Einblicke in den Untergrund beim Bau einer Erdgas-Pipeline im südlichen Schleswig-Holstein im Rahmen der Geologischen Landesaufnahme

Dr. Horst Rahmenbedingungen Für den Bereich der Geologischen Landes- Weinhold aufnahme, Dezernat 51 des Landesamtes In der Zeit vom Juli 2000 bis zum August für Natur und Umwelt (LANU), war hier- 2001 ließ die HEINGAS Hamburger Gas- durch die einmalige Gelegenheit gegeben, werke GmbH zur Verlegung einer cirka 80 geologische Informationen anhand eines Kilometer langen Erdgasfernleitung einen kontinuierlichen Bodenanschnitts von Graben ausheben, der von Börnsen/Ho- durchschnittlich zwei Meter Tiefe durch henhorn östlich nach das südliche Schleswig-Holstein zu erhal- südlich Neumünster verlief. Die Erdarbei- ten. Um querende Infrastruktureinrichtun- ten wurden in zwei Etappen durchgeführt. gen (zum Beispiel Verkehrswege, Lei- Zuerst von nach Süden bis Börn- tungstrassen, Drainagen) und besondere sen, dann von Leezen ausgehend nach Land-schaftselemente (zum Beispiel Norden bis Boostedt. Knicks, Baumreihen, Naturschutzgebiete) nicht zu schädigen, war es an diesen Stel- Abbildung 1: len erforderlich, die Rohrleitung umzulei- Trasse der Erdgas- ten oder aber im Untergrund mittels Hori- fernleitung, in de- zontalbohrverfahren zu durchteufen, bezie- ren Verlauf viele hungsweise mit Hochdruck durchzupres- geologische Ein- sen – im Extremfall der Golfplatz Bornbek heiten angeschnit- bei Hoisdorf auf cirka 500 Meter Länge-, ten wurden. wozu Ausschachtungen bis stellenweise Grundlage: Geolo- über fünf Meter Tiefe erforderlich waren. gische Karte von Hiermit boten sich für die geologische Be- Schleswig-Holstein arbeitung besonders informative Auf- 1:500.000, Landes- schlüsse. Da die arbeitsintensiven und amt für Natur und zeitaufwendigen geologischen Untersu- Umwelt 1998 chungen nur in dem Umfang durchgeführt werden konnten, wie sie den Fortgang der Bauarbeiten nicht beeinträchtigten, unter- lagen sie nicht selten einem erheblichen Zeitdruck. Geologische Situation und Befunde

Die geologische Entwicklung eines Gebie- tes ist vorprägend für die Gestaltung des Landschaftsbildes. Wie schon durch die bewegte, vielfach kleinräumig gegliederte Topographie der Landschaft angedeutet, wurden in den Grabenwänden viele unter- schiedliche Sedimente aufgeschlossen. Sie sind den letzten beiden Eiszeiten, der Weichselvereisung, der vorangegangenen Saalevereisung und der Nacheiszeit (Holo- zän) zuzuordnen. Die jeweilige Verteilung, Stoffbestand, Ausprägung und Lagerungs-

118 verhältnisse dokumentieren einerseits die len, wo aber im Rohrgraben saalezeitliche Entstehungsbedingungen der Sedimente, Ablagerungen nicht mit Sicherheit er- andererseits die Veränderungen im Verlauf mittelt werden konnten. Überall sonst sind der Folgezeit bis heute. saalezeitliche Sedimente in tieferer Lage

