ZumZum Inhalt: Inhalt: LiturgieLiturgie und und Kultur Kultur Kirchenlieder sind nicht nur Ausdruck von Frömmigkeit und kultureller Prä- gungDer –nahende mit ihnen 100. wurde Jahrestag auch desPolitik Kriegsbeginns gemacht. Gesangbücher von 1914 führt und gegenwär Lieder - wurdentig zu einervon Machthabern neuen öffentlichen funktionalisiert Aufmerksamkeit oder zensiert. und legt Indem es nahe, Kirchen- diesen lieder das Reich Gottes und den Himmel besingen, sind sie doch auf der Erde auch innerhalb der Kirchen und Gemeinden angemessen zu bedenken. Ein zu Hause, in den Stimmen von Menschen mit ihren Sehnsüchten, Fragen und historischer Rückblick zeigt, dass in den Jahren 1914 bis 1918 in allen kriegs- Überzeugungen. Diese Spannung durchzieht den Kirchengesang als ein krea- führenden Staaten ein weitgehend identisches Empfinden, Denken und 3–2019 tiver Puls. Grundmuster des Verhältnisses von Glauben und Macht werden 2-2014 Argumentieren herrschte und die europäischen Kirchen unkritisch von ei- in Kirchenliedern anschaulich. In diesem Themenheft werden die Ergebnisse nem Verteidigungskrieg oder sogar von einem gerechten Krieg sprachen. des zweiten Loccumer Kirchenliedseminars dokumentiert, das sich u.a. mit Für den Umgang mit diesem Befund und eine zeitgemäße Gedenkkultur den Rollen von Kirchenliedern in politischen Auseinandersetzungen sowie finden sich zahlreiche, auch liturgische Anregungen. mit ihren Metaphern und Klängen in der Deutung von Macht beschäftigte. ZeitschriftZeitschrift der der Liturgischen Liturgischen Konferenz Konferenz für für Gottesdienst, Gottesdienst, Musik Musik und und Kunst Kunst

Das SchicksalsjahrMacht und 1914Ohnmacht und das Gedenken an denKirchenlied 1. Weltkrieg und Politik im Jahr 2014 Macht und Ohnmacht 3–2019, 2-2014, 10. 5. Jahrgang, Jahrgang, ISSN ISSN 2190-1600 2190-1600 im Jahr 2014 Das Schicksalsjahr 1914 und das Gedenken an den 1. Weltkrieg 3–20192-2014 LiturgieLiturgie undund KulturKultur

ZeitschriftZeitschrift der der Liturgischen Liturgischen Konferenz Konferenz für für Gottesdienst, Gottesdienst, Musik Musik und und Kunst Kunst

Das SchicksalsjahrMacht und 1914 Ohnmacht und das Gedenken an denKirchenlied 1. Weltkrieg und Politik im Jahr 2014

3–20192-2014 Editorial ...... 4 LITURGIE UND KULTUR Ansgar Franz / Julia Koll / Christian Lehnert / Christiane Schäfer

10. Jahrgang 3–2019 ISSN 2190-1600 THEMA

Herausgegeben von: Macht und Ohnmacht. Kirchenlied und Politik...... 6 Kristian Fechtner Christian Lehnert / Julia Koll Stephan Goldschmidt Thomas Klie Michael Meyer-Blanck Te Deum laudamus – Großer Gott, wir loben dich...... 12 Marcell Sass Helmut Schwier Ansgar Franz / Christiane Schäfer Ulrike Wagner-Rau „Man sagt, das Volk sei behext durch die Zauberweisen meiner Lieder“...... 23 Redakteur dieses Heftes: Ansgar Franz Stephan Goldschmidt

Das Gesangbuch als politisches Instrument am Beispiel des Reichslandes Elsass-Lothringen...... 34 Satz: Beat Föllmi Linden-Druck Verlagsgesellschaft mbH Notiz zu dem Komponisten Samir Odeh-Tamimi...... 54 Christian Lehnert Namentlich ausgewiesene Bei- träge werden von den Autoren ...... 56 verantwortet und geben nicht „Das könnte den Herren der Welt ja so passen“ unbedingt die Meinung der Okko Herlyn Herausgeber wieder. Kirchenlied in der DDR...... 61 Christfried Brödel

Engagierte Lyrik?...... 69 Christian Lehnert IMPULSE Liturgie und Kultur wird kos- Bereitung zur Nacht...... 75 tenlos abgegeben. Es wird Katharina Krause jedoch um eine Beteiligung an den Druckkosten in Höhe von 12,00 € / Jahr (bzw. 4,50 € / Heft) gebeten: LITERATUR Ev. Bank eG Stefan Heid: Altar und Kirche BLZ: 520 604 10 Prinzipien christlicher Liturgie...... 97 Konto Nr.: 660 000 Markus Schmidt IBAN: DE05 5206 0410 0000 6600 00 Reinhold Bernhardt / Verena Grüter (Hg.): BIC: GENODEF1EK1 Musik in interreligiösen Begegnungen...... 98 Verwendungszweck: Karlo Meyer AO 6201010202 LuK Autorinnen und Autoren...... 101 Korrespondenz, Manuskripte und Rezensionsexemplare, deren Publikation bzw. Be- sprechung vorbehalten bleibt, bitte an:

Geschäftsstelle der Liturgischen Konferenz (LK) c/o Kirchenamt der EKD Herrenhäuser Str. 12 30419 Hannover Tel. 0511 2796-214 E-Mail: [email protected] www.liturgische-konferenz.de Editorial

Ansgar Franz / Julia Koll / Christian Lehnert / Christiane Schäfer

Kirchenlieder sind nicht nur Ausdruck von Frömmigkeit und kultureller Prägung – mit ihnen wurde auch Politik gemacht. Gesangbücher und Lieder wurden von Macht- habern funktionalisiert oder zensiert. Sie dienten einerseits der Legitimation gesell- schaftlicher Verhältnisse und kirchlicher Politik. Sie waren anderseits immer auch Teil von Protestbewegungen. Indem Kirchenlieder das Reich Gottes und den Himmel besingen, sind sie doch auf der Erde und in der Zeit zu Hause, in den Stimmen von Menschen mit ihren Sehnsüchten und Fragen und Überzeugungen. Diese Spannung durchzieht den Kirchengesang als ein kreativer Puls. Grundmuster des Verhältnisses von Glauben und Macht werden in Kirchenliedern anschaulich. Im zweiten Loccumer Kirchenliedseminar haben wir die Rollen von Kirchenliedern in politischen Auseinan- dersetzungen, ihre Metaphern und Klänge in der Deutung von Macht untersucht – und wir haben gelauscht, wie sie sich heute politisch oder auch apolitisch geben. Dies wird hier dokumentiert. Zwei biographische Zugänge stehen am Anfang – aus Ost und West. Julia Koll entfaltet eine religiöse Biographie in Liedern. Von „Ach bleib mit deiner Gnade“ am Anfang in einer traditionellen westdeutschen Gemeinde der siebziger Jahre, über die Lieder „auf handgeschriebenen und zusammengeklebten Liederblättern“ („Jeder Teil dieser Erde“, „Wagt euch zu den Ufern, stellt euch gegen den Strom“) bis hin zu den Gesängen aus Taizé spannt sie einen exemplarischen Bogen, der auch die Frömmigkeitsgeschichte seit 1970 nachzeichnet: von der Politik zur Innerlichkeit. Christian Lehnert beschreibt seine Erfahrungen in der DDR – als Kind, das nicht kirchlich sozialisiert war und in den Liturgien der Macht beheimatet, mit denen der Sozialismus sich inszenierte. Dabei spielten Lieder eine vergleichbare Rolle wie in den Kirchen, als Erinnerungsreservoirs und Lobpreisgesänge, als Danklieder und als kol- lektive Vergewisserungsformen. Säkularisierte Metaphern der christlichen Religion prägten das politische Lied in der DDR. In der Kirche waren explizite politische Lieder nicht zu hören – aber das Singen der tradierten Lieder und der liturgischen Gesänge war eminent politisch, schlicht durch ihr Dasein und ihre Pflege. Der Beitrag von Christiane Schäfer und Ansgar Franz geht den Bedingungen nach, unter denen ein religiöses Loblied zu einem politischen Kampflied werden kann. Dem altkirchlichen Hymnus „Te Deum laudamus“ widerfährt dies gleich in doppelter Hinsicht, nämlich einmal dem lateinischen Original, ein zweites Mal seiner deutsch- sprachigen Version „Großer Gott, wir loben dich“. Ist es im ersten Fall der Wandel der Verwendungszusammenhänge, der aus einem Gott preisenden Morgenlied ein mili- tärisches Siegeslied werden lässt, so sind es im zweiten Fall gezielte Textkürzungen, die ein Kirchenlied der Aufklärungszeit nationalsozialistischer Ideologie dienstbar machen wollen. Einen dritten Aspekt der Politisierung von Kirchenliedern beschreibt der Beitrag von Ansgar Franz über die Hymnen des Ambrosius von Mailand (4. Jh.). Hier sind es die spezifischen Zeitumstände, die aus Kirchenliedern Gesänge des Widerstandes machen. In einem gewaltsamen Konflikt zwischen Bischof und Kaiserhaus erweisen sich die

4 für das Tagzeitengebet der Gemeinde geschaffenen Hymnen – ohne veränderte Ver- wendungszusammenhänge oder Textkürzungen – als die letztlich siegreichen ‚Waffen‘ gegen die als unrechtmäßig empfundenen Ansprüche der Staatsgewalt. Beat Föllmi geht der Rolle der elsässischen Gesangbücher zwischen 1870 und 1918 nach. Er kann zeigen, dass nach dem Anschluss des Elsass an das Deutsche Reich in Folge des deutsch-französischen Krieges 1870/71 die deutschsprachigen evangelischen Gesangbücher durch ihre Liedauswahl und ihre Bebilderung eine durchaus nicht unbedeutende Rolle im Prozess der „Germanisierung“ des Elsass spielen sollten. Gibt es „politische Musik“? Der palästinensische Komponist Samir Odeh-Tamimi (geboren 1970), ein Grenzgänger zwischen den Welten und Kulturen, hat darauf eine künstlerische Antwort: In der Verdichtung von Emotionalität und in höchster Aus- druckssteigerung kann Musik kippen in einen Aufschrei. Dann hören wir den „nackten Menschen“ – und darin kann ein unmittelbar politischer Impuls liegen. Okko Herlyn untersucht das Neue Geistliche Lied der „68er“-Bewegung. Es gelingt ihm, einige deutliche Stilmerkmale dieses Genres zu beschreiben: den Gestus des Auf- begehrens gegen bestehende Verhältnisse (Vietnam-Krieg, Kapitalismus, Herrschaft des Establishment), die Stilisierung des biblischen Exodus-Motivs, die Säkularisierung der traditionellen Eschatologie sowie den durchweg ethisierende Grundton. Trotz deutlicher theologischer Einseitigkeiten wäre aber angesichts des heute verbreiteten „Schmusesounds“ von sogenannten „Lobpreisliedern“ eine Wiederentdeckung dieser meist in Vergessenheit geratenen „68er“-Lieder durchaus wünschenswert. Christfried Brödel erzählt eine politische Geschichte des Kirchengesanges in der DDR. Ausgangspunkt ist eine Feststellung: „Ich kenne kein Lied, das während des heißen Herbstes 1989 eine entscheidende Rolle in der Kirche oder gar in der Gesellschaft gespielt hätte.“ Rückblickend zeigt sich die Kirchenmusik in der DDR als Teil eines letzten argwöhnisch beobachteten Freiheitsraumes und als subversives politisches Wir- kungsfeld – gerade im Ausdruck des Glaubens. Politische Dichtung ist umstritten. Christian Lehnert zieht literaturgeschichtliche Linien entlang der ostdeutschen Lyrik und bestimmt das Politische nicht in direkten Aussagen, sondern in Stilformen und Auseinandersetzungen mit Kontexten. Dichtung beginnt dort, wo Sprache weltanschauliche Verortungen verläßt und ins Offene ausgreift. Für Kirchenlieddichtung heißt das: Sie kann, wenn sie ein poetischer Ausdrucksraum sein will, nicht in Aussageimpulsen verharren, schon gar nicht in politisch-moralischen Appellen, sondern ist eine suchende Sprache, die erkundet, was sich den Worten entzieht.

Hannover im November 2019

5 6 THEMA wurde gesungen, einIntroitus: zurSonne zurFreiheit, „Brüder zumLichte Brüder EinflüsterungenKlassenfeindes, des des mangelnden Glaubens Doktrin.Dannan die warDie Stille einConfiteorSchuld, unserer der mangelnden Disziplin, der Faulheit, der Tanz desKindergebeins. schwenkten denKopf indemdumpfen Kinder fielen ineins, Faltern und Fahnen. Wir schrumpften. nach Größe. Disziplinierte unter Geometrie wehenden sekretär. –derNacken, Still derHals, derSchultergürtel. Wir Schüler waren geordnet zusammen eine summende Wir Scola. warteten auf den Schulleiter denPartei oder - sekten, Außenskelette, und dievon halbwüchsigen Menschen, innere Gerüste, bildeten umtanzt von sommers Schnee, umschwirrt von Mücken. Diewinzigen von Glieder In- Appellplatz:Der Stillstand, diekindlichen Körper standen und Glied, inReih winters Altar derPartei, derVorhut derVollendung. Natürlich gehörte Gesang dazu. spiel der Macht, eine Liturgie, subtiler, feingliedriger und unentrinnbarer Kult vor dem ausfüllen. DieWirklichkeit war inihrer Gesamtheit hiereingroßes öffentlichesSchau - Noch dieselbstvergessen als denSchulhof über jagenden Jungen würden Rollen wir näher kamen, war unausgesprochen uns allen klar, dass uns wir selbst zurückließen. querten und der 42. Polytechnischen Oberschule mit Russischunterricht erweitertem wenn dann Plattenbausiedlung wir diekleine dort auf schlammigen Wegen ewig durch- ßenbahn indenDresdener Stadtteil Übigau fuhr, dieBrücke über des Elbflutgrabens, Wenn ich mit meinen Freunden auf demSchulweg inden1980erJahren mit derStra - änderungen vorzüglich, so umMacht zudemonstrieren? Warumdas sein? taugen und gottesdienstlichen dieLieder Formen mit kleinsten Ver mene liturgische Formen benutzte, und diebange Frage stelle ich: Warum? Wie konnte tion Gottes setzte. Heute seheich auch deutlicher, derreale Sozialismus wie überkom- quasi-religiöser Weg war, eschatologische derseine Hoffnungallerdings auf die Nega- mir verborgen, was sich mirheute klarer zeigt:Dass dieDiktatur desProletariats ein dass ich wußte, was daswar. Ich wußte auch nicht, was genau Religion war, war und so Ich bin in einer Diktatur groß geworden, zu dereine ausgefeilte Liturgie gehörte, ohne anders indenkonkreten als Umständen behandelt eines Lebens werden kann. graphischen Erzählungen Sie führen ineine zubeginnen. Fragestellung, diegar nicht Wir haben uns entschieden, Tagung diese zuKirchenlied und Politik mit zwei bio- Christian Lehnert: C Eine EinführungalsbiographischeResonanz Macht undOhnmacht.KirchenliedPolitik. hristi a n

L ehnert / J / uli a K oll - Stimme war einAusscheidungsprodukt. Auf demAppellplatz konnte man eine Eigen- und lallte eine ins wirre Rede Mikro: Erwar daswarme Exkrement derMasse, seine Hund. einherrenloser uns wie herum Irgendwann kam einGeneralmajor angetorkelt gend. Für Gesang war es hier liturgisch zu riskant. Suche Oberst kleine Der um schlich Appellplatz inProra, Baukompanie III,Tag derNVA: Wir standen zwei Stunden schwei- abgehört jetzt wir wurden. ließ. Man konnte nur ihn stellen leise und lauschen, wann ein Knistern anzeigte, dass Personen. inderWand Oben hing einRadio-Lautsprecher, dersich nicht ausschalten eingemeinsamerjeden, Tisch und vielleicht Quadratmeter vier freie Fläche sechs für Wir hockten inderKaserne auf engstem Raum, nur Spind einschmaler einBett, für keiten imSpiel. Wir vermuteten Spitzel, überall hatten Mißtrauen gegen jedermann. sind Einzelne inihr, diefaulen. Immer sind Konkurrenz und gemeinsame Begehrlich- nen Ihrgehen üblen Geruch. unweigerlich dieSelbsterhaltungskräfte verloren: Immer Jede Masse, daswußte man schon inderAntike, erkrankt mit Sie derZeit. bekommt ei- gen inderSowjetunion. und Klaipeda vorzubereiten den Transport für von Panzern, Rüstungsgut und Truppen zwischen Rü- mit Findlingen durchsetzten umdenBau Lehm, von Straßen und Eisenbahngleisen Wir schippten Kabelgräben imFährhafen Mukran, hackten Fundamentlöcher inden anGlied einem kollektiven Körper, einem Tausendfüßler, denAsphalt der über kroch. Ich legte keinen Fahneneid ab, eine Uniform ich aber trug unzweifelhaft –war also in Marschkolonnen. und darunter geflutete Keller. AngesichtsBetonkörpersbewegtenwir uns des nur noch eineals steinerne Schlange kilometerlang an derKüste, Stockwerke fünf derErde über Freude derZwanzigtausend“ –Seebad inProra auf derInsel Rügen. Gebäude Das lag erst war icheinige für Monate indemKasernenkoloß desehemaligen „Kraft durch Ich erlebte dashautnah, ich als später denWehrdienst mit derWaffe Zu- verweigerte. Opfer –denken Kassandra wir Jesus oder von Nazareth. und derEinzelne gegenüber ihr wird schnell zurProjektionsfläche,als Führerals wie der Macht folgenderund ihr Eine Masse Gewalt. von Gleichen ist immer gefährlich, sie ist derReligionssoziologe –wie René Girard herausarbeitete –dieGrundanordnung antiken Theater ein einzigerDarsteller gegenüber. Anordnung Diese ist hochbrisant, ter hervorgebracht hatte: dievon Masse und Einzelnem. Chor Dem stand imfrühen sind seitihm derAntike von einer Grundkonstellation geprägt, diedaskultische Thea- Was bedeutete dieVerwandtschaftLiturgien? der GottesdienstDer Gesang und der in stolz, man war verwandelt. besten Schulleistungen die größten für oder gesammelten Stapel Altpapier. Man war ten gab esauch Sakramente: Abzeichen kleine Bronze aus oder Silber oder Gold die für ligen Körper, dort derPriester, deruns denWeg ineine wies bessere Welt. Zu Hochfes- warenwir war damit zu halten. enorm:Gefälle Das beschäftigt, still Hier unsere zappe- Wortverkündigung, und und Lesungen Reden Reden folgten. Ich erinnere sie kaum, schmückt. eine Fahnenwand und eingroßes Erich Honecker, Bild desGenossen mit Blumen ge- hunderten Kehlen. Hinter demSchulleiter war einHochaltar aufgebaut. stand Dort ans Pult und sprach eine bereit!“ Grußformel: „Seid „Immer bereit“ dröhnte es aus empor […]“DieLehrer zogen ein,inderMitte derSchulleiter. trat Erwurde begrüßt, Christian Lehnert/JuliaKoll:MachtundOhnmacht.KirchenliedPolitik 7 THEMA 8 THEMA sonst las. Ich war vierzehn Jahre alt und hatte mireinen Band schmalen von Johannes nicht imLiteraturunterricht inderSchule, nicht imRadio, nicht indenBüchern, dieich gelesen und nichts verstanden. sprach So niemand, von demich etwasgab wußte. es So Gras, betreten weiße denWind Sohlen […]“Ich hatte Gedicht jenes am Abend -zigfach me, in denen Antworten erfolgen, wenn […] aufgegeben ist /unter den Füßen das waren die Schläfen gestrichen mir über in der Nacht, „wenn verlassen sind / die Räu- der Macht Diktatur. indersozialistischen Etwas ganz stand Stille am Anfang. Verse gion, ohne Kirchenbeziehung jede hinausfand aus denquasi-religiösen Konstellation Und ich auch will ich, so wie einJugendlicher erzählen ohne Wissen jedes von Reli- Sprachgesang, konnten dieWirklichkeit unterwandern und tröstlich weiten. Die Metapher reichte weiter dieAngst als und dieOhnmacht. Bilder derDichtung, jenseits der Utopien, schaufelten wir das Grab der Utopien. hörte ich So dort das Bild. irgendwie bestimmt, und daswar tröstlich. Wir schaufelten „nördlich derZukunft“, nördlich derZukunft […]“ Und plötzlich war etwas anders geworden: war Mein Ort „InCelan: denFlüssen nördlich derZukunft„In […]“ denFlüssen Immerwieder: Rhythmus desMarschierens hallte dort durch meinen Kopf eine Metapher von Paul beräumen, diean derLuft und kristallisierte Stiefel und Handschuhe verklebte. Im Havarie mit Vollschutzanzügen und Gasmasken eine warme zähflüssige Substanz zu zu gefährlichen Industrieruinen. Wir waren abkommandiert, umnachts nach einer die Chemieanlagen waren ineinem katastrophalen Zustand, heruntergewirtschaftet Schloten und Dampfwolken durch die Leunawerke marschierte. war Das 1987, und ich später, versetzt nach Merseburg, nachts ineiner Kolonne vorbei an flammenden Aber esgab dasGegenteil, und dassind verhaltenere Töne. Ich erinnere mich, wie wandlungen. Gesang und Liturgie sind Instrumente immer wieder der Macht gewesen. vor eines: dasbrisante allem Ineinander von Politik und Religion insubtilen Anver det in die Sprache des Leninismus. Mit Erinnerungen die Kaserne diesen verbinde ich ich sang sieinderSchule –Metaphern, sieaus wir wie Kirchenliedern kennen, verklei- politischen Formeln degenerierte religiöse Bilder. Ich hörte sieinderDDR unentwegt, befreite Mensch, dieneue Welt, daswiedergeborene Volk klangen versteckte, […]So zu chatologischen zusammengeschweißt, Erwartung einer apokalytpischen Schmelze:der dort, wo siesich umpolitische Ideen sammelt, wird zumeist siedoch von einer es- Jede Masse neigt zumFieber, sieist schnell überhitzt, meist religiös überhitzt. Auch auf dasgewöhnliche Maß derOhnmacht. Kaserne. Sie boten Sonderurlaub an und vermittelten. Sie kühlten dieSituation herab heit dasumstellte Gebäude, Herren ruhige dieeinzigen ohne inZivil, Uniformen inder hielten dieMaschinenpistolen schußbereit imAnschlag. Dann betrat dieStaatssicher desWachregimentsein Rekrut hatten sich eingeschlossen ineiner winzigen Stube und ten schlecht, siequalmten aber eindrücklicher. umso diensthabende Der Offizier und Fluren zusammen mit denAusgangsuniformen. Dieschweren Wintermäntel brann- flogen aus den Fenstern, Flaumfedern aus den Bettenaufgeschlitztenschwelten auf den soldaten, einmeuternder Aufschrei, dersich durch dieRäume zog:Brennende Spinde erlebteEinmal ich denkollektiven Zusammenbruch seelischen einer Kompanie Bau- schnell in der Hysterie,sehr entweder in duldender Zeitdehnung in Lynchlaune. oder men sind generell vereinfacht, primitiv –entweder langsam sehr inderStauung oder heit derMasse erkennen, sieschon wie dasantike TheaterBewegungsfor zeigte: Ihre Macht undOhnmacht - - -

wenn esumKirchenlied und Politik geht. engen Gruppenidentität. Auch Offene dieses wir wollen auf dieser Tagung erkunden, davor zuMachtdemonstrationen bewahrt zuwerden zubehaglichen Feiern oder einer die denGlauben davor zurIdeologie zuwerden, bewahrt und unsere Gottesdienste war nurdasfür mirganz eine Chiffre Rest istvielleicht, Dieser Ferne). es diese Lücke, nichtlicherweise einmal, was genau ich fragen wollte, ihn und dasWort „Konfirmation“ ob ich konfirmiert werden könnte (ohnedass ich wußte, was genausei,das und ehr- hen Dunkelheit, dem mir ganz bei fremden Ortspfarrer zu klingen undzu fragen, ihn chenfernes Individuum fand, dazu an einem herbstlichen Spätnachmittag,- inderfrü bleibtEs einRest von Unklarheit bis heute, eine Erklärungslücke, ich wie ganz als kir waren und völlig doch politisch, einfach dadurch, dass sieanders waren. merkwürdige Sprach- und Musikwelten lagen darin verborgen, diegar nicht politisch etwas bedeutete. Ich höre mich noch singen, dieunverstandenen aus Lieder demEKG, Vulgärmaterialismus hinter mir, umselbst nach Worten zusuchen das, was mir für damals möglich war. Ich atmete denkend auf. Ich des DDR- ließdie Begriffsmechanik ich junger als Mensch letzte Inseln von Öffentlichkeit, vonfreiersoweit Rede, siemir verlieh denmuffigen Gemeindehäusern besonderen einen Reiz. Inden Kirchen fand in dieverruchte Zone. Hauch Der desVerbotenen, und Gefährlichen dasDunklen zonasdelta, und ich konnte hin.Nur doch dieStraße über mußte ich gehen hinein und Sprachformen in einer realsozialistischen Schule. Kirche war fern das Ama wie so - Ich interessierte mich plötzlich dieKirche, für weil sieanders war dieengen als Denk- mich nach auf ihm dieSuche. Im Grunde mache ich dasbis heute. konnte, dasmich herausführte aus demKorsett derIdeologie. Ich folgte machte ihm, war Wort,Es dieses dasich nicht verstand, weiter dasaber was ich war sagen alles, als ich mich: Was bedeutet nun eigentlich dasWort „Gott“? Wasfragen sollen? Worte? bedeuten diese Sie sickerten ins Offene. fragte Undwieder michdoch dürstet nicht.“ Was Welcher einGewässer? für Dornbusch? Wer hätte was Dornbusch flammt, /ich hörseine Stimme, / wo keine Frage war, / Gewässer geht, ein es dieTexte imLehrbuch Staatsbürgerkunde für erscheinen ließen,einEcho „[…] der dieVersewie Bobrowskis, nicht benennend, nicht denkbar –entwaffnend offener, als ten. Aber dasWort „Gott“ war unwidersprochen inmeinem da schlaftaumeligen Kopf derProduktionsmittel,den freien Besitzern diehierund heute eine bessere Welt bau- niederzuhalten inUnterdrückung. Kirche hatte keinen mehr im Sozialismus, Ort unter Schule erörtert worden: Kirche war eine Vertröstung auf einJenseits umMenschen hatte: Ist einGott? Ich wußte, dassnicht esihn gab. Die Frage war hundertfach inder und hatte eine Frage imKopf, bestimmend diemit denVersen eigentlich nichts zutun Die Worte hallten wider, im Schlaf formten wirre Träume. Am Morgen wachte ich auf „Räumen, indenen Antworten erfolgen“. schloß sich zwischen denaufgeladenen Geheimnissen, „Hohlwegen“, „weißen Sohlen“, sagten, bedeuteten, konnte ich nicht immindestens kein erahnen, Zusammenhang er ner was selbst ich und von allem, glaubte, mirzuwissen schweben ließ.Was dieVerse mich zu, unverstandene Vokabeln, dieeinFlirren erzeugten, dasmich, unsicher mei- Bobrowski aus demelterlichen Bücherschrank geholt. Zaubersprüche kamen nun auf Christian Lehnert/JuliaKoll:MachtundOhnmacht.KirchenliedPolitik - -

9 THEMA 10 THEMA schentum avant l la Ruhama, öffnenwir unsere Elenddas der für Herzen Welt, unswir im üben Gutmen- Nächten“ auf demKirchentag, mit Pastor dem Essener Uwe und derBand Seidel gemeinsam aber klein, werden Anwalt wir sein“. desLebendigen In den„Liturgischen poppig manchmal sperrig, schlicht. als „Jeder knüpft am eignen Netz“„Einsam – bist du ich, kommen wir uns politisch vor, wenn sieschmettern. wir Ihre Melodien sind eher Frieden, Gerechtigkeit, Versöhnung, sie geben sich politisch. Meine Freundinnen und ununterscheidbar ja, einander verwoben, geworden. Tage dieser DieLieder handeln von weltbewusst. Geistliche und irdische sind auf inihnen Erfahrungen dasEngste mit- Wenn ich schaue, aufZeit dieser dieLieder entdecke ich: Sie sind weltzugewandt und nicht vor, eher stumpf und lauwarm. lass„Du, dich nicht verhärten“ harten Hart –indieser Zeit? kommen uns dieZeiten imJugendzentrumwir imKanon, esprangt aber auch auf zweitem jedem Jutebeutel. und zusammengeklebtenschriebenen Liederblätter. „Jeder Teil Erde“, dieser dassingen Kirchentag inHannover zusammengestellt. Aber eigentlich ist derhandge esdieZeit - Ich erinnere mich an braunen die kleinen Gesangbuch, zum Begleithefte für den 1983 Carl Friedrich von Weizsäcker. von „Frieden, Gerechtigkeit der Schöpfung“, und Bewahrung in den Büchern lese von In Jahren diesen schnappe ich zumersten Mal dasWort vom „Konziliaren Prozess“ auf, einen Lateinamerika-bewegten Diakon. 1989werde ich konfirmiert, vom roten Pastor. demschwarzenben Pastor gibt esauch einen roten und und obendrein einen grünen, Andererseits ist die Kirchengemeinde auchaber der Hort der Andersdenkenden. Ne- oratorium und h-Moll-Messe. dem 20.Jahrhundert In sein. derrespektablen Kantorei hält man sich an Weihnachts- tung In bezeugt. denBlockflötenkreisendarf es auch ein mal anspruchsvolles Stück aus drängt, dazu doch malträtiert erdieOrgelpfeifen Ton dass derart, jeder Verach seine - dem Neuen hat Geistlichen Lied ersich nieanfreunden können. Wenn einPastor ihn BuxtehudeBach, –na klar, Brahms, Franck, Reger und César auch Pepping, mit aber Musikalisch schwingt einKantor inihr alter Schule dasZepter. Schütz, Scheidt, Schein, de ist einerseits diegeistliche Verlängerung gesitteten, dieser wohlsaturierten Welt. und diehöheren Töchter Stücke von Thornton Wilder aufführen. Die Kirchengemein- einem Gymnasium, inihren demdieSöhne Cabrios bei zum18.Geburtstagvorfahren Kleinstadt, mit eigenem Krankenhaus und Chefärzten indenVillen am Burgberg, mit Doppelbeschluss. In Gehrden weiß man noch, was sich gehört. Eine großbürgerliche hard Schröders. Anderswo ziehen Hunderttausende auf dieStraßen gegen denNATO- 1980er Jahren. ist Es dasNiedersachsen Ernst Albrechts, noch lange nicht das Ger uns inNiedersachsen, ineiner Kleinstadt vor denToren Hannovers, indenfrühen lich und auch sonst, inderich kirchlich und musikalisch aufwachse. Wir befinden mer, von welchem Feind“ „bösen mag. ist Es sein eine behütete dieRede da Welt, kirch - Ich bin acht neun. Wir oder singen einstimmig, und ich habe keinen- blassen Schim bleib„Ach mit deiner Gnade“ –dasist daserste imMädchenchor daswir Lied, lernen. Julia Koll: Macht undOhnmacht beschwören einen Protest, denesgar nicht mehr gibt, und auch gegen was wen oder mehr vor. „Wagt euch zudenUfern, stellt euch gegen denStrom“ der1990er –dieLieder ettre. Aber „die Herren derWelt“ kommen nicht Liedern indiesen -

allgemeiner Trend widerspiegelt, wird mirerst heute bewusst. zum ersten Mal ineinKloster. Mein Glaube wird innerlicher. Dass sich darinauch ein schau. Kurz bevor ich nach Marburg aufbreche, um zuTheologie studieren,fahre ich in unsere Jugendgottesdienste. Uns ist nach zumute, Stille nach Einkehr und Nabel- Hufeisen. Wir fahren nach Taizé, diemeditativen und all Gesänge halten auch Einzug spätestens Mitte 1990erJahre abgelöst vom Mann mit derBlockflöte – Hans-Jürgen In meinem Kirchenliederkosmos wird Uwe derMann Seidel, mit derLederhose, sichsind, Himmel berühren und Erde. heitslyrik mehr, sondern geistliche Wohlfühlpoesie. Wo Menschen lieb zueinander Stern, vom Himmel zieht gefallen, Spuren von Gottes Macht.“ ist Das keine Betroffen- vonmählich derWeltpolitik. Licht „Ein indirgeborgen wird Feuer inkalter Nacht. Ein Friedensgebete inderKirche. Aber derkirchliche Mainstream verabschiedet- sich all Schönhuber hetzt, zumindest nicht Gehrden. Während deszweitengibt es Golfkriegs Innenstadt zuHause sind, und erst recht nicht die„Asylanten“, gegen dieeinFranz nicht dietürkischen Mitbürger, dieschon seit Jahrzehnten inzwei, drei Straßen inder auch damals schon wenn – doch es in der Gemeinde singen, wir meinen damit wir themen. „Damit aus Fremden Freunde werden“, eines derbekannteren neuen Lieder, den. DieWende, dieJugoslawienkriege –inmeiner sind Erinnerung dasnur Rand- Ganze indiesen derGesellschaft Jahren offenbar kirchlichenmit dem Treiben verbin- Im Rückblick wundere ich mich, wenig wie sich die tagespolitische , das große treten nur jetzt melancholisches noch als Zitat auf denPlan. geht keiner mehr auf dieStraße. „Halte deine Träume fest“ Umstände –diewidrigen er sich richten sollte, bleibt imUnklaren. Gefangen imMehltau derletzten Kohl-Jahre Christian Lehnert/JuliaKoll:MachtundOhnmacht.KirchenliedPolitik

11 THEMA 12 THEMA 4 der von Ruth Maringer. wichtigste, noch bis heute inderLiturgie gebräuchliche Version; folgt dieÜbersetzung entstanden Diehier wiedergegebene sein. Textfassung ist dierezeptionsgeschichtlich sichlassen ‚Zwillinge‘ als eine enge Beziehung zwischen demTe Deum und demGloria in excelsis ; beide Deo zum Vorbild derlateinischen Hymnendichtung wurde. Formal und inhaltlich besteht Vgl. 3 Vgl. 2 1 bischen Dimetern gegossenen Dichtungen des Mailänder Bischofs, aufgrund formalen seiner Prosadichtung als Gestalt älter die in elegante als sein jam- und deshalbgeschrieben „Ambrosianischer als Lobgesang“ dürfte doch bezeichnet, es Zwar wurde dasTe Deum Ambrosius lange fälschlicherweise von Mailand (†397)zu- 1.1. DieHerrlichkeitGottes 1. Te Deumlaudamus unser Gott“ sein. Phänomen –dasbekannteste Beispiel dürfte Luthers „Ein festePsalmenlied Burg ist eine eminent politische Bedeutung annehmen können, ist einoftbeobachtendes zu Dass Kirchenlieder imLaufe ihres durch Lebens denWandel derkulturellen Kontexte A Herrscherlied biszumnationalenLiedderdeutschenChristen Vom altkirchlichenMorgenhymnusüberdashöfische Großer Gott,wirlobendich. Te Deumlaudamus– dessen deutschedessen Kirchenliedfassung. zweimalgleich zu beobachten:sowohl einen betrifft Es altkirchlichenHymnus als auch nsg Maringer Subsidia 189),Roma 2018(Lit.). formulación deDiosatravés gloria dela deuna forma (Bibliotheca hìmnica, Ephemerides Liturgicae. und neuerdings die umfassende Studie von Marti, Andreas: Großer Gott, dich, loben in: Ökumenischer wir Liederkommentar, Lieferung 4(2005) Doxologie: Gesungene Theologie. ArbeitsstelleGottesdienst 17 (2003), 12–21; 1). St. 1983,275–301;Meßner, Ottilien Reinhard König: Der derHerrlichkeit und Heiligen, seine in: in: Becker,Deum], Hansjakob /Kaczynski, Reiner (Hg.): Liturgie und Dichtung, 1,(Pietas Liturgica Bd. Ruth (2006), 1306f.; aus der umfangreichen Forschungsliteratur hier weiterhin seien nur erwähnt Vgl. denfolgendenVgl. Heft. indiesem Beitrag schen Befreiungskriegen und Erstem Weltkrieg, München 2014. Fischer, etwa Vgl. Michael a Gerhards, Albert /Lurz, Friedrich Gloria inexcelsis,: Art. in:Lexikon Theologie und für Kirche : Der Ambrosianische: Der Lobgesang. Bibeltheologische Aspekte zurInterpretation desHymnus [Te r F : Lobgesang, 276–279(s.Anm. 1). r a nz / C / 1 In demimFolgenden zubehandelnden Fall istPhänomen dieses hristi 4 : Religion, Nation, Krieg: derLutherchoral feste ‚Ein Burg ist unser Gott‘- zwi

3 bezeichnen und bezeichnen könnten inzeitlicher Nähe zueinander a ne

S c hä Portillo, Escobar /Alberto, Daniel : Te laudamus. Deum La f er Egerer, Ernst-Dietrich / 2 die sehr schnell die sehr Maringer, 3 9,

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1. in aeternum Et rege usque etextolle eos illos et benedic haereditatiet benedic tuae Salvum facpopulum tuum Domine gloria munerarigloria Aeternatuis sanctis cum fac sanguine redemisti famulis subveni quos pretioso Tetuisquaesumus ergo Iudex crederis venturus esse gloria Patrisgloria Tu in addexteram sede(n)s Dei credentibus regna caelorum Tu aperuisti mortis aculeo devicto uterum hominem non horruisti virginis Tu adliberandum suscepturus Tu Patris sempiternus esfilius Tu rex Christe gloriae Spiritum Sanctum quoque Paraclitum unicum (unigenitum)unicum filium Venerandum tuum et verum Patremmaiestatisimmensae confiteturecclesia sancta terrarum Teorbem per exercitus Te Martyrum candidatus laudat Te Prophetarum laudabilis numerus Te gloriosus Apostolorum chorus gloriae tuaegloriae Pleni sunt caeli etterra maiestatis Dominus Sabaoth Deus Sanctus sanctus sanctus incessabili proclamant voce Tibi Cherubim etSeraphim universae potestates Tibi omnes angeli tibi caeli et terra veneratur Te aeternum Patrem omnis confitemur Te laudamus Deum te Dominum Ansgar Franz/ChristianeSchäfer: Te Deumlaudamus–GroßerGott,wirlobendich Und leite sieund erhebe sieinEwigkeit. Erbe, Mach deinVolk, heil Dein und segne Herrlichkeit teilhaft werden. Lass unsLass mit deinen Heiligen derewigen hast. die du mit kostbarem Blut losgekauft Dich bitten also, wir deinen Dienern, hilf Wir glauben, dass du Richter als einst kommen wirst. Herrlichkeit desVaters, Du sitztDu zurRechten Gottes inder gebrochen und (damit) denGlaubenden die Reiche derHimmel geöffnet. Du hastDu denStachel desTodes nicht gescheut, angenommen, denSchoß derJungfrau Du hastDu zurErrettung Menschengestalt Du bistDu desVaters Sohn. allewiger Du KönigDu derHerrlichkeit, Christus, den Geist. Und auch denheiligen Tröster, eingeborenen Sohn Deinen ehrwürdigen, wahren ehrwürdigen, Deinen und Dich, denVater unermesslicher Majestät ganzen Erdkreis hin Dich bekennt dieheilige Kirche den über Märtyrer Dich dieleuchtende Heerschar der Dich dielobwürdige derPropheten Zahl Dich preist derglorreiche Chor der Apostel. Herrlichkeit deines Ruhmes. Voll sind Himmel und Erde von der der Gott derScharen! Heilig, derHerr, heilig, heilig, mit niemals endender Stimme zu: Dir rufen CherubimDir rufen und Seraphim und Mächte zusammen alle Dir rufen dieEngelDir rufen dirHimmel alle, huldigt dieganze Erde Dir, demEwigen, demVater, Herr, preisen wir Dich, Gott, wir, loben dich, 13 THEMA 14 THEMA menhält: Sie motivieren denGesang desDreimalheilig (voll sind Himmel und Erde von istschen. Dabei die äußersten Kreis derkonzentrisch umdasDreimalheilig gruppierten Engel und Men- Szenen: DieSingenden umdiebeiden sich derRahmen schließt stellen sichSo inden Initium, dieSingenden von sich selbst (Wir bitten dich also …Lass uns …;V. 20–21). des Vaters, Wiederkunft seine Gericht. zum Am Ende der2. Strophe sprechen,wie im dung, Kampf sein auf und Tod, Leben Erhöhung seine in die Herrlichkeit zur Rechten rettung des Menschengeschlechts besungen: Entäußerung Christi in der Menschwer wird hier nun Etappen in vier das dynamische und dramatische Geschehen der Er StropheZeichnet 1die statische, so überzeitliche Lobes, Szene des immerwährenden Blick rückt, der den Einzug des siegreichen Herrn Tempelheiligtum in sein besingt. dernunlische Bezugstext, mit demTitel König der Herrlichkeit (V. 14)Psalm 24 in den V. dasTempus 14),ebenso derVerben (du hast …; V. 16)und auch schließlich derbib- Strophe 2bringt einen deutlichen Wechsel: DieAnrede ändert sich …Christus (Du ; wirdde Dimension dieStrophe geben. Beschlossen mit einer trinitarischen Doxologie. wendung Verben aller imPräsens, Raum und diederSzene übersteigen Zeit eine allen - auf denEwigen hingeordnet, demdasDreimalheilig gilt. Charakteristisch ist dieVer allen Engeln (V. 3a) und der ganzen (V. 3b)sowie auf Seiten derMenschen dieMärtyrer (V. 9);deräußere Kreis besteht aus und die Zahl der Propheten (V. 7–8);dann folgen dieEngelklassen Himmel Mächte und Kreis bilden die Thronengel Cherubim und Seraphim geben wird. Anordnungsprinzip Das ist ihre Nähe jeweilige zuGott: deninnersten vonsen denrufenden Engeln einerseits und preisenden Menschen andererseits um- phe steht dasDreimalheilig (Jes 6,3;Offb4,8), dasin konzentrisch angeordneten Krei- mit derEröffnungsvision des Johannes auf Patmos (Offb4). Im Mittelpunkt der Stro- desJesajaüberblendet dieBerufungsvision dabei imAllerheiligsten desTempels (Jes 6) Ewige inmitten Geschöpfe seiner thront und ihren Lobpreis empfängt. Hymnus Der Strophe 1versetzt dieSingenden indasHeiligtum deshimmlischen Jerusalem, wo der folgen drei Strophen, diedeutlich voneinander geschieden sind: Auf eine eröffnende Anrede (Dich, Gott, loben dich, wir; Herr, preisen wir[V. 1–2])

