Internationales Anwaltsblatt (Wien), Jg. 6 (1933), Nr. 12, cide, S. 3. 32 Jean-Paul Sartre, »Genocide«, in: New Left Review I/48, March–April 1968, on Human Rights and measures of implementation« enthalten solle. Dies hatte S. 117–119). 26 Ders., Axis Rule in Occupied Europe, S. 91. S. 13–25 (überarb. Fassung der Rede auf dem Tribunal): »…the present act of die Menschenrechtskommission bereits zu Beginn ihrer Arbeit so beschlossen. 23 Secretariat Draft (26.6.1947), UN Dok. E/447, in: The Genocide Convention, 27 Ders., »La signifi cation du terme et du concept génocide au procès des criminels genocide – as a reply to a people’s war – is conceived and perpetuated in Vietnam 18 General Assembly (GA) Res. 96 (I). The Crime of Genocide. S. 209–281, hier S. 230. de guerre«, undat. Typoskript (Nr. 11959), Bibliothek des Centre de documenta- not only against the Vietnamese but against humanity«. 19 GA Res. 95 (I). Affi rmation of the Principles of International Law recognized by 24 Dirk Moses, »Raphael Lemkin, Culture, and the Concept of Genocide«, in: The tion juive contemporaine (CDJC), Paris; zit. nach Jean-Michel Chaumont, Die 33 David L. Nersessian, Genocide and Political Groups, Oxford 2010, führt 20 Staa- the Charter of the Nürnberg Tribunal. Oxford Handbook of Genocide Studies, hrsg. v. Donald Bloxham und Dirk Mo- Konkurrenz der Opfer. Genozid, Identität und Anerkennung, Lüneburg 2001, ten auf (S. 272 f.), die politische Gruppen in ihre nationalen Gesetze gegen Geno- 20 Ad Hoc Committee Draft E/AC.25/12, Draft Convention on Prevention and Pun- ses, Oxford 2010, S. 19–41. S. 192. zid einschließen, darunter Frankreich, Kolumbien und Kambodscha.

34 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 35 Nimmt man dazu die zahllosen sozialwissenschaftlichen Defi niti- Gaskammern und die Schließung von Bibliotheken abhandeln«34 Rechtsbegriff der Konvention spielt dabei keine Rolle mehr, nicht nur noch unter dem Label »genocide research« stattfi ndet. Dieses onen von genocide hinzu, erweist sich der von Lemkin intendierte wollte. Gerichte, sondern Regierungen werden als Instanz der »Anerken- enorm schnell angewachsene, inzwischen von mehreren Fachzeit- und in der Konvention verankerte spezifi sche Gruppenschutz als nung« von Völkermorden angerufen. Solche »Anerkennung« von schriften getragene Forschungsgebiet hat sich großenteils weit vom inkohärent und inzwischen jedenfalls obsolet. Mit dem menschen- Völkermord wurde in den letzten Jahren immer häufi ger gefordert, juristischen Begriff des Genozids entfernt und zahllose neue Defi - rechtlichen Gebot der Nicht-Diskriminierung ist er unvereinbar. Rechtsbegriff oder politischer Kampfbegriff? zum Beispiel für Armenien, Namibia, Katyn, Ukraine (»Holomo- nitionen ins Spiel gebracht. Es trägt damit nicht zur Entwirrung der dor«), Ruanda, Jugoslawien, Sri Lanka, Tibet, Gujarat, Syrien, Begriffl ichkeiten bei. Der Jurist Lemkin war sich der begrenzten Bedeutung seines Neo- Bangladesch, Kambodscha, Guatemala, Argentinien, Kolumbien, Auswege aus diesem unbefriedigenden Zustand können hier nur Worin besteht das Verbrechen des Genozids? logismus genocide als Rechtsbegriff zweifellos bewusst. Das Argu- Ecuador, die Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa, Morde an angedeutet werden. Im Völkerstrafrecht ist die in Nürnberg noch ment der »Nürnberger Juristen«, dass eine Konvention ein schwa- Weißen in Südafrika und viele Situationen mehr. In einigen Fäl- unzureichend entwickelte und vor allem angewandte Kategorie der Nach Artikel II der Konvention »bedeutet Völkermord eine der ches Mittel zur Bekämpfung des Genozids sei, da es den Staaten ja len handelt es sich um Großverbrechen, für die mit guten Gründen Crimes against Humanity längst ausdifferenziert worden und zum folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine na- freistelle, sich ihr anzuschließen, hat er nie aufgenommen. Für ihn die juristische Kategorie des Genozids herangezogen werden kann. Beispiel im Rom-Statut des IStGH durch nahezu alle Tatbestände, tionale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz war der »rhetorische Mehrwert«35 seines Wortes, den er von Anfang Andere Massenmorde zeigen schmerzhaft die Probleme auf, wenn die auch in der Genozid-Konvention enthalten sind, präzisiert wor- oder teilweise zu zerstören: an gezielt einsetzte, vielleicht sogar wichtiger als der juristische versucht wird, ihnen die juristische Zwangsjacke der Genoziddefi ni- den. Statt des kaum zu führenden Nachweises, dass die Täter eine a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; Wert. Unter Berufung auf die chilenische Dichterin Gabriela Mistral tion der Konvention überzustülpen. Und nicht wenige benutzen den Gruppe »ganz oder teilweise vernichten« wollten, gelten für die b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Scha- sprach er davon, dass »Wörter ein moralisches Urteil enthalten« Begriff offensichtlich nur, um Aufmerksamkeit zu erregen. Auf der Crimes against Humanity zwei Maßstäbe, die wesentlich besser den an Mitgliedern der Gruppe; könnten.36 Als Völkerrechtsbegriff ist genocide bis zur Schaffung der Website einer spanischen Internetzeitung kann man inzwischen aus überprüfbar sind: Es muss sich um Taten handeln, »die im Rahmen c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, internationalen Strafgerichtshöfe in den 1990er Jahren wirkungslos einer Liste von 14 »Genoziden«, deren Auswahl weder erklärt wird eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivil- die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise geblieben. In die Statuten des Jugoslawien- und Ruandagerichts- noch sich erschließt, per Abstimmung »seinen Favoriten wählen«.42 bevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen« worden sind. herbeizuführen; hofs sowie in das Römische Statut des IStGH wurde genocide zwar Der so entstandene Wettlauf um die Anerkennung des eige- Daneben etabliert sich als Oberbegriff für politische Großver- d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung jeweils als Straftatbestand aufgenommen, alle drei Gerichtshöfe nen (oder auch fremden) Leids als Ergebnis des schlimmsten aller brechen zunehmend ein alter Bekannter: das »Atrocity Crime« bzw. innerhalb der Gruppe gerichtet sind; erfuhren jedoch die erheblichen Schwierigkeiten, die der Tatbestand Verbrechen, des Crime of Crimes, hat fatale Konsequenzen. Auf die »Atrocities«, für die noch ein geeigneter deutscher Begriff zu ent- e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere mit sich brachte, und kamen zu teils recht improvisierten Lösungen der juristischen Ebene beschäftigt er Gerichte und Gelehrte damit, wickeln wäre. »Atrocities« ist hinreichend unbestimmt, dass darunter Gruppe.« dieser Schwierigkeiten.37 Dass der Ruanda-Gerichtshof dabei die einen von Anfang an problematischen Rechtsbegriff auszudeuten, für sehr verschiedene Arten von Verbrechen gezählt werden können, In dieser Tatbestandsdefi nition fi ndet sich besonders deutlich von Lemkin geprägte Formel vom Genozid als »Crime of Crimes«38 Verbrechen, die nach anderen Tatbeständen, die aber wegen des Sym- ohne dass zwischen einzelnen Taten und vor allem verschiedenen Lemkins Handschrift. Sie ist zugleich extrem eng und extrem wieder aufnahm39, half juristisch nicht weiter. Schon 1946 hatte Hans bolgehalts von genocide den Erwartungen der Öffentlichkeit nicht Opfergruppen unterschieden werden müsste. Der Begriff kann Taten weit, worin wesentliche Gründe für die so überaus schwierige Kelsen in einer Besprechung von Axis Rule nüchtern konstatiert, der mehr entsprechen, strafrechtlich ebenso hart zu ahnden wären. Die umfassen, die juristisch als Genozid, Kriegsverbrechen oder Crime Handhabung des Begriffs im Völkerrecht liegen, die dazu ge- neue Begriff genocide sei eher politisch als rechtlich bedeutsam.40 unterschiedlichen Bewertungen etwa der Verbrechen in Darfur oder against Humanity zu bewerten sind, aber auch weitere, und muss führt hat, dass die Konvention rechtlich praktisch wirkungslos Doch als William Schabas41 den Ausdruck »Crime of Crimes« in Jugoslawien haben diese Diskrepanz zwischen einer nüchternen nicht sofort eine rechtliche Bewertung bedeuten. Er diskriminiert geblieben ist. in den Titel seines Standardwerks über die Völkermordkonvention juristischen Analyse der Ereignisse und ihrer politischen Bewertung nicht zwischen Verbrechen gegen Menschen als solche und Men- Eng ist das Erfordernis, dass die Absicht nachgewiesen wer- übernahm, trat er einen weltweiten Siegeszug als politisch-propa- vor Augen geführt. Großverbrechen, wie etwa die Ermordung von schen als Repräsentanten bestimmter Gruppen. Sein Gebrauch durch den muss, eine der genannten Gruppen »ganz oder teilweise« zu gandistischer Kampfbegriff an. Ein Verbrechen scheint erst dann fast zwei Millionen Kambodschanern durch die Roten Khmer, ju- den Sicherheitsrat oder im Rahmen der »Responsibility to Protect«43 zerstören. Es genügt also nicht die Absicht, wie im Fall der Crimes als schrecklich zu gelten, wenn es das Prädikat »Genozid« erhält, ristisch korrekt nicht als Genozid zu bezeichnen, fällt regelmäßig verweist auf die internationale Dimension und die Schwere dieser against Humanity, eine größere Zahl von einzelnen Menschen zu um das erbitterte, teils absurde Streite geführt werden. Der enge unter den Verdacht der Verharmlosung. Verbrechen und kann damit politische Relevanz entwickeln, ohne töten, die Absicht muss auf die Vernichtung der Gruppe als solcher Paradoxerweise entwertet aber die Transformation des Rechts- eine rechtliche, politische oder ethische Bewertung dieser Taten zielen. Fehlt diese Absicht, ist auch ein Massenmord kein Genozid, begriff genocide in einen politischen Kampfbegriff ihn auch als vorwegzunehmen. Es ist zu begrüßen, dass dieser offene Sprachge- während umgekehrt schon die Tötung einer geringen Zahl, zum 34 6th Committee, 83d Session, 25, Oktober 1948 (UN Doc. A/C.6/SR.83), in: The solchen. Sein infl ationärer Gebrauch in der politischen Öffentlich- brauch auch in den Sozialwissenschaften vermehrt Eingang fi ndet. Beispiel für die Gruppe wichtiger Personen, als Genozid gilt, wenn Genocide Convention, S. 1508. keit für nahezu jedes Übel, ohne Rückbindung an die Autorität und sie auf die Zerstörung der Gruppe zielt. 35 Anson Rabinbach, »Genozid«, in: Begriffe aus dem Kalten Krieg. Totalitarismus, sachliche Kontrolle der juristischen Instanzen, gibt ihn der beliebi- Weit hingegen ist die Beschreibung der übrigen Taten, deren Antifaschismus, Genozid, Göttingen 2009, S. 43–72. gen Verfügbarkeit preis. Gewinner des Prädikats genocide ist dann, 36 Lemkin on Genocide, S. 22 f. Bewertung letztlich immer von der damit verbundenen Absicht 37 Payam Akhavan, Reducing Genocide to Law. Defi nition, Meaning, and the Ulti- wer sich in der publizistischen Arena und der politischen Lobby abhängt. In den Debatten um die Konvention war, ganz in Lemkins mate Crime, Cambridge 2012. durchzusetzen vermag. Sinn, der Vorschlag auf dem Tisch, auch »kulturellen Genozid« in 38 Raphael Lemkin, »Genocide as a Crime under International Law, Center for Jew- Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, dass auch die durch- den Straftatbestand einzuschließen. Das scheiterte aber am Wider- ish History«, Raphael Lemkin Collection, Box 6, Folder 2. In diesem un- aus notwendige Bemühung der sozialwissenschaftlichen und histo- veröffentlichten Entwurf schrieb Lemkin: »Indeed, genocide must be treated as stand vieler Staaten, die erkannten, dass mit einer vagen Defi nition the most heinous of all crimes. It is the crime of crimes.« rischen Forschung, nach den unterschiedlichen Motiven und Prak- »kulturellen Genozids« ihre Politik kultureller Assimilierung von 39 The Prosecutor versus Jean Kambanda, Case no.: ICTR 97-23-S, § 16; das Beru- tiken von politischen Großverbrechen zu suchen, inzwischen fast Minderheiten in die Schusslinie geraten wäre. Manche, wie der fungsgericht hat allerdings diese Hierarchisierung explizit zurückgewiesen. dänische Delegierte Federsen im Rechtsausschuss der General- 40 Hans Kelsen, »Review of Lemkin, Raphael. Axis Rule in Occupied Europe«, in: California Law Review, Jg. 34 (1946), Nr. 1, S. 271 f. 43 The Responsibility to Protect. Report of the International Commission on Inter- versammlung, vermissten aber auch einfach den »Sinn für Verhält- 41 William A. Schabas, Genocide in International Law. The Crime of Crimes, Cam- vention and State Sovereignty, Ottawa 2001; vgl. Gareth Evans, The responsibili- nismäßigkeit, wenn man in derselben Konvention Massenmord in bridge 2000, dt.: Genozid im Völkerrecht, Hamburg 2003. 42 http://listas.20minutos.es/lista/genocidios-del-siglo-xx-344800/ [23.1.15]. ty to protect: ending mass atrocity crimes once and for all, Washington 2008.

36 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 37 jüdische »Stunde Null« hinweg auf die Gegenwart eines Landes, Hier fehlte jemand, »der sich irgendwie für die Vergangenheit ver- das insgesamt, ständig und überall von seiner NS-Vergangenheit antwortlich fühlt«.10 Indem er 1965 mit einem ethnologischen Blick »heimgesucht« wurde und wird. auf ein Land sah, das seine Juden verjagt und ermordet hatte, sprach Elon nahm seine Gespräche mit Lehrern, Journalisten, Histori- er auch über sich und seine Familie, denn er war 1926 in Wien ge- kern und Schriftstellern, mit Vorständen in Wirtschaftsunternehmen boren worden, konnte als Siebenjähriger mit seinen Eltern Europa Das Ich im Wir und mit Universitätsprofessoren, mit Direktoren und Politikern nicht im letzten Moment verlassen und in Jerusalem ein neues Leben selten »surrealistisch« wahr,2 sie zeigten ein »deutsches Potpourri«,3 beginnen. Das Buch enthielt diese autobiographische Essenz, doch Anna Seghers und Victor Klemperer das in Westdeutschland eine betriebsame Selbstamnesie durch den hatte er sie seinem Bericht unsichtbar eingeschrieben, ohne sie auf Wirtschaftsaufschwung und im Osten das Vergessen durch einen der Oberfl äche des Texts auszuweisen. Indem er als Protokollant der in der frühen DDR Geschichtseskapismus erkennen ließ. Hier wie dort erkannte er dabei deutschen Selbstbilder sein »Ich« oder »Wir« unausgesprochen ließ, »Selbstzufriedenheit«.4 Während seines Besuchs im DDR-Presseamt verwandelte sich das Individuelle in erkenntnisleitende Fragen, die im Gebäude des ehemaligen Propagandaministeriums von Joseph autobiographische Erfahrung wurde in die zeitdiagnostische Energie von Nicolas Berg Goebbels in Berlin hörte er den Satz, den die östliche Hälfte des der Wahrnehmung transformiert, eine Wahrnehmung, die offenkun- Landes politisch internalisiert hatte: »Wir haben mit dem Faschismus dig vom Ende der zu erzählenden Geschichte auf das Deutschland gründlich aufgeräumt.«5 In der westlichen Hälfte, so Elon, hätten der 1960er Jahre schaute.11 »In einem heimgesuchten Land« jüngere Intellektuelle zwar damit begonnen, die »Vergangenheit zu bewältigen«6, doch seien sie eine verschwindende Minderheit; im Im Jahr 1965 reiste der Auslandskorrespon- Ganzen erschien es ihm hier, als sei Hitler für die meisten Menschen Verwandelte deutsch-jüdische »Ich«- und »Wir«-Erzählungen dent der israelischen Tageszeitung Haaretz, eine historische Figur aus einer lange vergangenen Zeit. Im Osten Dr. Nicolas Berg ist leitender wissen- Amos Elon, mehrere Monate lang durch Deutschland. Stationen wiederum machte er eine weit verbreitete Haltung aus, als habe Solche Ich- und Wir-Erzählungen, wie sie sich als Folge des Ho- schaftlicher Mitarbeiter am Simon- seiner Reise waren München und Hamburg, Köln, das Ruhrgebiet sich das »Dritte Reich« räumlich weit weg abgespielt. Hier wie dort locaust häufi g gänzlich neu bildeten und ausformten, sind mit den Dubnow-Institut für jüdische Ge- und Berlin, aber auch Dresden, Weimar und Halle an der Saale. herrschte in Bezug auf die Nazi-Jahre ein Formel-Denken vor, im Methoden der Geschichtswissenschaft nicht leicht zu fassen.12 Im schichte und Kultur in Leipzig. Aktuell Seine Beobachtungen erschienen 1967 als Buch unter dem Titel Westen vor allem die Wendung von der »Katastrophe von 1945«7, Folgenden soll dies am Beispiel von Anna Seghers und Victor Klem- forscht er zum Projekt »Das Rätsel In einem heimgesuchten Land – Reise eines israelischen Journa- im Osten wiederum jener »Parteijargon«, der mit gestanzten Begrif- perer untersucht werden, die nach 1945 ihre deutsche und jüdische Produktivität. Völkerpsychologie, Kul- listen in beide deutschen Staaten.1 Dieser sprach zwar von zwei fen wie »Junker« oder »Großindustrielle« die Illusion hegte, alles Herkunft, ihr jeweiliges Verhältnis von »Ich« und »Wir«, neu aus- turtheorie und jüdische Geschichte in Staaten, aber von einem Land und offenbarte so einen den deut- erklärt zu haben.8 Und bei allen Unterschieden zwischen Bonn und formulierten. In ihrer Korrespondenz, in ihren Tagebüchern und der deutschsprachigen Nationalöko- schen Verhältnissen gegenüber stärker Distanz wahrenden Blick: Ostberlin entging dem Autor aus Israel nicht das Gemeinsame beider Erinnerungstexten werden Gedanken festgehalten und auch Ängste nomie des 19. und frühen 20. Jahr- Der Autor richtete sein Augenmerk hier weniger auf den System- Teilstaaten: Hier wie dort hatten Nazis zum Teil hohe Positionen in beschrieben, in denen sie – trotz ihrer Rückkehr und ungeachtet hunderts«. 2003 erschien seine an der konfl ikt, der kurz zuvor zum Mauerbau geführt hatte; vielmehr be- Staat, Wirtschaft und Kulturleben inne, weswegen für ihn feststand: ihres Engagements im neuen Staat – Distanz und Dissonanz zum Universität Freiburg abgeschlossene trachtete er im Singular »das Land«, seine NS-Vergangenheit und Ein »roter Strich unter die Vergangenheit« ist keineswegs »besser Land ihrer Herkunft ausdrücken.13 Diese Ambivalenz war nun zu Dissertation Der Holocaust und die deren in Politik, Medien, Literatur und Alltag verlängerten Folgen. als ein andersfarbiger«.9 einer »Existenzerfahrung« geworden, wie dies Henryk Niether in westdeutsche Geschichtswissenschaft So sah er die neue deutsche Gegenwart unter dem Blickwinkel ei- Für den israelischen Autor war dies »eine der erstaunlichsten – Erforschung und Erinnerung im ner von Ost und West dementierten gemeinsamen Vergangenheit. Entdeckungen, die man auf einer Reise durch die DDR macht«: Göttinger Wallstein Verlag. Sie liegt Durch diese Perspektive kam nicht die deutsche Teilung, dafür inzwischen in dritter Aufl age und in aber ein anderer Riss in der deutschen Geschichte zur Sprache; 10 Ebd., S. 184. englischer Übersetzung vor. 2008 er- Elon begann und beendete sein Buch nämlich mit Eindrücken aus 11 Vgl. Amos Elon, Zu einer anderen Zeit. Porträt der deutsch-jüdischen Epoche schien bei Vandenhoeck & Ruprecht Auschwitz, das in diesem Bericht als zwar exterritorialer, aber als 2 Elon, In einem heimgesuchten Land, S. 17. (1743–1933), München 2003 [engl. Orig.: The pity of it all, New York 2002]. in Göttingen sein Buch Luftmenschen. ein zu Deutschland gehörender Ort Thema ist: Er blickte von hier 3 Ebd., S. 25–46. Dieser Rückblick auf die deutsch-jüdische Erfahrung behandelt das Thema als Zur Geschichte einer Metapher. aus, von einem deutschen Ort außerhalb Deutschlands und über eine 4 Ebd., S. 186; vgl. schon zuvor den Reisebericht von Hannah Arendt, »The After- eine gänzlich abgeschlossene Epoche, die der Autor mit Hannah Arendts Weg ins math of Nazi Rule: Report from Germany«, in: Commentary, Vol. 10 (1950), Exil im Jahr 1933 enden lässt. S. 342–353 (dt. u.d.T. »Besuch in Deutschland«, in: dies., Zur Zeit. Politische 12 Vgl. als Vorbild: Jean Améry, Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversu- Im Wintersemester 2015/2016 hatte Essays, Hamburg 1999, S. 43–70); in der Tradition von Elon steht, bis in die che eines Überwältigten, Stuttgart 1977 [zuerst 1966]; Vivian Liska, »Wenn Nicolas Berg die Gastprofessor für Wiederholung des englischen Untertitels hinein, auch noch Jane Kramer, The Kafka ›Wir‹ sagt«, in: dies., Fremde Gemeinschaft: Deutsch-jüdische Literatur interdisziplinäre Holocaustforschung 1 Amos Elon, In einem heimgesuchten Land. Reise eines israelischen Journalisten Politics of Memory. Looking for German in the New Germany, New York 1996. der Moderne, Göttingen 2011, S. 25–68. in beide deutsche Staaten, München 1966; auszugsweise auch u. d. T.: »Der Esel 5 Elon, In einem heimgesuchten Land, S. 151. 13 Aus der Forschung genannt seien exemplarisch die Bücher von Claus-Dieter am Fritz Bauer Institut an der Goe- aus dem Schoss des Tigers. Beobachtungen in der Bundesrepublik und in der 6 Ebd., S. 179. Krohn, Patrick von zur Mühlen (Hrsg.), Rückkehr und Aufbau nach 1945. Deut- the-Universität Frankfurt inne. Der DDR«, in: Der Spiegel, Nr. 40 vom 26.9.1966, S. 68–83; die englische Überset- 7 Ebd., S. 41. sche Remigranten im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschland, Marburg 1997; vorliegende Text entstand während zung sprach im Untertitel vom »neuen Deutschland«, vgl. ders., Journey 8 Ebd., S. 181; und S. 185: »Vielleicht ist das der größte Propagandaerfolg des Mario Keßler, Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. Remigrierte Historiker dieser Monate. Die Vortragsfassung Through a Haunted Land. The new Germany, London 1967; die französische Regimes. Man spricht von den Greueln der nationalsozialistischen Zeit fast so, in der frühen DDR, Weimar, Wien 2001; Marita Krauss, Heimkehr in ein fremdes Übersetzung von Pierre Barbaud vom »zerrissenen Land«, vgl. ders., Allemagne, als hätten sie sich bei einem anderen Volk zugetragen, mit dem man nichts zu tun Land. Geschichte der Remigration nach 1945, München 2001; Monika Boll, vom 19. November 2015 wurde für die terre déchirée: Voyage d’un journaliste israélien dans les deux états allemands, hat.« Raphael Gross (Hrsg.), »Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können«. Drucklegung überarbeitet und gekürzt. Paris 1967. 9 Ebd., S. 181. Jüdische Intellektuelle in Deutschland nach 1945, Frankfurt am Main 2013.

38 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 39 seiner Studie über die Leipziger Juden nach 1945 genannt hat.14 Sie wo sie dem Vortragssaal entfl ohen und miteinander am Ufer der zog auch eine Selbstverwandlung nach sich, die deshalb nötig war, Oder spazieren gingen, nachdem sie zuvor erlebt hatten, wie der weil die Fraglosigkeit des deutsch-jüdischen Selbstverständnisses Bus, in dem die deutschen Teilnehmer in Polen angereist waren, zerbrochen war. Sichtbar wird nun immer häufi ger und stärker eine »Feindseligkeiten in der Bevölkerung erregt; dann wurde die deut- ganz andere Wir-Bedeutung, die auch das Ich veränderte, das sich sche Aufschrift überdeckt mit den Plakaten des Congresses […].«20 zwar neuen Gruppen, Gemeinschaften und Ideen der Zeit anschloss, Victor Klemperer, 1881 in Landsberg an der Warthe als Sohn eines nicht aber mehr einem wie immer begründeten deutschen Kollektiv- Rabbiners geboren, kannte Seghers persönlich; ihren Roman Das Wir. So sind die hohen Hoffnungen, die Seghers und Klemperer siebte Kreuz las er eher in der Haltung eines pfl ichtschuldigen mit der jungen DDR verbanden, auch als eine Entterritorialisierung Nachholens21, die von ihr angewandte schriftstellerische Technik Deutschlands erkennbar, als ein imaginärer Versuch sozusagen, in lobte er, das Thema selbst erschien ihm »doch eng und partiell«22; einer Idee von Deutschland oder einem nichtdeutschen Deutschland im Tagebuch betrachtet er Seghers als »Prominenz«, als eine »der zu leben. Die Kontrastierung ihrer in persönlichen Texten sichtbar jetzigen Großen« und als Aushängeschild »unsere[r] Autoren«.23 gemachten komplexen Innengeschichte mit ihrer Parteinahme für Als er ihr dann erstmals persönlich begegnete, wirkte sie, so seine den Kommunismus macht einen Hiatus erkenn- und beschreibbar, Notiz im Tagebuch, »etwas chinesisch« auf ihn24, was insofern auch der zum Milieu ihrer jüdischen Erfahrung im frühen Ostdeutschland einen Punkt traf, da sie als offi zielle DDR-Kulturrepräsentantin wird. Das neue Deutschland unter sowjetischer Besatzung und so- für viele Außenstehende häufi g geheimnisvoll, unpersönlich und wjetischem Schutz war sozusagen gar kein Land, denn mit diesem undurchschaubar blieb. »Man glaubt erst, sie lese vor, danach: sie kamen sie gar nicht mehr zusammen. Es war ein Ort, dem sie zwar habe auswendig gelernt. Vollkommen durchgeformte, geradezu ihr »Ich«, nicht aber mehr ihr »Wir« widmen konnten.15 ciceronische Schriftperioden fl ießen ohne Pause, ohne Zögern, Beide wuchsen in jüdischen Familien auf, aber sie wurden ohne alle Betonung, ohne allen Affekt, absolut gleichförmig u[nd] ganz unterschiedlich erzogen und berufl ich und politisch sehr ver- endlos. Der Inhalt, soweit ich ihn auffaßte, war ebenso einförmig u. oben links/oben Mitte: Amos Elon, In einem der Feierstunde zum »Tag des freien Buches«. Zur öfter für einige Tage oder Wochen von ihrem schieden sozialisiert. Die Nazizeit überlebte die Mainzerin Anna gestaltlos: sie erzählte, mit wem sie in Sowjetland bei ihrer neuer- heimgesuchten Land. Reise eines israelischen gleichen Zeit schrieb sie in einer Tagebuchnotiz: politischen Tagesgeschäft, nicht zuletzt bei ihrer Journalisten in beide deutsche Staaten, Titelseite »Ich war traurig, weil meine Sprache Deutsch ist. umfangreichen Korrespondenz (hier eine Aufnahme Seghers im Exil in Frankreich und Mexiko. Hans Mayer, dessen lichen Delegationsfahrt zusammen gewesen. Ich bekam kein Bild und Foto des Autors auf der Umschlagsrückseite der Weil ich in dieser Kultur und Sprache groß wurde.« von 1950). Foto: bpk, Jochen Moll Büchner-Buch sie, wie übrigens auch Klemperer16, über alle Maßen u. schlief immer wieder ein.«25 Nicht wissen konnte Klemperer, bei Kindler erschienenen Erstausgabe von 1966. Foto: SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo schätzte17, lud sie zu Vorträgen nach Leipzig ein und rühmte immer dass Anna Seghers als junge Studentin noch unter dem Namen unten rechts: Die Schriftstellerin wurde in beiden wieder ihre Erzählung »Aufstand der Fischer von St. Barbara«, mit Netty Reiling in den 1920er Jahren in Heidelberg nicht nur bei oben rechts: Anna Seghers hatte die Nazizeit im unten links: In ihrem persönlichen Austausch mit deutschen Staaten und im Ausland als treue französischen und mexikanischen Exil überlebt. Freunden und Bekannten – meist außerhalb Repräsentantin der DDR wahrgenommen. Ihre Reden, der sie 1928 bekannt geworden war. Sein Porträt der Freundin fügte Friedrich Gundolf, Karl Mannheim, Karl Jaspers und Georg Lukács Das Bild zeigt sie kurz nach ihrer Rückkehr nach Deutschlands – zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Artikel und ihre Funktionen im Kulturbetrieb wie er später nicht in sein DDR-Buch ein, sondern in Der Widerruf, in studiert, sondern auch Kurse für chinesische Sprache und Literatur Deutschland am 10. Mai 1947 während einer Die Entfremdung von ihrer Heimat, in der sich die auch die vielen offi ziellen Ehrungen durch Partei sein rückblickendes Werk über die deutsch-jüdische Symbiose.18 belegt hatte. Klemperer wurde von vielen, etwa von Hans Mayer, Ansprache vor der Berliner Universität anlässlich Menschen weigerten, persönliche und politische und Staat erweckten den Eindruck ihrer völligen Seghers besuchte mit Mayer im Herbst 1948 zusammen Auschwitz, vor allem wegen seines 1947 erschienenen Buches LTI (Lingua Verantwortung für die Verfolgung und Vernichtung Übereinstimmung mit der Politik. Am 27. März 1950 der Juden zu übernehmen, wurde zum dominierenden erhielt sie von Wilhelm Pieck, dem Präsidenten der 19 »sprachlos, fast blicklos«, wie er sich erinnerte. Häufi g trafen sie Tertii Imperii) geschätzt, das zu einem Gründungsbuch der DDR Thema ihrer Briefe. Im brandenburgischen DDR, ihre Urkunde zur Aufnahme in die Akademie als offi zielle Delegierte oder Teilnehmer von Konferenzen aufeinan- wurde.26 Klemperer überlebte bekanntlich das »Dritte Reich« nicht Dichterschloss Wiepersdorf erholte sich Anna Seghers der Künste. Foto: Illus/Süddeutsche Zeitung Photo der, etwa im August 1948 in Wrocław auf dem Weltfriedenskongress, im Exil, wie Seghers, sondern in Deutschland. Die Jahre hindurch protokollierte er, vom öffentlichen Leben ausgegrenzt, als Chronist des Dresdner NS-Alltags Erlebnisse und Erfahrungen als »Ster-

14 Hendrik Niether, Leipziger Juden und die DDR. Eine Existenzerfahrung im nenträger« und beobachtete das Alltagsverhalten der Menschen in Kalten Krieg, Göttingen 2015. der Diktatur, deren ständiger Vernichtungsandrohung er nur knapp 15 Aus der breiten Literatur zum Gesamtthema: Georg Schuppener (Hrsg.), Jüdische Intellektuelle in der DDR. Politische Strukturen und Biographien, Leipzig 1999; Moshe Zuckermann (Hrsg.), Zwischen Politik und Kultur. Juden in der DDR, Göttingen 2002. 16 Hier notierte Klemperer noch den Namen falsch (»Alfred«), meinte aber Hans 20 Diese Episode berichtet Klemperer, So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, Mayer, vgl. Klemperer, So sitze ich denn zwischen allen Stühlen. Tagebücher Bd. I, S. 587. 1945–1959, 2 Bde., hrsg. von Walter Nowojski unter Mitarbeit von Christian 21 Ebd., Bd. I, S. 391. Löser, Berlin 1999, hier Bd. I, S. 476; vgl. auch ebd., S. 480 u. 602. 22 Ebd., Bd. I, S. 294. 17 Hans Mayer, Georg Büchner und seine Zeit, Wiesbaden 1946. 23 Ebd., Bd. II, S. 125, 303 u. 346. 18 Hans Mayer, Der Widerruf. Über Deutsche und Juden, Frankfurt am Main 1994, 24 Ebd., Bd. I, S. 383 u. 558. S. 271–286; Mayer hat die drei Bücher Der Turm zu Babel (1991), Wendezeiten 25 Ebd., Bd. I, S. 558 f. (1992) und Der Widerruf (1994) als seine »Deutsche Trilogie« bezeichnet, in: 26 Vgl. ebd., Bd. I, S. 602; Klemperers LTI war in der DDR ein Klassiker und er- ders., Der Widerruf, S. 449. schien mehrfach, 1947 im Aufbau-Verlag, 1957 beim VEB Max Niemayer-Verlag 19 Mayer, Der Widerruf, in Teil V: »Deutsche, Juden, Kommunisten«, das mit einem Halle/Saale und dann noch einmal als Taschenbuch in der Reihe Universalbiblio- Porträt von Anna Seghers beginnt, S. 271–285, hier S. 271. thek im Reclam-Verlag Leipzig.

40 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 41 entkam, geschützt vor allem durch die Ehe mit seiner Frau Eva. war.29 Mit anderen kommunistischen Remigranten etablierte sie für sie nicht der deutsch-deutsche politische Antagonismus, dem Bei Seghers und Klemperer veränderte sich das Verhältnis von sich schnell im neuen Staat und nahm bald hohe Funktionen in der sie rhetorisch Tribut zollte, sondern die große Differenz zwischen  Kulturwissenschaften Ich und Wir vor, während und nach der NS-Zeit. Der protestantisch Kulturpolitik ein. Im Juli 1945 wurde etwa der »Kulturbund zur ihrer alten Heimat und der Welt jenseits der deutschen Grenzen. Aus in der edition text+kritik getaufte Klemperer meinte bis zur NS-Zeit mit »Wir«, je nach Si- demokratischen Erneuerung Deutschlands« gegründet, auf dem Berlin schrieb sie etwa: »Für jemand, der von außen kommt, wirkt tuation, Deutsche, Akademiker oder auch Gebildete, während es Seghers eine Hauptsprecherin war. Doch ungeachtet ihrer Karriere Deutschland oft fremder als die fremden Laender.«34 Sie sagte Ende JAHRBUCH ZUR KULTUR UND im Selbstverständnis von Seghers die Partei, den Staat, die Schicht als Repräsentantin des sozialistischen Musterstaates und als Funk- 1947 über die Deutschen, »die Menschen sind andere Menschen LITERATUR DER WEIMARER REPUBLIK oder Klasse, selten das Judentum und die eigene jüdische Herkunft tionärin der Partei dominierte bei ihr eine große Fremdheit vor als in den romanischen Ländern«.35 Victor Klemperer schildert im Band 17 · 2015/16 bezeichnete. Gemeinsam war ihnen, neben ihrem Beruf als Schrift- Deutschland und den Deutschen. Diese Fremdheit war das Grund- November 1949 eine Szene in einer Präsidiumssitzung des Kultur- Irene Below Irene Dogramaci (Hg.) Burcu steller und Wissenschaftler, dass sie nach 1945 in Deutschland Zu- gefühl für die Schriftstellerin, die im April 1947 aus Mexiko über bunds, die das verbreitete Bild der Seghers als DDR-Repräsentantin kunft suchten, zurückkehrten und davon überzeugt waren, dass die Amerika, Stockholm und Paris nach Deutschland zurückkehrte. In zu erschüttern geeignet ist. Es ging hier um ihre Wiederwahl. Im Gründung der DDR die bessere Antwort auf die zwölf Jahre der Briefen, die ihrer Rückkehr vorausgingen oder die Freunden vor Gremium wollte man ihres großen Namens wegen an ihr festhalten. Diktatur darstellte als die Bundesrepublik. Klemperer suchte in Ber- allem außerhalb Deutschlands ihre ersten Eindrücke schilderten, Alexander Abusch, Johannes R. Becher und andere zeigten jedoch Kunst und Gesellschaft zwischen den Kulturen lin, Greifswald, Halle und vor allem Dresden einen Neuanfang und wiederholte sie ein ums andere Mal ihre Fassungslosigkeit über »erbitterte Ablehnung«, so schildert Klemperer: »Becher: es sei Die Kunsthistorikerin Hanna Levy-Deinhard im Exil und ihre Aktualität heute fand in der DDR im hohen Alter erstmals breite öffentliche berufl iche die Menschen ihrer Umgebung und deren Gegenwartsverhältnis gegen die Würde des Kulturbunds. Sie habe nichts für ihn übrig. Anerkennung. Seghers wählte mit Berlin ebenfalls Ostdeutschland zur NS-Vergangenheit und zum »Abschlachten der Juden« wenige Sie lebe für SU, Friedensidee, ihre Kinder, sie sei von Moskau nach als neue Wirkstätte, und auch sie repräsentierte und pries den neuen Jahre zuvor.30 Sie nannte diese Zeit, als sie in das »kalte Land« der Paris in diesem letzten Jahr, ohne sich um uns zu kümmern. Abusch: edition text+kritik sozialistischen Staat in der Öffentlichkeit, wo und wann immer sie Deutschen zurückkehrte, wortwörtlich eine »Eiszeit«.31 Bevor und in Paris während des Friedenscongresses habe sie sich den Deut- darum gebeten wurde. Gemeinsam war beiden auch, dass sie sich während sie im offi ziellen Kulturleben aufstieg und zur Staats- schen betont ferngehalten, nur französisch gesprochen, auf ihren immer wieder genötigt sahen, ihre jüdischen Erfahrungen im sozi- schriftstellerin des kommunistischen Neuanfangs wurde, drückte sie mexikanischen Paß dort gewesen, ganz international getan. Abusch Irene Below/ Jahrbuch zur Kultur alistischen neuen Gemeinwesen aufgehen lassen, also unsichtbar in Privatbriefen an Freunde und ihr nahestehende Bekannte ihren griff sie fast unverhüllt als Deutschlandfeindin an. Sie scheint ihm Burcu Dogramaci (Hg.) und Literaturder machen zu müssen. In ihren Briefen und Tagebüchern spricht sich Ärger über die Deutschen aus, »die den Nazifaschismus oder den eher Sowjetbürgerin u. internationale Kommunistin. Sie wurde dann Kunst und WeimarerRepublik bei ihnen deshalb eine widerständige Gedächtnisgrammatik aus, in Monopolkapitalismus usw. so darstellen, als sei er ueber das deut- mit allen Stimmen gegen die Havemanns nicht mehr auf die Liste Gesellschaft Band 17, 2015/2016 der das Erinnerungs-Ich sich dem politischen Wir der Nachkriegs- sche Volk gekommen wie die Conquista und die Cortes und seine gesetzt.«36 Die Art und Weise, in der hier im Herbst 1949 DDR- zwischen den etwa 250 Seiten, 32 deutschen verweigerte. Spanier …« Sie selbst habe »bis auf ein paar Freunde niemand Kulturpolitik in der antisemitischen Rhetorik des »Dritten Reichs« Kulturen ca. € 36,– Lebendes in Deutschland.«33 Der alles dominierende Eindruck war praktiziert wurde, macht deutlich, dass Seghers mit Gründen an ISBN978-3-86916-498-4 Die Kunsthistorikerin einem Wir festhielt, das Frankreich und Mexiko und die Interna- Hanna Levy-Deinhard Das Jahrbuch bietet eine »Urteilslos und deformiert« – tionale des Kommunismus weit mehr umfasste als Deutschland. im Exil und ihre interdisziplinär ausge- Anna Seghers über die Nachkriegsdeutschen 29 Philipp Graf, »Habsburger Residuen. Bruno Frei und Leo Katz im kommunist- Als einen der ersten Stoffe für eine literarische Arbeit nach ihrer Aktualität heute richtete Plattform für einen ischen Exil in Mexiko-Stadt, 1941–1946«, in: Nicolas Berg u.a. (Hrsg.), Konstel- Rückkehr schwebte Seghers »die Mentalität eines Dorfes [vor], das etwa 200 Seiten, lationen. Über Geschichte, Erfahrung und Erkenntnis. Festschrift für Dan Diner off Fnen Diskurs und Anna Seghers ist politisch als Staatsschriftstellerin, als Gründungs- an einem Massenmord mitschuldig ist, aber dicht haelt, damit seine ca. € 26,– mitglied der Akademie der Künste und Präsidentin des Schriftstel- zum 65. Geburtstag, Göttingen, Oakville 2011, S. 365–382; ders., »Angesichts Schuld nicht herauskommt, das waere etwas, was ich anstaendig wendet sich an jene, die an des Holocaust: Das deutschsprachige kommunistische Exil in Mexiko-Stadt ISBN 978-3-86916-491-5 37 literatur-, kunst-, lerverbandes der DDR, als »gläubige Kommunistin«, ja Stalinistin 1941–1946«, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow Institute schreiben koennte.« Der Eindruck »einer schwer erklaerbaren und im Gedächtnis geblieben, als Mitglied der SED und Trägerin des Yearbook, Vol. 8 (2009), S. 451–479. beschreibbaren Finsternis, die sich aber anders dartut als wir es Die Kunstsoziologin und kulturwissenschaftlichen Nationalpreises.27 Der politisch abtrünnige Hans Sahl etwa errichtete 30 Seghers, Brief an Jürgen Kuczynski vom 25.6.1945, in: Anna Seghers, Briefe uns vorstellen konnten«, wird von Seghers immer wieder mit Blick Emigrantin Hanna Levy- und historischen seiner ehemaligen Parteigenossin Seghers in seinen Exil-Memoiren 1924–1952, hrsg. von Christiane Zehl Romero und Almut Giesecke, Berlin 2008, auf die älteren Deutschen erklärt, die »urteilslos und deformiert« Deinhard (1912–1984) Fragestellungen zur S. 160–163, hier S. 161; Anna Seghers Mutter war in einem Lager in Polen er- 38 hinterließ ein inhaltlich Weimarer Republik inter- ein bitteres Denkmal. Sie hatte mehrmals versucht, ihn im persönli- mordet worden. An einen Freund schrieb sie: »Wie alle habe ich sehr geliebte, auf sie wirkten. Den raschen Beginn des äußeren Wiederaufbaus chen Gespräch zur Parteiräson zu bringen, er rechnete rückblickend sehr teure Menschen verloren.« (Brief an Nico Rost vom 20.2.1946, in: ebd., reiches, heute vergessenes essiert sind.%JF mit ihr ab, indem er die »somnambule Eindringlichkeit« ironisierte, S. 181–184, hier S. 183). Werk, das seiner Zeit weit UIFNBUJTDIF7JFMGBMUVOE mit der sie Parteibeschlüsse verbreitete und dabei »in eine Art tran- 31 Vgl. insgesamt die Biographie von Christiane Zehl Romero, Anna Seghers. Eine voraus war. Der neue JOUFSEJT[JQMJOÅSF Biographie, Bd. 1: 1900–1947, Berlin 2000; Bd. 2: 1947–1983, Berlin 2003; au- 34 Seghers, Brief an Christfriede Gebhardt vom 5.6.1947 (aus Berlin), ebd., S. 214– szendenten Singsang verfi el, wenn es darum ging, die letzten Be- ßerdem: Alexander Stephan, »›Ich habe das Gefühl, ich bin in eine Eiszeit gera- 216, hier S. 214. Band der Reihe vFrauen "VTSJDIUVOHEFT8FJNBSFS schlüsse des Politbüros bekannt zu machen.«28 Seghers gehörte der ten…‹. Zur Rückkehr von Anna Seghers aus dem Exil«, in: ders., Überwacht, 35 Seghers, Brief an Katharina Schulz vom 16.12.1947, ebd., S. 262–266, hier und Exilj nimmt es in den +BISCVDITTQJFHFMOTJDI Gruppe »Freies Deutschland« an, die in Mexiko im Exil gewesen Ausgebürgert, Exiliert. Schriftsteller und der Staat, Bielefeld 2007, S. 322–343; S. 265. Blick und fragt auch nach BVDIJNOFVFO#BOEXJEFS Monika Melchert, Heimkehr in ein kaltes Land. Anna Seghers in Berlin 1947 bis 36 Klemperer, So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, Bd. I, S. 700 f. dessen aktuellem 1952, Berlin 2011; Doris Danzer, »Eiszeit im Nachkriegsdeutschland: Anna 37 Seghers, Brief an Karl Kleinschmidt vom 12.6.1947 (aus Berlin), in: Briefe Seghers’ Suche nach Geborgenheit und Wärme im ›Volk der kalten Herzen‹«, in: 1924–1952, S. 216 f., hier S. 216 f. Stellenwert. dies., Zwischen Vertrauen und Verrat. Deutschsprachige kommunistische Intellek- 38 Seghers, Brief an Kurt Stavenhagen vom 12.6.1947 aus Berlin, ebd., S. 218–221, tuelle und ihre sozialen Beziehungen (1918–1960), Göttingen 2012, S. 417–434. hier S. 218 f.; im Brief an Bruno Frei vom 9.10.1947, ebd., S. 248–250, hier 27 Peter Merz, Und es wurde nicht ihr Staat. Erfahrungen emigrierter Schriftsteller 32 Seghers, Brief an Jürgen Kuczynski vom 3.12.1945 (aus Mexiko-Stadt), in: Seg- S. 249 u. 250, spricht sie von »einer grossen Dunkelheit« und von der »dunklen mit Westdeutschland, München 1985, S. 36; Krauss, Heimkehr in ein fremdes hers, Briefe 1924–1952, S. 168–173, hier S. 171. und kalten Stadt« Berlin; in einem Brief an Helene Weigel vom 23.10.1947 wie- Land, S. 117. 33 Seghers, Brief an Lore Wolf vom 30.9.1946 (aus Mexiko-Stadt), ebd., S. 199– derholt sie den Eindruck, die Deutschen erschienen ihr »seltsam deformiert«, 28 Hans Sahl, Das Exil im Exil, Frankfurt am Main 1990, 2. Aufl ., S. 302. 202, hier S. 200. ebd., S. 254 f., hier S. 255.

