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SIRIUS 2021; 5(1): 83–93

Ergebnisse internationaler die­ser Wortmeldungen sollen hier vorgestellt werden. Diese unterscheiden sich wesentlich sowohl hinsichtlich strategischer Studien der Gründe für den Absturz der russisch-amerikanischen Beziehungen als auch der Handlungsempfehlungen. Die ersten beiden Analysen – ein von 103 früheren, Die Zeitschrift „SIRIUS“ sieht sich als Bindeglied zu der teilweise hochrangigen Beamten US-amerikanischer Re- Welt der strategischen Forschungseinrichtungen und ver- gierungen, Botschaftern und Fachleuten regierungsunab- öffentlicht regelmäßig Kurzdarstellungen von ausgewähl- hängiger Think Tanks mit Russland-Expertise verfasster ten Studien, die sich mit wichtigen Aspekten der inter- „Offener Brief“ und ein Bericht über ein vom Zentrum nationalen strategischen Entwicklung befassen. Dabei für strategische und internationale Studien (CSIS) in Wa- werden in jedem Heft einzelne Schwerpunkte gesetzt. shington und dem Russischen Rat für internationale An- Die Kurzdarstellungen dienen primär der Widergabe der gelegenheiten (RIAC) in Moskau durchgeführtes Projekt – Ergebnisse dieser Studien, das schließt kritische Kom- betrachten Putins Russland im Wesentlichen in einem mentierung nicht aus. weichen Licht. Sie verorten die Dynamik der Krise haupt- sächlich in einer abwärtsgerichteten Wechselbeziehung – irgendwie hätten sowohl die USA als auch Russland an ihr Russisch-amerikanische Beziehungen Schuld, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Sie ver- /Thomas Graham/Fiona Hill/Jon meiden die Charakterisierung Russlands als Gegner oder Huntsman Jr./Robert Legvold/Thomas R. Pickering: It’s gar Feind, sprechen stattdessen eher von ihm als Rivalen Time to Rethink Our Policy: Open Letter by 103 (rival) und von Herausforderungen (challenges), die von U.S. foreign-policy experts. POLITICO, 5. August 2020, Russland ausgingen. Für die Überwindung der Krise auf Deutsch abgedruckt in Heft 4/2020 von SIRIUS set­zen sie hauptsächlich auf Dialog. Cyrus Newlin/Heather A. Conley/Natalia Viakhireva/ Der Offene Brief überrascht, denn er entspricht in Ian Timofeev: U.S.-Russia Relations at a Crossroads. vielerlei Beziehung den Vorstellungen und Ratschlägen Washington, D.C.: Center for Strategic and International deutscher Apologeten des Putin-Systems und seiner Au- Studies (CSIS), November 2020 ßenpolitik. Wohl im Bewusstsein, dass sowohl Diagnose Daniel Fried/: How the West Should als auch Handlungsempfehlungen als wirklichkeitsfremd Deal with Russia. Washington, D.C.: The , verstanden werden können, betonen seine Autoren, dass 23. November 2020 sie keineswegs naiv seien, sondern die Dinge „mit offenen Michael McFaul: A U.S. Strategy to Contain and Engage Augen“ betrachteten. Allerdings sind die Augen ziemlich Putin’s Russia. Washington, D.C.: Council of American blau gefärbt. Das wurde auch von 33 US-amerikanischen Ambassadors, 25. November 2020 Kollegen sowie 40 Russlandfachleuten und früheren Prä- Steven Pifer: Managing US Sanctions Toward Russia. sidenten, Ministerpräsidenten, Verteidigungsministern Georgetown Journal of International Affairs, 10. Dezember und Außenministern mittelosteuropäischer und baltischer 2020 Staaten so gesehen; siehe die entsprechenden Dokumente in SIRIUS, Heft 4/2020. Besprochen von Dr. Hannes Adomeit, Senior Fellow, Die relativ milde Behandlung des Russlands Putins Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK); E-Mail: [email protected] lässt sich unter anderem an Euphemismen ablesen wie der, dass der Kreml das Handeln der USA in der Außen- https://doi.org/10.1515/sirius-2021-1009 