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25. 24. Macht undOhnmacht confundar inaeternum. In te Domine speravi non speravimus inte super nos quemadmodum Fiat Domine misericordia tua nostri nostri Miserere Domine nostri miserere nos custodire Dignare Domine dieisto sine peccato aeternum et in saeculum saeculi aeternum saeculi etinsaeculum Et laudamus nomen tuum in Per singulos diesbenedicimus te Herrlichkeitbeide Szenen zusam (gloria) der - der Schlüsselbegriff, Kirche (V. Kosmos, 10). Der Himmel und Erde, ist In Ewigkeit werde ich nicht zugrunde gehen. Auf Dich, oHerr, habe ich gehofft. gehofft haben. geschehen, auf wir wie so Dich Lass über uns Erbarmen über Dein Lass Dich unser. Erbarme Dich unser, oHerr, erbarme an Tag diesem ohne Sünde indeine Hut nehmen. In Gnaden mögest uns, Du oHerr, in alle Ewigkeit.in alle Und Namen Deinen loben immer und Alle TageAlle hindurch preisen Dich wir (V. 4) sowie der Chor der Apostel - - -

6 5 in denJahren 1768,1772und 1778.Franz war nicht derEinzige, derdas Te Deum ins chige Kirchenliedfassung desTe Deum erschien inverschiedenen Versionen, und zwar Gesangbücher, dieganz imGeistderAufklärung gestaltet waren.Seine deutschspra - Theologe, katholischer Priester, Kirchenlieddichter und Herausgeber verschiedener „GroßerLied Gott, dich“ loben wir geht auf Ignaz Franz Er war (1719–1790) zurück. bisDas heute bekannte sehr dieKonfessionsgrenzen und über hinweg weit verbreitete 2.1. DieÜbertragungvonIgnazFranz 2. undSonn- Festtagen; ältesteDer liturgische bezeugte desTe Ort Deum ist dasklösterliche Morgengebet an 1.2. DieHerrlichkeitderMächtigen den“). ten“); 31,2(„Auf dich, oHerr, vertraue ich; lass mich nimmermehr zuschanden wer Huld,33,22 („Deine oHerr, komme uns, auf über wir wie dich unsere Hoffnungsetz- immer dichloben und123,3(„Erbarme ewig“); unser, oHerr, erbarme dich unser!“); trage sieinEwigkeit“); 145,2(„Ich dich preisen will Tag Tag für und deinen Namen ([Vulgata-Fassung:] „Hilf, Herr, deinem Volk und dein Erbe, leite und segne sie und zusammengefügt sind und dieSchlussbitte von Strophe 2weiterführen wollen: Ps 28,9 gen von sogenannten „capitella inpsalmis“, von Psalmzitaten, diezueiner Bittlitanei Damit ist derHymnus an einEnde gekommen. Strophe 3sind spätere Hinzufügun- Bitte derSingenden (lass uns Herrlichkeit der ewigen teilhaftig werden; V. 21). nig der Herrlichkeit; erhöht in die Herrlichkeit Gottes; V. 14.18)und der sieist dasZiel der Herrlichkeit deines Ruhmes; V. 6), sie charakterisiert den siegreichen Christus (Kö Königs und desgesamten Hofstaates feierlich uraufgeführt wurde. Deum schen gegen Allianz dieFranzosen gewonnenen Schlacht von Dettingen 1743einTe Entscheidung von Georg Friedrich Händel, nach dervon einer österreichisch-engli- zu politischen und militärischen Zwecken missbraucht. Paradigmatisch dafür ist die vollends ‚Huldigungsgesang‘ als indashöfische und staatlicheZeremoniell undwird Würde dieWahl. und für derDank desGewählten demBarock Seit wandert esdann Lobpreis Gottes dieErlösung und für derDank durch Christus imFokus, sondern die nalisieren. Schon hier steht weniger der sich nach himmlischem Vorbild vollziehende krönung). dieZustimmung soll Es derAnwesenden zurerfolgten Amtserhebung sig- unterschiedlichenbei Gelegenheiten auf (Bischofs- und Abtsweihe, Papstwahl, Königs- terspielen am Ostermorgen ab. imMittelalter Ebenfalls taucht ‚Dankhymnus‘ esals Das deutscheKirchenlied Weitere Kurzke, Beispiel bei Hermann: Hymnen derDeutschen, und Mainz Lieder 1990,163–184. Salzburger Äbtekonferenz, Beuron 1992, 120f. inderBenediktregel etwa DieBenediktusregel 11,8;vgl. So (lateinisch /deutsch); hg. imAuftrag der zukomponieren, dasam 27.November desgleichen Jahres inGegenwart des Ansgar Franz/ChristianeSchäfer: Te Deumlaudamus–GroßerGott,wirlobendich 5 von dort leitet sich mittelalterliche seine Verwendung Os- bei 6

- - 15 THEMA 16 THEMA

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gustin Erthel (Fuldagustin Erthel 1778 1. im 2zugrunde: men worden ist. Sie liegtmit wenigen Textänderungen auch den Fassungen imEGund rungsgesangbüchern von Franz Seraph von Kohlbrenner (Landshut 1777 Deutsche hat übertragen –andere Fassungen finden sich fast zeitgleich inden - Aufklä Macht undOhnmacht 9 8 7 Ignaz Franz, die 1774 in das bedeutende Gesangbuch der Maria Theresia Die Wirkungsgeschichte am nachhaltigsten beeinflusst hat diezweite Fassung von kirchlichen Hymnus näher zubringen. lateinischen Text indieLandessprache und damit zuübertragen denBürgern denalt- Druck befördert.Druck Wien [o.J., 1774]. ca. Katholisches Gesangbuch, auf allerhöchsten Jhrer Befehl k.apost. Majestät Marien Theresiens zum nachDer demSinne der katholischen Kirche singende Fulda Christ. 1778. haltung. Landshut 1777. heiligeDer Gesang zumGottesdienste inderroemisch-katholischen Kirche. Mit gnaedigster Genehm - Lobt und preist dich immerdar Und dieheil‘ge Zeugenschaar, Neue und Lob- Dankgesänge; Schickt zudeinem Thron empor ProphetenDer große Menge, Der ApostelDer Chor Christi Alles istAlles deinEigenthum. Sind von erfüllt deinem Ruhm, Himmel, Erde, Luft und Meere Starker Helfer inderNot, Heilig! Herr derKriegesheere! Heilig! GOtt Sabaoth! HErr Heilig, Heilig, Heilig zu! Rufen dirstäts ohne Ruh: Alle Engel,Alle diedirdienen, Stimmen an; direinLoblied Kerubim und Seraphinen Alles, was dichAlles, preisen kann, So bleibstSo du inEwigkeit. Wie du warst vor Zeit, aller Und deine Werke. bewundert Vor dirneigt dieErde sich, HErr, preisen wir deine Stärke: Großer GOTT, dich; loben wir 8 ). Der Aufklärung). Der war es offensichtlich den Bedürfnis, ein 8.

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5. Zeit undZeit Stunde weis man nicht. Endlich kömmst du zumGericht; Wenn kindlich auf wir dich hoffen, Du stellstDu uns demVater für, Allen, welcheAllen, glauben, offen; Nunmehr steht desHimmels Thür Und vom Tode gemacht. frey Gnade hast du uns gebracht, Zu uns erlösen gekommen. Und bist von desHimmels Thron Hast dieMenschheit angenommen, Du, desVaters ewger Sohn, Und demVater ist. ewig Der mitDer Dir, Herr JEsu Christ, Der, oKönig voller Ehren! Und mit Troste kräftig speist, Welcher uns mit Lehren seinen Sie verehrt denHeilgen Geist, Deinen eingebohrnenDeinen Sohn. Die auch auf ehrt Thron seinem Singt dieheilige Gemeine, Dich GOtt Vater; dirzumPreiß Loben Große,Loben und auch Kleine Auf demganzen Erdenkreis 9 aufgenom- 7 ) und Au -

Vorstellung desHeiligen Geistes, welcher uns mit seinen Lehren […] kräftig speist in Franz auf zwei Strophen (Str. 5und 6)und diezeittypisch trägt dabei aufklärerische und Dankgesänge Str. (vgl. zufallen 4).DieDoxologie desHymnus (V. 11–13)verteilt Dreimalheilig zu, während denAposteln, Propheten und Blutzeugen dieneuen Lob- Engel und Menschen umdasSanctus verloren: Im fällt vielmehr Lied denEngeln das geht denHymnus diefür konzentrische grundlegende so Anordnung derpreisenden des himmlischen Thronsaals (Offb4) aufdiegesamte Schöpfung aus. Aufdiese Weise tum Kosmos konkretisiert sich in den Schöpfungswerken Gottes: bilden sie alle Erde und Himmel dementsprechend dieimHymnus denganzen für Kosmos stehende Zwillingsformel manifestiert sich inderErschaffung wiederum Diese der Welt. Im Sanctus-Zitatwird deinedert Werke auf verweisen dieMacht, dieKraftLeistungsfähigkeit und die Gottes. pekt derSchöpfertätigkeit Gottes: DieWendungen Großer Gott, Stärke und bewun In denStrophen 1–5akzentuiert Ignaz Franz abweichend von Vorlage seiner denAs- 10–12 demletzten Teil (V. 22–29). sprechen dem zweiten, christologischen Teil des Hymnus (V. 14–21) und die Strophen ersten Teil desHymnus (V. 2–13),diedenLobpreis enthalten. DieStrophen 6,4–9ent- Er umfasst insgesamt 12Strophen. DieStrophen entsprechen 1–6,3desLiedes dem wirkenden Aufblähung des Textes. sich –wie noch zeigenänderung wird führt –an manchen Stellen zueiner redundant endender 5–6mit Kadenz; betont Zeilen endendem Paarreim). Formver diese Allein (Trochäischerübertragen Vierheber; 1–4kreuzgereimt Zeilen mit betont und unbetont Parallelismen geprägte Hymnentext wird ineingleichförmig Strophenlied metrisiertes wiederholungen am Verseingang (Te …Te …Tibi …Tibi … ) und durch zahlreiche ischen ins Deutsche durch ändert. Der verschieden lange Gliederungseinheiten, Wort- Zunächst fällt auf, dass sich dieForm desTextes vom derÜbertragung bei Latein- denzen auf. erfreut hat, deutliche Schwächen und eine von Reihe zeittypischen Bearbeitungsten- LiedtextDer weist, obwohl ersich durch dieJahrhunderte hinweg großer Beliebtheit

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9. . Damit weitet sich vom dieSzenerie Allerheiligsten desTempels (Jes Abbild 6)als Dich imHimmel möge sehn! Hilf, daß esdurch Buß und Flehn, Daß der Feind esnicht verderbe. Leit es auf derrechten Bahn, Hilf deinErbe; uns, HErr! segne, Sieh deinVolk inGnaden an; Zu dirindenHimmel auf. Nimm uns nach vollbrachtem Lauf Als du uns für hast gelitten; Die deinBlut dort machte frey, Welche dich mit Demuth bitten, Drum stehDrum deinen bey, Dienern Ansgar Franz/ChristianeSchäfer: Te Deumlaudamus–GroßerGott,wirlobendich durch dieHinzufügung derElemente Luft und Meere Der erweitert: 12.

11. Laß unsLaß nicht verlohren seyn! Auf dich hoffenallein, wir Gleichwie zuhoffen wir pflegen. Deine GüteDeine zeige sich. Ueber uns, HErr, deinSegen! sey HErr, erbarme erbarm! dich! Und befreyt. von seyn Lastern Gib, daß von wir Sünden heut Ehre, und erweisen. Lob Dank Und Zeiten dir zuallen Dich und deinen Namen preisen, Alle TageAlle wollen wir sein Eigen - - - 17 THEMA 18 THEMA die irdische Arbeit inderdeutschsprachigen Fassung eine größere spielen. Rolle dass Vorstellungen von Leistung und Gegenleistung vom oder für himmlischen Lohn sprechen muss undGott dabei viel stärker anthropomorphisiert dasTe als Deum, so Gott und Heilswirken, seinem während das18.Jahrhundert viel mehr vom Menschen gische Konzeption, mit der das gen. fehlt Es Selbstverständlichkeit, dieruhige ihm dieSicherheit und klare theolo- Generell unterlieg derText des18.Jahrhunderts offenbar Begründungszwänstarken- Segen sowie das Bekenntnis von Hoffnung des derSingendenMelodie –imBewusstsein denCharakter desStückes: Versprechen Das ten Teilen DieAnfangs- desLiedes. und dieEndstrophen prägen –zusammen mit der trachtet werden. Sie gehören zusammen mit denEingangsstrophen zudenbekanntes- untereinander verbundenen Psalmzitaten besteht, eine als geschlossene Einheit- be Die Strophen 10–12können anders derdritte als Teil desHymnus, deraus eher lose sind auch als bis heute imaktiven Vollzug häufig ausgelassen werden. die Strophen deszweiten Teils sowohl indergedruckten Rezeption häufig ausgefallen auch insgesamt derGrundLänge –neben desLiedes gerade warum –dafürsein, weist das deutschsprachige und theologische Schwächen poetische Lied auf. mag Das Redundanzerwähnte deutlich zumVorschein. christologischen indiesem Gerade Teil heit getränkten Glaubenssätzen heruntergebrochen. Hier kommt dieanfangs schon schehens aus demHymnus wird und von zuharmlosen aufklärerischer Heilsgewiss- zwar dann, und Gnade bringt Gottes sondern aufgeklärter als Menschenfreund: Vom Himmelsthron hohen den Himmel auf (Str. 8).Christus erscheint Franz bei nicht mehr glorreicher als Sieger, haftig werden reimt Franz etwas banal und nimm uns nach vollbrachtem Lauf /zudir in der Bitte derSingenden. Statt: Lass uns mit deinen Heiligen Herrlichkeit der ewigen teil - hölzernen Sentenzen weichen. verschwindet Daher auch dieHerrlichkeit (Gloria) aus üblicheklärung Abstrahierung: Alszu krass und plastisch empfundene Bilder müssen vom Tode frei gemacht (Str. Textänderungen 7). Diese sind typisch eine in der für Auf- eingesetzt Hast wie die Menschheit angenommen Gnade oder hast du uns gebracht /und hast den Stachel des Todes gebrochen (1Kor 15,55).Stattdessen werden Formulierungen du hast […]den Schoß einer Jungfrau nicht gescheut ausgelassen ebenso Vers wie 17du sichhier lassen zeittypische Auslassungen undwird EinfügungenSo finden: Vers 16 Die Strophen deszweiten 6,3–9stellen dieÜbertragung Teils desHymnus dar. Auch nun Christus angesprochen. Kommunikationssituation. Während bisher Gott derAdressat desLobpreises war, wird ein. Zugleich ändertdas Lied sich in Strophe innerhalb 6 – also der Doxologie – die Macht undOhnmacht Lobens, dieflehentlichen Bitten um göttliche Hilfe wenn wirkindlich auf dich hoffen (Str. 7). Die Dramatik des Erlösungsge - (Str. uns zuGott 6).Erführt (du stellst uns den Vater vor), und Te Deum Aussagen seine macht. Das und Vertrauen. Führung, Erbarmen und Führung, Te von Deum spricht steigt erherab und

Nationalsozialismus. sche Mittelteil. Und genau diesermöglichte dieUmdeutung des inderZeit desLiedes dominieren Versionen zwischen 5 und 7 Strophen. Was fehlt jeweils ist der christologi- 14 13 12 Ebd. 11 10 zelnen Ausnahmen (Straßburg 1899 –eineginals) Auswahl, dieevangelische diefür Tradition bleibt. bestimmend Mit ein- bringtSo dasGesangbuch 1886 Berlin jahrhundertelang niemand an desTe eine Übertragung Deum gewagt. Liederschlüssel zum evangelischen Gesangbuch formuliert hatte: Nach Luther habe sich lich teilte man gemeinhin auch dieEinschätzung, dieWilhelm Nelle 1924inseinem gelischen Gesangbücher häufig indie Kategorie „Geistliches Volkslied“ und womög- des 19.Jahrhunderts dieKonfessionsgrenze. Allerdings gehört esinnerhalb derevan- überschreitetEs eines – als der wenigen katholischen überhaupt Lieder – im Laufe –schreibt Hermann Kurzke dieWirkung über desLiedes. breitet essich flächendeckend und entwickelt sich zueinem katholischenKlassiker. Maria Theresia zunächst schleppend.eher Erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ver Die katholische verläuft Rezeption desLiedes ausgehend vonGesangbuch dem der 2.2. KonfessionsüberschreitendeVerbreitung 12 Strophen von Großer Gotte, wirloben dich.“ anderen Herrlichkeiten, Mietshäuser um12kleine daraus zuerrichten, die eben Burg von Herr Gott, dich loben wirniederlegte mit ihren Türmen, all Toren und fangreiches Gesangbuch mit herzustellen, allein eigenen Liedern und derdarindie kam„Da Ignaz Franz, derkatholische Dichterling, dersich vermaß, einganzes um- umfassenderen, grundsätzlicheren…“ hat einen anderen diemeisten als Rang übrigen Kirchenlieder, einen mächtigeren, von ‚ozeanischem Gefühl‘Überwältigtsein geht dann durch dieMenge. Lied Dieses schmettern aus voller Brust. EinErschauern angesichts derGröße Gottes ein oder Orgel Äußerstes ihr gibt und auch die, diesonst nur lustlos vor sich hinbrummeln, namsprozession, Wiedereinzug beim indieKirche, Glocken wenn läuten, alle die erdröhnen kann, zumBeispiel imkatholischen Gottesdienst nach derFronleich- „Man muss eserlebt haben, mit welcher Urgewalt dasGroßer Gott, wirloben dich meisten haben esstark gekürzt, obwohl eseingeschlossenes Ganzes ist.“ abdass 1878Eingang dasLied indieGesangbuchanhänge fand und betont: „Die Elsaß-Lothringen. für Straßburg 1899. Königlichen Konsistorium. 1886. Berlin in derProvinz Brandenburg mit Genehmigung des Evangelischen Oberkirchenrats herausgegeben vom Evangelisches Gesangbuch. Nach Zustimmung derProvinzialsynode vom Jahre 1884zurEinführung und vermehrte Auflage. Gütersloh 1924,321. Nelle, Wilhelm Kurzke: Hymnen, 210(s.Anm. 6). Ansgar Franz/ChristianeSchäfer: Te Deumlaudamus–GroßerGott,wirlobendich : Schlüssel zumEvangelischen Gesangbuch und Rheinland Westfalen. für 3.,verbesserte 14 enthält zumBeispiel involler dasLied Länge) 13 nur sechs Strophen- (1–3und 10–12desOri 10 11 Weiterhin Nelle verweist darauf, 12 -

19 THEMA 20 THEMA mehr denSatan, sondern zumBeispiel dieFranzosen. sche Volk Hitlers zuverstehen, und unter dem„Feind“ Strophe inderderselben nicht Volk welches Christi, aus Blut Christi wurde, erworben sondern ganz konkret dasdeut- Erlösungslehre) erlaubte leicht, esallzu unter „Volk“ nicht dasmehr dasübernationale der theologischen Missbrauchssicherung indenmittleren Strophen (Christologie und Dies öffnete dem nationalistischen Verständnis des Textes Tür und Tor.Der Wegfall dein Volk in Gnaden an). Damit wird die „Volk-Strophe“ zur Zielstrophe des Textes. in Strophe sich 3 schließt nun diejenige Strophe an, in der vom „Volk“ ist die Rede (Sieh es sich umdieStrophen 1–3und 10–12derursprünglichen Fassung. Direkt an dasLob evangelischen Gesangbuch von 1901.Sie hat insgesamt sechs Strophen: handelt Dabei ihrerEine inderArt Kürzung typische FassungBeispiel findet sich zum imThüringer durch Umdeutung durch oder entstehen. Erweiterung Textänderungen,tig: diedurch eine Kürzung, durch denAustausch einzelner Zeilen, hang mit „Großer Gott, dich“ loben wir sind vor diefolgenden allem Punkte wich- gibtEs verschiedene Möglichkeiten, auf welche Weise diesgeschieht. Im Zusammen- ihre Grenzen schlecht so befestigt sind, dasist derWirkungsgeschichte.“ derSchock Widerstandihr gering so ist, anpassungsbereit dass sieso und korruptil sind und dass […] Dass dieTexte nicht integer sind, dass sieihren Charakter leicht so aufgeben, dass henden Mißbrauch, sondern umeingrundsätzliches literaturtheoretisches Problem. wurden,sozialisten verwendet nicht nur umeinen zwar vorüberge aber peinlichen, - große zumAusdruck Erfahrungen und edle gebracht haben, auch von denNational- scheinen beschmutzt. geht Es nicht dabei nur einmal dass darum, Gesänge, dieeinmal ne Lieder‘. DieWirkungsgeschichte treibt dieUnschuld jedoch denLiedern aus. Sie er Volksmund„Der meint: ‚Wo man Menschen singt, laß da dich / böse nieder haben kei - werdenten übertragen kann und denHermann Kurzke folgendermaßen erläutert hat: Hymne. EinProzess, ähnlicherForm oder derindieser auch auf andere Liedgeschich- dich“ von besonderer Bedeutung: DieUmdichtung zueiner nationalen desLiedes Politik“ ist vor einAspekt allem derWirkungsgeschichte des„Großer Gott, loben wir Im Zusammenhang mit demTagungsthema „Macht und Ohnmacht –Kirchenlied und 2.3. „GroßerGott“alsnationalesLiedderdeutschenChristen Macht undOhnmacht 16 15 Wie man sich dasvorstellen kann, beschreibt ermit einem Bild: Umgebung auf.“ sich, ganzteilweise, zerfällt dert oder gibt Teile nimmt ab oder Stoffeseiner neuen Stoff in verschiedene Flüssigkeiten getauchtwird. Der Text bleibt stabiloder er än- Text und Horizont laufen Reaktionen ab, die denen ähneln, der Chemie wenn ein „Texte ändern sich, wenn dersieumgebende Horizont sich verändert. Zwischen Ebd., 215. Kurzke: Hymnen, 210(s.Anm. 6). 16 15 -

des hebräischen Sabaoth Begriffs die ohnehin leicht missverständliche Vokabel Kriegesheere. Sie ist eine Übersetzung Damit wird dashebräische Wort Sabaoth 2. Heilig, heilig, Herre Gott: (ursprünglich Str. 3)wird zudemaus Heilig, derZeile Herr Gott Sabaoth dieWendung Gesangbuch der Kommenden Kirche aufgenommen worden ist. In derzweiten Strophe dich“ 1939ineiner auf Strophen fünf gekürzten Fassung (Str. 1,3und 10–12)indas Eine solche Umdeutung manifestiert sich in der Tatsache, dass „Großer Gott, loben wir

heere scharen‘, dass invielen Fassungen so zurVerdeutlichung Himmelsheere 4. Strophen: wir Vermeidung desSabaoth lischen Feldgesangbuch von 1939enthält dieStrophen mit wieder 1und der 3(diese denfolgendenbei Fassungen kaum noch möglich. DieTextfassung aus demEvange Rest Freiheit den Text lassen, auch imeigentlich gemeinten Sinn zuverstehen, ist das Sinn umgedeutet. Während Umdeutungen diese dem Rezipienten immer noch einen In Fällen beiden hauptsächlich wird dasLied durch Kürzung imdeutschnationalen ten aus demalttestamentlichen Buch Jesaja. Großer Gott, wirloben dich, tut nicht esaber mehr, zumindest nicht mehr mit denWor der nach biblischem zentrale Akt Zeugnis desLobpreises. zwar sagt noch Lied Das wird dieVolk-Strophe zurzweiten Strophe. Damit entfällt dasSanctus (Heilig, Heilig), gibt demBuch dasLied dern auch Titel. seinen Durch dievorgenommene Kürzung vierstrophigen Fassung von „Großer Gott, dich“ loben wir (Str. 1und 10–12),son- 1941erschieneneDas Gesangbuch der deutschen Christen eröffnet nicht nur mit einer sich auch hierdirekt dieVolk-Strophe an. konkreter mit dendeutschen Kriegsheeren) gleichgesetzt werden. Folgerichtig schließt heere ). DieVolk-Strophe suchen vergeblich. wir findenwir zwei Dafür neugedichtete über unser Vaterland.über strecke deine Hand segnend alles ist deinEigentum.alles (Str. 3) vonsind erfüllt deinem Ruhm; Himmel, Erde, Luft und Meere starker Helfer inderNot, Herrheilig, derKriegesheere, Heilig, Herre heilig, Gott, unser Leben, unsreunser Leben, Ehre; befohlen sein, drum Dir soll dein, oGott, Meere. sind alle Alle Lande, Herr,Alle sind dein, eingesetzt worden ist. Wenn Sabaoth ihren Bezug und kann damit ihren Bezug leicht mit den irdischen Kriegsheeren noch (oder Ansgar Franz/ChristianeSchäfer: Te Deumlaudamus–GroßerGott,wirlobendich ), gefolgt von derursprünglichen Strophe 11(Alle Tage wollen und meint Ignaz bei Franz Heer die‚himmlischen allerdings ausfällt, verliert dieVokabel Krieges- umgangen. Zugleich verändert sich dadurch

5. „Treu zuFührer, Volk und Reich.“ Losungswort allzugleich: sei sei uns selber Waff’n unssei selber und Wehre! laß dietreue Schildwach stehn, seis zu Lande, seis zuMeere, zuLande, seis seis Dort, woDort, unsre Fahnen wehn, statt Krieges- statt - - -

21 THEMA 22 THEMA Das Das Macht undOhnmacht es sich lohnt, gut zudichten. nehmen und mit Liedkürzungen sorgsam zu verfahren. Zugleich zeigt sich auch, dass dafür schärfen, dass es immer der Mühe ist, wert den gesamten Text in den Blick zu und Texteingriffe.Das Rezeptionsprozesse Wissen umdiese sollteBewusstsein das struktur desTextzusammenhangs, erzeugen Leerstellen, ermöglichen Umdeutungen eines Liedtextes Kürzungen. sind für anfällig verändern dieGrund- wiederum Diese welche Einfallstore dafüroffenstehen können. schwachen poetisch Vor die allem Teile Beispiel, eszusolchen zeigtdieses wie Dennoch nerung. Prozessen kommen kann und zialismus erfahren hat, ist gut wahrscheinlich dabei so niemandem wie mehr- inErin ten –Strophen desMittelteils. DieUmdeutung, des Nationalso inderZeit diedasLied - Fassung. Gesungen wird esauch heute zumeist nicht ohne geglück die–poetisch sehr - Aktuell steht sowohl dasLied auch imEGals ineiner elfstrophigen ö-Lied imGLals Tod die ursprüngliche Strophe 11 ausgefallen und damit auch das Strophen Im ebenfalls. Vergleich zumevangelischen Pendant ist dort zusätzlich aber . Katholische Feldgesangbuch Katholische aus demgleichen Jahr enthält neugedichtete diese Rett aus Sünden, rett aus 1 steht derweströmische Kaiser Valentinian II. Worum geht Konflikt esindiesem und wer sind die Kontrahenten? SeiteAuf dereinen 1. DerKampfumdieKirchen fasst: „Macht und Ohnmacht, Kirchenlied und Politik“. hätte und derinexemplarischer Weise dasSpannungsfeld unseres Tagungsthemas um- Konflikt zwischen Kaiser und Bischof, den man kaumbisdahin für möglich gehalten In denJahren 385/6kommt Metropole esinderoberitalienischen Mailand zueinem A gegen denKaiserhof? Die Hymnendes Ambrosius vonMailandalsKampfmittel durch dieZauberweisenmeinerLieder“ „Man sagt,dasVolk seibehext zurück, Ambrosiuszurück, erhält eine klassische Erziehung und eine juristische Ausbildung Provinz Norbonensis Gallia ist. Nach demTod desVaters kehrt dieFamilie nach Rom lichen Glauben bekennt. Erwird gegen 339in Trier geboren, woVater sein Präfekt der aus einer römischen Adelsfamilie, diesich schon seit einigen Generationen zumchrist- Auf deranderen Seite steht Aurelius Ambrosius, derBischof derKaiserstadt. Erstammt mit demVater ansehen. gemäßigten Form des Arianismus, die Christus als die Christus homousios als Beamtenschen Offizieren und besteht, nicht Beschlüssen des den Konzils von Nicäa, heraushält. –Religionspolitisch folgt derKaiserhof, derzueinem großen Teil aus goti - Reich herrscht relativ unangefochten Theodosius, der sich zunächst aus dem Konflikt Gratian auf demThron nachfolgt, bleiben nur und Italien Nordafrika. Im oströmischen nien ausdehnen, demjungen Valentinian dagegen, ermordeten derseinem Halbbruder Maximus kann Herrschaft seine Britannienüber hinaus auch und auf Gallien Spa- mus über, erselbst wird gefangengenommen und ermordet. schließlich Usurpator Der laufen vor derentscheidenden Schlacht inderNähe von Paris Soldaten seine zuMaxi- rechtmäßigezu sichern. Der Kaiser Gratian zieht mit ihm einem Heer entgegen, doch auf denWeg nach Italien macht, Herrschaft umseine imganzen WestteilReiches des erhoben und Maximus ihren General zumKaiser ausgerufen, dersich auch sogleich Politisch ist prekär: Lage seine 383hatten sich dierömischen Truppen inBritannien Mittina. nur 12Jahren muss erdieThronfolge des weströmischenReiches antreten. er noch unmündig und steht unter dem beherrschenden Einflussseiner Mutter Jus- nsg 11–40, 92–108. hier Vgl. und im Folgenden a r F r a nz Dassmann, Ernst: Ambrosius von Mailand. und Werk, Leben Stuttgart 2004, , als „wesensgleich“, als mit demVater verstehen, sondern einer 1 Zur derAuseinandersetzungen Zeit ist homoiusios , als nur, als „wesensähnlich“ 23 THEMA 24 THEMA Grundlage geschaffen,beginnt und es diezweite der Phase Auseinandersetzungen, dienstliche Versammlungen abzuhalten. Damit war aus derSicht desHofes dierechtliche Gleichberechtigung und ausdrücklich ihnen dieErlaubnis gewährt zusichert, gottes- Im Januar desfolgenden Jahres ergeht ein Edikt, das denArianern religiöse jedoch nachrung einer zurück. eigenen Basilika überrascht, man bittet denBischof, und zieht zuberuhigen dieBevölkerung dieForde- versammelt sich vor dem Palast und protestiert. Hof Der scheint von Reaktion dieser serliche Konsistorium wird, zitiert kommt eszuUnruhen unter man derBevölkerung, Recht auf eine eigene Kirche. Und Ambrosius lehnt entschieden ab. Alservor daskai- Versammlungsverbot Häretiker für gesehen einherging. hatten So kein dieArianer also die nicänische Variante desChristentums zurStaatsreligion erhoben, womit auch ein auf welcher Rechtsgrundlage Forderung diese sich stützen kann. 380hatte Theodosius die kleinere, vor denStadtmauern gelegene basilica Portiana verlangt, die am für ihr Hof Arianer lebenden eine Kirche zur Verfügung zu stellen, dersetzungen bringt. einem erbitterten Streit ausweitet und Mailand an gewalttätiger den Rand Auseinan- In denJahren 385/6kommt esdann allerdings zueiner direkten Eskalation, diesich zu mit demKaiserhof führt. 3 2 Bistumsseines zurückdrängt, von Nicäa, dermit großer Energie diearianischen Positionen innerhalb außerhalb wie denn derneue Bischof sich von erweist Anfang an treuer als Anhänger desKonzils promisskandidat. Von Seiten derArianer ist eine diesaber grobe Fehleinschätzung, wird Akklamation erper zumBischof gewählt. Ergilt wohl Parteien beiden Kom als - streiten. eine Kinderstimme soll Dort gerufen haben „Ambrosius episcopus“, jedenfalls schlichten Parteiungen wo und beide begibt sich indieBasilika, miteinander heftig kommt,nischen Klerus Ambrosius will Vertreter als derstaatlichen Ordnung denStreit hen zwischen deranscheinend nizäatreuen und demaria- überwiegend Bevölkerung dort derarianische Bischof Auxentius. derFrage Alsesbei umdieNachfolge zuUnru- Amtssitz ist Mailand, Residenzstadt Zeit derweströmischen zudieser Kaiser. 374stirbt dennschonsein, 372wird erzumPräfekten derProvinz Aemilia-Liguria ernannt. Sein dieBeamtenlaufbahnscheint ebenfalls und ein.Er schlägt außerordentlichbegabt zu Macht undOhnmacht l’Arianesimo, Milano 2013(Studia Ambrosiana zum‚Kirchenstreit‘ 7);hierin Giuseppe Visonà, gen des Mailänder Bischofs mit dem Arianismus neuerdingsvgl. 23/1988, 3–86,und Dassmann combatLe d’Ambroise en386contre l’arianisme milanais: Recherches Augustiniennes etPatristiques Die immer noch besten wissenschaftlichenDarstellungen bieten Nauroy, Gérard contraSermo Auxentium tradendis (ebd. 82) undde basilicis Epistula 76 (20) sorori (ebd. 108–125). selbst mit Briefen seinen Epistula 75(21)Valentiniano (CSEL Epistula 82,3,74–81Zelzer), 75a(21a) Die zwar nicht unparteiische, zuverlässige doch aber Hauptquelle zu den Ereignissen bietet Ambrosius beansprucht, eindeutig gegen die arianische Christologie aus; vgl. Konstantinopel tagende Konzil, dasspäter 2.Ökumenisches als Konzil Geltung dieGesamtkirchen für sius das theologische Ende des Arianismus im Westen besiegelt. Im Jahr selben spricht sich auch dasin Ein Höhepunkt istHinsicht indieser das Konzil von Aquileia (381),dasunter demVorsitz desAmbro- Ambrogio, 99–112. Ansgar: ‚Confessio trinitatis, quae cottidie totius populi ore celebratur.‘ L’antiarianesimo innidi negli grafia del conflittoariano: Ambrogio basilica la e Porziana, 113–146;im Hinblick auf dieHymnen Franz, 3 Es beginnt Es damit, dass diekaiserliche von Regierung Ambrosius : Ambrosius 92–108(s.Anm. 1).Allgemein zu den Auseinandersetzun- 2 was immer wieder zutiefgreifenden was immer wieder Unstimmigkeiten Dassmann Passarella, Raffaele Passarella, . Es ist. Es nicht ganz klar, : Ambrosius, 78f. (s. Anm. 1). : Le fouet: Le etlemiel. (Hg.): Ambrogio e : Topo : -

zum oströmisch-byzantinischen Cäsaropapismus ist demWesten erspart geblieben. weltlicher und kirchlicher Herrschaft nie mehr zurückgegangen. Eine Entwicklung hin Hinterliert. Position diese ist man denfolgenden bei Auseinandersetzungen zwischen 4 Brief desAmbrosius an Schwester seine heißt. Innere derKirche „nicht –aber umzukämpfen, sondern umzubeten“, esindem wie exkommunizieren, der geben sie die Belagerung sind. Alssiehören, derBischof gezwungen, sei sieimFalle von Gewaltanwendung zu fen mit Ambrosius sympathisieren und zu einem gewaltsamen Vorgehen nicht bereit Bischof Eine wichtige und Bevölkerung. kommt Rolle auch denSoldaten zu, dieof- scheiternSchließlich diekaiserlichen Ansprüche an derunnachgiebigen Haltung von haft. SchwesterIn einem seine Brief an Marcellina erdie schildert Verhandlungen: umstellt.pen Gegenüber denAbgesandten zeigtAmbrosius derRegierung sich stand- die bricht diekaiserlichen Absperrungen und dringt indieKirche sie. Auch einund besetzt umstellen. Wie imVorjahr kommt eszuUnruhen unter Man derBevölkerung. durch- heiten ab. Hof Der lässt daraufhin die und beschlagnahmen vonTorbasilika Truppen lehnt grundsätzlich die Entscheidungsgewalt des Konsistoriums in Kirchenangelegen- us rechtskräftig entschieden werdensoll. Ambrosiussein Erscheinen und verweigert ernannten undzwischen einem ihm mittlerweile arianischen Gegenbischof Auxenti- ne die Ereignisse. Hof Der verlangt die größere, jetzt innerhalb der Stadtmauern gelege- die nun wesentlich härtere Züge annehmen. In derKarwoche 386überschlagen sich (christliche) Kaiser ist inderKirche, nicht derKirche“, über che Position dasrömisch-spätantike markiert, diefür durchaus Denken neu ist. „Der Damit war nicht nur derkonkrete Streit entschieden, sondern auch eine grundsätzli- 6 5 in rechtmäßiger Verbindung mit Christus lebt.‘“ Sekterischen [derArianer] zuschaffen?Denn ehebrecherisch ist sie, sienichtweil ist ‚Es dirnichterwidere: erlaubt, eine zuhaben. Was hast du mit ehebreche dieser - der Kaiser dieWeisung: ich muss ‚Aber wenigstens doch haben!‘ eine Ich Basilika KaiserDem gehören diePaläste, demBischof dieKirchen. […]Abermals erließ steht Gebt geschrieben: Gott, was Gottes ist, und demKaiser, was desKaisers ist. dich vor Überhebung! Wenn du lange Herrscher Gott sei willst, untertan. sein Es du direinbildest, du habest daskaiserliche Recht auf Dinge, dieGott gehören. Hüte Eigentum.sein Ich entgegne: ‚Gebieter, nicht belaste deinGewissen dadurch, dass Ein Höfling sich beruft darauf, alles demerlaubt, sei Kaiser sämtliche Dinge seien anzutasten; kannst wie du dann du wähnen, dürftestGotteshaus ein wegnehmen?‘ Keineswegs steht zu, auch dirdieBefugnis nur dasHaus deseinfachsten Privatmannes göttliche sieauszuliefern, Gesetz, und dir, Kaiser, kommt esnicht zu, siezubesitzen. ergeht„Es dieWeisung: ‚Liefere aus.‘ dieBasiliken verbietet Ich ‚Mir das erwidere: basilica nova Epist Dassmann bei 76,19;Übersetzung Sermo contraSermo Auxentium Dassmann 38;vgl. Epist Dassmann 76,13;vgl. basilica nova . Ambrosius wird zueinem Religionsgespräch an denHof wo zitiert, , inderBischof dieLiturgie derKarwoche begeht, wird von Trup- : Ambrosius, 100(s.Anm. 1). : Ambrosius, 103(s.Anm. 1). : Ambrosius, 106 (s.Anm. 1). 5

basilica nova 4 6 Ansgar Franz:Zauberweisen wie Ambrosius wie esformu- auf und stürmen in das

25 THEMA 26 THEMA basilicis tradendis schreibt derMailänder Bischof: In Brief an demseinem Kaiser Valentinian contra beigegebenen Sermo Auxentium de Eine ganz ähnlicheEinschätzung findetbei sichAmbrosius selbstGegnern. seinen und verhindern eine „Ermattung vor Trauer und Überdruss“. die Hymnen eine entscheidende Rolle. Sie „trösten“ und „ermuntern“ dieGläubigen, Nach desAugustinus demBericht spielen dramatischen indieser Auseinandersetzung zungen inMailand aufhält,Confessiones:seinen sich in erinnert klares Versmaß charakteristisch sind. Augustinus, dersich derKirchenbeset zurZeit - Prosasierter verfasst ist, deneingleichmäßiger sondern für Strophenaufbau und ein von Hymnen dichtet, dernicht dasGloria wie in excelsis und dasTe Deum inrhythmi- nengesangs inMailand. Ambrosius ist dererste, derinWestkirche einen neuen Typ Engstens verbunden mit Kampf diesem umdieKirchen desHym ist dieEinführung - Macht undOhnmacht 8 7 Schüler sein konnten.“Schüler sein ligen Geistzuverkünden. Dadurch Lehrende sind alle geworden, dievorher kaum Glauben inVersen zubekennen, wissen, und alle den Vater, und denHei denSohn - den Mund desVolkes imGottesdienst besungen wird? wetteifern Alle darin, den nämlich sollte mächtiger dasBekenntnis als sein derDreieinigkeit, durch dietäglich dasauchleugne nicht. ist Eine das,und große nichts Zauberweise ist mächtiger. Was „Man dasVolk sagt, durch meiner behext Hymnen, sei die Zauberweisen und ich meisten Kirchengemeinden derWelt übernommen worden.“ verhindern. hat Seither sich der Brauch bis heute erhalten und ist von den vielen, ja Ostkirchen umdieErmattung eingeführt, desVolkes vor Trauer und Überdruss zu der Stadt. Damals wurde dasSingen von Hymnen und Psalmen nach der Weise der von der Glut Geistes, Deines waren noch aufgewühlt vom Schreck und der Erregung erste, sich inSorgen und Wachen hervorzutun. Wir anderen, noch nicht erwärmt Bischof, zusterben. Meine Mutter, Magd, Deine lebte und war die hierdemGebet Nachts hielt dasfromme Volk inderKirche Wache, bereit, mit Diener, Deinem dem zu verfolgen aufgrund ihrer Häresie, hatten. zuderdieArianer sieverführt Des Mutter desjungen Kaisers Valentinian, begonnen, Stellvertreter Deinen Ambrosius zusammen.zen derBrüder Vor einem Jahr erst wenig mehr oder hatte Justina, die Ermunterung übernommen hatte. In heiligem Eifer sangen dieStimmen und Her warEs nicht lange her, daß dieKirche von Mailand von Art diese Tröstung und taten mirwohl. in mein Herz und erzeugte dort eine innige Frömmigkeit; dieTränen und flossen deiner Kirche. Die Weisen strömten in mein Ohr, und ihre Wahrheit flößte sich ein „Wie weinte Hymnen ich bei und Gesängen auf dich, densanfttönenden Stimmen us quam confessio trinitatis, quae cottidie totius populi ore celebratur? omnes student Certatim fidem pulum ferunt, plane abnuo. hoc nec Grande carmen istud est quo potentius; nihil quid enim potenti- Epistula 75a(21a),34(CSEL „Hymnorum 82,3,105Zelzer): quoque meorum carminibus deceptum- po Urs von Augustinus, Bekenntnisse 9,6f. (CChr.SL 27,141Verheijen); deutsche Balthasar, bei Übersetzung Hans : Augustinus. Bekenntnisse, Einsiedeln 1988,211f. (Christliche Meister 25). 8 7 -

3.

2.