42 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 43 betrachtete sie, ganz ähnlich wie kurz später auch Hannah Arendt um sie herum und davon, wie »vollkommen unwirklich« alles sei49, Bemerkung an Nico Rost, sie wolle nicht in Deutschland sterben, Rede von der »Feindseligkeit der Vereinigten Staaten« und von der bei ihrem Besuch in Deutschland39, mit den Gefühlen größter Am- und sie fügte als Erklärung hinzu: »Es geht ihnen allen so verdammt steht in diesem Zusammenhang.59 »verräterischen Adenauerregierung«, der Klemperer eine Politik bivalenz und bezeichnete ihn als einen »Eifer, der teufl isch wirkt, dreckig, sie sind so fürchterlich schuld daran, sie kapieren das absolut der »geistigen Entdeutschung des deutschen Westens«64 vorwirft. da er auch fuer den Teufel in Betrieb gesetzt wurde«40; dabei aber nicht […].«50 In einem anderen Brief drückt sie denselben Gedanken Der Vortrag kann heute als Dokument zweifach ausgelegt werden: empfand sie die Deutschen als ein »Volk der ›kalten Herzen‹«41 und noch genauer aus: »Die Menschen verstehen jeden Tag weniger, dass »Vom gleichen Faschismus verseucht« – Eine erste, wörtliche Lektüre kommt zum Schluss, dass Klemperer als »so komisch immobil im Denken«42: »Was sie denken und sagen, sie irgendwie, dass sie auch nur im geringsten Schuld haben sollen Victor Klemperer über die geteilte Heimat hier selbst in die »LQI« wechselte, dass er sozialistischen Jargon ist recht verworren […].«43 Am tiefsten verstörte sie dabei »[dieses] an dem Hunger, den sie tatsächlich haben.«51 Deutschland – das spricht, sich an die Sprache und Gedanken der neuen Macht anpasst; sich bei einer Obrigkeit lieb Kind machen zu wollen. Dadurch ist war für Anna Seghers nun »dieses verhexte Land« geworden, ein Viktor Klemperer bezeichnete die Zeit nach der Kapitulation Hitler- die zweite Lesart offenbart einen etwas weniger opportunistischen meine Mutter, und dadurch ist auch mein Freund Scheffer tot.«44 Die Land, in dem die Menschen »um keinen Preis einen Zusammen- deutschlands zunächst als »Wirrwarr«, immer wieder gebrauchte er Sprecher: Klemperer ist auch in dieser Perspektive durchdrungen meisten Deutschen empfand sie als »so stumpf, so verdummt, wie hang verstehen wollen«, darunter auch viele Bekannte von früher, in seinem Tagebuch den Ausdruck »schwankend«.60 Er hatte aber die von der im »Dritten Reich« erworbenen Überzeugung, dass Un- man sich das vorgestellt hat, manchmal eher schlimmer«, einmal nicht nur Mitläufer, sondern auch Opfer des NS-Regimes, mit stark Hoffnung, dazu beizutragen, mit dem vorangegangenen Inferno der heil in Politik und Öffentlichkeit seinen Eingang über die Sprache wählte sie sogar den Begriff »verwildert«, um die Gesellschaft um »verschrobenem und reduziertem Denkvermögen«; das Ganze sei Nazizeit aufzuräumen. In einem Brief von Juni 1946 an einen nach nimmt. Er bleibt seiner These treu, dass die Sprache als Seismograph sich herum und den Grund ihrer zunehmenden Distanz zur ehema- »schwer zu schildern«.52 Nach der Rückkehr aus Paris, wo sie ih- New York emigrierten Freund schrieb Klemperer in drastischen das Grobe, Falsche und das politisch Schlechte erkennbar macht. ligen Heimat zu beschreiben.45 Im Juni 1948 berichtet sie von einer re Kinder besucht hatte, wird der schon zuvor heftig empfundene Worten über sein Motiv, in Deutschland zu bleiben: »Ich möchte gar Liest man den Text nicht deutsch-deutsch (wie er sich selbst gibt), Depression, die auf ihr laste.46 Albdruck ihrer deutschen Umwelt stärker und stärker, Deutschland zu gerne am Auspumpen der Jauchegrube Deutschland mitarbeiten, sondern mit dieser von ihm im »Dritten Reich« durchlebten jüdi- Nicht nur die Menschen waren ihr fremd, auch das positive kommt ihr »noch viel sonderbarer vor wie am Anfang«, vor allem daß wieder etwas Anständiges aus diesem Lande werde.«61 1950 schen Erfahrung, so hält man mit diesem Vortrag die fundamentale Gefühl für Landschaft und für die deutsche Sprache entglitt ihr. in Bezug auf den »merkwuerdige[n] intellektuellen Bruch«.53 Ihrer wurde er als Abgeordneter des DDR-Kulturbunds auch Mitglied der Lehre des jüdischen Überlebenden des Holocaust in die Passform In der Erzählung »Der Besuch« heißt es noch 1956, dass auch sie, Freundin Erika Friedländer ruft sie in einem Brief fast verzweifelt Volkskammer. Nur ein Jahr später, dem Todesjahr seiner Frau Eva, der neuen politischen Opportunität in den Händen. Sein Appell der unabhängig von der über Jahre hinweg geltenden Sehnsucht im zu: »Was dieses Europa einen schönen Rand hat und ein unange- verlieh ihm die Technische Universität Dresden anlässlich seines »Bewahrung der deutschen Kultur« und das von ihm verteidigte Exil, »eine harte, kahle Sprache« geworden sei. Das eigene »tiefe nehmes Mittelstueck.«54 Deutschland – das war für sie nun nicht 70. Geburtstages die Ehrendoktorwürde. Kurz darauf erhielt er auch »Gebot der Ehrfurcht vor dem klassischen Literaturerbe«65 evoziert kindliche Heimatgefuehl« sei ihr, so bilanziert sie bereits im No- mehr die Heimat, sondern »das denkbar beste Exerzierfeld fuer den den Nationalpreis der DDR für Kunst und Literatur. 1956 hält ein das andere, das klassisch-idealistische Erbe Weimars. Sprache, so vember 1947, abhanden gekommen, die vertraute Landschaft sei »zu Faschismus«.55 Es ist die in ihren Privatbriefen dieser Jahre erkenn- bekanntes Fotodokument den Augenblick fest, in dem Klemperer Klemperer, ist nie »das Werk nur einer Epoche, nur eines gesell- sehr an Grausamkeit gebunden an die Vernichtungen der liebsten bar werdende zunehmende Entfremdung, die Seghers wiederholt den Vaterländischen Verdienstorden aus den Händen von Wilhelm schaftlichen Zustandes«, sondern »Generationen über Generationen Menschen meiner Jugend.«47 Immer wieder betont Seghers die sie ihre mexikanische Staatsangehörigkeit hervorheben lässt, immer Pieck, Präsident der DDR, entgegennimmt.62 Drei Jahre zuvor hatte [haben] an ihr geschaffen«, sie ist »das Gemeinschaftswerk eines umgebenden Kälte, »die Menschen« empfand sie als »sonderbar öfter betont sie, dass sie »ja keine Deutsche« sei56, dass sie seit ihrer Klemperer in dem Vortrag »Zur gegenwärtigen Sprachsituation in ganzen Volkes«.66 Tatsächlich kritisiert Klemperer hier – unge- kalt«.48 Sie spricht Freunden gegenüber von »greulichen Menschen« Heirat »keine deutsche Staatsangehoerigkeit« besitze57 und »aus Deutschland« im Klub der Kulturschaffenden in Berlin »Stalins achtet der Anrufung Stalins – das dogmatische Sprachverständnis einem anderen Volk komme«.58 Auch ihre fast beiläufi g gemachte Genialität«63 gepriesen. Der Vortrag begann mit der Ausdeutung des Marxismus, für den Sprache ein neutraler Befund ist. Nur die eines Stalin-Zitats über die Nation und über seine These von der Sonderinteressen von Klassen prägten ihre je eigenen Begriffe. Einheit der Nation durch die »Einheit der Sprache« aus dessen Klemperer distanziert sich von dieser These mit der wiederkehren- 1913 erschienen »Marxismus und nationale Frage«. Hier ist die den Berufung auf Stalin: »Sprache ist Ausdruck, Gefäß, Körper der 39 Hannah Arendt, Besuch in Deutschland. Mit einem Vorwort von Henryk M. 49 Im Orig. spanisch: »completamente irreal«, vgl. Anna Seghers, Brief an Clara gesamten Denkarbeit einer Nation.«67 Broder, Berlin 1993; zu Arendts Deutschland-Reise 1949/50 vgl. Elisabeth Gal- Porset-Guerrero vom 22.6.1947, ebd., S. 228 f., hier S. 229 (dt. Übersetzung in: las, »Im Leichenhaus der Bücher«. Kulturrestitution und jüdisches Geschichts- dies., »Hier im Volk der kalten Herzen«, S. 77–79, hier S. 79). Dieser durch Vortrags- und Lehrmöglichkeiten in Dresden, denken nach 1945, Göttingen 2012, S. 234–245. 50 Seghers, Brief an Sally David Cramer vom 31.7.1947, ebd., S. 232–234, hier Halle, Leipzig und Berlin sowie durch vielfältige Vortragseinla- 40 Ebd., S. 220. S. 233 f. 59 Anna Seghers, Brief an Nico Rost vom 1.6.1948, ebd., S. 297–299, hier S. 298. dungen und Publikationsmöglichkeiten und allerlei Komfort (etwa 41 Im Orig. spanisch »el pueblo de ›los corazones fríos‹«, vgl.: Anna Seghers, Brief 51 Seghers, Brief an Irene With vom 7.8.1947, ebd., S. 240–242, hier S. 241. 60 Klemperer, So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, passim. einem Dienstwagen mit Fahrer) noch unterstrichene Aufstieg in an Clara Porset-Guerrero vom 22.6.1947, in: Seghers, Briefe 1924–1952, 52 Seghers, Brief an Irene With vom 24.9.1947, ebd., S. 246–248, hier S. 247. 61 Siegfried Heimann, Politische Remigranten in Berlin, in: Krohn, von zur Mühlen S. 228 f., hier S. 229 (dt. Übersetzung des Briefes: Anna Seghers, »Hier im Volk 53 Seghers, Brief an Egon Erwin und Gisela Kisch vom 22.12.1947, ebd., S. 272– (Hrsg.), Rückkehr und Aufbau nach 1945, S. 189–210, hier S. 210; zu Klemperers der DDR wird im Tagebuch vielfach konterkariert. Im »Wirrwarr der kalten Herzen«. Briefwechsel 1947, hrsg. von Christel Berger, Berlin 2000, 274, hier S. 272. Tagebuch-Werk insgesamt v.a.: Steven E. Aschheim, »Victor Klemperer and the der Zeit« nach 1945 wird Deutschland zum Land »der versunke- S. 77–79, hier S. 79); an Georg Lukács heißt es im Juni 1948: »Ich habe manch- 54 Seghers, Brief an Erika Friedländer von Mitte Dezember 1947, ebd., S. 267–269, Shock of Multiple Identities«, in: ders., Scholem, Arendt, Klemperer. Intimate nen Judenwelt« für Klemperer: »Nie mehr werde ich unbefangen mal das Gefuehl, dass ich bald vereise. Ich habe das Gefuehl, ich bin in eine hier S. 269. Chronicles in Turbulent Times, Bloomington & Indianapolis 2001, S. 70–98; sein.«68 Für ihn, so schreibt er, kann es nicht mehr anders sein, als Eiszeit geraten, so kalt kommt mir alles vor.« Seghers, Brief an Georg Lukács 55 Seghers, Brief an Bruno Frei vom 11.2.1948, ebd., S. 282–284, hier S. 283. Kornélia Papp, Deutschland von innen und von außen. Die Tagebücher von vom 28.6.1948, ebd., S. 308–311, hier S. 310. 56 Seghers, Brief an Lore Wolf vom 1.11.1947, ebd., S. 256–258, hier S. 257; ähnli- Victor Klemperer und Thomas Mann zwischen 1933 und 1955, Berlin 2006; dass »ich nun alles, ich mag wollen oder nicht, sub specie Juda- 42 Seghers, Brief an Lore Wolf vom 1.11.1947, ebd., S. 256–258, hier S. 257; sie che Formulierungen auch in: Brief an Erika Friedländer vom 19.11.1947, ebd., Denise Rüttinger, Schreiben ein Leben lang. Die Tagebücher des Victor eorum betrachten muss.«69 Er muss sich zur »Beglücktheit«70 über könnten sich, so Seghers, weiter über diesen sie stark irritierenden Grundzug der S. 258–260, hier S. 259; Brief an Bruno Frei vom 11.2.1948, ebd., S. 282–284, Klemperer, Bielefeld 2011; Lothar Zieske, Schreibend überleben, über Leben Deutschen, »schwer in was reindenken«. hier S. 282. schreibend. Aufsätze zu Victor Klemperers Tagebüchern der Jahre 1933 bis 1959, 43 Seghers, Brief an Sally David Cramer vom 16.6.1947, ebd., S. 221–223, hier 57 Seghers, Brief an den Deutschen Volksrat vom 7.5.1948, ebd., S. 290. Berlin 2013. S. 222. 58 Seghers, Brief an Elisabeth Zakowski vom 16.12.1947, ebd., S. 270 f., hier 62 Vgl. etwa Abb. 29, in: Peter Jacobs, Victor Klemperer. Im Kern ein deutsches 64 Ebd., S. 25. 44 Ebd., S. 223. S. 271; weiter heißt es hier: »Schlechte und Teufl ische gibt es ueberall, aber eine Gewächs. Eine Biographie, 3. Aufl ., Berlin 2010. 65 Ebd., S. 25 f. 45 Seghers, Brief an Erika Friedländer vom 16.6.1947, ebd., S. 223–227, hier so gleichmaessige Senkung nicht nur des moralischen, des politischen usw. 63 Victor Klemperer, Zur gegenwärtigen Sprachsituation in Deutschland. Vortrag, 66 Ebd., S. 5. S. 223 f. Niveaus, sondern des gesamten Intellekts, ist wirklich ein Phaenomen. Ich glaube gehalten im Klub der Kulturschaffenden Berlin, Berlin: Aufbau-Verlag 1953, 67 Ebd., S. 7. 46 Seghers, Brief an Kurt Stern vom 9.6.1948, ebd., S. 300 f., hier S. 301. nur, dass man diese Sache nicht sich selbst ueberlassen kann, dass etwas ge- S. 4. Die Titelei weist den Autor als »Nationalpreisträger Prof. Dr. phil. Dr. paed. 68 Klemperer, So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, Bd. I, S. 56. 47 Seghers, Brief an Lore Wolf vom 1.11.1947, ebd., S. 258. schieht oder nicht geschieht in der Richtung, in der man selbst handelt oder nicht h.c.« aus. Der Vortrag wurde auch an den polnischen Universitäten in Warschau, 69 Ebd., S. 13 u. 16. 48 Ebd. handelt.« Krakau und Wroclaw gehalten. 70 Ebd., S. 62.

44 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 45 die wiedererlangte Freiheit nach dem Ende des Krieges regelrecht Das Medium seiner Deutschlandkritik bleibt auch nach 1945 zwingen; einmal nennt er das Überleben sogar einen »Sieg des und 1949 immer die Sprache.84 Noch immer oder wieder kons- Judentums«71: »Ich muß mir ein bisschen oft sagen«, so heißt es tatiert Klemperer ein »krankes Deutsch«85. Bald tritt er im Zorn weiter, »du bist jetzt im Paradiese, verglichen mit dem vergange- des Augenblicks sogar dafür ein, »ein antifaschistisches Sprach- nen Zustand.«72 Doch das Tagebuch vermerkt schon ab Sommer amt« einzusetzen, doch bald beginnt er damit, »dem marxistischen 1945 immer häufi ger die enttäuschte Hoffnung auf das erwarte- Sprachgebrauch« systematischer und wissenschaftlich nachzu- te »Ausmisten«73 im System der politischen Elite. Das Erstarren gehen86 und seine sprachkritische Arbeit, die in der NS-Zeit das über »die grausige Fülle« von Todesnachrichten nimmt nicht ab, lateinische Kürzel »LTI« erhalten hatte, unter dem Akronym sondern zu74; der Frieden war nun Wirklichkeit, aber »mit wieviel »LQI« fortzusetzen: »Jede paedagogische und historische Rund- Millionen Toten erkauft!«, so sein Ausruf im Privatraum der ei- funksendung wimmelt von Entstellungen. Und dabei hätte man’s genen Notizen.75 Immer wieder unterbricht er Eintragungen der doch nicht nötig zu lügen!«87 Auch die kommunistische Partei, so Zuversicht und des Aufbruchs und fällt sich selbst in den Arm, ruft der enttäuschte Tagebuch-Chronist, etablierte nun gesellschafts- sich zu »Zurückhaltung« auf und schiebt Bemerkungen ein wie und geschichtsbezogene Sprachformeln, die an jene jüngst erst jene, die Juden dürften sich »nicht vordrängen und als Nutznießer überwundenen erinnern: »Ich werde in die Lage der Hitlerjahre und Sieger aufspielen«.76 »Ich mag nur nicht als jüdischer Rache- zurückgedrängt: für den Schreibtisch zu arbeiten. Vielleicht ver- geist und Triumphator erscheinen.«77 Durch die Veröffentlichung öffentlicht es jemand später einmal.«88 Ein Eintrag aus der frühen dieses Tagebuch-Dokuments von Klemperer können wir heute Nachkriegszeit lautet: »Die KPD hier unterstützt den Juden nicht so den inneren und intellektuellen Widerstreit verfolgen, in dem er eifrig wie etwa den Parteigenossen – sie wittert im Juden offenbar sich in der Frühzeit der DDR wähnte. Einerseits wollte er nun aus mit Mißtrauen den Kaufmann, Nicht-Arbeiter, Kapitalisten.«89 Oft dem Erlebten allgemeine Schlüsse ziehen. Im Januar 1950 notiert wird Klemperer durch Gefühle überwältigt, die er mitnotiert: »Der er etwa: »Ich mag nicht die Judenerinnerung schreiben, ich muß Kulturcurs der SED ist mir verhaßt«, er spüre mehr und mehr den 78 90 mich allgemein halten.« Dann aber dokumentiert er immer wie- »alten Platz ›zwischen den Stühlen‹«. Im Mai 1950 heißt es in Abb. o.: Victor Klemperer erhält am 6. Oktober 1952 der die »dunkelschwülstigen«79 alten Bilder und wiederkehrenden der deutlichsten Form: »Auseinanderklaffen in allem Geistigen mit in der Deutschen Staatsoper Berlin aus den Händen Ressentiments des »neu erwachenden Antisemitismus«80 und die der SED. Ich kann aber nicht nach Westen ausweichen, der ist mir von Wilhelm Pieck den Nationalpreis für Wissen- allgemeine »Degradierung der Vernunft«, die er für die tiefste, »die noch zuwiderer.«91 Im Oktober 1957 spricht der 76-Jährige dann schaft, Technik, Kunst und Literatur III. Klasse. Es war dies der Höhepunkt seiner öffentlichen Anerken- eigentlich deutsche« Wurzel des Unheils hält und keineswegs nur aus, was auch zuvor in all den Jahren in seinen Aufzeichnungen nung. Foto: Bundesarchiv, Hans-Günter Quaschinsky im westlichen Teil des besetzten Deutschlands, sondern auch in mal mehr, mal weniger direkt zum Ausdruck kommt: »Im übrigen der SBZ ausmacht.81 An den Aufmärschen der Nationalen Front konstatiert er später voller Skepsis den »ungeheuer militärischen Schneid«, die Feier sei mit ihren Parolen geradezu »kriegerisch« gewesen und habe im Ganzen dem Ritual der Hitlerjugend ge- 84 Heide Gerstenberger, »›Meine Prinzipien über das Deutschtum und die verschie- denen Nationalitäten sind ins Wackeln gekommen wie die Zähne eines alten 82 ähnelt . Auch hört Klemperer jemanden sagen, der Handel zwi- Mannes‹. Victor Klemperer in seinem Verhältnis zu Deutschland und zu den schen den Zonen und mit dem Ausland werde von »den« Juden Deutschen«, in: Hannes Heer (Hrsg.), Im Herzen der Finsternis. Victor Klemper- organisiert; er fragt zurück: »Nur die Juden? Er: natürlich nicht: er als Chronist der NS-Zeit, Berlin 1997, S. 10–20; Cornelia Essner, »Odysseus ›nur‹… aber doch die Juden. Er fand auch, man sei zu hart gegen beim Polyphem. Das Tagebuch Victor Klemperers«, in: Antisemitische Bruch- stücke. Zehn Geschichten aus dem Dritten Reich, Berlin, Tübingen 2014, S. 23– 83 die einstigen Pg’s. Da sei doch auch Sozialismus dabeigewesen!« 38. 85 Klemperer, So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, Bd. II, S. 37 u. 48. 86 Ebd., Bd. I, S. 38; auch Bd. II, S. 24. 87 Ebd., S. 38; zur »LTI« auch: Arvi Sepp, Art. »LTI«, in: Enzyklopädie jüdischer 71 Ebd., S. 73 f. Geschichte und Kultur, im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaft 72 Ebd., S. 47 f. hrsg. von Dan Diner, Bd. 3, Stuttgart, Weimar 2012, S. 566–571. 73 Ebd., S. 56, 62 u.ö. 88 Klemperer, So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, Bd. II, S. 38; zu den fort- Abb. l: Klemperer (hier im Juli 1946) setzte im Selbst- Abb o.: In seinen Tagebüchern vermerkte der 74 Ebd., S. 72. laufenden Notizen zur »Lingua Quartii Imperii« vgl. die folgenden Tagebuch- gespräch seiner privaten Aufzeichnungen die kritischen Romanist nicht nur in den Wochen und Monaten 75 Ebd., S. 74. Bemerkungen: ebd., Bd. II, 5, 12, 16, 24, 45 u.ö.; insgesamt: Heidrun Kämper, Notizen über Sprache und Denken in Politik, unmittelbar nach Kriegsende, sondern auch in den 76 Ebd., S. 14 u. 17. »LQI – Sprache des Vierten Reichs. Victor Klemperers Erkundungen zum Nach- Gesellschaft und Alltag auch im Nachkriegsdeutsch- Jahren und Jahrzehnten seit der Staatsgründung der 77 Ebd., S. 12; ähnlich auch schon S. 7, 9, 73 u.ö. kriegsdeutsch«, in: Armin Burkhardt, Dieter Cherubim (Hrsg.), Sprache im Leben land fort. Ihn empörten vor allem die alltäglichen DDR ein ums andere Mal seine Enttäuschung über 78 Ebd., Bd. II, S. 6. der Zeit. Beiträge zur Theorie, Analyse und Kritik der deutschen Sprache in Ver- Szenen des privaten Verdrängens, wie sie ehemalige das gesellschaftspolitische Klima und den Umgang 79 Ebd., Bd. I, S. 83. gangenheit und Gegenwart. Helmut Henne zum 65. Geburtstag, Tübingen 2001, Mitglieder der NSDAP häufi g an den Tag legten, etwa mit der Vergangenheit. Das Bild zeigt im Faksimile 80 Ebd., S. 9. S. 175–194. wenn einer sagte: »Es war doch auch viel Sozialismus die Fortsetzung des Eintrags vom 21. Juni 1945 81 Ebd., S. 47. 89 Klemperer, So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, Bd. I, S. 27. dabei«. Solche Sätze bestärkten seine Zweifel, ob er zu und den Beginn des Eintrags vom 22. Juni 1945 82 Ebd., Bd. II, S. 15. 90 Ebd., Bd. II, S. 37 u. 48. diesen Deutschen überhaupt noch gehören wollte. (Orig. 29,7 x 21 cm). 83 Ebd., S. 51. 91 Ebd., S. 37. Foto: SLUB/Deutsche Fotothek, Abraham Pisarek Foto: SLUB/Deutsche Fotothek

46 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 47 wird mir die Politik immer widerlicher – sie lügen u. stinken alle der Kulturfähigkeit und der Reinigung des beiderseitigen deutschen somit symbolisch, sondern konkret und politisch. Deshalb konnte auch Varianten des Nachdenkens über Deutschland benannt, und beide (Osten u. Westen) gar zu sehr.«92 Geisteslebens gekommen sind«.104 So klingt der folgende Satz wie man in dieser Zeit die deutsche Frage von innen und von außen die eigene Zugehörigkeit zu diesem Land bildet sich noch einmal Nicht nur die neue politische Klasse und das Establishment ein Fazit aus der Summe seiner Distanznahmen: »Deutschland ist zugleich betrachten. Deutschland – das war die soeben vergangene in Kategorien der Überlieferung ab, in Quellenformen oder -gattun- liefern Enttäuschungen. Auch die Deutschen im Allgemeinen lassen ein in zwei Stücke zerfahrener Regenwurm; beide Teile krümmen Katastrophe des Nazismus und der Neuanfang in der Gegenwart; gen, dem Brief (bei Seghers) und dem Tagebuch (bei Klemperer). ihn auf Distanz gehen: »Jeder will nur zwangsweise Pg. gewesen sich, beide vom gleichen Faschismus verseucht, jeder auf seine und Deutschland – das waren auch beide sich abzeichnende deutsche Es gibt eine andere Ideengeschichte, die sich nicht in den Haupt- sein.«93 Und: »Das Volk ist so rettungslos dumm u. gedächtnislos.«94 Weise.«105 Staatsgebilde in Ost und West. So machten es sowohl Geschichte als werken ausspricht, sondern die ganz innen stattfi ndet, dort, wo nur Es sei ihm, so Klemperer, »eigentlich ein widerwärtiges Gefühl, auch Politik dieser Jahre dem Betrachter nicht schwer, innen zu sein Briefe, Tagebücher und Memoiren hinreichen. Und da manche Ge- noch einmal mit diesen Menschen hier etwas zu tun haben zu und zugleich von außen auf das Geschehen zu blicken. schichten nur dort stattfi nden, kaum »außen« und weit entfernt von sollen.«95 Klemperer äußert sich zunehmend fassungslos über die Das Innere der Geschichte Anna Seghers und Victor Klemperer nicht als Schriftsteller, den an die Öffentlichkeit adressierten Texten, gehört es methodisch »Verzeihungs- und gerührte[n] Liebeserklärungen an alle gutwilli- Akademiker und Philologen zu betrachten, sondern als Tagebuch- zur Aufmerksamkeit der Historiker, auch den Ort aufzusuchen, an gen Pg’s.«96 Ihn ärgerte auch das so ungebrochen daherkommende Es gehört zur Grundsatzentscheidung nicht weniger Emigranten, und Briefschreiber und so ihren Beruf und ihre Berufung jenseits dem sich entscheidet, wann das »Ich« aus dem gegebenen »Wir« sozialistische Selbstbewusstsein, das »Superlativieren« von Jo- dass sie, um ihre Hoffnung auf das »andere Deutschland« zu be- ihres »Hauptgeschäfts« (ein Ausdruck von Goethe, den Theodor W. herausgelöst wird (oder herausgelöst werden muss), wann sich die hannes R. Becher, den man schon im Sommer 1945 »zum größten wahren und zu schützen, als Gast in Deutschland sein wollten, nicht Adorno liebte) zu sehen, das eröffnet die Möglichkeit, einen Blick umfassende Bedeutung des von uns oder anderen ausgesprochenen deutschen Dichter« erhob.97 Zugleich stößt es ihn ab, wie man »stur« als Deutsche, als Rückkehrer oder auch nur als Staatsbürger. Peter hinter das offi zielle und öffentliche Werk der beiden Intellektuel- »Wir« verändert. Marx und Engels nachbetet: »Und welche Enge, daß der Dichter Merz hat in seiner Studie Und das wurde nicht ihr Staat gezeigt, len zu werfen. Zugleich sind mit dieser »First-Person-History«108 nur seine eigene Klasse zu schildern vermag! Überhaupt steht hier wie viele von ihnen die Rückkehr lange hinauszögern und dann die Klasse wie bei den Nazis Art steht.«98 Einer SED-Sekretärin ge- Nachbarstaaten als endgültige Heimat oder als Wohnsitz wählen: »In steht er im Juni 1947 in einem Gespräch einmal, als sie ihm von Deutschland«, so schrieb Merz 1985, »sind sie nur noch Gäste – wie 108 Omer Bartov, »H. G. Adler und First-Person-History«, in: Julia Creet, Sara R. den Indoktrinationen ihrer Schulzeit berichtet hatte: »So wie Sie Walter Mehring und Hermann Kesten, Robert Neumann und Tho- Horowitz, Amira Bojadzija-Dan (Hrsg.), H. G. Adler. Life, Literature, Legacy, vor einem Juden zurückschauderten, so verspürt unsereiner einen mas Mann, Jean Améry und Ludwig Marcuse, Carl Zuckmayer und Evanston, Ill. 2016, S. 119–137. Blutgeruch, wenn er von einem Menschen hört, er sei Staatsanwalt Klaus Mann.« Ebenfalls zu nennen wären Paul Celan, Nelly Sachs im dritten Reich gewesen.«99 Klemperer, der in der Frühzeit der und Elias Canetti.106 »Auch wer sich neu beheimaten kann und das DDR Vorträge nicht nur im Osten, sondern auch im Westen hält100, Bürgerrecht eines andern Landes erwirbt«, so hat dies Karl Löwith hat kein Vertrauen in die beiden deutschen Staaten: in den Westen formuliert, »wird einen grossen Teil seines Lebens verbrauchen, um sowieso nicht, aber auch über den Osten schreibt er: »Ich weiß, diesen Riss auszufüllen.«107 daß die demokratische Republik innerlich verlogen ist«, so über Beide hier betrachtete Intellektuelle haben ihre Zurückhaltung die Gründung der DDR.101 Seinen politischen Eifer für die SED, Deutschland gegenüber nicht in ihren Hauptwerken erörtert, in ihrem mit dem er in den Nachkriegsjahren seinen Beitrag zur »Entdun- Beruf oder was sie dafür hielten, haben sie dies gar nicht oder nur kelung« der Nazifolgen leistet, empfi ndet er bald als eine »rote am Rande beachtet. Seghers hat dieser Erfahrung nicht als Schrift- Schminkeschicht«.102 So hält es Klemperer bei genauem Hinsehen stellerin, Klemperer nicht als Universitätslehrer Ausdruck verliehen. Durch die Linse der SS – und im Unterschied zu den antisowjetischen und antirussischen In beiden Innentexten, durch die wir aufgrund der zeitgenössischen Deutschen – zuletzt mehr mit den Besatzern als mit den Besetzten Briefe, der Tagebücher und der Erinnerungstexte Kenntnis haben, und ist der Meinung, dass die Anwesenheit von Panzern der Roten wird Deutschland wie von außen geschildert. Diese Beobachtung 2007 erhielt das United States Holocaust Memorial Armee eine Überlebensgarantie des politischen Friedens darstellt103: ist nur scheinbar redundant. Denn beide beschreiben als Zeit- und Museum ein Fotoalbum. Dieses entpuppte sich schnell als »Nicht weil er Gleichheitszeichen zu den Verhältnissen im Nazireich Augenzeugen der zweiten Hälfte der 1940er Jahre und der darauffol- Sensation. Denn es gehörte Karl Höcker, Adjutant des glaubt setzen zu müssen«, so sein Biograph Peter Jacobs, »sondern genden Jahre deutsche Verhältnisse; sie sind biographisch untrennbar letzten Lagerkommandanten von Auschwitz, Richard Baer. weil ihm angesichts der neuen Verhältnisse nachhaltige Zweifel an mit der deutschen Kultur und der deutschen Literatur verbunden, die ihnen dabei aber mehr und mehr zum Arbeitsstoff wird. Am Wen- Die Bilder geben ganz neue Hinweise auf Verbindungen depunkt und in der Zwischenzeit der Besatzung von 1945 bis 1949 der SS-Größen. Und sie zeigen Verantwortliche und Aus- führende des Massenmords, die hier erstmals identifizier- 92 Ebd., S. 656. – und dann vor allem mit der doppelt erfolgten Staatsgründung – ist 93 Ebd., Bd. I, S. 9; ähnlich auch ebd., S. 15, 52, 73, 82, 95 u.ö. der gewählte Bezug auf Deutschland auch tatsächlich ein besonde- bar werden. Die Texte erschließen das Album wie auch den 94 Ebd., S. 51. rer, es gibt Deutschland ja mehrfach, nicht nur in Innenbildern und Fall Höcker. 95 Ebd., S. 8. 96 Ebd., Bd. II, S. 5. 97 Ebd., Bd. I, S. 89. 98 Ebd., Bd. II, S. 24. 99 Ebd., Bd. I, S. 393. 104 Ebd., S. 354 f. 340 S.,150 s/w Abb., geb. mit SU 100 Jacobs, Victor Klemperer, S. 300 u. 353. 105 Ebd., S. 363. € 49,95. ISBN 978-3-8053-4958-1 101 Zit. nach ebd., S. 326. 106 Merz, Und das wurde nicht ihr Staat, S. 87 u. 220. 102 Zit. nach ebd., S. 304 u. 362. 107 Karl Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933: Ein Bericht, Neu- 103 Ebd., S. 326. ausgabe, Stuttgart 2007, S. 136.

48 Einsicht Einsicht 15 Frühjahr 2016 49 Rezensionen Buchkritiken

58 Thomas Darnstädt: Nürnberg. Menschheitsverbrechen 71 Rüdiger Hachtmann, Sven Reichhardt (Hrsg.): 82 Peter Huth (Hrsg.): Die letzten Zeugen. Der Auschwitz- vor Gericht 1945 Detlev Peukert und die NS-Forschung Prozess von Lüneburg 2015. Eine Dokumentation Nürnberger Menschrechtszentrum (Hrsg.): Das von Kurt Schilde, Berlin/Potsdam von Werner Renz, Fritz Bauer Institut Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46. Die Reden der Hauptankläger. Neu gelesen und 72 Stephan Braese, Dominik Groß (Hrsg.): NS-Medizin 83 Ursula Wamser, Wilfried Weinke (Hrsg.): »Ich kann kommentiert und Öffentlichkeit. Formen der Aufarbeitung nach 1945 nicht vergessen und nicht vergeben« von Alexa Stiller, Bern von Christoph Schneider, Frankfurt am Main Andrea Löw, München

60 Matthias Gafke: Heydrichs Ostmärker. Das 73 Marceline Loridan-Ivens, mit Judith Perrignon 84 Dieter J. Hecht, Eleonore Lappin-Eppel, Michaela österreichische Führungspersonal der Sicherheitspolizei Und du bist nicht zurückgekommen Raggam-Blesch: Topographie der Shoah. und des SD 1939–1945 von Roland Kaufhold, Köln Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien von Remko Leemhuis, Berlin von Alexandra Klei, Berlin 74 Ernst Würzburger: »Der letzte Landsberger«. 61 Kim Wünschmann: Before Auschwitz. Jewish Prisoners Amnestie, Integration und die Hysterie um die 85 Helga Krohn: Bruno Asch – Sozialist. Kommunalpolitiker. in the Prewar Concentration Camps Kriegsverbrecher in der Adenauer-Ära Deutscher Jude. 1890–1940 von Elisabeth Gallas, Leipzig von Volker Rieß, Ludwigsburg von Katharina Rauschenberger, Fritz Bauer Institut

62 Gideon Greif, Itamar Levin: Aufstand in Auschwitz. 75 Hans-Christian Dahlmann: Antisemitismus in Polen 86 Elke Gryglewski, Verena Haug, Gottfried Die Revolte des jüdischen »Sonderkommandos« am 1968. Interaktionen zwischen Partei und Gesellschaft Kößler, Thomas Lutz, Christa Schikorra (Hrsg.): 7. Oktober 1944 von Monika Tokarzewska, Toruń Gedenkstättenpädagogik – Kontext, Theorie und Praxis Rezensionsverzeichnis von Jochen August, Berlin/Oświęcim der Bildungsarbeit zu NS-Verbrechen Liste der besprochenen Bücher 76 Imke Hansen: »Nie wieder Auschwitz!« von Kerstin Engelhardt, Berlin 64 Alexander Pinwinkler: Historische Die Entstehung eines Symbols und der Alltag einer Bevölkerungsforschungen. Deutschland und Österreich Gedenkstätte 1945–1955 88 Wolfgang Kaleck: Mit Recht gegen die Macht. im 20. Jahrhundert Katharina Stengel, Fritz Bauer Institut Unser weltweiter Kampf für die Menschenrechte 52 Klaus-Michael Mallmann, Andrej Angrick, Jürgen von Nicolas Berg, Frankfurt am Main/Leipzig von Gerd Hankel, Hamburg Matthäus, Martin Cüppers (Hrsg.): Deutsche Berichte 77 Christiane Schubert, Wolfgang Templin: Dreizack aus dem Osten 1942/1943. Dokumente der Einsatzgruppen 66 Jovan Ćulibrk: Historiography of the Holocaust in und Roter Stern. Geschichtspolitik und historisches 89 KZ-Gedenkstätte Neuengamme: Gedenkstätten und in der Sowjetunion Yugoslavia Gedächtnis in der Ukraine Geschichtspolitik von Martin Holler, Berlin von Alexander Korb, Leicester/Jerusalem Lara Schultz und Ingolf Seidel, Berlin von Wolf Kaiser, Berlin

53 Wendy Lower: Hitlers Helferinnen. Deutsche Frauen im 67 Katharina Friedla: Juden in Breslau/Wrocław 78 Annika Wienert: Das Lager vorstellen. Die Architektur 90 Edith Jacobson: Gefängnisaufzeichnungen Holocaust 1933–1949. Überlebensstrategien, Selbstbehauptung der nationalsozialistischen Vernichtungslager von Galina Hristeva, Stuttgart von Markus Eikel, Den Haag und Verfolgungserfahrungen von Martin Mauch, Frankfurt am Main von Mark us Roth, Gießen 54 Svenja Bethke: Tanz auf Messers Schneide. Kriminalität 79 Lorenz S. Beckhardt: Der Jude mit dem Hakenkreuz. und Recht in den Ghettos Warschau, Litzmannstadt und 68 Angelika Benz: Handlanger der SS. Die Rolle der Meine deutsche Familie Wilna Trawniki-Männer im Holocaust von Roland Kaufhold, Köln von Andrea Löw, München von Melanie Hembera, Ludwigsburg 80 Samuel Salzborn (Hrsg.): Zionismus. Theorien des 55 Francis R. Nicosia: Nazi Germany and the Arab World 69 Rywka Lipszyc jüdischen Staates von Florian Weber, München Das Tagebuch der Rywka Lipszyc von Nico Bobka, Frankfurt am Main von Mark us Roth, Gießen 56 Ian Kershaw, To Hell and Back. Europe 1914–1949 81 Alfred Sohn-Rethel: Die deutsche Wirtschaftspolitik im von Michael Elm, Tel Aviv 70 Janina Hescheles: Oczyma dwunastoletniej dziewczyny Übergang zum Nazifaschismus. Analysen 1932–1948 [Mit den Augen einer Zwölfjährigen] von Jérôme Seeburger, Leipzig von Karol Sauerland, Warszawa

50 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 51 Ideologisierte Wahrnehmung In ihrer sehr informativen Einleitung beschreiben die Heraus- Frauen im Holocaust bei der Umsetzung des systematischen Massenmords vor Ort ist für geber nicht nur den behandelten historischen Zeitraum, sondern die zahlreichen Massenerschießungen in der Sowjetunion eine aktive gehen auch ausführlich auf die Änderungen ein, die der Übergang Beteiligung weiblicher Exekutoren nicht bekannt. Folgerichtig wird

von den EM auf die MbO mit sich brachte und die für die Interpre- auch in den von Lower vorgestellten Lebensläufen kein direkter und tation der Quellen von grundlegender Bedeutung sind: Nicht nur aktiver Bezug ihrer Protagonistinnen zu diesen strategisch geplanten Klaus-Michael Mallmann, der Erscheinungsrhythmus änderte sich (2–3 EM pro Woche, MbO Wendy Lower und umgesetzten Exekutionen hergestellt, vielmehr handelt es sich Andrej Angrick, Jürgen Matthäus, wöchentlich), sondern auch Form und Inhalt. Während über die Hitlers Helferinnen. bei ihren Beispielen um individuell motivierte Tötungen, die »eher Martin Cüppers (Hrsg.) Massenverbrechen ab Sommer 1942 nur noch verschleiert berich- Deutsche Frauen im Holocaust der Gelegenheit geschuldet« (S. 74) waren. Der Bedeutung des of- Deutsche Berichte aus dem Osten tet wurde, wurde die zunehmende Gefahr durch Partisanen offen Aus dem Englischen von Andreas fi ziellen Besatzungsapparates könnte in der vorliegenden Studie 1942/1943. Dokumente der benannt und mit Zahlen untermauert. Der beständig abnehmende Wirthensohn. insgesamt weit stärkeres Gewicht eingeräumt werden. Einsatzgruppen in der Sowjetunion Einfl uss von Sipo und SD auf den tatsächlichen »Bandenkampf« München: Carl Hanser Verlag, 2014, Basierend auf den von ihr gewählten Beispielen zieht die Auto- Darmstadt: Wissenschaftliche durch Wehrmacht und Ordnungspolizei führte in den MbO dann ab 336 S., € 24,90 rin bisweilen sehr verallgemeinernde Schlussfolgerungen, für deren Buchgesellschaft, 2014, 892 S., € 59,95 Herbst 1942 zu immer größerer Realitätsferne und einer »interes- Überprüfung eine breitere Quellenbasis wünschenswert wäre, etwa sengeleitet verzerrten Darstellung«. (S. 17) wenn sie behauptet, »wir können uns jetzt vorstellen, dass die hier Der vorliegende dritte Band komplettiert die Editionsreihe zu den In der Tat ähnelten die EM des Jahres 1942 in ihrer Beschrei- Die amerikanische Historikerin Wendy Lower, ausgewiesene Spe- präsentierten Muster gewalttätigen und mörderischen Verhaltens Dokumenten der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei (Sipo) und bung des Massenmordes an der Zivilbevölkerung noch ganz ihren zialistin zur Geschichte des Holocaust insbesondere in der Ukraine, überall in der Ukraine, in Polen, Weißrussland, Litauen und in an- des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD) in der besetzten Vorgängern des Jahres 1941, indem detailliert über die Zahl der beschäftigt sich in dieser Studie mit der Rolle deutscher Frauen bei deren Teilen des von den Nationalsozialisten beherrschten Europas Sowjetunion.1 In chronologischer Fortsetzung des ersten Bandes um- erschossenen Personen berichtet wurde. So hieß es etwa in EM 165 ihrem Einsatz in Polen und der besetzten Sowjetunion während des zu fi nden waren« (S. 186). fasst er die »Ereignismeldungen UdSSR« (EM) von Januar bis April vom 6.2.1942 zur Tätigkeit der Einsatzgruppe D unumwunden, in der Zweiten Weltkrieges. Nach Lower gingen rund eine halbe Million Die Fokussierung auf den weiblichen Anteil am Holocaust 1942 sowie die unmittelbar folgenden »Meldungen aus den besetzten Berichtszeit vom 15.–31.1.1942 seien »3.601 Personen erschossen« deutscher Frauen als Teil der deutschen Militär- und Besatzungs- führt zwangsläufi g zu der Frage, über wie viele Täterinnen wir hier Ostgebieten« (MbO), die bis einschließlich Mai 1943 erschienen. In worden, »davon 3.286 Juden, 152 Kommunisten, NKWD-Leute, truppen und damit als »integraler Bestandteil von Hitlers Vernich- eigentlich sprechen. Dabei ist Lower angesichts der auch von ihr diesen Zeitraum fi elen sowohl die zweite Vernichtungswelle gegen 84 Partisanen und 79 Plünderer, Saboteure, Asoziale. Gesamtzahl tungsmaschinerie« (S. 16) in den besetzten »Osten«. Die Arbeit eingeräumten ungenügenden Quellenlage (S. 57, 183) weitgehend die sowjetischen Juden als auch das Erstarken der Partisanenbe- bisher 85.201«. (S. 141) Der Bruch in der offenen Darstellung er- gründet auf einer Vielzahl unterschiedlicher Quellengattungen, auf Vermutungen und Inferenzen angewiesen, die sie von der »Spitze wegung und die militärische Niederlage in Stalingrad, was sich in folgte dann im Mai 1942 mit dem Erscheinen der MbO, in welchen wobei Zeugenaussagen, die im Rahmen west-, ostdeutscher und eines Eisbergs« sprechen lassen (S. 185), der mit mehreren tausend unterschiedlicher Intensität auch in den Berichten widerspiegelte. oft nur noch von Festnahmen die Rede war. (S. 616 f.) österreichischer Ermittlungen erhoben wurden, eine herausragende Mörderinnen noch »unrealistisch niedrig« sei (S. 186). Ebenso gut Positiv zu vermerken ist, dass Band III – anders als noch Band I – Die solide Kommentierung der Dokumente beinhaltet unter Rolle spielen. könnte man allerdings auch argumentieren, dass eine Gesamtzahl neben dem Personen- auch über ein Ortsregister verfügt. Zum idealen anderem Kurzbiographien zu allen genannten Akteuren, was von Lower teilt die Frauen im »Osten« in vier Tätigkeitsgruppen von Täterinnen aufgrund der geringen Anzahl von vorliegenden Nachschlagewerk fehlt jedoch nach wie vor ein Sachregister, das eine einem hohen Rechercheaufwand zeugt, und wichtige Korrekturen ein: Krankenschwestern, Lehrerinnen, Sekretärinnen und Ehefrauen Fallbeispielen weiter schwer zu bestimmen bleibt; und dass die schnelle und gezielte Suche nach zusammenhängenden Themenbe- zu den auffallend häufi gen Fehlern bei der Benennung von Personen von offi ziellen NS-Repräsentanten. Diese beteiligten sich in drei ver- Behauptung, die ausgewählten Täterinnen »können unmöglich so reichen (Opfergruppen, Institutionen, Alltagsphänomene, Partisanen, und geographischen Orten. Besonders hervorzuheben ist jedoch die schiedenen Funktionen am Holocaust: als Augenzeuginnen, Kom- seltene Ausnahmen gewesen sein, wie wir gerne glauben« (S. 258), Zwangsarbeit usw.) ermöglichen würde. Bedauerlich ist ferner die kluge Hinterfragung und teilweise Widerlegung der »ideologischen plizinnen und Täterinnen. Anhand des eingesehenen Quellenmate- zusätzlicher quellengestützter Nachforschungen bedarf, bevor wei- Entscheidung der Herausgeber, einige Passagen, die ihnen inhaltlich Optik« und geschönten Darstellungen durch den systematischen rials verfolgt Lower die Lebensläufe von 13 Frauen, die während tere Verallgemeinerungen gezogen werden können. nicht relevant erschienen, auszulassen und durch Auslassungszeichen Abgleich der Berichtsinhalte mit Quellen anderer Provenienz. des Zweiten Weltkrieges vor allem nach Polen und in die Ukraine Insgesamt hat die Autorin mit dieser Studie ein weiteres an- zu ersetzen, ohne den Inhalt in Anmerkungen zusammenzufassen oder Insgesamt betrachtet ist der dritte Band zu den Dokumenten der kamen. Sechs dieser Frauen können der Kategorie der Täterinnen regendes Buch publiziert, das eine breitere Quellenbasis und eine zumindest stichpunktartig zu benennen. Auch die Illustrierung des Einsatzgruppen in der Sowjetunion wie schon seine beiden Vorgän- zugeordnet werden, die meisten davon als Ehefrauen. Die ausge- gelegentlich größere Zurückhaltung in den Formulierungen noch Bandes mit zeitgenössischen Fotografi en kann nicht überzeugen, da ger eine großartige und unverzichtbare Quellenedition, die in keiner wählten Beispiele der Täterinnen – etwa der Fall von Erna Petri, eindrucksvoller hätte machen können. Es fällt auf, dass der biswei- sie keinen unmittelbaren Bezug zu den konkreten Meldungen erken- Historikerbibliothek fehlen sollte, aber auch für ein breites Publikum die in der Nähe von Lemberg eigenhändig sechs jüdische Kinder len emotionale Tonfall in der deutschen Übersetzung hier und da nen lassen. So fi ndet sich, um nur ein Beispiel zu nennen, in EM 149 und pädagogische Zwecke geeignet sein dürfte. Die Unmittelbarkeit erschoss – belegen eindrucksvoll, dass Frauen an individuellen Tö- abgemildert wird, so etwa wenn sich der Titel von Hitler’s Furies vom 16.2.1942 eine Fotografi e mit der Bildbeschreibung »Erhängte der Berichte, kombiniert mit der fachkundigen und quellenkritischen tungen beteiligt waren. Dabei begingen sie ihre Verbrechen nicht in zu Hitlers Helferinnen ändert und aus der als »Killers« bezeichneten Zivilisten November 1941«, ohne dass der Leser erfährt, wo und in Kommentierung durch die vier Herausgeber, vermittelt ein äußerst offi ziellen, sondern gerade auch in nichtoffi ziellen Funktionen und Frauengruppe die Gruppe der »Täterinnen« wird. welchem Zusammenhang das Foto aufgenommen wurde und warum eindringliches Bild von der erbarmungslosen Besatzungspolitik und informellen Kontexten. (S. 86) es in dieser Meldung platziert wurde. (S. 157) dekonstruiert zugleich die ideologische Verblendung der Täter. Es Die gewählten Beispiele erfassen allerdings nur unzureichend, Markus Eikel wäre jedoch eine Überlegung wert, einen Ergänzungsband – gedruckt dass es in der überwältigenden Mehrheit der offi zielle Besatzungs- Den Haag oder digital – mit einem Sachregister für alle drei Bände und einem apparat, also deutsches Militär, SS/Polizei und Zivilverwaltung, war, nachträglichen Ortsregister für Band I auszuarbeiten, um das Opti- der die Juden in Osteuropa ermordete, in der besetzten Sowjetunion 1 Klaus-Michael Mallmann, Andrej Angrick, Jürgen Matthäus, Martin Cüppers, mum an Benutzerfreundlichkeit zu erreichen. überwiegend in Form von Massenerschießungen. Die örtliche Be- (Hrsg.), Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941. Dokumente der Einsatzgruppen satzungsverwaltung war in ihren leitenden Positionen ausschließlich in der Sowjetunion, Darmstadt 2011 [Bd. I]; dies. (Hrsg.), Deutsche Besatzungs- herrschaft in der UdSSR 1941–1945. Dokumente der Einsatzgruppen in der So- Martin Holler männlich besetzt; und damit lag die strategische Planung und Verant- wjetunion, Darmstadt 2013 [Bd. II]. Berlin wortung örtlicher Mordaktionen in den Händen von Männern. Auch

52 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 53 Das Dilemma der Judenräte Die deutschen Interessen zu antizipieren war eine Möglichkeit, Politik und Propaganda der Nazis Interessen der deutschen Politik im Nahen und Mittleren Osten und Gefahren für das Ghetto abzuwenden. Doch damit entstand zugleich im arabischen Raum in Nordafrika. Der Auswertung deutscher Propaganda gegenüber der große Konfl ikt: Die Vorstellungen und Defi nitionen der Judenrä- der arabischen Welt wird dabei bewusst wenig Platz eingeräumt.

te, was Recht und was kriminell war, entsprach zumeist nicht denen Der Autor konzentriert sich auf die Interessen der deutschen Politik der Ghettobewohner. Für sie stellten häufi g gerade die als kriminell in arabisch besiedelten Gebieten, die stets darauf bedacht war, ihre Svenja Bethke defi nierten Handlungen individuelle Überlebensmöglichkeiten dar. eigentlichen Intentionen zu verschleiern. Nicosia geht es zuvorderst Tanz auf Messers Schneide. Kriminalität Am Beispiel von Recht und Kriminalität wird in dieser Studie das Francis R. Nicosia darum, das Spannungsverhältnis zwischen Nazipropaganda und tat- und Recht in den Ghettos Warschau, große Dilemma der Judenräte sehr deutlich. Bethke leistet hier einen Nazi Germany and the Arab World sächlicher Politik zu entschlüsseln. Litzmannstadt und Wilna wichtigen und innovativen Beitrag zur Debatte um die Judenräte. Sie Cambridge: Cambridge University Obwohl sich die massive Propagandatätigkeit der Nazis posi- Hamburg: Hamburger Edition, 2015, stellt fest: »Die ghettointerne Rechtssphäre war der Bereich, in dem Press, 2015, 316 S., £ 60 tiv auf die nationale Selbstbestimmung der Araber bezog, waren 317 S., € 28,– sich das Dilemma der Judenräte in besonderer Weise verdichtete: Es damit weitaus gewichtigere politische Implikationen verbunden. galt, über rechtliche Belange zu urteilen in einem Raum, in dem die Unter anderem ging es darum, die antibritischen und antifranzö- Einem bisher nur wenig beachteten Aspekt dort zwangsweise lebenden Individuen von der Besatzungsmacht sischen Gefühle der Araber zu schüren, also im Zuge politischer der Geschichte von Juden in der Zeit des bereits völlig entrechtet worden waren und unter diesen Bedingun- Die komplexe historische Verbindung zwi- oder militärischer Strategien den arabischen Nationalismus zu in- Holocaust widmet sich Svenja Bethke in ihrer nun publizierten Dis- gen faktisch kriminell handeln mussten, um zu überleben.« (S. 293) schen islamischer Welt und Nationalsozia- strumentalisieren. Wie den anderen europäischen Mächten ging es sertation, nämlich der Frage von Recht und Kriminalität in den Ghet- Und auch der von den Deutschen angeordneten jüdischen Polizei lismus ist Gegenstand zahlreicher Publikationen.1 Francis Nicosias auch den Nazis darum, eine Art der europäischen Kontrolle über die tos. Dieser Zugang kann nur auf den ersten Blick überraschen, denn als wichtigem Akteur der Durchsetzung von Recht widmet sich die Studie bietet in diesem Forschungsfeld eine »reexamination« (S. 1) Araber aufrechtzuhalten. Die Agitation der Nazis forcierte sehr wohl jenseits der stets präsenten Gewalt und Willkür seitens der deutschen Autorin, auch deren Handlungsspielräume lotet sie aus. So ausführ- der Außenpolitik von Nazi-Deutschland im arabischen Raum an, arabisch-nationale und antikoloniale Sehnsüchte, ebenso wie die ver- Besatzer gab es in den Ghettos ein recht umfassend organisiertes lich und differenziert wurde in deutscher Sprache noch nicht über die zwei zentrale Sachverhalte in ihrer Verknüpfung untersucht: meintlichen Vorteile des Antisemitismus massiv propagiert wurden. innerjüdisches Leben, zu dem eben auch der eigene Umgang mit die Ghetto-Polizei geschrieben. die geopolitischen Interessen Deutschlands und die ab 1933 in Nur in letzterem Punkt jedoch war die Agitation auch tatsächlich Kriminalität und die Defi nition von Recht gehörten. Bethke stellt dar, welcherart die Delikte waren, die in den Ghet- Staat gegossene Rassenideologie. Das Buch stellt keine Revision ernst gemeint: »Unlike the question of Arab independence, this Der große Bruch, den die Ghettoisierung für die jüdische Be- tos vor Gericht kamen, beschreibt das notwendige Improvisations- der bestehenden Literatur dar, kritisiert sie aber insofern, als sie propaganda point and Nazi Jewish policy in general actually did völkerung bedeutete, brachte auch einen Wandel kollektiver Deu- talent (so gab es in Litzmannstadt keine entsprechenden Bücher) ihren Fokus auf die nationalsozialistischen Propagandatätigkeiten refl ect real intent in the foreign policy of Hitler’s Germany during tungsmuster in den Bereichen von Kriminalität und Recht mit sich. In und die Unterschiede zwischen den drei Ghettos. Das Personal der in der arabischen Welt legt und ihre profaschistische Rezeption the Second World War.« (S. 274) Während man der Sache arabischer der »Lebenswelt Ghetto« wandelten sich die Vorstellungen darüber, Gerichte verfügte zumeist über einschlägige Berufserfahrung, sorgte unter Arabern verabsolutiert. Nicosia weigert sich von einer uni- Souveränität jede ernsthafte Unterstützung versagte, stand die von was als kriminell oder moralisch verwerfl ich zu gelten habe. Diese sich aber mitunter, sich durch die Tätigkeit im Ghetto die berufl iche formen arabischen Welt auszugehen, die sich in Kultur, Politik den Nazis massiv beförderte Feindschaft zum jüdischen Siedlungs- sich verändernden Bedingungen und die Versuche der Judenräte Zukunft zu verbauen. und Ideenwelt monolithisch betrachten ließe. Um die Komplexität werk in Relation zu ihrer Judenpolitik in Europa: hier wie dort auf und der Gerichte, durch Defi nitionen von Rechtsnormen und deren In den verhandelten Rechtsfällen spielten deutsche und ghetto- der Reaktionsweisen auf Deutschland unter Arabern zu erfassen, die Vernichtung der Juden abzielend. Einhaltung ein gewisses Maß an »Normalität« und ein »Mindestmaß interne Kriminalitätsdefi nitionen eine Rolle. Handlungen, die eine möchte er auch explizit zum Studium arabischsprachiger Quellen Nicosia betont in seiner Analyse der deutschen Außenpoli- an sozialer Stabilität« (S. 38) in dieser unnormalen Welt der Ghettos konkrete Gefahr für das Ghetto darstellten, gelangten zumeist gar anregen, das er selbst aufgrund sprachlicher Barrieren nicht zu tik im arabischen Raum eine starke Kontinuität, die sich vom zu schaffen, beschreibt die Autorin am Beispiel der drei großen nicht erst vor Gericht, da sie sofort unterbunden werden sollten. Es leisten vermag. Kaiserreich bis in die Vorkriegsjahre des Nationalsozialismus Ghettos in Litzmannstadt, Warschau und Wilna. Damit nimmt sie den gab auch »klassische« Rechtsfälle, diese nahmen aber ghettospezi- Ohne die Hass- und Gewaltausbrüche gegen den Zionismus erhielt: die Aufrechterhaltung des Status quo in der Orientali- Reichsgau Wartheland (Litzmannstadt), das Generalgouvernement fi sche Formen an. zu verharmlosen, die sich stets konkret an dem Juden entluden, schen Frage, die wiederum keine Berücksichtigung des arabi- (Warschau) und das Reichskommissariat Ostland (Wilna) in den Bethke rückt die Juden in den Ghettos als handelnde Akteure in will Nicosia daran erinnern, dass der Zionismus und die jüdische schen Nationalismus zuließ. Während die Politik der Weimarer Blick. Diese Auswahl ist sinnvoll, weil die jüdische Selbstverwaltung den Mittelpunkt, als Menschen, die auf die Situation unterschied- Einwanderung nach Palästina, interpretiert als westeuropäische Republik gar keinen entscheidenden Einfl uss nehmen konnte in diesen Ghettos in hohem Maße ausdifferenziert war, über entspre- lich reagierten (»und dazu gehörten alle Verhaltensweisen zwischen Einmischung, von vielen als Bedrohung der arabisch-nationalen und die europäische Aufteilung der Region sowie die Einrich- chende Rechtsinstanzen verfügte und die Quellenlage günstig ist. Mitgefühl, Solidarität, Egoismus, Neid, Wut und Rache«, S. 297), Selbstbestimmung empfunden wurde. Die antijüdische Gewalt mit tung des jüdischen Nationalheims mittrug, so wurde auch nach Außerdem waren die sich wandelnden Ziele der deutschen Besatzer es sind in ihrer Darstellung keine Helden, aber eben auch keine dem Verweis auf westliche oder imperiale Fremdherrschaft zu relati- 1933 die Sache der arabischen Unabhängigkeit zunächst mit von großer Bedeutung für die Defi nition und Ausgestaltung von bloßen Opfer. So gelingt ihr eine überzeugende Untersuchung von vieren, würde gleichwohl Positionen attackieren, die den arabischen Teilnahmslosigkeit oder Ablehnung behandelt. Deutsche Inter- Rechtsnormen in den Ghettos, und hier ist besonders der Vergleich Recht und Kriminalität in drei Ghettos in drei unterschiedlichen Antisemitismus als Spiegelbild des europäischen untersuchen. Die essen wurden vordergründig auf ökonomischem und kulturellem der beiden Ghettos auf polnischem Boden mit dem in Wilna, das deutschen Machtbereichen. Besonders das Dilemma der Judenräte arabischen Abneigungen gegen die regionale Präsenz westlicher Gebiet verfolgt. Und noch die Ermutigung der Araber während erst nach dem Beginn des Massenmords errichtet wurde, erhellend. verdichtet sich im Bereich von Recht und Kriminalität, wie sie in Kolonialmächte und eine etwa damit zusammenhängende befürwor- der antibritischen und antijüdischen Unruhen 1938/39 in Palästi- Denn Recht wurde zunächst einmal durch die deutschen Besat- ihrem facettenreichen Buch überzeugend darlegt. tende Haltung vieler Araber gegenüber Deutschland und auch Hitler na deutet Nicosia als den Versuch, den Einfl uss der Briten und zer gesetzt (und deren Interessen und Forderungen an die Judenräte gelte es in der Tat einmal sorgfältig zu untersuchen. Nicosias Stu- Franzosen zu schmälern und ihre Aufmerksamkeit von Europa wandelten sich im Laufe der Zeit). Darüber hinaus waren es aber Andrea Löw die indes konzentriert sich auf die strategischen und ideologischen abzulenken. Der arabische Nationalismus wurde dafür benutzt, Aushandlungsprozesse, in denen die Judenräte Recht und Krimina- München während ein eindeutiges deutsches Bekenntnis zur arabischen lität defi nierten. Strafen sollten abschreckende Wirkung haben und Unabhängigkeit dabei ausblieb. Der einzigen Veränderung im damit Handlungen, die dem Ghetto und seinen Bewohnern schaden arabischen Raum, der sich die Nazis durchgehend verpfl ichtet fühl- konnten, verhindern. 1 Eine Übersicht bietet Sehepunkte, Jg. 15 (2015), Nr. 12. ten, war die Zerstörung des jüdischen Nationalheims in Palästina