politik erschwere (sic), abgeschwächt allerdings mit der Erkenntnis, dass er amerikanische Politik entlang seiner Im Laufe des Jahres 2020 zeichnete sich ab, dass erweiterten Peripherie in Europa und Asien manchmal das Rennen um die US-amerikanische Präsidentschaft auch vereitle. gewinnen könnte. Manche Beobachter glaubten sogar an Im Vordergrund der Empfehlungen stehen jedoch einen Landslide-Sieg der Demokraten. In Anbetracht des Änderungen im Umgang mit dem Kreml und Initiativen möglichen Endes der Regierungszeit Trumps meldeten (analog früheren Resets, wenn auch der Begriff selbst sich eine ganze Reihe von wissenschaftlichen und public tunlichst vermieden wird), die von den USA ausgehen affairs-Institutionen sowie früheren Botschaftern zu Wort, müssten. So sollten die Vereinigten Staaten um (abgesehen von eigener Profilierung) einer neuen Re- – „auf Russland in Verhandlungen außerhalb des gierung in Washington Ratschläge für die Gestaltung der grellen Lichts der Öffentlichkeit zugehen“; russisch-amerikanischen Beziehungen zu geben. Fünf 84 Ergebnisse internationaler strategischer Studien

– „voll funktionierende diplomatische Beziehungen überzugehen und neue vertrauensbildende Maßnahmen wiederherstellen“ (denn wichtige Regierungskontakte zu vereinbaren. Die Verlängerung des New-START-Abkom- seien abgebrochen, Konsulate geschlossen und das mens ist inzwischen beschlossene Sache. Aber was die Personal der Botschaften drastisch reduziert worden); weiteren Vorschläge betrifft, sind Zweifel angebracht, ob – Russland in einen „ernsthaften und nachhaltigen stra- das nicht alles zu einfach gedacht ist. Man kann Rüstungs- tegischen Dialog einbeziehen, der sich mit den tieferen kontrollverhandlungen fordern, aber wo das Interesse Quellen von Misstrauen und Feindseligkeit befasst“; Russlands liegen soll über konventionelle Rüstungskon- – in wichtigen Fragen, wie in der Ukraine und Syrien, trolle in Europa (anhand welcher Parameter) zu verhan- in denen sich die Interessen der USA und Russlands deln, bleibt unklar. widersprächen, „mehr Aufmerksamkeit auf die ku- Während die beiden oben genannten Darstellungen mulative Wirkung richten, die angemessene, nach mit ihren Handlungsempfehlungen die Hauptursache Phasen geordnete Schritte nach vorn auf die Gesamt- für die Krise der Beziehungen in Wechselwirkungen der beziehung haben könnten und die wiederum die Außenpolitik beider Staaten sehen, siedeln die anderen Chance böten, verbesserte Beziehungen für weitere drei Expertisen die Gründe für den desolaten Zustand der Fortschritte zu nutzen“; Beziehungen in der russischen Innenpolitik an. Zudem – Sanktionen „flexibel, mit Bedacht und in Verbindung vermeiden sie Euphemismen und neigen eher der von mit anderen Elementen nationaler Macht, insbeson- Biden in einem Interview mit dem Nachrichtensender CBS dere der Diplomatie, einsetzen“, denn die stetige An- am 26. Oktober 2020 geäußerten Ansicht zu, dass „Russ- häufung von vom Kongress verordneten Sanktionen land hinsichtlich von Angriffen auf unsere Sicherheit und als Strafe für russische Aktionen auf der Krim und in die Spaltung unserer Allianzen gegenwärtig die größte Be- der Ostukraine, den Giftgasangriff in Salisbury, Ver- drohung für Amerika ist.