10 9 1. Er hat folgende Textgestalt: 2. DerHymnus„Intendequiregis“Israel erscheintEs unsere für daher Fragestellung lohnend, den Hymnus näher zu betrachten. auf denWeihnachtshymnus 1927schwärmt verwiesen. einMailänder Kanonist: Arianer und diePräpotenz derweltlichen Macht dienen sollten. Häufig wurde dabei Durchhaltepropaganda verfasst, Kampflieder, als als die Waffe gegen die Häresie der sogar erst gedichtet. Bischof Der hätte sozusagen „vor Hymnen seine Ort“ eine als Art dramatischen Tagen derKirchenbesetzung dieHymnen nicht nur sondern eingeführt, tive Einbildungskraft einigerGelehrterDanach stimuliert. hätte Ambrosiusjenen in In der älteren Forschung Worte haben diese des Mailänder Bischofs zutiefst die krea- fasst hat, auch wenn erinderKirche gesungen wurde.“ Hymnus weniger zumliturgischen Gebrauch vielmehr als denVolksgesang für ver gegen der Arianer. die Lieder das lässt All vermuten, dass der hl. Ambrosius diesen (inno dibattaglia). Erhat eine eindeutig antiarianische Intonation und stellt sich der während derberühmten Tage desJahres 386entstanden ist. Erist einKampflied erste„Der Hymnus desAmbrosius scheint Intende qui regis Israel gewesen zusein, chenjahres, Tübingen/Basel 2008(Pietas Liturgica. Studia 19),9–148. sie, TheologieLiturgie und in den Hymnen des Ambrosius von MailandChristusfesten zu den des Kir Lateinischer Text und deutsche Arbeitsübersetzung folgen Alexander Zerfaß, : Mysterium mirabile. Poe - brosius 3/1927,45. Bernareggi, Adriano: Ciòche certamente liturgia la ambrosiana deveaSant’Ambrogio. Gli Inni, in:Am- qui poterant vix discipuli“; esse deutsche AF. Übersetzung fateri, patrem etfilium et spiritumsanctum norunt versibus praedicare. suntFacti igitur omnes magistri, fructusque ventrisfructusque floruit. verbum factum est Dei caro sed mysticosed spiramine Non semine, exvirili Talis partus decet Deum. Miretur omne saeculum: ostende partum virginis; Veni, redemptor gentium, potentiam tuam etveni! appare Ephraem coram, excita super Cherubim qui sedes, Intende, qui regis Israel, 10 und dieFrucht ist erblüht. desLeibes ist dasWort Gottes Fleisch geworden, sondern durch geheimnisvollen Hauch Nicht aus demSamen eines Mannes, Eine solche ziemt Geburt sichGott. für Es stauneEs Welt: alle offenbare die Jungfrauengeburt. Komm, derHeiden, Erlöser deine Macht und komm. erscheine vor Ephraim, erwecke der du auf Cherubim thronst, Merk auf, derdu Israel regierst, 9 Ansgar Franz:Zauberweisen - - 27 THEMA 28 THEMA nen hat derHymnus eine klare Struktur: im jambischen Dimeter. Hinsichtlich derKommunikationsrichtung und- derZeitebe Wie ambrosianischen alle Hymnen hat dasvorliegende Stück 8 Strophen zu4Versen

8.

7.

6.

5.

verwenden. Die Geburt Jesu Die Geburt verwenden. einEreignis als derVergangenheit wird diedenHym für - auf, dass Strophe 3imPerfekt gehalten ist, während dieStrophen 4und 5dasPräsens ner Proklamation eines Bekenntnisses. oder Hinsichtlich der Tempora der Verben fällt ausschließlichverwendet Verben inder3.Person. Erhat damit eher denCharakter ei- inderFormbeginnt also und Mittelteil, schließt Der eines Gebetes. dieStrophen 3–6, in Strophe 8heißt es in Fortführung der direkten Anrede: In Strophe 7werden dich mit demImperativ gürte nicht weniger 6Imperative: als Merk auf, erscheine, erwecke komm,, 2-mal offenbare. Strophen sind eine direkte Anrede an Christus. In denStrophen 1und 2finden sich 11 4. Macht undOhnmacht (Hg.),in: Ders. Ambroise deMilan: Hymnes, Paris 1992, 263–301. bingen/Basel 2002, 3–27 (Mainzer Hymnologische Studien 8); Ansgar (Hg.), Kirchenlied imKirchenjahr. Fünfzig neue und alte zudenchristlichen Lieder Festen, Tü- hierundVgl. imFolgenden ebd. 69–128;weiterhin Kurz, Gebhard: Intende qui regis Israel, in:Franz, fideque iugi luceat. quod nulla nox interpolet lumenque nox spirat novum, Praesepe iam tuum, fulget Praesepe virtute firmansperpeti. infirma nostri corporis infirma nostri carnis tropaeo cingere, Aequalis aeterno Patri, recursus ad sedem Dei. sedem ad recursus excursus usque adinferos, Regressus eius adPatrem, Egressus eius aPatre, alacris utalacris currat viam. geminae gigans substantiae pudoris aula regia, Procedit ethalamo suo, versatur intemplo Deus. vexilla virtutumvexilla micant, claustrum pudoris permanet, Alvus tumescit virginis, 11 Die beiden ersten Diebeiden letzten und diebeiden und dasdurch steten Glauben (weiter)leuchte. das keine Nacht möge trüben Und dieNacht atmet dasneue Licht, Nun strahlt deine Krippe, mit unvergänglicher Kraft stärkst. indem du das Schwache unseres Leibes gürte dichgürte mit derWaffenbeute des Fleisches, (Du) dem ewigen Vater demewigen (Du) Gleicher, der Rücklauf zumThrone (führt) Gottes. der Auszug (reicht) bis zudenToten, seine Rückkehrseine zumVater (führt) hin; Sein AusgangSein vom Vater (rührt) her, um voll Eifer Weg seinen zulaufen. der Gigant von zweifacher Natur, dem königlichen Thronsaal der Keuschheit, Es gehtEs aus hervor Brautgemach, seinem Gott weilt imTempel. die Tugendstandarten blitzen auf, der Riegel derScham verbleibt, Der Leib derJungfrau Leib Der schwillt an, diese Bitten diese aufgenommen, wieder Fontaine, Jacques deine Krippe : Intende qui regis Israel, . Der Hymnus. Der henden zweiten AnkunftChristi, die Vollendung heraufführen wird.“ AnkunftChristi, inder dieErlösung verbürgt der ist,noch und dieErwartung ausste- geht„Es um zugleich das vergegenwärtigende also Gedächtnis der bereits erfolgten derVölker Erlöser als angesprochen, womit derzweite Spannungsbogen verankert ist. Vollzug gegenwärtig gesetztwerden soll.Christus wird redemptor als dabei gentium , „gezeigt“,AnkunftChristi, GemeindeGeburt,seine dieder auf d.h. imliturgischen meint. Strophe 2bezieht Komm-Ruf diesen nur einen Atemzug später auf dieerste den zur Rechten des Vaters erhöhten, am Ende der Zeiten wiederkommenden Christus um dasKommen gefleht, dessen der auf Cherubim thront , was imKontext desHymnus Gottes rettendes Eingreifen angesichts derWirklichkeiten Welt. dieser Konkret wird zeichen eine bestimmte Klangfarbe erhält: Wie derPsalm fleht auch der Hymnus um Ps wodurch 80 ist einKlagepsalm, derganze Hymnus durch wie einmusikalisches Vor

ses und eineses Blüte wird aufsteigen aus Wurzelstock“. seinem sabeth 15 14 13 12 Johannesprolog, biblischeschiedene Stränge ineinander Die ersten verwoben: drei Verse zitieren den den Wendungen dieEmpfängnis und die Schwangerschaft. Auch hiersind ver Die Strophen 3und 4besingen inuns heute vielleicht etwaszukonkret anmuten- von Ps 80(Vulgata): Strophe 1 ist ein verkürztes, in jambische Dimeter Zitat übertragenes der ersten Verse Spannungsbögenendet. Beide werden bereits inden ersten Strophen beiden ausgespannt: denersten als Geburt Schritt derErlösung, diesich inTod und Auferstehung voll- Fleisch“ auf verweist dieendgültige„in Ankunft Herrlichkeit“.Der zweite deutet die erstenet: verbindet Der Bogen mit dieGeburt derWiederkunft, dieerste „im Ankunft Die Architektur desHymnus ist durch einen doppelten Spannungsbogen gekennzeich- Bestimmung. Hier wird gleichsam eine metazeitliche Perspektive eingenommen. unterstreicht. Strophe besteht 6schließlich nur aus Nominalsätzen, ohne zeitliche alle gottesdienstlichefür Sprachhandlungen, was denliturgischen Charakter desStückes nus singende Gemeinde zurGegenwart. anamnetische Diese Dimension ist typisch in der4.Strophe nimmt dasMotiv derverschlossenen Tür inderVision vom eschato- „Et egredietur virga deradiceIesse(Jes etflosderadiceeius 11,1). ascendet“ tu inter mulieres„Benedicta ventris fructus etbenedictus tui“ 1,42). (Lk bum caro factum est“ (Joh 1,13f.). „Qui non exsanguinibus neque exvoluntate carnis neque exvoluntate nati exDeo sunt. sed viri Et Ver stiane AlexanderZerfaß, : Komm, du Heiland Welt, aller in:Franz, Ansgar /Kurzke, Hermann /Schäfer, Chri- et veni, ut salvos facias nos. Excita potentiam tuam coram Ephraim, etManasse. Beniamin qui sedes superqui Cherubim sedes manifestare qui deducis tamquam oves Ioseph, Qui regisQui Israel, intende 14 mit Jes 11kombiniert: „Und eswird einReis hervorgehen aus der Wurzel Jes- (Hg.), desGotteslob. DieLieder Geschichte –Liturgie –Kultur, Stuttgart 640. 2017,637–643,hier: 13 während dieFügung die Frucht desLeibes und komm, uns zuretten. Biete deine gewaltige Macht auf vor Ephraim, Benjamin und Manasse. der du denCherubim über thronst, erscheine der du Josef einSchaf, führst wie Der duDer Israel regierst, merk’ auf, erblüht- derEli denGruß Ansgar Franz:Zauberweisen 15 verschlossene Riegel verschlossene Der 12 - - -

29 THEMA 30 THEMA der Typus derbyzantinischen Oster-Ikone imGefolge desNikodemusevangeliums Unterwelt, denTod besiegt und befreit diedort gefangen gehaltene Menschheit, es wie Erlösungswerkes: In Auszug seinem bis zudenToten (6,3)zertritt Christus dieTore der (Apostolisches Glaubensbekenntnis) nicht der Tiefpunkt, sondern der Gipfelpunkt des tischer und ostkirchlicher Vorstellung istHerabsteigen Christi dasReich desTodes“ „in ostkirchlichen Traditionen lebendiger geblieben inderWestkirche. als Nach patris- sind, die nur die Person betreffen,sondern Christi die gesamte Menschheit, ist in den erhöht alle über und Erhöhung […]“ (Phil 2,8–9a).Dass Erniedrigung nicht Ereignisse sich und war gehorsam bis zumTod, bis zumTod am Kreuz. hat Darum Gott ihn spiegelt desPhilipperhymnus: inderDynamik Gedanken denselben erniedrigte „Er gekommen; ich verlasse dieWelt und gehe wieder zumVater […]“. zweite Das Verspaar paar von Strophe 6greift Joh 16,28 auf: „Vom Vater bin ich ausgegangen und indie Welt in der Erlösungeben liegt, die sich in Tod und Auferstehung vollendet. erste Das Vers- folgenden Strophe wird, bestimmen macht deutlich, dass derSinn derMenschwerdung che und eine göttliche. am Das Ende derStrophe eröffnete Weg-Motiv,das dieganzen gedeutet: Fleisch gewordene Das Wort Gottes hat eine doppelte Natur, eine menschli- nahme derZwei-Naturen-Lehre desKonzils von Nicäa geminae als gigans substantiae „Held“Der desPsalms –inderVulgata ist esein„Gigant“ –wird hierindeutlicher Auf-

16 nus inPs 19,6–7: verdichtet Strophen wird. Beide zitieren einen Psalm, wieder denSonnenhym diesmal - Etappe desWeges derErlösung ist, derinStrophe 6ineiner wunderbaren Abbreviatur Nach Empfängnis und Schwangerschaft folgt in StropheGeburt, dieerst 5die dieerste Anwesenheit Gottes, dievexilla virtutum aufleuchten. (Ez 44,2).Vers 4,4identifiziert Maria mit diesem Tempel, Zeichenvor der als dem, der Gott Israels, ist durch Tor dieses eingezogen; deshalb bleibt […]“ esgeschlossen. nie geöffnet bleiben, es soll sen werden, niemanddarf hindurchgehen; denn der Herr, logischen Tempel Ezechiel auf: Tor bei sagte Dieses derHerr „Da zumir: geschlos- soll Macht undOhnmacht darstellt. in deutscher Übersetzung, Bd. 1,Tübingenin deutscher Bd. Übersetzung, Nikodemusevangelium V–X in:Schneemelcher, (XXI–XXVI), Wilhelm Volksfrömmigkeit eine reiche Wirkungsgeschichte entfalten können. Zum „descensus adinferos“ vgl. ausDas dem4.Jahrhundert stammende Passionsevangelium apokryphe hat inMalerei, Liturgie und nec estnec qui abscondat se acalore eius. eius et occursus eiuset occursus usque adsummum a summo caeli egressio eius viam, exultavit ut gigans adcurrendam de thalamo suo: et ipse tamquam sponsus procedens in sole posuit tabernaculum suum posuitin sole tabernaculum 5 1987, 416–418. und niemand ist, dersich vor ihrer Glut verbergen könnte. Grenze, und ihr Laufund geht ihr hinbis zuseiner Vom äußersten Himmel geht sieaus zu laufen: wie einHeldenwie jauchzt sie, ihre Bahn der aus demBrautgemach hervorgeht; und siegleicht demBräutigam, Er schlug sein Zelt inderSonneEr schlug auf, sein : Neutestamentliche Apokryphen 16

Vgl. 17 Vgl. kurzlen seinen gerufen: inErinnerung deutlich antiarianischer Zuspitzung formuliert. Drei besonders charakteristische Stel- an mehreren Stellen dort heftige eben Ausschläge registrieren können, in Lied daswo Wer mit denHymnus über einem ‚dogmatischen Geigerzähler‘ geht, wird ohne Zweifel Ist Hymnus dieser nun einKampflied gegendas arianische Kaiserhaus? 3. LiederundihreSinnpotentiale getragen werden. Licht derErlösung ist, durch soll denGlauben derer, diedenHymnus singen, weiter Todes Licht, 1,79). Dieses (Lk das von ausgeht Christi der Geburt und das schon das ausstrahlen denen Atem sehen, dasall gibt, dieinFinsternis sitzen und imSchatten des Die Schluss-Strophe kann schon darum von neue das derKrippe Licht inBetlehem loren gegangen war. Wiederherstellung desVerlorenen auf Weg demselben erfolgen muss, auf dem esver Mittelalter weit verbreitete Idee genannten derso „recapitulatio“. dass Sie die besagt, unsser heute merkwürdig anmutenden Vorstellung steht dieinderPatristik und im carnis Hymnus heißt esnun, Christus soll schon Geburt sich seiner mit bei demtropaeum ten, aufgehoben. Erhat dadurch ihn dassan getilgt, erihn dasKreuz geheftet hat.“ Im schein, dergegen uns sprach, durchgestrichen undForderungen, seine dieuns- anklag tropaion die erbeuteten WaffenGegner. der Schon Paulus dürfte das Kreuz mit einem solchen Stelle aufstellte, an derdieFeinde wurden. Stange besiegt An diese hängte man dann ke eine Stange mit die man Querbalken, nach einer siegreichen Schlacht an der eben wird nun noch verstärkt. Begriff Der der auf. Diemit demAbstieg zudenToten bereits angeklungene Kampf-Metaphorik letzten StrophenDie beiden nehmen ersten derbeiden dieGebetsanrede Strophen- wie 18 Göttlichkeit heiligt (7,3f) und sie so ihrer und sieso TodesverfallenheitGöttlichkeit (7,3f) heiligt entreißt.“ Hand nimmt, indem siedieSchwäche desmenschlichen mit derKraft Leibes der Heils dieleibliche ist also Existenz Jesu, diederSünde ihre ureigene Waffe aus der sung Voraussetzung sein. dieWiederherstellung für desdurch dieSünde verlorenen feststellt,immer wieder dasTor dieSünde für ist, muss erauch dasTor dieErlö- für derLeib,„Da Ambrosius wie derAuslegung bei derSündenfallerzählung 3) (Gen Zerfaß 15,21f.; Röm vgl. 5,12–21). der Toten. inAdam wie Denn werden sterben, so alle gemacht inChristus lebendig alle werden“ (1Kor durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch dieAuferstehung Abteilung speist Gedanke sich 15). Der aus derpaulinischen Adam-Christus-Parallele: nämlich „Da römischen Liturgiesprache, München 1958,172f. (Münchner Theologische Studien, II. Systematische umgürten. Alsvom Feind erbeutete Waffe erscheintdas hierFleisch. Hinter die- Herz, Martin Commercium.: Sacrum Eine begriffsgeschichtliche Studie zur derTheologie identifizieren, wenn erin schreibt:Kol 2,14 „Er (Christus) hatSchuld den - : Komm, du Heiland, 641(s.Anm. 12). 17

tropaeus oder tropaion oder Ansgar Franz:Zauberweisen bezeichnet in der Anti bezeichnet - 18 - -

31 THEMA 32 THEMA sowie seiner Gegner einen engensowie Gegner seiner Zusammenhang desHym zwischen derEinführung - Und trotzdem desAugustinus gibt es nach denZeugnissen und desAmbrosius selbst Konflikt liegt. große Kraft nichtalso ineinem im4. Jahrhundert ausgetragenenkirchenpolitischen zeigt, dass siegegen räumliche und zeitliche Paradigmenwechsel resistent sind, ihre Kirchen verbreitet sind und dass sieauch heute noch (!)regelmäßig gesungen werden, Hymnen noch zuLebzeiten desAugustinus Mailand schnell über hinaus infast allen Ambrosius schöpfen dassie geschaffen und für schon sind. Allein die Tatsache,dass die der Kirchenkampf, aus sondern dastägliche Gebet, Spiritualität dessen des dieLieder ein bereimtes Konzilsdokument einsingbarer oder dogmatischer Lehrsatz. ist Es nicht lemischen Zuspitzungen ist der Hymnus weder eine altkirchliche Marseillaise noch TrotzDennoch: deutlich dieser erkennbaren dogmatischen und manchmal auch- po c. b. a. Macht undOhnmacht Vgl. 21 Vgl. 20 19

Der dem ewigen Vater demewigen Der Gleicher GigantDer derdoppelten Natur ausDer derJungfrau Geborene onen ins Feld wurde. geführt zu einem Synonym consubstantialis für war indendogmatischen Debatten des3.und 4.Jahrhunderts aequalis derBegriff Die Aussage, Christus demVater sei nimmt gleich, denPhilipperhymnus auf, doch Menschlichkeit).“ vondoch zweifacher Natur, erhat Anteil an derGöttlichkeit und am ‚Fleisch‘ (der lige Prophet David beschreibt einen als Giganten, ihn weil ereineinziger ist, aber das Bekenntnis deskatholischen Glaubens: ‚Christus ist Gottes‘. derSohn hei- Der undtiker verschiedenen Sekten aufzählen wollte. Aber gegen Häresien alle heißt würde„Es einganzer Tag nicht ausreichen, wenn dieNamen ich all derHäre- ein deutlich polemischer Unterton zuvernehmen: die zwei Naturen bezieht. Christi In einer Predigten seiner Ambrosius ist bei dabei geläufig, doch ist Ambrosius,soweit sehe, ich dereinzige, derden „Giganten“ auf Zwar ist dieDeutung derSonne inPs Symbol 19als Christus für inderPatristik Gott geboren geglaubt wird.“ auf denPunkt: „Christus ist aus derJungfrau geschaffen worden,damit als er aus nicht umdieMutter, sondern umdasKind. An anderer Stelle bringt esAmbrosius sondern hat eine eindeutig christologische Sinnspitze. geht Es inerster gar Linie tont wird, ist imHymnus nicht einasketisches, dieSexualität abwertendes Ideal, Die Jungfräulichkeit Mariens, mehrere dieüber Strophen hinweg insistierend- be Westen (364–381n.Chr.), Tübingen 1995,5–23(Beiträge zurhistorischen Theologie 90). giegeschichtliche Studien zuAntiarianismus und Neunizänismus Ambrosius bei und imlateinischen incarnationeDe 5,35(CSEL 79,240Faller). fide5,4,54(CSELDe 78,237 Faller). Markschies, Christoph: Ambrosius von Mailand und dieTrinitätstheologie. Kirchen- und theolo- 20 21 19 geworden, dergegen diearianischen Positi-

mit Blick auf dasCanticum derJünglinge imFeuerofen formuliert, onen entfalten, diezuanderen Zeiten imHintergrund bleiben. Und, Reich Christa wie gesangs eingut verbürgtes –können inbestimmten Zeugnis also Situationen Dimensi- derGeschichteKirchenlieder desGemeinde - –und zuBeginn gleich dafürhaben wir stärken den Glauben Ambrosius, wie versichert. Gemeinde gemeinsam gesungenen Hymnen ermutigen Augustinus, wie und bezeugt, dem Lob Gottes,dem Lob eine Kraft, erwächst Gegenwart die verändert. Vgl. 23 Vgl. Franz, Vgl. Ansgar: Tageslauf und Heilsgeschichte. Untersuchungen zumText und literarischen Kontext der tieren siediepsychologische und pastorale Kraft von undMusik Poesie. polemischen Charakter derStücke. In derPhase desKirchenkampfes manifes jedoch - eines größer angelegten Pastoralprojektes; den fehlenden das erklärt vordergründig- lichen Auseinandersetzungen mit demKaiserhaus und waren eingeführt Elemente liturgie geschaffenen Gemeindelieder als Hymnen wurdenschon kurz vor deneigent- VersuchDer lauten: so einer kann Erklärung möglicherweise dieTagzeiten- Diefür Verhältnisdieses von Kirchenlied und Politik beschreiben? nengesangs und demmutigen Verhalten derGemeindeimKirchenstreit. Wie lässt sich und Feuerofen, in:GAGF 17/2003,4–11. mente positivo sull’animo deifedeli.“ assumere indubbiamente una valenza corroborante eunificante, conrisvolto un psicologico estrema- ritrovarsi nell’illegalità essersi schierati per contro le disposizioni canto imperiali, il inni veniva degli ad In unmomento altamente anche propria rischioso la per incolumitàpericolo oggettivo fisica,conil di interessante infatti notazione la diAgostino: ‚perché popolonon il tedio dell’afflizione‘. crollasse il per ad assumere in maniera emblematica eclatante ed una duplice funzione: educativa. ed psicologica È drammatica insimile fu occasione che l’innodia valorizzata fu eusata intutte lesue potenzialità fino essi infatti entravano come ingrediente itanti tra inunprogetto pastorale dipiù ampio respiro. Ma Ambrogio aveva composto dei suoi alcuni inni e ne cantoavevail diffuso nelle assemblee liturgiche: 320:„ProbabilmenteLiturgica 91/2004,319–327,hier: prima da drammatica disimile già occasione auch Tagzeitenhymnen desAmbrosius von Mailand, St. 1994, 15(Pietas Ottilien Liturgica. Studia 9);ähnlich Reich, Christa: „…deinist dieHerrlichkeit“ –Doxologische Spurensuche imHorizont von Te deum Navoni, Marco parole: Quali quale musica? per L’esempio innidiSant’Ambrogio, degli in:Rivista Ansgar Franz:Zauberweisen 23 aus denHymnen, 22 Dievon der 33 THEMA 34 THEMA Curtius, einGemäßigter, sich derzwar befürwortete, desElsass dieGermanisierung Augsburger Konfession in Straßburg stand ab Friedrich 1903 ein Reichsdeutscher: schen errichteten An derSpitze führte. Quartieren desKonsistoriums derKirchen zur Gründung neuer Gemeinden und zuneuen Kirchenbauten indenvon denDeut- chigen lutherischen Gemeinden einen beachtlichen Aufschwung, derunter anderem lische Gemeinde Saint-Nicolas wurde 1916aufgehoben), erlebten diedeutschspra- Gottesdienste zurückgedrängt wurden (dieeinzige französischsprachige evange- Die evangelischen Kirchen wurden stark germanisiert. Während diefranzösischen von nur 20Jahren auf 45%imJahr 1890. inStraßburglischen Bevölkerung vor 38%,stiegerinnerhalb bei derEingliederung ab den1890erJahren sich diepolitische Situation. beruhigte derAnteil Lag derevange- evangelische hingegen Bevölkerung fand sich mit der neuen Situation schneller ab. Erst feindlichder neuen Regierung gegenüber und boykottierte diedeutsche Politik. Die Zuge der Annexion auch Elsass-Lothringen erreicht hatte, stand die katholische Kirche kulturell evangelisch (vor lutherisch) allem dominiert war und der Kulturkampf im zeigten sich hier konfessionelle Unterschiede. der preußische Da Staat politisch und Auch imkirchlichen wurde Bereich allerdings aktiv Germanisierungspolitik betrieben, einer deutschen Kulturpolitik neu aus. und inderPhilharmonie inne und richtete dengesamten so Musikbetrieb imRahmen Hans Pfitznerwichtigen zwischenalle 1908und 1916 Ämter an Konservatorium, Oper haltlich kam eszueiner Neuausrichtung. Im derMusik Bereich zumBeispiel hatte Operntheater und Bibliothek schöner und größer zuvor als wiederaufgebaut, auch in- DieKulturzog. spielte eine dabei wichtige Rolle. Nicht nur wurden Kunstmuseum, eine aktive Germanisierungspolitik,betrieben diesich auf verschiedenen voll Ebenen - kulturellen und intellektuellen Eliten kamen aus nun demAltreich. überwiegend Diese Ein Teil derEliten genannten (dieso Optanten) wanderte nach Frankreich ab. Dieneuen feind Frankreich war indenAugen demnach derElsässer nicht viel übrig geblieben. Von derkulturellen und moralischen Überlegenheit Deutschlands gegenüber demErz- schätzbare Werke aus derReformationszeit und natürlich viele Gesangbücher. Deliciarum einzigartige Handschriftenwie derHortus gebracht. waren Dort praktisch200.000Werke derrund alle verbrannt, darunter Künste und derStadtbibliothek, letztere war imTemple Neuf (Neue Kirche) unter- letzt dasMünster. Am folgenreichsten war dieZerstörung desMuseums derSchönen mehrere öffentlicheGebäude branntenoder litten nieder schweren Schaden, nicht zu- schwer Stadt. beschädigte wurden Es nicht nur 400Wohnhäuser etwa zerstört, auch ins derEingliederung neue ReichslandBei Elsass-Lothringen war Straßburg eine Ausgangslage: dieGermanisierungspolitikimZugeder Annexion B Beispiel desReichslandesElsass-Lothringen Das GesangbuchalspolitischesInstrumentam e a t F öllmi , zahlreiche Inkunabeln, un-

1 Siehe: aufnahme derGesangspraxis indenGemeinden vorgenommen werden. Straß Das - Elsass-Lothringens zwischen 1870 und 1918 zuwenden, hier eine kurzesoll - Bestands uns wir denhymnologischenBevor Neuerungen innerhalb derlutherischen Kirche Der KirchengesangamVorabend der Annexion fluss des Priesterseminarsschwächen. zu erster einen Versuch, Linie dieelsässische Geistlichkeit zugermanisieren und denEin- stand Vorhaben diesem insgesamt misstrauisch gegenüber, man dahinter sah doch in Die Katholisch-Theologische Fakultät wurde erst 1903 eröffnet. Der katholische Klerus nach Lambaréné imJahr 1913. Julius Smend. Schweitzer Albert war dort Privatdozent von 1902bis Abreise zuseiner lich zwei Theologen, auf die später einzugehennoch wird,sein Friedrich Spitta und Karl Budde und Wilhelm Nowack, derKirchenhistoriker Johannes Ficker und natür Theologen: der Neutestamentler Heinrich Julius Holtzmann, Theologen dieliberalen Professoren, diemehrheitlich aus demAltreich stammten, waren allesamt bedeutende sität einigegaben TheologenihrenLehrstuhl auf, andereberufenen Die neu blieben. einen ausgezeichneten Namen. ihrer indieneue deutsche Eingliederung Bei Univer Die Evangelisch-Theologische Fakultät hattebereits unterfranzösischer Herrschaft von 1875bis 1905unterrichtete. ihrenhier ebenso Platz dasneue wie Fach Musikwissenschaft,das Gustav Jacobsthal sicht auf althergebrachte Gepflogenheiten Seismologiewerden.verwirklicht fand Die Kaiser unterstellt war, konnte hiereinneuartiges akademisches Konzept ohne Rück- Grundsätzendernen Humboldt-Universität derBerliner konzipiert. siedirekt Da dem von Franz Freiherr von Roggenbach wurde dieStraßburger Hochschule nach denmo- wurden imOktober 1884mit großen Feierlichkeiten eingeweiht. Unter derLeitung KaiserKaiserpalast: Der derWissenschaft. erscheint Schirmherr als so Gebäude Die dasEnsemble figuriert Universitätsgeländeals eine Verlängerung der Achse zum Kollegiengebäude mit zahlreichen angegliederten Instituten. Im neuen urbanistischen die man imOsten derhistorischen Altstadt erbaute, an prominenter Stelle einriesiges im Palais Rohan untergebracht. errichtete bald Doch man Neustadt, indermodernen zuerst Universitätwar und Straßburg wurde offiziellDezember 1871 gegründet am11. Universität, dieganz indenHänden derReichsdeutschen lag. Die Kaiser-Wilhelms- Ein wichtiger Akteur von derGermanisierung bei und Elsass Lothringen war die der evangelischen Institutionen verbunden war. zahlreicher Reichsdeutscher einen erheblichen Aderlass, derauch mit der Schwächung Entwicklung: Nach 1919erlebten dieevangelischen Gemeindendurch denWegzug derRückkehrBei von Elsass-Lothringen zuFrankreich erfolgte dann dieumgekehrte bleiben und Selbständigkeit seine gegenüber Frankreich behaupten. sprach und nach demErsten Weltkrieg sogar darauf hoffte, Elsassdas könne neutral gleichzeitig gegen aber das1914erlassene Verbot französischer Gottesdienste aus- naire culturel deStrasbourg 1880–1930, Straßburg 2017, 532–533. Muller, Claude : Art. Théologie catholique, Théologie : Art. in: Recht, Roland /Richez, Jean-Claude (Hg.): Diction- Beat Föllmi:DasGesangbuchalspolitischesInstrument 1 - -

35 THEMA 36 THEMA Ausgabe von 1877 enthält 587Lieder, ohne alle Noten. wurde Es in20Gemeinden dene Gesangbücher wurden. verwendet 208 deutschsprachigen GemeindenElsass-Lothringens imWesentlichen verschie vier - meinden derGrafschaft Hanaudas erstmals zurück, 1779erschien. 1818 und 1877,inStraßburg. geht Es auf einGesangbuch dielutherischen für - Ge GesangbuchDas Sammlung geistlicher Lieder nebst Gebeten erschien inzwei Auflagen, verwendet. und wurde inlutherisch-orthodoxen Jung-Sankt-Peter Gemeinden(wie inStraßburg) Rittelmeyer, ist eine Reaktion auf dasangeblich missglückte Konferenzgesangbuch Gesangbuch, Gemeinden. Dieses 22 %aller dasWerk desIllkircher Pastors G.H.A. war 1887in45Gemeinden,verteilt auf 7Inspektionen, imGebrauch, dasentspricht Aucherweitert). Gesangbuch dieses wurde bis 1937mehrere Male neu aufgelegt. Es enthaltenDarin ohne sind 550Lieder Noten (später wurde hundert esumüber Lieder handelt essich umeine Zusammenstellung von Gesängen aus lokalen Gesangbüchern. der größten Theils gesammelt Elsaßaus denimsich vorfindenden Gesangbüchern“ –, folgt in der Häufigkeit an zweiter Stelle. Wie der Untertitel andeutet – Lie- „Geistliche Das orthodoxen Pfarrschaftals zurationalistisch – oder zu kritisiert. pietistisch es dasam meist verbreitete Gesangbuch war, imElsass wurde es–vor seitens allem der Konsistorien war eszudemdaseinzige Gesangbuch verwendete überhaupt. Obschon dasentsprichtmeinden verwendet, GemeindenElsass-Lothringens. 57%aller In zehn renzgesangbuch enthält 750Gesänge, ohne alle Noten. wurde Es ininsgesamt- 118Ge erstmals herausgegeben und bis 1896mindestens 14 Mal neu aufgelegt. Konfe Das - wurde von derStraßburger Pastoralkonferenz üblicher sein (daher Name) imJahr 1850 die evangelischen Gemeinden Frankreichs (bzw. ab 1872„von Elsaß-Lothringen“). Es Am weitaus beliebtesten war genannte dasso Konferenzgesangbuch: Gesangbuch für in Elsass-Lothringen erschien., der1887imDruck Redslob (1845–1905),mit derAbfassung eines Berichtes denKirchengesang über burger Oberkonsistorium beauftragte den Pastor von Sankt-Wilhelm, Jules-Auguste Macht undOhnmacht 3 2 Hanau, Im Verlag desEv. Luth. Waisenhauses, 1779(HDB 9387). Neues Gesangbuch zum Gebrauch derevangelisch lutherischen Gemeindeninder Grafschaft Hanau, Konfession, Straßburg 1887. berichte sämmtlicher Pfarrer Elsass-Lothringens und im Auftrag desDirektoriums der Kirche Augsburger Redslob, J[ules-Auguste] Kirchengesang: Der auf in Elsass-Lothringen. General-Bericht Grund der Einzel- Gesangbuch für Christen Augsburgischer Confession Augsburgischer Christen für Gesangbuch Gesangbuch Christen für Konferenzgesangbuch Total Weitere Gesangbücher Altes Straßburger Gesangbuch Fürstlich Nassauisches Gesangbuch Hanauisches Gesangbuch Augsburgischer Confession 208 100% 118 57% 45 10 10 20 5 2 Darin erfahren wir, Darin dass inden 22% 10% 3% 4% 4% , erstmals 1863erschienen, 3 DieStraßburger

Ihme (1834–1915)unter demTitel Halleluja Konkurrenzgesangbuch von Rittelmeyer lag einChoralbuch vor, dass Friedrich August 129 verschiedene Melodien eine Melodie also verwendet, fast für 6Texte. Auch das für renzgesangbuch wurde, verwendet zumEinsatz kam. Für die750Gesänge werden 7 6 5 4 erschienEs unter Titel diesem erstmals 1779inWiesbaden. verbesserte Gesangbuch zur Beförderung der öffentlichen und häuslichen Erbauung. Ein weiteres, eher regional verbreitetes Gesangbuch ist dasFürstlich nassauische neue des 17.Jahrhunderts zuHanau-Lichtenberg gehörte. (10%),vorverwendet inderInspektion allem Buchsweiler, eine Gegend, diebis Ende 1851 einsolches Orgelbuch heraus, Für das Konferenzgesangbuch Theophil gaben Stern (1803–1886)und BergKonrad Zur Gesangbücher melodielosen Begleitung dieser wurden Choralbücher verwendet. handelt cantiques de sich um4verschiedene Recueils den, dieimuntersuchten Zeitraum und inElsass wurden. Lothringen verwendet Es Nicht näher kann hierauf diefranzösischsprachigen Gesangbücher eingegangen wer Mühlhausen) sowie von derMilitärgemeinde verwendet. ohne Noten. Fünf weitere Gesangbücher wurden vor imSüdelsass allem (Colmar und Melodien ist eher gering. Gegensätze bestanden zwischen denGesangspraktiken von ab. Keines Gesangbücher derverwendeten enthält Noten. derverwendeten DieAnzahl Confession Augsburgischer Christen die Liedauswahl, dass auch dieReformierten mitsingen konnten, dasGesangbuch für genden Mehrzahl indeutscher Sprache. Konferenzgesangbuch Das ermöglichte durch das Hanauer und das Nassauische Gesangbuch. Die Lutheraner- sangen in der überwie Augsburgischer Confession“. Daneben wurden zwei Gesangbücher regional gebraucht, nalistisch geprägte Konferenzgesangbuch und einstreng Christen lutherisches „für zusammen. waren Es imWesentlichen zwei Gesangbücher imGebrauch: daseher ratio- Fassen dieGesangbuchsituation wir inElsass-Lothringen am Ende des19.Jahrhunderts Gesangbuch gebrauchten. inweit also meinden verwendet, mehr jene, Gemeindenals welche dasdazugehörige immerhin 237Melodien 550Texte für geboten. Choralbuch Dieses wurde- in60Ge in einer Gemeindesogar inderAusgabe von 1798 öffentlichen und häuslichen Andacht“ in der Ausgabe vonGemeinden 1818 in 9 und wurde genannteSchließlich dasso Alte Straßburger Gesangbuch Beförderung der „zur eine Enklave desFürstentums Nassau-Saarbrücken war. was sichden (5 %) verwendet, daraus dass die Grafschaft erklärt, Saarwerden bis 1793 575 Gesängen ohne Noten wurde im gesamten Konsistorium Saarunion- in10Gemein 5 Ausgaben zwischen 1854und 1878inSaarbrücken gedruckt. Gesangbuch Das mit Bärenthal Philippsburg bei i. Elsaß.Selbstverlag desHerausgebers. 1873–1875(HDB 30609). Halleluja. Vierstimmiges Melodienbuch nebst liturgischem Anhang von F. A.Ihme, evang. luther. Pfarrer. Levrault, Buchdrucker, Judengasse, 33. 1851(HDB 30608). Choral-Buch zumGebrauch derevangelischen GemeindenFrankreichs, Straßburg, Wittwe bei Berger- Redslob schreibt „1797“, eine aber solche Ausgabe ist nicht bekannt. Erbauung, Wiesbaden, J. H.Frey, 1779(HDB 9429). Fürstl. Nassauisches Gesangbuch. neues verbessertes Zur Beförderung deröffentlichen und häußlichen hingegen grenzte sich scharf von denReformierten Beat Föllmi:DasGesangbuchalspolitischesInstrument 6 das in allen 118Gemeinden, wo dasKonfe dasinallen - 1873–1875veröffentlichte. ininsgesamt 10Gemeinden. 5 verwendet. Es hatte Es verwendet. 514Lieder 4 Für wurden dasElsass 7 Darin werden Darin -

37 THEMA 38 THEMA Ein solches neues Gesangbuch für Elsass-Lothringen erschien erstmals 1899. Das GesangbuchfürElsass-Lothringenvon1899 11 10 9 8 1887 veröffentlichteDer und zueiner Zersplitterung derGesangspraxis auch innerhalb Konfession. derselben Stadt und Land. Diestarke Zuwanderung zukonfessionellen führte Verschiebungen Macht undOhnmacht Lothringens, sachverständigen sondern aller Musiker Deutschlands überein.“ Reform darin stimmt bedarf, diegrosse Mehrzahl, nicht nur derGeistlichen Elsass- Situation folgendermaßen zusammen: derKirchengesang „Dass einer allenthalben gangen war ein Entwurf, dernur ganz vom geringfügig späteren Endresultat abwich. berufen wurde.berufen An derSankt-Thomas-Kirche erzusammen experimentierte mit Spitta terseminar Friedberg und Professor 1893als Praktische für Theologie nach Straßburg wurde erordiniert undals begann eine Laufbahn Pfarrer, bisdann er zuerst ans - Pries seit Studienzeit seiner war ermit Friedrich Spitta freundschaftlich eng verbunden. 1881 Pfarrhaus inWestfalenBonn, und studierte Theologie in Göttingen. und BereitsHalle Mit Spitta eng verbunden war Julius Smend (1857). Erstammt aus einem liberalen Göttingen.sche Theologie in Weltkrieges zuFrankreich wieder kam, wechselte Spitta an denLehrstuhlPrakti für - zu Herzogenbergs DieGeburt Christi (1894).Nachdem am dasElsass Ende desErsten Gottesdienst und kirchliche Kunst. Erinitiierte dieSchütz-Pflegeschuf und den Text nologie Wichtiges geleistet. Mit Julius Smend er1896dieMonatsschrift gründete für letzt von Schweitzer), Albert hat Spitta derKirchenmusik imBereich und derHym- zum Neuen Testament, dievon Fachkollegen erheblich wurden kritisiert (nicht zu- Theologie an die Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg an. seinen Arbeiten Neben er einen1887 nahm Rufin Bonn. Professor als Neues für Testament und Praktische gen Theologie, wurdeals 1879 Pfarrer ordiniert und habilitierte sichals Privatdozent des gleichnamigen MusikwissenschaftlersBachforschers. und Er Göttinstudierte in - Friedrich Spitta (1852–1924)war desTheologen derSohn und Bruder Spitta. von 1850herausgegeben. Die treibende Kraft hinterGesangbuch dem war Friedrich Landeskirche) –siehatte auch schon das(nach benannte) ihr Konferenzgesangbuch Herausgegeben wurde esvon derStraßburger Pastoralkonferenz (und nicht von der singen zurFolge.“ ganzfür Elsass-Lothringen hatte eine wahrhaftbabylonische Choral im - Verwirrung der Ruf nach Vereinheitlichung laut: Mangel „Der an einem einheitlichen Choralbuch Ausgabe). lieder, 26liturgische Gesänge und 11Melodien imAnhang (gegenüber 411,26und 14inderdefinitiven Mündel (HDB Entwurf 19964).Der ist undatiert, ist 1898erschienen. aber Erenthält 407Gemeinde- Evangelisches Gesangbuch Elsass-Lothringen. Entwurf. für Straßburg. Verlag von J. Ed. Heitz (Heitz & 20076). Evangelisches Gesangbuch Elsaß-Lothringen für Straßburg. 1899.Verlag von Heitz u. Mündel (HDB Ebd., 25(s.Anm. 2). Redslob : Kirchengesang, 23(s.Anm. 2). 9 General-Bericht über den Zustand des Kirchengesangs fasst die 10 Vorausge- 8 Es wird Es 11

gestalterische Konzept desneuen Gesangbuchs erläutert. auch kirchliche für Kunst interessierte. Erhat inmehreren Veröffentlichungendas licher Professor an derStraßburger Universität Kirchengeschichte lehrte, sich aber tung gelegt. Maßgeblich daran beteiligt war Johannes Ficker, derseit ordent- 1900als der Ausgabe 1902an wurde einbesonderes Augenmerk auf diekünstlerische- Gestal Erstausgabe von 1899erschien allerdings nur indereinfacheren, großen Ausgabe. Von 15 14 13 12 die Reinheit und Einfalt desapostolischen haben.“ Glaubens bewahrt Kirchegriechischen gesungen Lieder sollen werden, auch wenn „nicht immer diese (Psalmen,deren erübernehmen will Lobgesänge). Lieder Auch aus derrömischen und bieten. Erbetont insbesondere dieVerankerung derchristlichen Kirchen imJudentum, betontDieser dieNotwendigkeit, aus Lieder Epochen allen bis indieGegenwart darzu- trägt keinen Verfassernamen, eskann aber Autor sich beim nur umSpitta handeln. dasKonzeptÜber gibt einerklärender Text am Ende desGesangbuches Auskunft; er ist ab 1907imAnhang eine weitere Melodie hinzugekommen. 1926 und zumletzten Mal Ausgaben 1936.Alle sind identisch imLiedbestand –einzig 1913, 1914, und sogar nach der Rückkehr von undElsass Lothringen zu Frankreich, Neben derErstausgabe von 1899sind weitere Ausgaben erschienen: 1902,1907,1908, gedacht. Diekleinere, aufwändiger gestaltete sollte eine Geschenkausgabe sein. Die größere, schlichtere Ausgabe war denallgemeinen für gottesdienstlichen Gebrauch Das nachde. Spittas Erführte Tod dieMonatsschrift und wirkte der Gründung bei der Universität Münster mit, deren erster Dekan erwur tes, auchaber an Friedrichorientierten. Schleiermacher 1914 verließ Smend Straßburg neue liturgische Formen, diesich an älteren Formen desevangelischen Gottesdiens- alten Kirche neu belebt“ haben. Bekenntnis von Sünde und Erlösung ausgesprochen […],dieGesänge Israels und der Manneskraft, „in Lieder volkstümlicher Innigkeitschlichter und Kindlichkeitdas Emphatisch Spitta führt die„Wittenbergisch Nachtigall“ ein,dessen rich Laufenberg. „Komm, mein Herz“ heilger Geist,erfüll (Nr. 379) desinStraßburg wirkenden Hein - betont: kommt „Es einSchiff, geladen“ (Nr. 3),das er Johannes Tauler zuschreibt, und matorische stehen Lieder mit Straßburg inZusammenhang, was Spitta ausdrücklich (als Herausgeberin(als werden Brüder) derBöhmischen derLieder gewürdigt. Martin Bucer (derdasKantional von hat) 1541bevorwortet und von Katharina Zell Johannes Englisch und Wolfgang Musculus abgedruckt werden, auch dieBeiträge von vonLieder , Matthias Greiter, Wolfgang Dachstein, Wolfgang Capito, Elsässer, insbesondere Straßburger Tradition einen breiten Raum ein: Nicht nur, dass Ebd., 514. Evangelisches EL,1907,513. GBfür (siehe FN12). Leipzig, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung Theodor Weicher,sowie 1903; Ficker, Johannes Ficker, Johannes Mainz, Philipp 1910,5. von Zabern, Ficker, Johannes Gesangbuch für Elsass-Lothringen wurde inzwei verschiedenen Ausgaben verkauft: : Druck und: Druck Schmuck desneuen evangelischen Gesangbuches Elsaß-Lothringen, für und: Druck Schmuck desneuen evangelischen Gesangbuches Elsaß-Lothringen, für 15 Neben denWittenbergern nimmt auch dielokale Beat Föllmi:DasGesangbuchalspolitischesInstrument weiter. 13 14 Zwei vorrefor 12 : 1910 Die - -

39 THEMA 40 THEMA Deutsche worden Reich eingegliedert sind. dieelsässischendas für Lutheraner bestimmt war, die knapp zwanzig Jahre zuvor ins Wenden uns wir nun demInhalt und derGestaltung neuen Gesangbuches dieses zu, Ikonografisches Programm:die Titelblätter 16 Hymne desProtestantismus. Hinter Felsen und Burg geht eine riesige Sonne auf und band, das am unteren Bildrand auf einen Zaun gespannt ist, Luthers zitiert die Lied, eineoben Burg und unten dieStraßburger Kirche Sankt-Thomas stehen. Ein Spruch- unteren Teil brandet Meer einbewegtes gegen einen hochaufragenden Felsen, auf dem Jahr sowie Luthers Liedanfang feste „Ein Burg ist unserGott“ sind rot gedruckt. Im starkem Strich einfarbig schwarz ausgeführt, nur derGesangbuchtitel, und das derOrt Auge. Die große Ausgabe von ein Holzschnitt 1899 ziert von Carl Spindler. Er ist mit Als erstes fällt diesorgfältige Ausstattung mit ihrem explizitem Bildprogramm ins Zwingli Reformierten Gesangbuch inseinem abzudrucken, von sogar zwei Lieder Huldrych Spitta scheut sich zudemnicht, derDeutschschweizer Lieder und Süddeutschen Macht undOhnmacht für Christen Augsburgischer Confession Augsburgischer Christen für hat,ben und Friedrich August Ihme, derAutor desOrgelbuches dasGesangbuch für Musiker: Theophil dasStern, derOrgelbuch zum Konferenzgesangbuch herausgege- damals zeitgenössische Kirchenlied fehlt nicht, ebenfalls darunter zwei lokale (Nr. 307). KappelerDas (ineiner hochdeutschen Lied Fassung, Nr. 108) und „Hilf, Herr Gott, Not“, indieser hilf 16 finden sichdarin. Lobwasser-PsalmenNur die werden ausgespart.Das Théologie, UniversitédeStrasbourg. Mit freundlicherGenehmigungderBibliothèquedesFacultésde und Mündel,1899, Titelblatt (HDB20076). Straßburg, Heitz für Elsass-Lothringen, Gesangbuch Evangelisches .