54 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 55 und der jüdischen Gemeinschaft im Nahen Osten und Nord- Zweiter Dreißigjähriger Krieg? hier eine facettenreiche Darstellung entwickeln. Er beleuchtet zum Ein Folgeband Kershaws soll die Geschichte Europas bis in die Ge- afrika.2 So besteht kein Zweifel daran, wäre der Vormarsch der einen Staaten wie Großbritannien, Frankreich, Belgien, die skan- genwart fortführen. Die Penguin Classic Edition verzichtet zwecks Deutschen bei el-Alamein nicht zum Erliegen gekommen, dass die dinavischen Länder, die Niederlande und die Schweiz, die es trotz besserer Lesbarkeit auf Fußnoten und direkte Literaturverweise. jüdischen Gemeinden im Nahen Osten ebenso von der »Endlösung«, innenpolitischen Rechtsrucken schafften, sich dem autoritären Sog Von wissenschaftlicher Seite vergibt man sich damit die Chance, der absoluten Vernichtung, erfasst worden wären. der Epoche zu entziehen, und stellt politik- und sozialgeschichtlich Kershaws Bezüge genauer nachvollziehen zu können. Zudem hätte Nicosia bilanziert, dass die Araber, obwohl als rassisch min- Ian Kershaw informative Vergleiche zwischen den unterschiedlichen Regimen es dem Band gutgetan, Deutungskonfl ikte und Forschungsdesiderate derwertig eingeschätzt, ein solches Schicksal freilich nicht ereilt To Hell and Back. Europe 1914–1949 an. Spanien, Portugal, Polen und Ungarn können sich nicht zuletzt an der einen oder anderen Stelle zu benennen. hätte, aber ihre Betrachtung als »Kolonialvolk« wie die nur geringen Viking, New York: The Penguin History deswegen radikaleren Formen von Politik entziehen, weil ihre geopolitischen Ambitionen in dieser Region dazu führten, dass die of Europe Series, 2015, 593 S., $ 35,– konservativ-reaktionären Eliten den Raum für den aufkommenden Michael Elm Nazis niemals klar die arabische Sache unterstützten. Man könnte Faschismus besetzt hielten. Anders in Italien und Deutschland, wo Tel Aviv es auch anders formulieren: Die Araber waren von Bedeutung, so- es Mussolini und Hitler gelingt, ein Bündnis mit den konservativen weit sie für das Gemeinschaftsprojekt des Judenmords zu agitieren Eliten einzugehen (S. 223 f.) und so ein tief greifender Systemwech- waren.3 sel möglich wird. Ergänzend zu Nicosias gründlicher Auswertung des Quellen- Von historischen Überblicksdarstellungen Das Einlenken jener konservativen Eliten und der Bedeu- materials, durch die er überzeugend Kontinuitäten der deutschen erwartet man kaum neue Forschungsbefun- tungsverlust ihrer politischen Repräsentanten verweist allerdings Nahostpolitik nachzuweisen vermag, müsste zugleich der Blick für de. Vielmehr geht es darum, Zusammenhänge anders zu gewichten besonders in Deutschland auf eine Gretchenfrage für die Tauglich- eine weitere Kontinuität geschärft werden, zu deren Verankerung die oder gar neu zu ordnen und so den historischen Diskurs selbst in keit der Epochenbezeichnung vom zweiten Dreißigjährigen Krieg. Nazis und die mit ihnen zusammenarbeitenden Cliquen wesentlich eine bestimmte Richtung zu lenken. Das gilt umso mehr, wenn ein Ökonomie und Politik hatten sich hier nach der Hyperinfl ation in beigetragen haben. Es greift daher Nicosias Schlussbemerkung zu renommierter Historiker wie Ian Kershaw sich daranmacht, den der zweiten Hälfte der 1920er Jahre weitgehend gefestigt, eine kurz, Amin al-Husseini, der Großmufti von Jerusalem, hätte jenseits Zusammenhang der beiden Weltkriege zu beleuchten. Ihr Verlauf Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland wurde in den der Etablierung muslimischer SS-Verbände auf dem Balkan keine wird dabei mit je einem Kapitel eher schlaglichtartig abgehandelt. Verträgen von Locarno 1925 ratifi ziert, die rechtsextremen Kräfte Erfolge vorzuweisen. Die Umtriebe des Muftis wie die antisemiti- Kershaw interessiert sich vor allem für die im wahrsten Sinne des waren weitgehend eingehegt, bis die große Depression die soziale sche Propaganda der Nazis im arabischen Raum zeitigten sehr wohl Wortes bis aufs Messer ausgetragene Konkurrenz der drei aus der und ökonomische Situation zum Kippen bringt (S. 193 f.). Die eine Wirkung, auch weit über 1945 hinaus. Der Mufti mag keine politischen Moderne hervorgegangenen Staats- und Wirtschaftssy- Roaring Twenties enden mit dem Platzen der Spekulationsblase arabische Staatlichkeit erreicht haben; der Antisemitismus, wie er steme von Faschismus, Kommunismus und liberaler Demokratie. an den amerikanischen Aktienmärkten (S. 150). Damit gewinnt sich zuvorderst in der Bekämpfung des jüdischen Siedlungswerks Dabei schaut er notgedrungen immer wieder über den europäischen ein außereuropäisches Ereignis eine entscheidende Bedeutung für ausagiert, ist in der Region bis heute virulent und hat seinen gewich- Tellerrand nach Nordamerika und Russland hinaus. Die Entwick- den Verlauf der weiteren Geschichte in Europa und durchtrennt tigsten Ursprung in der Popularisierung durch den Mufti und seinen lung des modernen Antisemitismus in Europa und seine genozidale das ohnehin fragwürdige Kontinuum der beiden Kriege. Kershaw Kreis. Gerade weil Nicosia darauf hinweist, dass die Propaganda Zuspitzung durch das NS-Regime bilden einen durchgehenden Ge- beleuchtet eindringlich die Folgen dieser Krise, zeichnet die unter- der Nazis bestrebt war, das Judentum wie den Zionismus mit der sichtspunkt seiner Betrachtung. schiedlichen nationalen Pfade nach, hält aber dennoch am benannten amerikanischen und britischen Agenda in der Region zu verknüpfen Als epochenbildende Größe nennt er die Bezeichnung eines Narrativ fest. Vermutlich hängt dies mit der Betonung einer von und als Plan zur Unterdrückung der Araber zu verkaufen, müsste zweiten Dreißigjährigen Krieges, der die innere Einheit der von Deutschland ausgehenden Aggression zusammen, die sich nicht dieser Aspekt besonders betont werden. ihm anvisierten Zeitspanne ausmachen soll (S. 9, 347 f.). Das damit zuletzt in personellen Kontinuitäten wie den Lebensläufen von Hit- verbundene Narrativ wird auch von anderen Historikern wie Hans- ler und Hindenburg manifestiert. Die zweifelsohne vorhandenen Florian Weber Ulrich Wehler oder Jürgen Kocka zur Charakterisierung der Gewalt- Kontinuitäten verdecken aber ebenso viel wie sie enthüllen. Ein München geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herangezogen. Verdienst Kershaws liegt gerade darin, die Anfälligkeit jener plu- Es geht von der These aus, dass die sich totalisierende Gewalter- ralistischen Gesellschaften nachzuzeichnen, die je nach sozioöko- fahrung im Ersten Weltkrieg so weitreichende Verwerfungen in den nomischer Lage, kulturellen Traditionsbeständen und politischen Nachkriegsgesellschaften erzeugt hat, dass deren Folgen erst mit der Kräfteverhältnissen die autoritäre Bedrohung abwenden konnten deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg zum Erliegen kamen. oder ihr unterlagen. Das stärkste Indiz für diese Kontinuitätsbehauptung liegt vielleicht Im Schlusskapitel greift Kershaw die überraschend schnelle in der Tatsache, dass mit Ausnahme der Tschechoslowakei keiner Rückkehr zu pluralistischen Politikformen und die parteiübergrei- der Nachfolgestaaten der Habsburger Monarchie am Vorabend des fende Entwicklung staatsinterventionistischer Wirtschaftspolitiken 2 Das Verhältnis von forcierter Emigration der deutschen Juden nach Palästina bei gleichzeitig massiver Bekämpfung eines souveränen Judenstaats wird erläutert Zweiten Weltkrieges noch eine liberale Regierung hatte (S. 245). in Europa auf. Im Westen wurde unter amerikanischer Hegemo- bei Francis R. Nicosia, Zionism and Anti-Semitism in Nazi Germany, Cambridge Drei Fünftel der Bevölkerung in Europa (ohne Sowjetunion) leb- nie eine Nachkriegsordnung entworfen, die aus den Fehlern von 2008. ten unter mehr oder minder autoritären Regimen, was Kershaw als Versailles und der entstehenden Blockkonfrontation mit der So- 3 Dies sowie die Inkonsistenz und offenkundige Willkür der Rassenideologie Indikator für das Versagen der von den Siegermächten des Ersten wjetunion ihre Konsequenzen zog und diesem Teil Europas sowie zeigen sich etwa auch daran, dass Hitler den Mufti wegen seiner blauen Augen zum Araber mit arischen Wurzeln erklärte. Vgl. Benny Morris, The Road to Weltkrieges etablierten Nachkriegsordnung auffasst. Da der Haupt- insbesondere Westdeutschland eine neue Chance eröffnet hat. Den Jerusalem. Glubb Pasha, Palestine and the Jews, London 2003, S. 254. teil des Buches sich mit jener Zwischenkriegszeit befasst, kann er Ländern Mittel- und Osteuropas blieb dieser Neuanfang verwehrt.

56 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 57 70 Jahre IMT – Altes, Neues, Lücken »Frieden durch Recht« brächten; Darnstädt geht es darum, in der Ge- letzterer mehr Bedeutung beigemessen und in Absprache mit den drei des Entwicklungsprozesses der »Crimes against humanity« ist gleich- genwart und für die Zukunft aus »Nürnberg« zu lernen, so die zweite anderen Anklägerschaften das zentrale Schlussplädoyer übernommen), wohl äußerst interessant und sollte unbedingt weiterverfolgt werden. Hauptaussage des Buches. Drittens deutet der blumige zweite Teil folgt eine skizzenhafte Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschie- Marcuse war dagegen unzweifelhaft der Autor eines OSS-Berichtes

des Satzes auf den populärwissenschaftlichen Hintergrund hin, auf de der vier Anklagevertretungen auf (leider nur) zweieinhalb Seiten. mit dem Titel »Nazi Plans for Dominating Germany and Europe: The dem die gerade beschriebenen Annahmen ausgebreitet werden. Der Hier verschenkt sich der Sammelband den zentralen Mehrwert, den Nazi Master Plan«. Huhle und Böhm nehmen an, dass das von Jackson Thomas Darnstädt Nebensatz suggeriert – und nun komme ich zu den Problematiken er für die Forschung durch eine ausführliche vergleichende Analyse und der amerikanischen Anklagevertretung benutzte zentrale Konzept Nürnberg. Menschheitsverbrechen vor des Buches: a) dass Archive schwer erreichbar, verborgen und wenig hätte schaffen können. Die einzelnen Faktoren, die aufgezählt werden, – der »Nazi Plan« –, der das Ziel der Weltherrschaft als frühzeitige Gericht 1945 genutzt seien (was defi nitiv nicht den Tatsachen entspricht), und b) bringen über eine abermalige Hervorhebung der unterschiedlichen »Verschwörung« und »gemeinsamen Plan« der Angeklagten (bzw. des München, Berlin: Piper Verlag, 2015, dass der Autor sich zum »Entdecker« neuer Quellen stilisiert (was – Rechtstraditionen und Erfahrungen während des Krieges hinausge- NS-Regimes) meinte, ursprünglich von Marcuse stammte. Die Ähnlich- 415 S., € 24,99 soweit ich das erkennen kann bei einem Buch ohne Fußnoten – nicht hend wenig Neues hervor. Doch die These, dass die US-amerikanische keiten der in den R&A-Berichten dargelegten Sichtweisen und Ansätze der Fall ist, abgesehen davon, dass er die Forschungsergebnisse von und die britische Anklagevertretung auf der einen Seite und die fran- mit den amerikanischen Anklagestrategien sind zweifelsohne frappant, Irina Schulmeisters juristischer Dissertation vorveröffentlicht). zösische und sowjetische auf der anderen jeweils mehr miteinander doch bedarf es weiterer Abklärungen, um eindeutig belegen zu können, Nürnberger Menschrechtszentrum Darnstädts Buch hätte dabei durchaus aufgrund der Aktualität gemeinsam hatten, müsste meines Erachtens nochmals neu betrachtet dass Neumann, Kirchheimer und Marcuse einen derartig großen Anteil (Hrsg.) und der fl üssigen Schreibe das Potenzial gehabt, zu einer willkomme- werden. So war beispielsweise das amerikanische Rechtskonstrukt der an »Nürnberg« hatten. Ob sie oder weitere Personen an der Abfassung Das Internationale Militärtribunal nen Alternative zu älteren Darstellungen über den Nürnberger Prozess »Verschwörung« mehr im Sinne der Sowjets als der Briten. von Jacksons Eröffnungsrede beteiligt waren, bleibt vorerst ungeklärt. von Nürnberg 1945/46. Die Reden zu avancieren (damit meine ich das Buch von Joe Heydecker und Die vier Aufsätze, die den Anklägerreden einleitend vorwegge- Alle vier Aufsätze leisten eine historische Einbettung der Plädoyers. der Hauptankläger. Neu gelesen und Johannes Leeb von 1958 und die Darstellung des revisionistischen stellt sind, gehen alle der Frage nach, wer die jeweiligen Reden über- Die Biographien der jeweiligen Chefankläger werden ausgeführt, die kommentiert Historikers Werner Maser von 1977; beide Werke werden regelmä- haupt verfasst hat. Die Ergebnisse dieser Untersuchung möchte ich hier Anklagevertretungen der vier alliierten Mächte beschrieben, Strategien Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, ßig neu aufgelegt). Um das neue deutschsprachige Standardwerk ausführlich vorstellen. Dass der Völkerrechtler Hersch Lauterpacht der und Ziele der Verhandlungen der Nürnberg Charta auf der Londoner 2015, 300 S., € 34,– zum Nürnberger Prozess zu werden, sollte eine Studie jedoch seine Autor weiter Passagen des Schlussplädoyers von Hartley Shawcross Konferenz werden dargelegt. Auch die Prozess- und Beweisführung des Hauptthesen auch diskutieren und nicht als Vorannahmen setzen und war, war zwar schon seit längerem bekannt, Rainer Huhle zeigt dies jeweiligen Alliierten sowie die völkerrechtlichen Herangehensweisen den LeserInnen damit aufdrängen. Darüber hinaus müsste es einer po- erneut anschaulich und kontextualisierend auf. Dass verschiedene und Argumentationen zu den Anklagepunkten und weiteren rechtlichen litisch und historisch interessierten LeserInnenschaft ein Überprüfen Kommissionen und Gremien hinter der sowjetischen Eröffnungsrede, Einzelaspekten fi nden eine überzeugende Darstellung. Die historische HistorikerInnen besitzen kein Monopol auf der Aussagen ermöglichen. Doch Darnstädts Buch kommt ohne eine vorgetragen von Chefankläger Roman Rudenko, standen und um wel- Verortung ist bei den vier Aufsätzen gut gelungen und zumeist auf die Vermittlung der Geschichte – zumal der einzige Fußnote aus! Die Entscheidung des Autors und des Verlags, che Personen es sich dabei im Einzelnen handelte (u.a. Aron Trajnin), dem Stand der Forschung. Wieso jedoch jeweils eine umfangreiche Zeitgeschichte. Den Gegenstand der Nürnberger Prozesse teilten sich keine Belege anzugeben, muss schärfstens kritisiert werden. (Selbst ist ebenfalls keine Neuigkeit, aber doch von der Historikerin Lilia Inhaltsangabe und Interpretation der folgenden Originalplädoyers er- von Beginn an JournalistInnen, JuristInnen, HistorikerInnen, Politik- Wikipedia weiß, dass Belege etwas mit »credibility« zu tun haben.) Antipow erstmals für die deutsche LeserInnenschaft detailliert aufge- folgte, bleibt rätselhaft, denn beim Lesen wird das schnell ermüdend. wissenschaftlerInnen und PsychologInnen. Das ist auch gut so, denn Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Darnstädts Buch ist arbeitet. Matthias Gemählich zeigt in seinem hervorragenden Aufsatz Die Eröffnungs- und Schlussreden von Jackson, Menthon, Ru- all die verschiedenen Sichtweisen, Ansätze und Fragestellungen waren aufgrund der nicht gegebenen Überprüfbarkeit verunmöglicht. über die Eröffnungsrede von François de Menthon erstmalig, dass »an denko und Shawcross sind demgegenüber gar nicht annotiert. Doch und sind erkenntnisfördernd und in ihrer Gesamtheit bereichernd. der Abfassung des Plädoyers nicht weniger als zehn Personen beteiligt« gerade hier hätte eine Kommentierung ihre erneute Veröffentlichung Thomas Darnstädt, Leiter des Ressorts »Deutsche Politik« beim Der Sammelband des Nürnberger Menschenrechtszentrums sei der waren (S. 133) und Menthon am allerwenigsten beitrug. Gemählich stärker rechtfertigen können. Die siebzig Jahre alten Gerichtsreden Nachrichtenmagazin Der Spiegel, hat pünktlich zum 70. Jahrestag historisch interessierten LeserInnenschaft hingegen wärmstens ans gelingt damit eine Perspektivverschiebung, was die Kenntnisse über die enthalten schließlich Angaben über Opferzahlen und Orte einzelner eine Monographie über den Nürnberger Prozess auf den Markt ge- Herz gelegt. Den neueren Forschungsansätzen folgend wird der Nürn- französische Anklagevertretung und ihre Strategien anbelangt. Erstaun- Verbrechen, die dem heutigen Forschungsstand angepasst werden bracht. Die beim Piper Verlag erschienene populärwissenschaftliche berger Prozess in seinem historischen Kontext verortet. Rainer Huhle, licherweise bleibt der Chefankläger, der am stärksten für »Nürnberg« müssen; auch zitierte Beweisdokumente oder der weitere Gang der Darstellung zielt fraglos auf ein breites Publikum. Flüssig und an- der die Einleitung verfasst hat, fügt dem hinzu, dass »Nürnberg« steht, Robert H. Jackson, am wenigstens dekonstruiert, was dessen Beweisführung hätten erläutert werden können etc. Hier kann nur schaulich, teils jedoch imaginativ geschrieben, erzählt der Autor die aber auch ein »Erinnerungsort der Rechtsgeschichte« (S. 12) sei – in Fähigkeiten als Verfasser der amerikanischen Eröffnungsrede betrifft. gemutmaßt werden, dass das Konzept, die Form und das Zielpubli- Geschichte des Nürnberger Prozesses dramaturgisch wohlbedacht diesem Sinne ist dann auch die Wiederveröffentlichung der vier An- Rainer Huhle und Otto Böhm können in ihrem Beitrag zwar zeigen, kum des Bandes nicht gänzlich durchdacht waren. von der Vorgeschichte bis zu den zwölf rein US-amerikanischen klägerreden zu verstehen. In diesen Reden sei das, was »Nürnberg« so dass Jackson in der Rede Gedanken und Konzepte von Mitarbeitern der Trotzdem kann das Resümee zum Buch nur positiv ausfallen. Verfahren vor den Nürnberger Militärtribunalen (NMT). Eingerahmt bedeutend mache, in konzentrierter Form enthalten, so Huhle. Darüber sogenannten Research & Analysis (R&A)-Abteilung des Offi ce of Stra- Die Aufsätze zeigen, dass etliche Aspekte zu den einzelnen Anklage- wird »Nürnberg« von aktuellen Entwicklungen der verschiedenen hinausgehend ist ein zentrales Anliegen des Buches aber auch – und tegic Services (OSS) übernommen hat, doch ob die einzelnen Autoren vertretungen, aber auch zum Vergleich der vier Stäbe immer noch der internationalen Strafgerichtshöfe und des Völkerrechts. dem ist nur zuzustimmen –, nicht nur Robert H. Jacksons Anteil am der Berichte auch an der Eröffnungsrede mitwirkten, bleibt fraglich. Ins Erforschung harren. Ich hoffe sehr, dass Matthias Gemählich weiter »Um zu lernen, wie man Frieden macht, bin ich in die alten Nürnberger Prozess hervorzuheben, wie das häufi g in »westlichen« Spiel bringen sie neben Franz L. Neumann, von dem Jackson scheinbar zum Thema forschen wird und dass die Arbeiten von Lilia Antipow staubigen Keller gestiegen«, teilt Darnstädt seiner LeserInnenschaft Darstellungen des IMT-Verfahrens geschieht, sondern die Reden der die These des instrumentell ausgerichteten Antisemitismus der National- (und Irina Schulmeister) bald publiziert werden. Der Sammelband auf der fünften Buchseite mit. Der Satz kann wunderbar als Spiegel britischen, französischen und sowjetischen Anklagevertretungen als sozialisten übernommen hat, Otto Kirchheimer und Herbert Marcuse. vom Nürnberger Menschenrechtszentrum macht Lust, sich weiter des gesamten Buches herhalten: Erstens enthält er die Hauptaussage ebenso bedeutsam für »Nürnbergs« Vermächtnis zu verstehen. Ob Neumann oder Kirchheimer Autor eines während der Londoner mit dem Thema »Nürnberg« zu beschäftigen – und das ist eines der des Autors, dass nämlich auch durch den Internationalen Militärge- Nach einer kurzen Erläuterung, wieso von den amerikanischen, Konferenz abgefassten R&A-Berichts zum Anklagepunkt der »Verbre- wichtigsten Ergebnisse, das eine historische Abhandlung haben kann. richtshof von 1945/1946 ein langfristiger Frieden geschaffen wurde. französischen und sowjetischen Anklagestäben die Eröffnungsreden chen im Inland« (aus dem später der Tatbestand der »Verbrechen gegen Diese fragwürdige Hauptthese dehnt der Autor gleichsam auf heutige kommentiert und publiziert wurden, vom britischen Anklagestab die Menschlichkeit« entwickelt wurde) war, können Huhle und Böhm Alexa Stiller internationale Strafgerichtshöfe aus, die seiner Ansicht nach ebenfalls jedoch die Schlussrede (der Chefankläger Hartley Shawcross hatte nur mutmaßen. Die Einbeziehung dieses Dokuments in die Analyse Bern

58 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 59 Im Zentrum der Vernichtung formal das Rüstzeug für eine rasche Karriere in den Institutionen des Judenverfolgung vor 1939 welche Konsequenzen aus dem Lagersystem später noch hervorge- Nationalsozialismus mitbrachten. Gafke zeichnet in seiner Arbeit in hen sollten: »In the 1930s, the Holocaust was unthinkable« (S. 4). vielen Episoden das Bild einer fanatischen Funktionselite, die sich Mit Hilfe einer integrierten Geschichtsschreibung, die insbeson-

bis zum Ende durch ihr unerbittliches Handeln auszeichnet. Ob sie dere auf Egodokumente, Berichte, Briefe und spätere Zeugenaussa- tatsächlich brutaler und skrupelloser als Täter aus dem »Altreich« gen der inhaftierten Juden, aber auch auf Täterdokumente gestützt Matthias Gafke agierten, wie Gafke behauptet, wäre allerdings erst in einer verglei- Kim Wünschmann argumentiert, zeichnet Wünschmann die Entwicklung von den frü- Heydrichs Ostmärker. Das österreichische chenden Studie zu ermitteln. Dennoch weist er auf einen wichtigen Before Auschwitz. Jewish Prisoners in the hesten Schutzhaftnahmen 1933 bis zu umfassenden Internierungen Führungspersonal der Sicherheitspolizei Aspekt hin, der die besondere Treue der untersuchten Personen zum Prewar Concentration Camps im Schlüsseljahr 1938 nach. und des SD 1939–1945 NS erklären könnte, verband sie fast ausnahmslos eine vor 1938 Cambridge/Mass., London: Harvard Der Raum der Vorkriegskonzentrationslager konturiert sich da- Darmstadt: Wissenschaftliche gemachte Repressionserfahrung, die dazu beitrug, »[…] dass sie so University Press, 2015, 367 S., € 40,95 bei als prägnantes Probierfeld nationalsozialistischer Gewaltmaß- Buchgesellschaft, 2015, 331 S., € 59,95 unerbittlich mit den […] Gegnern abrechneten und bis zum Schluss nahmen, Mittel der schrittweisen Entrechtung und Ausstoßung der so gläubige Nationalsozialisten blieben. Hatte sich ihre Standhaftig- Juden aus dem deutschen Gesellschaftsgefüge und Zurichtungsap- keit doch schon einmal bezahlt gemacht.« In dem berühmten Fernsehinterview mit parat, der darauf zielte, aus der heterogenen Gruppe der deutschen Österreicher, so Franz Vranitzky 1993 in Kaum überraschend hatten die Täter im Nachkriegsösterreich Günter Gaus im Jahr 1964 antwortete Han- Juden eine der antisemitischen Imaginations- und Projektionswelt seiner Rede an der Hebräischen Universi- wenig zu befürchten. Verlief die juristische Aufarbeitung der Bun- nah Arendt auf die Frage, durch welches Ereignis in den 1930er Jah- entsprechende werden zu lassen. tät Jerusalem, »gliederten sich in die Nazi-Maschinerie ein, einige desrepublik schon schleppend, so unterboten die österreichischen ren sie sich besonders zum politischen Handeln gezwungen gesehen Das Buch ist in sechs Kapiteln in chronologischer Folge struktu- stiegen in ihr auf und gehörten zu den brutalsten und scheußlichsten Behörden die westdeutsche Entnazifi zierung nochmals. Zwar sind habe, mit folgender Erklärung: »Ich könnte den 27. Februar 1933, riert und beginnt entsprechend mit der Aufbauphase des Konzentra- Übeltätern«. So banal die Ausführungen des damaligen österreichi- die Zahlen der Verfahren vor den sogenannten Volksgerichten be- den Reichstagsbrand, und die darauf in derselben Nacht erfolgten tionslagersystems von 1933 bis 1934. Diese war von willkürlichen schen Bundeskanzlers heute klingen mögen, so bedeutsam waren eindruckend, aber der Autor weist zu Recht darauf hin, dass davon illegalen Verhaftungen nennen. Die sogenannten Schutzhaften. Sie und extrem gewaltsamen Übergriffen auf Juden und der notorischen sie Anfang der 1990er Jahre. Waren sie doch der unübersehbare nicht auf die Qualität der Urteile geschlossen werden kann. Die wissen, die Leute kamen in Gestapo-Keller oder in Konzentrations- Schutzhaft geprägt, die in einem scheinbar legalen Rahmen, aber Ausdruck einer sich seit Mitte der 1980er Jahre vollziehenden Zei- meisten Urteile bezogen sich schließlich auf formale Delikte und lager. Was dann losging, war ungeheuerlich und ist heute oft von ohne durchschaubare rechtliche Grundlage exekutiert wurde. Vor- tenwende in der Auseinandersetzung über die Jahre 1938–1945 in nicht auf die begangenen Verbrechen gegen die Menschheit. Die den späteren Dingen überblendet worden.«1 Diesen ungeheuerli- rangig politisch aktive, dem Regime gegenüber kritische deutsche der Alpenrepublik. Allmählich wich die Mär von Österreich als Täter aus der von Gafke untersuchten Gruppe kamen, wenn sie sich chen Vorgängen widmet sich mehr als fünfzig Jahre nach Arendts Juden fi elen diesen ersten Inhaftierungen zum Opfer. Prominente dem ersten Opfer des Hitler-Regimes einer differenzierten Debatte überhaupt für ihre Taten vor Gericht verantworten mussten, mit Bemerkung nun Kim Wünschmann mit ihrer glänzenden Studie Persönlichkeiten, wie etwa Werner Scholem, Werner Hirsch, Erich über die Beteiligung der eigenen Landsleute an den NS-Verbrechen. geringen Haftstrafen davon und konnten sich nach der Verbüßung Before Auschwitz. Jewish Prisoners in the Prewar Concentration Mühsam oder Hans Litten, waren von diesen Maßnahmen betroffen. Wissenschaftlich schenkte man dieser Tätergruppe jedoch auch in rasch wieder eine Existenz aufbauen. Camps erstmals systematisch. Auf Grundlage eines beeindruckenden Die ersten Verhaftungen fanden in aller Öffentlichkeit und durchaus den folgenden Jahren wenig Aufmerksamkeit. Allein Ernst Kal- Die Studie von Gafke ist zweifellos ein wichtiger Beitrag zur Korpus von Originalmaterial rekonstruiert sie damit wesentliche An- unter Mithilfe der Bevölkerung statt (S. 51). tenbrunner, Otto Skozerny, Odilo Globocnik und Hermann Höfl e Täterforschung, obwohl es sinnvoll gewesen wäre, die theoretischen teile der Verfolgungsgeschichte der Juden im nationalsozialistischen Anhand der Beispiele von Dachau (Bayern), Osthofen (Hes- dürften einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sein. Wem aber sagen und methodischen Überlegungen ausführlicher zu erläutern. Insbe- Deutschland vor 1939. sen), Oranienburg, Breitenau und den Emsland-Lagern (alle in schon die Namen Josef Witiska oder Humbert Achamer-Pifrader sondere die Frage, wer der Gruppe der »Ostmärker« zugeschlagen Im Unterschied zu der von Arendt attestierten, noch heute dis- Preußen) beschreibt Wünschmann danach die verschiedenen La- etwas? Witiska war als Chef der Einsatzgruppe H der Henker von wird, ist nicht in allen Fällen einleuchtend. Abgerundet wird die kursbestimmenden Überblendung der jüdischen Vorkriegserfah- gerformen und ihre internen Strukturen, wobei sie eine umfas- 14.000 slowakischen Juden, Achamer-Pifrader maßgeblich an der Studie von Kurzbiographien der Personen seines Samples. rung durch die späteren Vertreibungs- und Vernichtungsprozesse sende empirische Grundlage zur sozialen Zusammensetzung und Deportation der hessischen Juden beteiligt. Beide wirkten somit an Negativ anzumerken ist die Diktion, der sich der Autor zuweilen fokussiert Wünschmann aus nichtteleologischer Perspektive die den demographischen Merkmalen der Lagerinsassen erarbeitet. zentralen Stellen des NS-Vernichtungsapparats und sie waren nicht bedient. Was vermutlich als sprachliche Aufl ockerung gedacht war, mittels Konzentrationslagerhaft gewaltvoll vollzogene Exklusion So wird deutlich, dass die etwa 40.000 jüdischen Häftlinge in den die Einzigen aus der Heimat des Führers. ist nicht nur einer wissenschaftlichen Arbeit unangemessen, sondern der deutschen Juden aus der deutschen Gesellschaft. Sie deutet die frühen Konzentrationslagern zunehmend separiert und gesondert Matthias Gafke widmet sich in seiner gruppenbiografi sch an- wird gerade dieser Thematik nicht gerecht. So kommentiert er etwa zahlreichen Internierungen in reichsweit eingerichteten Lagern somit behandelt wurden. Schikane und Gewalt richteten sich speziell gelegten Untersuchung erstmals auf breiter Quellenbasis dieser den Mord an tausenden Juden mit den Worten, dass die Deutschen nicht als »Vorgeschichte zum Holocaust«, sondern als eigenständi- gegen die religiösen Inhaftierten. Sie manifestierten sich aber auch spezifi schen Tätergruppe innerhalb der Sicherheitspolizei und des und ihre ukrainischen Hilfstruppen »schlimm gehaust« hätten, be- ge Phase ideologischer Festigung und Etablierung des totalitären in gezielten Angriffen auf Ausdrucksformen von Männlichkeit SD. Seine Arbeit fördert für die Täter aus der »Ostmark« in der Tat zeichnet Massenmörder als »Vollprofi s« im Erschießen oder spricht Machtapparats. Zwar zeigt die Studie auch Zusammenhänge zwi- besonders der politischen Häftlinge, die zumeist dem Bild »anti- Erstaunliches zu Tage. Ins Auge fällt zunächst, dass nahezu alle an anderer Stelle bei besonders fanatischen Nationalsozialisten von schen der Konsolidierung des Nationalsozialismus und der Dynamik semitischer Karikaturen des ›Juden‹« widersprachen (S. 97). Auch seiner 51 untersuchten Protagonisten, sechs von ihnen untersucht »Oberradikalinskis«. Für eine Neuaufl age ist ein Lektorat in dieser des Vernichtungsprozesses zu Kriegszeiten auf. Wünschmann kann die spezifi schen Bedingungen von Verhaftung und Lagerexistenz er ausführlich, bereits lange vor dem Anschluss gefestigte Nati- Hinsicht nicht nur wünschenswert, sondern unerlässlich, trüben diese aber überzeugend verdeutlichen, dass die Zeitgenossen trotz der jüdischer Frauen fi nden in Wünschmanns Buch umfassende Be- onalsozialisten waren. Es eint sie ferner, dass die Universität für gebrauchten Formulierungen und Begriffl ichkeiten diese insgesamt stufenweisen Herausbildung einer »diversifi zierten Topographie des achtung. Politische Opposition und sogenannte »Rassenschande« ihre ideologische und organisatorische Einbindung in das völkische aufschlussreiche Studie. frühen Terrors« (S. 68) in dieser Zeit nicht zu ahnen vermochten, bildeten insbesondere nach der Erlassung der Nürnberger Gesetze Milieu der 1930er Jahre den entscheidenden Ort darstellte. Dies 1935 den wesentlichen Hintergrund ihrer Internierung. Sie wurden weist auf das hervorstechendste Merkmal der »Ostmärker« hin, Remko Leemhuis in Frauenbaracken untergebracht, mussten häufi g Zwangsarbeit zeichnete sich die von Gafke untersuchte Gruppe doch durch einen Berlin leisten und waren Misshandlungen ausgesetzt, die selbst bei relativ 1 Hannah Arendt im Fernsehgespräch mit Günter Gaus (Oktober 1964), in: Hannah außergewöhnlich hohen Akademisierungsgrad aus. So beendeten Arendt, Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Leben und Werk, hrsg. von Ursula kurzen Inhaftierungszeiten zu schweren psychischen und physi- 45 Personen ein Studium, 39 gar mit der Promotion, womit sie auch Ludz, München, Zürich 2006, 2. Aufl ., S. 46−72, hier S. 50. schen Schäden führten (S. 121).

60 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 61 Insgesamt kamen viele der jüdischen Häftlinge nach unbe- Aufstand des Sonderkommandos in Birkenau wurden im Frühjahr 1943 nicht nach Auschwitz deportiert (S. 41, verlagerte faktisch den Schwerpunkt der beabsichtigten Einsätze in stimmter Haftzeit wieder frei – zumeist allerdings mit der Aufl age, 115), sondern nach Majdanek und in Arbeitslager in der Region andere Regionen Polens. Deutschland zu verlassen. Dadurch entwickelten sich die Konzen- Lublin. Adolf Eichmanns Judenreferat im Reichssicherheitshaupt- Ein Beauftragter der AK-Führung, der die Lage in der Region trationslager zu einem wesentlichen Druckmittel für die erzwungene amt war keine »Abteilung für jüdische Angelegenheiten« (S. 18). Auschwitz erkunden sollte (nicht ein Verbindungsmann zwischen Auswanderung. Während der zweiten Phase von 1935 bis 1938, in Nicht Hubert Busch (S. 9, 28, 210, 221, 228), sondern Hermann Auschwitz und Krakau; S. 157), wurde tatsächlich unweit des Lagers der sich die nationalsozialistischen Lager unter der Verantwortung Gideon Greif, Itamar Levin Buch war im Oktober 1944 Kommandoführer bei den Krematorien; mit konspirativen Dokumenten über Planungen eines Aufstands im Heinrich Himmlers zunehmend professionalisierten und institutio- Aufstand in Auschwitz. Peter Voss war nie Lagerkommandant (S. 28); Walter Quakernack Lager festgenommen und in das Stammlager Auschwitz gebracht, nalisierten, zeigten sich die Haftbedingungen und -gründe aus Sicht Die Revolte des jüdischen »Sonder- war nicht Leiter der Politischen Abteilung (S. 22).2 Der jüdische jedoch nicht im Juni, sondern am 28./29.9.1944, also eine Woche der jüdischen Häftlinge als immer unvorhersehbarer, gewaltvoller kommandos« am 7. Oktober 1944 »Bund«, einer der Träger des jüdischen Widerstands im besetzten vor dem Aufstand im Sonderkommando. Von diesem AK-Offi zier und arbiträrer. Das Jahr 1938 schließlich stellt Wünschmann als Aus dem Hebräischen von Beatrice Greif. Polen, forderte nicht die Integration der Juden (S. 343), sondern ihre Stefan Jasieński (Pseudonym »Urban«), der wie die vier jüdischen negativen Höhepunkt der Vorkriegsinhaftierungen von Juden heraus: Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag, 2015, kulturelle Autonomie (gerade in diesem Zusammenhang sollte daran Frauen aus dem Union-Werk kurz vor der Befreiung des Lagers er- Insbesondere der Anschluss Österreichs führte zu einer Verhaftungs- 389 S., € 24,99 erinnert werden, dass eine der Folgen der nationalsozialistischen mordet wurde, erfuhr die Leitung der KGA, dass von der AK keine welle ungekannten Ausmaßes und zu kumulierenden Gewaltex- Vernichtungspolitik die Zerstörung dieser Konzeption jüdischer Unterstützung erwartet werden konnte. zessen gegenüber den inhaftierten Juden. Rassistische Kategorien Das Buch setzt Gideon Greifs Anthologie Politik in Osteuropa war, denn ihre soziale Basis war 1945 weitge- Die Vorbereitungen für einen Aufstand im Juni, Juli und August zementieren sich als Grundlage für Inhaftierungen, und gerade in Wir weinten tränenlos… (1995) fort, für die hend vernichtet). Am Anfang der Untergrundbewegung in Auschwitz 1944 (S. 121–177) werden gerade dann nachvollziehbar, wenn sie Wien wurden die öffentlichen Verhaftungen mit einer Brutalität nach Israel gelangte Überlebende des »Sonderkommandos« ihre Er- standen nicht »vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten aus nicht auf bestimmte Daten bezogen werden, sondern auf den Zeit- vollzogen, die Modellcharakter haben sollte. Ein ähnliches Vorge- innerungen offenbarten. Die »Arbeit« des Sonderkommandos war Österreich und Deutschland« (S. 76), sondern bereits im Sommer raum Sommer 1944 und die für die KGA grundlegende Vorausset- hen zeigt sich im selben Jahr dann in Folge der Novemberpogrome, es hauptsächlich gewesen, die mit Zyklon B ermordeten Opfer aus 1940 polnische Häftlinge. Es gab keinen »Geheimsender mitten im zung, dass ein Aufstand des ganzen Lagers allein bei einer damals denen die Juden im gesamten Reichsgebiet ausgesetzt waren. den Gaskammern zu den Krematorien zu bringen und in den Öfen zu Lager […] im berüchtigten Block 11« (S. 84); von der Kampfgruppe erwarteten Frontannäherung aussichtsreich war. Hier sei daran er- Soziale und ökonomische Exklusion verbunden mit der illega- verbrennen. Seine und Itamar Levins neue Studie erweitert die Erkennt- Auschwitz (KGA) aus dem Lager gebrachte Informationen wurden innert, dass Eugen Kogon für die erheblich günstigere Situation in len Aneignung des jüdischen Eigentums sowie die forcierte Emi- nisse der ersten Publikation durch die Einbeziehung der von Häftlingen durch Funkgeräte des polnischen Untergrunds nach Großbritannien Buchenwald kurz vor Kriegsende berichtet: »[...] wir setzen uns gration werden als die gewichtigsten Motive der Inhaftierung von des Sonderkommandos versteckten Handschriften, seit der Befreiung übermittelt. Nicht »im Frühjahr 1944« (S. 4) fotografi erten Häftlin- erst dann zur Wehr, wenn es ernst wird«.4 Anders als die Verfasser Juden in deutschen Vorkriegskonzentrationslagern erkennbar. Die aufgezeichneten Berichten, heute zum Teil nur schwer zugänglichen ge des Sonderkommandos die Verbrennung der Leichen bei einer betonen (S. 180), zeigt die Darstellung der Geschehnisse bei den öffentliche Konstruktion der deutschen Volksgemeinschaft meinte frühen Veröffentlichungen und weiteren Befragungen Überlebender. der Gaskammern, sondern wahrscheinlich Ende August, Anfang Krematorien 4 und 5, dass der Aufstand letztlich nicht auf den frühe- die brutale Zurückweisung der Zugehörigkeit von deutschen und Aufschlussreich ist vor allem die auf der Zusammenschau dieser September 1944. ren Planungen und Vorbereitungen aufbauen konnte (S. 227 f.); der österreichischen Juden, wofür die Lagerhaft zum willkommenen Zeugnisse beruhende Rekonstruktion der Bemühungen, zunächst Schwerwiegender für die in der Studie erörterten Fragen sind Beginn und der Ablauf waren situationsbedingt. Die ursprüngliche Ausdrucksmittel wurde. eine Flucht aus Birkenau anzubahnen und 1944 immer stärker ei- Missverständnisse, die den Lagerwiderstand betreffen. Anders als Konzeption erforderte Unterstützung von außerhalb des Lagers und Wünschmanns Studie beschreibt in dichter und überzeugender nen Aufstand vorzubereiten, der eine Massenfl ucht ermöglichen die Verfasser darstellen, können der Lagerwiderstand und vor allem nach der Flucht aus dem Lager Aufnahmemöglichkeiten – beides Form, wie ein jüdisches Feindbild innerhalb der deutschen Gesell- sollte und in dessen Verlauf die Gaskammern und die Anlagen zur die polnischen Angehörigen der KGA nicht mit der Armia Krajowa war nicht gegeben. schaft zementiert und durch die Lagerhaft in koordinierter Gewalt- Verbrennung der Leichen zerstört werden sollten. Angesichts der (AK) gleichgesetzt werden. Dass die KGA selbst Schwierigkei- Die Geschehnisse nach dem Aufstand, die Verhöre durch die ausübung manifestiert wurde. Obwohl die meisten inhaftierten Juden wenigen Überlebenden und der auch von den Verfassern betonten ten mit dem AK-Kommando in der Region Auschwitz hatte, zeigt Lagergestapo und vor allem das Schicksal der jungen Frauen, die die ersten Internierungen überlebten und häufi g aus dem deutschen Widersprüche in deren Berichten (S. 12) ist es eine fast unlösbare schlaglichtartig ein erst später bekannt gewordenes Dokument: Als für ihre Mithäftlinge im Sonderkommando den Sprengstoff aus dem Machtbereich fl iehen konnten, zeigt die Studie eindrucksvoll, wie Aufgabe, diesen Plan zu rekonstruieren. Gerade die zentralen Kapitel Mitte Oktober 1944 Józef Cyrankiewicz, der Leiter der KGA, zum Union-Werk beschafften, sind bisher noch nicht so detailliert dar- der »außerjuristische« Raum (S. 232) dieses frühen Lageruniversums über die Aufstandsvorbereitungen im Sommer und Herbst 1944, die Kommandanten der AK-Abteilungen im Lager ernannt werden soll- gestellt worden (S. 277–300). In das Buch wurden auch Fragmente Grundlagen für die breite gesellschaftliche Akzeptanz der systema- Beschaffung von Sprengstoff und die Geschehnisse Anfang Oktober te, strich der zuständige AK-Offi zier die Ernennung durch.3 Nicht eines Interviews mit dem früheren Sonderkommando-Häftling Jakov tischen Ausgrenzung schuf. Sie bereitete der Ausübung brachialer 1944 (S. 179–275) sind jedoch überzeugend, zumal die Verfasser die AK nahm mit der KGA Kontakt auf (S. 79 f.), sondern die KGA Silberberg aufgenommen (S. 47 f., 50 f.), das in der deutschsprachi- Gewalt von »Deutschen gegen Deutsche« und schließlich gegen alle Differenzen und ungeklärte Fragen offenlegen. bemühte sich Mitte 1944, gerade als ein Aufstand in greifbare Nähe gen Ausgabe von Wir weinten tränenlos… nicht abgedruckt wurde. europäischen Juden den Weg. Präzisierungen erfordern jedoch die Ausführungen zur Ge- zu rücken schien, um Kooperation und Unterstützung durch die AK schichte des Lagers und über die konspirativen Gruppen, also die in der Region Auschwitz. Der Lagerwiderstand wurde nicht in den Jochen August Elisabeth Gallas Bedingungen, unter denen die Häftlinge im Sonderkommando ihren Plan »Burza« eingeweiht (S. 151); die Zuspitzung der AK-Planungen Berlin/Oświęcim Leipzig Widerstand entwickelten. Nichts deutet darauf hin, dass unter den auf bewaffnete Aktionen im Zuge des Vorrückens der Roten Armee Ende Juli 1941 in Pirna-Sonnenstein vergasten Auschwitz-Häftlin- gen auch Juden waren (S. 18). Der für den 15.2.1942 genannte Trans- port aus Beuthen (S. 22 f.) beruht auf einer seit den fünfziger Jahren tradierten irrtümlichen Annahme.1 Juden aus dem Warschauer Getto 2 Ernst Klee, Auschwitz. Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde, Frank- furt am Main 2013, S. 69, 75, 326, 419. 3 Siehe die Reproduktion in: Waclaw Dlugoborski, Franciszek Piper (Hrsg.), Auschwitz 1940–1945. Studien zur Geschichte des Konzentrations- und Vernich- 1 Alfred Gottwaldt, Diana Schulle, Die »Judendeportationen« aus dem Deutschen tungslagers Auschwitz, aus dem Polnischen von Jochen August, Oswiecim: Ver- Reich 1941–1945. Eine kommentierte Chronologie, Wiesbaden 2005, S. 393. lag des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, 1999, Bd. IV, S. 162. 4 Eugen Kogon, Der SS-Staat, Frankfurt am Main 1946, S. 278.