“ Entsprechend charakterisieren stöße gegen den INF-Vertrag und die Einmischung in Fried und Vershbow die russische Außenpolitik als „krie- Wahlen hätten „jeden Anreiz für Moskau verringert, gerisch“ (bellicose) und befürworten eine Politik der Ein- seinen Kurs zu ändern“. dämmung (containment), um der Kremlin aggression Herr zu werden. Die Berichterstatter des CSIS/RIAC-Projekts stoßen bei Überhaupt sind die Ausführungen von Fried und ihren Handlungsempfehlungen in das gleiche Horn. Die Versh­bow der Auffassung dieses Rezensenten zufolge am Vereinigten Staaten und Russland, schreiben sie, sollten überzeugendsten, was wohl auch an den umfangreichen „einen regelmäßigen Dialog über die regionale Dynamik Erfahrungen liegt, die die Autoren im Umgang mit dem führen – nicht unbedingt, um diese zu lösen, sondern um Russland Jelzins und Putins in unterschiedlichen Posi- die Entwicklung dieser Dynamik weiter zu verstehen und tionen gesammelt haben. Fried war über vierzig Jahre im ihre jeweiligen Politiken und Positionen zu klären. Der Auswärtigen Dienst der USA tätig. Er spielte eine Schlüs- Dialog sollte außerhalb der Öffentlichkeit und auf einer selrolle bei der Gestaltung und Umsetzung der amerika- adäquaten Regierungsebene stattfinden, um ein solides nischen Politik in Europa nach dem Fall der Sowjetunion. und detailliertes Gespräch zu gewährleisten, das jedoch Als Sonderassistent und Direktor des National Security nicht so hochrangig verortet sein sollte, um Erwartungen Councils unter den Präsidenten Clinton und Bush und zu wecken, dass ein bilaterales Abkommen geschlossen stellvertretender Staatssekretär für Europa in den Jahren werden könnte.“ 2005–2009 war er wesentlich an der Ausarbeitung der Es ist nicht klar, was die neue Regierung in Washing- Politik der NATO-Erweiterung auf mittelosteuropäische ton mit derartigen Empfehlungen anfangen könnte. Staaten beteiligt. Nach Moskaus Annexion der Krim und Offensichtlich mit Blick auf die verschiedentlich im seiner militärischen Intervention in der Ostukraine war er Kalten Krieg wichtige Rolle, die nukleare Rüstungskon- Koordinator des US-Außenministeriums für die US-Sank- trolle als Türöffner für eine gewisse Entspannung im tionspolitik. Als Co-Autor der Studie wird er u. a. als Dis- bilateralen Verhältnis gespielt hat, empfehlen die 103 Ex- tinguished Fellow am Atlantic Council genannt. Vershbow perten ein „ausgewogenes Verhältnis von Abschreckung war ab 1977 im Auswärtigen Dienst, als Direktor für euro- und Entspannung“ und die „Wiederherstellung der Füh- päische Angelegenheiten beim Nationalen Sicherheitsrat rungsrolle der USA und Russlands [sic] beim Management und als US-Botschafter bei der NATO sowie in Russland einer nuklearen Welt“. Die Unterzeichner des Briefs, wie tätig. Von 2012 bis 2016 war er Stellvertretender General- auch die Berichterstatter des CSIS/RIAC-Projekts, fordern, sekretär der NATO. Als Co-Autor der Studie wird er u. a. als den Neuen START-Vertrag zu verlängern, um dann zu einer Distinguished Fellow am Scowcroft-Zentrum für Strategie nächsten Phase auch konventioneller Rüstungskontrolle und Sicherheit des Atlantic Council aufgeführt. Ergebnisse internationaler strategischer Studien 85

Der politische Autoritarismus des Systems Putin, so wenn sie auf ihre Verbündeten, „insbesondere die die Autoren in ihrer Diagnose der Ursachen für die gegen- Deutschen“, hörten und nicht wie Trump sinnlose wärtige Konfrontation, führe zu wirtschaftlicher Rückstän- Kämpfe mit ihren Freunden führten. digkeit und Stagnation, was wiederum die Anziehungs- – Nach Gemeinsamkeiten für die Stabilisierung der kraft Russlands und seine Chancen, Freunde und willige Beziehungen suchen. Dazu könnte Rüstungskon- Verbündete auf freiwilliger Basis zu gewinnen, erheblich trolle gehören, einschließlich der Erhaltung von New mindere. Die Mittel, die Russland infolgedessen einsetze, START, aber auch ein Dialog über nicht strategische um Macht und Einfluss in seiner Nachbarschaft und in Atomwaffen und neue Waffentechnologien, um deren der Welt zu