19 18 17 bücher des 19. Jahrhunderts anlehnt (insbesondere an das Konferenzgesangbuch), Während dieErstausgabe von 1899sich imInnern noch stark an Gesang- dieElsässer Ficker hat dasBild folgendermaßen kommentiert: des deutschen Reiches steht. Kirche vom deutschen Felsen beschützt Elsass-Lothringen ist, wie unter so demSchutz Gesangbuch die1899dieses wird. aufschlagen, Elsässern, Den dass gesagt ihre soll sein, Smend ihren Ursprung hat, wahrer dasdort lutherischer also Gottesdienst abgehalten maskirche auch daran dass dort dieliturgische erinnern, von Erneuerung Spitta und Erdkreis und künden das Reich des Friedens an. die Sankt-Tho Möglicherweise soll - schützt. DieSonnenstrahlen derwahren (man ergänze) deutschen Kirche erhellen den Feinde, und damit ist dieStraßburger Kirche (Sankt-Thomas) wunderbar be- vonihr thers (Wartburg) steht auch jetzt sietrotzt imElsass, demendzeitlichen Ansturm der brauchtEs nicht viel Phantasie, umdiepolitische Die BotschaftKirche zulesen. Lu- Johannes Ficker separat inseinem erschienenen Kommentar anmerkt. zurBebilderung sässische Ulrichsburg oberhalb von Rappoltsweiler) (oder Ribeauvillé handeln, wie derBurg wirdBei man sofort an dieWartburg sich essoll umdieel doch - erinnert, stellung apokalyptische Züge. gehülltezwei Gewänder inwallende Engel inlange Trompeten und verleihen derDar breitet ihre denHimmel über Strahlen aus. ZuSeiten derTitelvignette beiden blasen aus derUmgebung wichtige Akteure derStraßburger stammen: Ficker,Sie so sei, und treue „eine Warte als frühe desEvangeliums“ gewählt worden, weil versicht und Stärke.‘“ eine Welt derandern verkünde: ‚Eine feste Burg ist unserGott. Gott ist unsere Zu- und Sternen seinen empor, dass es dieWolke derWolke, dieWelle derWelle und erbraustaber derKlang derPosaunen auf- und absteigender Engel zumFirmamente und glätten Gewölk das dunkle sich unwillig dieWasser, dembehüteten über Eiland unwiderstehlich sich ausbreitend, und vor denersten Sonnenstrahlen verzieht sich ren tosenden Angriff immer erneut.heftiger Dabricht der Morgen herauf, siegreich, Gipfelseinem dieragende Burg trägt, zusammengezogen, und dieWellen hatten- ih „In derNacht hatte sich dasWetter demfesten über Felsen, derdieKirche und auf unserm deutschenunserm Volke.“ denGrößeren,senden, mit denGewaltigen, demesinGott Frühling werden ließ derBauBesitztumes, wie siealle, aber deroberelsässischen Burg, auf deneinen wei- schen Bürgertums im Kampfe um die rechte Freiheit und im Bauen des geistigen Führer„Die und Helfer der Straßburger Reformation, dieFörderer des oberdeut - Ebd., 11. Ebd., 14. und Schmuck, 1903,14. das: dieUlrichsburg Rappoltsweiler über und treue ist Warte eine frühe desEvangeliums.“ Ficker sische Wartburg heißen Sang darf. Denn und Saitenklang ward auch hiergeschirmt, und viel mehr als „[…] dieBurg, dieinihrem Aufbausofort das der Bild Wartburg heraufruft, und die auch unsereeläs- 19 18 Beat Föllmi:DasGesangbuchalspolitischesInstrument : Druck : Druck 17 -

41 THEMA 42 THEMA läuft ein Spruchband mit dem Psalmvers„Man singet mit Freuden vom Sieg inden Burgturm ragt nur unwesentlich höher die Kirchturmspitze. als Rund um den Christus Thomas in Straßburg.AllerdingsBauwerke beiden sind die gleichgroß, jetzt etwa der dieUlrichsburglinks die„elsässische eben (oder Wartburg“), rechts Sankt- wiederum umstrahlt. Im Hintergrund vor einem Hügelzug (vielleicht dieVogesen) erkennt man erhoben, trägt dasSiegesbanner, dieLinke zum Segen dasHaupt vom Glorienschein steht aufgerichtet, ineinwehendes blaues Tuch gehüllt, auf demGrabmal, dieRechte prominenter Stelle imGesangbuch nun angeführt) ziert derauferstandene Christus. Er vonDas Hupp gestaltete Titelblatt Name (sein und Rechtsansprüche seine werden an Grund desdeutschen Nationalstaates. auch auf denkulturellen Nährboden derdeutschen Nation und somit denidentitären Reformationsjahrhundert demGründungsdatum als derevangelischen Kirche, aber samt DieRückbesinnung modern. auf das„Altdeutsche“ einerseits verweist auf das telalters und derRenaissance orientiert, wirkt ikonografisches sein Programm insge- Obschon Hupp sich –ganz imSinne desHistorismus –an derBildsprache des Mit- ausgeführt). Reichstagsgebäudeim Berliner und später auch dasgroße bayerische Staatswappen Städteheraldikerals zurückgehen (u.a. hat Hupp dasheraldische Konzept eines Saals Spatenbräu). derFirma Logo DieWahl Hupps dürfte mit Sicherheit Erfolgauf dessen re Heraldiker als begonnen und später auch Werbegrafik hergestellt (beispielsweisedas waren seit demausgehenden 19.Jahrhundert äußert populär. Hupp hatte Karrie seine - von Otto Hupp (1859–1949) ausgeführt. DieArbeiten begabten dieses Druckgrafikers Die grafischen Arbeiten – Titelblätter, EinbändeInitialen, und Vorsatzpapier –wurden politischer dessen Subtextsetzt, imFolgenden untersucht werden soll. wird unter Fickers Leitung ab 1902 ein neuartiges ikonografisches Programm umge- Macht undOhnmacht Collegium Wilhelmitanum),. Mit freundlicherGenehmigungderMédiathèqueprotestante(Fonds der StraßburgerPastoral-Konferenz,1913, Titelblatt (HDB22189). Evangelisches Gesangbuch für Elsass-Lothringen, Straßburg, Verlag

er unserbleibt […].“ Herr, derdeutsche Christus, derdieHülle noch trägt, indererMensch war und inder und Burg, weit schweift der Blick die Berge, blauenüber der unddarüber Herr, unser Johannes Ficker beschreibt dasTitelblatt folgendermaßen: „Im blauen Dufte Kirche Sankt-Michaels-Tag, an demderLutheranismus einen kämpferischen Ton anschlägt. umrahmenden Musikengeln. und einzigam Anfang eine –einfarbige –Titelleiste mit Martin Luther und zwei ihn Die Ausgabe von 1899ist imInnern sparsam noch sehr gestaltet: nur eine Druckfarbe Ikonografisches Programm: Typografie, Noten, Vignetten letzten1913 sowie Ausgaben diebeiden von 1926und 1936ziert. aufgenommen, während derChristus von Hupp dieAusgaben von 1902,1907und sche Felsenszene von Spindler Ausgaben in den beiden von 1908 und 1914 wieder TitelblätterBeide haben übrigens wurde nebeneinander dieapokalypti So existiert. - kulturelle Eingliederung. Frankreichden Erzrivalen 1899)stehen (wie imVordergrund, sondern dievollzogene und Lothringen vorgestellt: Nicht die Bedrohung und der endzeitliche Kampf gegen Freuden vom Sieg“. Hier wird eine andere Sichtweise von derEingliederung Elsass Reich und Straßburg, gehen ineinander über. Und vor Man allem: singt „mit jetzt etwas verschoben haben. Dieelsässische Wartburg und Sankt-Thomas,das deutsche Auch diepolitische hierist also Botschaft unverkennbar, obschon sichAkzente die BWV 149von Johann bekannt Bach Sebastian sein. Hütten derGerechten“ (Ps Text 118,15).Dieser mag denMusikfreunden Kantate als 21 Beat Föllmi:DasGesangbuchalspolitischesInstrument 20 Der Text Der gehört liturgisch zum Ficker, 21 Strasbourg. legium Wilhelmitanum), protestante (FondsCol- migung derMédiathèque Mit freundlicherGeneh- (HDB 20626). Konferenz, 1902, S.1 der StraßburgerPastoral- gen, Straßburg,Verlag buch fürElsass-Lothrin- Evangelisches Gesang- 20 (s. Anm. 12). und Schmuck, 16 geschrieben. 1729) 1728 (oder Michaels-Tag denSankt-de für Die Kantate wur Druck Druck -

43 THEMA 44 THEMA dies mit demHinweis, der„Theologe“ Jakob sei Sturm Herausgeber und des Verfasser Konterfei ineinem Gesangbuch hingegen ist eher überraschend. Ficker rechtfertigt der Hauptvertreter und der wichtigste Theologe der StraßburgerReformation; Sturms 118 abgebildet: Jakob links Sturm und rechts Martin Bucer. Letzterer ist ohne Zweifel Von denStraßburger Reformatoren sind zwei gleich nebeneinander auf Seite derselben hätte „welsche“ diese Melodie denPsalmen 36und 68imHugenottenpsalter zugeordnet. „O Mensch, dein Sünde bewein groß“ in Verbindung gebracht, ist dennoch charakteristisch. einLutheraner Denn hätte Heydens siemit Sebald schen Raum. DieZuschreibung derMelodie an Greiter, historisch wiewohl korrekt, VerbindungDiese rückt geografisch dasElsass zum näher rechtsrheinischen süddeut- von die“ alle sind selig doch „Es desStraßburger Kantors Matthias Greiter gesungen. Konstanzer Reformators („Jauchzt, Erd und Himmel, juble hell“) wird zurMelodie sprüche. folgt Es mit Nr. 80 Lied dasPorträt von Ambrosius Blaurer. Text Dieser des Porträtsein außerhalb deseigentlichen Liedcorpus zurIllustrierung derdrei Vor- lischen Gesanges und der Schutzpatron des deutschen Protestantismus. steht So denn Die erste und wichtigste Vignette ist Martin jene Luthers. Er ist der Vater des evange- auch durch sichtbar. dieBebilderung und Epochen übergreifende Öffnung des elsässisch-lothringischenGesangbuches wird hingegennes Calvin sucht man vergeblich. Die intendierte regionale, konfessionelle tian Fürchtegott und Nikolaus Gellert Ludwig von Franzosen Zinzendorf. Den Johan- Jakob Sturm und Martin Bucer abgebildet, ferner auch aber Ernst Moritz Arndt,- Chris Ambrosius Blaurer Blarer), (oder derZürcher Huldrych Zwingli und dieStraßburger Die Auswahl der Personen ist zuweilen erstaunlich: Neben Luther sind derKonstanzer 13 Porträts abgebildet, eine vierzehnte Vignette zeigtzwei Musikengel an derOrgel. denen dererste aus demBabstschen Gesangbuch von 1545stammt. Vaterder als desevangelischen Singens dendrei neben Vorsprüchen steht, von dasganzeüber Gesangbuch verstreut sind. Anfang Den macht dieAbbildung Luthers, Neu ist inderAusgabe von 1902 auch derAbdruck von zweifarbigen Vignetten, die Erscheinungsbild an dieGesangbuchdrucke derReformationszeit anlehnen sollte. Initiale inrot schwarz. oder Ficker bestätigtBroschüre inseiner explizit, dass sich das zuweilen im17.Jahrhundert hat. verwendet Textanfang Den eine verschnörkelte ziert leichtdern geschweift, der Violinschlüssel hat die Form des Buchstabenwie G,manihn Weise archaisierend wiedergegeben. Die schwarzen Notenköpfe sind nicht rund, son - zur Musiknotation –recht DieNoten modern. hingegen wurden ineiner eigenartigen eine MischungSchrift, von Schrift gotischerund Antiqua. wirkt Sie Gegensatz –im sammen mit demTypografen Heinrich Wallau entwickelt hatte: dieneudeutsche Weintrauben zeigen. Für denText wählte man eine neue Type, dieOtto Hupp zu- schentitel ein,dieRosenstauden (inAnlehnung an dieLutherrose) mit Vögeln bzw. Die Ausgabe von 1902wurde imInnern völlig neu gestaltet. Zunächst fügteman Zwi- Macht undOhnmacht 24 23 22 Melodie. Tonartsogar inderselben Gesangbuch, imElsässer wie nämlich inEs-Dur, und nicht Greiters in F wie ChoralDer findet sich mit diesem SchlusschorText im desersten Teils vonBachs Matthäuspassion – hymnologisches Arbeitsbuch, Tübingen 2000,81–84. und Basel Abgedruckt in:Möller, Christian (Hg.): Kirchenlied und Gesangbuch. zuihrer Quellen Geschichte. Ein Ficker : Druck und: Druck Schmuck, 22(s.Anm. 12). 24 und ein Reformierter 23 Insgesamt werden 22

um eine bekannte Melodie von handelt). Claudin deSermisy Melodie wird übrigens vage „Frankreich, 16. Jahrhundert“ angegeben, obschon es sich „Gib Fried zuunsrer oHerr“, Zeit, Text dessen wohl zuwenig kämpferisch war (als Straßburger Repertoire abgedruckt wird; erst am Schluss findet sich WolfgangCapitos Straßburg zwar ikonografisch dominant erscheint, zunächst aber Lied kein aus dem rigen bezeichnend, dass gerade hier, derAbteilung zuBeginn „Reformationslieder“, explizit Straßburg Metonymie (als Elsass-Lothringen) dazugehört. für ist Es imÜb- und natürlich desdeutschen Nationalprotestantismus ganz zusehen, zudemjetzt des Theologen Bucer eine Anspielung politischenauf den Charakter Reformation der Bereits das reitend).Esel belstelle zum ersten Adventssonntag ist Mt 21,1–9, Jesu Einzug in Jerusalem auf einem „Reichsgenossen“ deshimmlischen Reiches sind dieBewohner (dieentsprechende Bi- wird dieAnkunftLied des als der beschrieben, MessiasKönig erscheint, während die ßischen Spitzelstaates heraufbeschworen werden? In der6. StropheRist erinnert an – könnte nicht da verlorenen das Bild eines preu Kinder vollen - tun Lasterlauf“ „im nen politischen Hintergrund. In Strophe 4ist demKönig nichts verborgen, was seine Kreuz weggelassen wurde, hat dasFehlen deranderen Strophen beiden wohl eher ei- pekte anspricht: Während die8.Strophe vermutlich wegen ihres Verweises auf das der vollständigen Fassung). sind Strophen,Es jene in denen negative As- Interessanterweise Gesangbuch fehlen imElsässer drei Strophen (dieStr. 4,6und 8 in Strophe fromm, Untertanen“. ihr 4–„Seid denMessiassollen und loben gleichzeitig denKönig von Preußen, heißt es denn–so wollen /dicherhoben, alle loben freudig /wir hierund (Str. dort“ 8).DieGläubigen geplagten“, erist der„Morgenstern“, erist gerecht, erwird ernähren. „Ja, König hoch von Preußen. König Der ist hier der „Helfer“ Herzen“, die „betrübten für die „Viel für - „Reichsgenossen“, und der König, den es zu empfangen gilt, ist auch Wilhelm II., König und die LothringerDie Elsässer des neu geschaffenenReichslandes sind hier wohl die an denAnfang. imGesangbuch Doch Nr. 1 von einneuer 1899klingt Subtext mit: 26 25 das Johann Rist kurz nach Ende desDreißigjährigen Krieges gedichtet hat. Liedanfang erscheint alphabetisch. So erstes als „Auf, Lied auf, Reichsgenossen“, ihr ordnet dasGesangbuch von Spitta innerhalb einer dieLieder Abteilung nach dem zuAdvent.dern Im Unterschied zuden übrigen benutzten imElsass Gesangbüchern Wie einlutherisches üblicherweise Gesangbuch beginnt auch hiermit- dieses denLie Repertoire Bucer). 1541 meint, mit demSturm allerdings nichts zutun hat (dasVorwort stammt von Vorwortes des„herrlichsten Gesangbuches“ gewesen,womit erwohl dasKantional von B/VIII 1651/09;HDB 2060), dort allerdings mit einer Melodie von ThomasSelle. ist erstmals Lied Das inderSammlung Sabbahtische Seelenlust, Lüneburg 1651,erschienen (RISM Ficker, und Druck Schmuck, 29(s.Anm. 12). 25 Wahrscheinlicher ist es,inderdoppelten Abbildung desPolitikers Sturm und Gesangbuch für Christen Augsburgischer Confession Augsburgischer Christen für Gesangbuch Beat Föllmi:DasGesangbuchalspolitischesInstrument stellte als Lied dieses 26 In Rists

45 THEMA 46 THEMA entnommen. Spitta hat wohl aus dasLied demEvangelischen Gesangbuch für Ost- und Westpreußen torium vorkommt, sondern umeinGedicht von Max von Schenkendorf (1783–1817). Weihnachtslied, das mit unter ersten derselben Zeile anderem inBachs Weihnachtsora- an, du schönes Morgenlicht“ (Nr. handelt 15).Dabei essich nicht umdasbekannte Die Abteilung derWeihnachtslieder beginnt mit einem ungewöhnlichen „Brich Lied: phen auf Johannes Tauler zurückgehen. Heimatland: handelt Es kommt sich um„Es einSchiff, geladen“, erste dessen drei Stro- Mit demdritten AdventsliedGesangbuchdas wirft schließlich den Blick ins elsässische melsrichtungen heimisch ziehen, werden umdas Reich überall zulassen? Reiche indenBlick hienieden Him vier genommen. inalle - soll welche Doch „Schar“ Auch hiermeint „Reich“ zunächst dasReich Gottes, werden sogleich aber auch die gestalt. Wiederum liegteinpolitischer Subtext darunter, wenn esinStrophe 3heißt: wird derEinzugJesu inJerusalem thematisiert, desmächtigen Königs inKnechts- mel ist nimmer weit; jetzt / esnaht dieselge Gotteszeit / derFreiheit / und der Liebe. Hoffnung politischesauf ein Morgenlicht erkennt.So heißt esin Strophe „Der 3: Him- man Doch u.ä. wird zulesen. nicht fehlgehen, wenn man inSchenkendorfs Gedicht die nachtslied, denn an mehreren Stellen ist Kind“, vom „zarten vom Kind inderKrippe vierstimmigen Chorsatz Zwar geschrieben. handelt es sich eindeutig um ein Weih - erreicht dann rasch eine Popularität. gewisse Max Reger hat übrigens 1901einen dazu Jahr 1814stammt, taucht erst am Ende des19.Jahrhunderts inGesangbüchern auf und hat, ist Verfasser freiheitlicher vom Gedichte. Lied „Morgenlicht“, Sein dasaus dem 29 28 27 hier mit einer Melodie von Georg Joseph aus derHeiligen Seelen-Lust von 1657. tapher desKönigs auf: König „Dein kommt Hüllen“ inniedern von Friedrich Rückert, Nr. 2Lied imelsässisch-lothringischen Gesangbuch von 1899nimmt dieMe ebenfalls - ständig abgedruckt worden ist. ständlichen“ Strophen ist umsoauffälliger, zuvorLied alsdas in Straßburg stets voll- Straßburg unter Weglassen Dieses preußischem erinnert? Artilleriefeuer von „missver nicht Zeilen anten zusehr diese dieZerstörungen während desBombardements von raubenAlles hin […] / Wenn Tod ein früher gleich uns genommen“. /Die Lieben Hät- die Gräuel desDreißigjährigen Krieges: „Und wenn Krieg gleich und Flammen /Uns Macht undOhnmacht nach /derWelt Orten denvier hinaus und macht dirBahn.“ du mit untertan. gründest, des Glaubens / Bewaffnet Worten, / ziehtSchar deine Reich ist„Dein nicht von Erden,Erden dieser aller /doch Reiche werden /dem,das anderen von Lieder Schenkendorf Spitta bei (Nr.Gesangbuch. 376und 401)finden sich indiesem Evangelisches Gesangbuch Ost- für und Westpreußen, Königsberg 1899 (HDB 19261). Auch die beiden 1842 (HDB 11643). erschien auch Lied [1657]. Das in:Gesangbuch dieevangelische für Kirche inWürttemberg, Stuttgart, Heilige Seelen-Lust injhren Geistliche Hirten-Lieder /Der /Oder JESUM verliebten Psyche, Breslau nicht an erster Stelle erscheint. melte geistliche und liebliche insich haltend, Lieder Straßburg 1770(HDB allerdings 8737),wo dasLied haltend, Straßburg 1735 (HDB 6109),sowie: Neues Gesang-Buch alte und neue mit Fleißgesam allem - Neues Gesang-Buch, Alte und Neue Mit Fleißgesammlete allem Geistliche und Liebliche In Lieder sich 29 Schenkendorf, deram gegen Befreiungskrieg Napoleon teilgenommen 27 28 Hier -

108 107 106 105 104 103 102 101 das Doppelbildrik von Sturm und Bucer. alphabetischrum geordnet) gewidmet sind. Wie schmückt schon erwähnt, Rub diese - nämlich: „Feste derReformation und ihrer Werke“, denen insgesamt- (wiede 12Lieder sieht dafür eine eigene Rubrik innerhalb der Abteilung „Gottesdienstliche Zeiten“ vor, Betrachten noch dieReformationslieder. wir elsässisch-lothringische Das Gesangbuch herrscht König“ als (vom Straßburger Theophil wird. Stern) verwendet Gotteskindschaft national umgedeutet.passt,Dazu dass als „JesusMelodie Christus dasVolkda derTreun und Frommen /herrscht königlich als wird Geschlecht.“ die So Pflichtles verjagen, was „zuwider undRecht, bisReich, dein o Herr, gekommen, / von „Volk undindenBlick Kaiser“ genommen: SiedieLüge sollen schlagen- und al mit Christus an demReich Gottes. In derletzten Strophe (7)wird deraktuelle Kampf hier dendeutschen Kaiser, an Kaiserreich dessen dieChristen bauen nicht sollen, etwa Vertrauen / an dem Reiche mit bauen ihm Bürger, / alle Stand.“ jeder mehrEinmal wird mit derVokabel „Reich“ gespielt (Str. fröhlichem „in sollen 4):Alle der. In derersten Strophe heißt es: webt Spitta ganz dasKönigtum bewusst und dasKaisertum Christi Wilhelms ineinan- Gesangbuch verfasst. In Huldigung dieser an dendeutschen Kaiser, Wilhelm also II., persönlich entweder dieGottesdienste für inSankt-Thomasoder direkt für dieses politische Situation. „Gott und Herr, indeinem Sohne“ (Nr. 117) hat Friedrich Spitta höre, Herr, erhöre!“ Nr. 118),bezieht sich daszweite Kaiserlied direkt auf dieaktuelle aufgenommen wurden) intraditionellen desHerrscherlobs Bahnen („Herr, bewegt Feste“. Während von sich dasLied (von deminsgesamt 13Lieder finden sich im Abschnitt „GottesdienstlicheZeiten“ unter der Rubrik „Vaterländische Zwei des Gesangbuches Lieder besingen direkt das Wohl des deutschen Kaisers. Sie Bild vom anbrechenden Morgenlicht auf demTitelblatt derErstausgabe zusehen ist. heilsgeschichtliche und der politische Horizont miteinander vermischt dies im – wie werken übe!“ Im elsässisch-lothringischen Gesangbuch der werden wiederum also Wohlauf, du frohe Christenheit, sich /daß nach jeder langem Streit /inFriedens- auf demStuhl von direrhöht.“ Kaiser,unsern sitzet derda danken dir, daß du beschützet deiner Königsmajestät; heut wir nahn demewgen Throne „Gott und Herr, indeinem Sohne Herr, nun selbst denWagen halt Gib Fried zuunsrer oHerr Zeit, Es mussEs uns gelingen doch Es istEs das Heil uns kommen her Erhalt uns, Herr, deinem Wort bei Ein feste Burg ist unserGott Einer ist König, Immanuel sieget Ach bleib uns, Herr bei Jesu Christ Beat Föllmi:DasGesangbuchalspolitischesInstrument Huldrych Zwingli Wolfgang Capito Martin Luther Martin Luther Johann Ludwig Konrad Allendorf Mit ihm Mit meint

47 THEMA 48 THEMA ekklesiologischen Kontext.ekklesiologischen Confession einReformationsliedals –imGegensatz zumGesangbuch für Christen Augsburgischer Strophe bekanntlich mit Reich muss „Das uns bleiben“. doch Luthers Gesang steht hier tionalhymne nicht: feste „Ein Burg ist unserGott“ (Nr. 103)–sieendet inderletzten Feinde, ihr liest man: und gebet „Bebet, dieFlucht.“ Natürlich fehlt dielutherische Na- und Huld, /Fried, Einigkeit, Mut und Geduld.“ (Str. 4).In (Nr. Allendorfs Lied 102) deinem Wortbei /und wehr derFeinde Trug und Mord. /Gib deiner Kirche Gnad religiös-kulturelle Mission. heißt imersten esgleich (Nr. So Lied 101):„Erhalt uns nur die Wiederentdeckung des Evangeliums der Gnade – dargestellt, sondern eine als kommenden auf. Lieder DieReformation wird nicht eine als Glaubenssache sehr so – Zum Zweiten fällt derkämpferische bzw. apologetische Charakter vieler derhiervor genauso denideologischen Anspruch für desNationalprotestantismus. tanzer Blaurer. Vielfalt Diese mag hymnologische für Offenheit stehen, sie steht aber Zwingli, derNorddeutsche Cramer, derThüringer MichaelAltenburg und der Kons- Melchior Teschner aus Großpolen, dieStraßburger Capito und Vogtherr, derZürcher Nikolaus Selnecker, esfolgt derHallesche Pietist Allendorf, dann Luther und Speratus, den nicht an einmal erster Stelle. Anfang Den macht ausgerechnet der oft geschmähte dargestellt, und Wittenberg (mit Luther und Speratus) steht aus alphabetischen- Grün Zwei Punkte auf. fallen Erstens wird dieReformation eine als gesamtdeutsche Sache 112 111 110 „Wer auf soll demThron überwindt, /mitChristo Jesuglänzen sitzen,wie ein soll / mit Macht dieVölker mannigfalt /ineiner Schnur zuführen.“ Und weiter inStrophe 11: Strophe „Wer wir: 8lesen bekommt überwindt, Christus /wie zu regieren, Gewalt, / hier unter evangelischen seinem Namen Johannes wird). Scheffler angeführt Inder „Auf,das Lied Christenmensch, auf, auf zumStreit“ (Nr. 340)von Angelus Silesius (der apokalyptischen Metaphern können leicht ins Politische abgleiten. Als Beispiel diene den Kampf des einzelnen Christen gegen Satan und Sünde. Aber und die kriegerischen und Sieg“ mit sich Die meisten beziehen zwar immerhin Lieder auf 21 Liedern. dieser Im zweiten Teil, inderAbteilung „Heiligungsfrüchte“ findet sich die Rubrik„Kampf Folgenden auf einige wenige Beispiele. ren Auflagen derEinfluss Deutschen des Reiches zu Beschränkenspüren. wir uns im handelt (dieerste Auflage erschien noch vor der Annexion), ist auch hierinden späte- 1937 fast zwanzig Mal neu aufgelegt. Obschon essich umeinelsässisches Eigenprodukt das einiges langlebiger war Spittas als Gesangbuch, wurde zwischen 1863und esdoch zu, Confession Augsburgischer Wenden Christen für uns wir noch kurz demGesangbuch Gesangbuch fürChristen Augsburgischer Confession 109 Macht undOhnmacht Wach auf, wach auf, ’s ist hohe Zeit („Gustav Adolfs Feldlied“) Verzage nicht, du Häufleinklein Triumphiere, Gottes Stadt Lob sei dir, sei Lob Jesus Christe , wo das Lied in der Abteilung, wo das Lied „Wort Gottes und Kirche“ steht, in einem also Ambrosius Blaurer Johannes Andreas Cramer Heinrich Vogtherr -

war. fession Elsässers (1871),von denen einige indasGesangbuch für Christen Augsburgischer Con- ohne Probleme dieNationalität und verfasste einige Kriegs- und Friedenslieder eines eine Spezereienhandlung).(er führte Obschon wechselte überzeugter Elsässer er 1871 tionalismus und Pietismus kämpfte, war ohne eigentlichetheologische Ausbildung 31 30 verzeichnetriken sind, gesondert wird erwähnt. dasLied unter„Festlieder“ derRubrik „Mission“; imInhaltsverzeichnis, wo sonst nur dieRub- findet sichallerdings erst inden Ausgaben Es ab 1907. stehtals letztes inder Abteilung deutlich antijüdischem Ton von denJuden „die als irre Herde“ gesprochen. Lied Das von Meyer (1772–1849), einem Frankfurter Politiker und Bibelübersetzer. Hier wird in nommen hat. du „Der ist dasVolk Es dasLied regierest“ (Nr. 70)von Johann Friedrich die„Judenmission“für das Spitta bezeichnetes Lied, Gesangbuch insein nicht aufge- Im 3. 1. „Gottes Reich“ explizit hergestellt. keit nichts zu wünschen übrig. Hier wird die Verbindung von „Deutschem Reich“ und Weyermüllers Poesie lässt hinsichtlich ihrer nationalistischen Gesinnung an Deutlich- von Friedrich Weyermüller (1810–1877). land“ gesungen. Alszweites findet sich„Ich Lied vorwill dich,Gott“ mein (Nr. 575) Im Teil vierten zudenbesonderen Ständen wird erstes als „Obrigkeit für und Vater bekommenübertragen hat, dieVölker über zuherrschen. schen Kaiser, denVerteidiger desProtestantismus, dervon lesen, Christus dieGewalt dar denHimmel Nur ziern.“ leicht allzu lässt Text sich dieser Hymne als auf dendeut- Gottessohn /und dieSonne blitzen, wie herrschen und regiern ewig /und /ja immer Es sind die Lieder: Nr. sindEs dieLieder: 66,216,500,567und 575derAusgabe von 1912. in:ConfessioElsass, Augustana IV(2007),39–43. Zu Biografie seiner siehe: Siegwalt, Martin Gesangbuch für Christen Augsburgischer Confession Augsburgischer Christen für Gesangbuch 31 in rechter Einigkeit. machso esstark und fest von Menschenwahn befreit, in deiner Wahrheit , in deinem Geist verbinden; großeund dieses Volk dein Reich, dieKirche, gründen wollstDu imDeutschen Reich ein Vaterunser […] beten Deutschlands für Wohlund will im Namen Jesu treten Ich vor will dich, mein Gott, Eingang gefunden haben, an Ausarbeitung dessen Weyermüller beteiligt selber Beat Föllmi:DasGesangbuchalspolitischesInstrument : Friedrich Weyermüller und dielutherische Erweckung im 30 Der orthodoxe Der Lutheraner,- dergegen Ra findet sich zudemeinexplizit - - 49 THEMA 50 THEMA einige haben sich indieZweige gesetzt, diesich umdieSeite ranken. Seite angeführt sind: „O du fröhliche, odu selige“. ihren Köpfen Über fliegen Vögel, in derHand, singen, dieeinLied Noten dessen inarchaisierendem Stil unten an der geschehens steht: zeigteine Es Gruppe Kinder Putten kleiner oder mit Maiglöckchen ten, dasimSoldatengesangbuch inrechtem doch Widerspruch zurRealität desKriegs - elässisch-lothringischen Gesangbuchs, vor dasZwischentitelblatt allem Weihnach für - Johannes grafischeFicker dabei Elemente übernahm Schmuckausgabeaus der des für unsere Soldaten zum Weihnachtsfeste des Kriegsjahres 1915. Gesangbuchein kleines dieSoldaten für an derFront herausgegeben: Alte liebe Lieder Für Weihnachten 1915 hat die Kriegsstelle der Kaiser Wilhelms-Universität Straßburg Das Kriegsgesangbuchvon1915 des Zweiten Weltkrieges ein solches ikonografisches Programm haben. gewählt Lutheraner Franzosen –1937als –inderangespannten politischen am Lage Vorabend Drachentöter Michael imHintergrund. ist Es erstaunlich, doch dass dieStraßburger dargestellte Christus sowie die endzeitlich gestaltete Sankt-Thomaskirche mit dem in unheilvoller Weise dervölkischen Kunst. ins Besonders Auge derheldisch fallen wordenbebildert ist. Die mit grobem Schnitt gestalteten Holzschnitte sich nähern undschien von Rudolf Schäfer Kunst, (1878–1961),einem Maler sakraler neu extra abschließend, wir dass dieletzte AusgabeErwähnen Gesangbuches dieses 1937er Macht undOhnmacht 32 numistral.fr/ark:/12148/bpt6k94370832 (Aufruf vom 12.September 2019). HDB 30519.Digitalisat Bibliothèque Nationale et Universitaire deStrasbourg (Numistral): http://www. Théologie, UniversitédeStrasbourg. Mit freundlicherGenehmigungderBibliothèquedesFacultésde S. 177(HDB24706). Straßburg, 1937, Gesellschaft, Lothringen, Evangelisch-lutherische für Christen Gesangbuch Konfession inElsaß& Augsburgischer 32 Der Herausgeber Der -

Deutschen Reiches vorgenommen: Die Auswahl der vierzehn darin enthaltenen Weihnachtslieder ist nach Regionen des

Aus Straßburg imElsaß: Es kommtEs ein Schiff, geladen Aus Königsberg inPreußen: Mit Ernst, oMenschenkinder Aus Österreich: Stille Nacht, heilige Nacht! Vom schwäbischen Meer: Nun singet und seid froh Aus demMoselland: Es istEs ein Ros entsprungen Aus demRheinland: Jauchzet, ihr Himmel, Aus Holstein: frohlocket ihr englischen Chöre Brich an, du schönes Morgenlicht Aus Niedersachsen: Freut euch, ihr lieben Christen Aus demHerzen Deutschlands: Aus Berlin: Vom Himmel hoch, da komm ich her Gesang des Engels der Verkündigung. Aus Sachsen: Fröhlich soll mein Herze springen Dies ist der Tag, den Gott gemacht Aus Böhmen: Lobt Gott, ihr Christen allzugleich Aus Bayern: Ihr Kinderlein kommet, o kommet doch all Beat Föllmi:DasGesangbuchalspolitischesInstrument Nr. 367 Nr. 365 Nr. 368 Nr. 366 Nr. 364 Nr. 20 Nr. 17 Nr. 3 Nr. 9 – – – –

Johannes Tauler, Straßburg Valentin Tilo d.J., Königsberg Joseph Moor, Salzburg Konstanz, 14. Jahrhundert Trier [Köln], 15. Jahrhundert Gerhard Teerstegen, 1731 Johannes Rist, 17. Jahrhundert Leonhart Schröter,Leonhart 16. Jahrhundert Martin Luther Paul Gerhard Christian FürchtegottChristian Gellert , Joachimsthal Christoph von Schmid, Augsburg 51 THEMA 52 THEMA Reiches imzweiten Kriegsjahr. burger Gesangbuch denideologischen und politischen also Standpunkt desdeutschen Hinter der unschuldigen Fassade von Weihnachtsliedern widerspiegelt Straß dieses - die Väter hoffendGott dichsahn, bet ichMessias an.“ Strophe äußert schließlich dieeschatologische Hoffnung explizit:„Herr, […] auf den Volk dasdenAugenblick dieRede, desSieges und desTriumphes Dieletzte erwartet? darauf ward“: gewartet haben, „bis daß erfüllet die Zeit Ist hiernicht vom deutschen Schlachtfeldern ausgetragen wird? Und die zweite Strophe spricht von den Völkern, die der heutige Tag, an demdieentscheidende Schlacht zwischen Gut auf den und Böse 1915). Die erste(Berlin Strophe den„Tag, erwähnt denGott gemacht“: Ist diesnicht sowie imDeutschen evangelischen Gesangbuch für die Schutzgebiete und das Ausland büchern, imFeldgesangbuch so für die evangelischen Mannschaften (München 1914) um zentral von gesteuerte oben Instrumente. An derErarbeitung und Ausgestaltung werden.bezeichnet handelt Es sich – dies dürfte dabei deutlich gewordensein – nicht Lothringen benutzt worden sind, können durchaus ein„Germanisierungsfaktor“ als Die Kirchengesangbücher, dieinden evangelischen Kirchen des Reichslandes Elsass- Schluss Macht undOhnmacht 33