62 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 63 Geopolitische Versuchungen der deren politische Ambitionen und ihre historische Kontextualisie- Heimat, die dann durch Adolf Helboks »Blut- und Siedlungsräume«, ihre Arbeiten der »geopolitischen Versuchung«2 bei der Deutung des Bevölkerungswissenschaft rung sowie die Entradikalisierung des Ansatzes nach 1945. Der Friedrich von Klockes »Volksordnungsgeschichte« und durch die Verhältnisses von Geschichte und Raum zwar ausgesetzt waren, ihr enzyklopädische Anspruch des Werks dokumentiert sich auch »Kulturraumforschung« von Hermann Aubin und Erich Keyser aber nicht anheimfi elen. über ein beigegebenes Namenslexikon, das von dem angesehenen radikalisiert wurde. Vor allem Letzterer war, zusammen mit Max Für den Leser von Pinwinklers Darstellung ist zuletzt weni- Agrarhistoriker und -soziologen Wilhelm Abel (Autor eines nach Hildebert Boehm (sein Buch Das eigenständige Volk. Volkstheore- ger überraschend, dass anhand der Geschichte der Bevölkerungs- 1945 mehrfach aufgelegten Standardwerks über die Geschichte tische Grundlagen der Ethnopolitik und Geisteswissenschaften ist und Raumwissenschaft demonstriert werden kann, wie stark im Alexander Pinwinkler der deutschen Landwirtschaft) über Elisabeth Pfeil (Stadtsozio- das bekannteste Dokument der Hinwendung zu einer deterministi- 20. Jahrhundert mehrere Wissenschaftlergenerationen in und au- Historische Bevölkerungsforschungen. login, ab 1937 NSDAP-Mitglied, schrieb in einer Schrift zum schen Volksgeschichte), für die Ausbildung eines antisemitischen ßerhalb Deutschlands in Kategorien von Volkszugehörigkeit und Deutschland und Österreich im Verhältnis von Raum und Bevölkerung, dass es ursprünglich ein Bevölkerungs-Paradigmas verantwortlich. Keyser wollte »Rassen- Abstammung dachten und kollektive Entitäten in der Regel wie eine 20. Jahrhundert »Gleichgewicht zwischen Rasse und Raum, die reine Rasse des forschung und Geschichtswissenschaft« – so ein Aufsatztitel von unveränderliche Gegebenheit darstellten; überraschend ist die vom Göttingen: Wallstein Verlag, 2014, Raums« gegeben habe) bis hin zum Kärntner Archivar Martin 1934 – verbinden; er legte 1938 mit der groß angelegten Bevöl- Autor immer wieder betonte Tatsache, wie vielseitig und vielgestaltig 537 S., € 46,– Wutte (er unterstützte mit seinen Arbeiten vor allem die national- kerungsgeschichte Deutschlands auch ein Beispiel für die neue die Ergebnisse von Statistik, Stadtsoziologie, Familienforschung und sozialistische Volkstumspolitik gegen Slowenien) die Akteure des rassenkundliche Geschichtsforschung vor, die in ihren Neuaufl agen Demographie dabei sein konnten. So erweist sich der Titel seiner Themas in werkbiographischen Miniaturen aufführt (S. 416–463). 1941 und 1943 ihre Ausfälle gegen Juden noch verstärkte. In der Studie, die kein Fach im Singular, sondern die heterodoxe Vielzahl Der 2008 verstorbene Kulturwissenschaft- Der Leser erhält im Buch Informationen über viele ihm zuvor jungen Bundesrepublik machte Keyser dann als Mitbegründer des von Praktiken im Plural ausweist, als eine kluge Entscheidung des ler Heinz D. Kittsteiner hat 2002 einmal unbekannte Gelehrte – etwa über Hermann Wopfner, der die Volks- Herder-Forschungsrats und als Direktor des Herder-Instituts in Mar- Verfassers. beiläufi g, in einem Essay zur Entwicklung der deutschen Gedenk- kunde Tirols zu seinem Thema machte, oder über Harold Stein- burg eine zweite Karriere. kultur, von folgendem Antiquariatsfund berichtet: Er stieß auf einen acker, Anhänger des »Anschlusses« von Österreich an Deutsch- Dieser zentrale Teil von Pinwinklers Buch berichtet nicht ein- Nicolas Berg unscheinbar anmutenden Schulatlas aus dem Jahre 1933, der es land und zwischen 1938–1942 Rektor der Universität Innsbruck. fach nur aus dem akademischen Elfenbeinturm; hier besticht die Frankfurt am Main/Leipzig jedoch in sich hatte, da er »die beliebten geostrategischen Pfeile Bei Pinwinkler wird darüber hinaus auch ein neuer Blick auf die methodische Klarheit, mit der unterschiedliche Ebenen des Themas und Schraffuren«, die man auch aus heutige Lehrmitteln kennt, bekannten Wissenschaftler wie Hermann Aubin, Werner Conze, miteinander verknüpft, Wissenschaftstraditionen und -stile sowie auf mehreren Karten strikt antisemitisch einsetzte: »Ein Schaubild Theodor Schieder oder Gunther Ipsen möglich. Der Ansatz, den generationelle Prägungen bzw. akademische Schulbildungen dar- 2 Peter Schöttler, »Geopolitische Versuchungen bei der Interpretation der Bezie- vergleicht die Anzahl der jüdischen Geschäfte in der Leipziger In- sein Buch wählt, stellt sie in ihrem Wissenschaftsmilieu vor, das gestellt werden. Am Ende des Buches wartet mit Teil III noch ein hung zwischen Raum und Geschichte. Eine kritische Bilanz der Konzeptionen nenstadt im Jahre 1890 und im Jahre 1930«, so Kittsteiner, »und dem eigenen Selbstverständnis entsprach, weil sie ihre Ansätze oft Buch im Buch auf den Leser, in dem Pinwinkler die Netzwerke und Theorien seit Friedrich Ratzel«, in: Dietrich Denecke, Klaus Fehn (Hrsg.), was soll man sagen? Die Zahl ist angewachsen! In Ostpolen und vor 1933 ausbildeten und nach 1945 dann in entschärfter Form der beteiligten Wissenschaftler, die Institutionalisierungen des ge- Geographie in der Geschichte, Wiesbaden 1989, S. 73–88. der Ukraine, vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer – wieder ein als Sozial- oder Strukturgeschichte beibehalten konnten. Die seit samten Faches und seine Internationalisierung vor 1933 und nach Schaubild – gibt es ganz und gar einen ›Judengraben‹, aus dem […] den 1920er Jahren geradezu boomende Volksgeschichtsschreibung 1945 analysiert. Hier macht die Darstellung durch einen genauen weitere Juden auftauchen werden, wahrscheinlich um die Leipziger und Bevölkerungsforschung wurde, so machen die Ergebnisse des Blick auf die internationalen Historikertage 1928 in Oslo, 1933 in Innenstadt noch mehr zu ›verjuden‹. Und hintendrin in dem Atlas Buchs insgesamt deutlich, im »Dritten Reich« beides zugleich: ein Warschau und 1938 in Zürich (und auf diejenigen, die nach dem liegen noch die Zeugnisse eines Schülers, der diesen Unsinn brav Gewaltinstrument für die politisch ausgreifenden ideologischen Zweiten Weltkrieg in Paris, Rom, Stockholm Wien und Moskau gelernt hat.«1 Ambitionen des social engeneering; sie stellte sich dabei aber stattfanden) deutlich, dass die Bevölkerungswissenschaft vor und Die Ideologie- und Wissenschaftsgeschichte dieser suggesti- zugleich oft als sachlich-nüchterne Zahlen- und Sozialwissenschaft nach dem Nationalsozialismus und auch jenseits von Deutschland ven »geostrategischen Pfeile und Schraffuren«, deren Indienstnah- dar, die ihre Daten wie Mathematik zu erheben schien. zu einer Sprache fand, die dem Denken in mechanistischen Kate- me für den Antisemitismus im Schulunterricht der 1930er Jahre Das Buch hat drei Teile mit insgesamt neunzehn Kapiteln. Im gorien Vorschub leistete. Kittsteiner hier anprangerte, hat der österreichische Historiker ersten Teil breitet Pinwinkler seine begriffl ichen und methodischen Pinwinklers Buch ist ein großer Wurf. Man sieht dies auch da- Alexander Pinkwinkler nun in einer grundlegenden Studie zur Grundlagen aus. Auf diesen 130 Seiten diskutiert er die Termino- ran, dass er liberale Vertreter der historischen Bevölkerungsstatistik deutschsprachigen Bevölkerungsforschung im 20. Jahrhundert logie seiner Quellen (»Umvolkung«, »Volkskörper«) und seinen präzise in die Diskurse der Zeit einfügt, etwa den 1933 aufgrund zum Thema gemacht. Es handelt sich bei dieser Arbeit fast um ein eigenen Zugriff auf die kartographischen Inszenierungen sozialer seiner »nichtarischen Abstammung« entlassenen Nationalökonom, Handbuch zum Gegenstand, jedoch nicht um das einer Disziplin, und völkischer Differenz, von »eigen« und »fremd«. Hier umreißt Statistiker und Wohlstandstheoretiker Paul Mombert, ein Schüler sondern das einer Praxis, da der Autor nicht die fachgeschichtliche der Verfasser auch das intellektuelle wie förmliche Andienen an die des Münchner Nationalökonomen Lujo Brentanos, der 1938 nach Dogmatik allein nachzeichnet und sich zudem zum Glück gar Politik, der man nicht allein die eigene wissenschaftliche Expertise dem Novemberpogrom von den Nazis verhaftet wurde und noch nicht erst für einen einzelnen Aspekt des Themas entschieden hat, zur Verfügung stellte, sondern die man aktivistisch regelrecht in im selben Jahr an den Folgen seiner Krebserkrankung in Stuttgart sondern dem Leser alles zugleich anbietet: systematische Teile, Bewegung zu setzen suchte. Der zweite Teil bietet eine ins 19. Jahr- verstarb. Mombert refl ektierte in den 1920er Jahren Denkmodelle 1.900 likes begriffl iche Refl exion, Gelehrtenporträts sowie Werkanalysen, hundert zurückgreifende Entwicklung des Themenbereichs seit wie »Über-« und »Unterbevölkerung« und lehnte völkische Schluss- Karl Büchers »große Massenbewegungen« und Karl Julius Belochs folgerungen des Themas ab. Auch die jüdischen Migrationsforscher Folgen auch Sie uns auf Facebook! »Bevölkerungsstatistik«, deren Einfl uss viele Jahrzehnte anhielt. Alexander und Eugen Kulischer, die aus Deutschland vertrieben Aktuelle Informationen aus dem Fritz Bauer Institut, Hier werden auch die Vertreter der »Leipziger Schule« der 1920er wurden, fi nden in dem Buch eine gerechte Würdigung. Sie waren Nachrichten und Berichte aus Kultur und Wissenschaft: 1 Heinz D. Kittsteiner, »›Gedächtniskultur‹ und Geschichtsschreibung«, in: www.facebook.com/fritz.bauer.institut Volkhard Knigge, Norbert Frei (Hrsg.), Verbrechen erinnern. Die Auseinander- Jahre vorgestellt, Rudolf Kötzschkes noch harmlos als »Landesge- durch die Diskurse der Zeit geprägt, gingen aber nicht in ihnen auf; setzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, S. 306–326, hier S. 322. schichte« fi rmierende kulturmorphologische Bestimmung deutscher trotz mancher Themenstellung und Scheinnähe wird deutlich, dass

64 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 65 Holocaust in Jugoslawien? Kirche oder die verletzend geführte Debatte um die Opferzahlen der Jüdisches Leben in Breslau Mikrogeschichte einer jüdischen Gemeinschaft einer Stadt, gestützt Ustascha in Jasenovac. Zudem ist der Massenmord an den Juden hauptsächlich auf Selbstzeugnisse, verstellt mitunter den Blick auf verzahnt mit den anderen in der Region verübten Gewalttaten, also Fragen, die der Fall Breslau aufwirft. Warum zum Beispiel kam es

vor allem mit dem Völkermord der Ustascha an Serben und Roma. dort zu diesem außergewöhnlich radikalen Ausbruch antisemitischer Das Thema ist an Komplexität kaum zu überbieten. Ćulibrk glie- Gewalt im Frühjahr 1933? Wer waren die Triebkräfte? Waren sie vor Jovan Ćulibrk dert es chronologisch in sechs Teile – eine Ordnung, an die er sich Katharina Friedla 1933 schon aktiv? So werden durch eine nun umgekehrte Einsei- Historiography of the Holocaust in nicht immer hält, was dem Buch einen wenig stringenten Charakter Juden in Breslau/Wrocław 1933–1949. tigkeit manche wichtigen Fragen gar nicht erst aufgeworfen, denen Yugoslavia verleiht. Der Autor diskutiert eindrücklich den in den 1980er Jahren Überlebensstrategien, Selbstbehauptung nachzugehen gerade für eine solche Lokalstudie sehr interessant und Belgrad: University of Belgrade, 2014, einsetzenden Spaltungsprozess der jugoslawischen Historiographie, und Verfolgungserfahrungen lohnenswert gewesen wäre. Zu häufi g bleibt es beim »Was?«, ohne 217 S., ca. € 12,– der auf kroatischer Seite durch das Rütteln an angeblichen Tabus und Köln u.a.: Böhlau Verlag, 2015, zum »Warum?« vorzudringen. Dass aber mehr möglich gewesen auf serbischer Seite durch das Begründen von Mythen geprägt war. 552 S., € 69,90 wäre, zeigt das Kapitel über den Novemberpogrom, in dem Friedla Ein Argument des Buches lautet, dass die Debatten um Genozide, also eine breitere multiperspektivische Herangehensweise gelingt, die Der Autor Jovan Ćulibrk ist kein typischer die gegenseitigen Genozidvorwürfe – darin aber auch die Vorwürfe, Nach langjähriger Dominanz einer einseitig Analyse mit dichter Beschreibung zu verbinden vermag und Bres- Holocaustforscher, sondern serbisch-ortho- mehr als die jeweils eigene Seite am Holocaust beteiligt gewesen ausgerichteten Täterforschung erweitern seit lauer Besonderheiten schärfer hervortreten lässt. doxer Bischof der Eparchie von Slawonien mit einem durchaus unor- zu sein – essenziel in der Neusortierung der Frage nach dem Selbst einigen Jahren vermehrt Studien den Blick auf den Holocaust, in- Ungeachtet solcher Kritik – die ein wenig über Friedlas Frage- thodoxen Lebenslauf. Er studierte Literatur in Banja Luka und Zagreb, und der Abgrenzung zum Gegenüber gewesen seien. Dabei habe die dem sie sich entweder auf die Opferperspektive konzentrieren oder stellung hinausweist – treten die Vorzüge der gewählten Perspektive bewegte sich schriftstellerisch im Umfeld des bekannten Künstler- Geschichtswissenschaft in Serbien einen Bedeutungsverlust hinneh- sich um ein umfassendes, alle Perspektiven einschließendes Bild immer wieder hervor. Die Verfolgung der Juden und schließlich ihre kollektivs NSK. Während der jugoslawischen Zerfallskriege diente men müssen, denn das Geschichtsbewusstsein der jugoslawischen bemühen. Katharina Friedlas nun gedruckt vorliegende Dissertation Ermordung war eine für die Betroffenen offene Entwicklung, deren er auf serbischer Seite als Fallschirmspringer. Seither absolvierte Serben sei fortan vor allem durch die Publizistik und die Literatur reiht sich in diesen »Trend« ein, sie rekonstruiert das wechselvolle jeweilige Richtung absolut ungewiss war und verschiedenste Formen er einen bemerkenswerten Aufstieg in der Hierarchie der serbisch- geprägt gewesen. Kroatien hingegen sei regelrecht von Historikern Leben der Juden in Breslau von 1933 bis 1949 vor allem anhand der Reaktion plausibel erscheinen ließ. Dies nah an den Menschen orthodoxen Kirche, unter anderem als ihr Vertreter in Jerusalem. In »übernommen« worden – das gilt nicht zuletzt für den Anführer des von Selbstzeugnissen. und ihren Zeugnissen zu beschreiben und in seiner Vielfalt deutlich diesem Kontext entstand auch dieses Buch, denn Ćulibrk nutzte die kroatischen Geschichtsrevisionismus, den (1971 verhafteten) Direk- Dem eigentlichen Thema ist eine umfassende Schilderung jü- zu machen, ist ein Verdienst der Arbeit. Das führt eindrücklich das Zeit in Jersualem auch für ein Studium der Holocaust Studies an der tor des Instituts für die Geschichte der Arbeiterbewegung Kroatiens, dischen Lebens in Breslau während der Weimarer Republik voran- Kapitel über die Deportationen vor Augen, deren Ablauf Friedla Hebrew University bei David Bankier. Zudem war er kirchlicher Franjo Tuđman, der 1990 zum kroatischen Präsidenten gewählt wurde. gestellt. Die damals drittgrößte jüdische Gemeinde im Deutschen detailliert aus Sicht der Betroffenen schildert. Ihre Wege verfolgt Koordinator für Jasenovac, dem geschichtspolitisch umstrittensten Beeindruckend ist der Kenntnisstand des Autors, der in der Tat die ge- Reich unterschied sich kaum von anderen. Sie war zunehmend von sie dabei weiter und erzählt ihr Schicksal auch nach Ankunft der Erinnerungsort Jugoslawiens. Was ein so hoher Repräsentant der samte jugoslawische und internationale Geschichtsschreibung bis etwa Überalterung geprägt, und die Zahl der Juden stagnierte. Gleichwohl Züge in den Lagern und Ghettos. Serbisch-Orthodoxen Kirche, ein popkulturell gebildeter Autor und 2010 in verschiedenen Sprachen aufgespürt hat. Dass zuweilen ein entfaltete sich ein reichhaltiges soziales, religiöses und kulturelles Ein besonderer Vorzug der Studie ist ihr zeitlicher Rahmen, ein Kenner des Holocaust zur Historiographie des Massenmordes auf leichtes Ungleichgewicht vorherrscht, da beispielsweise hebräische Ti- Leben, das Friedla als weitgehend konfl iktfrei beschreibt. Gestört der über das Kriegsende hinaus bis 1949 reicht und so im Grunde jugoslawischem Boden zu sagen hat, macht neugierig. tel viel, italienische Titel wenig Platz einnehmen, ist zu verzeihen. Der wurde dies immer wieder durch einen sich mitunter gewaltsam ge- genommen, anders als der Titel suggeriert, eine Geschichte der Juden Dem Autor gelingt es in der Einleitung, die komplexe, einzig- Band ist somit ein Handbuch, das all denjenigen, die sich in Zukunft bärdenden Antisemitismus. in Breslau von 1918 bis 1949 bietet. Neben allen Schwierigkeiten, artige und par excellence transnationale Geschichte des Holocaust mit Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg befassen, wertvolle Dienste 1933 änderte sich die Lage der Juden grundlegend – in Breslau mit denen jüdische Überlebende aus dem gesamten Deutschen Reich in Jugoslawien anspruchsvoll darzustellen. In Serbien ermordete die erweisen wird. Bedauerlich ist jedoch, dass ihm klare Worte fehlen, in vielen Bereichen immer etwas früher und radikaler als in anderen zu kämpfen hatten, stellte sich den 1.600 bis 1.800 Breslauern das Wehrmacht die meisten Juden, mit Hilfe des SS-Reichssicherheits- da er politisch gefärbte Forschung nicht immer als solche bezeichnet. Regionen. So kam es hier schon im März 1933 zu Boykotten jüdi- Problem, dass sie von Polen und sowjetischen Besatzern zunächst hauptamts und serbischer Polizei; in Kroatien organsierte die Usta- Dass der serbische Geschichtsnationalismus insgesamt sanfter ange- scher Geschäfte, und die Gerichte wurden regelrecht gestürmt und meist nur als Deutsche, weniger jedoch als Verfolgte angesehen wur- scha einen eigenen Völkermord an den Juden, auf dessen Vollkom- fasst wird als sein kroatisches Pendant, kann vor dem Hintergrund Juden aus ihnen vertrieben. Auch in späteren Jahren nahm Breslau den; auch zu innerjüdischen Konfl ikten zwischen alten Breslauern menheit sich die Deutschen aber nicht verließen und deshalb Juden des Autors nicht verwundern. Positiv überrascht, dass die in Serbien häufi g eine traurige Vorreiterrolle ein, etwa in einer früh schon einset- und jüdischen Neusiedlern aus der UdSSR kam es. Die meisten der nach Auschwitz deportierten; in Makedonien und in der Vojvodina bestehende Tendenz, den Holocaust zu gebrauchen, um die Aufmerk- zenden »Rassenschande«-Propaganda und Gewalttätigkeiten gegen deutschen Überlebenden gingen ab August 1945 nach Erfurt und von trugen die bulgarischen und ungarischen Besatzungsmächte auf je- samkeit für serbische Opfer zu erhöhen, auch als solche benannt wird. gemischte Paare. All dies schildert Friedla plastisch anhand einer dort wenig später vielfach weiter nach Westen. Die meisten jüdischen weils eigene Art dazu bei, dass die deutsche »Endlösung der Juden- Eine Frage, die sich nach der Lektüre stellt, ist allerdings, ob breiten Palette von Selbstzeugnissen, angefangen bei dem bekannten Umsiedler – im Winter 1946/47 lebten über 20.000 von ihnen in frage« europäischen Charakter erhielt. Italien schließlich war eine es »den Holocaust« in Jugoslawien als solchen wirklich gab. Die Tagebuch Willy Cohns oder dem von Walter Tausk bis hin zu bislang Breslau – verließen die Stadt in den darauffolgenden Jahren, als die höchst ambivalente Besatzungsmacht, die punktuell dem deutschen Vielzahl an Gruppen, Milizen, Besatzungsmächten, Staaten, die in unbekannten Berichten und Interviews. Mit Hilfe dieser Dokumente Stalinisierung einsetzte und der Antisemitismus wieder zunahm. Massenmord zuarbeitete, diesen aber vor allem obstruierte. Dazu verschiedenen Kontexten und aus verschiedenen Motiven Gewaltta- kann sie ein genaues Bild von der Ausgrenzung im Alltag zeichnen, kamen die mannigfaltigen jüdischen Aktivitäten, wie transnationale ten gegen Juden verübten, wären in einer Monographie nicht sinnvoll vor allem aber von den Reaktionen und der Selbstanpassung der Ju- Markus Roth humanitäre Hilfe und Widerstand einschließlich jüdischer Partisanen- abzuhandeln, deshalb macht es Sinn, dass die Geschichtsschreibung den Breslaus im Privaten wie im Organisatorischen, etwa die Bildung Gießen gruppen. Um kaum eines dieser kursorisch genannten Themen gab den Holocaust bisher nicht durch das Prisma eines Staates untersucht oder der Ausbau von Selbsthilfeorganisationen in allen wesentlichen es in den vergangenen Jahrzehnten keine Forschungskontroversen – hat, den es von 1941 bis 1945 nicht gab. Bereichen wie der sozialen Fürsorge, der Krankenversorgung oder genannt seien nur die Debatten, ob nun die Italiener oder die Bulgaren der Kultur. als Täter oder als Retter zu betrachten sind; zu nennen sind zudem Alexander Korb So verdienstvoll und interessant der Ansatz auf der einen die Auseinandersetzungen um die Rolle der kroatischen katholischen Leicester/Jerusalem Seite ist, so sehr treten aber auch seine Schwächen zutage. Die

66 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 67 Die Trawnikis – Werkzeuge der Vernichtung beaufsichtigten die jüdischen Arbeitskommandos, sondern sortierten »Um uns herum ist es dunkel und leer!« In ihrem Tagebuch beschreibt Rywka aus ihrer Sicht, der Sicht auch die Habseligkeiten der Ermordeten und zogen mitunter die eines orthodox geprägten jungen Mädchens, die Ghettowelt – den Leichen der Getöteten aus den Gaskammern. Daneben waren die mühsamen Alltag, die Arbeit, die den Umständen abgetrotzten Frei-

»Fremdvölkischen« allerdings auch in andere mit dem Massenmord zeit- und Kulturaktivitäten, den Hunger, ihr nicht immer konfl iktfrei- verbundene Aufgaben involviert, beispielsweise der Räumung von es Verhältnis zu den Freundinnen, Streit in der Familie, ihre eigenen Angelika Benz Ghettos oder der Bewachung von jüdischen Zwangsarbeitslagern. Rywka Lipszyc Gefühle und vieles mehr. Handlanger der SS. Die Rolle der Was das Verhalten der Trawnikis gegenüber den jüdischen Op- Das Tagebuch der Rywka Lipszyc Einen großen Stellenwert haben, wie für Jugendliche generell, Trawniki-Männer im Holocaust fern anbelangt, standen viele den Deutschen in nichts nach, viel- Aus dem Polnischen (Tagebuch) ihre Freundinnen und die gemeinsamen Aktivitäten. Sie versuchen, Berlin: Metropol Verlag, 2015, mehr adaptierten sie sogar deren brutales Vorgehen: »Die Trawniki- und Englischen (Anmerkungen und Normalität aufrechtzuhalten oder zurückzugewinnen. Wo eigent- 309 S., € 24,– Männer erlebten eine komplette Umkehr des Machtverhältnisses Begleitexte) von Bernhard Hartmann. lich Arbeit, Hunger und Tod neue, von den Besatzern geschaffene und nutzten dies aus. Gerade noch in der ohnmächtigen Situation Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Normalität sein sollen, schaffen sie sich Raum für Kultur und auch der Gefangenschaft, genossen sie nun eine fast grenzenlose Macht Verlag, 2015, 238 S., € 22,95 Vergnügen: »Wir werden uns einmal die Woche treffen und über Im Mai 2011 verurteilte das Landgericht gegenüber den Juden« (S. 211). Die Motive der Trawnikis waren Literatur oder ein anderes Thema sprechen, und sonntags treffen wir München I Iwan Mykolajowytsch (John) facettenreich: Nicht nur das Ausleben neu erworbener Macht, son- Immer wieder, auch nach nunmehr 70 Jah- uns eine Stunde zum Vergnügen (wir sind ja keine alten Schachteln). Demjanjuk wegen 16 Fällen der Beihilfe zum Mord an 28.060 dern mitunter auch Faktoren wie Identitätsverlust oder auch die ren, kommen neue Dokumente zum Ho- Zur Vergnügungsstunde kommen vielleicht auch Jungen.« (3.1.1944, Menschen jüdischen Glaubens im Vernichtungslager Sobibór zu Befriedigung ökonomischer und sexueller Interessen trieben die locaust ans Licht, die jahrzehntelang auf Dachböden lagen, unter S. 94) Zerstreuung und die Suche nach geistiger Nahrung können den einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Rechtskräftig wurde Männer an. In engem Zusammenhang stand die Brutalität jedoch Bodendielen versteckt oder in Wände eingemauert waren. Darunter Schrecken des Ghettos freilich nicht fernhalten, Verzweifl ung bricht das Urteil allerdings nicht; Demjanjuk verstarb während des Re- mit den vorherrschenden hierarchischen Strukturen, in denen die nun auch das Tagebuch von Rywka Lipszyc, die als junges Mädchen sich immer wieder Bahn, die Sehnsucht nach ihren Eltern drückt sie visionsverfahrens (S. 263 ff.). Demjanjuk war Angehöriger einer »Fremdvölkischen« eingebettet waren. »Die SS-Männer hatten ab- im Ghetto Litzmannstadt/Łódź lebte. Die Veröffentlichung verdankt nieder. Dem kann Rywka jedoch etwas entgegensetzen – die Kraft, Hilfstruppe der SS, den sogenannten Trawnikis. Dieser Gruppe waren solute Befehlsgewalt, die Trawniki-Männer fungierten als Helfer und sich einer Reihe von Zufällen und glücklichen Fügungen. die ihr ihre Freundschaften geben, und vor allem auch ihren starken rund 5.000 »Fremdvölkische« zuzurechnen, die seit Herbst 1941 im Untergebene«, resümiert Benz (S. 162). Nicht nur bei Fehlverhalten Nach der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Glauben: »Ach, ich lache über die ganze Welt, ich arme Jüdin aus SS-Ausbildungslager Trawniki geschult wurden. mussten sie mit Strafen rechnen. Einige wurden von SS-Männern Auschwitz-Birkenau fand eine Ärztin der Roten Armee das Tage- dem Getto, ich, die ich nicht weiß, was morgen mit mir sein wird Bislang wurden diese »Fremdvölkischen« sowohl im öffent- grundlos schikaniert und misshandelt. Andererseits konnten die Män- buch in den Trümmern des Krematoriums und nahm es mit in ihre … ich lache über die ganze Welt, weil ich eine Stütze habe, eine lichen als auch im wissenschaftlichen Diskurs überwiegend pau- ner auch Ehrungen, Beförderungen und Auszeichnungen erhalten; Heimatstadt Omsk. Nach ihrem Tod 1983 war es bei ihrem Sohn große ungeheure Stütze: den Glauben! Ich glaube! Dadurch bin ich schalisierend als homogenes Kollektiv begriffen, die vermeintlich Volksdeutsche waren jedoch generell bessergestellt. Allerdings war und nach seinem Tod bei dessen Frau. Dort entdeckte es 1995 deren stärker und reicher und wertvoller als andere … Gott, wie dankbar »brutaler als die SS« (S. 273) agiert hätten. Gesamtdarstellungen, das Verhalten der Trawnikis in den Vernichtungslagern keineswegs Tochter und nahm es mit nach San Francisco, wo sie seit einiger Zeit bin ich Dir!!!« (11.2.1944, S. 126) die das Verhalten dieser Gruppe eingebettet in die mörderische von Gleichförmigkeit geprägt. Es sind Fälle überliefert, in denen lebte. Einige Jahre lang bemühte sie sich vergeblich, Interesse für das Rywkas Eintragungen zeigen ein Mädchen, das einerseits mit NS-Rassen- und Vernichtungspolitik umfassend beleuchten hätten, Einzelne den jüdischen Häftlingen Informationen oder anderweitige Tagebuch zu wecken, bis sie schließlich beim Holocaust Center of dem ganz normalen Gefühlschaos einer Vierzehnjährigen kämpft, fehlten bislang. Mit ihrer Studie schließt Angelika Benz nun diese Hilfeleistungen zukommen ließen. Northern California auf Jane Janec stieß. Janec nahm sich mit Eifer andererseits ihr Leben und ihre Zeit sehr ernsthaft refl ektiert und das Forschungslücke. Auf Grundlage zeitgenössischer Quellen, NS- Benz’ Dissertation überzeugt. Sie gibt die erste systematische der Sache an und konnte 2014 schließlich eine englischsprachige Verfolgung und Leid frühzeitig haben reifen lassen. Mit ihrem Tage- Ermittlungsakten und Erinnerungsberichten gelingt es ihr in ein- Darstellung über die Trawniki-Männer, die ein integraler Bestandteil Ausgabe initiieren. buch liegt nun ein interessantes Dokument auf Deutsch vor, das den drucksvoller Weise, ein differenziertes Bild der Trawnikis und deren des Genozids an der jüdischen Bevölkerung waren. Auf breiter Quel- Das Tagebuch umfasst nur wenige Monate. Begonnen hat es vielen männlichen Stimmen über das Ghetto Lodz die Perspektive Rolle bei der Vernichtung der europäischen Juden nachzuzeichnen. lenbasis rekonstruiert sie, dass es sich bei den »Fremdvölkischen« Rywka Lipszyc im Oktober 1943 kurz nach ihrem vierzehnten Ge- eines jungen orthodoxen Mädchens an die Seite stellt und so den Die Deutschen rekrutierten die Trawnikis anfänglich aus di- keineswegs um eine homogene Gruppe handelte, deren Verhalten, burtstag; im April 1944 enden die Eintragungen. Rywka wurde im Blick auf Hoffen und Angst, auf die Rolle von Religion und Kultur versen Kriegsgefangenenlagern, wo Hunger, Kälte und Epidemien Agieren und Motivation sich pauschalisieren ließe. Zu divers waren September 1929 in eine orthodoxe jüdische Familie in Łódź gebo- sowie auf das Heranwachsen im Ghetto erweitert. Doch auch dieses den Alltag der Rotarmisten prägten und das Sterben allgegenwärtig Faktoren wie Herkunft, Sozialisation, Anwerbungspraxis sowie per- ren und lebte mit ihren Eltern und ihren Geschwistern ab 1940 im Zeugnis kann kaum etwas daran ändern, dass wir heute letztlich war. Unter ihnen waren Ukrainer die weitaus größte Nationalität, sönliche Dispositionen der Rekrutierten. Neben situativen Momenten dortigen Ghetto. Nachdem ihre Eltern an Hunger, Entkräftung und immer wieder in die Lage zurückgeworfen werden, in der sich die aber auch Russen und Volksdeutsche kamen in das Ausbildungs- konnte sich auch der Kriegsverlauf auf die Einstellung und das Ver- Krankheit gestorben waren, wurden die Kinder von Verwandten Kinder aus Rywkas Tagtraum befanden: »Gestern, als ich durch die lager (S. 49). Ab Herbst 1942 waren die Deutschen verstärkt dazu halten der Trawnikis auswirken. Zweifellos liefert die vorliegende aufgenommen. Wie die meisten Ghettobewohner arbeitete auch Straßen ging, habe ich geträumt … Ich hatte ein Bild vor Augen: übergegangen, auch Zivilisten wie junge Ukrainer, ethnische Polen Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Holocaust-Forschung. Überdies Rywka, bis Oktober 1943 im Zentralbüro des Arbeitsressorts (der ein leicht erleuchtetes, warmes Zimmer, ein paar Kinder sitzen am oder auch Goralen anzuwerben. zeigt sie, dass durchaus noch weiße Flecken in der mittlerweile jüdischen Arbeitsverwaltung) und anschließend in der Kleider- und Tisch, sie sind beschäftigt oder hören, was ich ihnen vorlese, ach, Im Herbst 1941 begannen die konkreten Vorbereitungen für die ausdifferenzierten Forschungslandschaft existieren. Wäscheabteilung. Gemeinsam mit ihrer Schwester Cipka wurde sie ich lese ihnen vom Getto vor, ich erzähle ihnen davon, und ich sehe unter dem Decknamen »Aktion Reinhard« realisierte systematische im Sommer 1944 nach Auschwitz deportiert, wo Cipka unmittelbar ihre ungläubigen Augen, sie können nicht begreifen, dass so etwas Ermordung der europäischen Juden in den im Generalgouverne- Melanie Hembera nach der Ankunft getötet wurde. Rywka kam in ein Frauenlager in geschehen konnte …« (17.1.1944, S. 104). ment erbauten Vernichtungslagern Bełżec, Sobibór und Treblinka. Ludwigsburg der Nähe Groß-Rosens und von dort mit einem der berüchtigten Neben deutschem Personal, das sich aus Angehörigen der Kanzlei Todesmärsche nach Bergen-Belsen, wo sie die Befreiung erlebte. Markus Roth des Führers rekrutierte, fanden in den Lagern auch Trawnikis Ver- Im Herbst 1945 jedoch verliert sich ihre Spur. Im September wurde Gießen wendung, die den überwiegenden Teil der Lagerbelegschaft stell- sie in Lübeck als Displaced Person registriert, danach fehlt jedes ten. Sie versahen in den Todesfabriken nicht nur Wachdienst und weitere Lebenszeichen.

68 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 69 Aufzeichnungen einer Zwölfjährigen Janina, wenn ich trotzdem allein bleibe. Die Rache werde keine Auf- Ein Pionier historiographischer Ulrich Herbert setzt sich in seinem Aufsatz zu »Arbeiterklasse erstehung bewirken. Sie werde sich nur quälen müssen. Die Mutter Entwicklungen und Volksgemeinschaft« mit der NS-Gesellschaft in Peukerts Arbei- gab ihr aber nichts von dem Gift ab, das sie für ihren Tod bestimmt ten auseinander. Ihn beschäftigte die Frage, »dass nicht unerhebliche

hatte. Janina schildert, wie sie immer gleichgültiger wurde. Selbst Teile der deutschen Arbeiterschaft durchaus bereit gewesen waren, bei der Erhängung eines Mannes, bei der sie zusehen musste, fühlte den Nationalsozialisten zu folgen oder ihnen jedenfalls nicht im Janina Hescheles sie keine Erschütterung mehr. Das, was sie am meisten fürchtete, Wege zu stehen« (S. 41). Die Aussparung der Juden in seinen Pu- Oczyma dwunastoletniej dziewczyny war eine Erschießung, bei der sie nicht gleich tot umfallen werde. Rüdiger Hachtmann, blikationen refl ektierte für Herbert die Emphase für die »anderen« [Mit den Augen einer Zwölfjährigen] Sie wusste, wie so manches Kind nach den Schüssen noch lange Sven Reichhardt (Hrsg.) Opfer des NS-Regimes: »Wilde Cliquen«, später Edelweiß-Pira- Warszawa: Żydowski Instytut Historyczny leiden musste. Detlev Peukert und die NS-Forschung ten, die damals noch sogenannten »Zigeuner«, »Arbeitsscheue«, (Jüdisches Historisches Institut), 2015, Eines Tages fl ieht sie aus dem Lager, doch sie fi ndet bei Ver- Göttingen: Wallstein Verlag, 2015, sowjetische Kriegsgefangene oder ausländische Zwangsarbeiter. 186 S., 35,90 Złoty wandten keine Hilfe und kehrt wie viele andere wieder zurück. Sie 223 S., € 39,90 »Diese höchst merkwürdige Trennung zwischen den Juden und den wird für den Fluchtversuch nur mit Hieben bestraft, andere wurden ›anderen‹ Opfern des NS-Regimes hat Peukert einige Jahre später Endlich sind die 1944 auf Polnisch verfass- deswegen erschossen. Die Schläge machten ihr wenig aus, schreibt dann selbst korrigiert …« (S. 46) und eine konzeptionelle Wende ten Aufzeichnungen der damals zwölfjäh- sie, furchtbar war nur, dass es ein Jude war, der sie prügelte. Sie fühlt Der 1990 im Alter von nur 39 Jahren ver- vollzogen: Aus dem Antagonismus von Kapital und Arbeit war der rigen Janina Hescheles (verh. Altman) ins Ukrainische, Russische, sich immer mehr wie ein »lebendiger Leichnam« (S. 59). Schließlich storbene Historiker Detlev Peukert hat in »Widerspruch zwischen gesunden arischen deutschen Volksgenossen Katalonische, Spanische, Französische und wohl auch Hebräische kam die unverhoffte Rettung. der Nationalsozialismusforschung deutliche Spuren hinterlassen. und den als wertlos apostrophierten Gemeinschaftsfremden gewor- übersetzt und in Warschau in der Originalsprache ungekürzt und mit Hescheles schreibt nicht unbeholfen wie Dawid Rubinowicz. Sie Er leitete von 1988 bis zu seinem Tod die »Forschungsstelle zur den …«. (S. 47) umfangreichen Kommentaren neu aufgelegt worden. Die Kürzun- notiert alles chronologisch, nennt viele Namen und schildert lako- Geschichte des Nationalsozialismus« in Hamburg. 25 Jahre nach Die voluminöse Studie Volksgenossen und Gemeinschaftsfrem- gen betrafen die Zeit der ersten, der sowjetischen Besetzung von nisch die Ereignisse, wie sie und ihre Verwandten und Bekannten von seinem Ableben wird an das Schaffen des Pioniers historiographi- de (1982) ist Ausgangspunkt des Diskussionsbeitrags von Michael Lemberg und des beim Einmarsch der Deutschen von Ukrainern Deutschen und Ukrainern brutal behandelt werden, wie sie dauernd scher Entwicklungen erinnert und sein Wirken historisiert. Rüdiger Wildt: »Peukert begriff Nationalsozialismus und Holocaust als eine veranstalteten Pogroms, bei dem sie ihren Vater verlor. Die Auf- in Angst leben. Selber scheint sie ein sehr aktives Kind gewesen Hachtmann und Sven Reichardt organisierten diesen wissenschaft- mögliche, aber pathologische Erscheinung der Moderne.« (S. 55) zeichnungen waren 1946 unter dem Titel »Oczyma dwunastoletniej zu sein, denn immer wieder geht sie irgendwohin, schmuggelt sich lichen Nachruf mit Zukunftsperspektive für die renommierten »Bei- Er hatte frühzeitig den Blick auf die rassistische Grundlage der na- dziewczyny« – wspomnienia z obozu janowskiego (Mit den Augen durch die Bewachung und versucht, anderen zu helfen. An mehreren träge zur Geschichte des Nationalsozialismus«. In ihren einleitenden tionalsozialistischen Ordnung gelenkt, »aus der zweifellos in erster einer Zwölfjährigen – Erinnerungen an das Lager in Janów) erschie- Stellen refl ektiert sie, wie sie zum Leben steht. Lange Zeit möchte sie Überlegungen zu seiner wissenschaftlichen Einordnung würdi- Linie sämtliche Juden ausgegrenzt, vertrieben, vernichtet werden nen. Teile hieraus sind in dem Band Im Feuer vergangen. Tagebücher unbedingt weiterleben, gleichsam um jeden Preis, aber Hunger, Kälte gen sie Peukert als einen mit sieben Monographien und weiteren sollten, aber darüber hinaus auch alle anderen Menschen, die der aus dem Ghetto (1961, mit einem Vorwort von Arnold Zweig) ins und Gleichgültigkeit um sie herum nehmen auch ihr die Lebenskraft. 73 Aufsätzen »extrem produktiven Historiker« (S. 9). rassistischen Defi nition eines ›gesunden Volkskörpers‹ nicht entspra- Deutsche übertragen worden. Erst in der Krakauer Wohnung kehrt ihre Energie zurück. Sie verliert Die 1976 veröffentlichte Staatsexamensarbeit »Ruhrarbeiter chen«. (S. 59) Damit hat Peukert die Forschungsperspektive auf die Man kann diese Aufzeichnungen zwischen den Tagebüchern von sogar das Gefühl für die weiterhin bestehenden Gefahren, verraten gegen den Faschismus« des in der Bergarbeiterkolonie Hamm- »Volksgemeinschaft« eröffnet. Anne Frank und Dawid Rubinowicz ansiedeln. Hescheles zeichnete zu werden. Am eindrücklichsten erscheinen jene Partien, in denen sie Herringen aufgewachsenen damaligen DKP-Mitglieds enthält noch Im Weiteren werden Aspekte von Peukerts Themenspektrum ihre furchtbaren Erlebnisse in Lemberg und im Lager Janów während ihre persönlichen Gefühle wiedergibt und sich immer wieder fragt, »deutliche Züge des historiographischen ›Prolet-Kultes‹« (S. 13). angesprochen: Von Anthony McElligot wird (in Englisch) die Suche der deutschen Besatzung in mehreren Heften auf, nachdem sie vom ob sie die Bitten ihres Vaters und ihrer Mutter erfüllen kann. Diese Aber mit der Umarbeitung dieser Arbeit für die Dissertation Die nach dem Führer thematisiert, und Ulrike Jureit fragt in »Ein Rhyth- Hilfsrat für Juden, der sogenannten Żegota, in der zweiten Jahres- bilden so etwas wie den Angelpunkt ihres Berichts. KPD im Widerstand (1980) »löste er sich zunehmend vom her- mus der Geschichte« nach generationsgeschichtlichen Deutungsmus- hälfte 1943 hatte gerettet werden können. Vertreter des Rats gaben Es ist schade, dass ihre Niederschrift so lange ohne Echo ge- metischen Geschichtsbild der DKP« (S. 13) und – inzwischen in tern. Nikolaus Wachsmann (in Englisch) erörtert Perspektiven im ihr Feder und Hefte mit der Aufforderung in die Hand, alles, was sie blieben ist und es in Deutschland keine Ausgabe ihrer Aufzeichnun- die SPD eingetreten – habilitierte sich 1984 mit einer voluminösen Werk von Peukert für die Diskussion von Widerstand und Repression über die Zeit des Leidens zu vermitteln habe, niederzuschreiben. Sie gen mitsamt jenem Teil gibt, in dem sie die Zeit der sowjetischen Studie zur deutschen Jugendfürsorge und den Lebenswelten von unter dem Naziregime. Elisabeth Harvey diskutiert »Paradoxes of pri- tat es auch. Es war in der Folge nicht leicht, diese Aufzeichnungen Okkupation von Lemberg schildert. Janina Hescheles-Altman lebt Arbeiterjugendlichen in der Weimarer Republik. In diesem Jahr hatte vate life during the Second World War« und Thomas Etzemüller hat vor all den Hausdurchsuchungen der Deutschen zu schützen. Nach heute in Israel. Seit ihrer Emeritierung als Chemikerin im Jahre 1996 er – dies sei persönlich angemerkt – mich zur weiteren Beschäftigung eine kritische Betrachtung der Moderne als »Janusgesicht« beigesteu- dem Krieg wurden sie von der Jüdischen Historischen Kommission befasst sie sich unter anderem mit der Geschichte des Widerstands mit der Jugendopposition gegen den Nationalsozialismus motiviert. ert. Abschließend wirft Frank Bajohr einen kritischen Blick zurück in Krakau bereits 1946 veröffentlicht. Der Absicht des mittlerweile in Deutschland. 2013 gab sie in Form eines Kindle-Buchs die Arbeit Seinen Publikationen habe ich viele Anregungen zu verdanken, was auf den Nationalsozialismus als »Krankengeschichte der Moderne«. 14-jährigen Mädchens, das Aufgeschriebene stilistisch zu verbes- Naturwissenschaftler vor und nach dem Aufstieg Hitlers zur Macht sicherlich auch für die in dem Gedenkband vertretenen Kollegen/ Im Anhang wird ein von Hanno Hochmuth kommentiertes Ra- sern, widersetzten sich die Herausgeber beharrlich. Sie wollten, dass auf Deutsch heraus. Kollegin zutrifft. dio-Feature über die Geschichtswerkstättenbewegung abgedruckt, in die Authentizität gewahrt bleibt. Es wird nicht verschwiegen, dass das »unvollendete Werk Peu- dem sich Peukert im Oktober 1984 als Fachmann zu der Diskussion Janinas Vater hatte ihr zum Abschied gesagt, sie möge nie wei- Karol Sauerland kerts« (S. 37) viele Leerstellen hat: Die Rolle der Frauen ist »nur über »Theorie und Alltag« äußerte. nen. Sie weinte zwar oft, aber immer wieder erinnerte sie sich an Warszawa beiläufi g und oberfl ächlich thematisiert« (S. 37) worden. Auch mit Der Band wird mit zahlreichen Buchbesprechungen abgeschlos- seine Worte, und manchmal halfen sie ihr auch, die hoffnungslosen dem Holocaust und dem Antisemitismus hat er sich »erst spät und sen, die häufi g mit den von Peukert untersuchten Themen und Fragen Tage zu ertragen. Einige Monate später nahm sich die Mutter das dann nur sehr allgemein« (S. 37) beschäftigt. Aber dies kann nicht zu tun haben. Leben. Janina wollte mit ihr sterben. Aber die Mutter gab ihrem die »Vielzahl von Anregungen schmälern, die eine Lektüre der Peu- Drängen nach einem gemeinsamen Tod nicht nach. Sie solle ihre kertschen Arbeiten nachfolgenden Historikergenerationen geboten Kurt Schilde Eltern rächen, erklärte ihr die Mutter. Was habe ich davon, erwiderte hat«. (S. 38) Berlin/Potsdam

70 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 71 Medizinverbrechen ohne Dämonen Auseinandersetzung« (S. 9) im Hinblick auf die nationalsozialisti- »Du bist nicht zurückgekommen« Küchen‹, sagte ich zu ihr. ›Aber nein, du übertreibst, es war direkt schen Medizinverbrechen ab. bei den Gaskammern.‹ Sie hatte Recht. Die Krematorien liefen auf Zunächst wird in historiographischer Perspektive detailliert er- Hochtouren.« (S. 27)

läutert, wie die Täter in den sich nach 1945 wieder konstituierenden Ob ihr der Brief des Vaters Kraft gab? Sie ist sich nicht sicher. Gremien und Hochschulen Fuß fassen konnten und mit wie viel Der Brief ihres Vaters spricht »von einer Welt, die nicht mehr die mei- Stephan Braese, Dominik Groß (Hrsg.) Energie die in den frühen 1980er Jahren aufkommenden kritischen Marceline Loridan-Ivens, ne war. Ich hatte jeden Bezugspunkt verloren. Es war notwendig, dass NS-Medizin und Öffentlichkeit. Formen Positionen eingehegt wurden. Und selbst als seitens der Bundes- mit Judith Perrignon das Gedächtnis zerbrach, sonst hätte ich nicht leben können.« (S. 29) der Aufarbeitung nach 1945 ärztekammer 2008 öffentlich das massive ärztliche Fehlverhalten Und du bist nicht zurückgekommen Eindrücklich erinnert sie sich an ihren inneren Prozess der seeli- Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2015, eingestanden wurde, war diesem Fehlverhalten immer noch ein äu- Aus dem Französischen von Eva schen Abstumpfung gegenüber dem allgegenwärtigen Tod: »Ich war 343 S., € 39,90 ßerer Zwang durch politische Instanzen vorgeordnet. Ein Zwang, Moldenhauer. hart geworden wie die alteingesessenen Deportierten […] Überleben dem ein zeitloses »ärztliches Gewissen« gegenübergestellt wurde, Berlin: Suhrkamp Verlag 2015, macht einem die Tränen der anderen unerträglich. Man könnte darin das – so die Suggestion – als ethisches Fundament bewahrt werden 111 S., geb., € 15,– ertrinken.« (S. 33) Die nationalsozialistischen Medizinverbre- konnte. (vgl. S. 174) Ende 1944 verlässt Marceline Birkenau, wird nach Bergen- chen waren das Werk einer kleinen Zahl ver- Im zweiten Teil des Buchs übernehmen Literatur- und Kultur- »Ich bin ein fröhlicher Mensch gewesen, Belsen verschleppt. Ihren Vater wird sie nicht mehr wiedersehen. brecherischer Ärzte. Maßgeblich für ihre Taten war die Ideologie wissenschaftler die Regie. Arbeiten so unterschiedlicher Autoren weißt du, trotz allem, was uns widerfahren Ihre Befreiung erlebt sie im Mai 1945 in Theresienstadt. Sie erinnert des NS-Staates. Diese beiden Glaubenssätze waren im Nachkriegs- wie Martin Walser, Peter Weiss, Ilse Aichinger oder Marcel Beyer ist. Fröhlich auf unsere Art, aus Rache dafür, dass wir traurig waren sich an kein Gefühl der Freude. deutschland jahrzehntelang bestimmend. Noch heute erscheint es werden mit Blick auf Arzt-Figuren und die Konfl iktkonstellatio- und dennoch lachten.« (S. 7) Mit diesen Worten, ein fi ktiver Brief Nach ihrer Errettung hört sie vom Überleben ihres Onkels. 45 manchem als steile These, wenn dargelegt wird, dass die Initiative nen untersucht. Gerade die spätere Literatur zum Thema bedient an ihren 1945 ermordeten Vater, eröffnet Marceline Loridan-Ivens ihrer Verwandten sind ermordet worden. Sie geht nach Frankreich, wo häufi g bei den Ärzten lag, etwa im Bereich der Zwangssterilisation sich häufi g nicht chronologischer Erzählformen und arbeitet mit ihren tief berührenden Erinnerungen. Die 1928 geborene franzö- sie eine bekannte Regisseurin wird. Ihr Onkel war, »in einem Karren oder bei den Menschenversuchen in den Konzentrationslagern. Anspielungen. Gefordert sind Leser und Leserinnen, die das zu er- sische Schauspielerin und Autorin war im März 1944, 15-jährig, voller Schutt versteckt«, aus einem Lager gefl ohen und zu polnischen Die lange populäre Erzählung spendete nicht nur vielen Tatbetei- gänzen und aufzuschlüsseln wissen. Die Texte rücken oftmals die mit ihrem Vater nach Auschwitz-Birkenau verschleppt worden. Nur Partisanen gegangen. Er verschwieg seine jüdische Identität, aus ligten gnädigen Schatten, sie vermochte auch soziale, vor allem in- Personen als Träger der Handlung in den Hintergrund und dringen drei Kilometer voneinander entfernt versuchen sie zu überleben. Angst. Eindrücklich prägt er der jungen Überlebenden ein: »Ich war nerinstitutionelle Verhältnisse zu stabilisieren: Gerade in der Medizin in die vermeintlich unschuldigen Alltagsverhältnisse vor. Damit Inmitten des Geruchs des brennenden Fleisches, im Angesicht der in Auschwitz. Erzähle ihnen nichts, sie verstehen es nicht.« (S. 35) spielen Lehrer-Schüler-Verhältnisse, spielt die »intergenerationelle entsprechen sie in gewisser Weise der Kritik der personenzentrierten Gaskammern sehen sie sich vereinzelt. Einmal schreibt er ihr eine Ein gemeinsames Erinnern mit Freunden gelingt nicht. Niemand Berufsvererbung« (S. 8) eine große Rolle – darauf weist die Einlei- Tätergeschichtsschreibung auf Seiten der Geschichtswissenschaft. kurze Nachricht. Sie vergisst alles, für viele Jahrzehnte: »Ich suche vermag ihre Erfahrungen zu teilen. Sie schreibt etwas auf, zerreißt tung des vorliegenden Sammelbands hin. Die Rede von der kleinen Die Texte, häufi g zwischen Fakten und Fiktion oszillierend, sind und erinnere mich nicht. Ich suche, aber es ist wie ein Loch, und ich es aber wieder. Zahl fanatischer Täter und von der Naziideologie als entscheidendem uneindeutig und beanspruchen genau darin die Möglichkeiten der will nicht fallen.« Siebzig Jahre später schreibt sie ihm einen langen Am Ende ihres Briefes schreibt sie ihrem Vater über ihre beiden Antrieb blockierte zugleich für viele Jahre die dringlichen Fragen Literatur für die Auseinandersetzung mit der Medizingeschichte. Brief, ein verzweifelter Versuch, Stücke des Verlorengegangenen Ehemänner – »Keiner war Jude, sei mir nicht böse« (S. 91) – und nach dem tatsächlichen Verhältnis von (medizinischer) Wissenschaft Allerdings muss man insgesamt einen Mangel an Vermittlung wieder zusammenzufügen. über ihre Beziehung zu Israel, wohin sie nach ihrer Befreiung an- und Nationalsozialismus. zwischen den Disziplinen der Geschichtswissenschaft und der Litera- Als Marceline ihren Vater in Auschwitz kurz trifft, wird sie von fangs gehen wollte: »Stell dir die Welt nach Auschwitz vor. Wenn Gleichwohl liegt in der Sache selbst ein Schrecken, der sich tur konstatieren – ein Mangel, der nicht überraschen kann. Zu unter- einem SS-Mann zusammengeschlagen: »Ich bin unter den Schlägen auf den Todestrieb der Lebenstrieb folgt. […] Stell dir das endlich dann so leicht zu mythischen Bildern mit dämonischen Akteuren schiedlich sind die analytischen Instrumentarien und Begriffswelten, ohnmächtig geworden, und als ich wieder zu mir kam, warst du nicht geschaffene Israel vor!« (S. 94 f.) Verluste wie der Tod ihres Ehe- kristallisiert. Der Arzt als Instanz, der man sich in Leidenssituationen zu zurückhaltend die Versuche, Sichtweisen aufeinander zu beziehen. mehr da, aber ich hatte eine Tomate und eine Zwiebel in der Hand, manns und das Terrorattentat des 11. September 2001 zerstören ihr zuwendet, fordert ein Vertrauen, das nicht zu missbrauchen er sich Liliane Weissberg unternimmt in ihrem Nachwort die Anstren- die du mir heimlich zugesteckt hast, sicher dein Mittagessen, ich mühsam errungenes Gefühl der Sicherheit. »Ich weiß jetzt, dass der – als Vertreter des Standes und weniger als Individuum – zugleich gung, die historischen Untersuchungen ins Verhältnis zu den Mög- habe sie sofort versteckt.« (S. 15 f.) Nun war das Vertraute wieder da, Antisemitismus eine feste Größe ist.« Ihr Vater hatte dies vorher- verpfl ichtet. Diese Übereinkunft, egal wie unzeitgemäß die mitlau- lichkeiten der Literatur zu setzen. Zunächst fällt ihr die Literatizität sie ist in Birkenau das Kind, ihr Vater ihr Beschützer. Als sie ihn am gesagt. Der 11. September verstärkt ihre Identifi kation mit ihrem fenden Überhöhungen auf beiden Seiten sind (hier die Hoffnung solcher Bösewicht-Figuren wie Josef Mengele ins Auge. Es sind nächsten Tag noch einmal sieht, wird sie von der Angst überwältigt. jüdischen Erbe. Nun spürt sie stark, wieviel ihr daran liegt, Jüdin zu auf den »Heiler«, dort die Stilisierung zum »Halbgott«), zu brechen Figuren, die in ihrer Dämonie alle Erklärungsansätze absorbieren, Ihre Erinnerungen an die Zeit davor zerfallen. sein: »Du träumtest von Israel, es ist da, ich fühle mich immer wohl und mit der ganzen Gewalt, die das medizinische Instrumentarium weil sie zwar auf die empirischen Untaten zurückverweisen, aber Die 15-Jährige ist für das Sortieren der Kleider zuständig. Die dort, wenn ich hinfahre, aber es ist nicht das Land des Friedens, das bietet, gegen die ausgelieferten Personen vorzugehen, gibt tatsäch- zugleich das Handeln der Vielen vergessen machen. zerschlissenen Kleider der Ermordeten werden unter den Häftlin- wir anstrebten. Seit seiner Gründung befi ndet sich Israel im Krieg. lich Anlass, den misshandelnden oder tötenden Arzt schwärzer zu Jenseits dessen fällt es auch Weissberg schwer, thematische gen verteilt, die schönsten gehen nach Deutschland: »Ich trug die Gewöhnlich nehmen Kriege ein Ende, dieser nicht, denn der jüdische zeichnen als andere Täter. Zugänge aus den beiden Feldern zu synthetisieren. Die Stärke des Strickjacke einer Toten, den Rock einer anderen Toten, die Schuhe Staat ist von den arabischen Ländern ringsum nie akzeptiert worden. Schon diese kurze Erwägung macht deutlich, dass es angemes- Bands liegt daher in den Perspektivwechseln, die es wiederholt er- wieder einer anderen Toten.« (S. 24) Auch im Lager spielte der […] Und je länger es dauert, desto verdächtiger wird Israel, auch in sen ist, die Geschichte der nationalsozialistischen Medizinverbre- lauben, Motive, die im Rahmen der historischen Analyse markiert Antisemitismus eine große Rolle. Die Juden blieben auch dort die der europäischen Öffentlichkeit. […] Ich werde deinen Traum wei- chen, insbesondere aber ihre mythendurchtränkte Thematisierung wurden, in der ein oder anderen literarischen Fiktion wieder auf- Projektionsfl äche. terträumen.« (S. 107 f.) Ein ergreifendes Buch, aus dem Hoffnung in den Nachkriegsjahrzehnten mit literarischen Zugriffsweisen zunehmen. Die tägliche Todesangst muss verleugnet werden, wenn man und Verzweifl ung zugleich spricht. zusammenzubringen. Das genau ist das Programm des Sammel- überleben will. Selbst Jahrzehnte später ist es den Überlebenden bands, und sein Anspruch könnte höher kaum sein: Er schreitet – so Christoph Schneider kaum möglich, die frühere Bedrohung zuzulassen: »Meine Freun- Roland Kaufhold die Herausgeber – »das gesamte Panorama der gesellschaftlichen Frankfurt am Main din Frida hat meine Erinnerungen zurechtgerückt. ›Es war bei den Köln