Abbildung 2: Die Trasse des Rohrgrabens verläuft groß- unter weichselzeitlicher Sedimentbede- Profildarstellung enteils im stark zerlappten Randbereich ckung zu erwarten. Sie wurden nicht mehr der geologischen der maximalen Ausdehnung der weichsel- oberhalb der Grabensohle angetroffen. Verhältnisse nörd- zeitlichen Vereisung, wobei Ablagerungen lich der Autobahn durchquert werden, die sowohl dieser vor Über den gesamten Verlauf des Leitungs- A1 bei Ahrensburg. etwa 11.000 Jahren endenden Kältephase grabens lassen sich die Auswirkungen der angehören, als auch der bis vor etwa späteren Erdgeschichte verfolgen. Verbrei- 130.000 Jahren dauernden saalezeitlichen tete Vorkommen von Geschiebelehm und Vereisung, die das ganze Gebiet von steinig-kiesige Ablagerungen weichselzeit- Schleswig-Holstein mit Eis bedeckte. Letz- licher Gletscherrandlagen werden westlich tere sind im Bereich Börnsen, Aumühle Bad Oldesloe und Bad von san- bis ungefähr auf halbe Strecke nach Ah- dig-kiesigen (glazifluviatilen) Sedimenten rensburg angeschnitten. Die Sedimente bestehen vorwiegend aus kompaktem, tiefgründig entkalktem Geschiebelehm, den das Gletschereis an seiner Basis mit- geführt hat (Grundmoräne), daneben An- reicherungen von Sand, Kies, Steinen und Blöcken als Gletscherfracht des Eisrandes (End- und Randmoränen, Schmelzwasser- ablagerungen). Infolge wiederholten Ab- tauens und Vorrückens des Eises sind die Ablagerungen häufig intensiv durchmischt und zum Teil gestaucht worden. Kenn- zeichnend für das saalezeitliche Alter sind unter anderem eine intensive Verwitterung mit kräftiger Rot-, Braun- oder Schwarzfär- bung durch Eisen- und Manganoxide, die stellenweise stark angereichert das kiesige und sandige Material verbacken oder gar verkrusten. Örtlich sind sie überdies mit Sedimenten der Weichselzeit überdeckt. Nördlich Börnsen wurden im Geschiebe- lehm humose Einlagerungen angetroffen, die sehr wahrscheinlich der warmen Zwischenphase (Eemzeit) der beiden letz- Abbildung 3: Vom Gletscher gestauchte ten Eiszeiten entstammen. Ähnlich ist die Sande, Kiese und Grundmoränenreste bei Situation im Raum – Heidmüh- Glashütte.

119 Nutzung der geologischen Ergebnisse für die Allge- meinheit

Der durch den Rohrleitungsgraben ge- schaffene künstliche Aufschluss war für die geowissenschaftliche Landesaufnahme von großem Vorteil. Mit minimalem finan- ziellen und technischem Aufwand konnten auf die Weise wichtige geologische Infor- mationen gewonnen werden, was sonst nicht möglich gewesen wäre. Es wurden umfangreiche Informationen gesammelt, die nach wissenschaftlicher Auswertung in aufbereiteter Form im Geologischen Lan- desarchiv für Belange der Gesellschaft (wie Ermittlungen, Vorhabensplanungen) Abbildung 4: abgelöst, die im Verlauf des Abtauens des als Dienstleistung vorgehalten werden. Am Gletscherrand Gletschereises von austretenden Schmelz- abgelagerte und wässern ausgespült und in das Vorland teilweise von verfrachtet wurden. Weite Verbreitung ha- Schmelzwasser ben flächige, gut sortierte Sanderablage- ausgespülte Morä- rungen vor allem außerhalb der höher ge- ne, bestehend aus legenen, hügeligen Gebiete, wo sie die tie- sandigem Kies mit fer gelegenen Bereiche um Neumünster Blöcken südlich mit überwiegend sandigen Schüttungen Aumühle. zu ausgedehnten Verebnungsflächen auf- füllten. Hinzu kommen noch feinkörnige, schluffige und tonige Ablagerungen, die in strömungsarmen Tümpeln und Seeberei- chen unter Stillwasserbedingungen abge- lagert wurden. Die vor dem Gletschereis liegenden Bereiche unterlagen zusätzlich zur Einwirkung von Schmelzwasser in ver- stärktem Maße witterungsbedingten Frost- und Auftauvorgängen. Daher zeigen diese periglazialen Sedimente fast überall ent- Abbildung 5: Im Gletschervorland abgela- lang des Rohrgrabens diesbezüglich typi- gerte, durch Gefrieren und Auftauen 'ver- sche Veränderungen: Frostspalten, ver- brodelte' Schmelzwassersedimente unter- formte Einschlüsse und miteinander ver- schiedlicher Korngröße nördlich Rausdorf. mengtes Material mit zapfen-, tropfen- oder taschenförmigen Strukturen, Verflie- Im Gegensatz zum normalen Verfahren ßungsbildungen unterschiedlicher Stadien der Landesaufnahme mit Hilfe punktueller bis hin zu völliger strukturloser Durchmi- Sondierungen mittels Peilbohrers von we- schung sämtlicher Sedimentkomponen- nigen Zentimetern Durchmesser bot sich ten. Hinzu kommen noch Anwehungen hier die Möglichkeit, erweiterte Detail- von Flugsand, ein Vorgang, der allerdings kenntnisse über den Bodenaufbau zu ge- seit damals bis in die Neuzeit fortdauert. winnen, wie sie sonst nur noch partiell in All diese Prozesse bewirkten starke Relief- den selten vorhandenen und räumlich veränderungen durch Sedimentverlage- sehr ungleich verteilten Aufschlüssen des rung, wodurch das ehemalige Gelände Landes zu erfassen sind. Hierzu mehrere vielerorts bis zu mehreren Metern abgetra- Beispiele: Es gelang die Unterscheidung gen oder aufgefüllt wurde. Mit der enden- und Erfassung von verflossenem Grund- den Eiszeit begann die Besiedlung des Bo- moränenmaterial und unverändertem Ge- dens mit Pflanzen, deren zersetzte Reste in schiebelehm beziehungsweise – mergel Niederungen und Hohlformen Moore oder mit vielen Übergangsstadien ebenso wie Anmoore bildeten. Einige eng begrenzte, die Ermittlung echter Stauchungen durch geringmächtige Vorkommen wurden in den Gletscher im Gegensatz zu Verfor- kleinen Mulden vom Rohrgraben ange- mung durch Verfließen oder Sackung. Ge- schnitten. füge-, Lagerungs- und Einregelungsmes-