Dichtung veröffentlicht hat. Worte stammen von Fürchtegott Christian der1757eine Sammlung Gellert, geistlicher Dimension desWeltkrieges vermuten: ist „Dies derTag, denGott gemacht“. Dessen könnteallenfalls man imsächsischen einen Hinweis Lied auf dieeschatologische Keines hat Lieder dieser eine direkte thematische Verbindung zur Kriegssituation – Herz deutscher Identität verwiesen. Martin Luthers Damit bezeichnet. wird eindeutig auf desProtestantismus dieRolle als grafische Angabe –dennSachsen folgt später mit einem eigenenGesang –die Heimat Weihnachtsklassiker von Joseph Mohr). Alsdas„Herz Deutschlands“ wird ohne geo- der Hauptstadt Ostpreußens von (ein Lied Valentin und Thilo), aus Österreich (der Gegenden: (einGesang demElsass vonfragilen Johannes Tauler), von Königsberg, Interessanterweise beginnt mit die Reihe drei aus Lieder politisch umstrittenen bzw. fehlten. auch aus lutherischen geprägten Spitta Gegenden wurden hinzugefügt, diebei Lieder dasMosellandfür und Teerstegens „Jauchzet, Himmel“ ihr dasRheingebiet). für Aber also, dieinSpittas Gesangbuch nicht vorkommen ist entsprungen“ „Es einRos (wie musste auch auf katholisches und reformiertes Liedgut zurückgegriffen werden, Lieder lands –,wird hier1915ins Politische verkehrt. Um Gegenden gerecht allen zuwerden, nung dargestellt wurde –nämlich von aus derEinbezug Teilen Liedern allen Deutsch- Was noch 1899inSpittas also Gesangbuch hymnologische als und theologische Öff- Gellert, Christian Gellert, Aus Thüringen: O du fröhliche, odu selige Fürchtegott : Geistliche Oden und: Geistliche Lieder, Oden Leipzig 1757. 33 Gellerts Lied erschien auch Lied inanderen Gellerts Soldatengesang- Nr. 359

Johannes Daniel Falk, Weimar

tik deranbrechendentik neuen Zeit. letzten Ausgabe wird sogar dasBildprogramm komplett –ganz inderÄsthe erneuert - indenen derneuen Situationhundert erweitert, Lieder Rechnung getragen wird. In der drei Jahrzehnte unverändert bleibt, wird daseinheimische Gesangbuch 1907umüber weiterhin benutzt. Während das Gesangbuch von Spitta in Inhalt und Gestaltung über Gesangbücher werden nach derRückkehr von und Elsass Lothringen zuFrankreich Confession sangbuch, sondern siefinden sichimGesangbuch ebenso für Christen Augsburgischer das von denreichsdeutschen Professoren (Spitta und Smend) herausgegebene- Ge Interessanterweise beschränken sich dieGermanisierungstendenzen nicht nur auf te ins deutsche Reich zubefördern. schaffenlen, urbanen zu Gesellschaft gleichzeitig und die Integration Gebie der neuen - Gesangbuch motiviert: ideologisch einmodernes wie denGebrauch für ineiner mobi- renz und dieUniversität Spittas beteiligt. war gleichermaßen Bestreben hymnologisch des neuen Gesangbuches für Elsass-Lothringen waren dieStraßburger Pastoralkonfe - , das von der Straßburger lutherischen Pfarrschaft getragenBeide wurde. Beat Föllmi:DasGesangbuchalspolitischesInstrument 53 THEMA 54 THEMA der Schnappschuss ähnelt einer Pietá.Werk Das uraufgeführt worden, ist 2010inBerlin Foto von ein NVA-Soldat wie ihm, den Verblutenden aus dem Todesstreifen trägt, und lings Paul Fechters, der achtzehnjährig 1962starb –und esgibt einbeeindruckendes Flüchtlings Mauer an derBerliner dargestellt. Angeregt vom desMaurerlehr Schicksal Ich habe ineinem vielstimmigen Text dieletzten Minuten eines verwundeten tödlich Oratoriumeine Art denRIAS-Kammerchor für „Hinter geschrieben: der Mauer“. Anläßlich Jubiläums des20-jährigen derDeutschen Wiedervereinigung beide haben wir sibilität gearbeitet. Ausdruckjedem entzogen, ist vielschichtig, inenormer künstlerischer Breite- und Sen Schaffens von SamirOdeh-Tamimi. was dasheißt Aber genau?Seine Musik ist ebenso anders wahr. Politischer Ausdruck Impuls war sicher einfrüher deskünstlerischen israelischen Konflikt aufgewachsen. Jeder Hörer,das der weiß, nimmtseine Musik arabischen DorfinderNähe von Tel Aviv geboren. Erist mitten impalästinensisch- Aufführungin jede seiner Werke. SamirOdeh-Tamimi wurdekleinen 1970ineinem einer Herkunft und einem überstarken hermeneutischen Horizont, einträgt dendiese Dass Samir Odeh-Tamimi „politischer als Komponist“ erscheint, liegtanderseits an Schleier ganzwehen.sein undwie ein filigran gewoben verloren. Aber damit ist ganz siedoch unzureichend bestimmt, kann auch siedoch Kunst „Waffe“sein könne, hat in dieser Musik gelegentlichBehauptungscharakter den sie scheint zusein, zuexplodieren.trieben derEindruck des„Poltischen“. Daher Dass Samir Odeh-Tamimis Musik ist direkt, scheint von immensen inneren Energien ge- des Schreis.“ Mit Charakterisierung dieser „Schrei“ als ist etwas Wesentliches benannt: Musik wird eines unmittelbar Sie erzählt, teilt etwasmit, klar: Gestus und ihr ist der Kraft.chialer Ein sagteDeutschlandfunk „Beim im einmal: HörenMusikkritiker dieser ersten an derstarken BildhaftigkeitGefühlsintensität und seiner derenMusik, oft bra- notgedrungen tun, wird ergefragt,Komponieren ob sein „politisch“ liegtzum Das sei. von Samir Odeh-Tamimi ist. dieRede Immer wieder, und auch ich werde dasdann Dass Musik und Politik ineinem Atemzug genannt werden, geschieht häufig, wenn und „Politik“ zusammenkommen. Kann espolitische Musik geben? Was das sein? soll ist? Auf Fall unsicheres jeden betreten einsehr wir Gelände, wenn dieWorte „Musik“ aufsich, wenn einen siedasSagen Ausdruck überwindet hin, der denWorten voraus das eskeinen Ausdruck zugeben scheint? Kann Musik „etwas“ sagen? ist Oder siebei Auszudrückende geschaffen. bestehtWorin aber nun dieses für Ausdrücken dessen, nicht schlicht und einfach ausdruckslos […]“ Musik, sagte Debussy das Nicht- für sei zuteilen, ebensowenig einzweckbestimmtes Ausdrucksmittel, und ist doch dieMusik Und Musik weiter: „Die ist keine Sprache und auch kein Instrument, mit- umBegriffe soph Vladimir Jankélévitch, einer derfeinsinnigsten Theoretiker modernen der Musik. Mysterium„Das derMusik ist dasUnaussprechliche“, schreibt derfranzösische Philo- C Politische Musik? Notiz zudemKomponistenSamirOdeh-Tamimi hristi a n

L ehnert -

einer zu Gesellschaft Hause ist. wohl keine Kunst, dieihrem eigen unbedingten Anspruch folgen muß und in zugleich sucht, offenen jenen Raum, wofür ein Ausdruck fehlt. Diesem Widerspruch entkommt esist unpolitisch,Doch weil esinkeiner Aussage aufgeht und das„Unaussprechliche“ gearbeitet ist –und dasaus derTiefe desEmpfindens, nicht in Behauptung.äußerlicher heute brisant wieder ist, einen Mauerbau. Werk Das ist politisch, weil esinterkulturell zugrundeliegende Dichtung sind politisch –indem sie eine inszenieren, Erinnerung die Musik läßt ihre ferne Herkunft in Sufi-Klängen Diese erahnen. ihr und die Musik Seite ist mit Frage als ihr gegeben. Text Den durchziehen Passionsmotive, und die Die Mauer ist ein Grenze zwischen Staaten, und sie ist eine Todesmetapher. Die andere kanischen Grenze Werk zurUSA.Das hat politische ebenso Dimensionen religiöse: wie durchsetzbar, nicht ebenso dasVorhaben von Aufführungen in Korea und an der mexi- jenseits derMauer aufzuführen, inJerusalem und war inRamallah politisch nicht dann inDresden und inJerusalem. ursprüngliche Das Projekt, dasWerk diesseits und Christian Lehnert:NotizzudemKomponistenSamirOdeh Tamimi

55 THEMA 56 THEMA meisten ersten dieser neuen Generation Lieder eher traditionell geprägt. Wenn auch in alle ästhetische Wahrheitalle –und eine gegen die Religion.“ „wenigstens zwei Sünden“ auszumachen meinte: „eine gegen dieMusik –und gegen nicht mit harscher dieWochenzeitung etwa Kritik. So Liedern DieZeitdiesen , diebei „Durchbruch“ einzeitgemäßes für Christentum euphorisch sparten andere begrüßten, beachtlich, wenngleich auch überaus gespalten. Während die einen das Neue als Die öffentlicheResonanz auf die derNeuenWelle Geistlichen Lieder war seinerzeit Boutiquen“ dem„Fließband“, oder an dem„der schiefhängt“. Segen bieten kann“ denWunsch, oder „dass einer mit mirgeht“ bis hinzuden„Fabriken und – vonEinzug indieLieder meine „Danke für Arbeitsstelle“ den„der über Gott nichts nun Elemente derAlltagssprache, mitunter auch durchaus saloppe Redewendungen barocken Sprachbildern Herzensfrömmigkeit erwecklicher oder geprägt waren, hielten traditionellen von Choräle, reformatorisch dieüberwiegend geprägter Begrifflichkeit, treffende, inunserer Umgangssprache redende Texte“ gehen.Gegenüber denen der einer derTutzinger Ausschreibungskriterien sollte es„um einfache, inderAussage hinausDarüber zeigte sich das„Neue“ vor auf allem dersprachlichen nen konnten sich indes gemeindlich nicht durchsetzen. Ufer“ ist nicht „Liebe oder nur ein Wort“. Einzelne vom Jazz beeinflusste Kompositio- populären Schlagers. Neben „Danke“ „Herr, bei etwa so ist Gras deine wie Liebe und Melodieführung, Harmonik und Rhythmikmehr indasmusikalische Repertoire des Herr,„Du, gabst uns deinfestes Wort“ („It’s me oh Lord“). Andere in griffen Lieder „Hört, bei etwa wenSo Jesus glücklich preist“ („Michaelrow boat the ashore“) oder modernen modernen „Neue“Das neuen geistlichen dieser bestand zunächst Lieder inderAufnahme von hervorgingen. das sich Gemeindenennt“, „Komm, Bethlehem“ „Stern weiter“ über oder esallen sag drei weitere Ausschreibungen statt, aus denen solche Dauerbrenner Schiff, „Ein wie Lucas-Chors sogar bis derdeutschen indieCharts brachte. Schlager Bis 1967fanden ersten Den sendern. Platz „Danke“, belegte dasLied dasesspäter mit Hilfe desBotho- ausgeschrieben. DieResonanz 2000Beiträge von warLieder“ überwältigend: 600Ein- 1960. DieEvangelische Tutzing Akademie hatte einen Wettbewerb religiöse „neue für Die Geburtsstunde desNeuen Geistlichen Liedes datiert man gewöhnlich auf dasJahr 1. O Die „68er“unddasNeueGeistlicheLied „Das könntedenHerrenderWelt jasopassen“ 1 kk Zit. nachZit. Hegele, Günter: Neue durch Lieder Preisausschreiben? Armin in:Juhre, gehört zu werden, Wuppertal 1976,26. o

H erlyn musikalischen Elementen, voran allen denMelodien bekannter Spirituals. 1 Theologisch indes waren die Ebene. Gemäß (Hg.): Singen, um

3 Vgl. 2 Vgl. – Elemente derdamaligen Aufbrüche waren: zumEtikettgung ändern, dieseither „die für 68er“ geworden sind. Diewesentlichen sollteDas sich nun erheblich doch mit der gesellschaftlichenBewe - politischen und 2. vertrauen Freude und Liebe, und Trauer, Schuld und Vergebung. zeitgemäßer Sprache und mit Musik, moderner ging esimGanzen so meist umGott- „Atheistisch an Gott glauben“ Ebene. Trendsetzend war hiervor Dorothee allem theologischesProgramm Sölles lution“ auf an akademischeroder das„Politische Nachtgebet“ auf gottesdienstlicher lateinamerikanische Befreiungstheologie bzw. genannte die so „TheologieRevo- der Niederschlag, wenn auch nicht immer unumstritten. Wir uns an erinnern etwa die Die von den„68ern“ ausgehenden Impulse fanden auchund Kirche inTheologie – – – – nend dafüreinRückblick Fulbert Steffenskys: das Diktat politischen seiner Nützlichkeit- geriet. imSinne Bezeich Ziele sozialistischer hatteDas denGottesdienst für –etwa –zurFolge, mehr dass dieser und mehr unter perspektivisch in–auch politisch verstandene –Nächstenliebe transformiert. menschlichen neu aufzusuchen. Leiden DieKonsequenz: einChristentum, dassich „metaphysischen“ Gott, herrlich so regieret“, „der alles abwendet, dann umihn im

will den Gottesdienst,will weil er schön ist.‘ Er hat nicht gesagt: weil er uns stärkt und angesehene linke Theologe, hörte sich dieDiskussionlange ‚Ich dannan, sagte er: dieGruppefür dasThema, unddas für sie verfolgte. HelmutGollwitzer, alte der zu machen. Man redete eher verlegen darüber, was einGottesdienst dennbringe lin. Am Samstagabend schlug jemand vor, am nächsten Tag einen Gottesdienst „Ich erinnere mich an einWochenende der‚Christen denSozialismus‘ für inBer eine allgemeine Protesthaltung gegen genannte dasso „Establishment“, dassich der innenpolitische Widerstand gegen etwa dieNotstandsgesetze dieautoritären oder die damit einhergehende grundsätzliche Kritik am westlichen Kapitalismus der Protest gegen dasamerikanische Engagement imVietnamkrieg das immer stärker werdende Aufbegehren der jungenGeneration Schweigengegendas Sölle, Dorothee Sölle, rich 1986. zu einem verantworteten theologisch Umgang mit neuen und alten geistlichen ThSt 131, Liedern, Zü- lichen Liedes“, Wechselwirkungen 13 / 14, Waltrop 1995; Talaren Muff von 1000 Jahren“ im 1967 Jahr bereits geraume zuvor Zeit angekündigt hatte, indemberühmten „Unter etwa den Strukturen an denHochschulen der Elterngeneration deren über Verhalten während derNS-Zeit Herlyn, Okko: Notwendige Zwischentöne. Zur Geschichte, Eigenart und Funktion geist des „neuen - : Atheistisch an Gott glauben. Beiträge zurTheologie. Olten/Walter, Freiburg 1968. 3 , indemsiesich von einem –von verstandenen so ihr – Okko Herlyn:„DaskönntedenHerrenderWelt jasopassen“ ders. : „Singen unter den Zweigen“. Erwägungen 2 ihren -

57 THEMA 58 THEMA 10 9 werden wahr.“ singen, /feiern das Fest uns Herr derBefreiung./Der auf führt neues Land, dieTräume die Assoziationskette. entsteht So –inmusikalischer Anlehnung an dasalte „Christ ist wärn wir da /wowärn da wir diefreiheit lacht /wo freude macht“. dasleben / ich wünschverbotnen krumm mir daß rasen kein polizist mich stört dabei eia / eia dasPathos Zeit dieser desbloß Antiautoritären: trete „ich mit gern /den denkindern liche Haltung zum mutigen Widerstand. atmen So auch etliche geistliche Kinderlieder worüber ich schweigen reden oder sollte, sondern um eine eingeklagte grundsätz- 8 7 6 5 4 werden weitergehen. /Frag: ist esgut, esging, /und wie kann so ich weitergehen?“ Widerstandes gegen bestehende Verhältnisse: nicht: „Sag gingen wir /und immer so ist derGestus desAufbegehrens, des Protestes, des Sich-nicht-Abfindens, ja auch des istDa zunächst eine bis inderKirche dahin nicht so gekannte Haltung lich eingrenzen und einige inihnen unverwechselbare inhaltliche Motive ausmachen. kann man dievon den„68ern“ inspirierten geistlichen relativ doch Lieder genau zeit- aller Bei Komplexität, finden. schlag jeder die kulturellen Epoche eigennun einmal ist, und Kirchelogie nun auch indenneuen geistlichen Liedern ihren Zeit Nieder dieser überraschtEs nicht, wenn Entwicklungen sehen,dass wir diese - inGesellschaft, Theo 3. Macht undOhnmacht kaum versteht, /erbleibt Leisten seinen nicht bei /und stört diefrommen Kreise.“ auf irgendeiner Studentendemo: junger „Ein Mann aus Nazaret /geht Wege, dieman mitunter findet, Erwähnung macht fast denEindruck eines aufmüpfigen Teilnehmers ziehen frei wir heim aus derSklaverei.“ demLand beschworen wird: „Wenn dasrote Meer Welle grüne hat, /dann ziehen frei, wir /dann vorLieder in dem Motiv allem des Die biblische Vorlage grundsätzliche diese für Haltung desAufbegehrens finden diese geprägten Kultur despolitischen Protestsongs. Musikalisch vor vom Lieder diese allem mitunter leben Beat, auch von dergitarren- bin ich plötzlich stumm.“ „Ich rede,Oder: wenn ich schweigen sollte, /und wenn ich etwassagen sollte, /dann Verwertungsabsichten.“ Hoffnung ‚Erbringt. schön‘, ist hat er Ergesagt. wollteGottesdienst den nicht unter Albrecht, Alois Albrecht, III,Regensburgliche Lieder 1975,50f. Willms, Wilhelm gen, Düsseldorf o.J., B57. Jugendkammer der Evangelischen Kirche im Rheinland u.a.(Hg.), Mein Liederbuch heute für und mor Zils, , Hildebrandt, Günter burg 1967, 36f. Rommel, Kurt: Bitte umdasRechte,Blarr, in: Oskar Gottlieb u.a. (Hg.), Neue geistliche Lieder, Regens- geistliche II,Regensburg Lieder /Wuppertal 1970,28f. Fietkau, Wolfgang: Sag nicht: gingen wir immer so, in:Blarr, Oskar Gottlieb u.a.(Hg.), Werkheft Neue Steffensky, Fulbert: Irrtümer auf demWeg zurWahrheit, in:zeitzeichen 5/2018,46. : Ein junger Mann aus Nazaret, in: 10 : Andere wollen singen, wir Lieder in: Arbeitskreis kulturelle für Bildung, B38. Exodus –Befreiung –Aufbruch – Aufstand – Auferstehung.Das ist : Wenn dasrote Meer Welle grüne hat, in:Blarr, Oskar Gottlieb u.a. (Hg.), Neue geist- : in: LP „leben wird esgeben“,: in:LP„leben Telgte und Frankfurt 1975. 6 Hier geht esnoch nicht umInhalte. wird Es nicht ja gesagt, 4 Exodus , das in manchen Variationen besungen bzw. Arbeitskreis für kulturelle Bildung und Medienarbeit der 9 Oder: „Andere Lieder wollen wir Lieder „Andere Oder: 7 Jesus selbst, der auch dieser Lieder. dieser Es - - 8 5

Leben, Leben wir es geben, / Leben, Leben vor Leben demTod.“ esgeben, /Leben, wir Leben Leben, Schippe, /macht euch unbekannt, /sucht /nehmt Leben, daseigne euch indieHand. / verpaßt, /schminkt nicht eure Masken, /bis derTod euch faßt. /Springt von ihm der zum Auferstehen, zum Aufstand „Spielt jetzt: nicht mehr dieRolle, /dieman euch traditionellenSäkularisierung der Eschatologie Erde. /Halleluja.“ wo keiner mit Fäusten droht, /wo Menschen Frieden suchen. Gott /Ehre sei auf der herab ins friedenssuchende Irdische herabgepriesen wird: Gott „Ehre sei inderHöhe, / tischen. In derTendenz ineinem ähnlich „Gloria“, inwelchem Gott aus demHimmel vomsehr Geistlichen zumSäkularen, sondern mehr vom Individuellen zumPoli- 15 14 13 12 11 Herr, guter Gott, erbarme dich.“ / und andern /die im Hunger wir leben, leben, schlecht. leben / Kyrie, Kyrie eleison, nichtandern /und sieleben leben, schlecht. /In Hunger dieeinen, /und andern wir in derWelt werden: beklagt „In Ängsten dieeinen, /und dieandern /und die leben, licher Weise eine persönliche Schuld bekannt, sondern dieungerechten Verhältnisse neuen „Kyries“, ineinem etwa derzahllosen lich. So indenen nicht mehr inherkömm- vor Zeit inderAufnahme dieser allem Liedern klassischer liturgischer Elemente deut- Die Neudeutung traditioneller theologischer Motive wird denneuen geistlichen bei kussion und Aktion. Politische Nachtgebet keiten, politische Veränderungen auf denWeg zubringen. Folglich vollzieht sich das ist hierdieschonungslose sondern Gebet loben, Besinnung auf dieeigenen Möglich- mehr Gottes, dieAnrufung umvon Hilfe ihm zuerbitten, zudanken ihm zu und ihn toren nicht demtraditionellen Frömmigkeitsmilieu entstammten. Hier nicht ist Beten Politische Nachtgebet der Begriffe Tradition entreißen und dogmatischgeradezu neu definieren. Schon das Elemente und Sprachmuster wolle als , so man bestimmte liturgische theologische oder Überhaupt kommt zurAufnahme esimmer wieder traditioneller und Neuinterpretation regieren!“ zur Auferstehung auf Erden, /zumAufstand gegen dieHerren, /diemit demTod uns vomist der Befreier Tod auferstanden, /ist schon auferstanden / alle unsjetzt und ruft Herren, /erst dann dieKnechtschaft der Knechte / vergessen wäre Doch für immer! / /wenn passen, erstso nach dem Tod Gerechtigkeit käme, /erst dann dieHerrschaft der erstanden“ genanntes ein so Osterlied“: „anderes könnte „Das den Herren der Welt ja auferstehn. Alleluja, /Alle, werden wir auferstehn.“ zu Staub, werden /dieBomben taub, reicht /unserZählen nicht bis zehn, werden /wir lichen gesellschaftlichenoder politischenauch Anspielungen:„Die Waffen verrotten möglich wird, kehrt in zahlreichen Variationen – mit wieder mehrweniger oder deut- hung neues, als anderes vor Leben dem Tod, das im Auferstehen bzw. im Aufstehen Netz, Hans-Jürgen Gott: Ehre sei auf derErde, in: Arbeitskreis kulturelle für Bildung, B62. Hildebrandt, Günter Willms, Wilhelm 1992, B216. Barth, Friedrich-Karl wird esgeben, in:Bücken,: Leben Eckart u.a.(Hg.), Mein Liederbuch 2,Düsseldorf Kurt Marti, 11 Unmerklich hat –imSinne desMainstreams –eine der„68er“-Theologie : Anderes Osterlied, in:Arbeitskreis kulturelle für Bildung, B25. : Alleluja, in:Arbeitskreis kulturelle für Bildung, B55. 15 : Kyrie, guter Gott, in:Arbeitskreis kulturelle für Bildung, B71. hatte denBegriff bewusst „Gebet“ aufgegriffen, obwohl die Initia- indenliturgischen Schritten von Information, Meditation, Dis- Okko Herlyn:„DaskönntedenHerrenderWelt jasopassen“ 14 Der Perspektivwechsel Der vollzieht sich hier nicht so stattgefunden. Auferstehung mutiert 13 12 Das Motiv Das derAuferste-

59 THEMA 60 THEMA unsere guten Werke vor Gott gerade nichts anderen Vergessen belehrt. offenbar auch die reformatorische Grundeinsicht,dass sich derverlorene imGleichnis Sohn auch gedacht …und wurde heilsam doch eines nutzlos.“ Selbstüberhöhung: „Wenn nicht wir selbst /werden zuBrot und Wein, /sind hier wir tritt nun guten daszuallen Taten bereite „Wir“, mitunter ingeradezu sakramentaler derist,mal derdemBlinden dasLicht gibt und dem,der Angst hat, dieHand reicht, chen Lieder der „68er“ wahrhaftig wieder wahrhaftigwieder gebrauchen. der„68er“ chen Lieder größtenteilspolitische dermittlerweile Prise inVergessenheit geratenen neuen geistli- „Lobpreisliedern“ durchaus andere dieeine oder wieder auch unkorrekte theologisch Gleichwohl könnten heute wir indemallgemeinen Schmusesound von genannten so erns und desTräumens abgelöst. Warum ist, so das steht auf einem anderen Notenblatt. Jahre werden die Motive des Aufbruchs„realen und der Utopien“ von denen des Fei- büchern und dergemeindlichen Gesangspraxis hinterlassen. Schon ab Mitte der70er geblieben. Nursode haben nachhaltige wenige Lieder dieser Spuren indenGesang- vonDas den„68ern“ inspirierte Neue ist Geistliche eine Lied kirchenmusikalische Epi- 4. Grundton der Im ein durchweg Ganzen den geistlichen der „68er“ dominiert bei Liedern Macht undOhnmacht 20 19 Vgl. 18 Vgl. 17 16 uns das besser machen,uns dasbesser /mein Gott, erbarme dich!“ „Mein Gott,zum Bessermachen: dasmuß anders werden, /dasgefällt uns nicht. /Hilf in manchem dievergleichsweise Lieder dieser bedeutungslose desMotivators Rolle adäquate Umsetzung mag bezweifelt füglich werden. erfährt, Für Gott selbst verbleibt Bonhoeffers vielzitierte „nicht-religiösevielzitierte Bonhoeffers Interpretation der Begriffe“biblischen lohnt.“ auf den langen und steinigen, / auf den unbequemen, / auf dem Weg, der die Mühe den Weg, derdieMühe lohnt? Weg /Den wollen gehen, wir geht /dieLiebe mit uns / blind ist, dasLicht? /Wer reicht demMenschen, derAngst hat, dieHand? /Wer geht in einer säkularen, vor Perspektive:ethischen allem „Wer bringt dem Menschen, der kündigung Taten der„großen Gottes“ finden sich kaum undnoch da eherwo doch, Lehmann, Christoph Lehmann, Willms, Wilhelm WegDers., Den wollen gehen, wir in:Arbeitskreis kulturelle für Bildung, B34. 16 Bonhoeffer,Dietrich Luther, Martin An die Stelle dernach Christi, denBerichten derEvangelien zunächst ein- 17 Alles kommt Alles nun auf unser Tun an, sonst sind hier„nutzlos“. wir hatte Das . Traditionelle Glaubensmotive Anbetung, wie Lob, gar oder Ver Dank : Brot und Wein, in:Arbeitskreis kulturelle für Bildung, B45. : Nun freut euch, Christen g’mein, lieben EG341. : Mein Gott, das muß anders werden, in:Arbeitskreis kulturelle für Bildung, B81. : Widerstand und Ergebung. Bethge, Eberhard (Hg.), München 1952,239. gelten. 20 18 Und Dietrich ob indemallen ethisieren- 19 eine -

des vorfindlichen Zustands gefasst machen. In den60er Jahren erfolgte einmal noch lich gemacht worden war, musste man sich auf eine lange währende Zeit Fortdauer westlicher Richtung durch denMauerbau am 13.August 1961 weitgehend unmög- Nachdem viele Jahre vergangen waren und insbesondere dasVerlassen derDDR in Weltkrieg nicht durch einen Friedensvertrag worden beendet war. dass diepolitischen Verhältnisse einen vorläufigenCharakter da der trugen, Zweite das ein naheliegendes, erfolgversprechendes Konzept. Man war auch ja der Meinung, einer Kirchenmitgliedschaft Bei zubewahren. Leben von inSachsen) warca. 90%(so Überwinterungsstrategie. Man versuchte das bestehende, traditionsgeprägte kirchliche massivenDer antikirchlichen Politik desStaates begegnete dieKirche mit einer Art der Kurs moderater, wieder noch vor dem17.Juni 1953. offene Grenze in Westberlin indie Bundesrepublik zufliehen. Zeit Nach einiger wurde Oberschüler, wurden gezwungen, ihre Heimat zuverlassen diedamals und über noch die Jungen Gemeinden imersten Halbjahr 1953.Viele junge Menschen, insbesondere konkrete Anstrengungen von staatlicher Seite, beispielsweise dieKampagne gegen sich inwenigen Jahren vollständig haben erledigt würde. gab Dazu esdann und wann tischen Kurs. Man war sicher, dass dasPhänomen derReligion und damit derKirchen schicken. ihrer Seit Gründung imJahre 1949 verfolgte dieDDR einen atheis- erklärten Sie mich einigeLassen Bemerkungen zur Situation der Kirchen in der DDR voran- nehmen. chenlied beschränken, sondern dieMusik imRaum derKirche insgesamt indenBlick derDDRsondern dieZeit überhaupt. Und ich werde mich auch nicht nur auf dasKir Zurück zumThema. Ich spreche nichtalso die nur Revolutionüber Friedliche 1989, sagen, ich wohne inderehemaligen DDR. in einer höchst realen DDR. Heute kann ich angesichts meines Wohnortes Dresden DDR“. Wir lebten bis zum3.Oktober 1990keineswegs ineiner ehemaligen, sondern benutze übrigens mit nicht Bedacht denheute üblichen Terminus von der„ehemaligen nicht nur das Ende derDDR in denBlick zu nehmen, sondern auch dieJahre zuvor. Ich Bitte, gerade auch diesdarzustellen. Und wurde zugleich mirdieMöglichkeit eröffnet, Als ich diesauf dieAnfrage hinmitgeteilt hatte, bekam ich Antwort als dieerneute gar oder inderGesellschaft gespielt hätte. daswährendLied, desheißen Herbstes 1989eine entscheidende inderKirche Rolle der DDR zuberichten, habe ich abgelehnt. Grund war Der einfach: Ich kenne kein Tagungdieser desKirchenlieds dieRolle über derFriedlichen bei Revolution 1989in Als ich vor mehreren Monaten nach meiner Bereitschaft wurde,Rahmen gefragt im C Akademie Loccum und Politik“vom8.bis11. April 2019inderEvangelischen Vortrag zurTagung „MachtundOhnmacht–Kirchenlied Kirchenlied inderDDR hrist f ried B rödel - 61 THEMA 62 THEMA geprägtensein.“ Gesellschaft Bischofs „Wir Schönherr: wollen nicht Kirche gegen, nicht so sondern neben, indieser Bischof zurückgeht. Caldi Grundlegend war die Äußerung des Berlin-Brandenburger stammt Zeit jener auch dieFormel „Kirche imSozialismus“, dieauf denungarischen lagenpapier allerdings die besondere Verbundenheit mit derEKDbetont wurde. Aus die Bildung desBundes evangelischer Kirchen in der DDR nach, Grund- indessen sich unabhängig von derEKDzuorganisieren. Sie kamen durch demschließlich Die evangelischen Kirchen in der DDR waren einem fortwährenden ausgesetzt, Druck derBürger“.Bedürfnisse der Staatspolitik dermateriellen und kulturellen war bessere Befriedigung die„ständig ten dieökonomischen Probleme indenVordergrund. Dieproklamierte Hauptaufgabe indenMittelpunkt deröffentlichengische Kampf“ Verlautbarungen gestellt,tra- doch Honecker änderte sich der Regierungskurs. Zwar wurde immer noch der „ideolo- ein stärkerer Realismus breit. Mit demMachtwechsel von Walter Ulbricht zuErich eine erhebliche Verschärfung desideologischen Kampfes, danach machte sich ab 1970 Macht undOhnmacht 1 der BRD verboten. Nur auf Wege diesem konnte man an aber Westgeld gelangen und Ökonomie dieIdeologie. über derSED Mitgliedern Den war derKontakt mit Bürgern größeren Städten derDDR angeboten wurden, war einSymptom desTriumphes der Die Einrichtung von Intershops, indenen westliche Waren harte für D-Mark inden Gast inBerlin. hängig machte. Auch der„Kapitalist“ war Beitz plötzlich Berthold eingern gesehener lage half, dieVerflechtung der begünstigteWirtschaft und die DDR ökonomisch ab- auf. Franz Josef Strauß verschaffte der DDR einenMilliardenkredit, derin akuter Not- Notgedrungen die DDR nahm Gespräche und Beziehungen mit dem„Klassenfeind“ denOstblocksetzte unter starken wirtschaftlichen Zwang,schließlich erlag. demer In den80erJahren wurde dieSituation immer prekärer. NATO-Doppelbeschluss Der liches Eigentum (d.h. inVEBs,„volkseigene überführt. Betriebe“) wurdenmal dienoch existierenden privaten Mittel-, später auch instaat- Kleinbetriebe erkennung. Insgesamt drei Vitalitätsspritzen erhielten dieWirtschaftLaufen: am Drei- geschaffen wurdesogar (und auf dem Weltmarkt war),absetzbar verdient hohe An- großem Einsatz am Laufen gehalten. Was mit unzulänglichen sehr Mitteln dennoch Verbliebene Maschinen aus den 20er Jahren gesetzt und mit wurden in Betrieb wieder Maschinenmodernen und Anlagen aus derDDR Richtung Osten gesetzt. inBewegung schlechter Qualität geliefert wurden. Zwei Demontagewellen hatten halbwegs alle Sowjetunion auf dieLieferung qualitativ guter Waren, dieimAustausch für Produkte „Werktätigen“, man wie damals sagte, verantwortlich. Stets bestand derAnspruch der Mangel gekennzeichnet. war Dafür nicht dieFaulheit etwa und Untüchtigkeit der werden.erwähnt Diewirtschaftliche Situation inder DDR war durchpermanenten In Zusammenhang diesem muss derVerkauf derDDR-Ideologie an dieÖkonomie ren lassen. eines autoritären sich Regimes nachträglich bekanntem –bei Ausgang –leicht kritisie- sollteBeurteilung man indes berücksichtigen, dass Entscheidungen unter dem Druck Höppner, Reinhard : Bleiben, wohin uns Gott gestellt hat, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2004,106. 1 DieFormel war damals und ist heute umstritten. der Bei

hätten. Die„Kulturschaffenden“ warenRealismus“ „sozialistischen zum verpflichtet. Menschen an die Kultur Veranstaltungen heranführte, die diese sonst nicht besucht deren Wahrnehmung Wettbewerb“ im„sozialistischen wertvolle Punkte brachte, viele kennen, dass dieBereitstellung von preiswerten sehr Konzert- und Theateranrechten, Kulturförderung war in der DDR ein zentrales Anliegen.darf man Dabei nicht ver Plakat-den, diejeden und Programmdruck einzeln genehmigen mussten. KonstellationDie geschilderte zugroßer führte Empfindlichkeit der Behörstaatlichen und erkonnte dieGrenze unbehelligt passieren. ein Werk des Komponisten Karl Marx aufschlug. Damit waren Fragen alle beantwortet, reisekontrolle diemitgebrachten kirchenmusikalischen Noten vorzeigen musste und DEUM“ bedeute. Legendär ist dieGeschichte eines Kirchenmusikers, derEin- derbei humanistische Bildung genossen hatten und fragen mussten, was dennwohl „TE tionäre mindestens Jahren indenfrüheren derDDR indenseltensten Fällen eine der daraus resultierenden Unsicherheit. DieUnkenntnis kam daher, dass dieFunk- gespeist: aus derideologischen Ablehnung aus Religiösen, alles Unkenntnis und aus tivitäten begegneten siegrundsätzlich mit Misstrauen. wurde Dieses aus drei Quellen eine möglichst vollständige Kontrolle des öffentlichenLebenskirchlichen Den an. Ak- und Kirche immusikalischen speziell DieDDR-Behörden zurück. Bereich strebten Kommen nach allgemeinen wir Exkurs diesem auf dieBeziehungen zwischen Staat Zustand derDDR-Wirtschaft erwies. solcher Informationen sichmangelhaft sehr 1990als tatsächlichen den orientiert über Noch heute ist mir unverständlich, dass das Innerdeutsche Ministerium der BRD trotz bekannt. Gerüchte von einer möglichen Föderation Staaten der beiden kamen auf. nicht zuhalten würde. sein war Das auch denstaatlichen Stellen derBundesrepublik Schon 1967zeichnete sich indes ab, dass dieDDR auf längere Sicht ökonomisch kirchen inD-Mark erfolgte. nachkamen) die Kirche, für dafür von weil die Bezahlung den westlichen Landes- personell unterbesetzt waren und diemit denReparaturen Gebäude verfallender nie bzw. denNeubau von Kirchen. arbeiteten Dabei die Baufirmen der DDR (die stets nen imkirchlichen Dienst. Sonder-Bauprogramm Das ermöglichte dieInstandsetzung Ausstattung mit Dienstwagen umkirchlich oder vermittelte private Hilfen Perso für - Die Kirche profitierte durchaus von Situation. dieser ging Dabei esnicht nur umdie Tag, aus Besucher denalle demWesten entrichten mussten. Geld“de „hartes so beschafft, auch durch den Zwangsumtausch zuletzt 25,-von pro aus eine namhafte Bonn Summe inD-Mark gezahlt worden war. Mit allen Mitteln wur erhielt dieGenehmigung zurÜbersiedelung indie Bundesrepublik, wenn pro Person Auch Menschenhandel war üblich. Politische Häftlingeoder ausreisewillige Personen Dienstautos kirchlicher Mitarbeitender indieDDR. umgangen werden konnte. GENEX,diediesvermittelte, dieFirma Über gelangten alle D-Mark, mit derdiesonst nach je Typ 8–10Jahre dauernde Wartezeit auf einAuto aus derDDR-Produktion Preisen zuniedrigen und ohne Wartezeit in Bezahlung bei Hierzugeschlossen! gehört auch dieLieferung von DDR-Produkten (z.B. von Autos) überhaupt nicht erhältlich waren. Diestaatstreuesten Bürger waren davon aus aber - in den Intershops Waren kaufen, die in der DDR nicht in entsprechender Qualität oder Christfried Brödel:KirchenliedinderDDR - - -

63 THEMA 64 THEMA durch denkongenialen Dichterpfarrer Jürgen Henkys („Holz auf Jesu Schulter“). Eine wesentliche war Quelle auch niederländischer dieÜbersetzung neuer Lieder männerwerks. ist inGott liebt diese Welt nicht abgedruckt, Heft wohl imvervielfältigten aber des Jung- auch:Oder Sicherheit annehme, dass sieauf staatlichen Einspruch waren. zurückzuführen istEs interessant, Änderungen dass gewisse dabei gemacht wurden, von denen ich mit stammten zumTeil aus demWesten, auch aber aus derDDR. demBereich dem Titel durch. TheophilRothenberg veröffentlichte nacheinander mindestenssechs Hefte mit geltendliche und stilistische Bedenken gemacht. derTrend Doch zuNeuem sich setzte Seiten der Kirchenbehörden und auch der Kirchenmusikerschaft wurden inhaltdabei - In den70erJahren beganndieAuseinandersetzung umneue geistliche Lieder. Von zu tragen. Aber niegab eseine vorher. Zensur In denKirchen herrschte Redefreiheit. Und gegebenenfalls waren auch Konsequenzen bis hinzurVerhaftungRedners des der Kirche. Was gesagt wurde, gelangte natürlich durch Spitzel zurStaatssicherheit. keit wahrgenommen und interpretiert. gab Dabei esnieeine Redezensurinnerhalb damals kein Problem. Jedes Wort hatte Gewicht und wurde mit großer Aufmerksam- lichen Äußerungen, heute derwir inweiten Teilenbegegnen, war derGesellschaft Richtung zudeuten, auf dieerohnehin wartet. DieGleichgültigkeit gegenüber kirch- erscheinen, eine Brisanz. überraschende Jeder wartet nur ja darauf, dieTexte inder dingungen einer Diktatur gewinnen Formulierungen, dieuns heute völlig „harmlos“ Kommen nun wir zudengesungenen Texten innerhalb derKirchen. Unter- denBe lukratives Geschäft. Ministerium erstattet inBonn werden konnten, Seiten beteiligte ein war beide diesfür Honorare dasEngagement für von Gesangssolisten aus derDDR Innerdeutschen beim Teil desverdienten musste Geldes 1:inDDR-Mark umgetauscht werden. die Da kamen nur aber zueinem geringen Prozentsatz denKünstlern zugute; dergrößte Bundesrepublik abzuschließen. waren Diese nicht billig; dieHonorare inD-Mark Gleichzeitig war man interessiert, sehr hochrangige für Künstler Engagements inder zuhalten: höchstens 40%dergespielten Titel durften westlicher Herkunft sein. anstaltungen war hinsichtlich dergespielten Titel einVerhältnis von 60:40strikt ein- Gegenüber dem Westen war man vorsichtig und empfindlich.zugleich In Tanzver- gewährleistet mussten. sein heißt,Das dass stets eine optimistische Grundhaltung und einpositiver Ausgang Macht undOhnmacht Gitter sehen wir uns an Die 3.Strophe: Und dennoch sind da Mauern Menschen, zwischen und nur durch Herr, deine Liebe Gras ist wie und Ufer 2. Strophe: Gib uns Freiheit jeden Tag →Gib uns Glauben jeden Tag! Gib uns Frieden jeden Tag Gott liebt diese Welt, die zeitgenössische Liedproduktionen enthielten. Diese

tung von Domkantor Dr. Erich Schmidt) und wurde von einer großen Hörerzahl (im Meißner Dom und nachfolgend inderMartin-Luther-Kirche Dresden unter Lei- Die Aufführung fand nachgroßen Schwierigkeiten im Vorfeldschließlich statt schen Gegentext. einander stehen bleiben. Man sprach dort vom „Teufel im Dom“ und meinte denGrass - Gegentext da licherseits man Bedenken, und trug Lobgesang gleichberechtigt neben- manda eine provokative Auseinandersetzung mit demAtheismus befürchtete. Kirch- TextDieser wurde von Seiten derstaatlichen Stellen inderDDR angefragt, kritisch Amen. […]

ein Ausschnitt: einen Gegentext gegenüberstellte, denGünter Grass eigens dafürverfasst hatte. Hier Hufschmidt sich nur dazu sah inderLage, wenn erdemaltkirchlichen Te Deum stellte. Dresdner Requiem (dasnach derZerstörung derKreuzkirche wurde) geschrieben dar versehrte Erhaltung desDoms würdigte und einen Kontrapunkt zuRudolf Mauersbergers Hufschmidt einen Kompositionsauftrag.sollte Er ein schreiben,Deum dasTe dieun- Zur 1000-Jahr-Feier desMeißner Doms erhielt Komponist derEssener Wolfgang Uraufführung desMeißnerTe DeumsMai1968 Probleme mitTexten […] Ehrt dieWeltEhrt weit und breit Dich, Vater inEwigkeit Herr Gott, danken wir dir Herr Gott, dich wir loben Soll ich dem Gott,Soll einsilbig Wort, Nema! ich lautwill gegen rühmen Wind. – gegen Wind, –NEMA!ich lautwill, rühmen NEMA! –gegen Wind, […] […] rühmen DICH, Zweifel, ich kettenrauchend will […] wem ich soll danken, wen? loben dem Gott auf Münzen, deminGips, dem Kreuzzugsgott, einst auf demKoppelschloß, Den parzellierten Unsinn? parzellierten Den Wen? Soll ich Wen? loben? das Chaos Soll Danken wem? Wen ich soll loben? Christfried Brödel:KirchenliedinderDDR -