72 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 73 Höxter, Buchenwald, Landsberg Zur Situation in der Heimatregion von Schmidt, einer rechten Das antisemitische Jahr 1968 (1915–1994) h andelt, der später in Dänemark forschte. Dahlmann Hochburg, kann man durchaus Interessantes, insbesondere auch zu weist darauf hin, dass das Institut für Physik an der Warschauer dessen Beerdigung mit Zügen einer rechtsradikalen Demonstration, Universität Buras in Schutz nahm. Hier wäre hinzuzufügen, dass

lesen. Ansonsten wird im Wesentlichen nur Bekanntes referiert. die antisemitische Kampagne an der Warschauer Universität von Besonders ärgerlich sind sachliche Fehler. So ist von Ludwigsburg Fakultät zu Fakultät unterschiedlich verlief. Ernst Würzburger als zentralem Sammellager für »mutmaßliche Kriegsverbrecher des Hans-Christian Dahlmann In den weiteren Kapiteln behandelt der Autor den Verlauf der »Der letzte Landsberger«. westlichen Militärbezirks« die Rede (S. 72) – allein für die US-Zone Antisemitismus in Polen 1968. Kampagne, die Reaktion der jüdischen Polen, wie es um die Akzep- Amnestie, Integration und die Hysterie um gab es zwei weitere große Standorte in Darmstadt und Dachau mit di- Interaktionen zwischen Partei und tanz und Ablehnung des Antisemitismus in der Gesellschaft aussah die Kriegsverbrecher in der Adenauer-Ära versen Internierungslagern. Oder da überfällt 1939 die »Reichswehr« Gesellschaft und dass es auch nichtjüdische Opfer gab. Holzminden: Verlag Jörg Mitzkat, 2013, Polen (S. 19). Und 1941 arbeitet sie mit den Einsatzgruppen zusam- Osnabrück: Fibre Verlag, 2013, Im Schlusskapitel versucht Dahlmann zu unterstreichen, dass 329 S., € 17,80 men. Deren Aufgabe sei es gewesen, »die jüdische und slawische 430 S., € 36,– die Kampagne nicht zentral gesteuert war oder gar, dass sie nicht Bevölkerung« zu liquidieren, was hinsichtlich der letztgenannten so »von der Arbeiterpartei ausgegangen« sei, sondern vielmehr von Der reißerische Titel ist dem Zufall ge- nicht zutrifft (S. 40). Und wenn »Stimmen« zum Nürnberger Prozess Das Jahr 1968 ist in Polen nicht mit revoluti- »bestimmten Kräften in der Partei« (S. 204). Es klingt ein wenig schuldet. Es handelt sich um den in Höxter »aus der Sicht mehrerer Jahrzehnte« angekündigt werden und dann onären Ereignissen verbunden, sondern mit so, als wolle er Gomułka und seine Mannschaft in Schutz nehmen. geborenen Hans Schmidt, Adjutant des Kommandanten des KZs der bereits 1949 verstorbene Gustav Radbruch ausführlich nach einer antisemitischen Kampagne sondergleichen, die damit endete, Mit dieser These widerspricht Dahlmann zum Teil seinen eigenen Buchenwald. Er wurde am 7. Juni 1951 im Landsberger Kriegsver- einer Ausgabe von 1990 ohne entsprechenden Hinweis zitiert wird, dass die letzten polnischen Juden das Land verließen. Sie hatten sich Forschungsergebnissen. Die Kampagne verlief hierbei in der Provinz brechergefängnis als letzter in der alphabetischen Reihenfolge der ist dies peinlich und symptomatisch zugleich (S. 31 f.). zumeist assimiliert, so mancher von ihnen gehörte der kommunis- viel unauffälliger, auch wenn sich die lokalen Parteifunktionäre verbliebenen »7 Rotjacken« (darunter ein Einsatzgruppenführer, ein Das Buch ist über lange Strecken collagiert. Es enthält unnötige tischen Partei an. Der Autor der vorliegenden Studie schildert ein- bemühten, eine entsprechende »Unterstützung« zu organisieren, Einsatzkommandoführer und der Chef des SS-Konzentrationslager- Exkurse und ist stellenweise überlang, aufzählend bis geschwätzig. gangs die Situation der überlebenden Juden gleich nach dem Krieg etwa indem in den Betrieben unter Parteiobhut Kundgebungen mit wesens) hingerichtet. Anhand der Biografi e will der Autor im Wechsel Dafür fehlen aber gelegentlich eigentlich nötige Erläuterungen für in Volkspolen. Bis 1949 erfreuten sie sich recht großer Freiheiten, antisemitischen und antiisraelischen Parolen veranstaltet wurden. zwischen dieser und den allgemeinen Entwicklungen ein »möglichst den Leser. Als Dokument gilt alles, ob ellenlange Passagen aus Zei- sodass einige Historiker für diese Zeit »sogar von einer jüdischen Interessant sind in diesem Kontext Dahlmanns Verweise auf die ungeschminktes Bild dieser Zeit« wieder lebendig werden lassen, tungen, aus Akten oder Literatur von Forschern oder Publizisten. Bis- Nationautonomie« (S. 58) sprechen. 1950 wurden alle jüdischen Rolle der neuen Medien: In den Gegenden, in denen nur wenige durch überwiegend vielfach unkommentierte Dokumentenzitate weilen fehlen Übergänge ganz. Oft fehlen eigene Interpretation oder Parteien und Organisationen gleichgeschaltet. Erst der Oktober 1956 Haushalte über einen Fernseher verfügten, ließ sich die antijüdische (S. 16 f.). Am Ende geht es weit über die Adenauerzeit hinaus bis hin eigenes Urteil. Dies wird teils durch Dritte in Form von ausführlichen brachte mit seinem VIII. Plenum wieder einige Öffnungen, aber Hetze in dem Ausmaß, das sie in Warschau und auf zentraler Ebe- unter anderem zur Behandlung der Problematik der ehemaligen NS- Zitaten ersetzt. So wird etwa ein Zeitungskommentar-Zitat durch ein gleichzeitig wurde nach den Verantwortlichen für die sogenannten ne annahm, nicht beobachten. Mit feinfühliger Intuition dafür, wie Juristen und Geschichte der bundesdeutschen NS-Strafverfolgung. Zitat aus dem Buch von Norbert Frei kommentiert (S. 196). Frei ist stalinistischen Repressalien gefragt. Es wurde populär, Juden dafür Monopolparteien in autoritären Systemen agieren, spricht Dahlmann Nach der Lektüre bleiben Verwirrung und sehr viele Fragezei- im Übrigen der mit Abstand am meisten zitierte Autor. Es fällt auf, verantwortlich zu machen, da sie unter den leitenden Personen des von dem Generationenkonfl ikt zwischen den alten Kadern einerseits, chen. Schon auf den ersten Blick fallen offensichtliche Unrichtig- wie neben wissenschaftlichen auf die Erwähnung von moralischen Sicherheitsapparats »überpräsentiert« waren. Innerhalb der Partei die noch ideologisch gesinnt waren und dabei oft für den Stalinis- keiten, sprachliche Schwächen einschließlich Stilblüten, Wieder- Autoritäten Wert gelegt wird. Auch wird selbst moralisiert. So hätten entstand ein »rechter Flügel« unter der Führung von Mieczysław mus Verantwortung trugen, und den jungen »hungrigen Wölfen« holungen sowie ein Mangel an formaler Einheitlichkeit auf. Der durch die Nürnberger Prozesse deutsche Anwälte viel Geld verdient Moczar, der nach dem Sechstagekrieg 1967 besonders aktiv in der andererseits, die auf Posten und Beförderung auf Kosten der alten letztgenannte Befund gilt auch für die Fußnoten. Diese werden teils (S. 44) oder im Falle Schmidt und Genossen ein US-Anwalt (S. 184). Verbreitung und Unterstützung des Antisemitismus war. Im März Funktionäre jüdischer Herkunft hofften. Eine solche Dynamik und willkürlich und teils gar nicht gesetzt. Das Abkürzungsverzeichnis ist Nach Erwähnung angeblicher Misshandlungen Schmidts wird ausge- 1968 traten antisemitische Kräfte offen zutage. Die fatale Rolle, solche Triebkräfte gehören jedoch durchaus zu der »Arbeiterpartei«, unvollständig. So fehlt insbesondere das häufi g verwendete Kürzel führt, dass das Ob und Wie letztlich unerheblich sei, weil dies nichts die hierbei der Erste Parteisekretär Władysław Gomułka spielte, um den Begriff von Dahlmann noch einmal zu wiederholen. NMG (S. 72 f., 101, 108 f.). Das Literaturverzeichnis ist selektiv, an den Verbrechen ändere, »für die die Inhaftierten schließlich zur versucht Dahlmann psychologisch herunterzuspielen. Er sei »in Wut Es ist die Krux des Historikers, dass er das Material, das er das Quellenverzeichnis erratisch. Rechenschaft gezogen worden sind« (S. 124). Sollen NS-Verbrecher geraten« (S. 91). Auch dessen Haltung im März/April 1968 versucht mit großem Aufwand zusammenträgt – zumal Dahlmann nicht nur Man erfährt immerhin einiges zur Person Schmidt. Dies ge- weniger Rechte haben als andere Straftäter? er mit großem Verständnis zu schildern. Er habe gleichsam nur um in Archiven tätig war, sondern auch viele Personen befragte, Oral schieht holprig und mit Widersprüchen und Spekulationen. Genaue Man fragt sich, ob ein derartiges Buch überhaupt rezensiert den Erhalt seiner Position gekämpft. History betrieb –, verallgemeinern muss oder sich zumindest dazu Belege fehlen häufi g ganz oder sind nutzlos, so zum Beispiel An- werden sollte. Ein Grund dafür ist, dass es per Druckkostenzuschuss Den größten Teil seines Buches widmet Dahlmann einzelnen berufen fühlt. Die Studie beeindruckt durch die Auswertung von gaben nach Aussage einer Zeitzeugin bzw. eines -zeugen (S. 58 f., aus auch öffentlichen Geldern quasi geadelt wurde. Vor diesem Hin- Personen, die entweder Opfer der antisemitischen Kampagne ge- Quellen verschiedenster Art sowie durch die äußerst sorgfältige und Anm. 104 u. 106) und »Amtsgericht Höxter, 17.01.1939« (S. 58, tergrund wirft die Rezension ein grelles Licht darauf, dass Quali- worden waren oder zu deren Akteuren gehörten, wobei es ihm ge- detaillierte Schilderung der Ereignisse, von den inneren Spannungen Anm. 107). Insbesondere hätte man gern erfahren, woher der Au- tätsmaßstäbe offenbar bei Veröffentlichungen zur Nazizeit kaum lang, Zeitzeugen bzw. ihre Verwandten zu interviewen und eine in der Partei bis hin zu den Studentenstreiks. tor weiß, dass Schmidt »im Familienkreis wegen der Zustände in mehr eine Rolle spielen. Menge Archivmaterialien aufzufi nden. Hochinteressant sind die seinem Wirkungsbereich häufi g sehr bedrückt gewesen« sei. Mög- beiden Fallstudien zum Kernforschungsinstitut und zum Institut für Monika Tokarzewska licherweise bestätige dies dessen Krankengeschichte (S. 71). Auf Volker Rieß Physik an der Warschauer Universität. Im ersten wurden führende Toruń letztere wird zuvor schon eingegangen. Indes geschieht dies offenbar Ludwigsburg Wissenschaftler jüdischer Herkunft und solche, die gegen die antise- unvollständig und nicht stringent (S. 66 f.). Über die Diagnosen und mitische Hetze protestierten, entlassen. Unter ihnen befand sich auch Behandlung durch US-Amerikaner während Schmidts Haft fehlen der Leiter einer wichtigen Abteilung, den Dahlmann als Bronisław Details, obschon dessen Gesundheitszustand bei den Gnadengesu- B. vorstellt. Jeder, der einigermaßen die neueste Geschichte Polens chen eine erhebliche Rolle spielte. und die der Physik kennt, weiß, dass es sich um Bronisław Buras

74 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 75 Wem gehört Auschwitz? hier gab es gegenläufi ge Tendenzen, die nicht nur von jüdischen Geschichte als Puzzlespiel sind. Nicht nur ukrainische Natio nalistInnen stilisieren Bandera Verbänden ausgingen, sondern auch von einigen ehemaligen poli- zum Volkshelden, der doch vor allem für die Freiheit und Unab- tischen Häftlingen. hängigkeit der Ukraine gekämpft und allenfalls aus strategischen

Von 1950 an, mit der Konsolidierung der stalinistischen Herr- Gründen mit den Nationalsozialisten kollaboriert habe, vor allem schaft, wurde rigide in die Arbeit und Personalstruktur des Muse- in der Westukraine ist (und auf dem Majdan war) dieses Bild von Imke Hansen ums eingegriffen. Die »Jüdische Ausstellung« in Block 4 wurde um Christiane Schubert, Wolfgang Templin Bandera verbreitet. Erst die Kollaboration mit den Deutschen habe »Nie wieder Auschwitz!« 1951 geschlossen, der ohnehin geringe Einfl uss jüdischer Verbände Dreizack und Roter Stern. dann zu seiner späteren Einstufung als Faschist beigetragen (S. 57), Die Entstehung eines Symbols und der ausgeschaltet. Neue Ausstellungsteile verbreiteten politische Bot- Geschichtspolitik und historisches behaupten Schubert/Templin und sehen großzügig darüber hinweg, Alltag einer Gedenkstätte 1945–1955 schaften, ohne auf die Lagergeschichte auch nur Bezug zu nehmen. Gedächtnis in der Ukraine dass zur Einstufung Banderas als Faschist vor allem beitragen könn- Göttingen: Wallstein Verlag, 2015, Der Versuch, die ehemaligen Häftlinge als wichtigste Träger der Berlin: Metropol Verlag, 2015, te, dass er als Anführer einer faschistischen Terrororganisation einen 312 S., € 34,90 Gedenkstättenarbeit zu entmachten, gelang jedoch nur teilweise. 224 S., € 19,90 ukrainischen faschistischen Staat nach Mussolinis Vorbild grün- Vor allem von ihnen, die in Polen über beträchtliches »symbolisches den wollte. Dass sich Bandera auf die Ideologie Dmytro Doncovs Kapital« verfügten, kam Widerstand gegen die »Stalinisierung« der Affi rmative Bezüge auf das Nationenkonst- berief, mache die Sache zusätzlich kompliziert, fi nden Schubert/ Schon kurz nach der Befreiung von Ausch- Gedenkstätte, wobei jedoch auch hier die Fronten nicht klar verliefen rukt einer geeinten Ukraine, wozu scheinbar Templin, da dessen Schriften »radikalen Nationalismus, rassistische witz-Birkenau im Januar 1945 begann die und sich keinesfalls mit einer schlichten Gegenüberstellung von naturwüchsig ein patriotisches Volk gehört, sind ein durchgängiges und antisemitische Elemente« (S. 57) enthielten. Doncov, selbst kein turbulente und wechselhafte Geschichte von Auschwitz als Mahn-, Aufklärung und Ideologie beschreiben lassen. Thema des Buches. Andere Kategorien, also Bezüge auf soziale OUN-Mitglied, sah den ukrainischen Nationalismus als Teil der eu- Gedenk- und Pilgerstätte, als Museum, als Ort politischer Repräsen- Die Zuspitzung des Konfl ikts zwischen den Behörden und den Fragen, Gender oder gar eine notwendige Auseinandersetzung mit ropäischen Faschismusbewegung. 1926 veröffentlichte er Auszüge tation und nicht zuletzt als Austragungsort heftiger Kontroversen ehemaligen politischen Häftlingen im Jahr 1953 läutete gleichzeitig Rassismus, Antisemitismus oder der Ideologie des ukrainischen Fa- aus seiner ukrainischen Übersetzung von Hitlers Mein Kampf, 1932 um die Deutung der jüngeren Vergangenheit. Der Historikerin Imke eine erneute Wende in der Geschichte der Gedenkstätte ein. Stalins schismus, fi nden sich nicht. Das Buch lebt von schlichten dichotomi- seine Übersetzung von Mussolinis La Dottrina Del Fascismo. Hansen, die mit ihrer Arbeit die erste Dekade dieser Geschichte Tod und der Beginn der »Tauperiode« in Polen brachten auch für schen Gegenüberstellungen eines als gut defi nierten Nationalismus Beim Thema Nationalsozialismus offenbaren sich Wissenslü- untersucht, gelingt eine anschauliche, lebendige und vielschichtige das Museum erweiterte Handlungsspielräume und eine neue Lei- auf ukrainischer Seite, während derselbe auf russischer Seite als cken: Beispielsweise wurde Bandera aus dem KZ Sachsenhausen Darstellung der Auseinandersetzungen, die die Etablierung der Ge- tung. Mit Billigung der Staatsführung wurde nun die »Internatio- imperial (S. 206) und aggressiv gegeißelt wird. Wenn das »patrioti- nicht befreit (S. 63). Er wurde freigelassen. Das war 1944 und ist denkstätte begleiteten. Zwar gehört die Arbeit in den Kontext der nalisierung« der Gedenkstätte forciert. Zum zehnten Jahrestag der sche Feuer« durch die »Dauer und Härte der Auseinandersetzungen allein deshalb zumindest bemerkenswert. »Memory Studies«, die Autorin grenzt sich jedoch von den verbrei- Befreiung wurde eine überarbeitete Dauerausstellung präsentiert, auf dem Majdan« (S. 204) angefacht worden sei, klingt hier ein sehr »Im Frühjahr 1913 wurden dem 68. Jubiläum des Sieges im teten, kulturwissenschaftlichen Gedächtnistheoremen ab, die, wie sie die weniger auf Ideologisierung als auf Identifi kation setzte und die heroisches Bild der Entstehung von Nationen an. Großen Vaterländischen Krieg über 700 Sendestunden gewidmet« anmerkt, zur Homogenisierung und Hierarchisierung ihres Gegen- Besucher mit der Parole »Nie wieder Auschwitz!« entließ, als neuem Die fragwürdigen Kategorisierungen setzen sich fort, wo es (S. 181), so Schubert/Templin. Ein Lapsus, das kann passieren. stands neigen. In Hansens Fokus steht weniger die Geschichts- oder Imperativ, dem sich alle anschließen konnten. um die Betrachtung der durch die stalinistische Politik ausgelösten Sollte es aber nicht zu oft. Innerhalb einer Buchseite wird die UPA Erinnerungspolitik »von oben« als die Vielzahl unterschiedlicher Die Forschungsarbeit von Hansen, die politik- und alltagsge- Hungerkatastrophe in der Ukraine geht und um den Holocaust. So einmal »Ukrainische Aufständische Armee«, einmal »ukrainische Akteure – von Politikern und Journalisten bis zu den ehemaligen schichtliche Perspektiven ebenso verknüpft wie Fragen der Narration heißt es: »Das erschütterndste nationale Trauma der Ukrainer, der Aufstandsarmee« ausgeschrieben. Häftlingen, den Mitarbeitern und Besuchern der Gedenkstätte –, und Repräsentation, gewährt einen spannenden und facettenreichen Holodomor, hatte in den dreißiger Jahren nicht in allen Regionen Die Silbentrennung ist bei russischen und ukrainischen Namen die auf ihre Weise die Geschichte des Ortes prägten. Zur Frage da- Einblick in die Geschichte von Museum und Gedenkstätte. Es gehört gewütet, nahm aber in den Erinnerungen zahlreicher Menschen einen und Bezeichnungen grundsätzlich falsch. Diese Formfehler sind nach, welche Geschichtsdeutungen und -repräsentationen sich in den zu den Stärken der Arbeit, dass sie zeigen kann, wie Positionen, die zentralen Platz ein« (S. 139). Ohne Frage war die Politik, die zum Ausdruck einer Inkonsequenz, Ungenauigkeit und fehlender Wissen- Auseinandersetzungen um den symbolisch hoch aufgeladenen Ort gemeinhin als konträr gedacht werden – etwa nationalistische und Hungertod von Millionen von Menschen vor allem in den Jahren schaftlichkeit, die sich auch inhaltlich und terminologisch deutlich gegenüberstanden, gehört für Hansen auch der mikrologische Blick kommunistische Geschichtsinterpretationen – im Detail zerfl ießen, 1932/33 führte, verbrecherisch und hat das kollektive Gedächtnis zeigen. Als »Tag des Sieges« wird in Russland der 9. Mai gefeiert, auf den Alltag der Gedenkstätte und auf die Interaktion zwischen ineinander übergehen, sich gegenseitig verstärken, solange einige in der Ukraine geprägt. Die Frage ist jedoch, warum selbiges nicht nicht der 8. Mai (S. 176). Mitarbeitern und Besuchern. grundsätzliche Widersprüche ignoriert werden können. Die Analyse auch für den Holocaust konstatiert wird. Stattdessen werden die er- Dass Svoboda ebenso wie der Rechte Sektor bei den Parlaments- Bis 1950 war die Geschichte der Gedenkstätte geprägt von ei- der beständigen Marginalisierung des »jüdischen Auschwitz« in mordeten Jüdinnen und Juden implizit aus dem nationalen Kollektiv wahlen im Oktober 2014 an der 5-Prozent-Hürde scheiterten, kann ner erstaunlichen Pluralität, vom Nebeneinander unterschiedlicher der Gedenkstätte gerät dagegen etwas dünn. Wenn im Resümee die herausdefi niert, indem der Holocaust im Zusammenhang mit einem schwerlich als Indiz einer Demokratisierung der Ukraine gewertet Akteure und Konzepte, von divergierenden Deutungen und Erzäh- fehlende Repräsentation von Juden als Opfern mit der zögerlichen »nationalen Trauma« nicht einmal genannt wird. werden. Wahlergebnisse sind eben nicht der einzige Indikator für lungen, die friedlich zu koexistieren schienen. Narrative Grundbe- Intervention jüdischer Organisationen und vor allem mit den feh- Problematisch ist auch die Beschreibung und Bewertung der rechte und rechtsextreme Tendenzen. Und: Wer eine extrem rechte standteile waren das polnische Martyrium, die Hervorhebung der lenden jüdischen Mitarbeitern im Museum erklärt wird, zeigt sich historischen Figur Stepan Banderas ebenso wie der Organisation Kraft wählen wollte, hatte andere Möglichkeiten als Svoboda. Polen als Opfer, Widerstand und Heldenmut im Kampf gegen die eine Schwäche des akteursbezogenen und alltagsgeschichtlichen Ukrainischer Nationalisten (OUN). Was Schubert/Templin zum Deutschen. Religiöse, nationalistische und kommunistische Deutun- Ansatzes. Ohne eine systematische Einbeziehung etwa des Nach- Thema schreiben, ist verharmlosend, falsch und nicht belegt. »Ein Lara Schultz und Ingolf Seidel gen fanden nebeneinander Platz und konnten ineinander übergehen. kriegs-Antisemitismus und der nationalen und antifaschistischen polnischer Biograf kommt der Realität wahrscheinlich nahe, wenn Berlin Viele grundlegende Fragen über Arbeitsweise und Ziele einer KZ- Sprach- und Diskursregeln kann man diese irritierende Leerstelle er in Stepan Bandera einen galizischen Abenteurer und Terroristen Gedenkstätte wurden bereits in den ersten Jahren diskutiert. Das kaum zu fassen kriegen. sieht […]« (S. 58), behaupten die Autoren unüberprüfbar, da, so Schicksal der Juden lief dagegen Gefahr, zu einem Randaspekt der wird gleich im Vorwort dargelegt, aus »Gründen des Lesbarkeit« auf Lagergeschichte gemacht zu werden; deutlicher Ausdruck dafür Katharina Stengel Fußnoten und Anmerkungen verzichtet wird und auch nur die »wich- war die Vernachlässigung des Geländes von Birkenau. Aber auch Fritz Bauer Institut tigsten« Arbeiten im Literatur- und Quellenverzeichnis aufgeführt

76 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 77 Architektur der Vernichtungslager Mit dem durch den Stadtforscher David Lynch entwickelten Konzept Spurensuche – das Gleiche mit den Palästinensern.‹« (S. 456) Und doch war er der Mental Map untersucht sie darin, wie die gebaute Materialität Eine Jüdische Familiengeschichte mit großer Freude am Ben-Gurion-Flughafen empfangen worden. der Lager von den Überlebenden wahrgenommen wurde. Das Bemühen von Lorenz, seinen israelischen Verwandten zu

Anhand ihrer Studie zeigt Wienert auch auf, wie historisches beweisen, dass junge deutsche Linke wirklich nichts über ihre Ge- Wissen und medial vermittelte Bilder zu den Vernichtungslagern sich schichte wissen, bleibt nicht ohne Folgen: Was sollten seine Ver- Annika Wienert wechselseitig beeinfl ussen. Dazu stellt sie künstlerische Arbeiten vor, wandten mit ihm anfangen? Ob er nichts über das Schicksal seiner Das Lager vorstellen. Die Architektur der die explizit die Architektur der Vernichtungslager thematisieren, und Lorenz S. Beckhardt Familie wisse? Nein, davon hatte er wirklich keine Ahnung. nationalsozialistischen Vernichtungslager zeigt anhand der Forschungsliteratur und den Bildproduktionen von Der Jude mit dem Hakenkreuz. Meine Wenig später möchte Lorenz den Kriegsdienst verweigern. Zu sei- Berlin: Neofelis Verlag, 2015, Gedenkstätten auf, wie Vorstellungen zu diesen Lagern überwie- deutsche Familie nem ungläubigen Erstaunen klärt ihn ein Verwandter darüber auf, dass 301 S., € 29,– gend von Motiven anderer nationalsozialistischer Lager dominiert Berlin: Aufbau Verlag, 2014, er doch Jude sei – und als Nachkomme von jüdischen Verfolgten nicht werden. Ein markantes Motiv in den visuellen Darstellungen der 480 S., € 24,95 zur Bundeswehr müsse. Diese Erfahrung wird, viele Jahre später, zum Vernichtungslager ist der Stacheldraht der Umzäunungen der Lager. Ausgangspunkt einer schmerzhaften Forschung zur Familienbiografi e. Die nationalsozialistischen Vernichtungsla- Mit diesem Motiv werde, so Wienert, jedoch weder die bauliche Bei einem Besuch in einem Antiquariat in Israel übergab man ger in Bełżec, Sobibór und Treblinka waren Gestalt der Umzäunung, die von denen anderer Konzentrationslager ihm ein Buch über deutsch-jüdische Fliegerhelden, auf dem ein zwischen Frühjahr 1942 und Herbst 1943 Stätten der Ermordung stark abwich, noch das Geschehen im Lager wiedergegeben. Damit Lange wusste Lorenz Schlomo Beckhardt Kampffl ugzeug abgebildet war. Geschmückt war es mit einem über- von mindestens 1,7 Millionen Menschen. Im Rahmen der von den lasse sich das Lager nur als Gefangenschaft symbolisieren. Der nichts über seine jüdische Familienge- dimensionalen Hakenkreuz. Ausführlich porträtiert wurde in diesem Nationalsozialisten so genannten »Aktion Reinhardt« wurden vor Massenmord in Gaskammern und an Erschießungsstätten entziehe schichte. Dies war insofern erstaunlich, als das gesamte Dorf, in Werk Lorenz’ Großvater Fritz, der aus dem Ersten Weltkrieg als der allem Jüdinnen und Juden aus Polen, aber auch aus anderen von sich dagegen einer eigenständigen visuellen Repräsentation. dem er 1961 geboren und aufgewachsen war, – das idyllische Son- höchstdekorierte Jude zurückkehrte. Lange lebte er in der Illusion, den Deutschen besetzten Ländern und aus Deutschland in die Lager Diesem Umstand gegenüber fasst der Titel der Studie Das Lager nenberg bei Wiesbaden – »darüber« Bescheid wusste. Seine Eltern dass er als jüdischer Pilot geschützt sei. verschleppt. Unter den Opfern waren auch Sinti und Roma. Nur etwa vorstellen zwei Ansprüche der Autorin zusammen. Zwar markiere betreiben ein kleines Lebensmittelgeschäft. Obwohl es in dem Dorf 1950 kehrt Fritz Beckhardt gemeinsam mit seiner Frau Rosa 140 Menschen überlebten ihre Deportation, wenn es ihnen, wie in der Tod in den Gaskammern einen radikalen Bruch darin, was vor- eigentlich eine Monopolstellung hat, bleibt ein Teil der freundlichen Emma und seinem 23-jährigen Sohn wieder nach Deutschland zu- Sobibór und Treblinka nach Aufständen gegen die Lagerbesatzun- stellbar ist, doch gerade deshalb gelte es entgegen der Rede von der Sonnenberger der deutschen Losung »Kauft nicht bei Juden!« treu. rück, aus innerer Überzeugung. Er hatte zwei Jahre Untersuchungs- gen, gelang zu fl iehen. Die Täter beseitigten die materiellen Spuren Unvorstellbarkeit der nationalsozialistischen Verbrechen, den Zeug- Erst als seine Eltern den Laden 1977 verkaufen, betreten diese Son- haft und das KZ Buchenwald überlebt. Fritz und Emma waren nach der Massenmorde nahezu vollständig. Die Bauten der Lager wurden nissen der Überlebenden in ihrer Detailliertheit Aufmerksamkeit zu nenberger wieder das Geschäft. Portugal, 1941 nach England emigriert. 1950 dann die Rückkehr in abgetragen, die Leichen der Ermordeten verbrannt und ihre Asche geben. Zweitens stellt sie ihre Studie gegen Vereindeutigungen in Auch über die Fluchtgeschichte seines Vaters nach England das Heimatdorf. verstreut. Die Lagergelände wurden umgenutzt. Zeugenschaft der den Darstellungen der Vernichtungslager. Wichtig ist für Wienert, am wusste der junge Lorenz nichts. Er wusste nur, dass sein Vater lange Immer wieder zeigen ihnen die Dorfbewohner, dass sie un- Verbrechen ist daher nur bruchstückhaft überliefert. Annika Wienert Begriff des Lagers festzuhalten. Einerseits, um damit auf konkrete in England gelebt hatte. Dorthin gelangt war er als jüdisches Flücht- erwünscht sind. Die erneute Begegnung mit den von ihnen ver- widmet sich in ihrer Dissertation einem dieser Bruchstücke: der Orte und konkrete Täterschaften zu verweisen. Andererseits wendet lingskind. Beckhardts Eltern waren Kaufl eute, über ihre schmerz- triebenen Juden weckt in ihnen Schuldgefühle. Dies lassen sie die Architektur der drei Vernichtungslager. sie sich damit auch dagegen, die Geschichte des kleinen Teils der hafte Biografi e als Kinder von Verfolgten sprachen sie nicht gerne. Rückkehrer spüren. Nach mehrjährigen Prozessen erhält Fritz einen Aus Forschungsliteratur und Quellenbeständen zu den Lagern Opfer, die nicht unmittelbar nach ihrer Deportation ermordet wur- In umfänglicher Weise zeichnet der Wissenschaftsjournalist Teil seines »arisierten« Vermögens zurück. Die quälenden Prozesse arbeitet die Autorin deren Baugeschichte heraus. Sie weist auf De- den, sondern zunächst zur Mitarbeit am Mordprozess gezwungen Beckhardt seine jüdische Familiengeschichte nach. Sein Großvater um die »Wiedergutmachung« haben aber seine Gesundheit zerstört. tails und Kontingenzen in der Entwicklung der einzelnen Lager hin wurden, zu verdrängen: »Nicht zuletzt zeigt der Begriff [des Lagers] Fritz gehörte als Kampffl ieger im Ersten Weltkrieg zu den höchstde- Die Liebe zu Deutschland hat ihn blind gemacht. Auf Fotos und und kann dabei die in der bisherigen Forschung aufgestellten Hy- an, dass die Opfer keinesfalls direkt in den Gaskammern starben, korierten deutschen Soldaten. Für den Enkel anfangs verstörend war in den Beschreibungen erleben wir einen zunehmend verzweifeln- pothesen mit Erkenntnissen aus dem von ihr untersuchten Material sondern im Lager beraubt wurden, Zwangsarbeit leisten mussten ein Foto, auf dem sein Großvater in einem Doppeldecker saß; auf den, schwer traumatisierten Menschen: »Bis zum 8. Mai 945 galten ergänzen. So veranschaulicht sie, welchen Stellenwert Architek- und misshandelt und gequält wurden.« (S. 16) dessen Rumpf prangte ein großes Hakenkreuz. Für seinen Großvater Juden in den Augen der ›arischen‹ Mehrheit ausnahmslos als reich. tur im Bestreben der Lagerbesatzungen einnimmt, ihr alltägliches Die große Leistung von Annika Wienert besteht zuletzt auch war dies ein persönliches Glückssymbol. Er verstand sich durch und Tags darauf mussten sie beweisen, jemals etwas besessen zu haben.« Mordhandwerk zu normalisieren. Wienert erarbeitet mit Kategorien darin, dass sie – neben ihrem Beitrag zu einer Grundlagenforschung durch als deutscher Jude. (S. 368) Gegen Ende seines Lebens erkennt Fritz die ablehnende der Architekturtheorie und der Urbanistik eine Typologie der Archi- zur Architektur der Vernichtungslager der »Aktion Reinhardt« – mit Zu den Anfängen von Beckhardts familiärer Spurensuche: 1972 Haltung eines Teils der deutschen Bevölkerung und der deutschen tektur der Vernichtungslager. Damit fordert sie diese Disziplinen ihrer spezifi schen Perspektive neue Fragestellungen für Auseinan- schicken seine Eltern ihn in ein katholisches Internat in Bonn. Der Behörden. 1962 stirbt er, verbittert, nach mehreren Schlaganfällen. dazu auf, die Geschichte der Architektur in Bezug auf die national- dersetzungen mit den nationalsozialistischen Massenverbrechen junge Jude geht regelmäßig in den Gottesdienst, wird Messdiener. Dem Anfang wohnt das Ende inne: Beckhardt beginnt seine Spu- sozialistischen Massenverbrechen fortzuschreiben und die gebaute skizziert. Dann, Ende der 1970er Jahre, der politische Aufbruch, der Protest: rensuche mit der Szene seiner – sehr verspäteten – Beschneidung: Materialität der Vernichtungslager weitergehend zu erforschen. Als »Schulterlange hennarote Locken, ein Palästinensertuch um den Im Alter von 45 Jahren möchte er seinen ihm früher verwehrten Untersuchungsmaterial zieht Wienert insbesondere bildliche Quellen Martin Mauch Hals« (S. 451). Er fühlt sich als Linker, übernimmt als 20-Jähriger jüdischen Namen tragen, sich auch öffentlich zu seinem Judentum heran, die in insgesamt 70 Abbildungen in der Studie abgedruckt Frankfurt am Main auch die antisemitischen – sich irrtümlich als »internationalistisch« bekennen: »Es schmerzt, aber es fühlt sich gut an«, lautet der erste sind. Neben Fotoalben der Täter beschäftigt sie sich eingehend mit gerierenden – Überzeugungen eines nicht unbeträchtlichen Teils der Satz seines Buches. Beckhardt hat ei n eindringliches, auch bestür- Zeichnungen der Lager, die von Überlebenden angefertigt wurden. Linken. Als ihn seine Familie zu einem Besuch zu Verwandten nach zendes Buch vorgelegt. Den Erinnerungen der Überlebenden schreibt die Autorin eine beson- Israel schickt, lässt der junge »Revolutionär« vernehmen, dass er die dere Evidenz zu, da Baupläne der Todeslager nicht überliefert sind. Politik Israels ablehne: »›Ihr habt nichts aus der Geschichte gelernt‹, Roland Kaufhold Sie behandelt die Zeichnungen erstmals als eigenständige Quellen. schimpfe ich. ›Die Nazis haben euch unterdrückt. Jetzt macht ihr Köln

78 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 79 Einheit und Pluralität des Zionismus Geschichte eingingen« (S. 75). So mag sich dessen Staatstheorie Insideranalysen eines Außenseiters und dem Deutschen Volkswirt veröffentlichte. An die Sprache der zwar zwischen Utopie und Pragmatismus bewegen, von Bedeutung Abnehmer angepasste Schreibarbeiten aus der Perspektive des deut- ist aber die Schaffung eines organisatorischen Rahmens, der der schen Kapitals, die die erste Werkgruppe des Bandes ausmachen.

pluralen zionistischen Bewegung, »trotz der Konfl ikte zwischen den Eine dieser Arbeiten, eine Klassenanalyse mit dem Titel »Die unterschiedlichen Parteien, die Möglichkeit eröffnete, als politischer soziale Rekonsolidierung des Kapitalismus«, die er im September Samuel Salzborn (Hrsg.) Akteur aufzutreten«. Auch Chaim Weizmann sei vor allem aufgrund Alfred Sohn-Rethel 1932 gemäß den Richtlinien der Führerbriefe anonym veröffentlich- Zionismus. Theorien des jüdischen Staates seiner pragmatischen Politik zu einer der bedeutenden Figuren des Die deutsche Wirtschaftspolitik im te, sorgte in der kommunistischen Bewegung für Aufsehen. Dieser Baden-Baden: Nomos Verlag, 2015, Zionismus geworden. Evyatar Friesel legt dar, dass zwar zunehmend Übergang zum Nazifaschismus. spielte er den Aufsatz anonym zu, um sie vor der für die Rekon- 211 S., € 39,– auch Weizmanns ideologische Rolle Anerkennung fi ndet. Seine Idee Analysen 1932–1948 solidierung des Kapitalismus notwendige und den Interessen der des »synthetischen Zionismus« habe für Flexibilität im zionistischen Hrsg. von Carl Freytag und Oliver wirtschaftlichen Eliten entsprechende Spaltung der Arbeiterklasse Lager gestanden, sei aber selbst pragmatisch motiviert: »Das wahre Schlaudt. durch SPD und NSDAP zu warnen und sie zu einer konsequenten Leben zwang die Zionisten (und später die Israelis) zum Kompro- Freiburg: ça ira Verlag, 2015, revolutionären Praxis zu bewegen. Tatsächlich wurde der Aufsatz Die Publikationsreihe »Staatsverständnisse« miss, zum Mittelweg, zur politischen Moderation.« (S. 152) 510 S., € 26,– von der kommunistischen Presse aufgegriffen und als sensationel- (Nomos Verlag) verfolgt das Ziel, klassi- Die einzigartige Spezifi k des Zionismus ist darüber hinaus auch le Insiderenthüllung der politischen Strategie des Kapitals für die sche Theoretiker und neuzeitliche Ideen des Staates vorzustellen. durch ein negatives Moment gekennzeichnet. Maßgeblichen Zionis- Obgleich einige der hier versammelten Schriften in Deutschland Agitation benutzt. Erst 1970, als der Text im Kursbuch wieder ver- Im vergangenen Jahr erschien, herausgegeben von dem Göttinger ten ging es »nicht um die Erneuerung jüdischer Identität, sondern bei Suhrkamp (1973) und Wagenbach (1992), in England (1987) öffentlicht wurde, bekannte sich Sohn-Rethel zu seinem Coup, was Politikwissenschaftler Samuel Salzborn, der mittlerweile 76. Band um die Rettung vor dem Antisemitismus« (S. 83). Entsprechend und Italien (1978), den Niederlanden (1975) und Dänemark (1975) für Anfeindungen von Seiten derjenigen Marxisten sorgte, die den der Reihe. Er widmet sich dem Zionismus. seien antisemitische Eskalationen für zionistische Pioniere als »Er- veröffentlicht wurden, gerieten sie in Vergessenheit. Mit dem vorlie- Text weiterhin als ein Hauptbeweisstück für die Agententheorie Die dort versammelten Beiträge sollen vor allem, so betont weckungserlebnis« zu deuten: bei Moses Hess die Ausschreitungen genden zweiten Band der Schriften Alfred Sohn-Rethels machen die behandeln wollten (S. 24 f.). Salzborn einleitend, »die Pluralität in der Diskussion um den jü- von Damaskus 1840, bei Pinsker die Pogrome 1881/82 in Russland Herausgeber nicht nur die Texte der beiden vergriffenen deutschen Die auf Georgi Dimitrow zurückgehende Theorie, der zufolge dischen Staat sichtbar machen« und anhand politischer, kultureller und bei Herzl die Dreyfus-Affäre. Mit Eduard Bernstein fi ndet daher Ausgaben zugänglich, sondern veröffentlichen die erste Edition aller die Nationalsozialisten bloß terroristische Agenten der besonders und religiöser Dimensionen nicht nur »die Verbindung zu ande- auch einer der führenden Sozialdemokraten der Jahrhundertwende seiner Arbeiten zur politischen Ökonomie des Nationalsozialismus. reaktionären, imperialistischen Teile des Kapitals gewesen seien, ren Überlegungen der staatstheoretischen Diskussion« aufzeigen, Einzug in den Sammelband, obwohl er selbst sich niemals als Zio- Neben einem einleitenden Aufsatz Freytags zum biographischen bildete lange Zeit das Dogma der sowjettreuen Faschismusanalysen. sondern auch die »Spezifi k des Zionismus« (S. 9) herausstellen. nisten verstand. Er begriff aber »die jüdische Nationalbewegung als Kontext und zur Rezeption der Schriften zeichnet sich die Ausgabe So wie Sohn-Rethel überhaupt mit seiner intellektuellen Arbeit einen Entsprechend porträtieren die Beiträge zwar einschlägig bekannte, nachvollziehbare und unterstützenswerte Reaktion auf den immer durch eine sorgfältige Kommentierung der einzelnen Texte, deren eigenwilligen Weg verfolgte und Zeit seines Lebens Außenseiter doch aber in vielerlei Hinsicht divergierende Vordenker und Protago- aggressiver werdenden Antisemitismus« (S. 53). Sebastian Voigt Nachweis, ein Glossar und ein Personenregister aus. Zu bemängeln blieb, so widersetzen sich auch seine Analysen des Verhältnisses nisten des Zionismus. Volker Weiß etwa erinnert in seinem Aufsatz illustriert Bernsteins prozionististische Haltung aus dessen Prag- ist lediglich das Fehlen einer Beurteilung der Analysen Sohn-Rethels von Politik und Ökonomie im Nationalsozialismus der damals an Moses Hess, den »Pionier einer revolutionären zionistischen matismus heraus und urteilt, dass er »mit seiner revisionistischen vom gegenwärtigen Forschungsstand aus. vorherrschenden marxistischen Dogmatik und der fortwährenden Idee«, und dessen »Vision eines demokratischen und sozialistischen Position […] an der gesellschaftlichen Realität näher dran [war] als Diese verdienen nach wie vor in mehrfacher Hinsicht Aufmerk- interessierten Apologetik, die keinen Zusammenhang zwischen Judenstaates« (S. 32), während Kay Schweigemann-Greve Martin seine dogmatischen, theoriefi xierten Parteigenossen« (S. 72). samkeit. Zuallererst aufgrund der Bedingungen ihrer Entstehung, die kapitalistischer Produktionsweise und faschistischer Krisenlösung Bubers politisch-theologisches Ideal eines libertärsozialistischen Pragmatische Erwägungen spielen für den religiösen Zionis- in der Einleitung Freytags und in Erinnerungen Sohn-Rethels dar- erkennen will. Diese Arbeiten, die die zweite Werkgruppe des Ban- »Königtums Gottes« (S. 167) darstellt. mus und sein bis heute vorhandenes Mobilisierungspotential indes gestellt werden. Sohn-Rethels Analysen beruhen auf den Beobach- des bilden, verfasste Sohn-Rethel im Exil, angesichts der drohen- Solche unterschiedlichen Vorstellungen über die staatliche Ver- eine untergeordnete Rolle. Steffen Hagemann skizziert die in der tungen, die er während seiner von 1931 bis 1936 währenden Arbeit den Verhaftung war er 1936 gefl ohen. Auf der Grundlage seiner im fassung des zu errichtenden Judenstaates mögen in die staatstheo- lurianischen Kabbala fundierte Interpretation des Messianismus in Institutionen im Umfeld des Mitteleuropäischen Wirtschaftstags MWT gewonnenen Erkenntnisse bemüht er sich um Analysen der retische Diskussion überhaupt integrierbar sein und können »oft durch Abraham Isaak Kook und betont die darin angelegte akti- (MWT) gemacht hat: von 1931 bis 1934 als wissenschaftliche Hilfs- Struktur, der Konfl ikte und der Dynamik der politischen Ökonomie als allgemeine Folien hinter die Etablierung politischer Systeme vistische Dimension. Die »eschatologischen Heilserwartungen der kraft beim MWT, von 1934 bis 1935 als Sekretär des Deutschen des Nationalsozialismus. Mit klarem Blick analysiert er die Interes- gelegt werden […], ohne direkt auf ein konkretes politisches System passiven, quietistischen Orthodoxie« würden »in ein aktivistisches Orient-Vereins und 1935 als Geschäftsführer der Ägyptischen Han- senkonfl ikte zwischen den unterschiedlichen Kapitalfraktionen und anwendbar zu sein«. (S. 9) Die Diskussionen über den Zionismus Programm der Besiedelung des Landes gewendet werden« (S. 134). delskammer für Deutschland. Auf diesen Stationen erhielt er als innerhalb der NSDAP und kommt 1938 zu einer Einschätzung des korrelieren indes unmittelbar auch mit der Errichtung des Staates Salzborn gilt es aber nicht als Widerspruch, dass die pragmatischen marxistischer Intellektueller in Camoufl age Einblicke in die Arbeit Verhältnisses zwischen Partei und wirtschaftlicher Elite, die zugleich Israel und verknüpfen auf einzigartige Weise philosophische Theorie Erwägungen zur Abwehr des Antisemitismus sich bisweilen mit des MWT, die sonst nur den wirtschaftlichen und politischen Eliten eine implizite Kritik der Agententheorie ist: »Die Faschistenpartei ist und politische Praxis. Carsten Schliwski betont entsprechend, dass religiösen oder kulturellen Motiven in restaurativen wie erneuernden vorbehalten waren. Diese Informationen über die Vermittlungsbemü- der Knecht der Bourgeoisie, aber nur in dem Verhältnis, daß sie über etwa Leon Pinskers Idee einer säkularen jüdischen Nation und der Bestrebungen um das Selbstverständnis jüdischer Identität in der hungen des MWT, die auf den Ausgleich zwischen den widerstrei- ihrer Bourgeoisie im Sattel sitzt und diese mit Sporen und Kandare daran geknüpften Forderung nach »Autoemancipation« zwar »ei- Moderne kombinieren. Er konstatiert: »Gerade die Kombination tenden Interessen der neuen technischen und chemischen Industrie- ihre eigenen Bahnen reitet.« (S. 332) ne eher unbedeutende Episode in der Geschichte des Zionismus« aus politischen und religiösen Motiven zeigt, dass Israel zu Recht konzerne und denjenigen der Schwerindustrie und der Großagrarier darstelle, dennoch »unabdingbar für den Zionismus seit Herzl sein als Staat sui generis gilt, also als einziger und besonderer Staat, der zielten, gab er im Rahmen seiner illegalen politischen Arbeit an Jérôme Seeburger sollte« (S. 50). durch sich selbst eine eigenständige Klassifi zierung bildet.« (S. 10) kommunistische Untergrundgruppen weiter. Um sein geringes Ge- Leipzig Der zum »wichtigsten Symbol des Zionismus« (S. 90) stilisierte halt aufzubessern, verfasste er in dieser Zeit zusätzlich Analysen Theodor Herzl, führt Andrea Livnat in ihrem Beitrag aus, sei indes Nico Bobka zur deutschen Wirtschaftspolitik in Mittel- und Südosteuropa, die kein großer Theoretiker gewesen: »Es sind seine Taten, die in die Frankfurt am Main er in Publikationsorganen des MWT, den Deutschen Führerbriefen

80 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 81 Ende der Zeugenschaft erarbeitet hatte. Nunmehr ging die Vorermittlungsstelle nicht mehr Nicht vergessen und nicht vergeben Sekretärin Oskar Singers war und die uns Forscherinnen und For- nur den vormals allein verfolgten »unerträglichen Fällen« nach, son- schern daher so viele Informationen über die Arbeit in diesem Archiv dern ermittelte gegen jedes »Rädchen« der Vernichtungsmaschinerie. geben konnte, geschrieben. Sascha Feuchert, einer der Herausgeber

Ein jüngstes Ergebnis des Erwachens der Strafjustiz in Sachen der Lodzer Gettochronik, beschreibt in der Festschrift Eichengreens NS-Verbrechen, der Aufgabe einer verheerenden Justizpraxis, ist wichtige Rolle bei den Arbeiten an dieser Edition.1 Peter Huth (Hrsg.) der Lüneburger Prozess gegen Oskar Gröning gewesen. Der An- Ursula Wamser, Wilfried Weinke Sie sagt und schreibt auch Unbequemes, redet nicht einer ober- Die letzten Zeugen. Der Auschwitz- geklagte hatte in der »Häftlingseigentumsverwaltung« gearbeitet, (Hrsg.) fl ächlichen Gedenkkultur nach dem Mund. Habbo Knoch merkt Prozess von Lüneburg 2015. Hab und Gut der Deportierten sortiert und zum Wohle des deutschen »Ich kann nicht vergessen und nicht darüber im vorliegenden Band an: »Sie spricht kontrolliert, nicht Eine Dokumentation Volkes ins Reich versandt. Mitte 2015 verurteilte das LG Lüne- vergeben«. emotional, sie bezeugt, sie malt nicht. Sie verweigert sich damit Hrsg. von Peter Huth unter Mitarbeit von burg Gröning wegen »Beihilfe zum Mord in dreihunderttausend Festschrift für Lucille Eichengreen medialen Konventionen des Umgangs mit dem Holocaust, gerade Philipp Heinemann, Kai Feldhaus, Laura rechtlich zusammentreffenden Fällen« zu einer Freiheitsstrafe von Hamburg: Konkret Literatur Verlag, 2015, indem und wie sie darüber spricht. Ihre nicht zu verfehlende Sper- Gehrmann, Torsten Hasse, Anne Losensky, vier Jahren. Journalisten der Berliner Tageszeitung B.Z. haben das 175 S., € 15,– rigkeit ist nicht nur Ausdruck einer tiefen Unversöhnlichkeit, weil Axel Sturm und Anja Wieberneit, mit Verfahren verfolgt und seinen Verlauf dokumentiert. Ihr Anspruch ihr falsche Läuterung der Täter und ihrer Nachkommen zuwider ist, einem Nachwort von Hans-Christian Jasch. war, »genau das aufzuschreiben, was im Prozess gesagt wurde – Am 1. Februar 2015 wurde Lucille Eichen- sondern auch ein Medium, um die Distanz zwischen ihren Zuhörern Stuttgart: Reclam Verlag, 2015, unkommentiert, unbewertet und ungewichtet« (S. 7). Für die Pro- green 90 Jahre alt. Wäre es nach den Na- und ihrem vergangenen Erleben des Geschehens aufrechtzuerhal- 277 S., € 12,95 zessberichterstattung in der Zeitung mag diese Methode genügen, tionalsozialisten gegangen, hätte sie dieses Alter nicht erreicht. Sie ten.« (S. 54 f.) nicht aber für eine Buchpublikation, selbst dann, wenn einer der hat ein Getto und mehrere Lager überlebt. Als Cecilie Landau in Es ist ein sehr persönliches Buch, herausgegeben von zwei Selten schreiben Justizjuristen Rechtsgeschichte. Selten auch haben Journalisten die Berichte anhand anderer Quellen ergänzt hat. Statt Hamburg geboren, wurde sie im Herbst 1941 gemeinsam mit ihrer Nachgeborenen, die aber in ihrem einleitenden Text schreiben: »Wir sie den Horizont, rechtsvergleichend zurückzublicken und die herr- des Nachwortes des Historikers Hans-Christian Jasch, das nicht Mutter und ihrer Schwester in das Getto von Litzmannstadt/Łódź kennen Lucille schon seit ihrer Schulzeit«. Wer wissen möchte, wie schende Rechtsprechung kritisch zu untersuchen. frei von Unrichtigkeiten ist, hätte eine umfangreiche Einleitung die verschleppt. Ihre Mutter starb im Sommer 1942 völlig entkräftet im dies gemeint ist, der möge in diese schöne Festschrift hineinschauen. 2008 initiierte Thomas Walther, der sich wenige Jahre vor sei- Geschichte sowohl von Auschwitz als auch der Auschwitz-Prozesse Getto, ihre Schwester wurde wenig später während der dramatischen Dort abgedruckt ist auch Lucille Eichengreens Rede zur Vorstellung nem Ausscheiden aus dem Justizdienst an die Zentrale Stelle der darstellen müssen. Auf der Grundlage der bereitgestellten Informati- Tage im September 1942, die die Gettobewohner »Sperre« nannten, der Lodzer Gettochronik in Gießen am 15. November 2007. Die Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer onen hätten Leserinnen und Leser sodann die Berichterstattung über ins Vernichtungslager Chełmno/Kulmhof deportiert und dort in Gas- Rede, in der sie davon spricht, dass die Chronik Teil ihres Lebens Verbrechen in Ludwigsburg hatte versetzen lassen, Vorermittlungen den durchaus außergewöhnlichen Prozess nachvollziehen können. wagen ermordet. Ihren Vater hatten die Nationalsozialisten bereits und sie selbst ein Teil der Chronik sei, hat mich damals sehr bewegt. im Fall John Demjanjuk. Der in Israel beinahe einer Personenver- Die protokollierten Zeugenaussagen bedürfen der Kommentierung. früher im Konzentrationslager Dachau getötet. Hoffentlich fi ndet sie jetzt noch viele neue Leser. wechslung zum Opfer gefallene einstige ukrainische Hilfswillige Unklare Angaben über Lagerabschnitte in Birkenau werden nicht Zum runden Geburtstag im letzten Jahr haben zwei langjäh- war nicht »Iwan der Schreckliche« des Vernichtungslagers Treb- verdeutlicht, unvollständige Häftlingsnummern (S. 45) nicht ergänzt, rige Freunde Lucille Eichengreens aus Hamburg, Ursula Wamser Andrea Löw linka. Doch Demjanjuk war Trawniki-Mann im Todeslager Sobibór rätselhafte Aussagen (S. 125) nicht richtiggestellt. Die Herausge- und Wilfried Weinke, ihr zu Ehren eine Festschrift herausgegeben. München gewesen. Sobibór war der bundesdeutschen Justiz nicht unbekannt. ber begnügen sich mit gerade mal 19 Anmerkungen (S. 255–257). Freunde, Wissenschaftler und Gedenkstättenleiter, Politiker, Jour- 1965/66 hatte das Landgericht (LG) Hagen gegen 12 SS-Angehörige Wichtig wäre auch gewesen, die spezifi sche Rolle der Zeugen zu nalisten und Lehrer sind es etwa, die hier über Eichengreen und ihre des Lagers verhandelt und war zu dem Urteil gelangt, dass das Ver- klären, die keine »Tatzeugen« im herkömmlichen Sinne mehr waren, Begegnungen mit ihr schreiben. Reaktionen von Schülerinnen und nichtungsgeschehen in der Mordstätte als eine Tat, als natürliche kein »Beweismittel«, dessen Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit Schülern auf Gespräche mit ihr sind abgedruckt. Vorworte zu ihren Handlungseinheit im Rechtssinne zu betrachten sei. Mitgewirkt an hinsichtlich der bekundeten Tatvorwürfe vom Gericht nach Recht Büchern fi nden sich ebenso im Band wie Texte von Eichengreen der Ermordung der ins Lager deportierten Juden hatten alle Mitglie- und Gesetz geprüft worden wäre. Dieser bemerkenswerte Wandel der selbst. der der SS-Besatzung, gleichviel, welche Tätigkeiten sie ausgeübt Opferzeugen vom Tat- zum Erinnerungszeugen, die als Überlebende Lucille Eichengreen hat in einem Interview gesagt – und die- hatten. Die Rechtsauffassung war nicht neu. Bereits im Chełmno/ und gar als Nachgeborene (die Zeuginnen Judith und Ilona Kalman ses Zitat gibt dem Band seinen Titel: »Ich kann nicht vergessen Kulmhof-Prozess 1962/63 vor dem LG Bonn und im Treblinka- sowie Henriette Beck) vom erlittenen Leid und vom Trauma des und nicht vergeben.« In einer ihrer Reden, die in der Festschrift Prozess 1964/65 vor dem LG Düsseldorf betrachteten die Gerichte Lebens nach dem Überleben zu erzählen wissen, hätte in dem Buch abgedruckt sind, erklärt sie: »Ich bin in den letzten Jahren nach Le- den Massenmord in diesen Lagern als ein einheitliches Geschehen, refl ektiert werden müssen. sungen aus meinen Büchern wiederholt gefragt worden, warum ich als eine Handlung. Ein Vergleich mit den milden Strafen im Frankfurter Ausch- so unversöhnlich sei. Zurückgefragt: Ist es wirklich unverständlich, Walther, durch seine Arbeit in Ludwigsburg und durch ihre Fol- witz-Prozess für Gehilfen, die direkt und konkret im Sommer 1944 dass mir Versöhnen oder gar Verzeihen so schwer fällt, da mir die gen fraglos zur historischen Gestalt geworden, fragte sich, warum ein an der »Abwicklung« von Transporten beteiligt gewesen waren, liebsten Angehörigen auf menschenverachtende Weise genommen Wachmann nicht ebenso wie ein vom LG Hagen verurteilter Sobibór- hätte zudem ein Licht auf das im Vorwort zu Recht angeprangerte wurden? Ich spreche heute zu Ihnen als einzige Überlebende meiner Buchhalter Beihilfe zum Mord geleistet habe. Indem er sich auf eine »Versagen der deutschen Justiz« (S. 7) geworfen. Die unterlassene Familie.« (S. 146) Rechtsauffassung besann, die in den 1960er Jahren Anwendung Kontextualisierung der Dokumentation des Gröning-Prozesses min- Sie kommt seit Jahren immer wieder nach Deutschland, redet gefunden hatte und auch vom Bundegerichtshof bestätigt worden dert den Wert des ansonsten wichtigen und verdienstvollen Buches. vor Schulklassen und Studierenden über das Furchtbare, das sie war, erweckte er die Zentrale Stelle aus ihrem Tiefschlaf. Man erin- erlebt hat; ich selbst traf sie zum ersten Mal in Łódź, als sie einer 1 Die Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt 1941–1944 [Bd. 1–4], Supplemente nerte sich zum Beispiel an eine Aufstellung von mehr als 4.000 SS- Werner Renz Gruppe von Studierenden aus Gießen vor Ort vom Getto berichtete. und Anhang [Bd. 5], hrsg. von Sascha Feuchert, Erwin Leibfried und Jörg Angehörigen von Auschwitz, die die Frankfurter Staatsanwaltschaft Fritz Bauer Institut Mehrere Bücher über das Erlebte hat sie, die im Getto im Archiv die Riecke, Göttingen 2007.