120 Summary

During 2000 and 2001 a pipeline for natu- ral gas was built from Börnsen near Ham- burg to Boostedt near . This extended outcrop allowed a nearly conti- nuous thorough geological exploration of many different glacial sediments over a distance of about 80 kilometers, perfor- med by geologists of the State Agency for Nature and Environment of Schleswig- Holstein (LANU). The section crosses not only morain sediments of the earlier (Saa- lian) glaciation but also depositions of all kinds – moraines, meltwater-, sandr-layers etc – of the last (Weichselian) glaciation, which nearly always are influenced not only by processes of freezing and melting Abbildung 6: sungen ermöglichten Aussagen über but also by erosion and accumulation. In strömungsar- unterschiedliche östliche bis nördliche mem Gewässer ab- Schubrichtungen des aus dem skandinavi- Finally, this kind of fieldwork is an impor- gesetzte und nach- schen Raum stammenden Eises ein- tant contribution to complete the geologi- träglich verflosse- schließlich der Transportrichtungen der cal mapping of Schleswig-Holstein as well ne tonige, teils hu- Sedimente; ferner die Rekonstruktion von as adding new data to the geological ar- mose Ablagerun- deren Liefergebieten. Wichtige Ergebnisse chive of the LANU for official and public gen westlich Lüt- waren auch die Zuordnung von Eisbewe- use. jensee bei Trittau. gung und Abgrenzung einzelner Glet- schervorstöße innerhalb der einzelnen Eis- zeiten. Zur Zeit noch in Bearbeitung be- Dr. Horst Weinhold findliches Probenmaterial, das nur aus Dezernat 51 – Geologie ausgewählten, exakt definierten Punkten Tel.: 0 43 47 / 704 – 543 entnommen werden kann, soll Daten lie- [email protected] fern zur relativen Altersbestimmung von Sedimenten. Alles in allem wurde durch diese Arbeit die Kenntnis über die Land- schaftsgeschichte und die Bildung der oberflächennahen Ablagerungen des Ge- bietes erheblich vertieft.

Abbildung 7: Schräger Anschnitt einer mit bindigem Moränenmaterial aufgefüllten ehe- maligen Eisspalte in periglazialen Sanden. Darüber dünngeschichtete Sanderablagerun- gen, die nach oben zunehmend mit Flugsand ver- mischt sind. Be- reich östlich Har- tenholm.

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