65 THEMA 66 THEMA 2 Veranstaltungen unter demTitel „Gottesdienst einmal anders“ statt. Sie wendeten sich 1963–1973 fanden inKarl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) wieder monatlich einmal nungen derChristen inderDDR zusammen. Rolle. wurde Es inden Kirchen und außerhalb viel gesungen und fasste auch dieHoff- derReaktion auf EreignisBei dieses spielte „We dasLied overcome“ shall eine große Ermordung MartinLutherKings1968 Aufbrüche in derLeipziger Thomaskirche unterLeitung des AutorsBeitrags statt. dieses und das Konzert Vorabend fand „am der 9. Tage der Neuen Musik Leipzig“ im Bezirk DDR imJahre bekannt. wurde 1953jedem dieEröffnung So auf den18. Juni verlegt, 17. Juni nicht günstig erschien, Datum war dieses doch durch denVolksaufstand inder Relativ spät entdeckten diestaatlichen Stellen, dass eine Eröffnung der Musiktage am und gestattete auf einen aktuellen dieVerhältnisse Bezug inderDDR: stammte aus denProphetenbüchern Amos und Jona sowie demBußgebet desManasse katiert war. bestand sonst Es dieGefahr, dass dasKonzert abgesagt worden wäre. Er dann zurGenehmigung desProgrammdrucks eingereicht, dasKonzert als bereits pla- veranstaltung der wohnenden Komponisten eingefädelt worden. Konzert Das sollte die Eröffnungs- funkorchesters Leipzig war mit viel diplomatischem von Geschick Seiten desinLeipzig in der DDR durch die Meißner Kantorei mit Beteiligung offizieller des Großen Rund- WerkDas wurde denHannoveraner für Kirchentag Erstaufführung Seine geschrieben. maskirche Leipzig Tho- der in 1989 Juni 17. am Neubert Günter von Ninive“ „Laudate von Erstaufführung lag denZuhörern nicht vor. aufmerksam wahrgenommen. Gegentext Der von Grass wurde nicht gedruckt und Macht undOhnmacht Wasser und dieGerechtigkeit einstarker wie Strom.“ Frucht derGerechtigkeit inWermut. dasRecht aber soll Es offenbart werdenwie mag eure Versammlungen nicht wandelt ihr Denn riechen. das Recht und inGalle heiligen Namen entheiligen. Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und denWeghindern geht Es derElenden. und Vater Sohn zurDirne, daß siemeinen die Armen um ein Paar Schuhe. Sie treten den Kopf der Armen in den Kot und verachten und Rechte seine nicht halten. Sie verkaufen dieGerechten und umGeld der dasZepter hält, aus demLusthause ausrotten, daß darum, siedesHerrn Gesetz spricht„So Ich derHerr: dieRiegel zerbrechen will und dieEinwohner samt dem, Amos Kap. 1und 2. Text des Oratoriums Laudate Ninive von Günter Neubert, zusammengestellt aus dem biblischen Buch 9. Tage der Neuen Musik im Bezirk Leipzig Text Der sein. wurde erst 2

damaligen Geschehen eng verbunden war, kann so man nur Kanon diesen nennen. Kanons „Dona nobis pacem“. Wenn man eine musikalische Form sucht, diemit dem Die Friedensgebete endeten an mit vielen Orten demgemeinsamen Gesang des Plan niezurückgegriffen werden. gesprochenes Wort mehr allgemein verständlich. musste Glücklicherweise auf diesen wand zumEingreifen liefern Orgelspiel würde. Bei in maximaler Lautstärke ist kein der durch staatsfeindliche Äußerungen denanwesenden Sicherheitskräften einen Vor spielen sollte, imAblauf falls desFriedensgebets einProvokateur etwa auftreten würde, dem Nikolaikantor war verabredet worden, dass erauf sofort Zeichen mit vollem Werk In Leipzig kam derOrgel eine wichtige insicherheitspolitischer Rolle Hinsicht zu. Mit vielen anderen große Orten Bedeutung. der Leipziger Nikolaikirche, später aber auch dieinderDresdner Kreuzkirche und an In derFriedlichen derZeit Revolution gewannen diewöchentlichen Friedensgebete lands nicht weitergeführt worden. Überlegungensind diese inden90erJahren nach derWiedervereinigung Deutsch- derSchöpfung“,Bewahrung derviele Denkanstöße und Orientierungen lieferte. Leider wirkungsvoll und wichtig war der„Konziliare Prozess Gerechtigkeit, für Frieden und quenzen ableiteten. DieKirche bot solchen „Friedensseminaren“ Dachan. ihr Sehr den Frieden aus christlicher Sicht einsetzten und daraus durchaus politische Konse- Mehr und mehr entstanden inden70erund 80erJahren Gruppen, diesich aktiv für Friedensbewegung rollierten Welt, indersiesonst lebten. nicht geförderte Orgelmusik bildeten sieeine Alternative für zuderstaatlich kont- chen eines großen Zustroms. Größe und Weite desKirchenraums und dieoffiziell In den60erund 70erJahren erfreuten sich Orgelkonzerte Jugendli besonders bei - Arbeitszweig beendet. entfesselten auch innerkirchlich viele Diskussionen. Nach zehn Jahren wurde dieser waren gut sehr besucht, wurden von Seiten desStaates argwöhnisch beobachtet und und liturgischer Ablauf wurden von einem Team sorgfältig geplant. Gottesdienste Diese an dieMusik jugendliche Besucher; wurde von dabei einer Band ausgeführt. Predigten Christfried Brödel:KirchenliedinderDDR in -

67 THEMA 68 THEMA – – – Liederhefte Werner, Matthias: Volle Kirchen in der DDR, Experiment Das „Gottesdienst einmal WolfgangHufschmidt, Brödel, Christfried Literatur Macht undOhnmacht

Liederheft des Liederheft Jungmännerwerks der Ev.-Luth.Landeskirche Sachsens, fürNur TheophilRothenberg, der euch, Liedheft GottEv.-Luth. erwartet Landeskirche Sachsens, Evangelische innerkirchlichen Dienstgebrauch! 1974–1988. stalt Berlin Verlagsanstalt 1973. Berlin anders“ inKarl-Marx-Stadt (1963–1973),LIT-Verlag Dr. W. Hopf 2013. Berlin Laaber-Verlag 1998,517–529. Laaber mann, Matthias (Hg.), DieDresdner Kirchenmusik im19.und 20.Jahrhundert, Komposition desMeißner Bestehen zum1000-jährigen Doms (1968),in:Herr 19. und 20.Jahrhundert, Laaber-Verlag 1998,501–516. Laaber Kantorei 1961,in:Herrmann, Matthias (Hg.), DieDresdner Kirchenmusik im : Zeitgenössische Kirchenmusik imUmkreis Dresdens: DieMeißner : Das MEISSNER: Das TEDEUM, Eine deutsch-deutsche Dialog- (Hg.), Gott liebt Welt diese I bis VI,Evangelische Verlagsan- -

ein sanftes Ziehen in den Beinen spürte.Ziehenein sanftes inden ich,als kam dasvom heftigen Nachdenken, mirdengroßenhoch über Tröster Himmel, der unerhörten und desStaats, Rose nachdenkendund sah, dieBelange über in einem von Grün niegesehnem Ausmaß Ich lag inmeinem Kleinzschachwitz Garten bei Die Verlängerung –eine meinerzufällig ersten Lyriklektüren –ThomasRosenlöcher: den und nicht verständlich klar einmal waren faszinierend. eben –aber lasich Da etwa, Plötzlich öffneten sich die Wortefür Dinge, dienicht eindeutig, nichttatsachengebun - in derDDR auch: eingesargt marxistisch-leninistischer in die Begriffe Parteiideologie. immer zeigten, dieWelt wie nun war einmal –und dashießdamals einSchulkind für ist. Ich war hinabgetaucht durch diespiegelglatte der all Oberfläche Worte, diemir nur der Schule. Ich hatte eine vorsichtige Ahnung bekommen, dass Sprache einGeheimnis und Waldspaziergänge und dasFlaumhaar auf demNacken meiner Banknachbarin in Ich begann auch Heftchenkarierte kleine bald mit über füllen zu Versen Mondnächte Lyrikabteilungsenden und zog Büchlein Büchlein für heraus. war Das in Dresden 1983. bibliothek imKellergeschoß eines Schwimmbades stand ich vor dererstaunlich umfas- Abrafaxen einfremder wie Archipel auf. Zwischen denmuffigen einer Regalen Stadt - gem recht unvermittelt zwischen Indianern Kapitän und Seeräubern, Nemo und den junger Mensch inderDDR. Zeitgenössische Lyrik tauchte mich Vierzehnjähri für als - rungen Lyriker als heraus. Ich erinnere mich an meine ersten Lyrik-Erfahrungen als Ich mit Ihnen will gern gemeinsam nachdenken darüber –aus meiner eigenen- Erfah esgern heißt?wie laut wird? Nach politischen Implikation Nach und Gebeten? inLieder Kante“, „klarer den? Wie ist esdann auch, wenn indenKirchen derRuf nach politischer Verortung nur inderBetrachtung sich selbst? bei Wie ist esheute, wenn Künstler politisch wer derFehlerLiegt schon imZusammenkommen von Kunst und Engagement? Ist Kunst und vonbezogen Irrtümern geprägt war. mußte man feststellen, desKampfes dass derOrt eine bessere Welt für vor selbst - allem verheerend, und nach einem Blutbad mit Millionen Toten imNamen desSozialismus führen und handeln zukönnen an Menschen an wie Werkstücken. Spruch Der war Künstlerals unter Parole diese stellt, behauptet mehr dieanderen als zuwissen und Feindbilder voraus und einhöheres Wissen denGang über derGeschichte. Wer sich Ich bin aufgewachsen mit derParole: „Kunst ist Waffe“. Dieser klareSpruchsetzte zu geben, vermag ich. dürfen, oder sollen ist hochoder umstritten. Nicht mehr einige als Gedankenanstöße zepte inderKunst, inderDichtung und damit auch einen Platz imLied finden können Engagierte Lyrik? Politische Lyrik? DieFrage, und wie ob überhaupt politische Kon- C Engagierte Lyrik? hristi a n

L ehnert - 69 THEMA 70 THEMA heimlich kursierten in bestimmten Kneipen: ich, dann schon auf Dünnpapier, Schreibmaschinendurchschlägen, inSammlung, die selte, erkenne Rätseln und diese ich heute auch politische als Irritation. Auch daslas durch eine Ideologie. Sie zielten auf etwasUnbestimmtes, Verunsicherndes. Ich rät - Humor. waren Das Verse, ich wie sieaus derSchule kannte. Sie waren nicht vorgeprägt wanderte dieKonventionen eines ostdeutschen Literaturbetriebs inhintersinnigem War daseinpolitisches Gedicht? Selbstverständlich. Aber wohin zielte unter es?Es mir sprach:und bei Man muß sein. bescheiden den Finger an dieNasenspitze legte in Anbetracht desgroßen Trösters Himmel der unerhörten und dasStaats, Rose wo ich nachdachte dieBelange über von Grün in jenem niegesehnem Ausmaß, ichda inmeinem Kleinzschachwitz, Garten bei geschahs, dass sievon stillestanden, selber absprengte, knapp vorm Brandenburger Tor, eh manDoch meine weitgereisten Füße die Straßen füllten sich mit Dynamit. erhoben sich, Herr derLage zuwerden, kein Wort kommt indieZeitung, Helikopter Kurs auf dieHauptstadt. tagte, DieRegierung kaum, dass sieaufgetaucht war aus denFluten, Doppelröhre meinesDenn Leibes nahm, wo sieverschwand. Staat Der war inGefahr. noch unerforschtein eines Sees Tiefen, mit ernstem Blick quer durch denStaub derÄcker hinterher,doch einsam, diePolizei auf mit, einer Zehe tandaradei, und frohen Mutes einVögelein fuhr ins Läuten Mittagsdörfer stiller ein, sanft in schlief rauschteWäldern, durch Kornfelder durchfurchend, aus derStadt hinausgeglitten, längstDoch war es,dieSparte frohe Zukunft und übten sich daran imBalancieren. bestaunten langgestreckte dieses Wunder die Reichsbahn tobte, Menschen stauten sich, Wo siehinkamen, stockte derVerkehr, an Häusern aufwärts, abwärts, Dächer. über Zellteilung Orasende eh sielosfuhrn. vor demsieeinen Augenblick verharrten, Jedoch dieFüßen lagen schon am Zaun, Ich wachse noch, sprach ich und freute mich. Macht undOhnmacht - den erbraucht, so ein fremder, einfeind, haut, inzeitformen zerrissen, körper, eine anfällige in schmutzigen einweicher scheiben, gegenüber,ihm nachts, istda andere jener imfenster, vokabular nichts, besagt denn überhaupt, dasgesicherte selbstgespräch undin denRissen Lücken, indenVieldeutigkeiten neuen Sinn zufinden: gegen dieGrammatik und gegen dieSyntax zusprechen, Sprache um zuzertrümmern, benannte: „Überhaupt dasgesicherte Vokabular nichts“. besagt Ich versuchte damals allererste Satz meiner ersten Lyrik-Publikation, Energie damals dermeine poetische das inmeinen ersten Suhrkamp Band bei Eingang fand. ist mich für der Bezeichnend Ich angefangen selbst habe so zuschreiben. Ich Gedicht mein frühestes lesen, will waserklärten, derSinn derGeschichte sei. der Ton, daswar’s, Verweigerung diese gegen Sprache diestrukturierte derer, dieuns der Unfaßlichkeit, imTon …Ohne, dass erkennbar politisch etwasgesagt würde. Aber santesten Lyriker mich lange für über War Zeit. daspolitisch? Völlig. Im Habitus, in aus derPrenzlauer Szene, einem Berg scharfen Intellektuellen und einem derinteres- Was war das?Verse Papenfuß-Gorek, von Bert einem kompromisslosen Revoluzzer folgt einwarum darum demwarum in derengeren, ärgeren zunft nachdemje –wann mit ohne oder klöten & zwar eine männliche die zeit ist einkrähe verbirgst lockungen entlocktest verborgenes du warst dielunte ich saß indertinte widerborstiges ferkel sondern bestimmter bachen von deren demoder rittergut ich bin nicht der&von nabel istjeder einadel, sicheln aber Christian Lehnert:EngagierteLyrik? 71 THEMA 72 THEMA Gegebenheiten, indievertrauten und somit unzulänglichen Horizonte was dessen, halte widersprechen demsuchenden Wesen des Gedichtes. Sie zwingen in eszurück Zwecke und Inanspruchnahmen, vor- gewisse allzu nachgefasste oder Aussagege- es gut geht, ins Offene unbekannter Erfahrungen. und dasGedicht und dieFremde auf darin,führen ihn eigene seine Fremde, und, wenn findet er Sinn, und er stauntschöpferischedas über Vermögen am der Grund Sprache, unmittelbar werden, wirklich eigene es seine sei Stimme, als spricht, dieda und darin Impuls diesen führt fort,Ein Leser wenn dieBilder und dieKlänge derWörter inihm und blieb läßt aber Das dasGedicht inihm. immer seltsam unabgeschlossen bleiben. tastete hinein indieFremde derWirklichkeit, Fremde und diese wurde Sprache inihm aufein Sog Gedicht etwashin.Das fand zusich selbst ineinem suchenden Sprechen, vor, was esnoch nicht gab und was merkwürdig bleibt unruhig Versgestalt, inseiner Metapher,die poetische Versmaße und Kompositionsprinzipien sprechen etwasher einewie Zellhaut, und Daseinsform seine ist DieBildneuheit, bleibend eine Bewegung. von sich selbst noch immer einem als Fragment: öffnet Es sichallseits, ist durchlässig Gedicht,Das wenn es dann nach vielen Schreibgängen abgelegt fertig als wird, zeugt Anfang solcher als kenntlich werden: Fehlen das Dämmern einer als kommenden Gestalt. selbst erscheinen kann. Im Anfang ist das Vermissen, und nur im Rückblick kann dieser anhebendeDas Gedicht birgt etwas,was esnoch nicht gibt, und was nur durch und inihm weil ein Gedicht ist dabei zuentstehen, dann ist eine merkwürdige und Leere Offenheit da. Was macht einpolitisches Gedicht aus? Wenn ich mich heute an denSchreibtisch setze, gebrauchtdas ihn tatsächliches gesicht, schreien lauscht, als sucht, den schlägt, der sich nicht mehr kennt, der fragender, der sich nicht versteht, als sprechender, als leugnet fallenläßt, schweigt,oder dann und ausspricht belegt der ihn vormals, aus einem anderen mund, vergangenenjene schreie, gepreßt hinterwie gepolsterten türen sehnsucht indenworten, ganz aussagen sich, über dieauthentische diewirklichen für Macht undOhnmacht -

zur Kardinaltugend. Wo Grundwert greift, dieser werdenAlgorithmen effektiv. Such- it“-Vergütungenpersönlichsten betreffen die Dinge.Selbstsorge Die gerät immer öfter Glaube und Freundschaft werden vonSog derEigennützigkeit einem erfaßt.„Like- Sinn) zudenken. ist Das fast einkategorischer Imperativ geworden: Kunst und Liebe, zu verhalten, esdemeigenen wie Vorteil dient ökonomisch –also (ineinem engen den Einzelnen:heißtDas für besteht Es ein starker gesellschaftlicherso sich Druck, Anziehung derZweckrationalität von ökonomischen globalisierten Beziehungen. immer häufigerwirft nochSehnsuchtgar Gefühl, die das religiöse oderdie erotische Erinnerungen, auch dasMeer desUnbewußten an. Informationskapitalismus Der unter- nigte Ressourcenverbrauch greift nun, nach der NaturBeständen und den kultureller Kreativen“„freien was nächstes erals und kalkuliert, denkt und ersehnt. beschleu- Der das Innere desMenschen Sie erobert. macht zumKunden ihn und Käufer und zum vernetztLebensbereiche und medial kontrolliert, gestaltet dieWelt um,indem sienun eingebettetdie wachsen will, Technik, indigitale ineinNervengeflecht,alledas eine Spekulationsmasse imInformationskapitalismus. Eine ökonomische Geistkraft, zeitgenössischerminimaler Variation: Diestückweisen Subjekte sind millionenfach konstatierteSo esdasManifest der Kommunistischen Partei von 1848,und dasheißt in müssen stückweis „sich verkaufen, sind eine Ware andere jeder wie Handelsartikel“. inderFabrik„Arbeitermassen, zusammengedrängt, werden soldatisch organisiert“, sie in Flugzeugen und Büros dem Proletariat ähneln wieder im Marxschen Sinn. Sie sind zeit: DieFreien vor ihren Bildschirmen und Smartphons, inKneipen und Galerien, durcherung unsere Wünsche. geschieht Es nichts Neues unter derSonne derNeu- nem Entschluß ergreifen, gegriffen werden. ineiner Wir leben subtilen Fremdsteu- Leicht nur den Kopf gewendet, wird sichtbar, von wir wie dem, was aus wir all eige- uns bestimmen. ist. Keine Glaubensgemeinschaft, keine Herkunft, keineKultur über können letztlich nomie noch nieinderMenschheitsgeschichte wie –keiner ist festgelegt auf den,derer hätten unerschöpfliche Möglichkeiten, und könnten denken und handeln in einer Auto- zuvorje Ausdruck unserer eigenen Entfaltung aus demheraus, waswollen. wir Wir eine ungeheure kreative Freiheit gewonnen mehr sei als und des Lebens die Gestalt istEs heute so, hätten als zeitgenössische wir Menschen inderwestlichen Gesellschaft Ich daskurz will ausführen: Tiefendimension ist. sere Kirchensprache zunehmend prägt, nicht eigentlich einVerlust an einer politischen mich, ob der Zug zu Eindeutigkeit und Klarheit Kante“, und zur „klaren der auch un- genau dieOffenheitGedichts des seine eigentliche politische Irritation ist. frageIch Falle.diese Zum Gedicht gehört diesuchende Sprache. Heute frage ich mich, ob nicht Die Texte von derpolitischen Erich Fried oder Lyrik etwa der68ertappen häufig in Dichtung, diezugenau weiß, was siesagenstürzt will, allzuoft ab,wird pädagogisch. den geistlichen Dichtung desBarock. tarer Impulses Bestandteil eines poetischen inderrhetorisch sind etwa wie empfinden- wenn siesich sekundär zumdichterischen Ausdruck verhalten und nicht einelemen- Weltanschauliche Unterwürfigkeiten der haben nie gutnoch Poesie getan –zumindest Widerspruch insich „politische“ wie –dennGedichte sind Gedichte und nichts sonst. man schon weiß und sagen Gedichte“ gesehen kann. sind „religiöse So ein ebenso Christian Lehnert:EngagierteLyrik?

73 THEMA 74 THEMA wird unsere Welt anders. Ist das dasWesen engagierter Dichtung heute? beschreibungen fehlen, sieverbieten dahin ja von sich. Doch dort her, imGehendahin, denkbar ist: Sie macht sich auf denWeg. nicht denwir An einen Ort, und wissen, Weg- sienach wie beschreiben, denAbgründen des20.Jahrhunderts vielleicht noch allein Genauer mystisch indieser Bildlichkeit als grundierten läßt sich eine Utopie kaum pilgern, läßt wiedergeben: sich „Wanderer, so esgibt keinen Weg. mußt Du gehen.“ zweifür Violinen). Wortspiel Das umdas spanische Verb caminar vertonte Satz diesen ineiner letzten seiner Kompositionen (Hay caminar, que soñando ters inToledo diespanischen Worte: Caminante, hay no camino, hay caminar. que hen imGehen,Machen. Komponist Der Luigi Nono lasan einer Mauer- eines Klos liche dassind Wege –all derKunst. Utopien, Sie haben,radikale als siegesche kein Ziel; - Weit hinaus aus dem Denkbaren, weit zu den Anfängen, zurück hinein tief ins Unmög- Gegenwart, damit auch dieHoffnung. Lücke zwischen hier und Wesen dort. Das der Utopie ist die Krise, die Unsicherheit der Negiert wirdan sind. demwir derOrt, Utopie ist immer woanders. Sie eine bezeichnet umgibt, etwas,daserst möge. sein U–topia, dieNegation ist derKern Wortes. dieses wünschenswerten Zustands“. Im Wunsch leuchtet anderes auf was das, als uns faktisch die Bloch definierte Utopie „ausmalendefolgendermaßen:das einesVorwegnehmen sind gewissermaßen immer zumTeil utopisch: Sie weisen auf eine andere Welt. Ernst scheinen inderMöglichkeitsform, lassen, ganz anders sieist. als Dichtung und Musik Vorstellungmie und jede als von uns selbst. Sie können dieWelt imKonjunktiv auf- Sie können uns Strukturen tiefer führen alle als und Automatismen, Autono alle als - istDa anderseits die Kunst, Dichtung und Musik Sie etwa. verunsichern, sie verstören. ein, dieweiter politischen ist alle Ideen, als Utopie. eine radikale „Gott“ angedeutet uns ist, selbst oder zufolgen. Mit „Gott“ bricht aber eine Hoffnung liche Wahl: uns demUngestalten, Fremden demradikal zuöffnen,das mit dem Wort seren Grenzen her, von Tod und Bloß Geburt. stehen und da, habenwir die eine wirk- Andere“„ganz die nach uns einklagt, im Sinne fragt existentieller Nacktheit, von un- gehenDoch subversive uminEuropa: Gespenster wieder ist Da dieReligion, diedas Spiegelbilder. news“ „fake dem als Einsam zu verwerfen. kreist dann der Mensch eigenen um seine in automatisierten Systemen werden, verwaltet ist eseinfach, dieExistenz von Stören- mehr mit denen kommunizieren müssen, dieanders denken wir. als Wo Informationen Sie vermögen esinzwischen auch immer geschickter, uns abzukapseln, dass nicht wir maschinen kennen uns und was erträumen wissen, wir immer besser und erstreben. Macht undOhnmacht , wandern, auch Er

2 1 geliefert fühlen: Bitte umnächtlichen Schutz auf ganz konkrete Umstände, denen sich Menschen aus - Abendlieder aus 17.Jahrhundert dem16.und frühen inderRegel inder verweisen Nächtliches Ausgeliefertsein wissenschaftlichen Zugänge, Sinngewebe eröffnetdamit, andersals dieinder Hymnologie dominierenden literatur gegangen werden. Einsolch praxistheoretischer Wechselwirkungendiesen im Folgenden soll anhand einiger Probebohrungen nach- fortentwickelt, mit deren Gebrauch Menschen sich zurNacht bereiten. Frage Der nach Wahrnehmung ist freilich Wandlungen unterworfen, sich wie auch so dieSachkultur ßeralltägliches –zumindest zeitweise –aufeinander hindurchsichtig werden. Diese materieller Kultur kontextualisiert werden. zeigtsich, Alltägliches wie Dabei und Au- lischer Gesangbücher und können vor demHintergrund zeitgenössischer und Quellen der mit Ritualen umgeben, dievon vielfältigen Praktiken derLeibsorge bis hinzurPflege Zwischenzeit eineals heikle erlebt werden kann. Von jeher wird deshalb der Schlaf Heraufkunft Bewusstseins,Schlafes des weswegen das allmählich entgleitet die Nacht hunderts auch und einAkt als bearbeitet wird. derSelbstübergabe beschrieben Mit der lichen Übergang dar, der in protestantischer Andachtsliteratur des 17. und 18. Jahr vollzogeneDie allabendlich Passage vom Wachen zum Schlafen stellt einen empfind- Einleitung: EmpfindlichePassagen K des evangelischenGesangbuchs Spuren einersichwandelndenPraktikindenLieddichtungen Bereitung zurNacht a laß mich nicht inSünden verderben.“ sterben noch an und Seel Leib wende Feu’r und Wassernot, Pestilenz und schnellen Tod, laß mich Krankheit nicht aufwecken, treibe weg desKrieges Schall, mich vor bewahre „Ach Schrecken, schütze mich vor Überfall, th EG 447,5;475,7;Krankheit: EG475,7; Krieg: EG475,7. EG475,Str.Vgl. 7sowie desWeiteren und Räuber: EG447,4;467,4;475,7;Diebe Feuer: 26–41. dieBeiträge von etwa Vgl. Görisch, ReinhardZeitschrift, zumThemaJg. 2010,16–25, indieser Abendlied praxis pietatis praxis a rin a K r a use reichen. Spuren davon finden sichLieddichtungen in den evange- 1 auch einen Blick auf Körper und Artefakte. Blick auf das nächtlich gesponnene 2 - -

75 IMPULSE Macht und Ohnmacht

Tag und Nacht sind zwei gesonderte Erfahrungsräume, die ihren je eigenen Gesetzen folgen, wobei die Nacht, obgleich ebenso wie der Tag von Gott geschaffen, als eine den Menschen überwältigende Größe in Erscheinung tritt. Sie „bricht stark herein“3, „dringt allenthalben zu“4 und ist überhaupt „des Tages Feind“5. En détail schildert Roger Ekirch die vielfältigen Vorkehrungen, die deshalb allabendlich bei Einbruch der Nacht getroffen werden.6 Mit dem Untergehen der Sonne werden die Stadttore geschlossen, mancherorts werden auch die Straßen mit Eisenketten abgeriegelt. Der Verkehr kommt zum Erliegen und die Einwohner sind gehalten, sich in ihre Häuser zurückzuziehen. In ländlichen Räumen wird auch das Vieh mit unter das schützende IMPULSE Dach geholt. Nachtwächter patrouillieren durch die zumeist unbeleuchteten Gassen. In größeren Städten können sie sich an Markierungsleuchten orientieren, die im zur Straße gewandten Fenster im Erdgeschoss der Wohnhäuser aufgestellt sind.7 Als Repräsentanten der Obrigkeit, die den nächtlichen öffentlichen Raum zum Schutz gegen umhergehende Dunkelmänner zu besetzen sucht, sorgen sie dafür, dass für das Gros der Bevölkerung Tag und Nacht geschiedene Sphären bleiben, während am Hof – nicht zuletzt auch aus Gründen sozialer Distinktion – die Nacht zum Tage gemacht wird.8 Ausschließlich Standespersonen und Angehörigen besonderer Berufsgruppen wie Ärzten, Hebammen und Geistlichen ist gestattet, des Nachts im Freien umher zu gehen, wobei ihnen zur Pflicht gemacht wird, sich ein Licht vorantragen zu lassen, um erkennbar zu bleiben. Das Gros der Bevölkerung hat sich nach Einbruch der Dunkel- heit im Hause aufzuhalten, allerdings nicht ohne zuvor Tür und Fenster fest verriegelt zu haben. Bisweilen werden die Schlüssel über Nacht sogar von der Obrigkeit in Ver- wahrung genommen. Die Schließrituale setzen sich im Haus fort. Wertgegenstände kommen in Verwahrmöbel, die in unmittelbarer Nähe der Bettstellen stehen und all- mählich auch mit Schlössern ausgestattet sind. Sitzen die Mitglieder der Hausgemeinschaft nach der Sperrstunde noch beieinander, sind sie auf künstliches Licht angewiesen. In den Wintermonaten, da sich der Tag auf bis zu fünfeinhalb Stunden verkürzt, legt man sich bald zu Bett – nicht zuletzt, um Brennstoff und Leuchtmittel zu sparen. Den Weg zur Schlafstelle findet man im Dunkeln, schließlich ist das Licht auch eine potentielle Gefahrenquelle. Regelmäßig beschwören Abendlieder die Schrecken der Feuersnot.9 Kaum weniger bedrohlich ist die Rauchentwicklung, die von Talglichtern und Kerzen ausgeht. Wer bei verschlosse- ner Kammer versäumt, rechtzeitig das Licht zu löschen, erstickt am Karbonmonoxid und gleitet unbemerkt vom Leben in den Tod.

3 Vgl. EG 467,1. 4 Vgl. ebd. 5 Vgl. Benjamin Schmolcks Abendlied am Donnerstag in Scirver, Christian (Hg.): Herrn Benjamin Schmolckens Gott-geheiligte Morgen- und Abend-Andachten, Frankfurt / Leipzig 1752, 78. 6 Vgl. Ekirch, Roger: In der Stunde der Nacht. Eine Geschichte der Dunkelheit, Bergisch Gladbach 2006, 85–141. 7 Vgl. Schivelbusch, Wolfgang: Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert, München / Wien 1983, 84. 8 Vgl. Emich, Birgit: Zwischen Disziplinierung und Distinktion: der Schlaf in der Frühen Neuzeit, in: WerktstattGeschichte 34 (2003), 53–75. 9 Vgl. exemplarisch EG 447,4; EG 467,4; EG 475, 7.

76 Kammer. Eheleute mit denKleinsten inderbeheizbaren Stube derdaran oder angegliederten lichen Regionen Mittel- und Oberdeutschlands nächtigen die dem Haus vorstehenden Dach zurVerfügung, dient derVorratshaltung, zugleich dieses was Mäuse herbeilockt, im PferdestallGeschirrkammer oder Unterschlupf. Steht einzweites unter Geschoss demKuhstallüber auf oder einer in der Schlafbank Küche; Knechte finden inder Mägde nächtigen auf Strohschütten, Ausziehbetten Bettkarrenauf oder demBoden bevorzugt inderNähezugewiesen, Orte, jener an denen sieihre Arbeiten verrichten. und größere Kinder bekommen einen Platz in den Wirtschaftsbereichen des Hauses sind freistehende Aufsatzbetten Himmel- oder und Baldachinbetten üblich. Gesinde hundert eher im norddeutschen Raum. In den Stuben Süd- und Mitteldeutschlands 13 12 11 10 unterbrochen, was zunächst anSchlafstelle derBeschaffenheit der liegt. der Schwelle zum19.Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit darstellen. ist Schlaf Der der nächtlichen Wachphasen breite gilt, diefür Schichten noch an derBevölkerung zu entfalten gilt, –zueiner bevorzugten Stätte was insbesondere desGebets, während Angesichts wird– dieseine solcher zweite Bedrängnis dasBett Beobachtung, diees Nächtliche Versenkung selbst dieSchläfer wacht. über zum Modell dient, werden deshalb Engel aufgeboten, sofern nicht derHüter Israels Wie in Luthers Abendsegen, der vielen Abendliedern des 16. und 17. Jahrhunderts auf demderTeufel Gefolge ausgelieferte und sein bewusstlos umdieihm ringen. Seele kaum, dass angesichts verwundert Es dieNacht solcher Gefahr zumKampfplatz wird, Schrecken zuversetzen vermag: lichen plastisch Szenerie vor Augen stellt, in Angst selbst die in Gott Seele und ruhende auf dasKonto mächtigen jenes Gegenspielers, der, Paul wie Gerhard ineiner nächt- „Inneren“ der Person kommend charakterisieren würden. gehen Letztlich sie allesamt halb drohen, ob essich oder umAnfechtungen handelt, Heutigen diewir aus als dem unerheblich, ob die Kräfte, denen sich die Menschen ausgeliefert wähnen, von außer besonders prekäre desKontrollverlusts Zeit essich erlebt. (noch) als erweist Dabei Schlaf wohl,Schlaf laß dirnicht grauen, du sollst dieSonne schauen.““ sprachst:Du „Mein Kind, nun liege, trotz dem,derdich betrüge; hat Satan mein begehret; Gott hat’s aber gewehret. „Heut, Schatten diedunklen als mich ganz umgeben hatten, Gläntzer, Volker: Ländliches Wohnen vor derIndustrialisierung, Münster 1980. Kulturgeschichte 1997. und desBettes desSchlafes, Schleswig für schrift Volkskunde 77(1981),1–16;Henning, Nina /Mehl, Heinrich (Hg.): Bettgeschichte(n). Zur Zum Folgenden inAuswahl vgl. Korff,Gottfried : Einige Bemerkungen zumWandel- in:Zeit desBettes, Schoße, Flügel / Dein mich beschlosse“. Begegnung unterstreicht: „Ja, Vater, ersuchte, als /Dass ermich fressen möchte, /War ich indeinem EG446,2.3.ModerneVgl. Ausgaben leidereine tilgen weitere Strophe, nächtlichen dieser die Drastik EG477,7undVgl. EG478,2.3. 13 Alkoven, Wandbetten Butzen oder 19. finden sichfrühen im18.und Jahr 10 DieNacht wird, unsere so erste Beobachtung, eine als Katharina Krause:BereitungzurNacht 11 12 In denländ- - -

77 IMPULSE Macht und Ohnmacht

die es sich zusammen mit Flöhen, Wanzen und Läusen im Bettstroh gemütlich ma- chen. Abgestandener Dunst aus Küche und Stube, Rauchschwaden und nicht zuletzt die Zugluft unter Dach bringen um den Schlaf, ebenso wie die aus den Lehmböden und Wänden aufsteigende Kälte. Auch das Rasseln und Schnauben des Viehs in Ställen und Stube stört den Schlummer. Vor allem aber ist da der Bettgenosse, dessen wärmender Körper zum Ungemach wird, wo er sich, von Träumen umfangen auf der einschläf- rigen Bettstelle unruhig hin- und herwirft.14 Die Vielfalt potentieller Ruhestörer gibt Anlass, regelmäßig wach zu liegen. Unterbro- chen ist die Nacht im vorindustriellen Europa aber auch deshalb, weil nach einem von IMPULSE heutigen Schlafgepflogenheiten unterschiedenen Muster geschlafen wird, das heute noch in Kulturen anzutreffen ist, deren Rhythmen natürlichen Zeitgebern folgen.15 Nach Einbruch der Dunkelheit fällt der Organismus zunächst in einen erschöpften Tiefschlaf von etwa vier Stunden, worauf eine Wachphase folgt, die zwischen einer und vier Stunden währt. Beschlossen wird die Nacht in schläfrigem Dahindämmern bis zum Morgengrauen. Das Geheimnis, worauf sich solch mehrphasiger Schlaf gründet, ist biologischer Natur. Wird es dunkel, produziert das Gehirn Melatonin. Dieses Hormon lässt den Orga- nismus ermüden. Sieht sich das Auge hingegen auch nach Sonnenuntergang künst- lichem Licht ausgesetzt, bleibt die Ausschüttung des Wachhormon Serotonin stabil und hemmt den natürlichen Ermüdungsprozess.16 Dieses Wechselspiel gerät aus dem Takt mit der Entdeckung von Leuchtgas und Elektrizität, die sich in urbanen Räumen schnell als saubere Alternative zu Kerzen durchsetzen.17 Im Schein der Bogenlampe beginnen sich die Lebensrhythmen nun auch der arbeitenden Bevölkerung zu wan- deln. Unabhängig von der Jahreszeit lässt sich der Tag weit in die Nacht hinein verlän- gern mit der Konsequenz, dass sich die Gepflogenheiten der Regeneration ändern. Ein kompakter, sechs- bis achtstündiger Schlaf schickt sich an, den Intervallschlaf abzulösen. Die Zahl produktiver Stunden, die dadurch gewonnen ist, wird mit dem Verlust an Gelegenheiten erkauft, die der Nacht zu Zeiten vor der Industrialisierung ihr ganz eigenes Gepräge verleihen. Während draußen die Welt in Dunkelheit gehüllt ist, erwacht das

14 Auf Grund der Enge der Kammern und Winkel sind Betten oft mit mehreren Personen belegt. Mit den beschriebenen Realitäten des Schlafens haben sich breite Schichten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein abzufinden, vgl. exemplarisch einmal für den nord- und einmal für den süddeutschen Raum: Dubbi, Franz-Josef: Himmelbett – Schlafbank – Strohschütte. Ländliche Schlafkultur im Westfälischen Freilichtmuseum Detmold, Detmold 1991 und Heidrich, Hermann: Das Bett. Notizen zur Geschichte des Schlafens (Kleine Schriften des Fränkischen Freilichtmuseums 9), Bad Windsheim 1988. In den Städten herrschen auf Grund des Bevölkerungswachstums noch drangvollere Verhältnisse, vgl. etwa zum Schlafgängerwesen https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/klassenschlaf?nav_id=5096 (abgerufen am 13.7.2018). 15 Vgl. Ekirch: In der Stunde der Nacht, 358–370 (s. Anm. 6). 16 Zu den biochemischen Prozessen vgl. Zulley, Jürgen / Knab, Barbara: Unsere Innere Uhr. Natürliche Rhythmen nutzen und der Non-Stop-Belastung entgehen, Freiburg im Breisgau²2000, 98–110. 17 Erste öffentliche Straßenlaternen, die noch mit Kerzen betrieben werden, werden 1662 in Paris aufge- stellt, 1680 folgt Berlin. Eine Revolution in Sachen Beleuchtung stellt das Leuchtgas dar, das ab 1800 zur Erhellung englischer Fabrikhallen eingesetzt wird. Den Durchbruch der mit Gas betriebenen Bogenla- terne im öffentlichen Raum datiert Schivelbusch, Lichtblicke, 38 (s. Anm. 7) auf 1850. Mit der Entdec- kung des Wolframdrahts kurz vor dem ersten Weltkrieg ist die nächtliche Lichtverschmutzung besiegelt.