82 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 83 Zur Topographie der Shoah in Wien So werden die Ereignisse sowohl als Überblick als auch aus der Kommunalpolitik als Basis Margarete vor allem während seiner Abwesenheit als Soldat im Sicht von Individuen dargestellt, die konkret mit den antijüdischen demokratischen Handelns Ersten Weltkrieg schrieb. Diese Unterlagen hatte Margarete Asch Maßnahmen und Verfolgungen konfrontiert waren und Strategien zusammen mit wenigen anderen persönlichen Gegenständen vor

für ein Leben und Überleben angesichts dieser Bedrohungen zu ihrer eigenen Deportation in einem Koffer im Heizungskeller des entwickeln versuchten. Dabei entschieden sich die Autor-/innen Wohnhauses versteckt. Ein Freund der ebenfalls deportierten Tochter Dieter J. Hecht, Eleonore Lappin- für eine chronologische Ordnung ihrer Kapitel, beginnend mit dem Ruth wusste davon und informierte nach 1945 die einzige Überle- Eppel, Michaela Raggam-Blesch »Anschluss«-Pogrom im März 1938 bis zu den Deportationen in die Helga Krohn bende der Familie, Mirjam. Die Originale liegen heute in den Central Topographie der Shoah. Gedächtnisorte deutschen Vernichtungsstätten in Osteuropa und dem Überleben in Bruno Asch – Sozialist. Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem. Krohn des zerstörten jüdischen Wien der Stadt und bildeten dabei wiederum thematische Schwerpunkte Kommunalpolitiker. Deutscher Jude. wertete die Quellen aus und schuf eine sehr gut lesbare Mischung Wien: Mandelbaum Verlag, 2015, 380 S., aus, so zur jüdischen Zwangsarbeit oder zu »Sammelwohnungen«. 1890–1940 aus Briefedition und Biographie, anhand der es gelingt, sich von der Abb., € 29,90 Sie beleuchten so eine Vielzahl von bekannten und bisher unbekann- Frankfurt am Main: Brandes und Apsel Person Aschs ein anschauliches Bild zu machen. ten Aspekten mit Blick auf den öffentlichen und privaten Raum der Verlag, 2015, 277 S., € 19,90 Ein Schwerpunkt des Buches liegt auf den Briefen. Mit den Stadt. Besonders deutlich werden dabei die Veränderungen in der Augen des 24-jährigen Bruno Asch wird man in den Alltag eines »Wer dort etwas zu fi nden meint, hat es wohl Nutzung und Bedeutung, die die Räume infolge der antijüdischen Bru no Asch war in den 1920er und begin- Soldaten eingeführt, der, in relativer Sicherheit in einem Telegra- schon im Gepäck mitgebracht«, schrieb Maßnahmen erfahren haben. Um nur drei Beispiele aus den detailrei- nenden 1930er Jahren ein herausragender phen-Bataillon hinter der Ostfront eingesetzt, vor allem eines im Ruth Klüger, Überlebende mehrerer Lager in ihrer Autobiographie chen Schilderungen hier anzuführen: Der Westbahnhof im XV. Be- Kommunalpolitiker und Finanzfachmann. Seine politische Karriere Übermaß zu haben scheint: Zeit. Der lern- und wissbegierige Asch weiter leben über die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Sie weist zirk, für die nichtjüdische Wiener Bevölkerung weiterhin ein Ort des begann in Höchst am Main, wo er zunächst als hauptamtlicher Stadt- schreibt mindestens jeden zweiten, wenn nicht jeden Tag an seine damit darauf hin, dass die Verknüpfung von historischen Gescheh- täglichen Nah- und Fernverkehrs, wurde sowohl zu einem Ort natio- rat für die SPD, 1923 bis 1925 als Bürgermeister der Stadt tätig war. Frau, liest sehr viel, unter anderem Zeitungen, die sie ihm schickt. nissen mit konkreten Gebäuden oder Arealen eine eigene Erfahrung nalsozialistischer Machtdemonstrationen als auch der Deportationen Im Anschluss wurde er zum Stadtkämmerer der Stadt Frankfurt am In seinen verschiedenen Einsatzorten kommt er direkt mit der jü- oder Wissen voraussetzt. Das »Hier war es« von Erinnerungszeichen in die Konzentrationslager und Vernichtungsstätten sowie Ausgangs- Main gewählt und wechselte 1931 nach Berlin, wo er dasselbe Amt dischen Bevölkerung in Kontakt, sieht das Leid vieler Juden, die und -inschriften, mit denen mittlerweile zahlreiche Ereignisorte im punkt für die (zunächst rettende) Emigration (S. 222 ff.). Jüdische bekleidete. Seine Beliebtheit und öffentliche Bekanntheit in den in den Städten durch den Krieg ihre ganze Habe verlieren, und er öffentlichen Raum markiert sind, zeugt zwar von einer Sichtbarkeit Einrichtungen unterlagen zahlreichen Funktionswandeln; so diente Jahren der Weimarer Republik waren außerordentlich. In Höchst nähert sich dem Zionismus an. Auch die antisemitische Stimmung der Informationen und des Erinnerns, doch bedeutet es immer auch eine Talmud-Thora-Schule in der Malzgasse 2 des II. Bezirks ab dem hatte er die schwierige Aufgabe, die Interessen der Stadt gegenüber in der Truppe nimmt er sensibel wahr. Zum ersten Mal denkt er Reduktionen, Auswahl und Auslassungen. 20. November 1939 als Altersheim, nach seiner Aufl ösung im Juni der französischen Besatzungsmacht (1918–1930) zu vertreten. Als über seine eigene Haltung zum Judentum nach und fragt sich und Der Publikation Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des 1942 als Sammellager für Deportationstransporte und ab November Frankfurter Stadtkämmerer war Asch gemeinsam mit Oberbürger- Margarete, welche Rolle das Jüdischsein in der Erziehung ihrer zu- zerstörten jüdischen Wien gelingt der Versuch, den städtischen Raum 1942 als jüdisches Spital (S. 246), und die großen unbelegten Areale meister Ludwig Landmann (1924–1933) und dem Siedlungsde- künftigen Kinder haben solle. Im Juli 1917 sieht er in Bresk den zu von Wien mit den Erzählungen und Dokumenten zur nahezu voll- der neu eingerichteten jüdischen Abteilung auf dem Zentralfriedhof zernenten Ernst May (1925–1930) einer der Vertreter des »Neuen Friedensverhandlungen angereisten Kaiser. Trotz Aschs anfänglicher ständigen Auslöschung ihrer jüdischen Gemeinde in den Jahren (4. Tor) wurden ab Juli 1940 von der Israelitischen Kultusgemeinde Frankfurt«, das die städtische Selbstverwaltung als ein wesentliches Zustimmung zum Krieg bedauert er zutiefst, welche Grausamkeiten 1938 bis 1945 zu verknüpfen. Wer die Veröffentlichung in die Hand zur Durchführung von Sommerkursen für Kinder und Jugendliche Moment in der neuen Weimarer Demokratie sah. Der Wohnungsbau eine ganze Generation erleben muss. Lange vor Kriegsende solida- nimmt, ahnt bereits vor dem ersten Blick in das Buch aufgrund des sowie zum Anbau von Obst und Gemüse zur Versorgung von Kran- auf gemeinwirtschaftlicher Grundlage wurde für Frankfurt ein zen- risiert er sich mit den demokratischen Kräften in Deutschland und Gewichts und Umfangs einerseits, dass hier ein detaillierter Blick auf kenhäusern und Altenheimen genutzt (S. 309 ff.). trales Thema der Kommunalpolitik. In Berlin trat Asch an, um in wünscht sich einen raschen Verständigungsfrieden mit Russland, um die jüdische Geschichte der Stadt und ihre zahlreichen Orte gewährt Der Band zeigt eindrücklich, wie die Entrechtung, Verfolgung Zeiten größter wirtschaftlicher Not die katastrophale Haushaltslage eine Friedensgesellschaft aufzubauen. Im November 1918 wird er wird, andererseits aber auch etwas über das Ausmaß und die Auswir- und Deportation den öffentlichen und privaten Raum immer weiter der Stadt zu konsolidieren. Sein Ruf als Finanzexperte war ausge- Vorsitzender des »Großen Soldatenrats Kowno« und macht es sich kungen der Ereignisse selbst. Dabei ist, und das betonen die Autor-/ beschränkten und einengten – Erzählungen und Erkenntnisse, denen zeichnet, als Vertreter der SPD hatte er viele politische Freunde und zur Aufgabe, einen geregelten Abzug der Truppen zu organisieren. innen in ihrem Nachwort, auch diese historische Erzählung von die wenigen materiellen Erinnerungsorte im städtischen Raum kaum Bewunderer; seine innovativen und risikofreudigen Ideen riefen aber Politisch schloss er sich nach der Novemberrevolution der USPD an. einer Auswahl bestimmt, indem »einzelne Aspekte der Verfolgungs- gerecht werden können. auch Kritiker und Gegner auf den Plan. Umso erstaunlicher ist es, Die Zusammenstellung aus Briefen, Tagebuchnotizen und Ver- und Überlebensgeschichte an exemplarischen Orten festgemacht« Es wäre den Autor-/innen zu wünschen, dass zum einen in den dass bisher keine Biographie zu dieser herausragenden politischen öffentlichungen Aschs zeugen von einer Intensität des Gesprächs (S. 549) werden, die als »Zentren des Geschehens« (ebd.) oder als kommenden Jahren die Forschungen zu Wien weitergeführt werden Persönlichkeit existierte. zwischen den Eheleuten, das die Besonderheit der Situation wider- »paradigmatische Orte« (S. 550) herausgestellt werden. Wien hatte und so das Gedächtnis der Stadt immer weiter verfeinert wird und Diese Lücke schließt Helga Krohn nun mit einem ungewöhn- spiegelt: Asch war sich bewusst, dass sie in einer Umbruchphase vor 1938 mit mehr als 167.000 Mitgliedern die drittgrößte jüdische zum zweiten, dass neben Büchern weitere Medien hinzugezogen lichen Buch. Es gibt keinen umfangreichen Nachlass von Bruno leben, die sie selbst mitgestalten können. Seine Briefe zeigen ei- Gemeinde in Europa, rund zwei Drittel von ihnen gelang (zunächst) werden, die helfen, die Verknüpfung von Ort und Erinnerung/In- Asch. Der Sozialist und Jude fl oh 1933 in die Niederlande, um seiner nerseits seine Sensibilität gegenüber den realen Problemen der Zeit, die Flucht, mehrheitlich vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Von formation auch im öffentlichen Raum sicht- und nachvollziehbarer Verhaftung zu entgehen. Seine Familie folgte ihm ins Exil. Nach dem andererseits seine Überzeugung, die Probleme der Menschen mit denjenigen, die in der Stadt blieben, wurden die meisten ermordet. zu gestalten. Einmarsch der deutschen Truppen in den Niederlanden sah Asch für einer systematischen Neuordnung lösen zu können. Seine Ansichten Im Dezember 1945 gaben in ganz Österreich 3.955 Menschen an, sich keine Hoffnung mehr und nahm sich das Leben. Seine Frau und waren dabei nie ideologisch, sondern am Menschen orientiert. Das jüdisch zu sein. Alexandra Klei zwei seiner Töchter wurden 1943 im Vernichtungslager Sobibór machte ihn zu einem der großen Politiker dieser Epoche. Die Autor-/innen widmen sich in ihren Darstellungen konse- Berlin ermordet. Lediglich eine Tochter war bereits 1939 nach Palästina quent der Sicht der Wiener Juden/Jüdinnen. Die Grundlage bilden emigriert und überlebte die Shoah. In ihrem Besitz befanden sich Katharina Rauschenberger dabei neben Aktenbeständen und Archivmaterial autobiographische ein Tagebuch, das Bruno Asch sporadisch seit 1922 führte, und ein Fritz Bauer Institut Texte und Briefe der Verfolgten sowie Interviews mit Überlebenden. stattliches Konvolut von rund 900 Briefen, die Asch seiner Frau

84 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 85 Bildungsarbeit an Museen und Veränderungen unterworfen, unter anderem hin zum kompetenzori- Mehrere Autor/-innen befassen sich mit dem wieder häufi ger der Einsatz virtueller Medien oder digitalisierter Berichte von Gedenkstätten entierten Unterricht anstelle klar defi nierter Lerninhalte, mit wieder- diskutierten Beutelsbacher Konsens1, zum Beispiel mit dem Span- Holocaust-Überlebenden, und spezifi sche pädagogische Ange- um sehr unterschiedlicher Ausgestaltung in den Bundesländern. »Für nungsfeld zwischen Orientierung auf Ermächtigung der Adressat/ bote vorgestellt: Mehrtagesangebote, Kunstprojekte, Projekte der die Gedenkstätten bedeutet die curriculare Entwicklung, dass sie mit -innen einerseits und realer Zwangsbespielung im Rahmen von internationalen Jugendbegegnung und berufsgruppenspezifi sche einem verbindlichen Grundlagenwissen beim Besuch von Schulklas- Schulklassenbesuchen andererseits; ein Dilemma, das sich wohl nie Angebote. sen immer weniger rechnen können.« (S. 47) Die Konsequenz seien lösen, allenfalls aushalten und so konstruktiv wie möglich gestalten In meiner Wahrnehmung sind sich die Autor/-innen des Sam- Elke Gryglewski, Verena Haug, erhöhte Anforderungen an die fachliche Kompetenz und Flexibilität lasse. Refl ektiert wird ferner das Überwältigungsverbot: Nach Lore melbandes in einem Punkt einig: Bei Gedenkstättenbesuchen han- Gottfried Kößler, Thomas Lutz, im konkreten pädagogischen Setting für die Gedenkstättenpädagog/ Kleiber können die in Gedenkstätten erläuterten Verbrechen bei dele es sich immer um eine soziale Interaktion der verschiedenen Christa Schikorra (Hrsg.) -innen – verstärkt noch durch die zunehmende Heterogenität der Besuchenden Emotionen wie Erschütterung und Empörung auslö- Beteiligten, also von Besuchenden, ihren Begleiter/-innen und dem Gedenkstättenpädagogik – Schulgruppen. sen. Das Überwältigungsverbot, so verdeutlichen Wolf Kaiser und oder der Gedenkstättenmitarbeiterin. Diese Interaktion und was Kontext, Theorie und Praxis der Die Anforderungen an Gedenkstättenarbeit im Rahmen einer Kuno Rinke, zielt in diesen Settings allerdings nicht, wie teilweise sie auf der Ebene von Lernen im Sinne der Erkenntnisgewinnung, Bildungsarbeit zu NS-Verbrechen heterogenen, zudem auf Inklusion orientierten Gesellschaft debattiert interpretiert, auf emotionslose Wahrnehmung und damit auf die Wissensherstellung und Entwicklung politischer Haltung bewirkt, Herausgegeben im Auftrag der Elke Gryglewski. Sie erläutert, welche Impulse und manchmal auch Verhinderung von Emotionen, sondern »auf die Vermeidung eines ist, darauf weist Verena Haug hin, allerdings bislang wenig wissen- AG Gedenkstättenpädagogik. Irrwege, zum Beispiel einer unbeabsichtigten Re-Ethnisierung von manipulativen Einsatzes von Emotionen« (S. 51). schaftlich untersucht. Berlin: Metropol Verlag, 2015, Jugendlichen, auf diesem Weg in die konkrete Praxis gelangt sind, Die Autor/-innen des Sammelbandes befassen sich fast aus- Mein Fazit lautet: Der Band ist anschaulich geschrieben und 363 S., € 22,– angefangen von pädagogischen Konzepten bis zur Gestaltung von schließlich mit mehrstündigen Gedenkstättenbesuchen. Einzig gibt einen sehr guten Einblick in den gegenwärtigen Stand der The- Orten und Materialien. Als konkretes Beispiel benennt sie unter Julius Scharnetzky behandelt das pädagogische »Basisangebot« oriediskussion und pädagogischen Praxis an Gedenkstätten zur NS- Der vorliegende Sammelband diskutiert in 23 Artikeln Selbstver- anderem die Einführung von Einstiegssequenzen, die persönliche der Gedenkstätten, das am meisten nachgefragt wird: die zwei- bis Geschichte in Deutschland. Deutlich wird, dass die Gedenkstätten ständnis, Rahmenbedingungen, inhaltliche und methodische Zugänge Zugänge zur Geschichte ermöglichen. Kritisch verweist sie auf die dreistündige Führung (oft auch als – geführter – Rundgang be- über eine beeindruckende Vielfalt an unterschiedlichen Bildungs- sowie Perspektiven der Bildungsarbeit an Orten der NS-Geschichte. immer noch mangelnde heterogene Zusammensetzung des pädago- zeichnet). Zwar sei der Aufwand seitens der Gedenkstätten hierfür angeboten verfügen und dass die Bildungsarbeit im Zuge des ge- Er richtet sich an Mitarbeitende von Gedenkstätten sowie schulische gischen Personals. eher gering, doch müssten die Pädagog/-innen über »große Spon- sellschaftlichen Wandels weitgehend erfolgreich professionalisiert und außerschulische Lehrkräfte, die mit Gruppen Gedenkstätten Die Frage der Kompetenzorientierung behandelt Wolfgang Me- tanität, Flexibilität und Variantenreichtum« (S. 241) verfügen, um wurde – zumindest in den großen, fi nanziell gesicherten Gedenkstät- besuchen. Diese Gedenkstätten unterscheiden sich in Thematik und seth. Orientierung an (schulischen) Kompetenzmodellen bei der den unterschiedlichen Gruppen, der Spezifi k des Ortes und den ten, die über eigene Bildungsabteilungen verfügen. Die inhaltlichen Funktion, abhängig jeweils vom konkreten Ort, in Größe, Ausstat- Vermittlung von NS-Geschichte in Gedenkstätten ist seines Erach- eigenen inhaltlichen und pädagogischen Ansprüchen gerecht zu und pädagogischen Anforderungen sind hoch und werden vermut- tung, pädagogischen Angeboten und Besucherzahlen. Sie sind Orte tens nicht zielführend, da die NS-Verbrechen auch bei Jugendlichen werden. Angesichts dieser Ausgangslage sei es verblüffend, dass lich eher noch wachsen: Zunehmende Diversität in Gruppenzusam- historischer Relikte, Täterorte, Friedhöfe, Denkmäler und Bildungs- mit moralischen Erwartungen und Beurteilungen besetzt seien, die die Gedenkstättenpädagogik ihr Basisangebot so vernachlässige mensetzungen und Wissensbeständen sowie die Orientierung auf einrichtungen. Besuchenden soll es ermöglicht werden, »an dem ein sachliches Gespräch über die moralischen Implikationen des – wohl, weil eine Führung als die am wenigsten partizipative Me- inklusive Bildungspraxis erfordern neben viel Sachkompetenz vor historischen Gegenstand über Geschichte (zu) lernen und Themen Themas erschwerten. Außerdem handele es sich bei Gedenkstät- thode gilt und entsprechend unbeliebt in der Refl exion ist. Doch allem viel pädagogische Flexibilität und Freude an offener Kom- (zu) entdecken«, die für sie in der Gegenwart von Bedeutung sind, tenbesuchen anders als in der Schule um ein offenes Lernsetting gebe es eine wachsende Anzahl von Führungsformaten, die offene munikation der Bildungspraktiker/-innen. Die Frage, was an diesen formuliert Gottfried Kößler das zentrale Anliegen. Das pädagogische mit situativen Aushandlungsprozessen. Meseth argumentiert mit und aktivierende Lernformen integrieren, zum Beispiel »Selbst- Orten aus ihrer jeweiligen Geschichte für die Gegenwart gelernt Ziel ist es, »die Fähigkeit zur autonomen Meinungsbildung« (S. 78) zwei bildungspolitischen Polen: einerseits eine bildungstheoretisch führungen«, »Fotospaziergänge«, »Schüler führen Schüler« werden kann, und wie dieses Lernen zu gestalten ist, auch das zeigt zu entwickeln sowie, so Christa Schikorra, zu dieser Geschichte eine orientierte Pädagogik, die das »je spezifi sche Verhältnis von Sache (S. 243). Im Weiteren formuliert der Autor Kriterien für »gute der Band eindrücklich, wird wohl immer wieder neu zu entdecken Haltung zu gewinnen, sich »zu positionieren« (S. 13). und Person (Schüler/Teilnehmerin) immer wieder neu in den Blick Führungen und Rundgänge« (S. 244) und plädiert schlie ßlich da- und zu verhandeln sein.2 Cornelia Siebeck beschreibt die Entwicklungsgeschichte der nimmt«, und andererseits eine Output-orientierte Pädagogik mit dem für, die Potenziale von Führungen stärker in den Blick zu nehmen Gedenkstätten in der BRD, kurz selbiges auch für die DDR und Ös- Ansatz, »Lernsequenzen ergebnisbezogen zu organisieren«. (S. 106) und weiterzuentwickeln. Kerstin Engelhardt terreich. Demnach wandelten sich die westdeutschen Gedenkstätten Gottfried Kößler befasst sich mit Unterschieden und Gemein- Der Sammelband diskutiert eine Vielzahl weiterer Themen: Berlin von ehemals »widerborstigen Orten«, die an die NS-Verbrechen und samkeiten von Museen und Gedenkstätten. Der Unterschied sei Gedenken als zivilisatorische Praxis, Demokratielernen und ihre Opfer, dann auch an die Täter/-innen erinnern, hin zu etablier- primär, dass Gedenkstätten die Erinnerung an Unrecht und Leid Menschenrechtsbildung, Einfl üsse von und Wechselwirkungen ten, staatlich getragenen Einrichtungen – deren jetzt systemstabili- bewahren und didaktisch umsetzen möchten, auch im Sinne des mit internationalen Diskursen, das Phänomen der historischen sierende Kernaussage laute, verbrecherische Systeme erfolgreich Appells an politische Werthaltungen. Museen hingegen sollen im Vergleichsziehung, Angebote zur Recherche und Refl exion von überwunden und das »deutsche Streben nach Freiheit und Einheit« gegenwärtigen Verständnis neben der Pfl ege von Sammlungen (im Familiengeschichte, die Rolle der Bundeszentrale für politische (S. 42) eingelöst zu haben. Zu ergänzen wären diese Überlegungen Sinne der Bewahrung eines kulturellen Erbes) eine »erfreuliche, eine Bildung, die Bedeutung regionaler Gedenkstätten. Schließlich meines Erachtens um die Perspektiven der vielen kleinen, nicht von bildende Erfahrung vermitteln« (S. 69) und bewegten sich in der werden einzelne methodische Herangehensweisen erläutert, so der Bundesregierung gestützten Gedenkstätten, die fi nanziell nicht Nähe zu den Künsten und ihrer Autonomie – Objekte im Museum so gut ausgestattet und häufi g von ehrenamtlichem Engagement seien danach nicht nur Belege für historische Ereignisse, sondern getragen sind und möglicherweise auch über etwas andere Blick- hätten ein eigenes Recht. Die Gemeinsamkeit der Institutionen be- winkel verfügen. stehe in der »Faszination des Authentischen«, der Spannung von 1 Der Beutelsbacher Konsens von 1976 formulierte für die politische Bildung das Überwältigungsverbot, das Kontroversitätsgebot sowie eine Orientierung Das Verhältnis von Gedenkstättenpädagogik und schulischen »sinnlicher Nähe und historischer Fremdheit, dem Ineinander von auf die Ermächtigung der Adressat/-innen zu selbständigem Urteilen und 2 Eine etwas ausführlichere Rezension fi ndet sich in Politisches Lernen, Jg. 33 Bildungsanforderungen diskutiert Robert Sigel. Schule sei starken zeitlich Gegenwärtigem und geschichtlich Anderem« (S. 73). Handeln. (2015), H. 3/4, S. 56–58.

86 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 87 Wieder scheitern, besser scheitern der Lektüre des lesenswerten Buchs von Wolfgang Kaleck mühelos Politik und Gedenkstätten Bemühungen entstand, die Aufarbeitung der SBZ/DDR-Vergan- vorstellen – ausgeprägte Anfeindungsresistenz erfordert. Auch wenn genheit zu fördern. die Berichte über das weltweite Engagement des Autors leicht den Caroline Pearce stellt die geschichtspolitischen Kontroversen

Eindruck entstehen lassen könnten, wir hätten es hier mit einem nach 1990 als Auseinandersetzung zwischen linksliberalen Anhän- Weltreisenden in Sachen Recht zu tun, dahinter steht der hartnäcki- gern eines »Prinzips der Hierarchisierung« (S. 62) und konservati- Wolfgang Kaleck ge Versuch, Staaten, deren Organe und – da in ihrer Macht Staaten KZ-Gedenkstätte Neuengamme ven Befürwortern eines »Prinzips der Gleichsetzung« (S. 62) dar. Mit Recht gegen die Macht. Unser oft nicht unähnlich – multinationale Konzerne an dem zu messen, Gedenkstätten und Geschichtspolitik Dabei defi niert sie allerdings nicht genau, was hier hierarchisiert weltweiter Kampf für die Menschenrechte was deren Führer so leicht über die Lippen kommt: die Achtung Beiträge zur Geschichte der bzw. gleichgesetzt wird: das Leid der Opfer nationalsozialistischer Berlin: Carl Hanser Verlag, 2015, elementarer Menschenrechte, das Bekenntnis zum Völkerrecht und nationalsozialistischen Verfolgung in und kommunistischer Herrschaft oder die NS-Diktatur und die SED- 224 S., € 19,90 die zugesicherte Strafverfolgung bei massiven Rechtsverstößen. Norddeutschland, Heft 16 Diktatur? An den von ihr gewählten Bespielen für die intendierte »Unser großes Ziel: Wir wollen dazu beitragen, weltweit Men- Bremen: Edition Temmen, 2015, Realisierung der genannten Prinzipien – dem Gedenkort in der Nach- schenrechte mit juristischen Instrumenten zu schützen und durch- 201 S., € 14,90 barschaft von Fort Zinna in Torgau und der Gedenkstätte Sachsen- zusetzen«, schreibt Kaleck am Anfang seines Buchs (S. 10). Und hausen – wird deutlich, dass sich in beiden Fällen das »Prinzip der Wie schreibt man eine Rezension über ein wenige Seiten weiter: »Uns geht es um einen systematischen Ansatz. Trennung« (S. 66) durchgesetzt hat. Buch, dessen Autor man kennt und schätzt? Darum, dass im internationalen Strafrecht mit zweierlei Maß gemes- Gedenkstätten sind in der Bundesrepublik zu einem zentralen Be- Detlef Garbe konstatiert, dass Gedenkstätten in den letzten Jahr- Vielleicht indem man das zunächst offenlegt und dann seinen ersten sen wird« (S. 12), um daraus dann, gewissermaßen als Arbeitsauftrag zugspunkt von Geschichtspolitik geworden. Das ist ein Indiz für zehnten von der Peripherie ins Zentrum der Geschichtskultur gerückt Eindruck, unmittelbar nach der ersten Lektüre notiert, wiedergibt. herzuleiten (S. 13): »Wenn aber nicht gleiches Recht für alle gilt, ihren Erfolg und konfrontiert sie zugleich mit erheblichen Heraus- seien, befürchtet aber, dass mit dem Erfolg praktische Folgenlosig- Also: »Etwas weniger Narzissmus hätte es auch getan. Und dennoch, entfällt der universale Geltungsanspruch dieser Gesetze.« forderungen und Gefahren. Darum ging es 2013 auf einer Tagung in keit einhergehe. Dafür macht er neben politischen Entscheidungs- das Engagement gegen Strafl osigkeit bei schlimmstem Unrecht ist Bis es so weit war, dass aus dem individuellen Engagement der Gedenkstätte Ravensbrück, auf die die Hauptbeiträge des Bandes trägern auch die Gedenkstätten selbst verantwortlich. Er kritisiert beeindruckend. Es zeigt, was möglich ist, wenn man an ein Ziel ein kollektives wurde, das extrem scheiteranfällige »ich« durch zurückgehen, der auch Projektvorstellungen, Tagungsberichte und »Aufarbeitungsstolz« (S. 78) in Gedenkreden von Politikern, aber glaubt.« ein »wir« eine Verstärkung erfuhr, war es ein weiter Weg. Von der Besprechungen enthält. Nach einem von Insa Eschebach und Oli- auch – ohne Beispiele zu nennen – Ausstellungen und Präsentatio- Vor gut zwei Jahrzehnten, nach dem Ende der Ost-West-Kon- rheinländischen Provinz nach Berlin, von dort im Anschluss an ein ver von Wrochem verfassten Editorial wird die Reihe der Aufsätze nen, die das Verstörende der Orte zu sehr einebneten, und Vermitt- frontation, schien es, als könnten verbrecherische Staatsführer und Jurastudium nach Lateinamerika, wieder zurück nach Deutschland, durch einen Überblick zur Gedenkstättengeschichte in Deutschland lungsformen, die zu wenig zum Fragen und Weiterdenken anregten. ihre Handlanger wieder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen die Chancen justizieller Aktionen erwägend, erneut und immer wie- eröffnet, den Thomas Lutz mit Ausführungen zur Rückwirkung in- Er wendet sich entschieden gegen die Gleichsetzung kommunisti- werden. Das Vermächtnis von Nürnberg war zwar in der Welt, aber es der zurück nach Lateinamerika, um dort, in enger Abstimmung mit ternationaler Debatten auf die deutschen Gedenkstätten verbunden scher und nationalsozialistischer Herrschaft und zeigt am Beispiel war ein Präzedenzfall geblieben. Es verhinderte nicht, dass staatliche den Opfern und Überlebenden staatlicher Gewalt, konkrete Maß- hat. Nach seiner Ansicht ist eine nationalstaatliche Eigenständigkeit einer Publikation der Platform of European Memory and Conscience Souveränität verbrecherisches Agieren von Staatsorganen deckte und nahmen in Gang zu setzen, damit die Täter sich endlich vor Gericht der Entwicklung wünschenswert. Sie werde durch die internationalen den europaweiten Einfl uss eines Geschichtsrevisionismus, der sich jeden ernsthaften Versuch der Ahndung vereitelte. verantworten müssen. Diskurse bereichert, aber durch den europäischen Totalitarismus- von dem eines Ernst Nolte, der vor 30 Jahren den »Historikerstreit« Das sollte sich jetzt ändern. Und von den internationalen Tri- Mord, Folter, die Praxis des Verschwindenlassens. Tausend- diskurs und die vom Autor als einheitliches Konzept vorgestellte auslöste, durch ungeschützte Direktheit unterscheidet. bunalen zur Aburteilung der Kriegs- und Menschlichkeitsverbre- fach. Im Vergleich dazu wirkt das Recht zunächst schwach, zumal »Holocaust Education« auch gefährdet. Verena Haug greift die Hervorhebung der Authentizität der Orte cher im ehemaligen Jugoslawien und der Völkermörder in Ruanda, seine Schwäche ja durch den massenhaft strafl osen Rechtsbruch Auf der Grundlage einer kritischen Analyse der bundesdeut- in der Gedenkstättenkonzeption des Bundes heraus, um daran ihre 1993 respektive 1994 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf fatale Weise beglaubigt wurde. Mit Energie und der Solidarität schen Erinnerungskultur und ihrer Wandlungen warnt Cornelia Sie- Problematisierung der Zuschreibung von Authentizität zu knüpfen eingesetzt, führte folgerichtig der nächste Schritt zur Schaffung anderer gewinnt jedoch eine simple Rechtsnorm, die die Begehung beck die Gedenkstätten vor dem Verlust ihres Wirkungspotenzials und deren Bedeutung bei gedenkstättenpädagogischen Veranstal- eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs, nun nicht mehr eines Mordes unter Strafe stellt, eine Stärke, die es mit dem Unrecht als Orte kritischer Selbstrefl exion der Gesellschaft. Dieses gehe im tungen zu analysieren. durch den Sicherheitsrat, sondern infolge einer Anerkennung seiner aufzunehmen vermag. Das zeigt dieses Buch anschaulich an vielen Zuge ihrer Institutionalisierung, Professionalisierung und Museali- Corinna Tomberger schließlich thematisiert, wie Gedenkstätten Jurisdiktionskompetenz durch einzelstaatliche Erklärungsakte. Am Beispielen. Nicht nur auf Lateinamerika bezogen, auch in anderen sierung verloren, wenn sie sich der ihnen zugewiesenen Funktion im Streit um das Gedenken an verfolgte Homosexuelle als sym- 1. Juli 2002 nahm der Gerichtshof seine Arbeit auf. Noch ist seine Kontinenten wie Asien, Afrika und – Stichwort: Schulterschluss nicht verweigerten, die geschichtsteleologische Läuterungserzählung bolpolitische Orte fungieren und geschichtspolitisch agieren. Sie Bilanz bescheiden, und vor allem: Er steht in großer Abhängigkeit der Politik oder Industrie mit verbrecherischen Regimes – Europa. zu beglaubigen, die Erlösung durch Erinnerung verspricht. plädiert für die Sichtbarkeit weiblicher Homosexualität und größere von Staaten, die seine Arbeit ablehnen. Sind deren Interessen nicht Dabei lässt uns der Autor teilnehmen an der Erweiterung seines Fabian Schwanzar bemüht sich um eine akteursorientierte Ana- Transparenz bei gedenkpolitischen Entscheidungen. betroffen, kann mit Eifer verfolgt und angeklagt werden, sind sie Horizonts, an seiner wachsenden Sensibilisierung für das Unrecht lyse der Gedenkstättenbewegung unter Einbeziehung der Reaktionen Das informative Buch enthält kluge Analysen und viele praxis- betroffen, geschieht nichts, ganz so, als ob systematische und mas- und seinem Bemühen, institutionelle Allianzen zu schaffen gegen und Aktionen von Politikern und Verwaltungen in den 1980er und relevante Überlegungen. Wiederholungen – etwa die häufi ge Bezug- sive Menschenrechtsverletzungen noch wie ehedem durch Leugnen die Strafl osigkeit derer, die glauben, über dem Gesetz zu stehen. 1990er Jahren. Seine Ausführungen werden an anderer Stelle des nahme auf die Gedenkstättenkonzeption des Bundes – sind in einem oder durch ihre Umbenennung in Politik aus der Welt geschafft Mittlerweile gibt es diese Allianzen und viele andere, die sich für Bandes durch eine Dokumentation der 2008/2009 geführten Ausein- solchen Sammelband vermutlich kaum zu vermeiden. werden könnten. das gleiche Ziel einsetzen. Das Verdienst des Autors ist es, diese Ent- andersetzung um den Einsatz eines an der Bundeswehr-Universität Doch der Gedanke an ein Recht, das den Mächtigen entgegen- wicklung entscheidend gefördert zu haben. Narzissmus? Was soll’s! studierenden Offi ziers als freier Mitarbeiter in der KZ-Gedenkstätte Wolf Kaiser tritt und den Schwachen beisteht, lässt sich nicht mehr einfach unter- Neuengamme ergänzt. Berlin drücken. Dazu hat er in der Vergangenheit einmal zu oft den Beweis Gerd Hankel Carola S. Rudnick zeigt, wie die Gedenkstättenpolitik des Bun- seines Gelingens angetreten. Aber es ist immer noch ein Kampf, und Hamburg des und dessen Beteiligung an der dauerhaften Finanzierung von zwar einer, der große Überzeugung sowie – das können wir uns nach Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus im Zuge der

88 Rezensionen Einsicht 15 Frühjahr 2016 89 FRITZ BAUER. DER STAATSANWALT – NS-VERBRECHEN VOR GERICHT Anlässlich der Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt sind folgende Publikationen in Zusammenarbeit mit dem Fritz Bauer Institut erschienen:

Ein schwarzes Heft voller Hoffnung Notizen (im Buch auch durch Faksimiles einsehbar) – eine beeindru- ckende Mischung aus wissenschaftlicher Objektivität und subjekti- ver Wahrnehmung – gewähren einen Einblick in Alltag und Gemüts- FRITZ BAUER: GESPRÄCHE, INTERVIEWS UND REDEN AUSCHWITZ VOR GERICHT (2013) FRITZ BAUER: GESPRÄCHE, INTERVIEWS UND REDEN AUSCHWITZ VOR GERICHT (2013) zustand der Gefangenen. Nach nur wenigen Tagen überwindet sie AUS DEN FERNSEHARCHIVEN 1961-1968 STRAFSACHE 4 Ks 2/63 (1993) AUS DEN FERNSEHARCHIVEN 1961-1968 STRAFSACHE 4 Ks 2/63 (1993) die ursprüngliche »Schockwirkung« (S. 82) und die darauffolgende Erstveröff entlichung historischer Fernsehaufnahmen. TEIL 1: Die Ermittlung TEIL 2: Der Prozess TEIL 3: Das Urteil Erstveröff entlichung historischer Fernsehaufnahmen. TEIL 1: Die Ermittlung TEIL 2: Der Prozess TEIL 3: Das Urteil Edith Jacobson narzisstische Selbstüberhöhung: 2 DVD, 298 Min., ausführliches Booklet, PDF-Materialien Zwei Dokumentationen von Rolf Bickel und Dietrich Wagner Redaktion:2 DVD, 298 Bettina Min., ausführliches Schulte Strathaus Booklet, PDF-Materialien 2Zwei DVD, Dokumentationen 45 + 180 Min., ergänzende von Rolf Bickel PDF-Materialien und Dietrich zusammengestellt Wagner Gefängnisaufzeichnungen »5. Tag. Zunehmende Einstellung auf die Realität: Beobachtung Redaktion: Bettina Schulte Strathaus 2 DVD, 45 + 180 Min., ergänzende PDF-Materialien zusammengestellt Hrsg. von Judith Kessler und der Umgebung, der Sträfl inge, Gemeinsamkeitsgefühl mit diesen von Werner Renz Fritz Bauer (1903‒1968), bekannt als Initiator der Frankfurter Ausch- von Werner Renz Roland Kaufhold. […]. Ausgeglicheneres Empfi nden. Tiefe Sorge um Mutter und die witz-Prozesse,Fritz Bauer (1903‒1968), betrachtete bekannt den Gerichtssaal als Initiator als der einen Frankfurter öff entlichen Ausch- Ort Die legendäre Aufb ereitung des Auschwitz-Prozesses von Bickel und Mit einem Vorwort von Hermann Simon. nächsten Menschen. Fast angstfrei. Trotziges Widerstandsgefühl: derwitz-Prozesse, historischen betrachtete und demokratischen den Gerichtssaal Bewusstwerdung. als einen öff entlichen Weniger Ortbe- WagnerDie legendäre in einer Aufb aktuellen ereitung KURZVERSION des Auschwitz-Prozesses und der von ausführlichen Bickel und Gießen: Psychosozial-Verlag, 2015, nun gerade laß ich mich nicht unterkriegen. Innerer Schwur Durch- kanntder historischen ist, dass er alsund Interviewpartner, demokratischen Diskutant Bewusstwerdung. oder Redner Weniger auch vorbe- WagnerORIGINALDOKUMENTATION in einer aktuellen KURZVERSION aus den 1990er und der Jahren: ausführlichen 247 S., € 29,90 zuhalten [sic] um jeden Preis.« (S. 83) denkannt Fernsehkameras ist, dass er als Interviewpartner, Stellung bezog. Er Diskutant äußerte sich oder zu Redner den NS-Prozes- auch vor AmORIGINALDOKUMENTATION 20. Dezember 1963 begann vor ausdem den Landgericht 1990er Jahren: Frankfurt am Auch Jacobsons Gedichte legen ein beredtes Zeugnis vom Leben sen,den Fernsehkameraszur politischen VerantwortungStellung bezog. derEr äußerte Justiz, zusich Geschichtsleugnung zu den NS-Prozes- MainAm 20. der Dezember Auschwitz-Prozess. 1963 begann Auf vorder Anklagebankdem Landgericht saßen Frankfurt 21 Angehö- am sen, zur politischen Verantwortung der Justiz, zu Geschichtsleugnung Main der Auschwitz-Prozess. Auf der Anklagebank saßen 21 Angehö- im Gefängnis ab. Von Trauer und Schmerz durchdrungen, dienen und Rechtsradikalismus, aber auch zu Fragen der Wirtschaft skrimina- rige der Waff en-SS und ein Funktionshäft ling. Die SS-Männer gehör- und Rechtsradikalismus, aber auch zu Fragen der Wirtschaft skrimina- rige der Waff en-SS und ein Funktionshäft ling. Die SS-Männer gehör- Wirst du heute zu mir fi nden/holder, kleiner Sonnenstrahl/Freude sie zugleich der Verarbeitung der Schrecken der Haft. Die große lität, dem Sexualstrafrecht oder der Humanisierung des Strafvollzugs. ten zum Personal des Konzentrations- und Vernichtungslagers. Nach Nichtlität, dem zuletzt Sexualstrafrecht sprach er über oder seine der Biografi Humanisierung e als politisch des undStrafvollzugs. antisemi- demten zum Krieg Personal hatten dessie inKonzentrations- Deutschland unbehelligtund Vernichtungslagers. ein ganz normales Nach künden, Hoffnung zünden/Licht, das mir der Winter stahl? Formenvielfalt dieses kostbaren lyrischen Nachlasses (Ballade, So- Nicht zuletzt sprach er über seine Biografi e als politisch und antisemi- dem Krieg hatten sie in Deutschland unbehelligt ein ganz normales nett, Parabel, Schüttelreime usw.) ist kein ästhetischer Selbstzweck, tisch Verfolgter und als jüdischer Remigrant. Auch fünfzig Jahre später Leben führen können. Nun konfrontierte man sie mit den Aussagen habentisch Verfolgter diese politischen und als jüdischerDebatten nichtsRemigrant. von ihrer Auch Brisanz fünfzig verloren. Jahre später ihrerLeben Opfer führen von können. einst. NunDie ganzekonfrontierte Welt verfolgte man sie damals mit den dramatische Aussagen »Sonnenzauber«, aus dem diese Verse der Psychoanalytikerin Edith sondern ein Mittel zur Artikulation des humanistischen Ethos der haben diese politischen Debatten nichts von ihrer Brisanz verloren. Verhandlungstage.ihrer Opfer von einst. Der gesamteDie ganze Prozess Welt wurdeverfolgte – einmalig damals dramatischein der deut- Jacobson (1897–1978) stammen, ist kein Naturgedicht, wie man an- Autorin. Das Motiv der Auferstehung (»Auferstehungslied«), des »Verfassungsschutz, Wahrung der Freiheitsrechte, Ungehorsam und Kampf schenVerhandlungstage. Rechtsgeschichte Der –gesamte auf Tonband Prozess aufgenommen. wurde – einmalig Den Autorenin der deut- der nehmen könnte. Und das »kahle böse Dach«, unter dem das lyrische Frühlings (»Alpen-Frühling. Arosa«), des oben genannten »Son- gegen»Verfassungsschutz, totalitäre Tendenzen Wahrung sind der viel Freiheitsrechte, zu wichtige UngehorsamDinge, als dass und sie Kampf amt- Dokumentationschen Rechtsgeschichte gelang –es, auf die Tonband verschollenen aufgenommen. Bänder aufzuspürenDen Autoren und der Ich zur Sonne spricht, ist nichts anderes als die Berliner Untersu- nenzaubers« und der Sonntagsglocken (»Sonntagsglocken«) – sie lichengegen totalitäreFunktionären Tendenzen überlassen sind werden viel zu könnten.«wichtige Dinge, Fritz Bauer als dass sie amt- auszuwerten.Dokumentation Zusammen gelang es, mit die exklusivemverschollenen Filmmaterial Bänder aufzuspüren entstand eineund chungshaftanstalt Moabit, in der Jacobson von 1935 bis 1936 saß. alle läuten einen Neubeginn, das »Siegesfeuer« für »die freie Erde« lichen Funktionären überlassen werden könnten.« Fritz Bauer historischauszuwerten. präzise Zusammen wie packende mit exklusivem Dokumentation. Filmmaterial entstand eine historisch präzise wie packende Dokumentation. Zugänglich geworden ist uns dieses Gedicht – zusammen mit meh- (S. 98) ein. Das Gedicht »Bekenntnis« protestiert gegen die Kluft reren weiteren Texten – durch das in der Haft entstandene »Schwarze zwischen Deutschen und Juden, fordert Menschlichkeit jenseits der Heft« Jacobsons. Veröffentlicht wurden diese »Gefängnisaufzeich- Volkszugehörigkeit. nungen« erst 2015 dank dem außergewöhnlichen Engagement der Jacobson – eine Frau, die »sich diszipliniert, analysiert, re- Journalisten und Sozialwissenschaftler Judith Kessler und Roland fl ektiert« (Kessler, S. 19) – verfasst im Gefängnis auch die hier Kaufhold und des Psychosozial-Verlags. abgedruckte psychoanalytische Studie »Zur Technik der Analyse Judith Kessler, die das »Schwarze Heft« bereits 1988 mit dem Paranoider«. Dem Misstrauen der Patienten setzt sie ihre »paeda- Nachlass ihrer Mutter erhalten hatte, berichtet über die »Verkettung gogische Haltung«, ihre »unerschütterliche Geduld« entgegen, um von Zufällen« (S. 13), die dazu führte, dass sie »ein Vierteljahrhun- durch »Hilfsbereitschaft und Vertrauenswürdigkeit« (S. 141) das dert auf Jacobsons Gefängnisnotizen saß« (S. 11). Roland Kaufhold Vertrauen des Mitmenschen wiederzugewinnen. zeichnet kenntnisreich und ergreifend die Biografi e der Jüdin, Psy- Das »Schwarze Heft« ist ein Ereignis. Andrea Huppkes Beden- choanalytikerin und Widerstandskämpferin Jacobson nach. ken, ob hier etwas Neues vorliegt und ob dieser Fund die Publika- Das Dilemma Wissenschaft oder Politik entscheidet Jacobson tion verdient (Psyche 12/2016), sind unberechtigt und schmälern für sich schnell: »Als ich jung war, habe ich mich für Politik nicht die Bedeutung und die Brisanz der Publikation keineswegs. Trotz interessiert. Mich interessierte einzig und allein die Wissenschaft der ausbleibenden Unterstützung vieler ihrer deutschen Kollegen, […]. Aber dann, Ende der zwanziger Jahre, begann Hitlers Aufstieg, trotz der Streichung ihres Namens aus der Mitgliedsliste der Deut- und schon bald hatte er immer größere Massen hinter sich. Hier schen Psychoanalytischen Gesellschaft und trotz des skandalösen lauerte eine Gefahr, das spürte ich. Ich hörte seine Reden und las Schulterschlusses der damaligen offi ziellen Psychoanalyse mit dem Mein Kampf, und ich war entsetzt.« (S. 52) Jacobson, deren Familie nationalsozialistischen Regime – unrühmliche Tatsachen, die uns nicht emigrieren wollte, schließt sich der Widerstandsgruppe »Neu hier von Roland Kaufhold wieder ins Gedächtnis gerufen werden Beginnen« an. Am 24. Oktober 1935 von der Gestapo verhaftet, muss – zeigen Jacobsons Haftnotizen die Stärke einer Frau, die sich vom sie für elf Monate in Untersuchungshaft und wird im September 1936 nationalsozialistischen Terror nicht einschüchtern ließ – und das wegen Hochverrats zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Gesicht und den Zauber der anderen, der freiheitsliebenden, wider- 1938 fl ieht sie in die USA, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahre 1978 ständigen Psychoanalyse. erfolgreich als Psychoanalytikerin arbeitet. gefördert durch Das »Schwarze Heft« Edith Jacobsons ist ein bewegendes Do- Galina Hristeva gefördert durch kument über die ersten Monate in der U-Haft. Die tagebuchartigen Stuttgart

Im Buch- oder Fachhandel oder direkt bei www.absolutmedien.de 90 Rezensionen ImEinsicht Buch- 15oder Frühjahr Fachhandel 2016 oder direkt bei www.absolutmedien.de 91 Pädagogisches Zentrum Frankfurt am Main