erringen, seien Subversion, Korruption, Des- potenzielle Auswirkungen auf die strategische Stabili- information und letzten Endes auch militärischer Druck tät abzuschwächen. Der Dialog könnte auch Bereiche und Gewalt. Dies, um das Argument von Fried und Ver- umfassen, in denen die Vereinigten Staaten und Russ- shbow zu vervollständigen, verursache politische und land ähnliche Ziele verfolgten, wie die Denuklearisie- wirtschaftliche Kosten, wie beispielsweise internationale rung Nordkoreas, Terrorismusbekämpfung, künftige Sanktionen, welche die wirtschaftliche Rückständigkeit Pandemien und Klimawandel. und Stagnation sowie den Autoritarismus im Inneren und – Im Informationsraum aktiver werden. Gut finanzierte die Gegnerschaft mit dem Westen verfestigen. Informationsbemühungen sollten entwickelt werden, Die drei Expertisen stimmen darin überein, dass die um nicht nur die Desinformationsanstrengungen des früheren drei Initiativen für einen Neustart der Beziehun- Kremls zu entlarven, sondern auch ein genaueres Bild gen, die jeweils zum Amtsantritt neuer Präsidenten ange- der US-Gesellschaft und -Politik zu vermitteln. Die von strebt wurden ( im Jahr 1993, George W. Bush Trump bewirkte Schwächung von Radio Free Europe/ 2001 und 2009), nicht wiederholt werden Radio Liberty und Voice of America, wie beispielsweise dürften. Die Konkurrenz beziehungsweise die Gegner- durch die Weigerung, die Visa ausländischer fremd- schaft zwischen den Vereinigten Staaten und Putins Russ- sprachlicher Analysten zu erneuern, sollte rückgängig land habe systemischen Charakter. Ihr lägen grundlegend gemacht werden. unterschiedliche Werte und sich widersprechende Vor- – Kontakte mit der Zivilgesellschaft pflegen. Austausch- stellungen internationaler Ordnung zugrunde. Kein ein- beziehungen sollten mit russischen NGOs und einem ziger Gipfel, Besuch, Neustart oder Angebot könnten die breiten Spektrum von Bürgern aufrechterhalten und Dinge ändern. weiterentwickelt werden, wobei sich die USA nicht Auf dieser Basis haben Fried und Vershbow einige auf oppositionelle Kräfte beschränken sollten. Putins ihrer Handlungsprinzipien wie folgt formuliert: Regime würde das nicht gefallen und weiterhin Men- – Aggressionen des Kremls Widerstand entgegensetzen. schen mit Kontakten zum Westen als „ausländische Im Einzelnen bedeute dies, die Souveränität und Un- Agenten“ brandmarken. Washington sollte sich aber abhängigkeit der Ukraine, Georgiens und Belarus aktiv trotz der von Moskau aufgeworfenen Hindernisse zu unterstützen; zu versuchen, die Einmischung des nicht entmutigen lassen. Kremls in Wahlen in den USA und in Europa zu verhin- dern und derartige Versuche mit erheblichen Kosten Entsprechende Handlungsempfehlungen hat auch McFaul zu belegen; die Abschreckung der NATO entlang ihrer entwickelt. Diese hat er in einer Anhörung im Juli 2020 im Ostflanke zu stärken; Fähigkeiten zu verbessern, sich Unterkomitee des US-Repräsentantenhauses für Europa, dem Cyber- und Informationskrieg des Kremls zu Eurasien, Energie und Umwelt vorgestellt. Michael McFaul widersetzen; und schmutziges Geld und versteckte war zuvor in der Regierung Obamas 2009–2012 im Na- Investitionen russischer privater, halbstaatlicher und tionalen Sicherheitsrat im Weißen Haus und 2012–2014 staatlicher Personen und Institutionen in das west- als US-Boschafter in Russland tätig. Derzeit arbeitet er in liche Finanzsystem aufzudecken und auszutrocknen. verschiedenen Positionen an der Stanford Universität und – Mit Europa zusammenarbeiten. Einige NATO- und EU- der . Die gegenüber Putins Russland Partner der Vereinigten Staaten hätten unterschiedli- zu verfolgende