78 lichem Wachen“ ist und ihren überschrieben Weg ins Gesangbuch gefunden hat: 19 18 nahe, persönlicher Andacht wahrgenommen wurde, legtentsprechende Andachtsliteratur hinausDass darüber auch dieWachphase inderTiefe derNacht Gelegenheit als zu Gesangbücher Anregung, sich betend und singend zurNacht zubereiten. darauf Wer schließen. nicht sich diese leisten kann, findet inden Anhängen der genanntendie so Abend- und Morgensegen, diesich denBuchmarkt überschwemmen, der Nachtdern Niederlegen – beim und Aufstehen – zu suchen sind. Jedenfalls lassen verbringen, wenngleich diebevorzugten Gelegenheiten dafürsicherlich an- denRän leicht auch deshalb nahe, dienächtlichen Mußestunden inMeditation zu und Gebet den nächsten Tag einzustimmen. Zeitgenössische Erbauungsschriftsteller legenviel - buch Geträumtes zu führen, über nachzusinnen, überhaupt wie sich auf in Gedanken Einsamkeit nutzen, imDazwischen dieZeit lieben, umStudien Tage zutreiben oder - sich vom erquickt Schlaf schöne Stunden zu zweit zu machen, wohingegen jene, die die dem Feuer Kinder. stillen oder Vor eröffnet aber allem die Wachphase die Möglichkeit, Haus Manch zuneuem Leben. einer isst und andere trinkt, sehennach dem Vieh und Beim tiefsten Stillesein zu mirimDunkeln.“ tiefsten Stillesein Beim Nun kehr ich ein,Herr, rede du allein deinSternlein,ich sei hierund dort zufunkeln. leuchteEs dirderHimmelslichter Zier; dich mitund ewiglich lasse mirmachen. Ich dich, liebe ich geb’ zumOpfer mich du schläfst, mein Wächter, ich wachen. nie, dirwill Weg, Phantasie! Mein Herr und Gott ist hie; Preis, gebracht; und Lob Ehr oJesu, Amen. dem Tag und Nacht wird von derHimmelswacht mitder bete miran dengroßen Namen, „Nun schläfet man; und wer nicht schlafen kann, Vgl. EG 480. Vgl. Nackenin dieerseinen hineinlegen bequem kann, erdenBlick so himmelwärts zurichten gedenkt. leicht nach hinten geschwungen und an verfügt der Oberkante auf Höhe des Kopfes eine Aussparung, Freunddarstellen besser sein, lässt. zu vertieft Die Rückenlehne des Stuhls, auf demder Mann sitzt, ist leicht weil die Idee sich so der„Nachtgedancken“, andächtig mit Jesus ins Gespräch mit wie als einem dargestellt lesend im Bett werden können, derKupferstecher platziert auf aber ihn einem Stuhl –viel- das m.E.einAlkoven darstellt, weil sich einVorhangGelehrte daranhätteDer befindet. durchaus auch Leuchter steht zwischen den Gesprächspartnern, der andere auf einem großen, kastenförmigen Möbel, gegebenes Kupfer zeigteinen mit Gelehrten Jesus zweier Schein Kerzen beim am Tische sitzen. Einer der freudiger Seelen-Ruhe dieCreutz- wider und Anfechtungs-Furcht, Leipzig 1710.EindemBuch bei- rede zufolge Heilige[n] seine Nacht-Gedanken Zu munterer Wachsamkeit denSünden-Schlaf wider und Zwecke diesem Eben widmet der anonyme, lutherischer als Geistlicher erkennbare aber Autor derVor 18 darunter auch eine Dichtung Gerhard Tersteegens, nächt diemit bey „Andacht - 19 Katharina Krause:BereitungzurNacht -

79 IMPULSE Macht und Ohnmacht

Zeitgleich, während Tersteegens Geistliches Blumen-Gärtlein mehrere Auflagen durch- läuft20 ändert sich die Rahmenbauweise der repräsentativen Bettstelle, die zumeist zum Aussteuerbeibringen der Frau gehört. Wo nicht wie im niederdeutschen Raum in Schrank-, Wand- oder Kastenbetten geschlafen wird, kommen Aufsatz-, Baldachin- und Himmelbetten mit einem hohen Kopfteil in Mode. Diese bieten Gelegenheit, sich bequem anzulehnen – ein Effekt, der vielleicht auch durch den sogenannte Pfülben oder Haipfel21 verstärkt wird. Vorläufer des modernen Keilkissens, ermöglicht dieses Artefakt eine aufrechte und zugleich entspannte Lesehaltung, was den Schluss nahe- legt, dass religiöse Literatur nächtens nicht nur neben, sondern auch im Bett gelesen IMPULSE wurde. In den erhöhten Kopfteilen finden sich überdies nicht selten Fächer integriert, in denen sich kleinere wertvolle Besitztümer „auf die hohe Kante legen“ lassen.22 Betten mit solchen so genannten Ladenzonen sind wie gemacht dafür, auch den nicht weniger wertvollen Buchbesitz unterzubringen, sofern er nicht im Bibeleck – dem protestan- tischen Äquivalent zum Herrgottswinkel – aufgestellt ist. Wo diese Überlegungen zur Beschäftigung mit Gebet- und Gesangbuch im Bett nicht überzeugen, vermag vielleicht der Umstand, dass daraus auf dem Bett zitiert wurde, die These vom Bett als einer Stätte der Andacht mit weiterer Plausibilität umgeben. Kunstvoll mit religiösen Symbolen und Sprüchen ausgezierte Schlafmöbel gibt es zuhauf im alpenländischen Raum, sie finden sich aber auch in evangelischen Land- strichen. Vermehrt werden solche Zeugnisse, die zugleich von Frömmigkeit und Wohlstand künden, ab der Mitte des 19. Jahrhunderts greifbar. Freilich haben auch diese ihre Vorläufer. Der früheste mir bekannte Beleg ist ein Bett aus Bielefeld mit der Aufschrift: „ICHLIEGEVNDSHLAFE / VNDERWACHEDENDER / HERRHALT- MICH. / ANNAELISABEIN / DEITERRIHN1692“.23 Volkstümliches religiöses Spruchgut, aber auch Bibelverse und ganze Liedstrophen aus Gesang- und Andachts- buch können dem Schlafmöbel aufgeschrieben werden. So findet sich etwa auf einem Bett aus dem Ravensberger Land, das auf das Jahr 1830 datiert, eine Referenz auf Paul Gerhardts Lied „Wache auf, mein Hertz und singe den [sic] Schöpfer“.24 Ob der Sitz im

20 Die früheste greifbare Auflage ist Evang, Martin: Nun schläfet man, in: Ders. / Seibst, Ilsabe (Hg.). Lieder- kunde zum Evangelischen Gesangbuch, Heft 21, Göttingen 2015, 80 zufolge die vierte Auflage von 1747. 21 Zur Ausstattung der Bettstellen in unterschiedlichen Schichten vgl. Kuprian, Sibylle: Buntkariert und blütenweiß. Vom Umgang mit Bettwäsche (Westfälische Volkskunde in Bildern 8), Münster 1999, 20–23 und Frenz, Sibylle: „Bettgewand“ und „Leinwand“, in: Hohenloher Freilandmuseum (Hg.): Alte Textilien im Bauernhaus, Schwäbisch Hall 1984, 52–59. 22 Beispiele für Himmel- und Aufsatzbetten mit Ladenzonen finden sich bei Dröge, Kurt: Das ländliche Bett. Zur Geschichte des Schlafmöbels in Westfalen (Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmuseum für Volkskunde 18), Detmold 1999, 63–118. 23 Das Bett mit der Inventarnummer 000.72420 befindet sich im Besitz der volkskundlichen Kommission für Westfalen. Ein Bild ist im digitalen Archiv der Kommission verfügbar unter Eingabe der Inventar- nummer in der Suchfunktion auf folgender Website: http://www.lwl.org/medienarchiv_web/index (abgerufen am 13.7.2018). 24 Vgl. Dröge: Das ländliche Bett, 142 (s. Anm. 22), Weitere Betten mit einer eindeutigen Referenz auf ein Gesangbuchlied sind mir im unterfränkischen Raum und in Hohenlohe begegnet. Am Kopfteil eines Himmelbettes aus dem Jahr 1804, das sich in der Sammlung des Fränkischen Freilandmuseums – vgl. Heidrich: Bett, 7 (s. Anm. 14) – befindet, findet sich die siebte Strophe aus Johann Flittners sogenanntem Seelenheillied „Ach, was soll ich Sünder machen“. In Privatbesitz befindet sich ein Bett aus der Werkstatt der Familie Rößler aus Untermünkheim, an dessen Kopfteil sich ein Zitat aus Christian Fürchtegott Gel-

80 28 27 26 25 ren verbreiteten Lesarten Spruch „Gottes Güt und (Vatter-)Treu Morgen ist alle neu“ Überlieferungen volkstümlichen Spruchguts deminmehre bei etwa zutun- haben. So wahrscheinlicher ist, aber dass esschlicht wir mit demVariantenreichtum mündlicher solche Texte in Vorlagenbüchern zur Auszier von Aussteuermöbeln finden. Noch formen aus Bibel- und Gesangbuchvers. ist Es durchaus vorstellbar, dass dieLandtischler biblischerReservoir Poesie speist, finden sichBettstellen auf immerwieder auch Misch- Weil sich diegeistliche Morgen- und Abendlieddichtung weite über Strecken aus dem die Nacht ab derzweiten Strophe. zitierte nächtlicheoben Begegnung mit demTeufel ist Gegenstand derRückschau auf der nächtlichen Zwischenphase, muss dahingestellt ist vorstellbar; bleiben. Beides die solcher SelbstermunterungLeben morgendlichen beim zusuchen in ist Erwachen oder Segens am Dienstage, dasinM.Georg Tietzens Geistliche Wasserquelle abgedruckt ist. handelt essich eines umdieersten „Reim-Gebetleins“ Zeilen am Ende desAbend- In geglätteter Form wird esetwasspäter auch inGesangbücher aufgenommen. wieder anwieder dieArbeit geh“ beschrieben. zur Ruh indeinem Namen nieder, /daß hilf ich desmorgens gesund aufsteh, und / ausBett demthüringischen Schnett am Fußteil mit „Ich oJesu, leg, meine Glieder, / können Texte aus Andachtsbüchern Bettsprüche als anverwandelt werden. ist ein So werde Abend diesen neu“ aus Kaspar Neumanns „Herr es ist von meinem Leben“. Auch Ergänzung des„Vatters“ große „Deine an Vattertreu dieLiedzeile erinnert wiederum „JesuBegnadigungslied Güte hat kein Ende, Morgen sieist alle neu“ verarbeiten. Die ist und neu“ ganz frisch auch als Juliane Ämilie von Schwarzburg-Rudolstadt inihrem eine Referenz an einen Vers aus 3,23,densowohl Kgl Johannes Morgen Zwick in„All Überlegung, stellt eine Möglichkeit religiösen Copings dar, diesich inbestimmten, Schrecken derNacht Meditation zubewältigen. lautet so imBett, meine daher dritte einen Vorgeschmack auf den Himmel eine und darin Möglichkeit,über verfügt den imSinnGedanken tragend, derersten Tiefschlafphase hingibt, erlebt als denSchlaf zu hierkans nicht anders imHimmel /sein ist dieRuh. Anno 1842“. Wer sich, diesen Spruch am KopfteilBetteslautet: desselben „In und müh Arbeit bring ichLeben mein morgens aufsteh, frisch zuderArbeit /und geh.“ wieder zumBeispiel indasAllgemeine und GesangbuchSo Holstein Schleswig für von 1828,71:„Hilf dass ich Magdeburg 1775,59. 5. Hertzl. inWetters-Noth. Gebete 6.Morgen- Abend- Buß- Communion- Danck- und andere Lieder, Gedancken. 3.Bußfertige Beicht- und Communion-Andachten. 4.Kräftigealler Seufzer Nothleidenden. Trost-Sprüchen, mitSegen, Reim-Gebetlein, Vor- und Nach-Seufzern. 2.Heilige Kirchen- und Fest- Tietzens M. Vgl.: Ge. Geistliche Wasserquelle woraus zu schöpfen 1. Tägliche Morgen- und Abend- burghausen. Katalog imMuseum derBestände ‚Otto Ludwig‘ Eisfeld, –Schloß Eisfeld 1992,24. Eine Abbildung findetbei Gauss, sich Hans volkstümliche: Bemalte Möbel aus Schnett. Landkreis Hild- dass derSpruch ineinem Vorlagenbuch wurde. Tischler für geführt Franken. EinHöhepunkt deutscher Bauernmalerei, Stuttgart 1959.Dielokale Streuung lässt vermuten, stein aus demJahr 1787imAnhang von Hillenbrand, Karl Bauernmöbel: Bemalte aus württembergisch Gebrauch – Folklorisierung, Würzburg 2005, 86–95, sowie auf Schränken, das vgl. Exemplar aus- Barten Truhen aus demthüringischen Schnett, Wagner, vgl. Matthias : Möbel aus Schnett. Produktion – Schreinerfamilie Rößler aus demJahr hinaus 1845,darüber zwischen 1860und 1916wiederholt auf SpruchDer auf etwa begegnet einem imRößler-Museum Untermünkheim aufgestellten der Bett klück woll /bauen“. Hinweis (Diesen verdanke ich Karl-Heinz Wüstner, Ilshofen.) sogenanntemlerts ‚Glaubenslebenslied‘„Auf findet: Gott / und nicht / ichauf meinenwill meinn / rad/ 26 Bei diesem etwasholpernden diesem Abendgebet Bei Katharina Krause:BereitungzurNacht 28 Der Der 25 – 27

81 IMPULSE Macht und Ohnmacht

Pietismus und Erweckungsbewegung nahestehenden Kreisen bis ins frühe 20. Jahr- hundert hinein erhalten hat. Dies gilt es im Folgenden zu illustrieren.

Nächtliche Verzauberung

Ein Blick ins Gesangbuch zeigt, dass es höchst unterschiedliche Spielarten der Kontem- plation gibt, mit deren Hilfe sich das Gefühl, der Nacht ausgeliefert zu sein, in den Griff bekommen lässt. Allein, so manche Spur darauf ist mittlerweile verwischt worden, weil IMPULSE nicht selten jene Liedstrophen, die darüber Aufschluss zu geben vermögen, aus den Gesangbüchern getilgt wurden. Zieht man diese aber gleichfalls in Betracht, zeigt sich, dass eine Möglichkeit der Bewältigung in der spontanen Meditation ganz alltäglicher – genauer: allabendlicher – Praktiken und der dabei in Gebrauch kommenden Artefakte besteht, die im Zuge dessen auf eine transzendente Wirklichkeit hin durchsichtig wer- den, weshalb es sich nahelegt, diesen Vorgang mit der Chiffre ‚Verzauberung der Nacht‘ zu belegen. Genauer handelt es sich um die aus anderen Zusammenhängen bekannte Geistbewegung einer ‚Transgression aufs Himmlische‘,29 wie sie etwa mit Johann Arndts Büchern zum wahren Christentum popularisiert wurde.30 Das augenfälligste Beispiel unter den Abendliedern ist Paul Gerhardts „Nun ruhen alle Wälder“. Wie schon bei Arndt, der darin dem biblischen Vorbild folgt, wird zunächst die Sonne auf Christus hin spiritualisiert,31 welcher, nebenbei bemerkt, zu Epiphanias auch im Morgenstern vergegenwärtigt werden kann.32 Während sich solche Analogie noch im Bereich des Erwartbaren bewegt, setzt Gerhardt in den Folgestrophen zu weitaus spektakulären Transgressionen an: Kleider und Schuh’ sind ihm das Bild der Sterblichkeit, mit dem Überziehen des Nachtgewands wird zugleich auch Christus angezogen. Haupt, Füß’ und Hände werden (möglicherweise vermittelt über die kontemplative Auseinander- setzung mit den Wundmalen Christi33) zu Sinnbildern der Sünde, welche in Strophe 6, da sich der Beter zu Bette legt, gleichsam zu Grabe getragen werden. Wer sich so zur Nacht bereitet, übt sich allabendlich in der Kunst seligen Sterbens: Der Schlaf wird zu einer Vorwegnahme des Todes,34 der hinfort nicht mehr gefürchtet werden muss, weil Christus durch sein Blut Erlösung erworben hat. Das morgendliche Aufstehen wird so zum Sinnbild der Auferstehung.35

29 Der Begriff geht nach Narr, Dieter: Zur Stellung des Pietismus in der Volkskultur Württembergs, in: Ders.: Studien zur Spätaufklärung im deutschen Südwesten, Stuttgart 1979, 40–62, hier 54f. auf den schwäbischen Pfarrer Andreas Hartmann zurück (1677–1729). 30 Insbesondere das Buch der Natur enthält entsprechende Anleitung. 31 Diesem alten christlichen Symbol liegt eine typologische Deutung von Mal 3,20 zu Grunde. 32 Vgl. EG 442,3 sowie im Kontext von Epiphanias EG 67,1; 69,1; 70,1; 544,1. 33 Vgl. Beutel, Albrecht: Lutherischer Lebenstrost. Einsichten in Paul Gerhardts Abendlied ‚Nun ruhen alle Wälder‘, in: ZThK 105 (2008), 217–241, hier 232. 34 Ähnlich EG 476,6 sowie etwa die im Regionalteil des württembergischen EG getilgte Strophe aus Benja- min Schmolcks „Hirte deiner Schafe“: „Wie, wenn ich mein Bette, heut zum Grabe hätte? Wie bald roth, bald todt! Doch hast du beschlossen, dass mein Ziel verflossen, kommt die Todes Noth, so will ich nicht wider dich, lieg ich nur in Jesu Wunden, sterb ich alle Stunden.“ 35 Vgl. EG 445,4.

82 39 38 37 36 steht derVorsatz, sich mit Jesus zubegeben: zuBette cken indenHimmel –nämlich solcher Verzückung dieSeele zuführen. Am Beginn gleichsam prospektiv ins Grab zuversenken, siekann auch aber das Gegenteil- bezwe nehmen. DieVerzauberung undAusstattung desBettes seiner mag darauf zielen, sich Schlafenlegens nichtSchlaf zwangsläufig den dieim führt, Gedanken zu - vorweg Tod Zunächst gilt einmal es festzuhalten, Spiritualisierung dass beschriebene dieoben des in Texten und Sachkultur. und fragen stattdessensich beruhen nach Anhaltspunkten solcher Geistbeschäftigung sich sicherlich Ansätze, Tilgungen diediese zuerklären vermögen. Wir sieauf lassen Gesangbüchern verschwunden. In derSexualgeschichte des19. Jahrhunderts finden Spuren,alle diezueiner solch mystischen Vereinigung führen, sind aus modernen ins Himmlische ergibt, ist eine Vorstellung, dieman vielleicht auch Translation als Eine andere Form nächtlicher Verzauberung, diesich aus derTransgression aufs Mit JesusimBett schützen, auch begegnet schon inErasmus „Christe, Albers du bist derhelle Tag“. habe, weshalberworben erauch einInteresse daran haben muss, esinderNacht zu kostbares Christi Gedanke, dassDer der Beter Eigentum das er mitsei, Blut seinem Schließrituale: Ganz neue Qualität gewinnen vor solchem Hintergrund diegenannten abendlichen und das ihr integrierteund dasihr Geheimfach ist durchaus vorstellbar, Gedankengang dass im selben auch die Ladenzone am Bett Himmlische kann: bezeichnen DieVorstellung, mit Jesus zuschlafen. Nahezu denn wer mit Jesu Schlafen geht, mit Freuden aufersteht.“ wieder Ich fürchte keine Not, kein’ Hölle, Welt noch Tod; wirst,Du mein Hüter, auf mich und sehn raten meiner Seelen. ich geh’n, zuBette dirwill „Mit ich mich befehlen. dirwill schrecken.“ Decke zumit Schutz und Ruh, wird /so uns kein Grauen wecken, /noch derSatan du und Schloß Sei Riegel; /unter deine Flügel /nimmdeinKüchlein ein./ „Komm, verschließ dieKammer Jammer /und lass allen /ferne von uns/ sein. sene Lied 1051,1 im Zwickauschen Lied sene Gesangbuch, zu singen auf die Melodie von „Gott des Himmels und dieinEG479fehlendeVgl. dritte Strophe. auch Ähnlich dasohne Angabe desLieddichters ausgewie- (s. Anm. 22). Eine Abbildung einer Ladenzone mit einem Geheimfach findetbei Dröge sich ländliche: Das 59 Bett, Satan Motives. haben Ruh.“ dieses sich EG472,6,475,6und ebenfalls 481,3bedienen Engel, daß er komm / und dein Eigentum; uns bewach, uns / gib Wächter die lieben zu, / daß vorm wir dein ererbtes EG469,5f.:Vgl. doch wir „Sind Gut, durch /erworben deinheilges Blut; dem […].Befiehl Württemberg Nr. 670). die 4.StropheVgl. von Schmolck, Benjamin: Hirte deiner Schafe (Regionalteil der Ausgabe des EG für 36 38 eine tiefere geistliche Bedeutung gewinnen. Katharina Krause:BereitungzurNacht 39 37 Es Es

83 IMPULSE Macht und Ohnmacht

Dass Jesus es nicht dabei belässt, die müde Seele zu Bette zu bringen, entnimmt die Leserin zu ihrer eigenen Überraschung den sich daran anschließenden Strophen:

„So will ich denn nun schlafen ein, Jesu in deinen Armen;40 dein Aufsicht soll die Decke seyn, mein Bette dein Erbarmen, mein Kissen deine Brust, mein Traum die süße Lust, die aus dem Wort des Lebens fleußt und dein Geist in mein Herz eingeußt.

So oft die Nacht mein’ Ader schlägt, soll dich mein Geist umfangen; IMPULSE So vielmal sich mein Herz bewegt, soll dies sein mein Verlangen, daß ich mit lautem Schall mög rufen überall: O Jesu, Jesu, du bist mein und ich auch bin und bleibe dein.“

Im Traum, der eine Fortsetzung solch kontemplativer Versenkung darstellt,41 schmiegt sich die Seele gar in Gottes Arme:

„Wenn mein’ Augen schon sich schließen und ermüdet schlafen ein, soll mein Herz dennoch beflissen und auf dich gerichtet sein. Meiner Seelen mit Begier träume stets, o Gott von dir, daß ich innig an dir hange und auch schlafend dich umfange.“42

Kopfkissen und Decke, Schlafrock und Schlaftrunk geben Anlass zu noch waghalsi- geren Transgressionen, in deren Folge die himmlischen Freuden geradezu körperlich spürbar werden:

„Zerbrich in dieser Nacht die Macht der Finsternisse, dass ich bey deiner Wacht die Augen fröhlich schlisse. Dein Dorn-Krantz stelle mir ein Rosen-Küssen für.

Wirff mir den Purpur zu den du mit Blut beflecket, dass er bey meiner Ruh mich als ein Schlaf-Rock decket, vor dieser schönen Tracht entfärbt sich selbst die Nacht.

der Erden“: „Gute Nacht, ihr matten Glieder! Schlafet, und seyd Jesu voll, leget euch mit Jesu nieder, Jesus wird euch decken wohl; ist gleich hin der Sonnenschein, wird doch Jesus bey euch seyn“. 40 Der Liedvers findet sich auch auf einer Bettstelle von 1820 aus dem Ravensberger Land, vgl. Dröge: Das ländliche Bett, 142 (s. Anm. 22). 41 Vgl. exemplarisch Schmolck: Gott-geheiligte Andachten, 29: „Ich schlaffe gantz vergnüget, denn wo mein Herze lieget, da ist der Engel-Heer. Mich stört kein Welt-Getümmel, es träumt mir nur vom Him- mel, Ach! Wer doch nur bald droben wär.“ 42 Getilgte Strophe aus „Werde munter, mein Gemüte“ (EG 475).

84 47 46 Vgl. 45 Vgl. 44 43 Vgl. nes Zollikofer. Supplement imWerk desrationalistisch beeinflussten Erbauungsschriftstellers Johan- Sie erreichen belehrt. Besseren ihre Klientel noch im19.Jahrhundert, nicht als zuletzt erscheinung, wird angesichts derVerbreitung derSchmolckschen Abendlieder eines aufzulösen. WerEkstasen indes meint, solcher Blut- und Wundenkult eine Ausnahme- sei Ich indirund du inmir–dieGrenze und zwischen Ich Du beginnt sich ob solcher Herrn –ernimmt Wohnung, inihr siefindet seinen in Ruhe Wunden: Solchermaßen eng umschlungen kommt esendlich zurVereinigung mit ihrem derSeele beginnt: „Ich lege mich inJesu Wunden, wenn ich mich legzumeiner Ruh.“ eines Versesletzte Zeile aus demAbendlied am Sonntag handelt, dasmit demVorsatz wacht“.[sic] Bette Wer Starck seinen fleißig hat,gelesen dassweiß, es sich umdabei die dem Zubettgehen anempfiehlt:„Fürchte nicht diefinstere Nacht / wenn Jesus imdein deren ausführlichste Variante inKenntnis denBetrachter darüber setzt: zur Geltung. Gleich dreimal findet sichSchaufront an der des Lektion,Möbels eine deutlicher bringt einSpruch auf aus Betten demRavensberger Vorhaben diesen Land etwa ist ein Schlafmöbel aus istetwa einSchlafmöbel demEmmental zubesichtigen, und Mittelland diesvom Berner bis nach Westfalen. Im Freilichtmuseum Ballenberg weil mich nach dirnur dürst Odu mein Lebens-First.“ und deine Lippen hierzurguten Nacht mich küssen, einen Schlaf-TrunckLass miraus deinen Wunden fliessen, Ich weiß, dass wo du JESUS bist, mein gar Bette derHimmel ist.“ ich indeinerSchlaf Wunden Höhlen, ist so mirgar nichts hinderlich. Wohlan! du treuer Freund ich habe dich, ich derSeelen, halte dich, Leib, der schläfft so das wacht, Hertze wird so esbey finstrer Tag Nacht. […] kann ichSo süsse Ruhe pflegen, und nichts verstöret meine Lust, Kannst deinHaupt Du sonst nirgend legen, ach legeshierauf meine Brust. Komm, mirein;Mein kehre bey Hertz willig deine Kammer soll seyn. O dass ich dich gefunden hätte, freute so sich und mein Seel, Leib „Ich suche dich inmeinem Bette, holdseligster Jmmanuel; 19. Jahrhunderts. wurde. Verbreitung hinaus findetdarüber es in Gesangbüchernverschiedenen Liederschätzen und des 1840, 32abgedruckt, einem derKlassiker protestantischer Andachtsliteratur, dererstmals 1728aufgelegt ist inJohann Lied Das Friedrich Starcks Täglichem Handbuch Tagen, inguten inbösen wie Stuttgart an:jahr „Ulrich Mosimann 1847“. Inv. Nr. 350144.00.Unmittelbar an denSpruch sich dieAngabe schließt von und Herstellungs Besitzer - Starcks Morgen- und Abendgebete sammt auf Tage Liedern alle dieWoche, Reutlingen 1846. auf Zeiten […]Nebst alle einem Anhang geistreicher Gesänge, Benjamin Schmolcken’s und Joh. Friedr. Vgl. Schmolck Vgl. singen. Schmolck Zollikofer, Johannes 45 : Gott-geheiligte Andachten, 60:Abendlied am Freitag auf Nacht „Die ist vor zu derThür“ : Gott-geheiligte Andachten, 47f., zusingen auf „Wer nur Gott denlieben lässt walten“. Darüber hinaus Darüber tragen solcher Bettstellen die Zeichen Frömmigkeit, : Neueröffneter himmlischer Weihrauch-Schatzoder vollständiges Gebet-Buch Katharina Krause:BereitungzurNacht 43 46 das seinen Besitzern vor Besitzern dasseinen 44 47 Noch Noch

85 IMPULSE Macht und Ohnmacht

„Das ist ein schönes Schlafgemach wo auf der Leib sich ruhen mach von den / Berufsgeschäften und eh ihr euch zur Ruhe begebt so furt die / Sehle Jesu zu das sie in seinen heiligen Munden ruhet.“48

Dass es sich beim vorletzten Wort um einen charmanten Schreibfehler handelt – der Anfangsbuchstabe muss um 180 Grad gedreht werden –, erschließt sich im Vergleich mit weiteren Spruchvarianten auf Ravensberger Betten.49 Wer sich diesen Ratschlag zu Herzen nimmt und sich regelmäßig in der Transgression aufs Himmlische übt, sieht sich allmählich in einen allumfassenden Verweisungs- IMPULSE zusammenhang versetzt. Ein jegliches, noch so Alltägliches, birgt einen geheimnisvollen Hintersinn – die gesamte Welt der Erscheinungen erweist sich als von göttlicher Prä- senz durchwoben. Solchermaßen in ein verzaubertes Universum eingebettet, weiß sich die kontemplierende Seele auch im Schlaf geborgen. Alle Dinge, und seien sie noch so gering, werden ihr zu Abschattungen göttlicher Realitäten, die auf den Schöpfer selbst zurückverweisen. Der Nacht wird so der Schrecken genommen, kommt sie doch wie alle anderen Erscheinungen auch aus Gott selbst; gleichsam als Emanation ad extra. Kritikern, die ein solches Lebensgefühl harmoniesüchtiger Schwärmerei zeihen, lässt sich entgegengehalten, dass die Sinnbezüge, die sich durchs Meditieren erschließen, nicht erfunden, sondern entdeckt werden. Sie wohnen den Dingen inne und warten nur darauf, entschlüsselt zu werden. Solchermaßen gegen den Verdacht des Konstruk- tivismus erhaben, erlaubt die Transgression aufs Himmlische, sich in einer Welt zu bergen, die so manchem anderen Zeitgenossen undurchsichtig und kontingent gewor- den ist. Praktiken nächtlicher Verzauberung eröffnen zudem die Möglichkeit einer prolep- tischen Teilhabe an geistlichen Realitäten im Hier und Jetzt. Gottes Stimme, so die Grundhaltung, lässt sich aus allen Dingen vernehmen, sofern der Mensch nur über einen entsprechenden Resonanzboden verfügt. Dieser ist freilich eine Gabe Gottes, die es zu sensibilisieren gilt, wozu es steter Übung bedarf.50 „Tu Seel, was dir gebühret,“ mahnt Christian Scriver und ermuntert so die ermattete Seele, Augen, Herz und Sinn beständig auf Jesus zu richten.51 Manch ein Bett erleichtert einem diese Aufgabe – etwa wenn auf den Betthimmel ein Sternensymbol aufgetragen ist, an dem sich der schlaf-

48 Das Bett mit der zitierten Aufschrift findet sich in den Beständen der Volkskundlichen Kommission für Westfalen und trägt die trägt die Inv. Nr. 0000.72484. Es handelt sich um das Aussteuerbett der Christine Luise Engel Poppensieker, geborene Kämper aus Bischofshagen, das sie 1862 mit in die Ehe brachte. Ein Bild ist im digitalen Archiv der Kommission verfügbar unter Eingabe oben genannter Inventarnummer. 49 Vgl. Dröge: Das ländliche Bett, 142 (s. Anm. 22). Ob der Schreibfehler absichtsvoll im Sinne einer Geste der Demut im Defekt gesetzt wurde, muss dahin gestellt bleiben. Zum Phänomen am Beispiel eines Bettvorhangs vgl. Krause, Katharina: Bekehrungsfrömmigkeit. Historische und kultursoziologische Per- spektiven auf eine Gestalt gelebter Religion (Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart 23), Tübingen 2018, 234. 50 Auch dazu sucht der anonyme Autor der Nachtgedancken, 237 zu verlocken: „Versuche es, meine Seele, bethe fleißig, nicht nur des Tages; sondern auch des Nachts. Da hast du deinen Jesum alleine. Da kanst Du frey dein Hertz ausschütten; […] Versuch es nur. Es wird wohl gehen. Fange mit wenigem an. Es wird sich bessern. Nach und nach. Was man gerne thut, kömmt einen nicht schwer an. Hast du deine Lust am Herrn: so wirst du auch mit Lust bethen, und drüber Essen und Schlafen vergessen.“ 51 Vgl. EG 479,1.

86 beständig über demSchlafendenbeständig über wacht. Morgenstern Symbole sind, Christi mag derMond dasAuge für Gottes stehen, das etwa wennetwa Sonne, Mond, Wolken und Sterne gleichzeitig am stehen. Betthimmel sich dann auch doch aber deutliche Hinweise darauf, die Auszier wie gemeint ist – muss,hindern imSternensymbol Herrn seinen zuvergegenwärtigen. Bisweilen finden explizite Verweisung verzichtet, was deningerichteter Meditation Geübten nicht daran mit einem IHS-Monogramm ausgeziert. Im evangelischen Raum wird auf solch vermag. Küste ‚Help-up‘ genannt –,an dem sich dererdenschwere gen Leib Himmel zuziehen Klauen einen aus bunten Fäden gewirkten Strick trägt–imSchwäbischen an der ‚Hilf‘, beflügeln und zu kontemplativer Übung zu animieren? dann, Zumal ihrenwenn siein nun sollte eine Taube haben, wenn imBette nicht zu Seele jene, dieschlaftrunkene hinaus versinnbildlicht siedieVorstellung göttlicher Inspiration. Welch andere Funktion dass dieWirkung Worte seiner demHeiligen Geist anheimgestellt bleibt. Darüber angebracht ist. bestehen, sei an These Exemplare an dieser Zentrum inderen eine erinnert, Taube aufs Überirdische hin–einer Stelle, an dersich Himmel und Erde Wo berühren. Zweifel 54 53 Vgl. 52 unswidmen wir einer weitaus nüchterneren Praktik. Kern dritten dieser Strategie darf sich im Folgenden Unter zurücklehnen. beruhigt der dem Begriff Tagesschau und hätte sich hoffnungslos dabei ineinem Netz unterstellter Sinnbezüge verstrickt, Wer nun der Ansicht ist, die Autorin selbst aufs soeben Transgredieren sei verfallen Tagesschau umwölkte Blick festmachen kann. 57 56 55 Erklärung nachErklärung zuGott und Christo führen“ darauf „Handleiter als dieGestirne zulesen, und Gottes, Boten uns so Christlicher erscheint, ist eine solche Simultaneität vielleichtschließlich auch doch ein Hinweis als Auch wenn astrologische diese Konstellation zu bestimmten Zeiten des Jahres möglich 3 Arndt, Johann 37,82, 86(s.Anm. 22). Bett, Abbildungen von entsprechenden und Schrank- Himmelbetten findenbei Dröge sich ländliche: Das Vgl. ebd.,87(s.Anm.Vgl. 22). ländlicheDas 70f, 73,87(s.Anm. 22). Bett, unter https://www.hohenlohe-schwaebischhall.de/Attaktion/roessler-museum-1/ sowie ferner Dröge: dasimRößler-MuseumVgl. Untermünkheim aufgestellte Himmelbett aus demJahr 1845,abzurufen Abend wird“ inKaspar Neumanns „Herr, esist von meinem Leben“. zu stützen vermag, ist dieeigenwillige Formulierung „Herr, deinAuge geht nicht unter, uns wenn esbei Göttingen 2003,74–79argumentiert obengenannte für Deutung. Einweiterer Deutung derdiese Beleg, geh zurRuh, in:Gerhard Jahn /Jürgen Henyks (Hg.): Liederkunde zumEvangelischen Gesangbuch. H.8, bittet: den Mond „Laß am Himmel stehn Welt /und die stille beseh’n“. Görisch, Reinhardt: Müde bin ich, men, wobei gefragt wurde, immer wieder was esmit derletzten Bitte inStrophe 4auf sich hat, diedarum Zu größter istMotiv Berühmtheit dieses inLuise Hensels „Müde bin ich geh zurRuh“ (EG484)gekom- 1845, 363. Dröge ländliche: Das 86(s.Anm. 22). Bett, 57 56 : Sechs Bücher: Sechs vom wahren Christentum nebst Paradies-Gärtlein, dessen Frankfurt a.M. Im derKanzel Schalldeckel ist siedemPrediger daran, Erinnerung 52 In katholischen Regionen ist desÖfteren dieses 55 Der Betthimmel wird zueiner Öffnung Betthimmel so Der 54 zugebrauchen. Während Sonne und Katharina Krause:BereitungzurNacht 53

87 IMPULSE Macht und Ohnmacht

den prekären nächtlichen Bewusstseinsverlust in den Griff zu bekommen, ist nämlich die introspektiv-evaluierende Rückschau. Der scheinbar bewusstlose Schlaf wird so zumindest an den Rändern – beim Einschlafen und beim Aufstehen – bewusster Kontrolle unterworfen. Eine Aufforderung dazu findet sich auf einer Bettstelle aus dem Ravensberger Land, die auf 1828 datiert: „O Mensch“, heißt es da, „versöhne dich mit deinem lieben Gott / ehe das du dich zuruhe legst.“58 Der Ratschlag spielt auf die Praxis der Vergebungsbitte an, die sich der introspektiven Selbstbegegnung gewöhnlich anschließt und zu sich in der zeitgenössischen Andachtsliteratur zuhauf Anleitung findet. So auch in Joachim IMPULSE Zollikofers Andachtsübungen und Gebeten.59 Anders als ein Großteil des Erbauungs- schrifttums, das den Menschen zunächst für verdorben hält, um ihn der Bekehrung bedürftig zu erklären, richtet sich dieses Buch an „nachdenkende und gutgesinnte Christen“, die sich bereits auf dem Weg zu christlicher Vollkommenheit befinden. Das Buch gibt ihnen Anleitung, die am Tage zurückgelegte Etappe abends zu reflektieren. Beigefügte Materialien geben Hilfestellung zur Rücksicht auf den vergangenen Tag wie zur Aussicht auf den kommenden. Anhand von Fragen, die sich die Leser zur Selbst- prüfung vorgelegt können, werden unterschiedliche Lebensbereiche abgeschritten, wobei den Gefühlen besonderes Augenmerk gilt. Es gilt, die Bewegungen des Gemüts zu ordnen und zu durchdringen, andernfalls läuft der Schlaf Gefahr, fehlgeleiteten Pas- sionen zum Opfer zu fallen.60 Das Dunkel der Emotionen ist rational zu durchdringen. Ein vergleichbares Programm verfolgt auch Christian Fürchtegott Gellert bei seiner Prüfung am Abend:

„Der Tag ist wieder hin, und diesen Theil des Lebens, wie hab ich ihn verbracht? Verstrich er mir vergebens? Hab ich mit allem Ernst dem Guten nachgestrebt? Hab ich vielleicht nur mir, nicht meiner Pflicht gelebt?“61

In weiteren Strophen werden sämtliche Beziehungen abgeschritten, die zu prüfen nahegelegt wird, wobei die Seelenforschung mit Gott beginnt, um zu den Angehörigen sowie der Bewährung im Berufsleben überzugehen. Auch Zeiten am Tage, die in woh- ligem Müßiggang verbracht wurden, werden der Prüfung für würdig befunden, um abschließend mangelnde Pflichterfüllung der Vergebung Gottes anzuempfehlen. Das Morgengebet findet seine Fortsetzung am Abend, wenn die Vorsätze evaluiert werden, die infolge kritischer Selbstprüfung getroffen wurden: „Gott, wie habe ich deinen Wil- len, und was ich in dem Morgengebeth geflehet, heute gethan? Durchsuche mein Herz auf dem Bette, ehe ich einschlafe, damit ich das Zeugniß habe, ich wandle vor dir mit ganz auf dich gerichtetem Herzen.“62

58 Vgl. ebd., 142 (s. Anm. 22). 59 Vgl. Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete. Zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen, Leipzig 1785. 60 Vgl. ebd., 94f. 61 Vgl. Zwickauer Gesangbuch Nr. 1047, zu singen auf „O Gott, du frommer Gott“. 62 Vgl. Oetinger, Friedrich Christoph: Die Psalmen Davids […] nebst Morgen- und Abend-Gebethern nach den sieben Bitten, Stuttgart ²1776, 638f.

88 68 67 66 zu beschränken. nehmen und, Verbleib was seinen anbelangt, imBett auf einMaximum von acht Stunden schlafmüde hat Leib sich vor demZubettgehen vor schweren allzu Speisen inAcht zu Qualität desSchlafes bemüht, dieDiätetik zuMäßigung, zuSelbstdisziplinierung: Der Frömmigkeit nur als eine Agentin unter vielen wirkt. Neben rät, ihr umHebung der Seiten denKontrollbemühungenallen derMenschen ausgesetzt, wobei dieaufgeklärte chen erkauft wurde, LuxusDen nächtlicher Wach- und Mußestunden, derzumeist mit einem Mittagsschläf- eigenen Säftefrei zirkulieren und die verbrauchten Kräfte beleben. neu gewinnt überdies an dasBett Länge. Ausgestreckt inderHorizontalen können diekörper- mit Rosshaarmatratzen sind. belegt Wo dieräumlichen Gegebenheiten eserlauben, kammern leicht einund für werben desinfizierbare einschläfrige Metallgestelle, die Im Interesse derVolksgesundheit sich Ärzte setzen deshalbgut für belüfteteSchlaf- die Kritik, stehen imVerdacht, siedoch dieAusbreitung von Epidemien zubefördern. unmittelbar nach Gebrauch verschlossen werden, geraten dasBettstroh wie ebenso in Vgl. 65 Vgl. 64 63 BannkreisDem von Schrecken, Gspenst und Feuersnot Schräge Rhythmen geschieht. Schlafgepflogenheiten freilichan, was auchErwägungen auswirtschaftlichen heraus seines Alkovensseines bedauern, Winkel dringt. Matthias Claudius mag solche Entwicklungen Kammer in der stillen derVernunftSchein erhelltLicht die,dasBogenlampe,wie so entlegene der in noch himmlischen Heere aus den Abendliedern auszuwandern. Die finstre Nachtwird vom nur selten Während noch dieRede. der Putto die beginnen noch die Bettstelle ziert, Engeln gar oder demSatan, ist bekriegen, diesich willen umderschlafenden Seele mit steter Gelassenheit demProjekt christlicher Selbstvervollkommnung widmen. Von sind, zuüberdenken und umzugestalten sind. beiters dar, weswegen Schlafgepflogenheiten,Leistungsfähigkeit dieder abträglich storischen Sachkultur eines schwäbischen Dorfes, Tübingen 1994,186.272.Eine Abbildung Ruhe- dieses weicht,Sofa solcher ist Ruhepraxis Zeugnis am Tage, insüddeutschenDas Bauernstuben inderNähe des Ofens aufgestellte Lotterbett, dem dasallmählich (Hg.): Traum und Eininterdisziplinäres Schlaf. Handbuch, Stuttgart 2018,309–315. ausführlichVgl. Alheim, Hanna: Ökonomisierung in: Krovoza, des Schlafs, Alfred / Walde, Christine Oldenburg, in:Hennig, Nina /Mehl, Heinrich: Bettgeschichte(n), 215–234(s.Anm. 12).. nahmen zurAbschaffung vonAlkoven in Nordwestdeutschland,dargestellt anhand des Freistaates exemplarischVgl. Schimek, Michael (Erstauflage 1796), 172–177. Mit einem Brief Immanuel Kants an denAutor sowie einem Nachwort von Rolf Brück, München 1984 Matthias Claudius, in: ZThK87(1990),487–520. Beutel,noch grundlegend Albrecht : „Jenseits desMonds unvergänglich.“ ist alles „Abendlied“ Das von Zu Claudius’ Kritik an ihre einer über Begrenzungen unaufgeklärten Aufklärung immer inEG482,3vgl. (EG 270–535).Kommentar zuEntstehung, Text und Musik, Kassel u.a. 2015,390. desEvangelischenDie Lieder Gesangbuchs. Band 2:Biblische Gesänge und Glaube –Hoffnung –Liebe die ursprünglicheSo Formulierung Nikolaus Hermanns in EG 467,4, vgl. Hufeland, Christoph WilhelmHufeland, Christoph 66 Der erholsame Der Nachtschlaf stellt eine der wichtigsten Ressourcen des Ar 65 Parallel mahnen Hygieniker individueller eine kritische Überprüfung 68 scheint sich im ausgehenden 19. Jahrhundert kaum noch jemand 64 aufhaltenlassen siesich Schlaf kaum.wird Der von : Makrobiotik die Kunst, oder das menschliche zu verlängern. Leben : Im Interesse derFörderung derVolksgesundheit. Staatliche Maß- Hauser, Andrea : Dinge des Alltags. Studien zur - hi 67 Schrank- und Schrank- Wandbetten die etwa, Katharina Krause:BereitungzurNacht 63 entzogen, kann sich die Seele Thust, Karl Christian: -

89 IMPULSE Macht und Ohnmacht

zu leisten. Auch der Schlaf hat sich dem Diktat der Effizienz zu unterwerfen, womit der überreizte Stadtmensch, ungeachtet der Flut populärwissenschaftlicher Ratgeber, die ihn die Kunst des rechten Schlafens zu lehren versprechen, offenbar Schwierigkeiten hat. Klagen über Nervosität und Übermüdung häufen sich,69 was auch mit dem Para- digma der Reiztheorie zusammenhängen mag, das zeitgleich an Dominanz gewinnt.70 Fraglos haben aber auch die gewandelten Lebensrhythmen an der Situation Anteil. Der Schichtbetrieb in Werkstätten und Manufakturen, die rund um die Uhr produzieren, lässt auch die innere Uhr nicht unberührt und versetzt den Körper allmählich in einen Zustand permanenten Jetlags. Eingekeilt zwischen sozialer und natürlicher Zeit, die IMPULSE immer weiter auseinanderdriften, gerät der Leib aus dem Takt und kommt nur noch schwer zur Ruhe, was als so tiefgreifend empfunden wird, dass sogar der Staat sich die Förderung einer dem Schlaf zuträglichen Infrastruktur angelegen sein lässt.71 Das romantisierende Traumbild einer „stillen Nacht“ wirkt in der lichtdurchfluteten Maschinenhalle wie ein unerreichbares Versprechen. Den Lebensbedingungen näher steht die Vorstellung eines Perpetuum mobiles, das gleichsam in fortlaufendem Schichtbetrieb Morgen- und Abendgebete produziert, wie es 1870 von John F. Ellerton in „The day thou gavest“ besungen wird:

„As o’er each continent and island The dawn leads on another day, The voice of prayer is never silent, Nor dies the strain of praise away.“

Auch die deutschen Übertragungen72 nehmen diesen Gedanken auf, und so darf sich der Hüter Israels getrost eine Auszeit nehmen – Ablösung kommt mit der Kirche, die „immer wacht.“73 Auch die Engel verlieren ihre ursprüngliche Funktion. Zuflucht fin- den sie schließlich bei den Kindern, allerdings nicht ohne zuvor zu Hütern der Moral zugerichtet worden zu sein, die die elterlichen Ansprüche durchsetzen helfen:

„Jedwedem Kindlein klein und schwach, im Schloß und in der Hütte, folgt leis’ ein Engel Gottes nach und leitet’s Schritt vor Schritte, und giebt bei Tage wie bei Nacht treuliebend auf das Kindlein acht. […]

möbels findet sich im Anhang bei Schmid, Leopold: Bauernmöbel aus Süddeutschland, Österreich und der Schweiz, Wien 1967, Abb. 56. 69 Zu den Klagen über Massenschlaflosigkeit im 19. Jahrhundert vgl. Alheim, Hanna: Der Traum vom Schlaf im 20. Jahrhundert. Wissen, Optimierungsphantasien und Widerständigkeit, Göttingen 2018, 39–140. 70 Kinzler, Sonja: Wenn sich die Seele „ihrer Gewalt über die Maschine nicht bedienen“ kann: Der Schlaf in Aufklärung und Romantik, in: Alheim, Hanna (Hg.): Kontrollgewinn – Kontrollverlust. Die Geschichte des Schlafs in der Moderne, Frankfurt / New York 2014, 25–35. 71 Vgl. Ahlheim: Traum vom Schlaf, 103–140 (s. Anm. 67). 72 Vgl. EG 266,4 und EG 490,3. 73 Vgl. EG 266,2. Karl Albrecht Höppel indes lässt die Strophe, die diesen Vers enthält, in EG 490 weg.