Erinnerungsstätte an der Konzentrationslager alle weit weg sind, aber Frankfurter Großmarkthalle hier hat ja der Weg dorthin begonnen, direkt vor unserer Haustür.« Erste Erfahrungen mit Der Besuch ist auf zwei Ebenen an- Besuchergruppen gelegt. Im Sinne des historischen Lernens steht die Frage danach, was sich an dem Ort Von 1941 bis 1945 benutzte vor mehr als 70 Jahren abgespielt hat, im die Geheime Staatspolizei Zentrum. Zum anderen geht es aber auch um die Frankfurter Großmarkthalle als Sammel- die Frage, wie der Ort heute genutzt wird. platz für die verfolgten Juden. Nahezu 10.000 Ziel ist eine Refl exion über das Konzept der Menschen wurden von hier mit Zügen gewalt- Erinnerungsstätte. sam in Ghettos, Konzentrations- und Vernich- Der Schulklassenrundgang ist gerahmt tungslager verschleppt und ermordet. An diese durch eine 30-minütige Vorbereitung und Ereignisse und die Bedeutung des Ortes er- einen einstündigen Workshop im Anschluss. innert seit Ende 2015 eine Erinnerungsstätte. Beides fi ndet in einem Seminarraum in der Pädagogisches Zentrum dieser eingeschränkte Blick verzerrt auch Ein Kellerraum und ein Gleisfeld mit Nähe der Erinnerungsstätte statt. Angebote und Kontakt die Wahrnehmung der Vergangenheit. Das Stellwerk haben sich als historische Relikte Der im Anschluss an den Rundgang Pädagogische Zentrum hat die Aufgabe, die- bis heute erhalten. Durch ein portalartiges stattfi ndende Workshop kann drei verschie- se Themen voneinander abzugrenzen, und Bauwerk wird die Zufahrtsrampe zum Kel- dene Schwerpunkte haben: Das Pädagogische Zentrum so zu helfen, sie genauer kennenzulernen. lerraum der Erinnerungsstätte betont. Als 1. Eine Vertiefung des Zugangs zur Per- Frankfurt am Main ist eine Das Pädagogische Zentrum unterstützt zentrale Erinnerungselemente sind über die Schulklasse beim Besuch der Erinnerungsstätte Großmarkthalle spektive der Verfolgten. Hier wird mit gemeinsame Einrichtung des Fritz Bauer In- Schulen bei der Beschäftigung mit jüdischer Wege, die zum Keller führen, im Keller den auf der Erinnerungsstätte positio- stituts und des Jüdischen Museums Frankfurt. Geschichte und Gegenwart sowie bei der selbst, auf dem benachbarten Gleisfeld und nierten Zitaten und den Biographien der Das Pädagogische Zentrum verbindet Annäherung an die Geschichte und Nach- der darüber führenden Fußgängerbrücke Menschen bei der Verschleppung so viele Das Konzept der Erinnerungsstätte sieht Personen gearbeitet. zwei Themenfelder: jüdische Geschichte geschichte des Holocaust. Hierzu bietet es 26 Zitate von Opfern und Zeugen der De- Kleidungsstücke übereinander anhatten?«, vor, dass der Ort beiläufi g wahrgenommen 2. Ein Nachdenken über Handlungsspiel- und Gegenwart sowie Geschichte und Nach- Lehrerfortbildungen und Lehrveranstaltun- porta-tionen verteilt, die das grausame Ge- »Haben andere Leute die Juden, die durch wird. Unaufdringlich sollen Passanten die räume und Handlungsmotive von Täter/ geschichte des Holocaust. Sein zentrales gen an der Goethe-Universität Frankfurt, schehen an diesem Ort schildern. die Stadt zur Großmarkthalle getrieben wur- Bedeutung des Ortes mit Hilfe der Zitate -innen anhand von Berichten über den Anliegen ist es, Juden und jüdisches Leben Workshops und Studientage an Schulen Das Gelände der ehemaligen Groß- den, gesehen?«, »Sieht der Keller so aus, entdecken können. Diese Beiläufi gkeit wurde Einsatz im Keller der Großmarkthalle nicht ausschließlich unter dem Gesichts- und für Institutionen der Jugend- und Er- markthalle ist heute Sitz der Europäischen wie er damals aussah?«, »Warum sehen von Besuchergruppen bisher unterschiedlich während der Deportationen. punkt der Verfolgung und des Antisemitis- wachsenenbildung sowie themenbezogene Zentralbank (EZB), die ihren dort neu er- wir nur einen kleinen Teil des Kellers?«, aufgenommen. Während einige das Konzept 3. Eine Auseinandersetzung mit Formen der mus zu betrachten. Ein gemeinsames päda- Führungen, Vorträge, Unterrichtsmaterialien richteten Büroturm mit dem historischen »Was ist passiert, wenn jemand nicht die gelungen fanden, betonten andere, dass die Erinnerung anhand von verschiedenen gogisches Zentrum für jüdische Geschichte und Beratung an. Begleitend zu den aktuel- Gebäude architektonisch verschränkt hat. 50 Reichsmark für die Deportation bezah- Geschichte dieses Ortes zu schlimm ge- Entwürfen zur Erinnerungsstätte, die bei und Gegenwart auf der einen und Geschich- len Ausstellungen des Jüdischen Museums Die Sicherheitsanforderungen der EZB und len konnte?«, »Haben die Leute gedacht, wesen sei, als dass die Erinnerungsstätte der Errichtung zur Wahl standen. te und Nachgeschichte des Holocaust auf der Frankfurt gibt es Fortbildungen mit Pers- der Status des Geländes als exterritoriales sie bekommen ihren Wohnungsschlüssel nur beiläufi g wahrgenommen werden sollte. Weitere Informationen fi nden sie auf der anderen Seite bietet die Chance, folgende pektiven für den Unterricht. Gebiet bedingen besondere Anforderungen irgendwann wieder?«, »Wie konnte Berny Noch einmal vorbei an der Rampe Website: www.pz-ffm.de Themen differenziert zu bearbeiten: an den Besuch der Gedenkstätte. Ohne vor- Lane so viele Lager überleben?« Die in Be- führt der Rundgang am Bahndamm entlang › Deutsch-jüdische Geschichte im europä- Kontakt herige Anmeldung kann das Gelände nicht ton gehauenen Zitate, aber auch Rampe und Richtung Stadt, die zu Deportierenden Zur Erinnerungsstätte ist ein Katalog erschienen: ischen Kontext Pädagogisches Zentrum Frankfurt betreten werden. Jede Besuchergruppe muss Keller geben zahlreiche Gesprächsanlässe, mussten in die entgegengesetzte Richtung. › Jüdische Gegenwart – Religion und Kultur Seckbächer Gasse 14 durch eine Sicherheitsschleuse, Ausweise um das historische Geschehen an diesem Ort Auch hier sind Zitate aus der Sicht der Ver- Raphael Gross, Felix Semmelroth (Hrsg.) 60311 Frankfurt am Main Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle. › Holocaust – Geschichte und Nachge- Tel.: 069.212 742 37 und Taschen werden kontrolliert. Auch kann gemeinsam zu rekonstruieren. folgten in den Boden eingemeißelt. Die Deportation der Juden 1941–1945 schichte [email protected] das Gebäude der EZB selbst nicht betreten Nach Betreten der Rampe und Besichti- › Antisemitismus und Rassismus www.pz-ffm.de werden. Der Weg zur Gedenkstätte führt um gung des Kellers führt der Rundgang durch Der Rundgang mit Schulklassen In der Publikation präsentieren die Architekten Marcus die ehemalige Großmarkthalle herum, zum einen Hinterausgang des EZB-Geländes auf Für Schulklassen liegt die Chance eines Kaiser und Tobias Katz (KatzKaiser, Köln/Darmstadt) ihr künstlerisches Konzept, dessen Realisierung Die deutsch-jüdische und europäisch-jüdi- östlichen Teil des Geländes. den öffentlichen Teil der Erinnerungsstätte. Besuchs der Erinnerungsstätte unter an- Norbert Miguletz fotografi sch dokumentiert. sche Geschichte wird meist vom Verbrechen Nach dem erfolgreichen Durchlaufen Zu sehen sind hier die Gleise, auf denen derem darin, zu erkennen, dass sich die Mit Beiträgen von Alfons Maria Arns, Fritz Backhaus, des Holocaust aus betrachtet, das ist gerade der Sicherheitsüberprüfung beginnt für die die Züge Richtung Osten abfuhren, das Verbrechen im Nationalsozialismus ganz Heike Drummer, Ursula Ernst, Raphael Gross, in Deutschland nicht anders denkbar. Die Besucher der Gedenkstätte das Einlassen auf Stellwerk und die Brücke, auf der wohl in der Nähe des eigenen Wohnorts abge- Monica Kingreen, Peter Cachola Schmal und Felix Semmelroth. Dominanz des Holocaust prägt die An- den Ort, das Nachdenken und Fragenstellen: Schaulustige, aber auch Angehörige die spielt haben. »So nah bei uns«, sagte ein München: Prestel Verlag 2016, 266 S., 150 farbige näherung an alle genannten Themen, und »Wieso beschreibt das eine Zitat, dass die Abfahrt der Züge begleiteten. Schüler, »bislang habe ich gedacht, dass die Abb., € 29,95, ISBN: 978-3-7913-5531-3

92 Pädagogisches Zentrum Einsicht 15 Frühjahr 2016 93 Nachrichten und Berichte Information und Kommunikation

Neueröffnung des die NS-Verfahren verstand er als Selbstauf- Museums Judengasse klärung der deutschen Gesellschaft in den Bahnen des Rechts. Pädagogische Angebote zur Fritz Bauer, 1903 in Stuttgart geboren neuen Dauerausstellung und aus einer jüdischen Familie stammend, trat in den 20er Jahren der SPD bei. Er stu- Das Jüdische Museum dierte Rechts- und Volkswirtschaftslehre Frankfurt eröffnete am und wurde 1930 in seiner Heimatstadt mit 20. März 2016 die völlig neu konzipier- 26 Jahren jüngster Amtsrichter Deutsch- te Ausstellung des Museums Judengasse. lands. Nach der »Machtergreifung« der Na- Sie wird mit diesen Worten angekündigt: tionalsozialisten wurde Bauer aus dem Amt »Die Frankfurter Judengasse wurde 1462 entlassen und für einige Monate im Kon- als erstes Ghetto in Europa eingerichtet und zentrationslager Heuberg inhaftiert. 1936 war bis zu dessen Aufl ösung 1796 eines der gelang ihm die Flucht, zunächst nach Däne- bedeutendsten Zentren des europäischen mark, dann nach Schweden, wo er den Krieg Judentums. Die neue Dauerausstellung des Aus dem Institut PD Dr. Irmtrud Wojak war von 1996 überlebte. 1949 kehrte Bauer mit Unterstüt- Jüdischen Museums im Museum Judengasse bis 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin am zung Kurt Schumachers nach Deutschland präsentiert die Geschichte und Kultur der Neuausgabe Fritz Bauer Institut. Im Rahmen des Insti- zurück. Zunächst wirkte er als Landgerichts- Juden vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhun- Erste Fritz-Bauer-Biografi e tuts-Projekts »Gerichtstag halten über uns direktor und ab 1950 als Generalstaatsan- dert. In Verbindung mit den archäologischen wieder verfügbar selbst …« hat sie neben dem Verfassen der walt am Braunschweiger Oberlandesgericht. Zeugnissen eröffnen Gemälde, Ritualobjek- Frankfurt am Main, Juli/August 1987: Demonstration gegen den Bau der Stadtwerke auf dem Börneplatz. Bei Fritz-Bauer-Biografi e auch die Ausstellung 1956 berief ihn der hessische Ministerprä- te, Bücher und Dokumente ein reiches Bild ersten Erschließungsarbeiten waren dort die Fundamente der historischen Judengasse, Überreste des Judenmarkts »Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63 Frankfurt am sident Georg August Zinn auf das Amt des des Alltagslebens in der Frankfurter Juden- und ein rituelles Tauchbad, eine »Mikwe« aus dem 15. Jahrhundert, entdeckt worden. Foto: Seitz/JMF Main« kuratiert und den zur Ausstellung er- hessischen Generalstaatsanwalts. In dieser gasse.« schienenen Katalog (Köln: Snoeck, 2004) Funktion wurde Bauer zum maßgeblichen Das didaktische Konzept der Erzählung herausgegeben. Initiator der Frankfurter Auschwitz-Pro- über jüdische Geschichte, das hier realisiert Gebräuche durchdrungen war. Die gegensei- Workshops zu den Themenfeldern Religion zesse von 1963 bis 1965. 1965 eröffnete wird, stellt einige gerade in Schule und Ge- tige Wahrnehmung war jedoch kontrovers. und Menschenfeindlichkeit anbieten. Fritz Bauer – Fritz Bauer die Voruntersuchung zu einem schichtskultur verbreitete Klischees auf den Von christlicher Seite sah man in die Juden- Die pädagogischen Angebote zur jüdi- Ankläger und Aufklärer seiner Epoche Prozess, der sich gegen die juristischen Er- Kopf. In Frankfurt haben seit dem 12. Jahr- gasse mit Ignoranz, Neugier, Scheu oder schen Geschichte bleiben nah am histori- Fritz Bauer ist eine der beeindruckendsten füllungsgehilfen der »Euthanasie«-Morde hundert bis heute fast ohne Unterbrechung auch missionarischem Eifer. Von jüdischer schen Material. Der Reichtum der Ausgra- Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegs- richten sollte. In der Nacht vom 30. Juni auf Juden gelebt. Auch nach den Pogromen im Seite wurden Christen häufi g als Quelle all- bungen, des historischen Friedhofs und der geschichte. Ihm ist es zu verdanken, dass den 1. Juli 1968 starb Fritz Bauer in seiner späten Mittelalter entstand – anders als in täglicher Bedrohung empfunden, gegen die Objekte öffnet vielfältige Fenster zur früh- die juristische Auseinandersetzung mit den Wohnung in Frankfurt am Main. Der noch anderen Städten mit alter jüdischer Tradi- Schutz durch die Obrigkeit und durch die neuzeitlichen Stadt. Aus dieser Erfahrung Verbrechen des Dritten Reichs nach dem in der Vorbereitungsphase stehende Prozess tion – eine neue jüdische Gemeinde. Im städtische Gemeinschaft lebensnotwendig, mit dem Ort und den Objekten entwickelt Ende des Zweiten Weltkriegs in Gang kam gegen die in die Verbrechen verstrickte NS- Katalog zum Museum Judengasse umreißt aber auch fragil war.« das pädagogische Angebot die Auseinander- Irmtrud Wojak und bis zu den epochemachenden Frank- Justiz fand nie statt. Fritz Backhaus den Forschungsstand, der Die Beziehungen zwischen jüdischer setzung mit den verschiedenen Dimensionen Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie furter Auschwitz-Prozessen geführt werden München: Buxus Edition, 2016 Grundlage der Ausstellung ist: »Es ging Minderheit und christlicher Mehrheit in der dieser exemplarischen Beziehungsgeschich- 614 S., € 28,– (zgl. € 4,50 Versand) konnte. In einem politischen Klima des Still- PD Dr. Irmtrud Wojak, geboren 1963, darum, Juden als eine Gruppe der Gesell- Stadt werden vor allem in einem Zeitschnitt te zwischen Juden und Christen. Bestelladresse: [email protected] schweigens und Wegsehens ging es Fritz Historikerin und Ausstellungskuratorin, schaft wahrzunehmen, die durch vielfältige um das Jahr 1700 vorgestellt. So ergibt sich Demnächst wird es auf der Website des Der Versand erfolgt gegen Rechnung. Bauer neben der juristischen Verfolgung Geschäftsführerin der gemeinnützigen Beziehungen mit den anderen Gruppen der die Möglichkeit, Alltagsleben zu thematisie- Pädagogischen Zentrums Materialien für die der Nazi-Verbrechen um die Aufklärung BUXUS STIFTUNG GmbH, München Gesellschaft verknüpft war und Teil eines ren und am historischen Beispiel über die Bildungsarbeit mit dem Museum Judengas- Als erste umfassende bio- der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit (www.buxus-stiftung.de) und Lehrbeauf- gemeinsamen Kulturraums bildete, der Chancen und Probleme nachzudenken, die se geben. grafi sche Würdigung Fritz und um juristische Richtigstellung – etwa tragte an der Universität der Bundeswehr ebenso christlich wie jüdisch geprägt war. im Zusammenleben von Menschen mit un- Bauers ist das Buch von Irmtrud Wojak im Hinblick auf die Rehabilitierung des in München; 1996–2008 wissenschaftliche Abgrenzung und Ghettoisierung bildeten terschiedlichem, ja sogar konkurrierendem 2009 im Münchner C.H. Beck Verlag in deutschen Widerstands. Auch war es Fritz Mitarbeiterin des Fritz Bauer Instituts in dabei nur eine Facette jüdischer Existenz Glauben bestehen. Aus pädagogischer Sicht Mehr zur Neueröffnung des Museums Ju- der Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts, Bauer, der Israel den entscheidenden Hin- Frankfurt am Main; 2008–2009 Leiterin in der Frühen Neuzeit, ebenso wichtig waren gewinnt der historische Gegenstand in dieser dengasse lesen Sie auf Seite 104 f.: »Neue Band 23 erschienen. Ihre Fritz-Bauer-Bio- weis zu Adolf Eichmanns Aufenthaltsort in des Bereiches Forschung beim Internati- die politischen Verknüpfungen, alltägliche neuen Erzählung eine brisante Gegenwarts- Dauerausstellung eröffnet spannende Ein- grafi e war seit einigen Jahren vergriffen. Argentinien gab. Die Auseinandersetzung onalen Suchdienst (ITS) in Bad Arolsen; Begegnungen und ein Leben, das in jeder dimension. Das Pädagogische Zentrum wird blicke in das Leben der Frankfurter Juden- Zuletzt ist sie 2011 als broschierte Sonder- mit den Wurzeln nationalsozialistischen 2009–2011 Gründungsdirektorin des NS- Beziehung durch die religiösen Gebote und in diesem Kontext die bereits bestehenden gasse«. ausgabe im C.H. Beck Verlag erschienen. Handelns hielt Bauer für unumgänglich, Dokumentationszentrums in München.

94 Pädagogisches Zentrum Einsicht 15 Frühjahr 2016 95 Aus dem Institut er auch Jura studierte und trotz Verfolgung Bundesverfassungsrichterin in Karlsruhe. »Excellent Communications Design – Fair aufwendigen Bewertungsverfahren sechs re- durch die Nazis promovierte. 1934 fl üchtete Erst kürzlich gab die 65-Jährige ihren Wech- and Exhibition«. Für das Design zeichnet nommierte WissenschaftlerInnen ermittelt Wilhelm Leuschner- er zunächst nach Holland, dann nach Palästi- sel aus dem Vorstand der Daimler AG in den das Gestaltungsbüro SPACE4 aus Stuttgart und zu Probevorträgen am 26. Februar an Medaille 2015 na. Der 103 Jahre alte Gießener Ehrenbürger von Volkswagen zum 1. Januar 2016 bekannt. verantwortlich. die Frankfurter Universität eingeladen. Nach Jutta Ebeling ausgezeichnet engagiert sich seit Jahrzehnten für die Aus- › Wolfram Dette Im Frühjahr 2014 wurde die Ausstel- der Bewertung der Vorträge und dem Einho- söhnung zwischen Israel und Deutschland. Der 64 Jahre alte Vorsitzende der FDP Wetz- lung im Jüdischen Museum Frankfurt er- len wissenschaftlicher Gutachten kommt die Er lebt in der israelischen Stadt Netanya. lar kam 1959 mit seinen Eltern aus der DDR öffnet. Seitdem wandert sie mit Stationen Berufungskommission im Fortgang des Aus- Jutta Ebeling, Vorsitzen- Die Kommune hat eine Städtepartnerschaft nach Wetzlar. Seit 1997 bis Ende dieses Jah- im Thüringer Landtag sowie in den Land- wahlverfahrens zu einem Ranking von drei de des Fördervereins Fritz mit Gießen, die Bar Menachem als damali- res ist Wolfram Dette Oberbürgermeister gerichten Heidelberg und Tübingen durch KandidatInnen, die der Universitätspräsiden- Bauer Institut e.V., wurde mit der Wilhelm ger Oberbürgermeister von Netanya im Jahr von Wetzlar. Er ist Vorsitzender der Vereini- Deutschland. Zuletzt war sie im Museum tin Birgitta Wolff zur Entscheidung vorgelegt Leuschner-Medaille 2015 ausgezeichnet. 1978 selbst begründet hat. gung Liberaler Kommunalpolitiker Hessen zur Geschichte von Christen und Juden werden. Wir gehen davon aus, dass die Pro- Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter e.V. und der Bundesvereinigung Libera- in Laupheim zu sehen. Von 21. April bis fessur bzw. die neue Institutsleitung Anfang des Fritz Bauer Instituts gratulieren ler Kommunalpolitiker sowie Mitglied 21. August 2016 wird sie im NS-Dokumen- 2017 ihre Arbeit aufnehmen wird. herzlich! im Präsidium und im Finanzausschuss tationszentrum der Stadt Köln gezeigt. Die an das Fritz Bauer Institut angeglie- Die nach dem von den Nationalso- des Hessischen Städtetags. derte Gastprofessur für interdisziplinäre Ho- zialisten hingerichteten Gewerkschaf- Wir trauern um unsere › Heinz Riesenhuber www.fritz-bauer-institut.de/fritz-bauer-ausstellung.html locaustforschung ist im abgelaufenen Win- ter und Widerstandskämpfer Wilhelm langjährige Mitarbeiterin, Der 79-jährige CDU-Politiker war von tersemester sehr erfolgreich von Dr. Nicolas Leuschner (1890–1944) benannte Me- Kollegin, Freundin 1982 bis 1993 Forschungsminister im Berg vom Simon-Dubnow-Institut in Leip- daille ist die höchste Auszeichnung des Kabinett Helmut Kohl und gehört bis zig wahrgenommen worden. Seine beiden Landes Hessen. Sie wurde aus Anlass heute dem Deutschen Bundestag als Aus dem Förderverein Lehrveranstaltungen, das Seminar »Zeugen- des 20. Todestages des ehemaligen Iwa Deutsch sel. A. Alterspräsident an. schaft und Wissenschaft. Grundfragen der hessischen Innenministers Wilhelm Berufungsverfahren Holocaustforschung« sowie der Lektürekurs Leuschner am 29. September 1964 durch geb. Wieslawa Rosinski https://staatskanzlei.hessen.de/ueber-uns/orden- Neue Holocaust-Professur »Jean Améry, Hannah Arendt und Theodor den früheren Hessischen Ministerprä- 5.1.1948 – 23.11.2015 ehrenzeichen/im-dienste-der-demokratie und Direktion des Fritz W. Adorno in den 1960er Jahren«, erfreu- sidenten Georg August Zinn gestiftet. ten sich regen Zuspruchs der Studierenden. Sie wird jährlich am Verfassungstag des Bauer Instituts Auch sein öffentlicher Vortrag zu »Das Ich Landes Hessen für außergewöhnliche In ehrendem Gedenken im Wir – Victor Klemperer, Anna Seghers Verdienste um die demokratische Ge- Aus dem Institut Auf seiner letzten Sitzung und Hans Mayer in der frühen DDR« stieß sellschaft und ihre Einrichtungen ver- die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat der Stiftungsrat – dem auf großes Publikumsinteresse (siehe dazu liehen. Über die Vergabe entscheidet des Fritz Bauer Instituts German Design Award das Land Hessen, die Stadt Frankfurt am auch seinen Text auf Seite ##). Derzeit läuft der Hessische Ministerpräsident. Den Fritz-Bauer-Ausstellung Main, die Goethe-Universität und der För- die Ausschreibung zur Fortsetzung der Gast- fünf diesjährigen Preisträgern wurde die ausgezeichnet derverein angehören – beschlossen, dass professur im Wintersemester 2016/2017. Auszeichnung am 1. Dezember 2015 im seine Leitung bis zum Abschluss des Be- Beides, die neu eingerichtete Holocaust- Rahmen eines Festakts im Wiesbadener rufungsverfahrens für die erste Holocaust- Professur, fi nanziert vom Hessischen Ministe- Schloss Biebrich von Ministerpräsident Die Ausstellung »Fritz Professur in Deutschland auch weiterhin rium für Wissenschaft und Kunst, und die Gast- Volker Bouffi er überreicht. › Jutta Ebeling Bauer. Der Staatsan- durch die Vorsitzende des Fördervereins professur, ermöglicht durch die großzügige 2013 war (neben den Geisteswissen- Die 1946 in Streitberg/Oberfranken gebo- walt. NS-Verbrechen vor Gericht« ist mit wahrgenommen werden soll. So bin ich in Spende der Frankfurter Bürger Michael Hauck schaftlern Prof. Dr. Dieter Bingen und Prof. rene Politikerin von Bündnis90/Die Grünen dem German Design Award 2016 ausge- zweifacher Funktion, als Vorsitzende des und Oliver Puhl, stärken die Arbeit des Fritz Dr. Harald Müller) Prof. Dr. Raphael Gross, war von 2006 bis 2012 Bürgermeisterin der zeichnet worden. Der 2012 initiierte Ger- Fördervereins und als Vorsitzende des Stif- Bauer Instituts zur Erforschung des Holocaust der damalige Direktor des Fritz Bauer Ins- Stadt Frankfurt am Main sowie langjährige man Design Award wird vergeben von der tungsrats, derzeit vor allem mit der Arbeit und seiner Wirkungsgeschichte nachhaltig. tituts, mit der Wilhelm Leuchner-Medaille Dezernentin in den Ressorts Bildung, Frau- Stiftung Rat für Formgebung/German De- in der Berufungskommission befasst. Die Der Förderverein kann viele neue Mit- ausgezeichnet worden. Im letzten Jahr ging en, Multikulturelle Angelegenheiten, Schule sign Council in Frankfurt am Main. Jähr- Holocaust-Professur wird am Fachbereich glieder begrüßen. Die Überschreitung der sie an Bundeskanzlerin Angela Merkel. und Umwelt. Seit 2013 ist sie Vorsitzende lich werden hochkarätige Einreichungen aus Philosophie und Geschichtswissenschaf- Schwelle von 1.000 Mitgliedern streben wir des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. dem Produkt- und Kommunikationsdesign ten der Goethe-Universität Frankfurt am weiterhin an. Dazu fehlen noch 80 Neuein- Die Preisträger 2015 › Christine Hohmann-Dennhardt prämiert, die auf ihre Art wegweisend in Main angesiedelt sein, der/die zukünftige tritte. Helfen sie mit durch Werbung bei › Abraham Bar Menachem Die Sozialdemokratin war von 1991 bis der internationalen Designlandschaft sind. Stelleninhaber/-in wird zudem mit der Di- Freunden und Bekannten. 1912 als Alfred Gutsmuth in Wieseck ge- 1995 Justiz- und dann bis 1999 Wissen- Die gemeinsame Ausstellung des Jüdischem rektion des Fritz Bauer Instituts betraut. boren, verbrachte Abraham Bar Menachem schafts- und Kunstministerin in Hessen. Museums Frankfurt und des Fritz Bauer Aus zahlreichen interessanten Bewerbun- Jutta Ebeling, Vorsitzende seine Kindheit und Jugend in Gießen, wo Anschließend war sie zwölf Jahre lang Instituts erhielt den Preis in der Kategorie gen aus dem In- und Ausland wurden in einem Für den Vorstand

96 Nachrichten und Berichte Einsicht 15 Frühjahr 2016 97 Aus Kultur und Wissenschaft Aus Kultur und Wissenschaft Veranstaltungen: zum einen eine wöchent- liche Vorlesung mit dem Thema »Kritische Neuerscheinungen Micha Brumlik Micha Brumlik Geistesgeschichte des Zionismus«. Sie Buber-Rosenzweig- Franz-Rosenzweig- spannt einen Bogen von dem ersten Juden- Medaille 2016 Gastprofessur 2016 staatstheoretiker, Moses Hess, über die so- zialistischen und revisionistischen Zionisten Öffentliche Antrittsvorlesung: des beginnenden 20. Jahrhunderts bis zu den Im Rahmen der Auftakt- Prof. Dr. Micha Brumlik, »Franz Rosenzweig und letzten, politisch weit rechts stehenden nati- veranstaltung zur »Woche der Zionismus – zwischen Theologie und Politik«, onalreligiösen Zionisten der Gegenwart und Mittwoch, 20. April 2016, 18.00–19.00 Uhr, im der Brüderlichkeit« ist am 6. März in Han- Gießhaus der Universität Kassel, Mönchebergstr. 5 den Debatten um den sogenannten »Postzi- nover die Buber-Rosenzweig-Medaille 2016 onismus«. Daneben behandelt das Seminar an den jüdischen Erziehungswissenschaft- Die Franz-Rosenzweig- »Messianismus im Judentum« die Frage nach Leseproben ler und Publizisten Prof. Dr. Micha Brum- Gastprofessur der Universi- der Hoffnung auf einen errettenden und er- unter lik verliehen worden. Mit der undotierten tät Kassel geht in diesem Sommersemester lösenden Gesalbten, einen Messias. Es wid- www.v-r.de Auszeichnung wurde Brumlik für seinen an den Erziehungswissenschaftler, Philoso- met sich den literarischen und theologischen jahrzehntelangen Einsatz zur Verständigung phen und Publizisten Micha Brumlik. Motiven und der entsprechenden politischen zwischen Juden und Christen in Deutsch- Mit Brumlik konnte »eine profi lierte Diskurse, die darin zum Ausdruck kommen. 2016. 288 Seiten, mit 2 Grafiken und 6 Tab., gebunden land geehrt. In ihrer Laudatio würdigte die Stimme des Judentums in Deutschland« Schriften des Hannah-Arendt-Instituts, Band 59 Theologin Margot Käßmann den Preisträ- als Inhaber der Gastprofessur gewonnen Franz-Rosenzweig-Gastprofessur € 60,– D | ISBN 978-3-525-36971-5 ger als »Seismografen für die Suche nach werden, so Prof. Dr. Ilse Müllner, Mitglied Die deutschlandweit einmalige Franz-Rosen- eBook: € 49,99 D jüdischer Identität in Deutschland nach der Micha Brumlik bei der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille 2016. Foto: NDR (Screenshot) der Findungskommission und Professorin zweig-Gastprofessur erinnert an Werk und Vergleichende Studie zum Umgang mit Shoah«. für Katholische Theologie/Altes Testament Vermächtnis des aus Kassel stammenden jü- den Opfern der europäischen Diktaturen Seit 1952 veranstalten die Gesellschaf- an der Universität Kassel, »für das jüdisch- dischen Religionsphilosophen. Die Professur ten für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit einen Beitrag für die christlich-jüdische Internationalen Rat der Christen und Juden christliche Gespräch sind seine Beiträge wird jeweils zum Sommersemester vergeben. im März eines jeden Jahres die »Woche Zusammenarbeit geleistet haben. Zu den (ICCJ), in dem 32 nationale Vereinigungen unverzichtbar«. Regelmäßig meldet er sich Mit der Gastprofessur wurden zahlreiche der Brüderlichkeit«. Sie richtet sich gegen Trägern der Medaille gehören der Geigen- für christlich-jüdische Zusammenarbeit ver- zu tagespolitischen Themen zu Wort, aktuell Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltanschaulichen Fanatismus und religiöse virtuose Yehudi Menuhin (1916–1999), der treten sind. zur Debatte um die Integration von Mig- unterschiedlicher Disziplinen, u. a. der Phi- Intoleranz. In diesem Jahr stand sie unter ehemalige Bundespräsident Richard von rantinnen und Migranten, und liefert dazu losophie, Geschichts-, Kunst-, Literatur- und dem Motto »Um Gottes Willen« und richtete Weizsäcker (1920–2015), der frühere deut- Prof. Dr. Micha Brumlik wichtige und vielbeachtete Beiträge. Religionswissenschaft aus Israel, Europa und ihr besonderes Augenmerk auf den Miss- sche Außenminister Joschka Fischer und der Angaben zu biografi schen Daten von Mi- Der gebürtige Schweizer Micha Brum- Nordamerika geehrt. Inhaber der Gastpro- brauch von Religion. Vom 6. bis 13. März in Köln lebende Autor Navid Kermani. 2013 cha Brumlik lesen Sie im Artikel zur Franz- lik, geboren am 4. November 1947 in Da- fessur der letzten Jahre waren u. a.: Prof. fanden hierzu in ganz Deutschland zahlrei- war das Fritz Bauer Institut zusammen mit Rosenzweig-Gastprofessur 2016 auf der vos, studierte Philosophie an der Hebrew Dr. Frank Stern, Wien (2013), Prof. Liliane che Veranstaltungen statt. Schirmherr war der Schriftstellerin Mirjam Pressler mit der nachfolgenden Seite. Aktuelle Beiträge University Jerusalem sowie Philosophie Weissberg, PhD, Philadelphia (2012); Prof. Bundespräsident Joachim Gauck. In seinem Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichnet und Wortmeldungen Brumliks sowie eine und Pädagogik an der Goethe-Universität Dr. Karol Sauerland, Thorn (2008); Prof. Festvortrag bei der zentralen Eröffnungsfei- worden. Aufl istung seiner zahlreichen Publikationen Frankfurt am Main. Von 1981 bis 2000 hatte Moshe Zimmermann PhD, Jerusalem (2007). er richtete er einen dringenden Appell gegen fi nden Sie auf der Website: er den Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft Die Franz-Rosenzweig-Gastprofessur den Rechtsextremismus in der Gesellschaft. Deutscher Koordinierungsrat e.V. http://michabrumlik.de mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik an wird von der Universität Kassel seit 1987 Schriften des Simon-Dubnow-Instituts, Band 24 2016. 440 Seiten, mit 1 Abb., gebunden Der Deutsche Koordinierungsrat der Ge- der Universität Heidelberg inne und war verliehen. Sie wurde im Anschluss an ei- € 70,– D | ISBN 978-3-525-37039-1 Buber-Rosenzweig-Medaille sellschaften für Christlich-Jüdische Zu- Kontakt von 2000 bis 2013 Professor für Theorien nen internationalen Kongress ins Leben eBook: € 59,99 D Jeweils zum Auftakt der »Woche der Brü- sammenarbeit (DKR) vertritt als bundes- Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit der Bildung und Erziehung am Institut für gerufen, der zum 100. Geburtstag des be- Deutscher Koordinierungsrat e.V. Neue und erhellende Einsichten in die Verhal- derlichkeit« wird seit 1968 die Buber-Ro- weiter Dachverband die 84 Gesellschaften Otto-Weiß-Str. 2, 61231 Bad Nauheim Allgemeine Erziehungswissenschaft an der deutenden Religionsphilosophen stattfand. tensweisen und Erwartungshorizonte deutscher senzweig-Medaille verliehen, in Erinnerung für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Tel.: 06032.91110 Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von In den letzten Jahren diente die Professur Juden angesichts des sich radikalisierenden an die jüdischen Philosophen Martin Buber in Deutschland auf nationaler und inter- [email protected] 2000 bis 2005 amtierte er außerdem als Di- verstärkt der Vergegenwärtigung der durch NS-Regimes und Franz Rosenzweig. Ausgezeichnet wer- nationaler Ebene. Er setzt sich ein für die rektor des Fritz Bauer Instituts. Seit Oktober den Nationalsozialismus zerstörten Kultur Informationen zur Buber-Rosenzweig-Medaille: den Personen, Institutionen oder Initiativen, Verständigung zwischen Christen und Ju- www.deutscher-koordinierungsrat.de/node/1039 2013 ist er Senior Advisor am Zentrum Jü- des europäischen Judentums und der Ausei- die sich insbesondere um die Verständigung den, den Kampf gegen Antisemitismus und dische Studien Berlin-Brandenburg. nandersetzung mit der jüdischen Gegenwart. zwischen Christen und Juden verdient ge- Rechtsradikalismus sowie für ein friedliches Materialien zur Woche der Brüderlichkeit 2016: Neben der öffentlichen Antrittsvorle- www.deutscher-koordinierungsrat.de/wdb-service-2016 macht und im wissenschaftlichen, künstle- Zusammenleben der Völker und Religionen. sung hält Micha Brumlik im Rahmen des Website: www.uni-kassel.de/uni/acartdemy/literatur/ www.v-r.de rischen, politischen oder sozialen Bereich Zugleich ist er größtes Einzelmitglied im Lehrangebots der Universität zwei weitere franz-rosenzweig-gastprofessur.html

98 Nachrichten und Berichte Einsicht 15 Frühjahr 2016 99 Aus Kultur und Wissenschaft die Briten das zionistische Staatsprojekt Aus Kultur und Wissenschaft Dabei lässt der Film, den Adrian Oeser gefördert. Segev erhielt dafür den National noch als Schüler drehte, bewusst Lücken, Tom Segev Jewish Book Award. In 1967, Israels zweite Eine Ausnahme um Raum für Fragen zu lassen. Deshalb be- Friedenspreis der Geburt (Siedler Verlag, 2007) stellte Segev Überleben. Freundschaft. schloss Adrian Oeser, die Interviews, die er Geschwister Korn und einen weiteren Pfeiler im israelischen Ge- Widerstand mit den beiden beeindruckenden Zeitzeugin- schichtsbild in Frage: Der Sechstagekrieg nen 2007 führte, auf einer Website zugänglich Gerstenmann-Stiftung 2015 war nicht unvermeidbar und die Truppen der zu machen. Daraus entstand das crossmediale arabischen Nachbarn nicht überlegen. Irmgard Heydorn und Web-Projekt »Eine Ausnahme. Überleben. Am 6. Dezember 2015 erhielt Mit über 20-jähriger Verspätung liegt Trude Simonsohn im Portrait. Freundschaft. Widerstand. Irmgard Heydorn der israelische Historiker inzwischen auch die deutsche Übersetzung Ein Medienprojekt von Adrian Oeser und Trude Simonsohn im Portrait«. und Journalist Tom Segev den Friedenspreis von Segevs bereits 1984 in Israel erschie- http://eine-ausnahme.de Als Einstieg in die Website soll der der Geschwister Korn und Gerstenmann- nen Erstlingswerk vor: Die ersten Israelis. Film bei den BesucherInnen Interesse we- Stiftung verliehen. Der Festakt fand statt Die Anfänge des jüdischen Staates (Siedler Wie können die Erzählun- cken und zum Weiterschauen, Weiterfragen im Ignatz Bubis-Gemeindezentrum der Jü- Verlag, 2008) schildert die dramatischen gen von zwei beeindrucken- und Weiterlesen anregen. In über 60 Inter- dischen Gemeinde Frankfurt am Main. Die Bedingungen, unter denen Israel gegründet den Zeitzeuginnen des Nationalsozialismus viewsequenzen berichten Irmgard Heydorn Laudatio hielt Prof. Dr. Raphael Gross, ehe- wurde, und seine ersten formativen Jahre. medial vermittelt werden? Wie kann man und Trude Simonsohn über ihr Leben, ihre maliger Direktor des Fritz Bauer Instituts, Derzeit schreibt Segev an einer Biografi e junge Menschen dazu motivieren, sich mit Freundschaft, ihr politisches Engagement. scheidender Direktor des Jüdischen Muse- des israelischen Staatsgründers David Ben diesen Berichten auseinanderzusetzen? Und Ergänzt werden diese Erzählungen durch ums Frankfurt und neuer Direktor des Simon Gurion, mit dessen Rolle er sich seit seiner wie lassen sich jene authentischen Zeugnis- Texte zu historischen Themen, persönliche Dubnov-Instituts für jüdische Geschichte und Studentenzeit beschäftigt. Sie wird die zwei- se bewahren in einer Zeit, in der wir langsam Fotografi en der Protagonistinnen und histo- Kultur an der Universität Leipzig. Überreichung der Urkunde (v. l.): Dr. Jan Gerchow, Tom Segev, Prof. Dr. Salomon Korn. Foto: Werner Lott te große Biografi e in seinem Oeuvre nach Abschied nehmen von der Generation der rische Originalmaterialien. Auf diese Weise Mit dem Preis wird Segevs Lebenswerk Simon Wiesenthal. Die Biographie (Siedler ZeitzeugInnen des Nationalsozialismus? entsteht ein zugleich informatives wie per- als Autor zahlreicher Bücher gewürdigt, die Verlag, 2010) sein. Das Medienprojekt des Frankfurter Filme- sönliches Porträt der beiden Frauen und der auf der Grundlage von neu erschlossenem ihn zugleich für das deutsche Publikum zu Israels Politik der Erinnerung (Rowohlt Ver- Die Bücher Tom Segevs verbinden machers Adrian Oeser schlägt Antworten Zeit ihrer Erzählungen. Archivmaterial, unpublizierten Privatdoku- einem der einfl ussreichsten Vermittler der lag, 1995), seinem zweiten in Deutschland stilistische Eleganz mit Erzählfreude und auf diese Fragen vor. Das Projekt wurde gefördert von der menten und Zeitzeugeninterviews zur neuen israelischen Geschichtsdebatte und viel ge- erschienenen Buch, setzte er die Beschäfti- scharfsinniger Analyse, unter Einbeziehung Die Widerstandskämpferin Irmgard Hans-Böckler-Stiftung und dem Studenti- Bewertung sehr komplexer Zusammenhän- fragten Analysten des deutsch-israelischen gung mit dem Holocaust mit einem anderen einer ungewöhnlichen Breite und Vielfalt Heydorn und die Holocaust-Überlebende schen Projektrat an der Frankfurter Goethe- ge und in der Folge zur kritischen Revision Verhältnisses hierzulande. Fokus fort: Er vertrat die provokante These, von Materialien als Quellen. In angelsäch- Trude Simonsohn verbindet eine jahrzehn- Universität, es wurde unterstützt von der des bis in die 1990er Jahre herrschenden dass die zionistische Bewegung vor und auch sischer Tradition richten sie sich an eine telange Freundschaft. Irmgard Heydorn war Bildungsstätte Anne Frank und der For- Geschichtsbildes in und über Israel beitru- Tom Segev wurde am 1. März 1945 kurz lange nach der israelischen Staatsgründung breite Öffentlichkeit und werden in der Ta- 16 Jahre alt, als sie sich der Widerstands- schungsstelle NS-Pädagogik an der Goethe- gen. Er wird zur Gruppe der sogenannten vor Kriegsende in Jerusalem geboren. Sei- 1948 der Auslöschung und den Leiden der gespresse diskutiert. Segevs Bücher wurden gruppe des Internationalen Sozialistischen Universität Frankfurt am Main. »Neuen Historiker« gezählt, die in den spä- ne Eltern wanderten 1933 aus Deutschland europäischen Juden nahezu passiv oder sogar in zahlreiche Sprachen übersetzt. Kampfbundes anschloss, und arbeitete von Eine DVD des Projekts für den Einsatz ten 1980er Jahren einen israelischen »His- aus und ließen sich 1935 in Palästina nieder. gleichgültig gegenüberstand. Auch den Am- da an gegen die Nazis. Trude Simonsohn im Unterricht (Laufzeit: 150 Min.) ist im torikerstreit« auslösten. Durch seine hohe Sein Vater Heinz Schwerin war Architekt, bivalenzen der nach dem Eichmann-Prozess Friedenspreis der Geschwister Korn wuchs in der damaligen Tschechoslowakei Vertrieb Filmsortiment erschienen. Bezug: persönliche Integrität konnte er in seinem seine Mutter Ricarda Meltzer Fotografi n, von 1961 in Israel einsetzenden Integration und Gerstenmann-Stiftung auf, war in der zionistischen Jugendbewe- www.fi lmsortiment.de Land ebenso wie im Ausland eine selbst- beide lernten sich als Studenten am Bau- des Holocaust in die nationale Erinnerungs- Der Preis würdigt literarische, publizistische gung organisiert und wurde 1942 von den kritische Öffnung der Geschichtsdebatte haus in Dessau kennen. Segev studierte politik ist das Buch gewidmet. In dem ver- und kulturelle Bemühungen um den Frieden Nazis verhaftet. Sie überlebte das Ghet- Glückwünsche zum Geburtstag über entscheidende Phasen der Geschichte Geschichte und Politikwissenschaften an gleichsweise schmalen Band Elvis in Jeru- in Israel und darüber hinaus in der ganzen to Theresienstadt, das Vernichtungslager Am 25. März feierte Trude Simonsohn ih- Palästinas und Israels entscheidend anregen der Hebräischen Universität Jerusalem und salem. Die moderne jüdische Gesellschaft Welt. Er wird alle drei Jahre vergeben und Auschwitz und weitere Konzentrationslager. ren 95. Geburtstag. Ein Tag zuvor feierte und den Geschichtsdiskurs über Israel bis promovierte an der Universität Boston. In (Siedler Verlag, 2003) beschrieb Segev den ist zurzeit mit 50.000 Euro dotiert. Gestiftet In den 1950er Jahren lernte sie in Hamburg Irmgard Heydorn die Vollendung ihres 100. heute prägen. Seine vorbehaltlose Offenheit den 1970er Jahren war er Deutschlandkor- Post-Zionismus und die Amerikanisierung haben ihn Abraham Korn und seine Schwes- Irmgard Heydorn kennen. Retrospektiv sagt Lebensjahres. Die Mitarbeiterinnen und zur Neubetrachtung der Vorgeschichte und respondent für die israelische Tageszeitung Israels. In Es war einmal in Palästina. Juden ter Rosa Gerstenmann im Jahr 1987 zum Ge- Trude Simonsohn, dass es ihr das Leben in Mitarbeiter des Fritz Bauer Instituts gratu- ersten Jahrzehnte des israelischen Staates Maariv und danach langjähriger Kolumnist und Araber vor der Staatsgründung Israels denken an ihre im Konzentrationslager Maj- Deutschland ungemein erleichterte, in Irm- lieren herzlich! und seine Arbeiten über den Holocaust und für Haaretz. Tom Segev lebt in Jerusalem. (Siedler Verlag, 2005) griff er einen weiteren danek ermordete Nichte Sarah Gerstenmann. gard Heydorn und deren Mann Menschen dessen Nachwirkungen begründeten seine Seine Dissertation (Boston University, Grundpfeiler des bis dahin geltenden Ge- Bisherige Preisträger waren: Shimon kennengelernt zu haben, die in Deutschland Kontakt Glaubwürdigkeit und Anerkennung als His- MA/USA, 1988) widmete Tom Segev den schichtsbildes an: Die Rolle der britischen Peres (2001), Amos Oz (2003), Daniel Widerstand gegen die Nazis geleistet hatten. Adrian Oeser toriker und Kommentator weit über Israel Soldaten des Bösen – Zur Geschichte der Mandatsmacht (1917–1948) in Palästina Barenboim und Edward Said (2006), Sari Der Film erzählt auf sehr persönliche c/o Bildungsstätte Anne Frank e.V. Hansaallee 150 hinaus. Diese doppelte Beschäftigung mit KZ-Kommandanten (Rowohlt Verlag, 1992). wird von ihm radikal neu bewertet. Sie sei Nusseibeh und Itamar Rabinovich (2009), Weise das Leben und die Freundschaft von 60320 Frankfurt am Main israelischer und deutscher Geschichte macht Mit Die siebte Million. Der Holocaust und nicht proarabisch gewesen, vielmehr hätten Avi Primor (2012). Irmgard Heydorn und Trude Simonsohn. [email protected]

100 Nachrichten und Berichte Einsicht 15 Frühjahr 2016 101 Aus Kultur und Wissenschaft Den Auftakt der Rauminszenierung bilden und Gewalt ausgesetzt waren, verdeutlichen erkunden. Das Kinderprogramm, organisiert jüdische Zeremonialobjekte und Druckzeug- rechtliche Anordnungen und die Spuren von vom Pädagogischen Zentrum des Fritz Bauer Wiedereröffnung nisse aus der Frühen Neuzeit. Sie eröffnen Pogromen an geraubten und geschändeten Instituts und des Jüdischen Museums Frank- Museum Judengasse einen Einblick in die Traditionen, die in der Schriften. Mit diesen Dokumenten der jid- furt, sowie besondere Führungen ergänzen Neue Dauerausstellung Judengasse gepfl egt und weiterentwickelt dischen wie auch hebräischen Schriftkultur das Angebot für Familien. wurden, sowie in die damaligen Beziehun- und den vertonten Gesängen und Gedichten bietet spannende Einblicke gen zwischen Juden und Christen. aus der Judengasse fi ndet der Ausstellungs- Die Frankfurter Judengasse Die wirtschaftsgeschichtlichen Zeug- rundgang seinen Abschluss. Geschichte, Politik, Kultur in das Leben der Katalog zur Dauerausstellung des Jüdischen Museums Frankfurter Judengasse nisse, die an anderer Stelle präsentiert wer- Das Vermittlungsangebot in der Aus- Frankfurt, hrsg. von Fritz Backhaus, Raphael Gross, den, legen nahe, dass Juden das Ghetto häufi g stellung umfasst sowohl mediale wie auch Sabine Kößling und Mirjam Wenzel verließen, um Geschäften nachzugehen. In interaktive Elemente. Der Multimediaguide, München: C.H. Beck Verlag, 2016, 232 S., 81 teils Am Sonntag, den 20. März Anlehnung an jüngere Forschungsergebnisse der als App auf mobilen Geräten installiert farb. Abb., ISBN 978-3-406-68987-1, € 14,95, erscheint auch in engl. Sprache, ab 11. Mai 2016 2016, wurde das Muse- zeigt die Ausstellung, dass die Judengasse werden kann, bezieht eine der bedeutendsten um Judengasse nach rund zweijähriger kein in sich geschlossenes Wohngebiet mit jüdischen Grabstätten Europas in den Aus- Kontakt Schließung wieder eröffnet. Die neue Dau- eigenen Regeln war. Sie präsentiert anstatt stellungsrundgang mit ein. Eine multime- Museum Judengasse erausstellung thematisiert die jüdische Ge- dessen ein differenziertes Geschichtsbild, das diale Installation zu Beginn sowie mehrere Battonnstr. 47, 60311 Frankfurt am Main Tel.: 069.212-70790, Fax: -730705 schichte und Kultur Frankfurts vom Mit- verschiedene Formen der Zusammenarbeit Medienstationen innerhalb der Ausstellung [email protected] telalter bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts und wechselseitigen Einfl ussnahme zwischen geben einen Überblick über die jüdische All- www.museumjudengasse.de und bildet den ersten Teil der Neukonzep- den jüdischen Einwohnern der Gasse und den tagskultur der Frühen Neuzeit. Kinder zwi- tion des Jüdischen Museums. Der zweite christlichen Stadtbewohnern thematisiert. schen 6 und 12 Jahren können die Ausstellung Mehr zu den Angeboten des Pädagogischen Teil der Dauerausstellung, der die Zeit von Dass Juden in Frankfurt trotz kaiserlichen mit spielerischen Mitmachangeboten, einem Zentrums zur neuen Dauerausstellung lesen der Emanzipation bis zur Gegenwart präsen- Schutzes auch antijüdischen Maßnahmen eigenen Katalog und einer Audioführung Sie auf Seite 94. tiert, wird ab 2018 im frisch sanierten und erweiterten Rothschild-Palais zu sehen sein. Blick in die historischen Fundamente der Frankfurter Judengasse, Foto: Norbert Miguletz, Jüdisches Museum Frankfurt Der Festakt zur Museumseröffnung im Casino der Stadtwerke Frankfurt stand unter dem Motto »Massel und Broche – Glück und mit der Gedenkstätte für die deportierten und jüdische Alltagskultur der Frühen Neuzeit Fritz Bauer Institut Segen«. Neben der neu berufenen Direk- ermordeten Frankfurter Juden und dem alten geben.« torin des Jüdischen Museums, Dr. Mirjam jüdischen Friedhof ein historisches Ensem- Bereits der erste Raum der neuen Dau- Geschichte und Wenzel, sprachen Kulturdezernent Prof. Dr. ble entstanden, das die Auseinandersetzung erausstellung betont die Vielschichtigkeit Wirkung des Holocaust Felix Semmelroth, Oberbürgermeister Peter mit der jüdischen Geschichte Frankfurts auf des Platzes: Neben Zeugnissen aus der Feldmann, der frühere Oberbürgermeister besondere Weise ermöglicht. Frankfurt ist Börneplatzsynagoge und Fotos von deren Hier könnte Ihre Andreas von Schoeler in seiner Funktion als die einzige Großstadt in Deutschland, in der Zerstörung thematisiert er die Protestkund- Vorsitzender der Freunde und Förderer des die jüdische Gemeinschaft vor Ort bis ins gebungen, die hier im Jahr 1987 stattfanden. Anzeige stehen! Jüdischen Museums und Prof. Dr. Salomon 12. Jahrhundert zurückgeht. Das neue Jü- Damals stieß man bei Bauarbeiten auf die Korn, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde dische Museum ist ein Lernort gerade auch Fundamente von zwei Mikwen und mehre- Formate und Preise Frankfurt am Main. für die junge Generation. Die interaktive ren Häusern der Judengasse. Daraufhin ent- Doppelseite 460 x 295 mm + Beschnitt 1.090,– »Die Neugestaltung des Museums Ju- Ausstellung trägt dazu bei, das Verständnis brannte eine heftige Auseinandersetzung um Umschlagseite U4 230 x 295 mm + Beschnitt 950,– dengasse zeigt, wie gut es gelungen ist, die füreinander und ein tolerantes Miteinander das öffentliche Verantwortungsbewusstsein Umschlagseite U2 / U3 230 x 295 mm + Beschnitt 850,– beiden Standorte des Museums zusammen- zu fördern«, so Semmelroth weiter. »Mit der der Bundesrepublik Deutschland im Um- zuführen und aufeinander abzustimmen. Die multimedialen Installation zu Beginn der gang mit jüdischem Kulturgut. Der Konfl ikt Ganzseitige Anzeige 230 x 295 mm + Beschnitt 690,– in den Jahren 2012 bis 2014 von der Stadtver- Ausstellung und dem besonderen Angebot führte zur Bewahrung der archäologischen 1/2-seitige Anzeige vertikal 93 x 217 mm 390,– ordnetenversammlung gefassten Beschlüsse für Kinder werden insbesondere Familien zu Zeugnisse von fünf Häusern sowie zur Ent- 1/2-seitige Anzeige horizontal 192 x 105,5 mm 390,– zur Sanierung und Erweiterung des Jüdischen einem Museumsbesuch eingeladen«, ergänzt stehung des Museums Judengasse. Die neue 1/3-seitige Anzeige vertikal 60 x 217 mm 320,– Museums ermöglichten den Umbau hin zu Museumsdirektorin Dr. Mirjam Wenzel. Dauerausstellung eröffnet verschiedene Zu- 1/4-seitige Anzeige vertikal 93 x 105,5 mm 270,– einer zeitgemäßen Ausstellungskonzep- »Die zeitgemäße Inszenierung soll dabei vor gänge zum alltäglichen Leben im ersten jü- Aufl age: 5.500 Exemplare, Preise in Euro, zuzügl. gesetzl. MwSt. tion am authentischen Schauplatz«, sagt allem den Ort selbst zum Sprechen bringen dischen Ghetto Europas. Inmitten von Rui- Semmelroth. »Am Börneplatz ist durch die und unseren Besuchern einen vielseitigen nen werden Objekte anschaulich gezeigt, die Kontakt: Dorothee Becker, Tel.: 069.798 322-40, [email protected] räumliche Nähe des Museums Judengasse und abwechslungsreichen Einblick in die einst vor Ort gefertigt oder genutzt wurden.