Strategie, so McFaul, müsse „vorrangig che Vorstellungen über den Umgang mit Putin. Viele auf Containment“ beruhen, sich mit wirtschaftlicher, mi- teilten jedoch die US-amerikanische Haltung. Es gebe litärischer und politischer Einflussnahme des Kremls aus- eine starke Grundlage für eine gemeinsame trans- einandersetzen und nur dort mit ihm zusammenarbeiten, atlantische Politik. Die Erfahrung zeige, dass die Ver- „wo es wirklich notwendig ist“ (selective engagement). einigten Staaten einen Konsens über die gegen Russ- Einige seiner Handlungsempfehlungen – hier ver- land einzuschlagende Strategie erzielen könnten, kürzt wiedergegeben – lauten wie folgt: 86 Ergebnisse internationaler strategischer Studien

– Die NATO stärken. Die „zentrale Säule“ des Ansatzes anderem US-Botschafter in der Ukraine und Leitender Di- gegenüber Russland sollte darin bestehen, das Ver- rektor für Russland, Ukraine und Eurasien im Nationalen hältnis zu Amerikas Verbündeten in der NATO zu Sicherheitsrat war, hat sich eingehend mit der Sanktions- stärken und den Schaden zu beheben, der diesem in frage befasst: Seitdem sich die Beziehungen zwischen den vergangenen vier Jahren zugefügt worden ist. Die Washington und Moskau in den letzten zehn Jahren ver- European-Deterrence- und NATO-Readiness-Initiati- schlechtert hätten, schreibt er, hätten die USA eine zuneh- ven sollten weiter ausgeführt werden, um das Ziel zu mende Anzahl Sanktionen in verschiedenen geografischen erreichen, dass die NATO innerhalb von 30 Tagen 30 und funktionalen Bereichen gegen russische Einzelper- Landbataillone (ca. 30.000 Soldaten), 30 Seekampf- sonen und Unternehmen verhängt – als Reaktion auf die schiffe und 30 Luftstaffeln (ca. 300 Flugzeuge) in die Aggression des Kremls in der Ukraine, seine Cyber- und östlichsten Mitgliedstaaten entsenden könnte. Desinformationsaktivitäten, die Unterstützung Assads in – Sanktionen beibehalten. Die Vereinigten Staaten und Syrien und Maduros in Venezuela sowie im Zusammen- ihre Verbündeten und Partner hätten zu Recht russi- hang mit dem Bau der Nord-Stream-2 Gaspipeline. Auch sche Einzelpersonen und Unternehmen als Reaktion unter Biden sollten Sanktionen Teil des US-Instrumentari- auf Putins Annexion der Krim und militärische Inter- ums sein, um angemessen auf ernstes Fehlverhalten Russ- vention in der Ostukraine sanktioniert. Solange Putin lands zu reagieren. Diesbezüglich hat er folgende Grund- sein Verhalten nicht ändere, müssten die Sanktionen sätze für ihre Anwendung formuliert: Sanktionen sollten bestehen bleiben. Jede vorzeitige Zurücknahme oder – in eine umfassende US-Politik gegenüber Russland ihre Verwässerung würde Moskau ein völlig falsches eingebettet werden. Der Autor setzt dabei (unaus- Signal hinsichtlich der Einigkeit des Westens senden. gesprochen) auf den von Fried, Vershbow und McFaul – Diplomatische Bemühungen in der russischen Nach- skizzierten Maßnahmenkatalog, wozu er unter barschaft wiederaufnehmen. Die USA sollten auf das anderem die Verbesserung der militärischen Fähig- diplomatische Feld in der Nachbarschaft Russlands keiten der NATO im Baltikum und Unterstützung für zurückkehren. Die Menschen in der Ukraine, Belarus, die Ukraine bis hin zur Lieferung von Waffen an ihre dem Kaukasus, Zentralasien und in anderen von rus- Streitkräfte rechnet. sischem Druck und Zwang bedrohten Ländern und – mit einem konkreten Ziel verknüpft werden. Sanktio- Gesellschaften wollten, dass die Vereinigten Staaten nen seien kein Selbstzweck. Das Ziel von Sanktionen als aktiver Akteur in der Region auftreten. Die diplo- sollte darin bestehen, das Kalkül des Kremls hinsicht- matische Abwesenheit (insbesondere in der Minsker lich von Kosten und Nutzen seiner Maßnahmen zu Gruppe zum Management des Berg-Karabach-Pro- beeinflussen. blems) und werteorientierte Stimme der Vereinigten – so beschaffen sein, dass Moskau davon ausgehen Staaten (insbesondere hinsichtlich Belarus) seien in könne, dass diese aufgehoben würden, wenn es die den letzten vier Jahren vermisst worden. Bedingungen dafür erfülle. Sollte der Kreml anneh- – Die Reformprozesse in der Ukraine und die Verteidi- men, dass die Sanktionen unabhängig von seinem gungsfähigkeit des Landes unterstützen. Die Ukraine sei Verhalten bestehen blieben, habe er keinen Anreiz, der „wichtigste Frontstaat im Rahmen einer Strategie sich zu bewegen. zur Eindämmung Russlands“. Die USA müssten infol- – im Voraus als Reaktion auf mögliche russische Aktio- gedessen die ukrainische Armee weiterhin mithilfe nen festgelegt werden. Es sei einfacher, einen Gegner von Waffenlieferungen und Ausbildungsprogrammen davon abzuhalten, unerwünschte Maßnahmen zu er- unterstützen. Ebenso wichtig sei, dass sich Washing- greifen, als den Gegner zu zwingen, bereits ergriffene ton energisch mit einem umfassenden Plan zur Wie- Maßnahmen rückgängig zu machen. derbelebung der demokratischen Konsolidierung in – mit Verbündeten, insbesondere mit der EU, koordiniert der Ukraine engagiere. Trump habe den Beziehungen werden. Multilaterale Sanktionen sendeten eine stär- zwischen den USA und der Ukraine enorm geschadet, kere politische Botschaft. Sie hätten auch größere indem er die Ukraine in seine Wiederwahlbemühun- wirtschaftliche Auswirkungen. Derzeit erschwere gen einbezogen hätte. Es gebe kein größeres Geschenk die unterschiedliche Haltung zu Nord-Stream-2 die an Putin als eine gescheiterte ukrainische Demokratie. Koordinierung der Sanktionen mit Europa. Die Biden- Regierung sollte sich bemühen, insbesondere mit Steven Pifer, Research Fellow am Stanford Zentrum für Deutschland, dem „wichtigsten europäischen Geld- internationale Sicherheit und Zusammenarbeit, der mehr geber der Pipeline“, eine einheitliche Sanktionsfront als 25 Jahre im State Department gedient hat und unter gegen Russland aufrechtzuerhalten. Ergebnisse internationaler strategischer Studien 87

– mit Anreizen verbunden werden. Um beispielsweise den Stillstand im Donbass zu überwinden, könnte Washington mit Berlin und Paris einen Plan für eine von den UN beauftragte Friedenstruppe und eine in- ternationale Übergangsverwaltung ausarbeiten. Die Friedenstruppe und die Verwaltungskörperschaften könnten in den Donbass entsandt werden, um einen Übergang zwischen dem Abzug der russischen und Stellvertretertruppen einerseits und der vollständigen Wiederherstellung der ukrainischen Souveränität an- dererseits zu schaffen. Washington und seine Partner könnten klarmachen, dass die Nichtannahme des An- gebots zusätzliche Sanktionen auslösen würde.

Nach all dem, was man von der Haltung Bidens, Außen- minister Antony Blinkens und Sicherheitsberater Jake Sullivans in früheren Positionen weiß, entsprechen die Handlungsempfehlungen von Fried, Vershbow, McFaul und Pifers so ziemlich dem, wie die neue Regierung ihre Russland-Politik gestalten könnte. https://www.politico.com/news/magazine/2020/ 08/05/open-letter-russia-policy-391434 https://www.csis.org/analysis/us-russia-relations- crossroadshttps://www.atlanticcouncil.org/in-depth- research-reports/report/russia-in-the-world/ https://www.americanambassadorslive.org/post/a- u-s-strategy-to-contain-and-engage-putin-s-russia?fbclid =IwAR1DLoi-h2j01N8b4mSLaHpY2ZO55GFR7HMakoinRF FkChltnL0Zjtvz0L0 https://gjia.georgetown.edu/2020/12/10/managing- us-sanctions-toward-russia/