90 werden können, die von einer Entzauberung der Nacht zu sprechen nahelegen, lichen Frömmigkeitspflege. Inwieweit Entwicklungen diese als nun aber Indiz gewertet rational durchdrungen und gesehen, dies,wie durchaus auch inKontexten derpersön- dies quer durch Schichten. die sozialen bleibtinszeniert, esindenHaushalten inunmittelbarer Nähe präsent, desBettes und gen zurNacht verflüchtigt. Breitformatig Schlafzimmerbildern undauf Wandschonern Symbole,oder was nicht aber bedeuten muss, dass sich dasNuminose an denÜbergän- industriell gefertigten aus Betten derFabrik keinen Raum mehr religiöse Sprüche für Auch diematerielle Kultur spricht keine eindeutige Sprache. Tatsächlich die lassen eine Frage, diean Stelle dieser keiner abschließenden Antwort werden zugeführt kann. Sujets. Schafe wacht, zähltJesus neben am imÄhrenfeld Ölberg oder unter diebeliebtesten Vorbild der Nazarener orientiert ist. gute Der Hirte, derauch desNachts seine über bettes ist oft aber auch mitChristusdarstellung einer geschmückt, die stilistisch am und tanzendeSchlafzimmer Elfen finden sich ein;die im Wand am KopfendeEhe- des geprägten christlichen Symbolen und Sprüchen auch Alternativen. Röhrender Hirsch Wiedie 1930erhinein vertrieben. schon imFalle derHimmelbetten gibt den esneben Bilderfabriken sind noch indenfünfziger Jahren erhältlich, Stickmuster werden bis in an desÖldruckssetzt derSchwellewie zum19.Jahrhundert ein.Restbestände der 78 77 76 75 Vgl. 74 sprechen. wird,schoben legen esnahe, mit Martin Scharfe von einer Entmachtung derNacht zu Die gewandelten Lebensbedingungen, inderen Folge derTag indieNacht hinein ver das liebt derHeiland gar und zusehr schickt viel Engel her.“ zuihm den Eigensinn von sich entfernt, dieEltern herzlich liebet, Ein frommes Kind, lernt, dasbeten sich inGehorsam übet, gehorsam, rein liebt und sind; heilig drum ernur einfrommes Kind. die niean Freud’ und Jubel leer, geschmückt mit goldnen Kronen, EngelDer kommt vom Himmel her, wo lauter Engel wohnen, produziert werden, wird diereligiöse Auszier von alternativen Sujets verdrängt. davon Zeugnis gibt etwa nitur kommt auch solche Praxis inAbgang und selbst dort, wo die Möbel noch inEinzelanfertigung kischen Freilandmuseums Windsheim, Bad Windsheim Bad 2009,348f. Mit Schlafgar dermodernen werden, Bedal, vgl. Konrad u.a.(Hg.): Aufgemöbelt. Dieschönsten Möbel aus derSammlung desFrän- In einer Gestalt Chromlithographie kann er übergangsweise auch noch auf geklebt das Schlafmöbel Ludwig-Uhland-Institut. für Zeitschrift Volkskunde 66(1970) versammeltenBeiträge zur Wandschmuckforschung am Tübinger Wolfgang: Elfenreigen. Hochzeitstraum. DieÖldruckfabrikation 1880–1940,Köln 1974sowie dieinder Sprüche Haus für und Küche, München 1994.Zur Wandbildforschung Brückner, grundlegend vgl. Zu Wandschmuck textilem Stille, vgl. Eva /Pfistermeier, Ursula : Trautes Heim Glück Gestickte allein. ebd., 77–84. Vgl. 64–88, hier81. DieNacht oder: moderne Störung, als in:Fleischhack, Julia /Rottmann, Kathrin : Störungen, 2011, Berlin lischen Sonntagsschulen inStuttgart, Stuttgart das GrafVgl. von der Recke-Vollmerstein, Werner Nr. Lied zugeschriebene derevange- 50indenLiedern 78 Scharfe, Martin Scharfe, 75 Mit wird demSchlaf nun auch eine derletzten Bastionen desUnbewussten : Nachtwege. Störungen zielgerichteter Mobilität inderAlltagskultur derVor- 77 Die Hochphase beider, des gestickten Spruchs 6 1889, 61. Katharina Krause:BereitungzurNacht 74 76 ist ist - -

91 IMPULSE Macht und Ohnmacht

Lässt solcher Wandschmuck den Schluss zu, dass die Abendandacht in der Breite noch gepflegt wird? Im Bildmotiv der betenden Hände findet sich jedenfalls eine Re- miniszenz auf solche Praxis, die Pfarrberichten zufolge in vom Pietismus geprägten Landstrichen auch noch an der Schwelle zum 20. Jahrhundert verbreitet ist,79 wäh- rend sie andernorts längst als Kuriosum bespöttelt wird, welches Erwachsenen nicht zuzumuten sei.80 Kaum weniger deutungsoffen ist die Selbstverständlichkeit, mit der der sogenannte ‚Ecce homo‘ seinen Platz behauptet, dessen gebrochener Blick unter dornenbekröntem Haupt zu meditativer Versenkung in Jesu Blut und Wunden auf- zufordern scheint.81 Sehr viel explizitere Hinweise auf das Abendgebet finden sich im IMPULSE Kinderzimmer. Bettwandschoner hinter Wiege und Kinderbett verleihen der Hoffnung Ausdruck, die Kleinen mögen im Schlaf behütet sein.82 Auch die Pendants der betenden Kinder83 legen nahe, dass das Gebet zur Nacht – wo nicht der Praxis, so doch zumindest der Vorstellung nach – seinen bevorzugten Sitz im Leben im Kinderzimmer

ein Schrank aus dem Jahr 1850, dessen Türfüllungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Zwergen aus- gemalt wurden, die ganz dem Gespräch mit einem Pilz hingegeben sind. Noch älter ist das Beispiel einer Schrankfüllung, das sich bei Walzer, Albert: Bauernschränke. Baden-Württembergische Bauernmöbel (Der Museumsfreund 8/9, Jg. 1968), Tafel XXXII abgebildet findet. Jesus und der ihn tröstende Engel wurden, wie im dokumentierten Zustand der Restaurierung deutlich erkennbar, mit Blumensträußen übermalt, der in der Sammlung unter der Inv. Nr. 80/184 geführt wird. 79 Im Pfarrbericht des bei Tübingen gelegenen Kirchentellinsfurt heißt es im Jahr 1900 noch: „Haus- andacht wird bei dem besser gesinnten Teil gehalten, Morgens mehr einzeln wegen des frühen Weg- gangs vieler in die Fabrik, abends auch gemeinsam. An Winterabenden und am Sonntag wird auch Bibel und Predigtbuch noch benutzt.“ Zitiert nach Hauser: Dinge des Alltags, 299 (s. Anm. 68). 80 Vgl. Weber, Carl Julius: Demokritos oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen, Bd. 5, Stuttgart 1868, der den Abendsegen neben stupiden Zählübungen als ein Mittel zur Erzeugung jener Langeweile empfiehlt, die dazu verhilft, in den Schlaf zu finden, um sodann auf S. 254 in scheinbarer Verwunderung zu konstatieren: „mir las einst eine Großmutter, eine Pfarrerswitwe, die ich allein antraf, noch einen vor in meinem fünfzigsten Jahre.“ 81 Guido Reni nachempfunden, kommt diese Chromolithographie um 1890 erstmals auf den Markt, vgl. Brückner: Elfenreigen, 35 (s. Anm. 77). 82 Bei Stille / Pfistermeier: Trautes Heim, 113 (s. Anm. 77) findet sich die Abbildung eines Handarbeits- vorschlags aus dem Jahr 1910: Auf der zur Wand gewandten Seite der Wiege hängt ein gesticktes Bild mit Ps 91,11, „Der Herr hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen Deinen Wegen“. Der Bibelvers wird von Blütenranken und zwei Puttos umrahmt. Ebd., S. 119 findet sich überdies eine De- tailaufnahme eines Bettwandschoners. Unter stilisierten Bögen aus Blumenranken steht ein Kinderbett mit schlafendem Säugling. An der Wand dahinter hängt ein Wandschoner, an der gegenüberliegenden Längsseite steht eine hoch aufragende Engelsfigur, die die Hand segnend über das Kind erhoben hat. Die Darstellung ist umgeben von der Bitte „Laß mich Dir / Empfohlen sein“. Von der Anverwandlung des Schutzengelmotivs zeugt ein Wandbehang ebd., S. 46, den ein von der Stickerin selbstentworfenes Muster ziert. Der Spruch „Gottes Engel / halten Wacht / Schlafe sanft / die ganze Nacht“ wird von zwei fliegenden Engeln in Ganzkörperdarstellung gesäumt, die, wenn auch etwas unbeholfen, beide Arme zu einer schützenden Geste erhoben haben. 83 Vgl. Brückner: Elfenreigen, 65–68 (s. Anm. 77). Der mit ‚Morgengebet‘ betitelten Darstellung eines mit Blumenkranz und Kreuz geschmückten Mädchens, das beide Hände zur Gebetsgeste zusammengelegt über einem Buch erhoben hat, korrespondiert das ‚Abendgebet‘ eines Jungen im Hemd, dessen gefaltete Hände auf der Bettdecke ruhen, vgl. ebd., 67.

92 Christine HeuserChristine desSchöpfers Anlass, dasLob zusingen. nicht gibt zuletzt dasStaunen angesichts desbestirnten Himmels Helmut König und der elementarisierten Form in Haltungen des Dankes und des Bittens mündet. Kurt Rommel und Martin Gotthard leiten Schneider zurTagesschau an, dieselbst in lich auch aber vom Sandmann Konkurrenz erhalten. 89 88 87 86 85 Vgl. 84 taucht.Schimmer DieLieblingsserie auf demDisplay verheißt Entspannung, erweist sind. Von dort strömt dieEnergie, diedasschlafmüde Antlitz ineinen geheimnisvollen eine fensterlose Wand festgelegt ist, indierechts zwei und links Steckdosen eingelassen Ruhe im standardisierten Schlafzimmer, Einrichtung dessen von vornherein durch individualisierteRecht invielenLebens Bereichen seines Mensch Der zusetzen. sucht Praxis inVerbindung zubringen wäre, scheint dieThese ausbleibender Passagen ins materiellergelnde Kultur Befund imUmfeld desSchlafens, dieexplizit mit religiöser wären dieÜbergänge, da diereligiös zubearbeiten einen Sinn ergäbe? Auch derman- Tagen derWoche umdieUhr rund imEinsatz ist, überhaupt noch Abendlieder? Wo daraus heutiges für Liedschaffen ergibt. Allein, brauchtGesellschaft,allen einedie an mitDie Beschäftigung Liedgattung einer zielt letzten Endes auch auf die Frage, was sich Abendlieder fürdie24-Stunden-Gesellschaft? denHerrn wieder zumWächter setzen Schröder ein, unter gewandelten Vorzeichen Jochen noch bewähren. und Rudolf Klepper Alexander nicht gegen spricht, vielmehr als dieselben für weil siesich ganz offensichtlich auch ten und speist sich stattdessen aus längst bekannten Themen und Motiven jedoch –was Auch dasAbendlied des20.Jahrhunderts zeigtsich Neuerungen gegenüber eher verhal- Altenbeim bleibt. tionellen Form erkennbar Halt ist, diemöglicherweise gibt, wo sonst kaum mehr etwas weiteüber Strecken inGestalten desÜberkommenen, wobei eine Tendenz zurkonven - bereithält. Mögen sich auch dieEmpfindungen wandeln,Bearbeitungihre geschieht und gerade imHinblick auf dieerste dieErfahrungen, Hälfte des20. Jahrhunderts keit desUngleichzeitigen bestimmt dieHaltung Nacht gegenüber und Schlaf –auch an derGegenwart himmlischer Repräsentanten fest. Eine eigentümliche Gleichzeitig- Ist dieNacht dieeinen endlich für von abergläubischem befreit, halten Ballast andere hat. mancher So Sprössling sieht sich von dabei Engelsfiguren unterstützt, Sorgen zumindest dieDauer und Leid für derNacht vergessen lassen. Vgl. EG 489. Vgl. EG491sowieVgl. Regionalteil Württemberg, Nr. 672. EG486,1. Vgl. EG486,2f.Vgl. und EG487,1–4. Sandmann tritt indasZimmer /und bringt denSand mit“. imSäcklein ebd., 74f.Vgl. Stille /Pfistermeier: Trautes Heim, 113 (s.Anm. 77),Bettwandschoner mit derAufschrift „Der Katharina Krause:BereitungzurNacht 85 86 in dessen bergendem indessen sich Arm 89 87 Christa Weiß, Christa 84 - dieallmäh 88 Und Und 93 IMPULSE Macht und Ohnmacht

sich am Ende aber doch als Verhängnis. Glaubt man der Schlafforschung, besteht ein enger Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und abendlichem Mediengebrauch.90 Das Tempo, mit dem sich die Somnologie als ein eigener Forschungszweig etabliert, spricht indessen dafür, dass der Schlaf auch unserer Zeit, da die Übergänge zwischen Tag und Nacht immer selbstverständlicher zerdehnt werden, als empfindliches Terrain wahrgenommen wird, weshalb er mit besonderer Fürsorge zu umgeben ist. Mittlerweile scheint jeder dritte Erwachsene Ein- und Durchschlafprobleme zu haben.91 Grübel- attacken besetzen die Nacht, in denen der Mensch namentlich zu Schwarzmalerei neigt. Körper und Geist rotieren in den Laken, während sich zu allem Überfluss im Smart- IMPULSE phone auf dem Nachttisch der Anspruch verdichtet, auch im Schlaf aufnahmebereit und erreichbar zu sein. Wer sich vor den Griff zur Schlaftablette scheut, lässt sich im Schlaflabor untersuchen oder begibt sich in die Obhut von Sleep-Tracker-Apps, mittels derer man sich im Schlaf selbst vermessen kann, um Auskunft über Atemgeräusche und Bewegungen zu erhalten und die Auswirkungen des Bewegungs- und Essverhal- tens auf die Qualität der Nachtruhe einschätzen zu können. Während die Schlafmedizin die biologische Seite der Schlafstörung erforscht, kon- zentrieren sich Schlafpsychologen und Hypnotherapeuten auf jene Ursachen, die sich auch der anonyme Autor der „Nachtgedancken“ vornimmt, wenn er sich mit seinen Überlegungen zur Schlafhygiene an die „liebe Seele“ wendet. Die Übereinstimmungen der Anliegen sind verblüffend.92 Darüber hinaus erinnern viele Strategien, die in Schlafseminaren gelehrt werden,93 an die in Abendliedern überlieferten Bewältigungs- techniken. Allein schon der Vorschlag, abends ein Ritual zu pflegen, das hilft, den Tag ausklingen zu lassen und sich mental auf den Schlaf vorzubereiten, folgt der Intention nach eben jenem Anliegen, das mit Abendlied und -gebet seine christliche Form gefun- den hat. Darüber hinaus lassen sich auch im Bereich des Methodischen Übereinstim- mungen feststellen. So wird ebenfalls anhand von Leitfragen gelehrt, die Gedanken zu ordnen und wie im Abendlied Tageschau zu halten: Warum war es dieser Tag wert, ge- lebt zu werden? Was fiel mir schwer? Wofür bin ich dankbar und was beschäftigt mich noch? Weil Unabgeschlossenes den Schlaf raubt, muss es sistiert werden. Im Abend- lied wird das Ausstehende Gott übereignet,94 als funktional äquivalent mag sich die Methode erweisen, Offengebliebenes auf einem Sorgenstuhl abzuladen oder aber an Wölkchen zu hängen, die anschließend im Geiste auf die Reise geschickt werden. Die Imaginationskraft wird auch da bemüht, wo Teilnehmer der Schlafseminare lernen, sich in Gedanken an Sehnsuchtsorte zu versetzen, deren Schönheit sie sich vors innere

90 Vgl. Le Ker, Heike: Blaues Licht stört den Schlaf, abzurufen unter http://www.spiegel.de/gesundheit/dia- gnose/licht-von-handy-laptop-und-tablet-stoert-schlaf-a-1003928.html (3.8.2018) und Stratenwerth, Irene: Schlafstörungen, in: GEOkompakt 48 (2016), 72–80, hier 72f. 91 Vgl. Stratenwerth: Schlafstörungen, 72 (s. Anm. 90). 92 Vgl. etwa das mit „Das ‚wilde Denken‘ zähmen“ überschriebene Kapitel bei Zulley, Jürgen / Knab, Barbara: Die kleine Schlafschule. Wege zum guten Schlaf, Frankfurt am Main 2016, 100f. in Verbindung mit dem „Vorbericht an den Christlichen Leser“ des anonymen Autors der „Nachtgedancken“. 93 Die Beispiele im Folgenden sind entnommen aus Zulley / Knab: Schlafschule und einem Dossier in der Brigitte 18/2017, 99–111, das wie folgt titelt: „Haben wir verlernt zu schlafen? – Warum alle immer müder werden und wie wir das ändern können“. 94 Vgl. EG 671.

94 die mittlerweile zu beklagen sind. zubeklagen An Stelledie mittlerweile weiterer Tilgungen möchte ich für daher Strophen aus der Sparte derAbendlieder zuverbannen. Zu groß sind dieVerluste, ungeachtet Dessen zu fallen. täten sicherlich wir auch aber gut daran, nicht noch mehr ist, nicht hinter wieder denin derGeschichte derGattung erreichten Standard zurück Die Frage ist berechtigt, wo sie Anlass zueinem Liedschaffengibt,bemüht dasdarum nen Problemen und Empfindungen im ihrem zu Recht Abendlied kommt? buch auszurangieren, damit endlich auch die24-Stunden-Gesellschaft mitihren eige- Angst und Feuersnot zumTeufel zuschicken aus jenen wie und ebenso demGesang- Wärenoch bewährt. es,provokativ gefragt, nicht an Schrecken, derZeit, allmählich sich derüberlieferte Kanon angesichts veränderter Lebensumstände auch gegenwärtig ganz konkrete Herausforderungen, zuderÜberlegung veranlasst, was wiederum ob Alltagspraxis deutlich, welches Sinnpotential darinsteckt. Abendlieder reagieren auf eigenes Profil gewinnen. Vor machtallem aber dieErdung der Dichtungen inder überlieferten Abendlieder vorhervortreten, Hintergrund dessen jeweiliges sie ihr FokusDer auf Dinge, Körper und Räume lässt denSitz derimGesangbuch imLeben Strohschütte überstanden imstandardisierten oder verbracht Schlafzimmer wird. genommen. macht Es einen schließlich Unterschied, ob dieNacht unter Dachauf einer wurden hinaus darüber auch unter demGesichtspunkt derRäumlichkeit indenBlick bettet. Deutungen und Empfindungen, diesichdas der umErleben Nacht ranken, sponnen der Hormonhaushalt wie dersich auf zurRuhe desLeibes, demSchlafmöbel werden. Strohsack und Tablet findendas sich in nächtliche ebenso Sinngewebe einge- Wechselwirkung mit der sich wandelnden Körper- und Sachkultur hervorgebracht Empfindungen, denen inden Abendlieddichtungen verliehenAusdruck wird, stets in Fortentwicklungen nachverfolgt werden. wurde Dabei deutlich, dass Deutungen und Unter praxistheoretischem Blickwinkel konnte Wissen dieses freigelegt und inseinen Wissen verankert ist, dasneuerdings eintherapeutisches wieder Comeback erlebt. Weitere Beispiele ließensich anfügen, diezeigen, dass imAbendlied einkulturelles Bilanz Tag,„Der mein Gott, ist nun vergangen“ zuEhren kommt. wieder mit Übung dieser leichter, vielleicht wobei so dievielgeziehene Schunkelmelodie zu und Herschaukeln desOberkörpers unterstützend wirken kann. Singend tut man sich Geist durch langsames Ein-und Ausatmen zurRuhe zubringen, wobei sanftes Hin- wandschoner bringt. hinaus in Erinnerung Darüber wird geraten, denaufgewühlten baren Effekt mag ein BibelspruchLiedversoder Bett - derhaben, sichBett oder auf istzu sprechen. inOrdnung,“ wird gut.“ Vergleich- „Alles zumBeispiel, „alles oder ist hie […]“ Auch mag es helfen, Satz einen beruhigenden ein Mantra wie vor sich hin anzuwenden: „Stopp! Pause!“ wahlweise „Weg, oder Phantasie! Mein Herr und Gott an denSorgen festbeißen wollen, wird empfohlen, dieMethode desGedankenstopps sinnenden GeistdenWeg indenHimmel Wo zubahnen. sich doch dieGedanken gesehen, dieVerzauberung von Alltagsgegenständen eine Möglichkeit darstellt, dem zu gewinnen. Kontemplative compositio loci Auge zustellen aufgefordert sind, umauf Weise diese Abstand von ihren Problemen verfährt ebenso phantasievoll, ebenso verfährt wobei, wie Katharina Krause:BereitungzurNacht

95 IMPULSE Macht und Ohnmacht

einen unverstellten Blick werben, der auch kurios Anmutendem zutraut, etwas bereit zu halten. Dabei mag es hilfreich sein, anfängliches Befremden zunächst wegzulachen. Auf diese Weise nämlich lässt sich das Experiment mit größerer Unbefangenheit wagen, das darin besteht, einmal probehalber in solch eine Strophe einzutauchen, um sich in spielerischer Neugierde darin unterzubringen. Der Gewinn, den solche Übung verheißt, ist kaum zu unterschätzen. Nicht weniger wird da versprochen als ein Vor- geschmack des Himmels! IMPULSE

96 jedoch als Teil als jedoch Sicht einer allgemeinen idealen Anfang des20.Jahrhunderts folgenreich waren, Franzriker Wieland Studien dessen zurück, Vf. insbesondere auf den katholischen Histo- nung vom kultlosen Urchristentum der führt Die Entwicklung und Verbreitung Mei- dieser damit keine Altäre, gegeben, wird widerlegt. tum keinen Kult und keine Kultgegenstände, gewordene Annahme, eshabe imUrchristen- geschichtliche Revision: Die Allgemeingut BuchDas leistet eine liturgie- und theologie- Gebrauch ausschließt. nem kultischen Gebrauch, dernicht-kultischen Mobilität (verankert, sondern sei- beweglich), Formseiner (Block, Tisch o.ä.) seiner oder an Materialität seiner (Stein, Holz, Metall), Altar zunennen ist, entscheidet sich nicht dabei Mahlformen unterschied. Was einchristlicher vonmahl anderen, auch damit verbundenen warGebrauch und damit dasHerren- reserviert ausschließlich denrituellen für eucharistischen steht darunter Gegenstand, einen sakralen der 10,21 inForm Vf. Der desSakraltisches. ver- Textzeugnis vom „Tisch desHerrn“ in1Kor schon und zumindest seit dempaulinischen liturgisches Mobiliar hat es immer gegeben – kurz sakrales zusammenfassen: so Altäre als Die wichtigste Aussage desBandes lässt sich herausgearbeitet. liturgicis rebus nicht genannten Selbstverständlichkeiten in Gebrauch von Altären explizieren, werden die wo keine direkten denliturgischen Quellen liche ingrößter Quellen Bandbreite heran. Dort, Vf. biblische, literarische und baugeschicht- Christentum zurekonstruieren. zieht Dafür der dienstliche Verwendung von Altären imfrühen WerkDas übernimmt dieAufgabe, diegottes- ist. bebildert nissen derpaganen und christlichen Antike ikonographischen und kirchenbaulichen Zeug- Band eine Augenweide, dermit wichtigen allen logischer und verlegerischer Hinsicht ist dieser christlichen Altars vor. In historischer, theo- legt einfulminantes Werk zurGeschichte des römischeDer Liturgiehistoriker Stefan Heid ISBN 978-3-7954-3425-0 2019, 496Seiten,50,00€ Schnell &Steiner, Regensburg, Prinzipien christlicherLiturgie Altar undKirche Stefan Heid stimmig und ohne Kunstgriffe Aus ökumenischer Sicht wären Präzisionen der II. Vatikanum (Stichwort: Volksaltar) kritisiert. und diefolgende Liturgiereform nach dem voraussetzungen derLiturgischen Bewegungen gesamte Band, auch derschließlich Denk- einzutragen. Unter Anliegen steht diesem der der Gegenwart in die historische Forschung vor zuwarnen, liturgietheologische Prämissen denAnachronismuswider zuarbeiten und da- Autor und Werk kommen dasVerdienst zu, der Heiligkeitserfahrung“ (350)darstellt. AblageortGebets, und derGaben „Zentrum Altar desgerichteten denOrt und verkörperten höchster Relevanz, dass derfrühchristliche praktisch-theologi istsche Beurteilung von fen, dennspätestens diedogmatische für und (350) erscheint. dasstimmt, Ob wäre zuprü- liturgiehistorische zweitrangig“ Beurteilung ständnis von „Opfer“, was demAutor die „für es stellt sich natürlich dieFrage nach demVer- korrekttike Opferhandlungen als nach. Aber und EucharistieGebet inderchristlichen An- Historiker Der erweitert. weist liturgisches Verfassers werden aufgenommen dabei und bindung mit demAltar. Frühere Studien des im Kirchenbau dasliturgische für inVer- Gebet raumes, außerdem dieBedeutung von Bildern der verschiedenen Regionen desMittelmeer- Altären inunterschiedlich gerichteten Kirchen nach Osten und dasliturgische Verhalten an aktiven Hausgemeinden), die Gebetsrichtung privaten Eucharistien und keine eucharistisch eucharistische Passivität derPriester, keine derKirchenAnzahl inbzw. einer Stadt, bei der ersten Jahrhunderte (und die Probleme: einzigen Altars inbischöfl ichen Ortsgemeinden Mahlformen, diePraxis deseinen und damit denen großen Th Sakraltische in emen: rituellen Die Untersuchung bearbeitet diedamit verbun- gehört“Sakraltisch (68). zu deren Instrumenten demKelch neben der blierten dieChristen eine eigene Kultpraxis, Kritik an paganen Opfern und Altären eta- die christliche Antike: „Gleichzeitig mit ihrer Kultlosigkeit. Heid dieSicht korrigiert auf men. Allerdings bedeutet Kultkritik noch keine Schlachtopfer an Ende gekom- allzumal, sein Hingabe am Kreuz dassühnende Opfer, das Tempelkultpraxis gewandt, war mit doch Jesu an gegen diejüdische und pagane Opfer- und Natürlich hatten sich dieChristen von Anfang testantismus nachhaltig prägte. auch und gerade dendeutschen Pro- liberalen auf diechristliche Antike zuverstehen ist, die Rezensionen 97 LITERATUR THEMA 98 LITERATUR THEMA gen diegesamte für Liturgiewissenschaft . neue Einsichten und weiterführende Anregun- chen Praxis bietet inbester Qualität jedenfalls chitektonischen Umgebung und gottesdienstli- schichte deschristlichen Altares mit ar- seiner Die vorliegende Liturgie-, Bild- und Bauge- realer Transzendenzerfahrungen“. Ort als Gegenstand, sakralen zeichnete denAltar „als konnte Manfred Josuttis konstatieren und kenn- meistenswußtsein zuartikulieren vermögen“, mehr,sagt sieinihrem als theologischen Be- rer, diesich imGottesdienst am Altar bewegen, tische Forschung gefordert. Verhalten „Das de- Hier ist dieevangelische historische und prak- zudiskutieren.dert Gemeinde zusprechen, wäre historisch geson- Luthers Wunsch, dieEinsetzungsworte zur Eucharistie vorbehaltene Gegenstände. Über gezeigten antiken Maßstäben Altäre die und für kirche Torgau), waren gerade diese nach den Neubautenrische Mensen errichteten (Schloss- hen am Altar bzw. vom Altar aus. Wenn luthe- Segenshandlungen, auch dieLesungen gescha- am Altar zumAltar gesprochen; und Segen Abendmahlsfeier, wurden Gebete sondern alle Kreuzesopfer und Altar heraus. Nicht nur die gramm, stellten die Verbindung von Mahl, altäre“, mit Retabeln evangelischem Bildpro- Die lutherischeninszeniert. „- inihrerdern Zentralität dieLiturgie für neu überkommenen Altäre beibehalten, i.d.R. son- eine Altar-Reformation: Nicht nur wurden die und Stift ungenbeinhaltete genaugenommen ren an und Retabeln, Seitenaltären, Stipendien Messopfersystem, demReliquienkult an Altä- moniellen demmittelalterlichen Eigenleben, nicht zu. Diereformatorische Kritik am zere- Aufsein. dielutherische Reformation trifft dies neuprotestantischen Paradigmen zuverstehen nur Vermischung als von reformierten und nis eines Altars Altar als gewendet habe, kann des Vf. dieReformation gegen dasVerständ- spielten.Rolle Dass sich nach aber Meinung Christentum, dasLiturgie für und Kult keine wende denbürgerlichen Traum vom ethischen Protestantismusder liberale derJahrhundert- Kritik vorzunehmen. Ohne Zweifel verfolgte Macht undOhnmacht 1 146. wissenschaft licher Grundlage, München 1991, indenGottesdienstEinführung auf verhaltens- Josuttis, Manfred Weg: Der Eine indasLeben. m ArKus s 1 Chmidt ReligionswissenschaftSchau und einer auf die mit Beitrag strukturierten einer Verortung der nommen. religionswissenschaft liche Perspektiven aufge- In einem zweiten Teil desBandes werden geradeund eben diesmusikalisch aufzufangen. Umgang mit dem zu wagen, was stören könnte, möchte man denSängern auch zurufen, den wohlwollendewie Praktiker vorgehen. Zugleich matiker, sondern Sänger sind, wird anschaulich, wird nicht weggelassen. dieBeteiligten Da Dog- tet wird. Was andere stört (z.B. Gottesnamen), Akteure mit Vermeidungsstrategien gearbei- aufschlussreich, stark wie von dabei Seiten der Fürfurt. denBlick auf interreligiöse Prozesse ist gen eines Tehillim-Psalm-Projektes inFrank- zweiteDer handelt Artikel von denErfahrun- diskutieren. des Rezensenten eher nicht hat), wäre noch zu Identitäten“ (18) eine hat Basis aus (oder Sicht Unbestimmtheit „Erproben – das besagte von welchem Sinne –ohne klare Denotate und in denotativedie „keine Funktion“ habe (24).In Unbestimmtheit von Musik“ (39)hingewiesen, 18; 40);gleichzeitig wird auf die„semantische rellen „Identitäten“ durch Musik (17; dieRede „Erproben“lerischen von religiösen und kultu- vertieft werden können. Mehrfach ist vom spie- retische Referenzrahmen hätte durchaus dabei lich drei interreligiöse Aufftheo- ührungen.Der Als Erste Verena schildert Grüter anschau- sehr mit Praxis. Musik iminterreligiösen und beginnt Dialog ortgebundener) Hör- und Refl exionsweisen zu Fokussierungen möglicher Collage als (stand- verbindetberuht, höchst unterschiedliche Sammelband, derauf einer Schweizer Tagung cen und Tücken ins Gespräch zukommen. Der Experimente,tieren diese und über ihre Chan- auch inmusikalischen zuexperimen- Bahnen machen viele Beschreibungen Mut, interreligiös lisch nur spröde Einblicke gewähren und doch anik. Eingedruckter Fachband kann musika- buddhistischen Shómyó-Gesang mit Gregori- Klängenjodelartigen der Saamen dem oder wäreGern Vielem ich bei gewesen, den dabei ISBN 978-3-290-18173-4 220 Seiten,36,00CHF/32,90€ (BThR, 14), TVZ, Zürich,2019, Musik ininterreligiösenBegegnungen Reinhold Bernhardt/Verena Grüter(Hg.) Isabel Laack beginnt ihren klar deutlich ab. vorangehenden Aufsätze Beitrag fällt dieser aufgenommen. Gegenüber demNiveau der wird vor aber später allem nicht ernsthaft Theoriehintergrund ist etwas angestaubt, ten) nicht umverschiedene Religionen. Der (nach demSelbstverständnisalso - Sei beider ein Heiliggeistfest auf den Azoren. geht Es katholisch geprägte Ethnologin beschreibt sie ten Sinn von interreligiöser Begegnung. Als Alge derMusikethnologin Bericht Der Barbara differenzierungen. pädagogische Skizze mit- angerissenen Begriffs Gebäuden) und drittes als eine kurze musik- „Landschaften“ u.a. in multireligiös genutzten auf die Forschung zu „soundscapes“ (Klang- überhörbar. AlsZweites folgt Sweers bei einBlick hier ist derWiderspruch zumersten un- Artikel de Auseinandersetzung (115f.). benötigt“ Auch nen […]Verständigungsprozess eine umfassen- verselle Sprache ist und gerade mit Blick auf ei- nicht einheitlich und somit oftmals keine uni- kontextgebundene[r] Wahrnehmungen […] „das Verständnis von Musik aufgrund […] auf. Pointiert stellt sieklar, dass schon allein Gesang („Joiken“)jodelähnlichen derSaamen Perspektive u.a. mit erwähnten demoben Britta Sweers nimmt dieethnomusikalische bleibtDabei dieDarstellung eher deskriptiv. Zusammenspiel mit andersartigen Klängen. gurationen von Gebäuden und Architektur im aufmit Konfi theologische und soziale Bezug - scheidet Typen (93)u.a. der„Lokalisierung“ schaut Insbesondere auf räumliche Konstellationen anklingt. bung von Identitäten“, sieimersten wie Beitrag Damit widerspricht einer naiven Laack „Erpro- einstellt. muss Diese nicht jedoch gegeben sein. Verbundenheit gar oder kollektiver Identität ausgelöst werden“ der (76),und sich einGefühl den anderen […] diegleichen Emotionen […] „dass bei kann erwachsen, dann dieErfahrung nahme) einer gemeinsamen Rezeptionsweise die Sozialisation geprägt (79). Erst aus (der An- Habitus sieaufgenommen werden, ist durch muli solche und als mit strukturiert welchem welche Weise musikalische grundlegend Sti- Rezeptionsweise hinaus. Deutlich wird: Auf denBlickeinmal diemitteleuropäische über unterschiedlichen Beispiele weiten noch dabei angesichtsBezüge von Klangerfahrungen. Die Vielzahl zuberücksichtigender und Ebenen handelt nur ineinem äußerst weit gefass- Bärbel Beinhauer-Köhler und unter -

Begegnung. viel Vermischtes, nicht aber uminterreligiöse aufgenommen. geht Es umVieles ihm bei und Finessen und gebildeter Reminiszenzennicht klingender Namen, Wortspielen, rhetorischer wirdBandes dasThematrotz des vieler wohl- [und -philosophie, K.M.]“dar (195).Dabei reichen Geschichte europäischer Kunstmusik aneinandergereihte[n]lose Panorama aus der der Autoren und Autorinnen mit einem „nur Dieter Mersch stellt denAbschluss imReigen (188), mehr auch eben aber nicht. optimalen Fall ein „Diskursbeschleuniger“ „überlegene Sprache“ im (187),sondern sei andersetzung eine tiefere se bilde per oder oder Musik erspare nicht also die diskursive Ausein- digung kommt“ (187,kursiv imOriginal). wie einer interreligiösen mehr geschehenalso Musik], als damit eszu eigenen religiösen Systems verhält […][esmuss sichwie dasMusizierte zurGrammatik des kursive Arbeit, diesich damit auseinandersetzt, braucht esvon denMitwirkenden eigene dis- umeinästhetischessoll, [sic]als Ereignis, dann der Außenstehenden. „Wenn esummehr gehen gehend allgemein ästhetischen Wahrnehmung gen Anhänger einer Religion und weit derdoch - Rezeption eines Musikstückes durch- diejeweili scheidet im Folgenden zwischen der religiösen lohntEs weiterzulesen. sich jedoch Erunter [d]ie Kirche ist keine Krankenkasse […]“(177). nicht Ostern; Sünde ist nicht Vergebung; […] renzierungen von zunächst den„systemtheoretischen“ bei Diffe- Auf einem ähnlichen Niveau wähnt man sich besonders spektakulär ist. Vielzahl anderer islamischer Strömungen nicht muslimischer Gläubiger 165)ineiner (167,vgl. die Verbindung Musiker als derRollen und Auswertung fehlen Richtigstellungen, u.a. dass Musiker aufgenommen. In deranschließenden muslimischen (offenbar wahabitisch geprägten) (162). Im zweiten Teil wird zueinem derBericht teilnehmendenjedes Individuums wertschätzt“ gegenüber Unterschieden und dieIntegrität und existenziellem Sinn, bleibt diesensibel eine gemeinsame Sprache von Spiritualität trennen können,Dialogpartner bietet Musik schreibt sie:„Während Glaube und Handeln teten hermeneutischen Differenzierungen; so vonbeeindruckt denzuvor im Band erarbei- bleibt recht allgemein und weitgehend un- ersteDer Teil des Aufsatzes von Illman Ruth Stefan Berg: „Weihnachten ist Begegnung und Verstän- Rezensionen -

99 LITERATUR THEMA 100 LITERATUR THEMA des Interreligiösen nötiger dennje. hat. Solche Versuche sind gerade auf dem Feld einigen zueiner Weitung geführt ihrer Bezüge haben, dienicht immerhin aber doch allen, bei Herausgeber*innen, eine Konferenz zu initiiert verhaftet. Umso mehrwiegt der Versuch der lichkeit, diesich hierbot, ihnen ihren Bahnen ungeachtet der interdisziplinären- Dialogmög noch. Einige Wissenschaftler*innen blieben melbandes. Vieles sich offensichtlich ‚beißt‘ und diehohe zugleich Bedeutung desSam- schlichtweg übergehen, zeigen denMangel kulturell unterschiedlicher Hörgewohnheiten meneutische Differenzierungen angesichts streifen,falls auch aber dieAufsätze, dieher Aufsätze,Die beiden besten diedas Thema - Macht undOhnmacht K arlo M eyer - Autorinnen und Autoren dieses Heftes

Dr. Christfried Brödel Professor, Hochschullehrer und Kirchenmusiker, Dresden [email protected]

Dr. Ansgar Franz Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholischen Fakultät im Fachbereich Theo- logie der Universität Mainz [email protected]

Dr. Beat Föllmi Professor für Kirchenmusik und Hymnologie an der Evangelisch-Theologischen Fakul- tät der Universität Straßburg [email protected]

Dr. Okko Herlyn Professor, ev.-ref. Theologe und Kleinkünstler, Duisburg [email protected]

Dr. Julia Koll Pastorin in Wichmannsburg, Altenmedingen und Bienenbüttel (Kirchenkreis Uelzen), Privatdozentin im Fach Praktische Theologie an der Georg-August-Universität Göttingen [email protected]

Dr. Katharina Krause Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Praktische Theologie III an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen [email protected]

Dr. Christian Lehnert Pfarrer, Liturgiewissenschaftliches Institut der VELKD, Leipzig [email protected]

Dr. Karlo Meyer Professor für Religionspädagogik an der Universität des Saarlandes [email protected]

Dr. Christiane Schäfer Literaturwissenschaftlerin, Forschungsstelle Kirchenlied und Gesangbuch an der Universität Mainz [email protected]

101 Markus Schmidt Pfarrer im Ehrenamt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Praktische Theo- logie der Theologischen Fakultät Leipzig [email protected]

102 Die praktische Kurzfassung des Perikopenbuchs

Mit Angaben zu den Sonn- und Feiertagen des Kirchenjahrs Gekürzte Fassung des Perikopenbuchs ohne die Bibeltexte Herausgegeben im Namen der Liturgischen Konferenz in der EKD

Gottesdienste werden von den Lesungs- und Predigttexten sowie den Wochenliedern mitgeprägt, die ihnen im Laufe des Kirchenjahrs zugeordnet werden. Aber warum wird ein Text an einem bestimmten Sonn- oder Feiertag gelesen?

Dieses Buch bietet allen, die dies genauer verstehen und bei der Gottesdienstvorbereitung nutzen wollen, grundlegende und hilfreiche Hintergrundinformationen:

– Die Text- und Klangräume der Sonn- und Feiertage

– Erklärungen, wie die Klangräume zu aktuellen Fragen und Kontexten aus Politik und Gesellschaft in Herausgegeben im Namen der Beziehung gesetzt werden können Liturgischen Konferenz in der EKD von Stephan Goldschmidt, Michael – Hinweise für die gottesdienstliche Meyer-Blanck und Frank Peters Gestaltung kartoniert, 14,5 × 22 cm, 242 Seiten ISBN 978-3-7615-6666-4, € 14,99

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