102 Nachrichten und Berichte Einsicht 15 Frühjahr 2016 103 Ausstellungsangebote Wanderausstellungen des Fritz Bauer Instituts

Aus Kultur und Wissenschaft ckenschlag zwischen Israel und Deutschland Jugend- und Fachkräfteaustausch. Nur mit sechzig. Sie entstehen auf der Basis wei- beigetragen. Neben Fragen nach der kon- allen Beteiligten – den Teamer/-innen, Teil- terer Recherchen und an manchen Orten Jubiläumsjahr 2015 kreten Mitgestaltung der politischen und nehmenden, Verbänden, Zentralstellen, Mi- in Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Zwei Publikationen zum gesellschaftlichen Beziehungen durch den nisterien und beiderseitigen Koordinierungs- Schülern. deutsch-israelischen deutsch-israelischen Jugendaustausch stehen zentren in Deutschland und Israel – wird der auch der Wandel von Erwartungen, Zielen Austausch getragen und wächst die Qualität Publikationen zur Ausstellung Jugendaustausch und Konzepten sowie die Zukunftsvisionen der deutsch-israelischen Jugendkontakte. › Legalisierter Raub – Katalog zur Ausstellung. für die deutsch-israelischen Jugendkontakte Davon berichten zum einen die Stimmen Reihe selecta der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, Heft 8, 2002, 72 S., € 5,– Moving Moments / Connecting for Life im Mittelpunkt. Fragen zur Gegenwartsbe- bekannter Akteure im deutsch-israelischen › Susanne Meinl, Jutta Zwilling: Legalisierter Raub. Deutsch-Israelischer Jugendaustausch deutung der Geschichte und Herausforderun- Jugendaustausch. Zum anderen zeugen die Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialis- in Forschung und Praxis gen beim Aufeinandertreffen unterschiedli- Berichte über die bilaterale Zusammenarbeit mus durch die Reichsfi nanzverwaltung in Hessen. cher Lebenswelten in Europa und Nahost bei von ConAct mit der Israel Youth Exchange Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Band 10, Frankfurt am Main, New York: Campus Begegnungen junger Deutscher und Israelis Authority von der fortdauernden Weiterent- Verlag, 2004, 748 S., € 44,90 werden ebenfalls beleuchtet. wicklung und Erweiterung des Jugendaus- › Katharina Stengel (Hrsg.): Vor der Vernichtung. tausches und werfen Schlaglichter auf eigens Die staatliche Enteignung der Juden im National- 50 Jahre Diplomatische Beziehungen entwickelte Veranstaltungsformate und die sozialismus. Wissenschaftliche Reihe des Fritz Legalisierter Raub Bauer Instituts, Band 15, Frankfurt am Main, Deutschland – Israel / 60 Jahre großen Highlights der letzten Jahrzehnte. Der Fiskus und die Ausplünderung New York: Campus Verlag, 2007, 336 S., € 24,90 Deutsch-Israelischer Jugendaustausch der Juden in Hessen 1933–1945 › DER GROSSE RAUB. WIE IN HESSEN DIE JUDEN Geschichte(n) – Einblicke – Informationen Download der digitalen Version des Fach- AUSGEPLÜNDERT WURDEN. Ein Film von Henning buchs und der Broschüre, jeweils in deut- Burk und Dietrich Wagner, Hessischer Rundfunk, 2002. DVD, Laufzeit: 45 Min., € 10,– scher und hebräischer Sprache: www.conact- Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Rundfunks, org.de/materialien/conact-materialien mit Unterstützung der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen Ausstellungsexponate und des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Die Ausstellung besteht aus circa 60 Rahmen im ConAct ist ein bundesweites Service- und Format 100 x 70 cm, 15 Vitrinen, 6 Einspielstationen, Kompendium mit Forschungsergebnissen und Informationszentrum für Jugendkontakte 2 Installationen und Lesemappen zu ausgesuchten Einzelfällen. Für jede Ausstellungsstation besteht die Fachbeiträgen aus 60 Jahren Praxis im Deutsch- zwischen Deutschland und Israel mit Sitz in Die Ausstellung gibt einen vor der Deportation ausfüllen mussten, um Israelischen Jugendaustausch Möglichkeit, interessante Fälle aus der Region in das Hrsg. von ConAct – Koordinierungszentrum Deutsch- Lutherstadt Wittenberg. Es fördert bestehen- Einblick in die Geschichte den Finanzbehörden die »Verwaltung und Konzept zu übernehmen. Israelischer Jugendaustausch, Lutherstadt Wittenberg und de Kontakte durch die Beratung zur Planung des legalisierten Raubes, in die Biografi en Verwertung« ihrer zurückgelassenen Hab- der Israel Youth Exchange Authority, Tel Aviv, 2015, 250 S., Hrsg. von ConAct – Koordinierungszentrum Deutsch- und Finanzierung von deutsch-israelischen von Tätern und Opfern. seligkeiten zu erleichtern. Weitere Tafeln www.fritz-bauer-institut.de/legalisierter-raub.html Deutsch/Hebräisch. Das Fachbuch ist kostenlos. Es kann Israelischer Jugendaustausch, Lutherstadt Wittenberg Jugendbegegnungen und regt neue Ideen für Die Tafeln im Hauptteil der Ausstel- beschäftigen sich mit den kooperierenden gegen Übernahme der Versandkosten in Höhe von € 2,40 und der Israel Youth Exchange Authority, Tel Aviv, bei ConAct bestellt werden. 2015, 160 S., Deutsch/Hebräisch. Die Broschüre ist den Austausch an. Das im Oktober 2001 er- lung entwickeln die Geschichte der Täter- Interessengruppen in Politik und Wirtschaft, kostenlos. Sie kann gegen Übernahme der Versand- öffnete Koordinierungszentrum unterstützt gesellschaft, die mit einem Rückblick auf aber auch mit dem »deutschen Volksgenos- In diesem reich bebilderten kosten in Höhe von € 2,40 bei ConAct bestellt werden. jedes Jahr rund 300 Projekte der außerschu- die Zeit vor 1933 beginnt: Die Forderung sen« als Profi teur. Schließlich wird nach der Fachbuch zum deutsch-isra- lischen Bildungs- und Austauscharbeit fi nan- nach einer Enteignung der Juden gab es sogenannten Wiedergutmachung gefragt: Ausstellungsstationen / Termine elischen Jugendaustausch werden historische Die deutsch-hebräische Bro- ziell und pädagogisch. Partnerorganisation in nicht erst seit der Machtübernahme der Wie ging die Rückerstattung vor sich, wie Aktuelle Ausstellungsorte und -zeiten für Entwicklungen und Forschungsergebnisse schüre zu »60 Jahre deutsch- Israel ist die Israel Youth Exchange Authority Nationalsozialisten. Sie konnten vielmehr erfolgreich konnte sie angesichts der gesetz- unsere Wanderausstellungen fi nden Sie auf aus sechs Jahrzehnten intensiver deutsch- israelischer Jugendaustausch« führt kurzwei- in Tel Aviv. ConAct ist eine Einrichtung des auf weitverbreitete antisemitische Klischees lichen Ausgangslage und der weitgehend Seite 11. israelischer Begegnungsarbeit seit Mitte lig und informativ in die Geschichte und Bundesministeriums für Familie, Senioren, zurückgreifen, insbesondere auf das Bild ablehnenden Haltung der Bevölkerungs- der 1950er Jahre zusammengetragen. Der Gegenwart des bilateralen Begegnungspro- Frauen und Jugend mit Unterstützung der vom »mächtigen und reichen Juden«, der mehrheit sein? Ausstellungsausleihe Jugendaustausch stellt einen Versuch dar, gramms ein. In einem historischen Abriss wer- Länder Sachsen-Anhalt und Mecklenburg- sein Vermögen mit List und zum Schaden Die Ausstellung wandert seit dem Jahr Unsere Ausstellungen können gegen Gebühr die unmöglich erscheinende Annäherung den den wichtigen Stationen der politischen Vorpommern, in Trägerschaft der Evangeli- des deutschen Volkes erworben habe. Vor 2002 sehr erfolgreich durch Hessen und da- ausgeliehen werden. Wir beraten Sie gerne zwischen Deutschland und Israel nach der Entwicklung historische Fotografi en und Hin- schen Akademie Sachsen-Anhalt. diesem Hintergrund zeichnet das zweite rüber hinaus. Sie wurde an bisher 26 Stati- bei der Organisation des Begleitprogramms. Shoah und den durch deutsche National- tergrundinformationen hinzugefügt, visuell Kapitel die Stufen der Ausplünderung und onen gezeigt. Da für jeden Präsentationsort Weitere Informationen und ein Ausstellungs- Kontakt sozialisten begangenen Verbrechen an den angelehnt an die Website »Exchange-Visions« ConAct – Koordinierungszentrum die Rolle der Finanzbehörden in den Jahren neue regionale Vitrinen entstehen, die sich angebot senden wir Ihnen auf Anfrage zu. europäischen Juden zu initiieren. Die Kon- (www.exchange-visions.de). Übersichtliche Deutsch-Israelischer Jugendaustausch von 1933 bis 1941 nach. Im nachgebauten mit der Geschichte des legalisierten Raubes takte zwischen den unterschiedlichen Gene- Schaubilder und Grafi ken versammeln Daten Altes Rathaus – Markt 26 Zimmer eines Finanzbeamten können die am Ausstellungsort beschäftigen, »wächst« Kontakt 06886 Lutherstadt Wittenberg Fritz Bauer Institut rationen beider Länder, die sich innerhalb und Zahlen und geben somit Aufschluss über Ausstellungsbesucher in Aktenordnern die Ausstellung. Waren es bei der Erstprä- Tel.: 03491.4202-60, Fax: -70 Manuela Ritzheim und außerhalb organisierter Begegnungen die Veränderungen und Strukturen der ver- [email protected] blättern: Sie enthalten unter anderem Fak- sentation 15 Vitrinen, die die Geschichten Tel.: 069.798 322-33, Fax: -41 bewegen, haben wesentlich zu einem Brü- gangenen Jahrzehnte im deutsch-israelischen www.conact-org.de similes jener Vermögenslisten, die Juden der Opfer erzählten, sind es heute weit über [email protected]

104 Nachrichten und Berichte Einsicht 15 Frühjahr 2016 105 Ein Leben aufs neu Ausstellung »Ein Leben Die IG Farben und das Fritz Bauer. Kuratoren der Ausstellung aufs neu« im Alten › Monika Boll (Fritz Bauer Institut): Kon- Das Robinson-Album. Goethegymnasium in KZ Buna/Monowitz Der Staatsanwalt zeption und Aufbau der Erstausstellung DP-Lager: Juden auf deut- Neu-Isenburg, veranstal- Wirtschaft und Politik NS-Verbrechen vor Gericht tet von der Seminar- und in Frankfurt schem Boden 1945–1948 Gedenkstätte Bertha- im Nationalsozialismus › Erik Riedel (Jüdisches Museum Frankfurt): Pappenheim-Haus in Fritz Bauer gehört zu den Betreuung der Wanderausstellung Nach Ende des Zweiten Zusammenarbeit mit Das Konzentrationslager juristisch einfl ussreichsten dem Stadtarchiv Neu- Weltkriegs fanden jüdische Isenburg, der Evange- der IG Farbenindustrie AG jüdischen Remigranten im Nachkriegs- Ausstellungsstationen Überlebende der NS-Terrorherrschaft im lisch-Reformierten in Auschwitz ist bis heute ein Symbol für die deutschland. Als hessischer Generalstaatsan- › 10. April bis 7. September 2014 Nachkriegsdeutschland Zufl ucht in soge- Gemeinde Neu-Isenburg Kooperation zwischen Wirtschaft und Poli- walt, der den Frankfurter Auschwitz-Prozess Jüdisches Museum Frankfurt am Main nannten Displaced Persons (DP) Camps. Die und der Jüdischen tik im Nationalsozialismus. Die komplexe auf den Weg brachte, hat er bundesrepub- › 9. Dezember 2014 bis 15. Februar 2015 Volkshochschule Frank- Fotoausstellung porträtiert das tägliche Le- furt am Main. Geschichte dieser Kooperation, ihre Wider- likanische Geschichte geschrieben. Die Thüringer Landtag in Erfurt ben und die Arbeit der Selbstverwaltung in (1. Jan. ‒ 29. Feb. 2016) sprüche, ihre Entwicklung und ihre Wirkung Ausstellung nimmt den Prozess, der sich › 26. Februar bis 17. April 2015 dem in der amerikanischen Besatzungszone Fotos: Werner Lott auf die Nachkriegszeit (die Prozesse und der 2013 zum fünfzigsten Mal jährte, zum An- Landgericht Heidelberg gelegenen DP-Lager Frankfurt-Zeilsheim. bis in die Gegenwart währende Streit um lass, Fritz Bauer einem größeren Publikum › 7. Mai bis 26. Juni 2015 Der aus Polen stammende Ephraim die IG Farben in Liquidation), wird aus un- vorzustellen. Landgericht Tübingen Robinson hatte seine ganze Familie im terschiedlichen Perspektiven dokumentiert. Bauers Leben blieb nicht unberührt von › 10. März bis 10. Mai 2016 Holocaust verloren. Als DP kam er 1945 Strukturiert wird die Ausstellung durch Zi- den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Die Ministerium der Finanzen Rheinland- nach Frankfurt-Zeilsheim. Seinen Lebens- tate aus der Literatur der Überlebenden, die Ausstellung dokumentiert seine Lebensge- Pfalz und Ministerium der Justiz und unterhalt im Lager verdiente er sich als zu den einzelnen Themen die Funktion der schichte im Spiegel der historischen Ereig- für Verbraucherschutz Mainz freiberufl icher Fotograf. In eindrücklichen einführenden Texte übernehmen. Gezeigt nisse, die ihn auch persönlich betrafen. Als › 21. April bis 21. August 2016 Bildern hielt er fest, wie die geschundenen werden Reproduktionen der Fotografi en, die Jude blieb Fritz Bauer vom Antisemitismus NS-Dokumentationszentrum der Menschen ihre Belange in die eigenen Hän- von der SS anlässlich des Besuchs von Hein- nicht verschont. Als Sozialdemokrat glaubte Stadt Köln de nahmen, ihren Alltag gestalteten, »ein rich Himmler in Auschwitz am 17. und 18. er dennoch an den Fortschritt, dann trieben Leben aufs neu« wagten. Als Ephraim Ro- Juli 1942 angefertigt wurden. Die Bildebene ihn die Nationalsozialisten für 13 Jahre ins binson 1958 in den USA verstarb – in die erzählt also durchgängig die Tätergeschich- Exil. Als Generalstaatsanwalt hat er das er zehn Jahre zuvor eingewandert war –, te, der Blick auf die Fabrik und damit die überkommene Bild dieses Amtes revoluti- hinterließ er nicht nur viele hunderte Auf- Technik stehen im Vordergrund. Die Text- oniert. Nicht der Gehorsam der Bürger ge- nahmen, sondern auch ein Album, das die ebene hingegen wird durch die Erzählung genüber dem Staat stand im Vordergrund. Geschichte der jüdischen DPs in exempla- der Überlebenden bestimmt. Bauer verstand sich stets als Vertreter der rischer Weise erzählt. Die Ausstellung ist als Montage im Menschenwürde vor allem auch gegen staat- Über das vertraut erscheinende Medi- fi lmischen Sinn angelegt. Der Betrachter liche Gewalt – ein großer Schritt auf dem um des Albums führt die Ausstellung in ein sucht sich die Erzählung selbst aus den Ein- Weg der Demokratisierung in der frühen den meisten Menschen unbekanntes und von zelstücken zusammen. Um diese Suche zu Bundesrepublik. Zur Ausstellung sind erschienen: vielen verdrängtes Kapitel der deutschen unterstützen, werden in Heftern Quellentex- Fritz Backhaus, Monika Boll, Raphael Gross und jüdischen Nachkriegsgeschichte ein: te angeboten, die eine vertiefende Lektüre Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts (Hrsg.) Fritz Bauer. Der Staatsanwalt Fotografi en von Familienfeiern und Schul- ermöglichen. Dazu bietet das Fritz Bauer und des Jüdischen Museums Frankfurt am NS-Verbrechen vor Gericht unterricht, Arbeit in den Werkstätten, Sport Institut einen Reader zur Vorbereitung auf Main. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2014, 300 S., zahlr. Abb., € 29,90 und Feste, Zeitungen und Theater, zionisti- die Ausstellung an. Die Ausstellung steht unter der Schirm- ISBN: 978-3-5935-0105-5 sche Vorbereitungen auf ein Leben in Paläs- herrschaft des Bundespräsidenten Joachim Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts, Band 32 tina – Manifestationen eines »lebn afs nay«, Ausstellungsrealisation Gauck. Sie wird gefördert durch die Stiftung Konzept: Gottfried Kößler; Recherche: Werner Renz; Fritz Bauer Institut (Hrsg.) das den Schrecken nicht vergessen macht. Gestaltung: Werner Lott Polytechnische Gesellschaft, die Hamburger Redaktion: Bettina Schulte Strathaus Unterstützt von der Conference on Jewish Material Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Fritz Bauer. Gespräche, Interviews und Reden Ausstellungsexponate Claims Against Germany, New York. Kultur, das Bundesministerium der Justiz und aus den Fernseharchiven 1961‒1968 › Albumseiten mit Texten (64 Rahmen, 40 x 49 cm) für Verbraucherschutz, das Hessische Minis- Absolut MEDIEN, Berlin 2014, Dokumente 4017 › Porträtfotos (34 Rahmen, 40 x 49 cm) Ausstellungsexponate 2 DVDs, 298 Min., s/w, € 19,90 › Ergänzende Bilder (15 Rahmen, 40 x 49 cm) › 57 Rahmen (Format: 42 x 42 cm) terium der Justiz, für Integration und Euro- ISBN: 978-3-8488-4017-5 › Erklärungstafeln (13 Rahmen, 24 x 33 cm) › ein Lage plan des Lagers Buna/Monowitz pa, die Georg und Franziska Speyer’sche www.absolutmedien.de › Titel und Quellenangaben (7 Rahmen, 24 x 33 cm) › ein Lage plan der Stadt Oświęcim Hochschulstiftung, die Fazit-Stiftung sowie www.fritz-bauer-institut.de/ein-leben-aufs-neu.html www.fritz-bauer-institut.de/ig-farben.html Christiane und Nicolaus Weickert. www.fritz-bauer-institut.de/fritz-bauer-ausstellung.html

106 Ausstellungsangebote Einsicht 15 Frühjahr 2016 107 Werner Konitzer und Raphael Gross (Hrsg.) Werner Renz (Hrsg.) Moralität des Bösen Wissenschaftliche Reihe Interessen um Eichmann Schriftenreihe Publikationen Ethik und nationalsozialistische Verbrechen Israelische Justiz, deutsche Strafverfolgung und alte Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2009, Kameradschaften des Fritz Bauer Instituts 272 S., € 29,90, EAN 978-3-59339021-5; Claudia Fröhlich Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012, Hanno Loewy (Hrsg.) Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2009, Band 13 Wider die Tabuisierung des Ungehorsams 332 S., € 34,90, EAN 9783593397504 Holocaust. Die Grenzen des Verstehens Fritz Bauers Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung Wissenschaftliche Reihe, Band 20 Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte Ulrich Wyrwa (Hrsg.) von NS-Verbrechen Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1992, 256 S., Einspruch und Abwehr Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2006, Katharina Stengel: € 9,60, ISBN 3-499-19367-1; Die Reaktion des europäischen Judentums auf die 430 S., € 39,90, ISBN 3-593-37874-4 Hermann Langbein Schriftenreihe, Band 2 Entstehung des Antisemitismus (1879–1914) Wissenschaftliche Reihe, Band 13 Ein Auschwitz-Überlebender in den erinnerungs- Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010, politischen Konfl ikten der Nachkriegszeit Oskar Rosenfeld 372 S., € 29,90, EAN 978-3-593-39278-3; Thomas Horstmann, Heike Litzinger (Hrsg.) Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012, Wozu noch Welt Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2010, Band 14 An den Grenzen des Rechts 635 S., € 34,90, EAN 9783593397887 Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz Gespräche mit Juristen über die Verfolgung von Wissenschaftliche Reihe, Band 21 Hrsg. von Hanno Loewy. Verlag Neue Kritik, Liliane Weissberg (Hrsg.) NS-Verbrechen Frankfurt am Main, 1994, 324 S., € 25,–, Affi nität wider Willen? Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2006, Raphael Gross, Werner Renz (Hrsg.) ISBN 3-8015-0272-4; Hannah Arendt, Theodor W. Adorno und die 233 S., € 19,90, ISBN 3-593-38014-5 Der Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) Schriftenreihe, Band 7 Frankfurter Schule Wissenschaftliche Reihe, Band 14 Kommentierte Quellenedition Das Fritz Bauer Institut ver- Jahrbuch zur Geschichte Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, Martin Paulus, Edith Raim, Gerhard Zelger (Hrsg.) öffentlicht mehrere Publika- und Wirkung des Holocaust 236 S., 18 Abb., € 24,90, EAN 978-3-593-39490-9; Katharina Stengel (Hrsg.) 1.398 S., Hardcover, gebunden, Edition in zwei Ein Ort wie jeder andere tionsreihen, darunter das Jahrbuch und die Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2011, Band 15 Vor der Vernichtung Teilbänden, € 78,–, EAN 9783593399607 Bilder aus einer deutschen Kleinstadt. Die staatliche Enteignung der Juden im Wissenschaftliche Reihe, Band 22 Landsberg am Lech 1923–1958 Wissenschaftliche Reihe, jeweils im Cam- Fritz Bauer Institut, Sybille Steinbacher (Hrsg.) Nationalsozialismus Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1995, 224 S., pus Verlag, und die Schriftenreihe, die in Fritz Bauer Institut (Hrsg.) Holocaust und Völkermorde Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2007, Jörg Osterloh, Harald Wixforth (Hrsg.) 168 Abb., € 15,–, ISBN 3-499-19913-0; verschiedenen Verlagen erscheint. Daneben Gesetzliches Unrecht Die Reichweite des Vergleichs 336 S., € 24,90, EAN 978-3-593-38371-2 Unternehmer und NS-Verbrechen Schriftenreihe, Band 9 gibt es Publikationsreihen, die im Eigenver- Rassistisches Recht im 20. Jahrhundert Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012, Wissenschaftliche Reihe, Band 15 Wirtschaftseliten im »Dritten Reich« und in der Hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Micha 248 S., € 24,90, EAN 9783593397481 Bundesrepublik Deutschland Knut Dethlefsen, Thomas B. Hebler (Hrsg.) lag verlegt sind, darunter die Pädagogischen Brumlik, Susanne Meinl und Werner Renz. Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2012, Band 16 Christoph Jahr Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag 2014, Bilder im Kopf / Obrazy w glowie Materialien und die Reihe Konfrontationen. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2005, Antisemitismus vor Gericht 416 S., € 34,90, EAN 9783593399799 Auschwitz – Einen Ort sehen Video-Interviews, Ausstellungskataloge und 244 S., € 24,90, ISBN 3-593-37873-6; Fritz Bauer Institut, Katharina Rauschenberger (Hrsg.) Debatten über die juristische Ahndung judenfeindli- Wissenschaftliche Reihe, Band 23 Oswiecim – Ujecia pewnego miejsca andere Einzelveröffentlichungen ergänzen Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2005, Band 9 Rückkehr in Feindesland? cher Agitation in Deutschland (1879–1960) Edition Hentrich, Berlin, 1996, 146 S., 134 Abb., Fritz Bauer in der deutsch-jüdischen Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011, Katharina Rauschenberger, Werner Renz (Hrsg.) € 9,90, ISBN 3-89468-236-1 das Publikations-Portfolio des Instituts. Fritz Bauer Institut, Nachkriegsgeschichte 476 S., € 39,90, EAN 978-3-593-39058-1 Henry Ormond – Anwalt der Opfer Schriftenreihe, Band 12 Eine komplette Aufl istung aller bisher Jugendbegegnungsstätte Anne Frank (Hrsg.) Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, Wissenschaftliche Reihe, Band 16 Plädoyers in NS-Prozessen erschienenen Publikationen des Fritz Bau- Neue Judenfeindschaft? 240 S., € 29,90, EAN 9783593399805 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015, Hanno Loewy, Andrzej Bodek (Hrsg.) er Instituts fi nden Sie auf unserer Website: Perspektiven für den pädagogischen Umgang mit dem Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2013, Band 17 Wolf Gruner, Jörg Osterloh (Hrsg.) 364 S., 27 Abb., € 34,90, EAN 978-3-593-50282-3 »Les Vrais Riches« – Notizen am Rand globalisierten Antisemitismus Das »Großdeutsche Reich« und die Juden Wissenschaftliche Reihe, Band 24 Ein Tagebuch aus dem Ghetto Lodz www.fritz-bauer-institut.de Hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Fritz Bauer Institut, Werner Konitzer (Hrsg.) Nationalsozialistische Verfolgung in den (Mai bis August 1944) von Bernd Fechler, Gottfried Kößler, Moralisierung des Rechts »angegliederten« Gebieten Werner Renz (Hrsg.) Reclam Verlag, Leipzig, 1997, 165 S., € 9,20, Bestellungen bitte an die Astrid Messerschmidt und Barbara Schäuble. Kontinuitäten und Diskontinuitäten Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010, »Von Gott und der Welt verlassen« ISBN 3-379-01582 Karl Marx Buchhandlung GmbH Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2006, nationalsozialistischer Normativität 438 S., , € 39,90, EAN 978-3-593-39168-7 Fritz Bauers Briefe an Thomas Harlan Schriftenreihe, Band 13 378 S., € 29,90, ISBN 978-3-593-38183-1; Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2014, Wissenschaftliche Reihe, Band 17 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Publikationsversand Fritz Bauer Institut Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2006, Band 10 248 S., € 29,90, EAN 99783593501680 300 S., gebunden, 24 s/w-Fotos, € 29,90 Margrit Frölich, Hanno Loewy, Jordanstr. 11, 60486 Frankfurt am Main Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2014, Band 18 Micha Brumlik, Karol Sauerland (Hrsg.) EAN 978-3-593-50468-1 Heinz Steinert (Hrsg.) Tel.: 069.778 807, Fax: 069.707 739 9 Fritz Bauer Institut (Hrsg.) Umdeuten, verschweigen, erinnern Wissenschaftliche Reihe, Band 25 Lachen über Hitler – Auschwitz Gelächter? [email protected] Zeugenschaft des Holocaust Katharina Rauschenberger, Werner Konitzer (Hrsg.) Die späte Aufarbeitung des Holocaust in Osteuropa Filmkomödie, Satire und Holocaust Zwischen Trauma, Tradierung und Ermittlung Antisemitismus und andere Feindseligkeiten Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010, Birgit Erdle, Werner Konitzer (Hrsg.) München: Edition text + kritik im Richard Boorberg www.karl-marx-buchhandlung.de Hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Interaktionen von Ressentiments 257 S., € 29,90, EAN 978-3-593-39271-4 Theorien über Judenhass – eine Denkgeschichte Verlag, 2003, 386 S., 40 s/w Abb., € 27,50, von Michael Elm und Gottfried Kößler. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Wissenschaftliche Reihe, Band 18 Kommentierte Quellenedition (1781–1931) ISBN 3-88377-724-2 Liefer- und Zahlungsbedingungen Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2007, 197 S., kartoniert, € 29,90, EAN 978-3-593-50469-8 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Schriftenreihe, Band 19 Lieferung auf Rechnung. Die Zahlung ist sofort fällig. 286 S., € 24,90, EAN 978-3-593-38430-6; Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2015, Band 19 Ronny Loewy, Katharina Rauschenberger (Hrsg.) 361 S., gebunden, € 39,90, EAN 978-3-593-50470-4 Bei Sendungen innerhalb Deutschlands werden ab Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2007, Band 11 »Der Letzte der Ungerechten« Wissenschaftliche Reihe, Band 26 Barbara Thimm, Gottfried Kößler, einem Bestellwert von € 50,– keine Versandkosten be- Das Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Der Judenälteste Benjamin Murmelstein in Susanne Ulrich (Hrsg.) rechnet. Unter einem Bestellwert von € 50,– betragen Katharina Stengel und Werner Konitzer (Hrsg.) Holocaust erscheint mit freundlicher Unterstützung Filmen 1942–1975 Isabell Trommer Verunsichernde Orte die Versandkosten pauschal € 3,– pro Sendung. Für Opfer als Akteure des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011 Rechtfertigung und Entlastung Selbstverständnis und Weiterbildung in der Lieferungen ins Ausland (Land-/Seeweg) werden Ver- Interventionen ehemaliger NS-Verfolgter in der Mitglieder des Fördervereins können das aktuelle 208 S., 36 Abb., € 24,90 Albert Speer in der Bundesrepublik Deutschland Gedenkstättenpädagogik sandkosten von € 5,– pro Kilogramm Versandgewicht Nachkriegszeit Jahrbuch zum reduzierten Preis von € 23,90 EAN 978-3-593-39491-6 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2016, Frankfurt am Main: Brandes & Apsel Verlag, 2010, in Rechnung gestellt. Besteller aus dem Ausland erhal- Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2008, (inkl. Versandkosten) im Abonnement beziehen. Wissenschaftliche Reihe, Band 19 320 S., gebunden, € 34,90, EAN 9783593505299 208 S., € 19,90; ISBN 978-3-86099-630-0 ten eine Vorausrechnung (bei Zahlungseingang wird 308 S., € 29,90, EAN 978-3-593-38734-5; Wissenschaftliche Reihe, Band 27 Schriftenreihe, Band 21 das Paket versendet). Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2008, Band 12

108 Publikationen Einsicht 15 Frühjahr 2016 109 Jaroslava Milotová, Zlatica Zudová-Lešková, Beck`sche Reihe: bsr – C.H. Beck Wissen; 2782 Jiří Kosta (Hrsg.): ISBN 978-3-406-65470-1; Schriftenreihe, Band 31 Reihe »Konfrontationen« Zeitzeugen-Videos auf DVD DVD/DVD-ROM Sonstige Veröffentlichungen Tschechische und slowakische Juden im Eine Publikation des Leo Baeck Institute London Bausteine für die pädagogische Annäherung Widerstand 1938–1945 an Geschichte und Wirkung des Holocaust Metropol Verlag, Berlin, 2008, 272 S., € 19,–, Fritz Backhaus, Monika Boll, Raphael Gross (Hrsg.) Die Video-Interviews sind für die pädagogische Arbeit Veröffentlichung elektronischer Medien des Fritz Bauer Kersten Brandt, Hanno Loewy, Krystyna Oleksy (Hrsg.) ISBN 978-3-940938-15-2 Fritz Bauer. Der Staatsanwalt mit Zeitzeugenaussagen konzipiert. Sie sind für den Ein- Institut und Veröffentlichungen, die mit Unterstützung Vor der Auslöschung… Schriftenreihe, Band 22 NS-Verbrechen vor Gericht satz in der Schule (ab Klasse 8), der Erwachsenenbil- des Fritz Bauer Instituts erschienen sind. Fotografi en gefunden in Auschwitz Gottfried Kößler, Petra Mumme Begleitband zur Ausstellung des Fritz Bauer Instituts dung, der Lehrerfortbildung und der außerschulische Bil- Hrsg. im Auftrag des Staatlichen Museums Auschwitz- Identität Irmtrud Wojak und des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, in dungsarbeit geeignet. Die DVD-Reihe wird fortgeführt. Fritz Bauer Institut und Staatliches Museum Birkenau. Gina Kehayoff Verlag, München, 2001, › Individuum und Gesellschaft Fritz Bauer 1903–1968 Kooperation mit dem Thüringer Justizministerium Auschwitz-Birkenau (Hrsg.): 2. überarb. Aufl ., Bildband, 492 S., ca. 2.400 Farbabb. › Anfänge des Nationalsozialismus Eine Biographie Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2014, »Ich habe immer ein bisschen Sehnsucht und Der Auschwitz-Prozess und Textband, 158 S., € 124,95; ISBN 3-934296-13-0 Frankfurt am Main, 2000, 56 S., ISBN 3-932883-25-X Verlag C.H. Beck, München, 2009, 24 Abb., 638 S., 300 S., zahlr. Abb., € 29,90 Heimweh …« Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente Konfrontationen Heft 1 € 34,–, ISBN 978-3-406-58154-0; ISBN: 978-3-5935-0105-5 Marianne Schwab, geboren 1919 in Bad Homburg, DVD-ROM, ca. 80.000 S. Hrsg. von Irmtrud Wojak Schriftenreihe, Band 23 Schriftenreihe, Band 32 Öffentlicher Vortrag 1992 Berlin: Directmedia Verlag, 2004, im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Jacqueline Giere, Gottfried Kößler Broschierte Sonderausgabe 2011: Die Digitale Bibliothek 101, € 45,– Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main Gruppe Verlag C.H. Beck, München, 2011, € 28,– Martin Liepach, Wolfgang Geiger: »Meine Eltern haben mir den Abschied leicht ISBN 3-89853-501-0 Katalog zur gleichnamigen historisch-dokumentari- › Gemeinschaft und Ausschluss ISBN 978-3-406-62392-9 Fragen an die jüdische Geschichte gemacht« Eine Neuaufl age der DVD ist für € 19,90 (zzgl. schen Ausstellung des Fritz Bauer Instituts › Volksgemeinschaft und Verfolgung von Minderheiten Neuausgabe 2016: Darstellungen und didaktische Herausforderungen Dorothy Baer, geboren 1923 in Frankfurt am Main Versand) zu beziehen über: www.versand-as.de Snoeck Verlag, Köln, 2004, 872 S., 100 farb. und Frankfurt am Main, 2001, 56 S., ISBN 3-932883-26-8 Buxus Edition, München, 2016 Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag, 2014, Interview 1992 800 s/w Abb., € 49,80, ISBN 3-936859-08 Konfrontationen Heft 2 614 S., € 28,– (zuz. € 4,50 Versand) Reihe Geschichte unterrichten, 192 S., € 19,80 Hessischer Rundfunk (Hrsg.) Bestelladresse: [email protected] ISBN: 978-3-7344-0020-9 »…dass wir nicht erwünscht waren« Der große Raub (D 2002) Fritz Bauer Institut und Staatliches Museum Heike Deckert-Peaceman, Uta George, Petra Mumme Der Versand erfolgt gegen Rechnung. Schriftenreihe, Band 33 Martha Hirsch, geboren 1918 in Frankfurt am Main, Wie in Hessen die Juden ausgeplündert wurden Auschwitz- Birkenau (Hrsg.): Ausschluss und Erwin Hirsch, geboren in Straßburg Ein Film von Henning Burk und Dietrich Wagner, Der Auschwitz-Prozess › Voraussetzungen und Zusammenhänge des Joachim Perels (Hrsg.) Interview 1993 Hrsg. in wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente Ausschlusses von Minderheiten aus der Auschwitz in der deutschen Geschichte dem Fritz Bauer Institut DVD-ROM, ca. 80.000 S., Directmedia Verlag, NS-Volksgemeinschaft Offi zin-Verlag, Hannover, 2010, 258 S., »Rollwage, wann willst Du endlich aufwachen?« DVD zur Ausstellung »Legalisierter Raub. Der Fiskus Berlin, 2004, Digitale Bibliothek, Band 101, € 45,– › NS-»Euthanasie«-Verbrechen ISBN 978-3930345724, € 19,80; Erinnerungen an die Kinderlandverschickung und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933– ISBN 978-3-89853-801-5. › Verfolgung schwarzer Deutscher in der NS-Zeit Schriftenreihe, Band 25 1940–1945 1945« des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Eine Neuaufl age der DVD ist für € 10,– (zzgl. Versand) Pädagogische Materialien › Der Weg zum Völkermord an den Sinti und Roma Herbert Rollwage, geboren 1929 in Hamburg Rundfunks zu beziehen bei Versand-AS, Berlin: www.versand-as.de Frankfurt am Main, 2003, 80 S., ISBN 3-932883-27-6 Raphael Gross des Pädagogisches Zentrums des Fritz Bauer Ausschnitte aus einem Gespräch im Rahmen eines DVD, hr media, 2007, 45 Min., € 10,– Konfrontationen Heft 3 Anständig geblieben Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt Seminars des Fritz Bauer Instituts 1996 ISBN 978-3-89844-311-1 Eine Rettergeschichte. Arbeitsvorschläge zum Film Nationalsozialistische Moral »Schindlers Liste« Uta Knolle-Tiesler, Gottfried Kößler, Oliver Tauke Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 2010, 288 S., »Returning from Auschwitz« Fritz Bauer Institut (Hrsg.) Pädagogisches Begleitheft zum Oskar und Emile Ghetto € 19,95, ISBN 978-3-10-028713-7; Bernhard Natt, geboren 1919 in Frankfurt am Main Fritz Bauer Schindler Lernzentrum im Museum Judengasse Mirjam Thulin › Vernichtung durch Arbeit: das Ghetto Lodz Schriftenreihe, Band 26 Interview 1999 Gespräche, Interviews und Reden aus den Frankfurt am Main Von Frankfurt nach Tel Aviv › Theresienstadt – ein »Musterghetto«? Fernseharchiven 1961‒1968 Hrsg.: Jüdisches Museum Frankfurt und Fritz Bauer Die Geschichte der Erna Goldmann › Der jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto Rolf Pohl, Joachim Perels (Hrsg.) Ein Leben zwischen Konzentrations-lager und Redaktion: Bettina Schulte Strathaus Institut. Texte ausgewählt und bearbeitet von Gottfried Materialheft zum Filmporträt Frankfurt am Main, 2002, 88 S., ISBN 3-932883-28-4 Normalität der NS-Täter? Dorfgemeinschaft Erstveröffentlichung historischer Fernsehaufnahmen Kößler und Martin Liepach. Pädagogische Schriften- Redaktion: Gottfried Kößler, Manfred Levy Konfrontationen Heft 4 Eine kritische Auseinandersetzung Ruth Lion, geboren 1909 in Momberg (Hessen) anlässlich der Ausstellung des Fritz Bauer Instituts reihe des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Frankfurt am Main, 2012, 48 S., € 5,– Hannover: Offi zin Verlag, 2011, 148 S., € 14,80 Interview 1998 und des Jüdischen Museums Frankfurt: »Fritz Bauer. Band 5. Frankfurt am Main 2005, DIN-A 4 Broschüre, ISBN 978-3-932883-34-7 Verena Haug, Uta Knolle-Tiesler, Gottfried Kößler ISBN 978-3-930345-71-7 Der Staatsanwalt – NS-Verbrechen vor Gericht« 28 S., € 4,– (zzgl. Versand), ISBN 3-9809814-1-X. Pädagogische Materialien Nr. 01 Deportationen Schriftenreihe, Band 27 Kindheit und Jugend im Frankfurter Ostend Absolut MEDIEN, Berlin 2014, Dokumente 4017 Zu beziehen: www.juedischesmuseum.de/408.html › Leben zwischen Novemberpogrom und Deportation 1925–1941 2 DVDs, 298 Min., s/w, € 19,90 Wolfgang Geiger, Martin Liepach, Thomas Lange › Ausplünderung Monika Boll und Raphael Gross (Hrsg.) Norbert Gelhardt, geboren 1925 in Frankfurt am Main, ISBN: 978-3-8488-4017-5 Dmitrij Belkin, Raphael Gross (Hrsg.) (Hrsg.) › Verschleppung »Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können« Interview 2000 http://absolutmedien.com/fi lm-1565 Ausgerechnet Deutschland! Verfolgung, Flucht, Widerstand und Hilfe Mit einem Beitrag von Peter Longerich: Deportatio- Jüdische Intellektuelle in Deutschland nach 1945 Jüdisch-russische Einwanderung in die Bundesrepublik außerhalb Europas im Zweiten Weltkrieg nen. Ein historischer Überblick. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2013, »Heim ins Reich« Fritz Bauer Institut, Absolut MEDIEN (Hrsg.) Essayband zur Ausstellung des Jüdischen Museums Unterrichtsmaterialien zum Ausstellungsprojekt Frankfurt am Main, 2003, 64 S., ISBN 3-932883-24-1 384 S., € 14,99, ISBN: 978-3-596-18909-0 Margarethe Eichberger, geb. Drenger; geboren 1926 Auschwitz vor Gericht (D 2013) Frankfurt. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin, »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« Konfrontationen Heft 4 Schriftenreihe, Band 28 im Baltikum (heute Lettland), Strafsache 4 Ks 2/63 (D 1993) 2010, 192 S., 100 farb. Abb., € 24,95, Frankfurt am Main, 2013, 76 S., € 7,– Interview 2001 Zwei Dokumentationen ISBN 978-3-89479-583-2 ISBN 978-3-932883-35-4 Jacqueline Giere, Tanja Schmidhofer Fritz Backhaus, Dmitrij Belkin, Raphael Gross (Hrsg.): von Rolf Bickel und Dietrich Wagner Pädagogische Materialien Nr. 02 Todesmärsche und Befreiung Bild dir dein Volk! Die DVDs können entliehen werden über: DVD-Booklet mit einem einführenden Text von Fritz Backhaus, Liliane Weissberg, › Todesmärsche Axel Springer und die Juden Medienzentrum Frankfurt e.V., Ostbahnhofstr. 15, Werner Renz, Fritz Bauer Institut Raphael Gross (Hrsg.) Dagi Knellessen › Befreiung der Lager Göttingen: Wallstein Verlag, 2012, 224 S., 64 überw. 60314 Frankfurt am Main, Tel.:. 069.949424-0, Extras der DVD-ROM: ergänzende Texte und Juden. Geld. Eine Vorstellung Novemberpogrome 1938 › »Ein Leben auf’s Neu« – farb. Abb., € 19,90, ISBN: 978-3-8353-1081-0 [email protected] Materialien zum Auschwitz-Prozess (pdf-Dateien), Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Jüdischen »Was unfassbar schien, ist Wirklichkeit« Jüdische Displaced Persons 1945 bis 195 Schriftenreihe, Band 29 www.medienzentrum-frankfurt.de zusammengestellt von Werner Renz. Museums Frankfurt und des Fritz Bauer Instituts. Mit einem Vorwort von Raphael Gross Frankfurt am Main, 2003, 56 S., ISBN 3-932883-29-2 Die DVDs können erworben werden (€ 5,– plus Versand- Absolut MEDIEN, Berlin 2014, Dokumente 4021 Ausstellung vom 25. April bis 6. Oktober 2013 im Redaktion: Gottfried Kößler Konfrontationen Heft 6 Raphael Gross kosten), Bestelladresse: Karl Marx Buchhandlung, Regie: Rolf Bickel und Dietrich Wagner (hr) Jüdischen Museum Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 2015, 116 S., € 10,– November 1938 Jordanstraße 11, 60486 Frankfurt am Main, 2 DVDs, PAL, Mono, codefree, 4:3, Farbe + s/w, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, IBAN 978-3-932883-36-1 Alle Hefte der »Konfrontationen«-Reihe sind zum Die Katastrophe vor der Katastrophe Tel.: 069.778807, [email protected] 220 Min., € 24,90, EAN: 978-3-8488-4021-2 436 S., zahlr. Abb., € 19,90 Pädagogische Materialien Nr. 03 Preis von € 7,60 (ab 10 Hefte € 5,10) erhältlich. München: Verlag C. H. Beck, 2013, 128 S., € 8,95 www.karl-marx-buchhandlung.de http://absolutmedien.com/fi lm-1569 ISBN 978-3-59339-923-2

110 Publikationen Einsicht 15 Frühjahr 2016 111 Impressum Fördern Sie mit uns das Nachdenken

Kontakt: über den Fritz Bauer Institut Norbert-Wollheim-Platz 1 Holocaust D-60323 Frankfurt am Main Telefon: +49 (0)69.798 322-40 Telefax: +49 (0)69.798 322-41 [email protected] www.fritz-bauer-institut.de

Besuchen Sie uns auch auf facebook: Generalstaatsanwalt Fritz Bauer www.facebook.com/fritz.bauer.institut Foto: Schindler-Foto-Report

Bankverbindung: Frankfurter Sparkasse SWIFT/BIC: HELADEF1822 Einsicht 15 IBAN: DE91 5005 0201 0000 3219 01 Fünfzig Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ist am 13. Vorstand des Fördervereins Bulletin des Steuernummer: 45 250 8145 5 - K19 Januar 1995 in Frankfurt am Main die Stiftung »Fritz Bauer Institut, Jutta Ebeling (Vorsitzende), Brigitte Tilmann (stellvertretende Vor- Finanzamt Frankfurt am Main III Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung sitzende), Gundi Mohr (Schatzmeisterin), Prof. Dr. Eike Hennig Fritz Bauer Instituts des Holocaust« gegründet worden – ein Ort der Ausein-andersetzung (Schriftführer), Beate Bermanseder, Dr. Rachel Heuberger, Herbert Redaktion: Werner Konitzer (V.i.S.d.P.), unserer Gesellschaft mit der Geschichte des Holocaust und seinen Mai, Klaus Schilling, David Schnell (Beisitzer/innen) Frühjahrsausgabe, April 2016 Werner Lott, Jörg Osterloh, Katharina Auswirkungen bis in die Gegenwart. Das Institut trägt den Namen 8. Jahrgang Rauschenberger, Werner Renz Fritz Bauers, des ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts und Fördern Sie mit uns das Nachdenken über den Holocaust ISSN 1868-4211 Anzeigenredaktion: Dorothee Becker Initiators des Auschwitz-Prozesses 1963 bis 1965 in Frankfurt am Der Förderverein ist eine tragende Säule des Fritz Bauer Instituts. Lektorat: Gerd Fischer Main. Ein mitgliederstarker Förderverein setzt ein deutliches Signal bürger- Titelabbildung: Gestaltung/Layout: Werner Lott schaftlichen Engagements, gewinnt an politischem Gewicht im Stif- Armenische Bevölkerung fl ieht vor Herstellung: Vereinte Druckwerke Aufgaben des Fördervereins tungsrat und kann die Interessen des Instituts wirkungsvoll vertreten. türkischen Massakern in Anatolien, 1915. Frankfurt am Main Der Förderverein ist im Januar 1993 in Frankfurt am Main gegrün- Zu den zahlreichen Mitgliedern aus dem In- und Ausland gehören Foto: ullstein bild – Pictures from History Erscheinungsweise: zweimal jährlich det worden. Er unterstützt die wissenschaftliche, pädagogische und engagierte Bürgerinnen und Bürger, bekannte Persönlichkeiten des (April/Oktober) dokumentarische Arbeit des Fritz Bauer Instituts und hat durch das öffentlichen Lebens, aber auch Verbände, Vereine, Institutionen und Aufl age: 5.500 ideelle und fi nanzielle Engagement seiner Mitglieder und zahlreicher Unternehmen sowie zahlreiche Landkreise, Städte und Gemeinden. Spender wesentlich zur Gründung der Stiftung beigetragen. Der Manuskriptangebote: Verein sammelt Spenden für die laufende Arbeit des Instituts und Werden Sie Mitglied! Textangebote zur Veröffentlichung in die Erweiterung des Stiftungsvermögens. Er vermittelt einer breiten Jährlicher Mindestbeitrag: € 60,– / ermäßigt: € 30,– Einsicht. Bulletin des Fritz Bauer Instituts Öffentlichkeit die Erkenntnisse, die das Institut im universitären Raum Unterstützen Sie unsere Arbeit durch eine Spende! bitte an die Redaktion. Die Annahme mit hohen wissenschaftlichen Standards erarbeitet hat. Er schafft Frankfurter Sparkasse, SWIFT/BIC: HELADEF1822 von Beiträgen erfolgt auf der Basis einer neue Kontakte und stößt gesellschaftliche Debatten an. IBAN: DE43 5005 0201 0000 3194 67 Begutachtung durch die Redaktion. Für Für die Zukunft gilt es – gerade auch bei zunehmend knapper wer- Werben Sie neue Mitglieder! unverlangt eingereichte Manuskripte, denden öffentlichen Mitteln –, die Projekte und den Ausbau des Informieren Sie Ihre Bekannten, Freunde und Kollegen über die Fotos und Dokumente übernimmt das Fritz Bauer Instituts weiter zu fördern, seinen Bestand langfristig Möglichkeit, sich im Förderverein zu engagieren. Gerne senden wir Fritz Bauer Institut keine Haftung. zu sichern und seine Unabhängigkeit zu wahren. Ihnen weitere Unterlagen mit Informationsmaterial zur Fördermit- gliedschaft und zur Arbeit des Fritz Bauer Instituts zu. Copyright: Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust © Fritz Bauer Institut Seit 1996 erscheint das vom Fritz Bauer Institut herausgegebene QR-Code: Förderverein Link zu allen bisher Stiftung bürgerlichen Rechts Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust im Campus Fritz Bauer Institut e.V. erschienenen Ausgaben Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur Verlag. In ihm werden herausragende Forschungsergebnisse, Reden von Einsicht. Bulletin mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. und Kongressbeiträge zur Geschichte und Wirkungsgeschichte des Norbert-Wollheim-Platz 1 des Fritz Bauer Instituts Holocaust versammelt, welche die internationale Diskussion über 60323 Frankfurt am Main als pdf-Dateien. [fritz-bauer-institut.de/ Einsicht erscheint mit Unterstützung des Ursachen und Folgen der nationalsozialistischen Massenverbrechen Telefon: +49 (0)69.798 322-39 einsicht.html] Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. refl ektieren und bereichern sollen. Telefax: +49 (0)69.798 322-41 Mitglieder des Fördervereins können das Jahrbuch des Fritz Bauer [email protected] Instituts zum Vorzugspreis im Abonnement beziehen. www.fritz-bauer-institut.de 112 Impressum NEUERSCHEINUNGEN FRÜHJAHR 2016 METROPOL VERLAG | ANSBACHER STR. 70 | 10777 BERLIN T: (030) 23 00 46 23 | F: (030) 2 65 05 18 | M: [email protected]

GÖTZEN Oliver von Wrochem (Hrsg.) Konzentrationslager. Studien zur International Holocaust Remembrance Alliance (Ed.) Die Autobiografie von Adolf Eichmann unter Mitarbeit von Christine Eckel Geschichte des NS-Terrors , Heft 1 Herausgegeben und kommentiert von Detlef Garbe · Günter Morsch (Hrsg.) BYSTANDERS, RESCUERS OR Raphael Ben Nescher NATIONALSOZIALISTISCHE PERPETRATORS? TÄTERSCHAFTEN KRIEGSENDVERBRECHEN ZWISCHEN The Neutral Countries and the Shoah ISBN: 978-3-86331-291-6 Nachwirkungen in Gesellschaft und Familie UNTERGANGSCHAOS UND 557 Seiten · Hardcover · 39,00 Euro VERNICHTUNGSPROGRAMM ISBN: 978-3-86331-287-9 ISBN: 978-3-86331-277-0 336 Seiten · 19,00 Euro 1960 wird Adolf Eichmann vom israelischen Geheim- 535 Seiten · 24,00 Euro ISBN: 978-3-86331-282-4 dienst in Argentinien entführt, nach Israel gebracht 167 Seiten · 16,00 Euro The volume offers a trans-national, comparative per- und dort vor Gericht gestellt. Im Gefängnis verfasst er Der Sammelband bündelt mit 34 Beiträgen Forschungs- spective on the varied reactions of the neutral countries seine Memoiren »Götzen«, ein Täterzeugnis, in dem ergebnisse der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu NS- Die im Auftrag der AG der KZ-Gedenkstätten heraus- to the Nazi persecution and murder of the European der millionenfache Mord nicht geleugnet, aber gerecht- Täterschaft und ihren Folgen. Neben wissenschaftli- gegebene Zeitschrift versteht sich als Forum zur Erfor- Jews. It examines the often ambivalent policies of these fertigt wird. Die umfassend kommentierte Edition gibt chen Artikeln sind Berichte von Täter-Nachkommen schung der NS-Zwangslager, das allen mit dem La- states towards Jewish refugees as well as towards their Einblick in das Denken eines Mannes, der eifrig und enthalten, die ihre Sicht auf die Wirkungen in Familie gersystem und seiner Nachgeschichte verbundenen own Jewish nationals living in German-occupied coun- pfl ichtbewusst eine zentrale Rolle bei der Durchfüh- und Gesellschaft darlegen. Die beiliegende DVD ver- Themen Raum geben und die Debatte über den Natio- tries. By breaking down persistent myths, it contributes rung des Massenmordes eingenommen hat. sammelt zehn fi lmische Porträts, in denen Kinder und nalsozialismus und staatliche Massengewalt im 20. to a more nuanced understanding of an under-researched Enkel von NS-Tätern von ihrer Auseinandersetzung mit Jahrhundert anregen möchte. Heft 1 befasst sich mit chapter of Holocaust history. Täterschaft in der Familie erzählen. der Endphase des NS-Regimes, die mit einer kaum noch für möglich gehaltenen Steigerung von Terror und Gewalt einherging.

Günter Morsch (Hrsg.) Insa Eschebach · Katharina Zeiher (Hrsg.) Verena Haug Mendel Szajnfeld

DIE KONZENTRATIONSLAGER-SS RAVENSBRÜCK 1945 – DER LANGE AM »AUTHENTISCHEN« ORT ERZÄHL, WAS MIT UNS 1936–1945: EXZESS- UND DIREKTTÄTER WEG ZURÜCK INS LEBEN Paradoxien der Gedenkstättenpädagogik GESCHEHEN IST! IM KZ SACHSENHAUSEN Ausstellungskatalog Erinnerungen an den Holocaust Eine Ausstellung am historischen Ort ISBN: 978-3-86331-267-1 ISBN: 978-3-86331-270-1 320 Seiten · 22,00 Euro ISBN: 978-3-86331-275-6 ISBN: 978-3-86331-288-6 264 Seiten · 22,00 Euro 304 Seiten · Hardcover · 22,00 Euro 304 Seiten · 24,00 Euro Gedenkstätten gelten vor allem wegen ihrer »Authen- Nach der Befreiung kehrten viele der ca. 35 000 Über- tizität« als geeignete Lernorte für die Auseinander- Als junger Mann erlebt Mendel Szajnfeld den Holocaust Der Eingangsturm A war der zentrale Bezugspunkt einer lebenden des KZ Ravensbrück und seiner Außenlager setzung mit Verbrechen der Ver gangenheit. Dies sug- im besetzten Polen in einem Kleinstadt-Ghetto, als »Geometrie des totalen Terrors«. Hier hatte die Abtei- zurück in die Heimat oder gingen ins Exil. Der Band geriert eine unmittelbare Begegnung und verschweigt Zwangsarbeiter sowie als Häftling des Lagers Plaszów. lung »Schutzhaftlager« der KZ-Kommandantur ihren versammelt Erinnerungen Überlebender an die Auf- die aufwendigen Aushandlungen von Geschichte vor Ort, Szajnfeld zeichnet ein eindringliches Bild vom Leben Sitz. Zu ihr gehörten der Lagerführer sowie die Rap- lösung des KZ und an die ersten Schritte in die Freiheit. die erst zum Verstehen beitragen. Was in den Füh- und Leiden abseits der bekannten Gettos und Lager port- und Blockführer, die mit absoluter Gewalt über Er dokumentiert die Gefahren und Herausforderungen, rungen und Seminaren geschieht, entzog sich bisher wie Warschau oder Auschwitz, von der Befreiung sowie die Häftlinge herrschten. Den Exzess- und Direkttätern denen die Frauen auf ihrem Weg durch das zerstörte der Analyse. Die Studie gibt einen Blick in die gedenk- vom verschlungenen Weg eines Überlebenden von konnten die Häftlinge jederzeit zum Opfer fallen. Der Europa begegneten, und schildert die ersten Versuche stättenpädagogische Praxis zu NS-Verbrechen. Polen über Deutschland nach Norwegen. Katalog enthält alle Texte und zahlreiche Abbildungen eines neuen Lebens. der Dauerausstellung.

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